Nebenwirkungen von Idris ([Stiles/Derek] Winterwichteln 2014) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es ist drei Uhr nachts als Dereks Handy vibriert. Er verdankt es nur seinem Werwolfgehör, dass er davon überhaupt aufwacht. Desorientiert tastet er über seinen Nachttisch, bis seine Finger die Plastikhülle zu fassen bekommen und dann blendet das grelle Licht ihn so sehr, dass er reflexartig die Augen schließt und es ein Stück weit von sich weg hält. Er blinzelt. ‚STILES‘ flackert in großen Buchstaben über das Display. Natürlich. Wer sollte ihn auch sonst nachts um drei anrufen? Hoffentlich ist es ein Notfall. Hoffentlich ist das nicht wieder so eine Aktion wie neulich als Stiles es für eine gute Idee gehalten hat, ihn mitten in der Nacht anzurufen, nur um nachzufragen ob Werwölfe auch regelmäßig läufig werden, so wie Hunde. („Läufig“, wiederholt Derek tonlos. „Rollig“, zählt Stiles auf. „Brunftzeit. Ranzzeit. Hitze. Du weißt schon.“ „…“ „Komm schon, das ist eine relevante Frage! Das ist wichtig! Also? Ist das ein Ding oder nicht? Scott sagt, er weiß es nicht und ich soll dich fragen.“ „Ich werde jetzt auflegen. Und wenn du nochmal anrufst, werde ich in weniger als zwei Minuten in deinem Zimmer auftauchen und dich mit einem Kissen ersticken.“ „Oh mein Gott, okay! OKAY! Sei ruhig ein Feind der Wissenschaft!“) Er presst eine Hand auf seine Augen und seufzt tief, bevor er dran geht. „Was?“ Einen Augenblick lang ist es still am anderen Ende der Leitung. „…hi“, flüstert Stiles. Seine Stimme klingt seltsam hohl. „Stiles?“ Derek runzelt die Stirn. „Alles okay?“ „Ja“, sagt Stiles sofort. Und dann etwas leiser: „Nein. Ja. Ich weiß nicht.“ Ruckartig setzt Derek sich auf und schlägt die Decke zurück. „Was ist passiert? Wo bist du?“ Er kann hören wie Stiles tief Luft holt und das leise Schaben, als er sich mit einer Hand über das Gesicht fährt. „Es ist alles okay. Ich bin okay.“ Es klingt wie ein Mantra, als ob er versucht sich damit vor allem selbst zu überzeugen. „Es ist nur eine Kleinigkeit.“ Er schluckt und räuspert sich. „Ich will nur… ich brauche nur… K-kannst du kommen und mich abholen? Bitte?“ Er klingt sehr leise, sehr gedämpft und ganz und gar un-Stiles und alleine das beunruhigt Derek mehr als er zugeben will. „Stiles, wo bist du?“, drängt er. Stiles‘ rasselnder Atem gleitet über den Hörer und rauscht leise in der Leitung. „Im… im Wald. Ich bin im Wald.“ Derek erstarrt, auf halbem Weg in seine Hose. „Was?“ Seine Stimme wird scharf, schärfer als geplant. Denn das letzte Mal als Stiles nachts im Wald gelandet ist… das letzte Mal, da… „Stiles! Was ist passiert?” Jetzt, wo er darauf achtet, kann er das leise Rauschen der Bäume im Hintergrund hören. Ein einsames Käuzchen, das ruft. Großer Gott. Es kann nicht noch einmal passieren. Es darf nicht noch einmal passieren. „Was ist passiert?“ wiederholt er leise und entsetzt. „Nichts“, versichert Stiles eilig. „Ich bin okay. Es ist wirklich gar nichts passiert. Niemand hat mich entführt. Niemand will mir etwas tun. Außer dieses Reh vielleicht, was mich seit zehn Minuten hungrig anstarrt, aber mir wurde versichert, dass Rehe reine Vegetarier sind und…“ „Stiles!“ „Kannst du einfach herkommen? Mit möglichst wenig Aufstand und minimaler emotionaler Erpressung? Bitte?“ „Natürlich“, sagt Derek leise. „Natürlich, ich…“ Er angelt nach seinen Autoschlüsseln, schon halb aus der Tür. Seine Stimme hallt seltsam verzerrt im Treppenhaus wider. Erst auf halbem Weg nach unten fällt ihm das Wichtigste ein. „Soll ich Scott anrufen?“ fragt er aus einem siedend heißen Impuls heraus. Scott. Großer Gott. Scott. „Deinen Vater? Soll ich…?“ „Nein!“ Es klingt so entsetzt, dass Derek überrascht inne hält „Wieso…?“ „Nein!“ Stiles Stimme ist schneidend. „Nein. Tu es nicht! Bitte nicht. Komm einfach… kannst du mich abholen, oder nicht?“ Seine Stimme stolpert auf der letzten Silbe. Derek zögert nur den Bruchteil einer Sekunde. Er hat eine Millionen Fragen, die er stellen will und die Wichtigste davon ist die, wieso Stiles von allen Menschen die er kennt ausgerechnet IHN anruft. Aber Stiles ist auch da draußen, allein. „Ich bin auf dem Weg“, sagt er kurz entschlossen. „Wo bist du?“ „Im…“ „Im Wald, das sagtest du.“ Derek beißt die Zähne zusammen, während er in sein Auto springt. „Ich brauche ein bisschen mehr als das. Was siehst du?“ Stiles lacht trocken und seltsam holprig. „Bäume.“ Es klingt wie ein Witz auf seine Kosten. „Stiles…“ „Den Fluss“, fügt er zögernd hinzu. „Ich höre den Fluss.“ „Gut. Okay. Mehr. Was noch?“ Er drückt auf das Gas, noch bevor er den Schlüssel ganz herumgedreht hat. „Ich glaube… ich weiß nicht… ich glaube, die Brücke ist hier irgendwo. Ich bin nicht sicher…“ „Okay.“ Derek nickt. „Ich finde dich, in Ordnung? Mach dir keine Gedanken. Ich finde dich.“ „Ich weiß.“ Stiles klingt erstaunlich überzeugt davon. „Das weiß ich doch.“ „Bleib dran!“ befiehlt Derek. „Ich…“ Stiles stockt. „D-das ist keine gute Idee.“ „Stiles!“ „Mein Akku ist fast leer. Ich sollte lieber auflegen und sparen, was noch übrig ist. Nur für den Fall…“ Straßenlaternen flackern an ihm vorbei und eine rote Ampel, die er rücksichtslos überfährt. Er hat die Zähne so fest zusammen gebissen, dass sein Kiefer schmerzt. „Ich bin gleich da“, verspricht Derek. „Jeden Moment. Ich bin gleich da.“ „Bis gleich“, sagt Stiles, so als ob sie sich gerade auf so etwas Banales wie einen Burger verabredet hätten. Und nicht als ob gerade ein Stück Welt um Derek herum ins Wanken geraten wäre. „Ich… ich warte einfach hier.“ „Rühr dich nicht von der Stelle“, befiehlt Derek überflüssigerweise. „Alter.“ Stiles lacht leise. „Wo sollte ich hingehen?“ - Normalerweise ist es fast eine halbe Stunde bis zum Waldrand. Derek schafft es in vierzehn Minuten. Er lässt den Wagen an der Brücke stehen und rennt. Er denkt nicht einmal daran die Tür zu zumachen oder den Schlüssel zu ziehen. Eine plötzliche Panik hat sich in ihm breit gemacht, die er sich selbst nicht erklären kann. Stiles ist okay. Zumindest war Stiles okay, vor weniger als einer Viertelstunde als sie miteinander telefoniert haben. Halbwegs okay. Vielleicht nicht okay okay. Aber körperlich unversehrt. Wenigstens denkt er das. Eigentlich weiß er das nicht genau, weil er nicht danach gefragt hat. Und weil Stiles nie so etwas Banales erzählen würde wie die Tatsache, ob irgendwo blutige Löcher in ihm sind, die da nicht hingehören. „Stiles?“ brüllt er atemlos, ungeduldig. „STILES!“ Seine Stimme hallt lautstark in der Dunkelheit. Es ist dumm und sinnlos und das weiß er selbst am besten. Reiß dich zusammen, denkt er wütend auf sich selbst und bleibt abrupt stehen. Er weiß es doch besser. Das ist nicht das, was seine Mutter ihm beigebracht hat. ‚Wer am lautesten brüllt, wird am wenigsten hören.‘ Er schließt die Augen und lauscht. Die Nachtluft ist eisig, sogar für ihn. Er hört das Gluckern des Flusses aus und das Rascheln der Blätter im Nachtwind. Käuzchen rufen und kleine Nagetiere flüchten rechts und links von ihm durch das Gebüsch. Er blendet die Geräusche aus, eins nach dem anderen. Einige Meter von ihm entfernt kauert ein Hase im Gras, starr vor Schreck, sein Herz ein rasendes Klopfen in der Dunkelheit. Über ihm in den Zweigen sitzt ein Vogel, vermutlich eine Nachtigall. Ein fliehendes Reh, hundert Meter weiter. Grillen zirpen. Weiter, weiter. Ein Fuchs, der eilig in seinen Bau flüchtet. Winzige Krallenfüße, die einen Baum hochflitzen. Puckernde Eichhörnchenherzen. Schnecken die sich in ihre Häuser zurückziehen. Und dann… BumbUMbummBUmmbuMbumBumBUmMBUMBumbUm… Als er die Augen öffnet ist die Welt in blaues Licht getaucht, unendlich scharf gestellt. Er würde Stiles‘ einzigartig unregelmäßigen Herzschlag immer und überall erkennen. Unter Dutzenden von Menschen. Das ist nichts, was er unbedingt zugeben würde vor anderen. Oder vor sich selbst. Aber es ist die Wahrheit. Er rennt los. Das Pochen von Stiles‘ Herz ist wie ein Leuchtsignal in der Dunkelheit. Panische kleine Nagetiere stieben in alle Richtungen davon. Ein Wolf ist unter ihnen. Ein Raubtier. Aber er ist nicht auf der Jagd. Er ist auf der Suche. Adrenalin pumpt durch seinen Körper. Er kann spüren wie der Wolf unter seiner Haut jault und kratzt und darum bettelt, freigelassen zu werden und er zwingt ihn mit Gewalt zurück. Er kann ihn immer noch herauslassen. Falls es notwendig sein sollte. Falls doch irgendjemand Stiles etwas angetan hat… Es ist nicht so, als ob er und Stiles sowas wie Freunde wären. Nicht so wie Scott und Stiles Freunde sind. Nicht so wie er und Scott dabei sind, Freunde zu werden. Aber Stiles ist… Er ist… Derek weiß nicht, was er ist. Aber wenn man so viel zusammen durchgemacht hat und so viel zusammen überlebt hat, dann ist man langsam an einem Punkt angelangt, wo man sich nicht mehr guten Gewissens als vage Bekannte bezeichnen kann. Stiles ist kein vager Bekannter. Stiles ist… Stiles. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, bis er ihn schließlich findet, dabei sind es vermutlich nur wenige Minuten. Stiles hockt zusammengekauert vor einem Baumstamm, die Arme um die Knie geschlungen, so klein wie möglich zusammengefaltet. Er schießt nach oben als Derek unvermittelt vor ihm auftaucht, und sein Herz macht einen hörbaren Satz. „Wa-…? Oh mein Gott! D-Derek?“, stößt er atemlos hervor. Mit einer Hand greift er haltsuchend nach dem Baumstamm hinter sich. „Alter! Wie schnell bist du gefahren…? Wir haben doch eben erst telefoniert…? Wieso hast du die Krallen ausgepackt? Was…?“ „Bist du verletzt?“, unterbricht Derek. Er atmet unwillkürlich ein. Stiles riecht nach Angstschweiß und Adderall, nach frisch gewaschener Bettwäsche und feuchtem Gras. Aber nicht nach Blut. Perplex schüttelt Stiles den Kopf. Seine Augen sind riesengroß und dunkel. Er ist barfuß und trägt nichts weiter als Schlafanzughosen und ein viel zu weites T-Shirt. Schmutzstreifen zieren seine bloßen Füße und seinen Arm. Seine Haare stehen wild in alle Richtungen ab, so als sei er gerade aus dem Bett gefallen. Er ist gerade aus dem Bett gefallen. Impulsiv und ohne nachzudenken streckt Derek die Hand nach ihm aus. Stiles zuckt so heftig zusammen, dass es wie ein Schauer durch seinen Körper läuft. Es ist eine instinktive Reaktion und Derek kann sehen, wie er sich eine Sekunde später sofort dafür schämt. „Was ist passiert?“ Dereks Stimme ist rau. Seine Hand schwebt immer noch in der Luft zwischen ihnen und er ballt die Finger abrupt zur Faust und lässt sie sinken. „Nichts!“ Stiles schüttelt nachdrücklich den Kopf, seine Arme immer noch defensiv vor der Brust verschränkt. „Gar nichts, wie oft denn noch? Es ist eine Nebenwirkung. Ich bin vollkommen unversehrt, okay? Es ist nichts passiert. Und das seltsam bedrohliche Reh hat sich auch gerade vom Acker gemacht und ist geflohen … vermutlich weil es dich kommen gehört hat. Wow, du… du bist wirklich der große böse Wolf.“ „Wie bist du hier hergekommen?“ bohrt Derek unnachgiebig. Er kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ihn das erschüttert. „Eine Nebenwirkung.“ „Von WAS?“ Stiles seufzt. „Ich habe geschlafwandelt, okay?“, bringt er widerwillig hervor. „Das ist alles. Ich bin… ich bin ins Bett gegangen, ich bin eingeschlafen und das nächste was ich weiß, ist, dass ich hier wieder aufgewacht bin.“ „Stiles…“ Derek fühlt sich als ob jemand mit beiden Händen seine Kehle umschlingt und zudrückt. „Ich habe nur geschlafwandelt“, sagt Stiles scharf. „Ich habe nur… es ist nicht das erste Mal, okay?“ Er fährt sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Gott. Als Kind bin ich ständig irgendwo aufgewacht, ohne irgendeine Erinnerung daran, wie ich dorthin gekommen bin. Im Wohnzimmer. In unserem Vorgarten. Einmal bin ich nachts auf den Baum vor Scotts Fenster geklettert und in einer Astgabel wieder aufgewacht. Es ist nur eine Nebenwirkung. Vom ADHS. Oder vom Adderall. Oder beidem. Es ist nicht… DAS. Es ist anders.“ Er klingt so nachdrücklich und verzweifelt, als ob er es nicht ertragen könnte, wenn Derek ihm jetzt nicht glaubt. „Er ist nicht wieder da“, wiederholt er. „Ich habe nur… geschlafwandelt. Er ist nicht wieder da.“ Derek spürt, wie er beinah gegen seinen Willen nickt. „Okay.“ „Es passiert einfach ab und an mal. Das letzte Mal ist einfach nur… es ist schon ein paar Jahre nicht mehr passiert.“ „Okay.“ Stiles schluckt. „Ich will einfach nur… kannst du mich nach Hause bringen? Bitte…?“ Ein erneuter Schauder läuft durch seinen Körper und Derek möchte sich selbst eine Kopfnuss verpassen, weil er so begriffsstutzig ist, und er möchte Stiles eine verpassen, weil er nichts gesagt. „Shit“, flucht er leise und zerrt sich ruckartig seine Lederjacke von den Schultern. „Zieh das an“, befiehlt er barsch und streckt sie Stiles entgegen. „Los.“ Unterkühlung ist eine ernstzunehmende Gefahr für Menschen. Menschen können daran sterben. Und Stiles ist barfuß und trägt nichts als ein T-Shirt. Nur Gott weiß, wie lange er schon hier draußen herumläuft. Zögernd greift Stiles nach der Jacke. „Ist das dein Ernst? Schwarz ist überhaupt nicht mein Stil“, murmelt er. Aber er sieht beinah dankbar aus. Eine Sekunde schließt Derek die Augen. Als er sie wieder öffnet, schwimmt Stiles‘ bleiches Gesicht vor ihm in den Fokus, überscharf eingestellt wie ein Kamerazoom. Seine Augen sind beinah schwarz im silberweißen Mondlicht und seine Wangenknochen werden in dramatische Schatten getaucht. „Komm schon“, sagt Derek leise. - „Ist dein Dad zu Hause?“ fragt er im Auto, gleichermaßen aus dem Wunsch heraus diese zentral wichtige Information zu erhalten und die seltsame Stille zu unterbrechen, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hat. Denn Stiles ist nicht still. Stiles ist niemals still. Und das einzige Mal, wo er still war, ganz still und ganz ruhig, da war er nicht Stiles, sondern ein böser Dämon, der von seinem Körper Besitz ergriffen hat. Derek kann es auch nicht ändern, dass diese Erinnerung sich in grellen Neonfarben wie ein traumatischer Flashback über alles gestülpt hat. „Hm?“ Überrascht wendet Stiles den Kopf, weg von dem Fenster aus dem er eben nach draußen gestarrt hat. „Nein. Er ist auf dem Revier. Er hat die ganze Woche Nachtschicht.“ „Okay.“ Derek nickt. Erst drei Straßen weiter fällt Stiles auf dass sie in die falsche Richtung fahren. Allein dass es so lange dauert, ist ein sicheres Zeichen dafür, wie wenig okay er ist. „Was machst du denn?“ fragt er perplex. „Du musst in die andere Richtung.“ „Lässt du mich deinen Vater anrufen?“ gibt Derek zurück. „Was? Nein!“ protestiert Stiles. „Auf keinen Fall!“ „Scott?“ „Nein!“ „Okay“, erwidert Derek schlicht. „Alter. Wohin…? Was soll das? Fahren wir etwa zu dir? Hey, komm schon!“ Derek wartet bis sie an seiner Wohnung angekommen sind und der Motor mit einem leisen Gurgeln erstirbt, bevor er sich wieder zu Stiles umdreht. „Was soll das? Wieso sind wir bei dir?“ Stiles sieht mehr verwirrt aus als verärgert. Er hat die Händen in den Ärmeln von Dereks Jacke vergraben wie ein Kind, und das mehr als alles andere bestärkt Derek in seinem Entschluss. „Du kannst nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich dich jetzt allein lasse“, sagt er leise. „Oh mein Gott…!“ „Entweder du lässt mich deinen Vater oder Scott anrufen, oder du bleibst heute Nacht bei mir. Deine Entscheidung.“ Stiles rollt mit den Augen, als ob Derek derjenige sei, der sich uneinsichtig und irrational verhält. „Ich habe doch gesagt, es ist nichts passiert. Ich habe kalte Füße. Ein Reh hat mich bedrohlich angestarrt. Mach es doch nicht… mach es doch nicht zu einer größeren Sache als es ist.“ Natürlich. Für Stiles ist nie irgendetwas eine große Sache, was mit seiner eigenen Sicherheit oder emotionalen Unversehrtheit zu tun hat. Ist doch alles nicht so schlimm. Was macht es schon, dass es nur wenige Monate her ist, dass Stiles beinah dabei drauf gegangen wäre, als er das letzte Mal nachts im Wald aufgewacht ist und nicht gewusst hat, wie er dahin gekommen ist. Derek wünscht sich nichts so sehr in diesem Moment, wie Scotts Fähigkeit immer die richtigen Worte zu finden, um Stiles zynische Abwehrmechanismen einfach aus ihm heraus zu schmelzen. Aber er ist nicht Scott. Er ist einfach nur Derek. „Du hast mich angerufen, weil du meine Hilfe wolltest“, sagt er stattdessen. Stiles zuckt mit den Schultern, als sei ihm das selbst nur allzu deutlich bewusst. Er streitet es nicht ab. „Dann lass mich dir helfen“, sagt Derek leise. „Okay?“ Stiles öffnet und schließt reflexartig den Mund. Er schweigt. Im Dunkeln kann Derek sehen wie sein Adamsapfel hüpft, als er schluckt. Derek wartet. Er hat keinen Plan B. Er will Stiles nicht zwingen. Nicht nachdem er schon viel zu lange fremdbestimmt und fremdgesteuert worden ist in seinem eigenen Körper. Aber er kann ihn auch nicht abliefern, in einem leeren, dunklen Haus, wo Stiles mit eiskalten Füßen in sein leeres Schlafzimmer tapst und sich in seinem Bett zusammenrollt, als ob nichts weiter passiert ist. Er kann nicht. Es geht nicht. Vielleicht sind keine Freunde. Aber er bringt es einfach nicht über sich. Stiles‘ erschöpftes Ausatmen ist seltsam laut in der Stille. Seine Schultern sinken nach unten, wie ein Luftballon aus dem man die Luft gelassen hat. Es sieht seltsam resigniert aus. „Von mir aus“, flüstert er. Derek nickt erleichtert. - Als Stiles aus der Dusche kommt, sind seine Wangen gerötet und er sieht insgesamt etwas wacher und weniger benebelt aus. Er rubbelt sich mit einem Handtuch die Haare trocken, und er trägt Jogginghosen und ein weiches langärmliges Shirt, beides von Derek. Die Sachen sind ihm zu groß, aber nicht so viel, dass es auffällt. Derek sitzt auf dem Bett und hält ein Buch in der Hand, nur damit es wirkt, als ob er nicht die ganze Zeit auf Stiles‘ leise, schluchzende Atemzüge unter der Dusche gelauscht hätte. „Und jetzt?“, fragt Stiles. Er zupft ungelenk an dem Saum von Dereks Shirt. „Willst du mich anketten bis wir sicher sind, dass ich diesmal nicht versuche alle umzubringen?“ Es klingt sarkastisch. „Nein.“ „Was dann? Willst du über meine Gefühle reden? Weil Alter, ich sage dir, dass das kein Gespräch ist, das jemals zustande kommen wird. Ich finde immer noch, dass du völlig übertreibst. Das ist alles nur eine…“ „…eine Nebenwirkung. Das sagtest du bereits.“ „Dein Gesicht ist eine Nebenwirkung“, murmelt Stiles widerspenstig. Derek spürt wie seine Mundwinkel unwillkürlich zucken. „Willst du was essen?“ fragt er. „Essen?“ wiederholt Stiles ungläubig. Derek nickt. Das ist sein Plan bisher. Heiße Dusche. Frische Klamotten. Essen. Das klingt sinnvoll. Weiter weiß er auch noch nicht. Sich um andere Menschen zu kümmern, ist nicht gerade seine Stärke, noch nie gewesen. Vermutlich ist er deswegen auch so ein unterirdisch schlechter Alpha gewesen. Weil es eben doch weniger darum geht, andere herum zu kommandieren und mehr darum, sich um andere zu kümmern. Er ertappt sich dabei, dass er sich wünscht, dass es Scott wäre, der hier ist und ihn braucht. Oder Braeden. Irgendjemand der nicht so stachelig und abweisend ist wie Stiles. Stiles schüttelt den Kopf. „Nicht wirklich.“ „Milchshake?“ Stiles lässt das Handtuch sinken und hebt die Augenbrauen. „Ernsthaft? Einen Milchshake? Seit wann besitzt du denn sowas profanes wie einen Shaker? Oder Milch? Hast du etwa einen Kühlschrank?“ „Nur damit ich irgendwo die blutigen Kadaver meiner Beute zwischenlagern kann“, erwidert Derek. „Uuuh.“ Stiles verzieht das Gesicht. „Du solltest was essen“, beharrt Derek, einfach weil er immer noch keinen anderen Plan hat und weil er keine Ahnung hat wie er sich sonst um jemanden kümmern soll, der so wenig will, dass man sich um ihn kümmert. Menschen sind so… so schrecklich zerbrechlich, und alles macht sie kaputt. Kaltes Wetter. Dehydrierung. Unterzuckerung. Das ist alles mehr als beunruhigend. Und Stiles ist auch noch Scotts Mensch. Derek fühlt sich sehr verantwortlich für alles, was Scott gehört. Stiles rollt mit den Augen. „Okay, Mamabär. Mach mir einen Milchshake, wenn du dich besser dann fühlst. Hast du wenigstens Schoko da?“ „Du hast die Auswahl zwischen Banane und…“ Er überlegt kurz. „Banane.“ „Wow. Ich bin… beeindruckt. Ich schätze dann nehme ich… Banane.“ Er folgt ihm in die Küche und Derek ist beinah dankbar dafür, dass er ihn nicht aus den Augen lassen muss. Stiles schwingt sich auf die Küchentheke neben dem Herd und lässt die Beine baumeln. Wortlos sieht er Derek dabei zu wie er Bananen, Milch und Vanillezucker in seinen Shaker wirft. Nur die nervöse Art, mit der er auf seinen Fingernägeln kaut, verrät seine innere Unruhe. „Ernsthaft jetzt“, platzt es schließlich aus ihm heraus. „Du beunruhigst mich. Seit wann hast du einen Shaker? Bist du ein heimlicher Gourmetkoch und ich weiß nichts davon?“ Derek hebt verlegen die Schultern. „Es ist nicht meiner, okay? Braeden hat ein paar Sachen hier gelassen.“ „Ooookay“, sagt Stiles gedehnt. „Braeden. Ah. Oh. Alles klar. Du und Braeden, hm? Braeden und du? Gut für dich. Ich meine wow… die Frau ist… ja. Wow.“ „Wieso hast du mich angerufen?“, platzt es aus Derek heraus und er dreht sich ruckartig um. Stiles verstummt. Er klappt beinah abrupt den Mund zu und hört auf mit den Beinen zu schlenkern. Einen endlos langen Moment ist er still, beinah reglos. „Was denkst du?“, fragt er schließlich rau. „Sag’s mir“, sagt Derek leise. Stiles ver- und entknotet angespannt seine Finger. „Ich brauchte einen Werwolf“, sagt er schließlich. „Wenn ich… wenn ich meinen Dad angerufen hätte, hätte der doch seine gesamte Einheit und die Hundestaffel mobilisiert, um mich zu finden… Das wäre so unnötig gewesen. So… überflüssig.“ „Okay.“ Derek nickt. „Du kennst einige Werwölfe. Wieso hast du MICH angerufen?“ Stiles schluckt und wendet den Blick ab. Er ist nicht schnell genug, um zu verhindern, dass Derek das verdächtige Glitzern in seinen Augen sieht. „Frag doch einfach, was du fragen willst“, sagt er leise. Unendlich behutsam stellt Derek den Shaker ab und kommt zu ihm herüber. Er stützt die Hände rechts und links von Stiles‘ Hüften auf der Arbeitsplatte ab, dicht genug um eine Aufforderung zu sein, aber immer noch lose genug, dass Stiles ihn jederzeit wegschubsen könnte. Ihre Gesichter sind auf gleicher Höhe und sie sind sich mit einem Mal sehr nah. „Wieso hast du Scott nicht angerufen?“, fragt er. „Wieso nicht Scott?“ Er hat das vage Gefühl, dass das die wichtigste aller Fragen ist. Die einzig wichtige Frage. „Weil nichts passiert ist“, murmelt Stiles. „Es war doch nichts. Ich weiß doch… ich weiß doch, ob ich von einem Dämon übernommen wurde oder ob ich einfach nur geschlafwandelt habe, und diesmal war es einfach nur Letzteres. Es ist peinlich und dämlich, aber es… es war doch nichts.“ „Wieso hast du ihn dann nicht angerufen?“ Stiles presst die Lippen zusammen. „Wieso?“, bohrt Derek. „Was denkst du wieso?! Als ob ich ihm nicht schon genug angetan hätte!“, platzt es aus Stiles heraus. Es funkelt in Stiles‘ Augen, als er den Kopf zu ihm umdreht und eine Sekunde lang ist Derek nicht sicher, ob es Tränen sind oder Selbsthass, der darin aufblitzt. „Als ob ich ihn nicht schon bis zum Mond und zurück traumatisiert hätte.“ „Das war nicht deine Schuld…“ „Doch! Doch, war es.“ Wütend reibt er sich über die Augen. „Was denkst du, was das mit ihm gemacht hätte, wenn ich ihn angerufen hätte. Mitten in der Nacht. Wenn ich nicht weiß, wo ich bin und wie ich da hingekommen bin. Schon wieder.“ Derek schluckt unwillkürlich. Er braucht nicht einmal viel Phantasie um sich das auszumalen. Er ist ja dabei gewesen. Er erinnert sich noch allzu genau an Scotts blasses Gesicht im sterilen Licht des Krankenhausflurs. Er erinnert sich daran, wie Scott wie ein Schlafwandler durch die Schule gewandert ist, ganz still und wie erstarrt vor lauter Angst um Stiles. „Er hat das alles schon mal durchgemacht und es hat ihn beinah umgebracht und es ist meine Schuld“, schluchzt Stiles. „Denkst du, ich weiß nicht, dass er immer noch aufwacht manchmal… und zu mir ins Zimmer kommt, mitten in der Nacht, nur um sicher zu gehen, dass ich noch da bin…? Ich kann ihm das nicht antun. Schon gar nicht, wenn nicht mal was war… und es war doch gar nichts… Es war nichts!“ Er schlägt nach Derek und Derek greift behutsam nach seinem Handgelenk und hält ihn fest. „Stiles…“ „Es war doch gar nichts“, wiederholt Stiles verzweifelt. „Es ist nur eine Nebenwirkung… es ist nur…“ Und sogar Derek, der von vielem keine Ahnung hat, weiß, dass das nicht stimmt. Es gibt einen Haufen Dinge, der er gerne sagen möchte. Wie die Tatsache, dass es niemals NICHTS sein kann, wenn es Stiles so zurücklässt, zitternd und den Tränen nah. Das ist nicht Nichts. Scott ist nicht der Einzige, den diese Wochen traumatisiert haben. Vermutlich wird es für den Rest ihres Lebens nie wieder okay sein, wenn Stiles irgendwo aufwacht und nicht weiß, wo er ist. Für keinen von ihnen. Aber die Worte bleiben ihm im Halse stecken und alles was ihm einfällt, ist die Hände auszustrecken und Stiles behutsam in seine Arme zu ziehen. „Okay“, flüstert er leise. „Ist okay.“ Stiles ist angespannt wie eine Bogensehne und er zittert am ganzen Körper. Es dauert einen endlos langen Moment bis er schließlich ausatmet und sich Derek entgegen sinken lässt. Unsanft vergräbt er beide Hände in Dereks Hemd, als ob er sich nicht entscheiden kann ob er Derek wegschubsen oder ganz nah an sich heran ziehen will. „Du weißt, dass du es Scott irgendwann sagen musst“, sagt Derek leise. Stiles nickt widerwillig und schnieft leise. „Das will ich ja auch. Das werde ich. Morgen. Wenn ich es nebenbei sagen kann und wenn alles wieder gut ist. Aber nicht… so. Nicht jetzt. Nicht wenn es ihn umbringen könnte.“ „Es wird ihn nicht umbringen“, versichert Derek. „Sogar DU bist ausgeflippt und du kannst mich nicht mal leiden“, bringt Stiles hervor. „Das stimmt nicht“, flüstert Derek, seltsam getroffen. „Doch“, murmelt Stiles. „Doch, du bist total ausgeflippt.“ „Das meine ich nicht. Ich kann dich leiden“, sagt Derek und streichelt mit einer Hand über seinen Rücken und mit der anderen über seinen Hinterkopf. „Ein bisschen. Ich… kann dich wirklich ein bisschen leiden.“ Stiles lacht erstickt an seiner Brust und Dereks Hemd wird langsam nass an seinem Kragen. Das ist okay. Vielleicht sind sie keine Freunde. Vielleicht werden sie auch nie welche sein. Vielleicht ist Stiles auch nur so etwas wie eine Nebenwirkung davon, ein Werwolf in Beacon Hills zu sein. „Kann ich hier schlafen?“, fragt Stiles viel später, nachdem er folgsam den Milchshake ausgetrunken hat und willig zulässt, dass Derek ihn hinüber zu seinem Bett schiebt. Es klingt leise und kläglich. „Ja. Natürlich.“ „Kannst du… ich weiß nicht, kannst du mich irgendwo festbinden?“ „Stiles…“ „Nur zur Sicherheit…“, flüstert er, während er in Dereks Bett klettert. „Nur damit ich nicht… ich glaube, wenn ich morgen früh nochmal woanders aufwache, dann schmeiß ich mich diesmal wirklich den Rehen zum Fraß vor. Ich weiß, das wird nicht passieren, aber nur für den Fall, dass…“ „Ich werde dich nicht festbinden.“ „Was willst du denn stattdessen…? Oh… oh… Okay. Das… das ist auch okay.“ „Sicher?“, fragt Derek. Er hat von hinten die Arme um Stiles geschlungen und ist froh, dass Stiles sein Gesicht nicht sehen kann. „Ja.“ Eilig greift Stiles nach seinen Händen und hält sie fest. „Ja.“ „Schlaf jetzt.“ „Werwolfiger Anschnallgurt“, murmelt Stiles. „Find ich gut.“ Derek schnaubt. „Lass nicht los“, flüstert Stiles. „Nur zur Sicherheit.“ „Ich lass nicht los“, verspricht Derek. Er lässt nicht los. Was er macht, vier Stunden später als es über ihnen langsam hell wird, ist nach seinem Handy zu angeln und Scotts Nummer zu wählen. Der Himmel über ihnen ist grau und rosa, und Stiles ist sehr still, sehr warm und ungewohnt anschmiegsam in seinen Armen. Er sagt nur das nötigste, denn alles andere ist eigentlich Stiles‘ Angelegenheit. Auch wenn man Stiles manchmal ein bisschen auf die Sprünge helfen muss. Derek versteht das ja, vielleicht sogar besser als jeder andere. Ihm muss man auch manchmal ein bisschen auf die Sprünge helfen. Er sagt Stiles ist hier, bei mir. Er sagt, es geht ihm gut, aber ich denke es wäre besser wenn du auch kommst. Fünf Minuten später ist Scott da. Er trägt nichts als Boxershorts und ein Schlafshirt, als ob direkt aus dem Bett gefallen und hier her gerannt ist. Seine Haare sind schlafzerzaust und seine Augen weit und besorgt. Er steuert schnurstracks auf das Bett zu. Einen Moment lang fragt Derek sich wie das aussehen muss. Er hier. Mit Stiles in seinen Armen. Der ursprüngliche Plan war irgendwann loszulassen und sich in angemessene Distanz von wenigstens anderthalb Metern zu begeben, spätestens dann, als Stiles eingeschlafen ist. Aber jedes Mal wenn er auch nur Anstalten macht die Hände von Stiles‘ Brust zu nehmen, gibt Stiles ein kleines, unzufriedenes Grummeln von sich und drückt sich im Schlaf dichter an ihn. Stiles ist so hartnäckig und penetrant, sogar wenn er schläft, das ist echt nicht in Ordnung. „Ist er…?“ fragt Scott atemlos. „Er ist okay“, versichert Derek überflüssigerweise. Trotzdem ist es scheinbar genau das was Scott hören muss, denn er atmet hörbar aus und Derek kann sehen wie ein Stück Anspannung aus seinen Schultern weicht. „Darf ich?“ fragt er leise, beinah scheu. Derek nickt. Scott klettert so vorsichtig zu ihnen ins Bett, dass sich nicht einmal die Matratze unter ihnen bewegt, und dann ist Stiles warm und sicher eingepackt in der Mitte zwischen zwei Werwölfen. „Was ist passiert?“ fragt Scott leise. „Wieso hat er mich nicht angerufen?“ Derek zögert einen Moment, unsicher was er sagen soll und was nicht. „Er wollte dich beschützen“, sagt er schließlich. Einen Moment lang sieht Scott getroffen aus. „Aber das ist meine Aufgabe.“ „Ich bin ziemlich sicher, dass er das nicht so sieht.“ Scott atmet aus, in einer Mischung aus Seufzen und lautlosem Lachen. „Hat er noch nie“, gibt er zu. Ja, das ist Derek auch schon aufgefallen. Stiles hat es noch nie als validen Grund betrachtet, sich beschützen zu lassen, nur weil er menschlich und zerbrechlich ist. Das ist ein ernsthafter Charakterfehler neben all den anderen Charakterfehler, die er sowieso schon mit sich bringt. Stiles wird erst wach als Derek ihn zögernd loslässt. Er braucht vielleicht ein bisschen länger als nötig und eigentlich weiß er selbst nicht wieso er es so widerwillig tut. Denn eigentlich gibt es keinen Grund mehr wieso er als werwolfiger Anschnallgurt herhalten sollte, jetzt wo Scott jetzt hier ist und das Ganze offenbar ganz wunderbar im Griff hat. „Hm?“, macht Stiles schläfrig. Er runzelt fragend die Stirn als die Wärme in seinem Rücken plötzlich verschwindet. Behutsam lässt Derek ihn in Scotts offene Arme gleiten. „Ich…ähm… ich lass euch kurz allein“, sagt er und schiebt sich zur Bettkante. „…Scott?“ murmelt Stiles, eindeutig noch nicht ganz im hier und jetzt angekommen. „Hey“, sagt Scott leise. Stiles blinzelt verwirrt zu ihm hoch. „Hey…?“ Er pausiert. „Was machst du…? Wieso…?“ Das letzte was Derek sieht, ist wie Scott ihn wortlos in die Arme schließt. Er hört wie sie leise miteinander reden während er in der Küche Kaffee aufsetzt. Ihre Stimmen sind leise und gedämpft und die einzigen Gesprächspausen entstehen wenn sie sich lange umarmen. Er ist sehr intim und sehr persönlich, und Derek versucht nicht so genau hinzuhören. Er dreht sich erst um als bloße Füße hinter ihm leise in die Küche tapsen. Stiles steht in der Küchentür. Mit einer Hand reibt er sich verlegen über den Nacken und mit der anderen klammert er sich hilfesuchend an den Türrahmen. „Ähm… hi“, sagt er. Derek schnaubt. „Hi.“ „Scott…“ Stiles macht eine Handbewegung in Richtung Wohnzimmer. „Scott holt gerade sein Bike her. Er ist zu Fuße hierher gelaufen, weil er ein völlig verrückter Werwolf ist, aber äh… das weißt du ja schon. Er bringt mich gleich nach Hause.“ Derek nickt. „Gut.“ Einen Augenblick lang herrscht befangene Stille zwischen ihnen, in denen Stiles verlegen auf seine bloßen Füße starrt, und Derek versucht überall hinzusehen, nur nicht in sein Gesicht. Es ist nicht so, als ob Stiles‘ Gesicht besonders unerfreulich anzusehen wäre. Es ist eher so, dass es eben genau das nicht ist. „Fühlst du dich besser?“ fragt er stattdessen. Überrascht hebt Stiles den Kopf, als ob die Frage ihn völlig unerwartet trifft. „Oh… äh… ja. Ja.“ Er nickt eilig. „Viel besser.“ Derek macht eine wortlose Handbewegung. „Du solltest die nächsten Nächte vielleicht nicht unbedingt allein sein.“ „Ja. Keine Sorge. Scott und ich haben das besprochen. Er schläft heute Nacht bei mir. Nur…nur um auf Nummer sicher zu gehen.“ „Gut.“ Derek ist nicht sicher, wann es angefangen hat, aber irgendwann in den letzten Wochen und Monaten hat sich die Sparte ‚Stiles‘ körperliches und seelisches Wohlergehen‘ auf seiner Prioritätenliste immer weiter nach oben geschoben. Von ‚irrelevant‘ zu ‚nebensächlich‘ bis hin zu ‚äußerst wichtig‘. Das war nie geplant. Aber es ist passiert und das hat er jetzt davon. „Sorry“, murmelt Stiles vollkommen unerwartet. „Wofür?“ „Dass ich dir die Nacht versaut habe“, lautet die verlegene Erwiderung. „Und… danke. Dass du dran gegangen bist, meine ich. Und weil…“ Unsicher kaut er auf seiner Unterlippe herum. „Danke für alles andere“, sagt er schließlich. „Das war… nett.“ Derek zuckt mit den Schultern. „Ich bin immer nett.“ „Nein, bist du nicht.“ Derek hebt die Augenbrauen. „Das ist schon okay“, sagt Stiles rasch. „Ich bin meistens auch nicht nett.“ Dem kann Derek nicht einmal widersprechen. Stiles ist ein stacheliger Ball aus Sarkasmus, nutzlosen Fakten und blöden Witzen. ‚Nett‘ gehört nur selten dazu und dann auch nur bei wenigen ausgewählten Menschen. Stiles nickt und macht Anstalten sich umzudrehen, bevor er noch einmal innehält und sich verlegen mit der Zungenspitze über die Unterlippe fährt. „Kann ich was fragen?“ Unangemessen fasziniert sieht Derek dabei zu wie sich eine feine Röte über seinen Wangenknochen ausbreitet. Stiles errötet sonst nie. Niemals. „Ja.“ „Aber es geht mich eigentlich gar nichts an.“ „Das hat dich doch noch nie davon abgehalten.“ „Guter Punkt. Du und Braeden…“ Stiles räuspert sich. „Ich meine… seid ihr… ist sie…?“ Derek hebt die Augenbrauen. „Weil sie ist echt cool“, fügt Stiles eilig hinzu. „Ich würde es total verstehen wenn ihr… du weißt schon… wenn ihr ähm… wolfige Kameraden wärt. Wolfgefährten. Ein Alphapärchen. Sowas in der Art.“ „Bist du fertig mit den Tiervergleichen?“ „Glaube ja.“ „Wir sind keine ‚Wolfgefährten‘. Sie ist eine Freundin“, sagt Derek. „Eine sehr gute Freundin.“ Und weil das Braeden nicht mal annähernd gerecht wird, fügt er leiser hinzu: „Sie hat viel für mich getan.“ Stiles nickt langsam. „Okay.“ Abwartend sieht Derek ihn an. Über Stiles Gummigesicht flackern eine Handvoll verschiedener Emotionen und er schneidet eine unbeholfene Grimasse. Die zarte Morgensonne, die durch das Küchenfenster scheint, stellt sehr schmeichelhafte Dinge mit seinem Gesicht an, mit seinen Wangenknochen und dem Schwung seiner Lippen. Seine Bernsteinaugen leuchten. „Ähm… also…“, macht Stiles. „Ja?“ „Es war nett“, platzt es aus ihm heraus. „Dass wir nett zueinander waren, meine ich. Geradezu revolutionär.“ Ein unwillkürliches Lächeln zerrt an Dereks Mundwinkeln. „Ja.“ „Vielleicht… also, wenn du Lust hast… können wir uns ja irgendwann mal treffen. Auf ´nen Milchshake. Und wir versuchen eine halbe Stunde nett zueinander zu sein. Falls wir das hinkriegen.“ „Wie ein Date?“ „Nein, wie ein Milchshake.“ Einen Moment lang ist Derek still. Zwischen ihnen hängt der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee und unerwarteter Intimität, und er hört das dumpfe Pochen von Stiles‘ Herzschlag. „Samstag“, sagt er schließlich. „Bei mir.“ Stiles‘ Augen weiten sich und er formt seine Lippen zu einem überraschten O. „Und wenn du was anderes als Banane in deinen Milchshake willst, musst du es selber mitbringen“, ergänzt Derek. Ein unerwartetes Grinsen breitet sich auf Stiles‘ Gesicht aus. „Schoko ist der einzig gute Milchshake, und ich habe wissenschaftliche Beweise und eine Power Point Präsentation, um das zu belegen.“ Derek senkt den Kopf, damit man sein Lächeln nicht sieht. „Ich bin gespannt.“ Ende Nachwort: Über Kommentare freu ich mich wie üblich sehr. Meine Woche war relativ mau (gesundheitlich und familiär) und Fandom ist gerade das Einzige, was mich aufheitert. ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)