Mnemophobia von Flordelis ================================================================================ 4. April 2015: Ankunft ---------------------- Athamos ist beeindruckend. Das kann man nicht anders sagen. Es ist ein strahlend weißes Gebäude, das auf den ersten Blick nicht wie ein Krankenhaus aussieht, sondern vielmehr wie ein nobles Luxushotel. Fährt man auf der Straße entlang, die zum Haupteingang führt und sieht dann, wie es hinter den Bäumen auftaucht, wie es von einem Hügel aus die gesamte Umgebung überblickt, fühlt man sich für einen Moment sicher entweder wie der unwichtigste Mensch der Welt – oder wie ein Promi, so fühlte ich mich jedenfalls. Bei der Vorstellung, dass ich hier einen All-inclusive-Urlaub machte, fühlte ich mich auch nicht ganz so abgeneigt, was diese Sache anging. Die Fenster blendeten mich wegen des einfallenden Sonnenlichts, deswegen kniff ich die Augen zusammen und wandte dann den Blick auf die andere Seite des Wagens. Der Rasen fiel an dieser Stelle steil ab und ging bald in ein undurchdringliches Gebüsch hinter, an das sich wiederum Wald anschloss. Wenn man hier wegläuft, kann man sich bestimmt ganz schön leicht verirren. (Eigentlich habe ich das aus Spaß sogar versucht und mich wirklich heftig verfranst, dann war das kein Spaß mehr, aber darüber erzähle ich später mehr.) Die Hufeisenform des Baus scheint einen direkt in die Arme nehmen zu wollen, wenn man schließlich in die Einfahrt fährt – nur um einen dann niemals wieder gehen zu lassen. Wie so anhängliche Freunde, die einen total lieben, die man aber eigentlich gar nicht ausstehen kann. Ist schon komisch, dass gerade die einem immer am treuesten bleiben, oder? Ach, na ja, wie auch immer. Ein Pfleger aus dem Krankenhaus, in dem ich bis dahin gewesen war, hatte mich nach Athamos begleitet, unter der Auflage, dass meine Hände gefesselt werden, damit ich keinen Unsinn mache. Yeah, du Genie, was hätte ich getan, wenn wir einen Unfall gebaut hätten? Das hätte ich damals fragen sollen, hab ich aber nicht, weil es eh nichts bringt. Wenn die einmal denken, man sei verrückt und will sich selbst umbringen, glauben die einem nichts mehr und alles, was man sagt, macht es nur noch schlimmer. Ich kann ja schon froh sein, dass ich nicht im Krankenwagen fahren musste. Also nicht nochmal. Als wir endlich da waren, wurden wir bereits empfangen, so dass ich mich echt wie ein Star fühlen konnte. Okay, ein Star, der gerade von der Polizei abgeführt wurde, aber hey, Ruhm ist Ruhm. Die Person, die uns begrüßte, erschien mir aber viel eher wie ein Star. Ihre hellblauen Augen waren normal genug, aber ihr langes, zu einem Zopf gebundenes Haar war violett! Violett! „Woah!“, entfuhr es mir nach der üblichen Grußformel begeistert. „Ist die Haarfarbe echt?“ Sie (also Naola, so heißt sie, sollte ich vielleicht erwähnen) lachte darauf nur, was eigentlich keine Antwort war, aber ich glaubte es einfach mal weiter. Ich hatte den Gedanken, dass ich ihr erklären müsste, warum ich mit Handschellen gefesselt war, aber sie überging das einfach und führte uns hinein. Auch drinnen sah alles eher wie ein Hotel aus. Es gab eine Rezeption aus einladendem hellen Holz, Sofas und Sessel säumten den Eingangsbereich, der aber vollkommen verlassen war. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, ob sich Patienten dort aufhalten durften oder ob es ein Bereich war, der einzig Besuchern vorbehalten war. Inzwischen weiß ich ja, dass Patienten da auch hindürfen, aber die wenigsten dort herumsitzen wollen. Wer hat schon gern das Gefühl, dauernd von der Rezeptionistin im Auge behalten zu werden? Oder von Leuten, die von draußen hereinkommen? Jedenfalls brachte Naola uns dann zum Oberarzt dieser Einrichtung. Dr. Tharom ist ein ziemlich streng aussehender Kerl, aber das muss ich ja eigentlich nicht erzählen, Vincent kennt ihn ja. Falls irgendwer anderes das hier liest, sollte er besser nicht zu viel erfahren. Man weiß ja nie. Jedenfalls meinte Dr. Tharom, dass ich hier ganz richtig bin, obwohl er mir zumindest endlich zuhörte, als ich sagte, ich hab nicht versucht, mich umzubringen. Allerdings glaubt er mir wohl nicht, dass ich nur betrunken schwimmen gehen wollte. Er meint, in der Notaufnahme wäre mir Blut abgenommen worden und die Untersuchung hätte ergeben, dass ich gar keinen Alkohol im Blut hatte. Ich kapier das zwar nicht, weil ich mich ganz genau daran erinnere, ein paar Flaschen Bier geleert zu haben, aber Dr. Tharom sagte, dass ich mich irren muss. Ärzte. Nachdem ich bei ihm gewesen bin, kam ich zu Dr. Belfond, der mich auf meinen körperlichen Zustand untersuchen sollte. Ich war voll erstaunt, weil der Kerl einfach … riesig ist. Ich hab noch nie einen so großen Mann gesehen. Da fühlte ich mich fast wie ein Zwerg. Und er war genauso mürrisch wie Dr. Tharom, da fühlte ich mich ja sofort heimisch. Nein, im Ernst, mein Bruder Cowen ist genauso. Wenigstens hat mich hier noch niemand angeschrien, obwohl ich schon ganz schön viel Mist gebaut habe, seit ich hier bin. Nach Dr. Belfond kam ich zu … Dr. Belfond. Also, seiner Frau. Jedenfalls schätze ich, dass sie seine Frau ist, irgendwie traue ich mich aber auch nicht, jemanden danach zu fragen. Frau Doktor hat mir Blut abgenommen und mich dann gefragt, warum ich sie dauernd anstarre. Meine Begründung – ihr Haar ist grün! – muss sie wohl verwirrt haben, denn sie hat darauf nur die Stirn gerunzelt und mich dann mit Ias mitgeschickt. Also, was Haarfarben angeht, bin ich echt im Paradies gelandet. Ias hat purpur-farbenes Haar, das ist so cool. Ich könnte das echt dauernd anstarren. Schade, dass sie es meistens zu einem Dutt frisiert. Aber ich kann es kaum erwarten, dass Cowen mich abholen kommt. Dann führe ich ihn an all diesen Personen vorbei, damit er sehen kann, dass es voll normal ist, wenn man so eine seltsame außergewöhnliche Haarfarbe hat. Aber so wie ich ihn kenne, wird er mich dann nur dafür anschreien, wenn wir wieder zu Hause sind. Ias brachte mich dann zu den Patientenzimmern, dabei fiel mir aber auf, dass eine der Türen im Treppenhaus mit Klebebändern versperrt ist. Als ich nachfragte, erklärte Ias mir, dass es ein Flügel des Krankenhauses ist, der vor kurzem erst komplett ausgebrannt ist. Dabei sah sie mich mit einem Blick an, dass ich glaubte, sie wüsste, welche Angst ich vor Feuer habe. Ich fühlte mich in dem Moment jedenfalls nicht sonderlich gut, deswegen sind wir lieber weitergegangen. Inzwischen war es schon Abend und der Kerl, der mich hergebracht hatte, war wieder weg. Das Abendessen war längst vorbei, ich hatte aber eh keinen Hunger, also störte mich das nicht. Die Räume für die Patienten sind ganz nett. Hatte Angst, dass es typische Krankenhauszimmer sind, aber eigentlich wirken sie mehr, als wären wir in einer Jugendherberge. Finde ich ganz nett. Weniger nett finde ich, dass wir auch selbst kochen sollen, hatte eigentlich mehr Komfort erwartet, aber na ja, ich werde schon keinen vergiften. Hoffe ich. Im Aufenthaltsraum befanden sich zu dem Zeitpunkt einige andere Patienten. Zu dem Zeitpunkt kannte ich die natürlich noch nicht, deswegen waren es für mich lauter Fremde, die mich nicht weiter interessierten. Aber sie konzentrierten sich auch lieber auf ein Gespräch, das sie gerade untereinander führten, also ignorierte ich alle. Ias führte mich in mein Zimmer – und dort stellte ich fest, dass mein Mitbewohner wohl eine ziemliche Schlafmütze ist. Jedenfalls dachte ich das damals, ich wusste ja nicht, wie sehr ich mich irrte. Jedenfalls lag mein Mitbewohner auf seinem Bett und hatte die Decke so weit hochgezogen, dass ich nur sein schwarzes Haar sehen konnte. Ich erwartete, dass Ias die Decke wegziehen und ihn wecken würde. Immerhin musste sie doch sichergehen, dass er noch lebte. Aber sie ignorierte ihn vollkommen und erklärte nur rasch, dass sein Name Kieran sei und ich mich vorstellen sollte, sobald er wach wäre. Da hakte ich lieber nicht nach, denn zu dem Zeitpunkt dachte ich ja noch, dass es seine Sache wäre, wenn er sich etwas antat und es keinen kümmerte. Klingt vielleicht total kaltschnäuzig, dabei meine ich das eher aus Verständnis heraus. Wenn sich jemand echt umbringen will, warum sollte ich das Recht haben, das zu verhindern? Außerdem schien es Ias ja nicht weiter zu kümmern. Also warum sollte es dann mich kümmern, dachte ich. Heute weiß ich ja, dass Kieran sich nicht umbringen würde. Deswegen mache ich mir keine Sorgen mehr um ihn. Ehrlich gesagt hab ich eher den Eindruck, ich muss mir um mich Sorgen machen. Wenn ich mit Vincent darüber spreche, sagt er mir aber immer nur, ich soll mir keine Gedanken darum machen. Was für ein bescheuerter Rat ist denn das? Aber wenn ich ihn das frage, macht er immer nur irgendwelche Notizen. Alter. Jedenfalls hab ich an dem Tag aber nicht mehr viel gemacht. Nachdem ich meine wenigen Sachen ausgepackt habe, ohne dass Kieran dabei aufgewacht ist, bin ich ins Bett gegangen, um zu schlafen. Dabei fiel mir dann auch auf, dass er echt noch lebt, denn er seufzte leise im Schlaf und drehte sich dann auf die Seite. Vielleicht hatte er auch nur bemerkt, dass noch jemand im Zimmer war, wollte aber nicht zeigen, dass er wach war. Ich brauchte jedenfalls nicht lange, um einzuschlafen. Deswegen konnte ich auch nicht verstehen, was mir dann am Tag danach über Kieran gesagt wurde, aber das ist Stoff für einen anderen Eintrag. Hier mach ich erst mal Schluss. Vincent will, dass ich meine Träume gesondert aufschreibe, also mache ich das auch. Wenn ich überhaupt was träume. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)