Levitation von Avi ================================================================================ Kapitel 1: -Krux- ----------------- Kapitel 1 -Krux- Wolken überzogen an diesem Tag den Himmel über Beacon Hills und kündigten ein kühles, nasses Wetter an. Der Tau hing noch in den Gräsern, als er mehr oder minder müde durch die Wälder streifte. Es roch feucht. Nicht mehr und nicht weniger. Egal, wie oft er schnupperte. Er kam sich allmählich ziemlich dumm vor. Vorgeführt und genervt. Eben noch saß er im Trockenen, selig vor sich hin schlummernd und nach einem hektischen, unruhigen Telefonat streifte er durch völlig leere Weiten, nur darauf vertrauend, dass man ihn nicht umsonst hier her zitiert hatte. „Isaac!“ schallte es und er wirbelte herum. „Scott?“ Suchend tänzelte er einmal im Kreis, versuchte jeglichen kleinen Punkt am Horizont mit seinen Blicken einzufangen. „Scott?“ wiederholte er lauter, was ihm ziemlich sinnlos erschien. Er hätte ihn bereits hören müssen. Ihre Gehöre waren sehr sensibel. Zumindest ging er davon aus, dass Scott derjenige von ihnen beiden war, der es schaffte, sein Gehör auf Abruf scharf zu stellen. Isaac selbst sah sich mehr als Schüler. Mal konnte er alle überflüssigen Geräusche ausblenden, mal hörte er aufgrund seiner fehlenden Disziplin einen Strudel aus undefinierbarem Lärm. „SCOTT?“ Er schrie den Namen des braunhaarigen Wolfes mit solch Inbrunst, als versuche er so dem überdrüssigen Vogelgezwitscher und dem in die falsche Richtung wehenden Wind Herr zu werden. Normalerweise schrie er nicht. Er wusste nicht einmal, dass seine Stimme so laut sein konnte. Keine Vögel, kein Wind, kein Scott. „Man…“ Das hatte er wirklich nicht verdient. „Isaac, du musst kommen. Es geht um Lydia. Sie sagt, sie hat etwas geträumt. Du weißt schon… Finstere Gestalten in der Nähe des Waldes.“ Scott hatte ernst geklungen und Isaac hatte sofort zugesagt. Er würde immer kommen, wenn Scott fragte. Immer. Isaac setzte sich selten mit Gefühlen auseinander. Unbegründete Emotionen in Hülle und Fülle waren nicht sein Ding. „Und Isaac… sei vorsichtig….Wir sehen uns dort." Isaac schloss die Augen. Die Stimme des jungen Wolfes hallte in seinen Ohren. Jemanden zur Vorsicht zu ermahnen lag in Scotts Natur. Er machte sich immer Sorgen um die Menschen, die ihn umgaben. Diese Eigenschaft gefiel Isaac. Oft etwas übertrieben, aber bemerkenswert. Er empfand Scott als sehr angenehmen Zeitgenossen: Für jeden Spaß zu haben, immer für einen da und wenn man wollte, war er ein loyaler guter Freund. Scotts Führungsstärke lag in der Größe seines Herzens und seiner ungebrochenen Richtlinie, nicht sinnlos zu töten, sondern einen Weg zu finden, so wenig Schmerz wie nur möglich zu provozieren. Er besaß eine übernatürliche psychische Stärke, die Isaac neidlos anerkannte. Er vertraute Scott. Einer der Gründe, wieso Isaac hier gerade wie auf einem Präsentierteller mitten im Nichts stand und weder ein noch aus wusste. Er hatte geahnt, wenn er auf Scotts Ruf reagierte, würden sie zusammen das nächste gefährliche, unheilverkündete und vielleicht sogar Leid bringende Abenteuer erleben. Nach zwei Wochen beunruhigender Normalität in Beacon Hills war es beinahe befreiend für ihn, wieder auf gewohntem Terrain zu wandern. Nervosität säend und gerade sehr unangenehm, aber er verspürte einen Hauch von Freude. Aufmerksam streifte er durch das hohe Gras, darauf gefasst, jeden Moment Angegriffen zu werden. Ein Fluch lag in der Luft. Isaac konnte weder einen Geruch, noch ein Geräusch, noch eine Gestalt ausmachen. Um es zu spezifizieren: er konnte gar keinen Geruch, gar kein Geräusch und gar keine Gestalt ausmachen. Er blieb stehen. „Scott?“ Der Wind streifte seine Jacke und zerzauste seine lockigen Haare. Die Welt schien auf Pause zu stehen. Er war ein Werwolf. Werwölfe hörten auf Meilen entfernt das kleinste Wimmern. Werwölfe hatten einen sensiblen Geruchssinn. Sie sahen auf etliche Entfernung das kleinste Wesen. Scharf gestellt, in HD. Isaac schluckte. Und Werwölfe waren stark… Er hoffte inständig, dass er nicht unter Beweis stellen musste, dass Starksein nicht auch unter Schwund litt. Zweifache Verneinungen waren laut einer gewissen Person niemals ein gutes Zeichen. Super. Ein Verfolgungswahn keimte ungehemmt in Isaac auf und er ging Schutz suchend in die Knie. Mit unguter Erkenntnis kramte er sein Handy hervor und atmete durch. Das Freizeichen ertönte und Isaac zählte unweigerlich mit. Eins. Zwei. Drei. Ein weiterer Windstoß eilte an ihm vorüber und versetzte ihm einen Schauer. Vier. Fünf. Sechs. Er kauerte sich dem Erdboden so nah wie nur möglich. Sieben. Acht. Ne- „Isaac?“ „Scott?“ „Nein, Stiles.“ „Wa-?“ Isaac starrte ungläubig auf sein Display. Nein, er hatte definitiv Scott angerufen. „Wo ist Scott?“ Am anderen Ende der Leitung raschelte es. „Ich dachte…. Ich dachte bei dir?“ Er schluckte hörbar. „Nein.“ murmelte Isaac nur. Sofort war er wieder auf den Beinen und sah sich hektisch um. „Wo bist du?“ fragte er nun, die Taktik ändernd. Er könne sich auch mit Stiles zusammen tun, solange er nur nicht mehr alleine war. So allein wie ein einsamer Wolf. Wie ein Omega. Leichte Beute. „Am Haus.“ war die untypisch knappe Antwort von Stiles und Isaac ahnte, dass einiges mehr nicht stimmte. „Ich komme.“ Viele Fragen blieben ungeklärt. Es machte ihm nichts. Er war nicht der Typ für Alle-Probleme-auf-einmal-lösen. Er dachte auch nicht zehn Schritte vorweg. Seine Priorität war: Zu Stiles kommen, nicht mehr alleine sein. Er rannte über die Lichtung, in genau die selbe Richtung, aus der er gekommen war. Sein Atem manifestierte sich in sanften Rauchschwaden und ein Schmerz durchzuckte seine Brust. Isaac stolperte, fing sich gerade so ab und landete mit weit aufgerissenen Augen in einem Graben. Erstickend fasste er sich an die immer noch pochende Brust. Was zur Hölle ging hier vor? Isaac wuchtete sich unter Krampfen seiner Lunge wieder auf. Wenn mit ihm gerade solch ein böser Zauber passierte, wie erging es dann den anderen? Er hatte keinerlei Ambitionen irgendwelchen anderen zur Hilfe zu eilen. Isaac war kein guter Teamplayer und konnte selten zwischen angebracht und unangebracht unterscheiden. Aber hier handelte es sich nicht einfach um andere – es handelte sich um die wenigen Menschen, die er persönlich kannte. Um die Menschen, die Scott am Herzen lagen. Alleine das war Grund genug, die Zähne zusammen zu beißen und weiter zu rennen. „Stiles!“ würgte er hervor, ein Gefühl, als würde ihm die Kehle abgeschnürrt. Wo war dieses dämliche, verfluchte, nur noch aus Asche bestehende Haus? Es fühlte sich an, als renne er im Kreis. „STILES?!“ Ihm wurde schwindelig. Wo waren denn nur alle? Was war hier los? Was passierte mit ihm? Isaac taumelte und griff perplex nach halt. Sein Oberkörper schien zu bersten und die Luft hinterließ eisige Spuren in seiner Luftröhre. Scott…. Scott hatte das Talent, immer das richtige zu tun. Aus den richtigen Gründen und mit den richtigen Methoden. Isaac dagegen handelte subjektiv spontan, auch ein Grund, warum ihn keiner einschätzen konnte. Mal tat er etwas unglaublich herzbewegendes und im nächsten Moment war er wieder einmal keine große Hilfe; für nichts zu gebrauchen. Müdigkeit keimte in ihm auf, ein längst vergessenes Gefühl und Isaac wusste es nicht gleich einzuordnen. Er stützte sich nach Luft ringend an einem Baumstamm ab und versuchte sein Gehör zu fokussieren, vergebens. Da war kein einziger Laut. Nicht einmal das Rascheln der Blätter, nicht einmal das Heulen des Windes, nicht einmal das Zwitschern der Vögel… Isaac schluckte schwer. Vorsichtig hob er eine Hand und fasste an sein Ohr, doch dort war nichts. Er hatte Blut erwartet, vielleicht auch gleich eine ganze Ladung an Gift, irgendetwas, das erklärte, warum er nichts hören konnte. Aber da war nichts. Die Schmerzen in seiner Brust breiteten sich aus, er fühlte Taubheit in seine Oberarme kriechen. Gab es so etwas wie ‚für Werwölfe nicht riechbares Gift‘? Er überlegte in Kindergartenmanier; unfähig großartige Gedankengänge zustande zu bekommen. Er musste zu Stiles. Er musste zu Scott. Er musste…. Überleben. Seine Beine zitterten bedenklich und er spürte, wie sie nachgeben wollten. „Scott…“ Es war nur ein Flüstern; eine hilflose Geste. Er würde es nicht schaffen. Er würde dieser Krux nicht entkommen… „Isaac.“ Er wurde unsanft gerüttelt. Schwer flatterten seine Augenlider auf, die plötzliche Helligkeit ließ ihn gequält knurren. Der Griff um seine Schultern wurde fester. „Isaac!“ Diesmal öffnete er seine Augen ganz, starrte schwach gerade aus. Das Anpassen seiner Augen an das Licht ging ihm nicht schnell genug. Die Erinnerung kam zurück und sein Blick hüpfte in einem Anflug von Panik wild umher. „Ruhig.“ Eine feste Stimme holte ihn aus seiner Verwirrung und er atmete schwer aber tief ein. Es hatte begonnen zu Regnen und es fröstelte ihn. Der Himmel war grau, wolkenbehangen und die Tropfen vielen in dicken, ovalen Kugeln sichtbar auf ihn herab. „So ist gut.“ Der Griff lockerte sich und Isaac blinzelte verstohlen in Richtung der Stimme. Es war Derek, der mit durchdringendem Blick neben ihm kniete. Isaacs Beine hatten am Ende wohl wirklich nachgegeben, denn er lag quer über einem Trampelpfad, umringt von dem Sturm erlegenen Blättern. Isaac wischte sich mit dem feuchten Ärmel seiner grauen Kapuzenjacke über das Gesicht und räusperte sich. „Wo sind Sc-“ Derek unterbrach ihn, indem er ihn am Aufstehen hinderte. „Hey!“ protestierte Isaac wenig überzeugend und blieb resignierend sitzen. „Es geht ihnen gut.“ meinte Derek ernst und dabei so wenig erklärend, wie nur er es konnte. Isaac verdrehte die Augen, nachfragen erschien ihm gerade zu anstrengend. Also beließ er es dabei. Sein Blick wanderte über den Horizont; er sah Krähen über der Lichtung kreisen. Einen Moment schloss er die Augen; er hörte das wirre Krächzen. Er sog scharf die Luft ein; es roch modrig und nass. Er schlug überrascht die Augen wieder auf. Sie waren zurück: all seine Sinne funktionierten, als sei nie etwas passiert. „Hatten…. Hatten sie es auch?“ fragte er leise und suchte Dereks Blick. Dieser blieb starr zu Boden gerichtet. „Hatten was?“ entgegnete dieser mit einer beängstigenden Ernsthaftigkeit, die Isaacs Selbstzweifel bestärkten. „Ein Nickerchen auf Laubblättern?“ murmelte der Jüngere. Witze reißen war noch nie seine Stärke gewesen. Dereks Blick blieb hart und Isaac schloss seinen in solchen Momenten unbrauchbaren Mund. Ihm war kalt und seine vor Nässe triefenden Sachen fühlten sich unangenehm schwer an. „Scott hat dich gesucht.“ Dereks Augen überflogen Isaac flüchtig. „Steh auf.“ befahl er nicht gerade einfühlsam; Einfühlsamkeit hätte Isaac vermutlich nicht einmal erkannt. Zitternd rappelte sich der lockige Junge auf. Die plötzlich wieder wahrnehmbaren Reize überschwemmten ihn wie eine riesige Welle, schmetterten ungebremst auf ihn nieder und brachten ihn zum Taumeln. Dereks Arm fing ihn auf, hielt ihn am Oberarm fest und verhinderte peinliches Torkeln. „Danke….“ nuschelte Isaac und richtete sich taffwirkend auf. „Geht schon.“ Er löste sich aus den unglaublich verstörenden Fängen des anderen Werwolfes und kicherte. Es klang verrückt und hysterisch. Es klang nach einer emotionalen Überladung, die Isaac völlig überforderte. Es war zu viel. Alles war zu viel. Er stolperte in die Richtung, in der er die Stadt vermutete. „Wo willst du hin?“ Es war nicht Dereks Art, kleine hilflose Kinder vor dem Ertrinken zu Retten, doch sie ins Verderben rennen zu lassen und dabei zu zusehen, empfand sogar er als falsch. „Nach Hause.“ kam eine ungenaue, aber schnelle Antwort und Derek verdrehte die Augen. „Und wo genau ist das?“ Isaac hielt inne. Damit hatte er nicht gerechnet. „Ähhhhh….“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Schätze, bei Scott…?“ An sich wusste er es selbst nicht. Er konnte den Begriff zu Hause kaum definieren und Dereks grimmige Mine half ihm dabei herzlichst wenig. „Ich will sehen, wie es ihm geht.“ führte er weiter aus und hoffte, das würde als Erklärung ausreichen. Dereks Blick wurde noch ein Quäntchen mürrischer. „Was?“ Isaac runzelte die Stirn. „Was ist?“ „Ihm geht es gut, Isaac.“ Dereks Stimmte klang bei diesen wiederholten Worten unangenehm herb. Isaac schlang seine Arme um sich, als wollte er einen Schutzschild um sich aufbauen. „Ist doch toll….?“ Er ahnte bereits, dass sein Gegenüber nicht darauf hinaus wollte. „Ja.“ Derek fixierte Isaac starr und dieser fühlte sich zunehmend unbehaglicher, was im übrigen kaum möglich war. „Ja…was?“ Er wartete auf die Pointe. Derek alles aus der Nase zu ziehen strengte Isaac gerade sehr sehr an. Es lag etwas im Argen und er fühlte sich matt und müde. Die letzten Stunden hatten ihn ausgelaugt und er machte sich so etwas ähnliches wie Sorgen. „Derek…“ „Scott geht es gut. Stiles geht es gut. Lydia geht es gut.“ Begann der dunkelhaarige zu erklären. Isaac merkte wohl, dass dieser ihm näher kam, mit kurzzeitig sorgevollem Blick. Als wollte er bereit stehen, sollte Isaac erneut umkippen. „Es geht allen gut…. Außer dir.“ Isaac schluckte. „Wie meinst du das?“ Derek schnaubte, als wollte er signalisieren, dass er der falsche Ansprechpartner dafür sei. Der jüngere nickte andächtig, verstand kein bisschen, worauf Derek hinaus wollte. Ihm wurde übel. „Wir sehen uns.“ Er hob abschiedsmäßig eine Hand und begann sich schwer atmend von Hale zu entfernen. Es geht ihm gut. Es war eine positive Nachricht, sagte er sich. Er musste nur den bitteren Beigeschmack los werden. Das Odium des Geschehenen, um mal etwas Poesie hier rein zu bringen. Er musste zu Scott. Er musste sicher gehen, dass Dereks Worte wahr waren… Zeit für kleine Erläuterungen: Krux – die; Leid, Kummer, Last oder auch Schwierigkeit Odium – das; Anrüchtigkeit, übler Beigeschmack Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)