When a good man goes to war von Virgil_Oswin_Wrigh ({he. is. mine.}) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel: Zu dir oder zu mir? ------------------------------------------ KENJIRO „Ich hatte gedacht, du seist mit uns hier!“, plärrte eine junge Frau mit erstaunlich langem Haar, als sie versuchte, die rauchige Stimme, die träge aus der Jukebox drang, zu übertönen. Während eine ihrer Hände zu einer Faust geformt und in empörter Manier gegen die eigene Seite gestemmt war, deutete ihre andere Hand auf einen runden Holztisch im hintersten Eck des Pubs. Dort saßen zwei weitere Gestalten, die fragende Blicke in die Richtung des dunkelhaarigen, angesprochenen Jungen schickten. Kenji warf einen warnenden Blick über die eigene Schulter und nahm sich somit offensichtlich nicht mal die Zeit, sich zu der langhaarigen Dame umzudrehen. „Sei still!“, fauchte er, reichlich angespannt. „Sie wissen etwas über den tattoowierten Kerl!“ Er nickte zu dem Tisch, an welchem er stand und an welchem drei Mädchen saßen. Laut und sichtlich gereizt schnaubend, machte die Dame auf dem Absatz Kehrt und stapfte zu dem Ecktisch zurück. Die rotbraunen Augen wandten sich derweil wieder zu den Mädchen, um seine Frage, die er soeben schon mal gestellt hatte, zu wiederholen: „Wer ist der Kerl?“ Einen unsicheren Blick durch die Runde werfend, antwortete schließlich eine des Dreiergespanns. „Na ja, wir wissen eigentlich auch nichts genaueres über ihn“, murmelte sie, ehe sie auch schon von dem größten der Mädchen unterbrochen wurde. „Sie findet ihn nur scharf!“ „Das ist gar nicht wahr!“ - die Reaktion, die ein Erröten mit sich zog, brachte die anderen beiden zum Kichern. Ein lauter, dumpfer Knall ertönte, welcher nicht nur die drei jungen Frauen, sondern auch Gäste an anderen, naheliegenden Tischen erschrocken zusammenfahren ließ. Kenjiro blickte die Mädchen schließlich zornig an. „Ihr könnt mir also gar nichts über ihn erzählen?“, presste er hervor, als stünde sein Geduldsfaden unter enormer Anspannung. Langsam zeigte sich eines der Mädchen sichtlich genervt. „Nein, wieso? Findest du ihn etwa auch scharf?“, scherzte sie trocken. Das veranlasste Kenjiro, schwunghaft aufzustehen. „Zeitverschwendung!“, kotzte er gestresst, ehe er dem Tisch den Rücken kehrte. Obwohl er die enttäuschten Blicke auf sich spürte, trottete er wieder zu dem Tisch mit seinen drei Freunden zurück. Die junge Frau mit dem langen Haar schnaubte erneut genervt, während sich andere nicht so zurückhaltend gaben. Ein Blondschopf mit beachtlich großer, aber durchaus schlacksiger Statur und Brille meldete sich zu Wort: „Du machst uns den Abend kaputt, das ist dir klar, Ken?“ Kenjiro platzierte indes beide Arme auf dem Holztisch und ließ den Kopf darauf sinken. Frustration machte sich in seinem gesamten Leib breit. Es war das zigste Mal, dass er sich nach draußen und schließlich hierher begeben hatte - und erneut schien das Ganze zu nichts zu führen.. „Mensch, Ken“, eröffnete ein anderes Mädchen mit frecher Kurzhaarfrisur, deren Ohrringe größer waren als ihre Brüste. „Hier laufen hunderte solcher Gestalten rum! Was versprichst'n dir davon? Schau, da hinten, allein bei dem zähle ich schon fünf Tattoos - und das sind nur die, die ich sehen kann!“ Kenji wandte sich minimal in die Richtung, in welche das Mädchen nickte. Anschließend murmelte er: „Der hat keine Brille.“ „Na, vielleicht trägt er jetzt Kontaktlinsen? Schon mal daran gedacht?“ Er verengte die Augen. Natürlich hatte er bereits an so etwas gedacht. Nicht umsonst hatte er die Freundin des muskulösen Tattoowierten gefragt, ob ihr Freund eine Sehschwäche besaß. Was glaubte sie, dass er ein nichtsnutziger Amateur war? Dass er sich nicht ausreichend ins Zeug legte? Kenji presste die Zähne aufeinander und schluckte jeden weiteren Kommentar herunter. Wegen den Dreien würde er sich am Ende nur im Kreis drehen und nicht voran kommen! „Selbst wenn!“, platzte das langhaarige Mächen in das karge Hin und Her hinein. „Ich habe keine Lust mehr! Andauernd geht es um den tattoowierten Kerl und Hanako! Hanako hier, Hanako da! Können wir nicht endlich mal über etwas anderes reden!?“ „Asako..“ „Nein, ich habe keine Lust mehr!“ Sie stand auf, griff sich ihre Jacke, welche sie achtlos über die eigene Stuhllehne geworfen hatte, und schmetterte ein paar grüne Scheinchen auf den Tisch. „Wisst ihr, worauf ich Lust habe?“, sprach sie, wobei man keine ernsthafte Frage heraushören konnte. Dafür klang sie zu trotzig. „Auf eine Disco! Wie sieht es aus, möchte mich jemand begleiten?“ Ohne abzuwarten, ob sich jemand als Begleitung meldete, verließ sie den Tisch. Die restliche Meute zögerte, ehe sich auch die anderen - und schlussendlich alle außer Kenjiro - erhoben. Der frustrierte Japaner würdigte seine Freunde dabei nicht eines Blickes „Sorry, Ken“, schmiss der Blondschopf in die sich auflösende Runde, ehe er dem langhaarigen Mädchen folgte. Bevor er sie jedoch erreichen konnte, wurde er von der flachbrüstigen, jungen Frau, die sich ebenso Kenjis Freundeskreis schimpfte, zurückgehalten. „Was ist?“ Sie nickte zu ihrem Tisch zurück. „Wir können ihn doch nicht so hier lassen? Allein?“ „Was willst du machen?“ Auch Blondie klang ein wenig entnervt. „Es ist jedes Mal dasselbe.“ Die Kurzhaarige zögerte. „Ich werde ein paar Drinks springen lassen.“ Blondie zuckte mit den Schultern. „Dann viel Erfolg dabei.“ Er wandte sich zum Gehen, doch bevor das Glöckchen am Eingang erklang, drehte er sich nochmal um. „Hey! Sachiko!“ Die Angesprochene blickte ihm überrascht entgegen. „Komm nach, wenn dir die Laune vergeht. Wir sorgen dafür, dass sie wieder kommt, keine Sorge!“ Sachiko verdrehte die Augen, blickte erneut zum Tisch, an welchem das Überbleibsel mit sich rang, und steuerte schließlich die Bar an. Sie war der festen Überzeugung, dass Alkohol auch hier Wunder bewirken konnte. Kenjiro hingegen hatte den Glauben an Wunder schon lange verloren. Nervös und in Gedanken wippte er stetig mit einem Bein, während er tief in den eigenen Stuhl gerutscht war. Er starrte ein Bild auf der Wand an, während er von Neuem und mindestens zum tausendsten Mal das durchging, was in jener Nacht passiert sein konnte, als er von seinem Freundeskreis zurückkehrt war und seine Verlobte tot und massakriert in der eigenen Wohnung aufgefunden hatte... Wer hatte das Hanako antun können? Wer hatte das ihm antun können? ALPHA Ganz langsam und mit Bedacht begann er, kaum, dass er aus dem vollen und lauten Club getreten war, die kühle Nachtluft bis in den letzten Winkel seiner Lunge zu füllen, während er mit der Schulter gegen die Wand links neben ihm gelehnt stand. Die Hände in die Taschen der eigenen Jacke schiebend, ging sein Blick hinaus auf den direkt an ihm vorbeiführenden Bürgersteig und obwohl ihn kaum ein halber Meter von den vorbeilaufenden Passanten trennte, sah ihn niemand. Völlig eingehüllt in die Dunkelheit der Gasse, die er genommen hatte, nachdem er unerlaubterweise das Tanzlokal durch den Hinterausgang verlassen hatte, blieben seine Iriden hier und da an dem einen oder anderen hängen. Kurze Haare, hohe Schuhe, Röcke, Hosen, ein Schal, Handtaschen, ein Handy, eine Zigarette, Rauch, Asche, eine Geldbörse, Geldscheine, eine Kette, ein Lächeln, zusammengepresste Lippen, müde Augen, eine große Nase. Sekundenlange Eindrücke rauschten an ihm in einem unbeherrschten Tempo vorbei, ihn ein wenig wirr, ja fast unkonzentriert werden lassend und gerade, als er fürchtete vollends den Faden und ein Ziel für diese Nacht zu verlieren, sah er sie. Ihr Haar war lang...so beeindruckend lang und obwohl ihr glockenhelles Gelächter von Herzen zukommen schien, erreichte es nicht ihre Augen. In diesen lag etwas anderes, etwas verborgenes - ein Geheimnis, das nur sie kannte. Alpha richtete sich auf und straffte die Schultern während die Zeit sich verlangsamt zu haben schien. Innerhalb eines Herzschlages hatte er ihre gesamte Gestalt in sich aufgenommen; hatte ihren dezenten Schmuck und ihre vollen Lippen registriert, bemerkte ihre seltsame Art sich die langen Strähnen hinter die Ohren zu streichen und wusste ihm die Eigenschaft ihrer Haare, zu schwer und zu glatt zu sein, als das sie sich hinter der Ohrmuschel hätten aufhalten können. Ihre Augen wanderten, auf der Suche nach Bestätigung, zu ihrer Begleitung. Ein zweiter Herzschlag verging und wie in einer Momentaufnahme veränderte sich alles, was er im ersten Bild von ihr eingefangen hatte. Ihr Lachen verschwand und mit ihr der Blick. Sie hatte nicht bekommen, was sie wollte. Enttäuschung ließ ihre Gesichtsmuskulatur beinahe förmlich erschlaffen und aus dem Leuchten wurde ein fahler Nachgeschmack. Sie nahm die Hand herunter und ihre Arme hingen wenig ambitioniert schlichtweg an ihren Seiten. Der Körper begann sich der Laufrichtung anzupassen. Ein dritter Herzschlag, ein drittes Bild: Nun sah sie gerade aus und obwohl es noch immer so besonders schien, dass ihr Haar eine beachtliche Länge hatte, war sie jetzt nicht mehr als alle anderen um sie herum. Bevor sie hinter den Mann verschwand, der bisher immer einen halben Schritt hinter ihr gewesen war, sah er, wie ihr Gesicht beinahe wächsern wurde und wie sie, einer Puppe gleich, jeden Ausdruck verlor. Als sie und ihre Begleitung an ihm vorbeigeschritten und aus seinem Blickfeld herausgetreten waren, holte die Zeit wieder auf. Plötzlich verlief nichts mehr langsam und das Rauschen der Autos, die direkt hinter dem Bürgersteig an ihm und all den anderen Nachtgeschöpfen vorbei fuhren, gewann an immenser Intensität. Er hatte nicht bemerkt, wie er die Hände aus den Taschen und zu Fäusten geballt hatte. Nun entspannte er die völlig verkrampften Finger wieder, lockerte sie ein bisschen und ließ sie im Anschluss ein weiteres Mal in die Taschen gleiten. Dann, einen günstigen Moment abpassend, gliederte er sich in den Menschenstrom vor sich ein, welcher ihn ohne Widerstand einfach aufnahm. Einer von vielen seiend, lief er mit gesenktem Kopf und angezogenen Schultern einfach gerade aus. Nichts, was um ihn herum geschah, schien jetzt noch von Bedeutung zu sein und kaum, dass er fünf Minuten gelaufen war, hatte er sie auch schon wieder vergessen. Sin lief mit festem Schritt und doch völlig aus dem Takt mit den anderen. Immer schien er ein bisschen weiter vorn, manchmal ein bisschen weiter hinten zu laufen. Wenn sich sein Körper zum Vorwärtsschritt herabsenkte, hoben sich die der anderen im Aufschwung zu einem neuen Schritt. Als einziges, völlig asynchrones Teilchen wurde er bald auch schon wieder von der Masse ausgeschieden und strandete, ohne von der liebevoll gestalteten und alles andere als japanischen Fassade Notiz zu nehmen, vor einem Irish Pub. Er zögerte nicht, die drei flachen Stufen zur Tür hinauf zur nehmen, die Hand nach der Klinge auszustrecken und sie herunter zu drücken. Ein leises Läuten kündigte seine Ankunft an und der eine oder andere nahm seine Ankunft wahr. Aber er kannte hier niemanden - und niemand kannte ihn. Jedenfalls glaubte er das, weswegen er zielsicher die Bar anstrebte. Der einzige Ort, an dem es nicht verdächtig aussah wenn man alleine in sein Getränk starrte. Die Kälte von draußen in der Wärme des Lokals abschüttelnd, bezog er Stellung neben einer Frau mit kurzen Haaren. Sie schien nicht für sich allein zu bestellen, weswegen sie noch immer wartete. Die eigene Jacke öffnend, zog er sie wenig später auch schon aus, während sie ein wenig ungeduldig mit den Fingerspitzen auf dem Holz des Tresens herum tippte. Alpha erwischte sie dabei, wie sie ihn musterte. So unauffällig wie möglich und doch reichlich ungeschickt glitt ihr Blick über seine tätowierten Hände, hinauf zu seinen tätowierten Armen, über seinen tätowierten Hals und dann in sein Gesicht. Ihre Blicke trafen sich und während er sie durch eine dunkle Brille hindurch ansah, glaubte er eine Art Erkenntnis als auch Überraschung und Neugier in ihren Iriden gesehen zu haben. Dann rutschten mehrere Gläser vor ihr auf die Theke und ein künstliches Lächeln kroch falsch auf ihre Lippen. Alpha wandte sich ab und ließ sich auf dem Hocker mit der kurzen Lehne, über welche er seine Jacke gehängt hatte, nieder. "Ein kühles schwarzes.", verkündete er der Barkeeperin. Die nickte, wandte sich kurz ab und reichte ihm auch schon wenig später einen Untersetzer, eine Flasche und eine kleine Schale Erdnüsse. Sich eine davon in den Mund schiebend, vertrieb er den unnatürlich salzigen Geschmack mit einem Schluck seines Bieres und begann dann, das Etikett seiner Flasche zu hypnotisieren. KENJIRO Klonk. Kenjiro brach aus seiner Starre, als nicht nur sechs kleine Schnapsgläser vor ihm auf den Holztisch krachten, sondern auch noch Sachiko in seinem Blickfeld auftauchte. Das kurzhaarige Mädchen ließ sich ihm gegenüber auf eine Bank fallen, während sie ein wenig überzeugendes Grinsen auflegte. „Willkommen zurück unter den Lebenden, Dornröschen, hier ist dein Prinz!“ Die blutroten Flüssigkeiten fixierend, aus denen ein starker, alkoholischer Geruch drang, wirkte Kenji wenig begeistert. „Wolltest du nicht mit den anderen verschwinden?“, murmelte er, ohne seine missgelaunte Art zurückzuhalten. „Vergiss die“, winkte sie ab, ehe sie sich einen Shot krallte und ihn zwischen ihren langen Fingern hin und her zwirbelte. Noch während sie ihren Gegenüber anstierte, zogen sich ihre Augenbrauen zusammen, als würde sie angestrengt nachdenken. Tatsächlich nahm das Mädchen völlige Unsicherheit ein, denn dort, im Rücken von Kenjiro und somit ungeachtet von ihm, hatte sich jemand hingesetzt, der ihr keine Ruhe ließ. „Was?“, fragte schließlich ihre Begleitung, die Frustration in eine genervte Stimme legend, als er sich angestarrt fühlte. Dass Sachikos Blick eigentlich immerzu auf jemand anderen fiel, bemerkte er nicht. Das japanische Mädchen haderte mit sich. Einerseits saß dort jemand, der haargenau auf die Beschreibung des Mannes, von welchem Kenji fast zu jeder Sekunde sprach, passte, andererseits hatte sie den festen Entschluss gefasst, ihren Kumpel auf andere Gedanken zu bringen. Auch sie war es Leid, dass sich alles für ihn nur noch um eine einzige Sache drehte - und dass sie den Kenjiro, den sie so sehr gemocht hatte, zu verlieren schien. „Hier“, entgegnete sie schließlich, fasste nach einem Shotgläschen und stellte es vor Ken hin. Ihr ganzes Gebaren wirkte unentschlossen und doch nahm sie die nächsten Worte in den Mund: „Du solltest ein bisschen lockerer werden, weißt du?“ Die Aussage veranlasste den Dunkelhaarigen dazu, das Gesicht zu einer erbosten Grimasse zu formen. „Lockerer!?“, platzte es aus ihm heraus. Sachiko warf abwehrend beide Hände in die Luft. „Entspann dich, Ken. Niemandem ist geholfen, wenn du hier rumschreist.“ Es war anstrengend, mit ihm zu reden. „Du weißt, dass ich dir nichts Böses will, oder?“ Kenji fuhr sich durch das wirre Haar, atmete tief durch und versuchte die nächsten Worte weniger laut und weniger von Zorn zerfressen zu formulieren. „Ich will mich nicht entspannen.“ „Ich weiß“, antwortete seine Begleitung - die einzige, die sich nicht von ihm verschrecken lassen hatte - und sie seufzte leise. „Aber, wer weiß, vielleicht siehst du dann alles aus anderen Augen? Vielleicht fallen dir Sachen auf, die dir vorher nicht aufgefallen sind?“ Sie erntete einen gereizten Blick, welcher jedoch anschließend in sich zusammenfiel. Ken hatte schließlich nichts zu verlieren. Dieser Abend hatte - wie so viele andere zuvor auch - nichts gebracht. Die drei Mädchen vom anderen Tisch also hinter sich kichern hörend, packte er das kleine Schnapsglas und kippte es in einem Zug hinunter. „So ist es richtig!“, grinste Sachiko, deren Blick kurzerhand erneut auf den speziell aussehenden Mann am Tresen fiel. Das Grinsen bekam einen auffälligen Knacks und eine Art schlechtes Gewissen wusch über sie. Was, wenn das tatsächlich der Mann war, nach welchem Kenji fast ein ganzes Jahr Ausschau hielt? Der Gedanke, dass dieser Kerl,... eine Gänsehaut packte sie, doch verdrängte Sachiko die Vorstellung fast augenblicklich. Es war nicht nur absurd, sondern völlig unwahrscheinlich. Weswegen suchte Ken einen tätowierten Mann mit Brille? Weil dieser sich an jenem Abend angeblich in dem Pub aufgehalten hatte. Wie viele andere auch. Es sagte nichts aus. Gar nichts. Und doch.. „Ken“, murmelte sie, als der Student nach einem weiteren Shot langte. „Ken.“ „Was?“, erwiderte er unbeeindruckt, ehe er auch diesen Schnaps hinunterkippte. Er merkte im hintersten Eck seines Kopfes, wie die brennende Flüssigkeit versuchte, ihn von all den schmerzlichen Gedanken abzuschirmen und einzulullen. Mit dem hohlen Klirren, welches das Glas verursachte, als er es wieder auf die Tischoberfläche donnerte, und Sachikos nächsten Worten, war das angenehme Ziehen, das sich immer mehr in ihm aufbaute, allerdings mit einem Mal vergessen. „Da sitzt ein tätowierter Kerl mit Brille an der Bar.“ Kenjiro erstarrte. Unwissend, ob es der Alkohol oder das plötzlich ausgeschüttete Adrenalin war, wurde ihm klamm und heiß und als er seinen Kopf wie in Zeitlupe umwandte, starrte er tätowierten Oberarmen entgegen. In dem abgedunkelten Licht erkannte er nicht viel und dennoch wusste er haargenau, von welchem Kerl sie sprach. „Tut mir Leid, ich dachte-“ Er herrschte sie mit einem wuterfüllten Blick still. Anschließend stand er auf, ein wenig zu schnell, sodass die Stuhlbeine laut knarrten. Als sich Kenji vom Tisch entfernte, konnte er irgendwo hinter sich nur ein frustriertes „Verdammt..“ hören, doch es hielt ihn nicht davon ab, das Mädchen alleine zu lassen. Ohne zu zögern und wahrscheinlich auch, weil sein Denkvermögen sowie Schamgefühl nach und nach von dem hochprozentigen Schnaps beeinflusst wurden, nahm er auf dem Hocker neben dem tätowierten Fremden Platz. Zuerst schielte er nur die Arme und Hände an, als der Mann zu der Schale voll Nüssen griff, ehe sein Blick auf dessen Hals und die Brille fiel. Das Schielen wurde zu einem angestrengten Starren und bevor er sich versah, war sein gesamter Körper zu dem Fremden gewandt, ehe er sich selbst sagen hörte: „Bist du oft hier?“ ALPHA Er spürte, dass ihm das nicht genug war. Tropfen dabei zu beobachten wie sie einen Flaschenhals hinunter rannen und sich am aufgeweichten Etikett erhängten, war keine Beschäftigung für seinen Verstand und doch... Alpha empfand nicht das Bedürfnis aufzustehen und wieder zu gehen. Der Hocker war bequem, der Pub war warm und die Musik war akzeptabel. Ohne eine erkennbare Regung im Gesicht begann er damit, mit spitzen Fingern an dem Papier herum zu pfriemeln. Obwohl der Leim leicht nachgab und es einfach gewesen wäre, alles in einem Ruck zu lösen, tat er es nicht, einfach, weil er dem Augenschein nach dann nichts mehr zu tun gehabt hätte. Und, weil er sonst nicht gewusst hätte, wie er seine Hingabe für die Gespräche hätte verbergen sollen, die ihm ihn herum stattfanden. Sin war sich der meisten anwesenden Menschen sehr bewusst. Ihre Stimmen blieben einzelne Frequenzen und vermischten sich nicht etwa zu einer gewaltigen Masse, die von dem Geplärr der Jukebox zusammengehalten wurde. Ebenso verhielt es sich mit deren zuweilen sehr eigenen Düften, die ihre Sitzpositionen, ihre Geschlechter und viel zu oft ihre Unsicherheiten ob ihres eigenen Körpergeruchs verrieten. Nur einige wenige konnten sich einer derartigen Prüfung seinerseits entziehen. Noch jedenfalls. Er hatte es heute nicht eilig und vielleicht, nur vielleicht würde er- Mitten in den eigenen Gedanken innehaltend, fühlte sich der Dunkelhaarige, als hätte ihm jemand einen seichten Stromschlag verpasst. Alle seine Sinne sprangen zuerst aus ihrer gewohnten Routine und Arbeit heraus, ehe sie sich merklich justiert zurückmeldeten. Alpha überkam das Gefühl, kurz vor einem Déjà-vu zu stehen, aber es ergriff ihn nicht und er konnte es nicht packen. Was war das? Egal wie sehr er sich auch darauf konzentrierte, er begriff nicht und dann erklang eine ihm völlig unbekannte Stimme mitsamt einem Geruch, der ihm zweifelsohne fremd war...und doch bekannt. Ohne große Eile drehte er den Kopf zur Seite, nicht damit aufhörend das Etikett zu zerpflücken. Sein Verstand gab sich ob der Situation sehr verwirrt und schaffte es nicht, die vielen Bilder, die sich um die fremde Person herum gebildet hatten, übereinander zu schieben um des Rätsels Lösung zu projizieren. Sein Mienenspiel indes war und blieb eher eintönig und als er die seltsam gefärbten Augen auf das junge und doch zermürbte Gesicht richtete, tat er das ohne Erkennung, ohne Rücksicht, ohne Misstrauen und ohne Vorsicht zu signalisieren. "Wer möchte das wissen?", gab er zurück, ohne die Frage des fremden Mannes zu beantworten. Wenn Alpha eine Vermutung hatte, weshalb man an einem bestimmten Verhaltensmuster seinerseits interessiert sein könnte, so verbarg er dies gut. Im Augenblick war er nur ein Fremder, der von einem Fremden eine fremdartige Frage gefragt wurde. Woher kannte er nur diesen Duft...? KENJIRO Obwohl Kenjiro sich eh und je fixiert gab und nur eines im Sinn hatte, konnte man deutlich erkennen, wie ihn der Anblick der schwarzroten Augen aus der Bahn warf. Seine Augen weiteten sich milde, er stockte und starrte. Einen derartigen Anblick hatte er noch nie gesehen, schon gar nicht von Angesicht zu Angesicht, und obwohl er sich mittlerweile oft an solchen Orten aufhielt, merkte man ihm an, dass das Aussehen des Fremden ihm Unbehagen bereitete. Der Alkohol ließ jedoch keinerlei Vorsicht zu. Ihm wurde warm, deutlich warm, und doch - sein Verstand ratterte. Die Gedankengänge, dass die Antwort des fremden Mannes verdammt geschickt war, sodass es Kenji aufregte, konnte selbst der Schnaps nicht abtöten, und so fragte er sich, wie er vorgehen sollte, ohne auf irgendeine Art und Weise absurd zu wirken. Er konnte sich nicht leisten, den Tätowierten so einfach gehen zu lassen, ohne auch nur den Verdacht gestillt zu haben, dass er nicht derjenige war, der seine Verlobte auf dem Gewissen hatte. Doch irgendetwas in ihm, sei es seine Oberflächlichkeit oder der Frust, endlich Antworten zu erhalten, wollte den außergewöhnlich aussehenden Kerl bereits in eine Schublade stecken.. Er kam nicht umhin, zu schnauben. So vorsichtig er sich auch benehmen musste, Ken bekam nicht das hin, worum ihn Sachiko erst gebeten hatte: er wirkte nicht locker. Dennoch stemmte er einen Ellbogen auf die Bar, um zumindest den Eindruck zu geben, als wollte er sich nur ein wenig die Zeit vertreiben und als wäre er nur an einem kleinen Plausch interessiert. Es sprach nichts dagegen, in gewöhnlichen Pubs gewöhnliche Bekannschaften zu schließen, richtig? Anscheinend hatte das Hanako ja des Öfteren ebenso getan.. „Kenji“, antwortete er ein wenig zu ernst, die letzte Silbe seines Namens bewusst weglassend. „Also?“, hakte er anschließend und fast sofort nach. „Bist du hier im Pub oft unterwegs?“ Er merkte, wie ihn der Schnaps immer mehr beeinflusste, wie er ihn sogar dazu brachte, nervös mit dem Fuß zu tippeln. Seine Zunge wurde lockerer, er womöglich aufdringlicher, doch konnte er sich nicht dazu bringen, den Mund zu halten. Anstatt dessen nickte er zu dem Tisch mit den kichernden Weibern. „Bist du wegen den Mädchen hier?“ ALPHA Wenn er eines in den vergangenen Jahren gelernt hatte, so war er der todessichere Umstand, dass es für das Verhalten von Menschen immer einen Grund gab. Auch, wenn er schon lange aufgegeben hatte, sich zu wundern weshalb das so war, konnte er nicht anders als sich, während er den ihm zugewandten Mann betrachtete, zu fragen, was die Intention des anderen war. Aus welchem Grund hatte sich gerade er neben ihn gesetzt? Und warum waren es gerade diese Fragen, die er ihm stellte? Beinahe so, als wäre er dieser Unterhaltung nicht unbedingt zugeneigt, einfach, weil sie immer noch zwei Männer blieben die sich zuvor nicht ein einziges Mal begegnet waren, ignorierte er die Reaktion des anderen auf sein Äußeres. Es war offensichtlich gewesen, keine Frage, aber es hatte keinen Belang. Man sprach niemanden darauf an, wieso er oder sie eine schwere Behinderung hatte und ebenso sprach man niemanden darauf an, warum er oder sie das Gesicht in offener Abscheu verzog. Wieder lag keine Eile in seiner Bewegung, als er sein Bier anhob und es zu den eigenen Lippen führte. Ein kurzer, bedeutungsloser Schluck wurde genommen und genossen, dann klackerte die Flasche wieder zurück auf den Tresen. "Kenji.", wiederholte er ohne einen bestimmten Klang in der Stimme und nachdem der andere offenbar das letzte Wort gesprochen hatte. Ganz am Rande seines Bewusstseins und seines Blickwinkels nahm er dessen unruhige Haltung wahr, ehe er einen kurzen Blick hinüber zu den angesprochenen Frauen warf. Exakt vier Sekunden betrachtete er diese. Nicht lange genug um interessiert zu wirken und doch nicht so kurz, als das er hätte eine verwertbare Reaktion - etwa so etwas wie das Bewusstwerden über das Thema dieser Unterhaltung - zu zeigen. "Ich komme hin und wieder hier her.", sprach er dann und noch während er sich zuerst wieder der beschäftigten Barkeeperin und anschließend wieder dem neben ihm Sitzenden zuwandte. Obwohl er nicht glaubte einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt zu sein, konnte er sich nicht gegen das Gefühl wehren man hätte ihm die Spitze eines sehr scharfen Messers genau zwischen die Augen gesetzt und war jederzeit dazu bereit, es mit aller Kraft in seinen Schädel zu treiben. Alpha widerstand der Versuchung, sich genau dort zu kratzen und musterte stattdessen das Gesicht Kenjis. "Und ich kann natürlich nicht leugnen, das manchmal mit dem Bedürfnis zu tun, nicht alleine wieder nach Hause zu gehen, aber du kennst das Gefühl sicher, hm?" Es fiel ihm schwer diese Szene als belangloses Geplänkel abzutun und er wusste einfach nicht warum. Was war es, das dafür sorgte, dass er sich wie unter Beobachtung fühlte? Wieso zwang er sich selbst dazu, jedes einzelne Wort sorgfältig abzuwägen bevor er es sprach? Hatten sie hier und jetzt mehr Bedeutung, als ihm bewusst war? Und wenn ja, für wen von ihnen hatten sie das? Kenji, der Mann mit dem wilden Haar und der fahlen Haut. Der Mann, der sich zu ihm gesetzt und ihm seltsame Fragen gestellt hatte. Alpha drehte die Flasche zwischen seinen Fingern und brachte etwas Unruhe in die dunkle Flüssigkeit, ehe er so etwas wie ein sehr trockenes Lachen ausstieß, welches gut und gerne auch als Schnauben hätte durchgehen und alles hätte bedeuten können. "Allerdings müssen es für mich nicht zwangsläufig Frauen sein." KENJIRO So ruhig, so unbefangen auch die männliche Stimme klang und alles um ihn herum - zumindest in Kenjis Wahrnehmung - verstummen ließ, so wenig gefiel dem Sprach- und Kunststudenten, wie sein Name von den blassen Lippen fiel. Nichtsdestotrotz saugte Ken jedes Wort des Fremden in sich auf, wie ein Schwamm, und versuchte jede vorhandene oder fehlende Reaktion zu interpretieren. Alles in diesem Moment drehte sich für ihn um den Tätowierten und wäre da nicht dieser eine, geradezu belanglos eingeworfene Kommentar gewesen, hätte man meinen können, dass der blasse Japaner - derjenige, dessen Körper nicht von gewollten Narben überzogen war - sich wie ein aufdringliches Weibsbild benahm, deren Geschick wohl nicht in ihrer Wortwahl lag. Seine Konzentration brach. Mit leerem Blick starrte er den anderen an und doch ratterte es von Neuem in seinem Kopf. Der Schnaps gaukelte ihm vor, dass all die verworrenen Gedanken Sinn ergaben und eine Idee bildete sich in seinem Kopf, die nur aufgrund des Adrenalins und seines ansteigenden Alkoholpegels perfekt erschien. Ken wandte sich zur Bar, beide Arme auf die Theke stemmend. „Das ist gut zu wissen“, entgegnete er ruhig, während das Tippeln seines Fußes eine ganz andere Melodie verlauten ließ. Trotzdem ihn seine Nervosität versuchte, von Dummheiten abzuhalten, hatte sich die Aussage des Fremden - dass sich dieser hin und wieder in diesem Pub aufhielt - fest in seine Gedanken und Verdächtigungen gebrannt. „Hey“, sprach Kenji anschließend lauter, lockte somit die Barkeeperin zu sich und hob einen seiner ebenso blassen Finger, um ihr eine „1“ zu deuten. „Das gleiche wie er“, er nickte zu seinem Sitznachbarn, obwohl er niemand war, der Bier trank. Tatsächlich trank er allgemein kaum, weswegen ihm der Alkohol meist direkt ins Hirn schoss und für üble Folgen sorgte. Genau dieses Verhalten schien sich auch an diesem Abend abspielen zu wollen. „Und lass es in der Flasche. Zum Mitnehmen.“ Kenji blickte zu dem Mann neben sich, suchte Augenkontakt, ehe er anschließend murmelte: „Nur zur Sicherheit.“ ALPHA Es brauchte manchmal viele Erklärungen und noch mehr Zeit bevor Alpha verstand, was seine Mitmenschen ihm oft auf nahezu subtile Art und Weise versuchten mitzuteilen. Hier und jetzt und aufgrund der Zeitspanne, in welcher er schon auf Jagd in derartigen Lokalen ging, fiel der Groschen sofort. Er kannte diesen Blick, auch, wenn er - ähnlich wie vor Minuten schon bei der Dame mit den schier endlos langen Haaren - ein Geheimnis zu verbergen versuchte. Er kannte diese Worte und er erkannte dieses Verhalten. Trotzdem wandte er seine Aufmerksamkeit zunächst wieder dem eigenen Bier zu, es nach und nach austrinkend. Es war sein erstes und es sollte sein letztes bleiben, denn offenbar hatte er nun etwas anderes vor. Etwas, das nicht zu ließ, dass er sich betrank, denn wenn er etwas nicht durfte dann war es wohl die Kontrolle über sich zu verlieren. "Ich wohne nicht allzu weit von hier entfernt.", sagte er und log ohne mit der Wimper zu zucken. Es entsprach der Wahrheit, dass er einen Schlüssel zu einem wohnlich eingerichteten Apartment besaß und das er oft genug in ihr zugegen war, um ihr wirklich den Eindruck zu vermitteln, es handle sich dabei um seine eigenen vier Wände. Aber er säße schon längst hinter Gittern, ließ er so einfach nahezu jeden durch seine Tür und wieder hinaus spazieren. Sich in die eigene Hosentasche greifend, fischte er ein bisschen Kleingeld für sein Bier heraus und legte es deutlich sichtbar auf den Tresen. Dann war er es, der die eigenen, blutroten Iriden in die für ihn farblosen des anderen schlug. Dann stand er auf, griff sich entspannt seine Jacke und ließ Kenji alleine auf sein Getränk warten. Alpha war sich zu 85 % sicher, dass es um etwas anderes ging als um bedeutungslosen Sex. Er seinerseits konnte eine primitive Anziehung nicht leugnen und er wusste, dass es ihm eine Freude wäre den Körper des anderen zu zerstören. Aber er durfte diesem Trieb nicht nachgeben, wenn er etwas schützen wollte, das ihm noch wichtiger war als sein Es. Irgendetwas war faul an dieser Geschichte. Kenji machte den Eindruck als sei er unheilbar krank. Etwas an ihm, vielleicht sogar das, was er unterschwellig an ihm zu riechen glaubte, roch faulig. Aber er konnte nicht bestimmen, was es war und es war ihm schlichtweg nicht möglich die Zeichen zu lesen oder gar zu deuten. Was auch immer jetzt im Begriff war zu geschehen, er musste auf der Hut sein. Was konnte ein solcher Mann von ihm wollen? Was konnte ein solcher Mann von ihm wissen? Und wie kam es, dass er rein gar nichts über diesen wusste? Alpha zog für einen Moment lang die Augenbrauen zusammen, außerhalb des Pubs den Reißverschluss seiner Jacke schließend und warmen Atem in die kalte Nachtluft ausstoßend. Die blanken Lichter der Stadt blendeten ihn und zwangen ihn, die Augen hinter den Gläsern leicht zusammen zu kneifen. Kenji. Kenji. Kenji. Wie hoch standen die Chancen, dass sie beide Serienmörder waren? KENJIRO Die Aussage. Der Blick. Beides versetzte ihm ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Der Mann hatte verstanden. Und mit seinem Aufstehen würde das kleine Spiel beginnen. „Das geht auf die Rechnung des Mädchens dort hinten“, wies Kenjiro schließlich die Barkeeperin an, als er sein Getränk entgegennahm, und nickte zu Sachiko am hintersten Ecktisch. Nachdem er ein raues „Alles klar“ geerntet hatte, setzte er sich auch schon in Bewegung - jedoch nicht ohne einen letzten Blick zu seiner in vielerlei Hinsicht bezahlenden Freundin zu werfen. Das Mädchen starrte ihm mit fassungslosen Blick entgegen und er wurde sich der Tatsache bewusst, die ganze Zeit über von ihr beobachtet worden zu sein. Wut und Verärgerung schwappten ihr in Form eines stummen Blickes entgegen, ehe er nichtsdestotrotz einen großzügigen Schluck des bitteren Gebräus nahm und anschließend den Pub verließ. Den Verlobungsring von seinem eigenen Finger ziehend und in der tunnelartigen Tasche seines Pullovers sinken lassend, steuerte er letzten Endes die Person an, welche ihm von all den nächtlichen Streunern, die zu solch einer Zeit keine Ruhe zu finden schienen, noch am wenigsten fremd war. Das Bier mischte sich mit dem Schnaps und erinnerte seinen Körper daran, wie wenig er Alkohol gewohnt war, während er die Schultern anzog und sein Kinn in den dicken Kragen seines Pullovers bettete. Obwohl es für den ein oder anderen durchaus kalt war, spendete ihm sein aufgeheizter Körper genug Wärme, um nicht zu frieren. Nichts in Kenjiro warnte ihn. Nichts schrie Vorsicht!, Gefahr! oder dass er einen dummen Fehler beging. Das einzige, das den Jungen zu interessieren schien, war, mehr über den anderen zu erfahren. Dass er mit solch einer Leichtigkeit an ihn heranzukommen schien - schließlich glaubte er, sogleich das Innere seiner Wohnung betreten zu können - überschattete jede Form von Vernunft, welche ihm hätte Angst machen sollen. Was, wenn sich sein Verdacht tatsächlich bestätigte? Was dann? Doch gab es eine Sache, die Ken zum Hadern brachte. Der Mann hatte von vornherein die eigene Wohnung vorgeschlagen. Die Möglichkeit, dass sie ebenso in Kens Wohnung unterkommen konnten, wurde nicht zu einer Sekunde in Betracht gezogen. Allerdings hatte er Hanako vor einem Jahr in der eigenen Wohnung aufgefunden.. „Ich“, eröffnete er, daraufhin nach Worten ringend, ehe er weiteren warmen Atem in die kühle Nachtluft hinauspustete. „Wir könnten zu mir.“ Die Idee, die sich nach und nach in seinem nicht klar denkenden Kopf manifestierte, wirkte auf ihn so sinnvoll, so ausgezeichnet und wahrhaftig gut, dass sich seine Augen aufgeregt weiteten. Realität verwob sich mit Vergangenheit und noch bevor er wusste, wie schräg sich die Worte anhören mussten, warf er ein: „Mein Bett hat ein Kopfgitter.“ Alles in ihm verkrampfte sich, als sich das Bild seiner Verlobten, wie sie mit aufgeschlitztem Bauch und durch ihre ausgezogene Kleidung am Gitter ihres gemeinsamen Bettes befestigt, leblos und voller Blut auf den verschmierten Laken lag, erneut vor sein inneres Auge zwang. Er packte die Bierflasche kräftiger zwischen die sich krampfenden Finger, ehe mit einem Blinzeln all die Erinnerungen zu einer farbenfrohen Mixtur verschwommen - und er im nächsten Moment auch schon wieder in das unheimliche Schwarz und Rot der fremden Augen blickte. Mit einem Mal wurde ihm heiß und kalt zugleich und während er den plötzlich in seinem Hals entstandenen Kloß hinunterschluckte, befahl er sich stillschweigend, die Fassung zu bewahren. Alles lief gut. Alles lief nach seinem nicht vorhandenen Plan.. „Wäre das eine Idee?“ ALPHA Wie unsagbar suspekt, schoss es ihm durch den Kopf. Nicht mehr nur seltsam, nicht mehr nur ungewöhnlich, sondern ausgesprochen zwielichtig. Das war es, was das Verhalten des anderen war und eigentlich wäre das Grund genug gewesen, die ganze Aktion abzublasen. Aber Alpha war niemand, der leicht Angst empfand. Tatsächlich war all das, die Anwesenheit des hartnäckigen Mannes mit den verdeckten Karten und das, was sie vorhatten, eine Herausforderung, die er nur zu gerne bereit war anzunehmen. So lange schon tat er, was er tat und es war so spielend einfach. Menschen starben unter seinen Händen wie Eintagsfliegen und alles, was sie ihm gaben, waren flüchtige Momente der Befriedigung. Kenji jedoch war jemand, der ihm mehr versprach als nur ein kurzes Rendezvous. Er versprach ihm das Bewusstsein, nicht mehr nur am Rande des Unmöglichen zu wandeln, sondern sich kopfüber hinein zu stürzen. Sich zunächst nur halb zu ihm umdrehend, musterte er ihn ein paar Augenblicke, ehe er die Hände aus den Taschen nahm und den Abstand zwischen ihnen Schritt um Schritt verringerte. Je näher er ihm kam, desto eindeutiger schien sein eigener Blick zu werden und als er vor ihm zum Stehen kam, waren seine Augenlider auf Halbmast gesenkt. Ohne jede Scheu fuhr er mit einer seiner kalten Hände in den Nacken des Mannes. Nahezu zärtlich strichen seine schlanken, tätowierten Finger durch das weiche Haar, erst Ruhe findend, als sie vollends im Haaransatz am Nacken verschwunden waren. Die andere, noch freie Hand fand wie natürlich ihren Weg auf die Hüfte Kenjis, wo sie ihn fest und an Ort und Stelle hielt. Kaum, dass er ihn so im Griff hatte, überwand er auch die letzte Distanz um ihm einen Kuss zu stehlen. Die Berührung war weich und doch bestimmt; Alpha nippte an der bitter schmeckenden Oberlippe, küsste sie, setzte ab und umschloss dann die Unterlippe mit den seinen, ehe er von ihm abließ. "Solange wir nicht allzu weit laufen müssen, spielt es keine Rolle wie dein Bett aussieht." Niemand, der vorhatte irgendeinen Fremden flachzulegen, würde sich darum kümmern wie dessen Bett aussah. Das Kopfgitter extra zu erwähnen hatte einen ganz besonderen Sinn gehabt und eine kaum greifbare Erinnerung wollte sich ob dieser Aussage einstellen. Aber sie verschwand, kaum, dass er sich Kenji genähert und dessen unbekannt-bekannten Duft ein weiteres Mal und nun aus nächster Nähe wahrgenommen hatte. "Also?" KENJIRO Mit jeder Sekunde, die verging, und jedem Schritt, welchen der andere nahm, spürte Kenjiro sein Herz noch deutlicher. Es pochte wie wild in seiner Brust, drohte herauszuspringen und ihm das letzte Leben, an welches er sich noch so trostlos klammerte, aus dem Leib zu katapultieren. Erst glaubte der Student, dass der Tätowierte den Geduldsfaden und somit die Lust an dem Spielchen verloren hatte. Als er jedoch die zarten Finger im Nacken verspürte, verkrampfte sich auch der letzte Rest seines Körpers, welcher die Hitze des Alkohols immer deutlicher wahrnahm. Die rotbraunen Augen weiteten sich erneut, doch zwang er sich zu absoluter Starre, als das Gesicht des Fremden näher kam. In der Sekunde, in welcher Kenji die erstaunlich sanften Lippen auf den eigenen spürte und auch das kalte Metall des Piercings wahrnahm, wie es gegen seine Unterlippe drückte und ihm eine zärtliche Gänsehaut abverlangte, fühlte er sich nichtsdestotrotz ... übel. Es war der erste Kuss, den er mit jemandem teilte, seitdem Hanako von ihm gegangen war. Und es war die einzige Berührung, die er benötigte, um zu erkennen, in was für eine Situation er hineingeraten war. Ein flaues, nicht zuzuordnendes Gefühl erinnerte ihn daran, wie sehr er den anderen anstarrte, selbst nachdem dieser von ihm gewichen war, ehe er sich endlich aus der Versteinerung lösen konnte und schlussendlich abwandte. Sein gesamtes Gesicht brannte und die Befürchtung, dass der Alkohol tatsächlich seinen Körper übernahm, spielte nur die Tatsache runter, dass er doch ein Schamgefühl besaß - und dass genau dieses gerade unter der Situation litt, von einem Mann geküsst worden zu sein. Die Vorstellung, dass dieser Mann auch noch der Mörder seiner Verlobten sein konnte, presste sich währenddessen mit aller Gewalt zurück in seinen Schädel und wäre er nicht so darauf fixiert gewesen, Antworten zu finden, hätte er sich womöglich hier und jetzt übergeben. Konnte ein Mörder denn so sanft küssen..? „Hier lang“, entgegnete er mit gepresst-wackeliger Stimme, als er ein älteres Pärchen entdeckte, das nur wenige Meter entfernt auf sie zuschritt und einen fragwürdigen Blick für sie übrig hatte. Dennoch setzte sich Ken in Bewegung, schritt an dem Paar vorbei, ehe er auch schon den Flaschenhals mit bebenden Lippen umschloss und einen weiteren, beachtlich großen Schluck des eigentlich verabscheuten Gebräus hinunterkippte. Anschließend führte er den Mörder in spe, dessen Namen er bisher nicht mal kannte und definitiv herausfinden musste, zwei, drei Straßen entlang, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, ihn erneut mit Intimitäten überfallen zu können. Kenjiro ging geschwinden Schrittes - und stoppte erst, als er vor einer Tür angelangt war, um die noch mindestens zu einem Drittel volle Bierflasche auf einem Pfosten niederzustellen und mit ungeschickten Händen nach einem Schlüssel zu greifen. Bis er den Schlüssel im Schloss umgedreht und auch die Wohnung des mehrstöckigen Hauses betreten hatte, schwieg er und kämpfte gegen die Schwummrigkeit an, von welcher er sich einerseits nicht, andererseits sehr wohl übermannen lassen wollte. Kapitel 2: 2. Kapitel: R Y U ---------------------------- ALPHA Da war nichts. Keine Leidenschaft und keine Lust und während sich Kenji wieder von ihm löste, bekräftigte sich seine Meinung, dass zu keiner Zeit Interesse an einem One-Night-Stand bestanden hatte. Sin behielt seine Gedanken für sich und leckte sich, dem anderen nachsetzend, über die Lippen. Unter der Bitterkeit seines Fleisches lag ein süßer Geschmack, welcher beinahe vollständig von der herben Note getilgt worden war. Erneut glaubte der Bebrillte mehr als nur eine Person zu riechen und er sollte auch wenig später erfahren, wen er da gerochen hatte. Die Häuser zogen an ihnen vorbei, während sie die Hauptstraße hinter sich ließen. Es wurde dunkler und einsamer und doch drängte sich ihm die Realität beinahe gewaltvoll auf. Alpha zögerte nicht, auch, wenn er jeden Busch und jeden Baum sehr wohl erkannte. Seine Schritte waren unbeschwert und sein Interesse schien allein der Person zu gelten, die mehr oder weniger vor ihm her lief. Er war jemand, der schnellen Sex erwartete und genau so würde er sich verhalten. Allerdings begann tief in seinem Inneren noch etwas anderes damit, nach Aufmerksamkeit zu lechzen. Alpha, der sich in eine ferne Vergangenheit zurückversetzt fühlte, glaubte sich verraten. Kenji, der die ganze Zeit nichts anderes im Sinn gehabt haben musste, hatte ihn aufs Glatteis führen wollen um zu sehen, wie er fiel. Es war so klar, so echt, dass er nicht anders konnte als die verborgenen Hände zu Fäusten zu ballen. Eine brennende Anspannung in den eigenen Gliedmaßen spürend, ließ er ihn, kaum dass sie bei der Wohnung der Schlampe angelangt waren, die ihn vor Monaten praktisch angefleht hatte sie zu nehmen, die Tür aufschließen. Nur für ihn allein tanzte die Frau durch den Rahmen und hinein in eine Wohnung, die er bis dahin nicht gekannt hatte. Sie war bereits angetrunken gewesen - ebenso wie er und der ohnehin schon wenige Stoff war ihr schnell vom erhitzten Körper geglitten. Alpha erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen. Ihr Lachen war ihr locker von den Lippen gegangen und ihre schwer geschminkten Augen waren nicht einen Moment von ihm gewichen. Ihre schlanke Gestalt hatte sich, kurz nachdem sie irgendeine klischeehafte Musik angemacht hatte, in Richtung Küche geglitten, wo sie ihnen weitere Drinks hatte zubereiten wollen. Sin hatte ihr keine Chance gelassen und war schon dort über den Frauenkörper hergefallen. Sie waren schnell im Bett gelandet und dann- Alpha zog, die Erinnerung nebenher laufen lassend wie ein Fernseher, der ein langweiliges Programm zeigte, seine Jacke aus. Sie achtlos zu Boden fallen lassend, gab es nur einen kurzen Blick für die Wohnung, dann näherte er sich wieder seinem Gastgeber. Er war nicht hier um die Inneneinrichtung zu bewerten, richtig? Und Kenji war keine Frau. Es gab keinen Grund das unvermeidliche hinauszuzögern. Also griff er wieder nach seinen Hüften und zog ihn an sich. "Dein erstes Mal mit einem Mann?", raunte er ihm, kaum, dass er ihm einen Kuss auf die Ohrmuschel gegeben hatte, zu, wohlwissend, dass der Mann eine ganz andere Intention verfolgte. KENJIRO Schamgefühl und Alkhohol tanzten Tango, als er plötzlich den Körper des anderen Mannes an seinem eigenen spürte. Die überfordernde Gänsehaut fand sofort einen Weg zurück, um seinen gesamten Leib einzunehmen, als er die ruhige Stimme und auch den sanften Atem an seinem Ohr wahrnahm. Kenji kam nicht umhin, sich ein wenig zu versteifen, auch wenn der Alkohol und die nicht vorhandene Scham des Fremden ihr Bestes gaben, all seine Muskeln aufzuheizen und das Blut durch seine Adern rauschen zu lassen. „Lass das meine Sorge sein“, murmelte er, versuchte dabei kokett zu wirken, doch die eigenen Gedanken machten dies nicht nur zunichte, sondern ließen ihn reichlich spät reagieren. Kenjiros Kopf arbeitete auf Hochtouren, während er eine Reaktion des Fremden auf die Wohnung vermisste. Dennoch nahm Ken die Vermutung, dass es sein erstes Mal in solch einer Situation war, dankend entgegen, räumte sie nicht aus dem Weg, sondern versuchte ihn im Glauben zu lassen, dass das der Grund war, weswegen er sich so wenig aktiv gab. Dass er bisher sehr wohl nur Erfahrung mit Frauen - mit einer Frau - gesammelt hatte, tat hierbei tatsächlich nichts zur Sache, hatte er doch nie vor, mit dem anderen ins Bett zu steigen.. Beide Hände hebend, platzierte er sie auf dem fremden Bauch. Der Leib fühlte sich durch den Stoff hindurch hart an, als er die Finger wandern ließ - er zwang sich dazu, kein einziges Mal zu zögern - und als er seine Hände über die ungewohnt flache, feste Brustmuskulatur geschickt hatte, stoppten sie auf dessen Schultern ... und er drückten ihn von sich. „Gib mir einen Moment, der Alkohol will raus.“ Ein gezwungenes Zwinkern später war er auch schon im Badezimmer verschwunden, dessen Tür er fest hinter sich zu zog. Ken rutschte überfordert die Badezimmertür hinab. Anschließend fing er an, auf der dünnen Haut, die sich links und rechts zwischen Daumen und Nagelbett befand, herumzukauen. Verzweiflung und Unsicherheit spülte über seinen Körper und die Bierschnapsmischung wirkte, wie sie immer wirkte, wenn man zu später Zeit trank und alleine war. Allerdings war er nicht alleine.. Was, wenn der Mann nicht der Mörder war? Was, wenn er sich irgendjemanden ins Haus geholt hatte? Was, wenn er einen dummen Fehler begangen hatte? Mit einem Mal stoppte er mit dem nervösen Geknabber. Aber was, wenn er der Mörder war..? Was, wenn er nur wusste, wie er sich zu verhalten hatte? Schließlich war er bereits seit einem Jahr auf freiem Fuß, unentdeckt von der Polizei, unentdeckt von ihm.. ..bis jetzt. Mit voller Entschlossenheit aufstehend, trottete er zur Toilette, betätigte die Spülung und warf auch für einen kurzen Augenblick den Wasserhahn an. Aschließend verließ er das Badezimmer. Adrenalin schoss ihm durch die Glieder, als er das Wohnzimmer betrat, nach dem Fremden Ausschau haltend. Er musste nur eine Weile mitspielen, an Informationen gelangen, Reaktionen erfassen. Nichts anderes - und dann würde er ihn festnageln. Dann würde er ihn bereuen lassen, den Mann mit den Tattoos und dem bebrillten Gesicht. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte er laut in den Raum hinein, weitaus überzeugter. Er schluckte heißen Speichel hinunter, ließ sich vollkommen in der Hitze des Alkohols fallen. „Weißt schon, damit ich deinen Namen schreien kann.“ Ein aufgesetztes Lachen folgte. ALPHA In den wenigen Augenblicken, die er hatte um den Körper bei sich zu behalten, tat sein Verstand es dem des anderen gleich. Er arbeitete in einem beachtlichen Tempo und hielt kontinuierlich das Schild hoch, sich unter gar keinen Umständen auf irgendeine Art und Weise verdächtig zu verhalten. Jeder Millimeter in dieser Wohnung war übersät mit Tretminen aus Erinnerungen und dem Potenzial, ihn zu verraten, sodass es ihm eigentlich kaum möglich war sich normal zu bewegen. Er tat es dennoch und ließ ein Seufzen hören, das von leichter Ungeduld und Widerwillen zeugte. Schon wieder ging Kenji auf Abstand und verschwand wenig später im Badezimmer. Was für ein furchtbar schlechtes Schauspiel. Kenji wusste, wieso er ihn hier her gebracht hatte und Alpha wusste es auch. Er war der Mörder derjenigen, die dem anderen offenbar etwas bedeutet haben musste aber er schien keine Beweise gegen ihn zu haben. Wahrscheinlich hatte er nicht mal irgendeine Art von Hinweis, bis auf den Fakt, dass es gewisse äußere Auffälligkeiten gab, an denen man sich orientieren konnte. Sin lehnte sich gegen die Couchlehne, ein, zwei Momente abwartend und seinen Blick über die Einrichtung schweifen lassend. Noch mal an einen Tatort zurückzukehren war denkbar ungünstig, auch, wenn er damals einen guten Job bei der Vernichtung aller Indizien verrichtet hatte. Kenji brauchte es nur leid sein, einem Phantombild hinterher zu jagen. Dann würde er jeden noch so kleinen Verdacht für bare Münze nehmen und ihn seinen Geistern zum Opfer darbieten. Andererseits war er sicherlich nicht der erste Verdächtige, den der andere zum Verhör gebeten hatte und vielleicht hatte auch nur einer davon überlebt. Als der andere endlich zurückkam, sah er davon ab sich mehr oder weniger auf der Rückenlehne der Couch zu platzieren. Auch löste er die Verschränkung seiner Arme, sich offen der anderen Gestalt stellend und binnen weniger Augenblicke reagierend. "Ich heiße Ryu.", entgegnete er, das falsche Lächeln überzeugender spiegelnd, sich dieses Mal allerdings nicht auf ihn zu bewegend. Den eigenen, wenn auch unvollständigen Namen auszusprechen und zu hören, kam ihm fremd vor. Fremd und falsch, aber sich hier und jetzt Alpha zu nennen wäre eine schlichte aber gravierende Fehlentscheidung gewesen. "Nur bin ich mir nicht ganz sicher, ob du das hier auch wirklich willst, Kenji." Ihn eindringlich von oben bis unten betrachtend, überließ er es jetzt ihm auf ihn zuzugehen. KENJIRO Ryu. Der Name wirkte auf ihn erschreckend normal - genauso wie die Reaktion, die von Ryu folgte. Die Fassade, die Kenjiro sich zurechtgelegt hatte, bröckelte jedoch nicht; ganz im Gegenteil: er mühte sich ab, um seinen Entschluss ja nicht in Gefahr zu bringen. Während sein Kopf also schrie, dass er diesen Bastard zum Reden bringen musste, lief er langsamen, sehr langsamen Schrittes auf den anderen zu. Es war, als würde er neben sich stehen und seinen Körper beobachten, wie er dem Tätowierten allmählich näher kam. Nervös, doch bewusst und auch irgendwie berechnend biss er sich auf die eigene Unterlippe, ehe er es wagte, von Neuem den Mund zu öffnen. „Dann sollte ich dir wohl zeigen, wie sehr ich das will, Ryu“, hörte er sich selbst sagen. Die eigene Stimme klang in seinen Ohren geradezu befremdlich, ein wenig heiser, als bekäme er den Flüsterton nicht so ganz auf die Reihe. Bevor ihm jedoch ein weiterer, klarer Gedanke dazwischenfunken konnte, ließ er sich voll und ganz von den durch seinen Alkoholpegel beeinflussten Ideen überzeugen; er langte mit beiden Händen in das teils volle, teils geschorene Haar und ehe er sich versah, zog er ihn fast grob zu sich herab. Gleichzeitig, wie sich seine Augen fest zusammenkniffen, krachte sein Mund auf die Lippen des anderen und noch während er versuchte, all das, was in ihm FALSCH schrie und sämtliche Alarmglocken zum Schrillen brachte, zu ignorieren, brachte er widerwillig die eigenen Lippen auseinander, um unbeholfen über die des anderen zu lecken. Eine Gänsehaut schoss durch seinen Körper, anfangend von seinen Schulterblättern bishin zum kleinen Zeh, und kämpfte gegen jede Verkrampfung und Anspannung an. Anstatt sich dem Ziehen in seiner Magengegend jedoch hinzugeben, das ihn immer wieder voller Entsetzen anbrüllte, dass er hier höchstwahrscheinlich den Mörder seiner Freundin küsste, presste er letztlich gegen den trainierten Körper, drückte ihn gegen die Lehne der Couch, als müsste er nicht nur den anderen, sondern auch sich davon überzeugen, dass er das Richtige tat. ALPHA Irgendetwas tief in ihm wollte den Körper mit aller Brutalität von sich stoßen und sehen, wie er zerbrach. Er wollte, dass Kenji stolperte und sich das Genick brach und wie er dann schlichtweg in sich zusammenfiel. Er wollte, dass der Zwang und die Wucht, mit welcher der andere auf ihn nieder ging, endete und er an seiner eigenen Unbeholfenheit erstickte. Aber anstand den jäh in ihm aufkommenden Zorn in tatsächliche Aktionen zu verwandeln, tat er nichts anderes als den schlanken Körper zu umarmen. Die linke Hand erneut in seinen Nacken schiebend, fuhr er ihm wieder in das volle Haar, es mal packend und mal einfach nur hindurch fahrend, während der rechte Arm auf Höhe seiner Nieren quer über dessen unteren Rücken ging. Die Finger demnach in die gegenteilige Hüfte krallend, erwiderte er seinen Kuss zwar nicht ganz so ungeschickt aber nicht weniger wild. Ohne ihm auch nur die Chance zu geben ein weiteres Mal zu entkommen, schnappte er nach der frechen Zunge und biss kurz aber scharf in sie. Dann sog er lasziv an ihr, ehe er sie in die fremde Mundhöhle zurückdrängte und sie schamlos plünderte. Die Position an und beinahe auf der Couchlehne gefiel ihm so nicht, weswegen er, der er den anderen beinahe umschlungen hielt, sie beide begann noch während des Kusses um das Sofa herum zu manövrieren. Nicht vergessend, dass er sich in nicht in der Wohnung auskannte, nutzte er Sekunden anhaltende Atempausen um sich nach Dingen umzusehen, gegen die sie beide hätten stoßen können, ehe er sein Ziel erreichte und den Wohnungsbesitzer auf die selbst für ihn erkennbar weiße Couch fallen ließ. Alpha folgte ihm, die eigene, gut sitzende Brille nicht absetzend und sich nicht mit vollem Gewicht auf den unten liegenden Mann stützend. Ein weiterer, harter Kuss folgte. Dann ließ er sich auf dem Schoß nieder und griff sich an den Saum des eigenen Oberteils. Rasch und geübt zog er sich den Stoff aus, einen trainierten und von schwarzer Tinte übersäten Oberkörper freigebend. Anstatt Kenji jedoch die Gelegenheit zu geben seine Tattoos zu bewundern, beugte er sich auch schon wieder zu ihm hinunter und setzte mit den Fingerspitzen auf dem schmalen Streifen Haut an, der durch den Fall und das Hochrutschen des T-Shirts verursacht worden war. In einer einzigen, fließenden Bewegung beförderte er dessen Oberteil so weit hinauf, dass er zumindest auf einer Seite dessen Brustwarze freilegen konnte. Zielsicher ging er auf diese nieder und umkreiste sie mit der eigenen feuchten Zungenspitze, sog an ihr und biss spürbar in die kleine Erhebung. Während er das also mit Hingabe tat, zog er die Hände wieder zurück und begann, dessen Hose aufzumachen. Für ihn war das der einzige Grund für sein Hiersein, auch, wenn sich nach und nach andere Gedanken zu formen begannen... KENJIRO Hitze vernebelte ihm die Sinne und als Kenji den bittersüßen Biss als nicht mehr als einen sachten Stromschlag, der durch seinen gesamten Körper zuckte, wahrnahm, merkte er auch schon, wie anders dieser Mann küsste. Während Hanako und er stets sanfte Küsse teilten, lag nie mehr darin, als absolute Vorsicht. Es war, als wollten sie selbst mit jeder Berührung ihrer Lippen zeigen, wie sehr sie einander liebten und wie viel ihm der jeweils andere bedeutete, sodass man sich gegenseitig wie zerbrechliches Glas behandelte. Das, was er in diesem Augenblick mit Ryu teilte, erinnerte kaum an das, was er kannte. Nichts sprach von Vorsicht, nichts von Zurückhaltung; es hatte nichts mit gegenseitigem Respekt zu tun. Es war Lust, raues Verlangen und die Schamlosigkeit, sich das zu nehmen, was man wollte. Erschrocken fiel er auf die Couch. Als er jedoch bemerkte, dass sie sich tatsächlich bewegt und auf der Couch Platz genommen hatten, war nicht nur der tätowierte Mann zurück, sondern auch die fordernde Zunge, die nicht nur die seine überforderte, sondern ihm auch eine Blockade verpasste. Es war, als hätte der Alkohol letztlich doch Überhand genommen - nicht anders konnte er sich die Hitze erklären und dass er, als man endlich von ihm abließ, nichts weiter tat als mit fassungslos-gebanntem Gesicht zu starren. Nur für einen kurzen Augenblick starrte er nackter Haut entgegen, nur für wenige Millisekunden ohrfeigte ihn der Anblick der Tattoos. Der Mann, der wie eine Lawine über ihn hergefallen war, ließ ihm jedoch auch keine Zeit, die anbahnende Panik, die sich in seinem Körper breitmachte, zu verarbeiten. Der Biss warf ihn letztlich völlig aus der Bahn; „hng!“, seine Schultern mit aller Gewalt gegen das Sofa pressend, als wollte er vor den intensiven Berührungen fliehen, vor den Fingern, vor den Zähnen, konnte er seinen Körper nicht davon abhalten, sich zu bäumen. Sein Kopf fiel zurück, die Augen weit aufgerissen, und er stöhnte fast atemlos die Anspannung heraus, die er seit den ganzen letzten Minuten in all seinen Gliedern verspürt hatte. Als er jedoch bemerkte, wo sich Ryus Hände befanden, kam die Anspannung jäh zurück - ebenso wie Kenjiros laute Stimme, welche plötzlich ehrlich heiser und aufgeregt wirkte. Nichts davon war mehr ein Schauspiel, was die Panik in Kens Augen nur noch verdeutlichte. „Warte!“ Sein Oberkörper sackte zurück, ehe er mit beiden Händen Ryus Handglenk packte. Ihm wurde allerdings fast sofort bewusst, dass er sich auf gefährlich dünnes Eis begab, weswegen er den zu verkrampften Griff um das verzierte Handgelenk lockerte und die Finger schließlich mühevoll über den Arm und anschließend den Rücken des fremden Mannes schickte. Ein schiefes Grinsen machte sich auf den von Panik verzerrten Lippen breit. „Das Bett“, warf er ein. Das Grinsen versuchte breiter zu werden, überzeugender. „Führen wir das auf dem Bett weiter. Ist mein erstes Mal, richtig? Da sollten wir es schon bequem haben.“ Er schrie sich innerlich an. Er musste den anderen ins Schlafzimmer befördern - komme, was wolle. Der Mann sollte die unzähligen Fotos von Hanako entdecken. Kenjiro wollte sehen, wie er darauf reagierte, wenn er an den Tatort zurückkehrte. Er wollte in die schwarz umhüllten Augen blicken und ihm die Schuld ansehen. Er wollte wissen, ob er bereute. Er wollte wissen, ob er Trauer zeigte. Mitgefühl. Oder gar...Stolz. Kenjiro wollte ihm jede einzelne Emotion aus den unheimlichen Augen brennen. Und doch.. ..er war derjenige, dessen Erregung in der eigenen Hose pochte und die geschickten Finger förmlich anflehte, endlich befreit zu werden. Kenjiro verabscheute sich selbst. „Viel bequemer“, hörte er sich selbst sagen, laut, um seine eigenen Gedanken zu übertönen, während eine der beiden Hände, die den glatten Rücken wieder hinabgewandert waren, nach vorne strich und mit einem Mal in den Schritt des Mannes packte. Das, was er dort spürte, trieb ihm allerdings die Schweißperlen auf die Stirn. ALPHA Solange es keine Zeit gab zu begreifen, wie wenig sie auf menschlicher Basis zueinander passten und miteinander reagierten, hatte eine unleugbare Leidenschaft die Chance, sich nicht nur zu entfalten sondern sie beide auch völlig zu übermannen. Der Wechsel von Wut zu Lust machte ihn schier wahnsinnig, was dazu führte, der er zähflüssige Schauer über seinen Oberkörper wandern spürte, als Kenji ein erstaunlich wohlklingendes Stöhnen verlauten ließ. Während der vergangenen Jahre hatte Alpha mehrfach registriert, dass es ihm sehr viel leichter fiel sich bei Männern zusammen zu reißen und die Sache an sich zu genießen, während er den meisten Frauen ein ähnliches Schicksal zuteil werden ließ wie dem Flittchen, das einst zum Gastgeber gehört hatte. Für ihn war es ein Ausdruck seiner Dominanz über das schwache Geschlecht und deren Willigkeit, die vor allem dieses Exemplar von Mann nicht bereit war zu zeigen. Sin brauchte kein Hellseher oder Genie sein um zu erkennen, dass sie beide die Berührungen nicht kalt gelassen hatten und während er heißen Atem über den Bauchnabel schickte, in welchen er kurz die neugierige Zunge getaucht hatte, konnte er nicht anders als gereizt die Augenbrauen zusammen ziehen, als Ken sie schon wieder unterbrach. Warum zum Teufel sollte es eine Rolle spielen, ob er sein erstes Mal hier oder im Bett hatte? Alpha starrte die Schwarzweißzeichnung an, ihr am liebsten eine verpassen wollend um sich einfach an ihm zu vergehen. Ihm war nicht nach dem Schlafzimmer zumute. Nicht etwa, weil er auch nur die leiseste Ahnung hatte, was ihn erwarten würde, sondern weil er schlichtweg nicht wollte, dass die Eindrücke der kleinen Hure das lustverzerrte Gesicht ihres Liebhabers überdeckte. Aber das konnte er schlecht sagen und da er der Gast war, sah man ihm an, dass er von angeblicher Frustration zu Nachsicht wechselte. "Du verstehst es andere auf die Folter zu spannen.", meinte er süffisant, ein kantiges Schmunzeln präsentierend und sich kurz gegen die Hand in seinem Schritt drückend. Dann stand er etwas umständlich auf, den anderen mit sich ziehend. "Sobald wir das Bett erreicht habend, gibt es aber kein Entkommen mehr, verstanden?" Den Lüsternen mimend, drückte er sich von hinten an ihn und fuhrt ihm erneut unter das herunter gerutschte Shirt, ihm seitlich in den Hals beißend und ihm folgend, während er sie beide praktisch zum Schlafzimmer führte. Als die erstaunlich schlanken Hände nach dem Knauf griffen, ihn drehten und das Holz schließlich sanft aufgestoßen wurde, erwischte es Alpha ohne jede Vorwarnung. Endlos viele Bilder starrten ihn von den Wänden herab an, nur durch diverse Zeitungsartikel, Kartenausschnitte und handschriftliche Berichte aufgelockert werdend. Fäden zogen sich einem Spinnennetz gleich über das Gebilde ermittelnder Ergebnisse und mitten drin in diesem Chaos aus Symbolen, Daten und Informationen prangten die Tatortfotos des Mädchens, das an im Zentrum als Hanako bezeichnet wurde. Er hatte ihren Namen bereits vergessen, aber ihr Duft, der besonders in diesem Zimmer nahezu überwältigend zu sein schien, war ihm sehr wohl bekannt. Selbst ihr kleiner Freund hier hatte ihn spazieren getragen. Jäh und nachdem der erste Schock über dieses eindeutig nicht normale Hobby überwunden war, ließ er von seinem Gastgeber ab. "Oh Gott...", stöhnte er, sich eine Hand vor den Mund schlagend und trocken würgend. Sofort wandte er sich ab, sich den Magen haltend und zwei weitere Male den Anschein machend, als müsse er sich jeden Augenblick übergeben. Mehr oder weniger zurück ins Wohnzimmer stolpernd, gab es für ihn nur eine richtige Reaktion auf den Umstand, dass sein Gastgeber gefährlich nah an ihn herangekommen war - und genau diese setzte er auch, sich an eines seiner Opfer und dessen Gebaren erinnernd kurz nachdem er ihm seine Leidenschaft für tote Menschen vermittelt und kurz bevor er diesen umgebracht hatte, in die Tat um. "Was ist das denn für eine kranke Scheiße?!", platzte es aus ihm heraus, kaum, dass er seinen Magen beruhigt hatte. Ein hollywoodreifer Blick, der sowohl Verstörtheit als auch Ekel ausdrückte, flog mit zorniger Bestimmtheit in Richtung des anderen Mannes. "Bist du ein Killer oder was? Ist es das, was du eigentlich willst?!" Leichte Hysterie zeichnete sich in seiner Stimme ab, ehe er in panischer Eile nach seinem Oberteil griff. "Oder ist das deine Vorstellung von einem Witz? Ich verschwinde, man. Such dir jemand anderen für deine Rocky Horror Picture Show!" Und damit zog er sich wieder an, die harte Erregung, die noch nicht ganz abgeklungen war, einfach ignorierend und sich seine Jacke schnappend, ehe er tatsächlich Anstalten machte, die Wohnung zu verlassen. KENJIRO Das, was er verspürte, war etwas, was er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Tatsächlich war es etwas, dass er noch nie gespürt hatte, und obwohl er sich bis heute nach seiner Verlobten verzerrte, war die heiße Lust, die es ihm erschwerte, vorwärts zu laufen, nichts, das er auch nur annähernd bei ihr erlebt hatte. Der Blümchensex, den er fast routiniert mit ihr erfahren hatte, hatte nie zugelassen, dass er dermaßen nach Berührungen verlangte, wie sich sein Körper in diesem Moment nach ihnen sehnte, und obwohl er sich dazu brachte, seinen Plan nach und nach in die Tat umzusetzen, musste er seinen Leib immer wieder stumm ermahnen. Er schob es noch immer auf den Alkohol, dass er sich so gehen ließ, doch langsam mischten sich bittere Gedanken ein, selbstmitleidige, die ihm weismachen wollten, dass er es nach einem Jahr sehr wohl brauchte. Der letzte Rest seines Verstands wies ihn an, sich zurückzuhalten. Im ersten Augenblick, als er beobachten konnte, wie Ryu offensichtlich von Übelkeit gepackt wurde, empfand Kenjiro Freude. Tatsächlich war es einfache Freude, Zufriedenheit, geradezu Befriedigung, als er bemerkte, wie der Mann würgen musste. Während er, die Augen weitend, beobachtete, schrie sein Innerstes in völliger Aufruhr. Sieh dir an, was du getan hast! Sieh dir an, was du mir angetan hast! Kannst du dich daran erinnern!? Kannst du dich daran erinnern, wie du sie vergewaltigt und ermordet hast!? Die Fassade bekam jedoch einen Knacks, als der Mann plötzlich das Wort an ihn richtete. Ein kalter Schauer erwischte Kenji, sein waschechter und einmaliger Optimismus fing an zu bröckeln und als er verstand, was soeben passiert war, war das einzige, wozu er in der Lage war, von Panik ergriffen zu brüllen. „WARTE!“ Verdammt. Verdammt. Verdammt..! Wie konnte das passieren!? Kenjiro rannte Ryu hinterher. „Warte!“ Wie konnte das sein!? Er stoppte direkt vor der Wohnungstür, knallte mit dem Rücken dagegen. „Warte, bitte!“ Wieso konnte der andere so reagieren!? Ken starrte den Mann mit großen Augen an. „Es- das-“ Er durfte nicht so reagieren! „Das tut mir Leid!“ Er war der Mörder! „Ich wollte nicht-“ Er war der verdammte Mörder! „Scheiße, meine Freundin ist nur-“ Er hat ihr das angetan! „Ich bin noch nicht drüber- verdammt-“ Er konnte sich doch nicht über ihn geirrt haben...! Kenjiros weit aufgerissene Augen richteten sich schlagartig gen Boden, das Gesicht voller Überforderung verzerrend. „Ich dachte, du kanntest sie“, entgegnete er, nachdem er die wirren Gedanken endlich sortiert hatte. Die nächsten, durchaus gelogenen Worte fielen ihm dennoch erheblich schwer, weswegen sich auch jetzt der rasch hebende und sinkende Brustkorb verkrampfte und ihm ein ekelhaftes Ziehen im gesamten Leib verpasste. „Ich dachte, du kannst mir helfen, über sie hinwegzukommen..“ ALPHA Der Körper des anderen ließ ihn jäh und mit teilweise verstörten, in jedem Fall aber unwilligen Gesicht stoppen. Während seine Jacke über seinem Arm hing, da er noch nicht dazu gekommen war sie anzuziehen, fielen ihm ein paar seiner Haarsträhnen aufgrund der zuvor gemachten, hektischen Bewegungen wirr ins Gesicht. Unwirsch und ungeduldig strich er sie zurück, lange Augenblicke lang nicht dazu bereit seiend, dem Psychopathen vor sich auch nur ein Wort zu glauben. Alpha musste die Show um jeden Preis aufrecht erhalten, auch, wenn er nichts von all dem wirklich fühlte. Das einzige, das er bei den ganzen Bildern empfunden hatte und das ihm tatsächlich ein kurzes Gefühl der Starre verpasst hatte, war absolute Alarmbereitschaft. Man hatte mehr über diesen Fall herausgefunden als ihm lieb sein konnte und Kenji schien alles daran zu setzen, den Mörder Hanakos, also praktisch ihn, zu finden. Sein Vorgehen mochte zuweilen wild und seine Schlussfolgerungen falsch sein, aber die Frage blieb dennoch: Wie lange noch? Wie lange würde es dauern, bis er ihm wirklich auf die Schliche kam und nicht mehr nur jeden x-beliebigen Fremden ansprach, der seiner Meinung nach in das Bild passte? Er konnte nicht riskieren erwischt zu werden. Noch während er das aber dachte und sein Gastgeber irgendetwas davon schwafelte, dass er ihm helfen sollte über dessen Freundin hinweg zu kommen, kam ihm ein ganz anderer Gedanke in den Sinn. Was hatte er davon, nochmal davon gekommen zu sein und jetzt aus dieser Tür hinaus zu spazieren ohne, dass sich sein Leben tatsächlich verändert hatte? Eigentlich schlich er schon viel zu lange im Schatten herum und versteckte sich vor diesen bedeutungslosen Gutmenschen, die im kontinuierlichen Bedürfnis standen, anderen ihre Weltansichten aufzudrängen. Immer wieder begegnete er Männern und Frauen wie Kenji, die für andere Dinge taten, die er schlichtweg nicht nachvollziehen konnte. Weshalb gab der Typ sich auf? Aus welchem Grund hing er dieser billigen Nutte denn noch nach? Nur, weil er ihr gegeben hatte, wonach sie ihn angefleht hatte? Sins Gesichtszüge entspannten sich und ein leises, unbestimmtes Seufzen strich über seine Lippen. "Hör zu, mir ist das wirklich ein bisschen zu...freaky.", tat er seine Entscheidung kund. Er würde definitiv nicht hier bleiben, das würde kein normaler Mensch. Aber es hatte irgendwie zwischen ihnen gefunkt, richtig? Da war was gewesen und außerdem sah seine Eroberung wirklich gut aus. Das war es jedenfalls, was man mit ein bisschen Sinn für Empathie in dem Bebrillten erkennen konnte, der sichtlich hin und her gerissen zu sein schien. Bevor er jedoch sein Ringen um die richtigen Worte unnötig in die Länge ziehen konnte, griff er sich rasch in die Hosentasche und fischte eine kleine Karte heraus. Die Finger lediglich auf die Ränder, nicht aber auf irgendeinen flachen Teil des Papiers drückend, übergab er sie dem anderen. "Ich kann dir nicht...naja, bei was auch immer helfen, okay? Aber vielleicht kann er es. Ich wünsche dir alles Gute, Kenji und vielleicht sieht man sich irgendwann mal wieder und...", ein unsicheres, beinahe verlegenes Lächeln huschte kur über seine Lippen, während er sich für einen Moment über den Hinterkopf strich. "...vielleicht gehen wir dann mal ins Kino oder so. Aber naja. Kopf hoch, okay?" Damit beugte er sich nochmal zu ihm hinab und gab ihm einen Kuss der dem vor dem Club vorhin gar nicht so unähnlich, wenn auch schneller war. Dann zwang er ihn praktisch dazu zur Seite zu gehen, ehe er sich durch die Wohnungstür zwängte (er öffnete sie unauffällig mit seiner Jacke) und in den Flur hinaus ging. Natürlich nicht ohne noch einen letzten, besorgten Blick zum anderen hin zu werfen. Alpha Sin beeilte sich nicht während er die Treppenstufen hinab zur Haustür nahm. Sein Gesicht blieb relativ unbewegt, maximal ein wenig nachdenklich, was man ihm sicherlich nicht würde übel nehmen können. Tatsache jedoch war, dass er alles andere als unbewegt war. In der Hand, die beinahe die ganze Zeit unter dem Jackenstoff verborgen gewesen war, hielt er das inzwischen warm gewordene Material des Ringes, der seinem freundlichen Gastgeber vorhin bei dem Fall aus der Tasche gerutscht war. Ihm war dies erst aufgefallen, als er über die Couch gelang und sein Oberteil gepackt hatte. Das Schmuckstück ebenfalls mitzunehmen, war ihm dabei nur logisch erschienen und damit nicht genug. Die Haustür fiel hinter ihm ins Schloss als er selbst bereits auf dem Bürgersteig angekommen war. Die Jacke überwerfend und sie schließend, streifte er sich anschließend den Ring über und stellte zufrieden fest, dass er perfekt passte. Die Nummer auf der Karte als auch der Name des angeblichen Privatdetektives waren nichts als Lügen. Es gab keinen Hayato Matsumoto im Stadtzentrum, der darauf spezialisiert war ungelöste Kriminalfälle nochmal aufzurollen und sie endlich zu lösen und das war auch nicht seine Nummer. Ganz nutzlos war sie allerdings nicht. Wählte man sie, egal ob von einem Mobiltelefon aus oder vom Festnetz, bekämen die Gerätschaften, die man damit anrief, automatisch Zugriff auf das entsprechende Telefon und wer auch immer diese verwaltete würde sich mühelos in das entsprechende Netzwerk hacken. Eine kleine Spielerei, die Alpha unter den gegebenen Umständen als sehr sinnvoll erschienen war. Aber das war nicht das primäre Ziel dieser Nummer. Rief man diese an, so verband man sich mit einer kühlen und doch irgendwie beruhigenden Frauenstimme, welche einem einen schönen Tag, einen guten Abend oder einen schönen Morgen wünschte, ehe sie eine Internetadresse nannte. www.lookingforanswers.jp, und genau das gab die Seite auch. Antworten in Form eines Videos. Alpha fuhr sich ein wenig müde über die angestrengten Augen, ehe er die Schultern anzog und ein wenig schneller lief. Heute würde er wohl ein bisschen weiter laufen müssen, denn wenn Kenji erst mal gesehen hatte, was er gesehen hatte, würde er ganz Matsubara-Shi auf den Kopf stellen um ihn zu finden. KENJIRO Enttäuschung erfasste sein Gesicht, sein Herz, seinen gesamten Körper. Das Gefühl, endlich weitergekommen zu sein, zerbrach in den hilflos ausgestreckten Armen, wie Kristall, welcher knapp durch seine Finger gerutscht war und sich nun am gesamten Boden verteilte. Es fühlte sich an, als würde er über genau jene Scherben laufen, als sich die Wohnungstür hinter ihm schloss, und noch während Kenjiro die Visitenkarte in den eigenen Händen anstarrte, spürte er die Frustration, die er so gewohnt war, wie einen D-Zug auf ihn zurasen. Das ekelhafte Gefühl, auch die letzte Hoffnung verloren zu haben, weil er erneut einfach falsch lag, zwang ihn in die Knie. Kens Hand presste sich auf die eigenen Lippen, die noch immer von der sanften, aber kurzen Berührung zitterten. Hin- und hergerissen zwischen Übelkeit, die ihn aufgrund seiner aussichtslosen Lage zu übermannen schien, und Irritation, welche er einzig und allein wegen diesem so verwirrenden Mann spürte, packte er beide Hände auf den Boden. Vornübergebeugt fing er an zu würgen, trocken, ehe er einem Hustenschwall unterlag. Erst als dieser aufhörte und ein winziger Tropfen Speichel direkt von seinen Lippen und auf das dünne Papier zwischen seinen Fingern flog, bemerkte er, was genau Ryu ihm gegeben hatte. Kenjiro starrte die schwarzen Druckbuchstaben an, die Worte, den Namen. Hayato Matsumoto. Privatdetektiv. Sich mit unbeholfenen Bewegungen aufsetzend, aber nicht auf die Beine begebend, lehnte sich der Student mit dem Rücken gegen die schwere Holztür. Die vor Überanstrengung tränenden Augen, deren Weiß von feinen, roten Linien durchzogen war, starrten die Visitenkarte an, welche er mit ausgestreckter Hand vor sich hielt. Anschließend ließ er den Arm fallen, schlug mit dem Hinterkopf gegen die Tür und presste die Augen zusammen. Er hatte gedacht, dass er es war. Er war sich sicher gewesen, dass er ihn gefunden hatte. Wie konnte er sich nur so irren?... Die Augen langsam öffnend, blickte er anschließend zur Seite, zum Sofa; dorthin, wo er sich erst vor kurzem mit dem größeren Mann gewälzt hatte. Die Erinnerungen an die wilden Bewegungen, die fordernden Finger, die verstandraubenden Berührungen. Und dann - dieses Lächeln. Dieser Kuss. Diese Sanftheit. Passte das wirklich zusammen..? Überforderung zwang ihn dazu, den Kopf erneut gegen das Holz zu donnern. Kein Schmerz drang zu ihm durch; es veranlasste nur, dass er sich noch frustrierter fühlte. Schließlich waren die Reaktionen, die er von dem Mann - von Ryu - mitbekommen hatte, echt.. Das Würgen, die Unsicherheit, selbst dieser verlegene Blick. Wie konnte das nicht echt sein? Wie konnte sich Kenji nur so verrennen..? Es waren genau diese Gedanken, die ihn dazu brachten, doch über Hilfe nachzudenken. Schließlich hatte er sich anscheinend erneut im Kreis gedreht - wieder, selbst ein Jahr nachdem es passiert war - und er kam nicht voran. Kein Stück. Kein bisschen. Nervös suchte seine Schreibhand den Fingerknöchel seiner anderen Hand, um den Ring in nachdenklicher Manier hin und her zu drehen. Als er jedoch einen nackten Ringfinger berührte, anstelle eines warmen Metalls, wunderte er sich, ehe er verstand, dass der Ring sich dort gar nicht mehr befinden konnte. Er selbst hatte ihn abgenommen. Beide Hände in die Vordertasche seines Pullovers sinken lassend, wollte er das bedeutungsschwere Schmuckstück hervorholen, doch - da war nichts. Die Verwunderung verebbte, machte Platz für Schock und Anspannung. Der eben so schwache, in sich zusammengefallene Körper reckte sich und nur Sekunden später robbte Kenjiro über den gesamten Wohnzimmerboden. Und dennoch.. er war weg. Der Ring war weg. Sein Verlobungsring, welchen er nicht mal zum Duschen abnahm, war schlicht und einfach verschwunden. Panik ergriff von Neuem seinen Körper und die Ruhelosigkeit ließ nicht zu, dass er auch nur einen einzigen, beruhigenden Atemzug nahm. Er stürzte zum Fenster, öffnete es, wodurch ihn fast sofort eine kühle Brise heimsuchte und ihm eine unangenehme Gänsehaut verpasste. Noch während er sich über das Fensterbrett hing und fror, konnte er jedoch niemanden mehr auf den Straßen erkennen. Hatte er den Ring mitgehen lassen..? Kenjiro packte ein unbeschreibliches Gefühl - ein Gefühl, welches man verspürte, wenn man wusste, dass irgendetwas Schreckliches passieren würde. Es wollte ihn nicht loslassen, als ahnte er, dass etwas Übles vor sich ging. Die Gänsehaut ließ nicht ab von ihm, auch nicht, als er erneut das kleine Visitenkärtchen vor sein Gesicht hielt. Hayato Matsumoto. Sekunden später wählten die schlanken Finger viel zu schnell die Ziffern, welche mit schwarzer Tinte auf das Kärtchen gedruckt waren. Er verwählte sich, donnerte den schwarzen Plastikhörer auf das Telefon, ehe er ihn erneut an sein Ohr riss und einen zweiten Versuch startete. Nachdem die letzte Ziffer getippt worden war, starrte er immer noch die Karte zwischen seinen Fingern an. Ein Freizeichen. Kens Hände zitterten. Klack. „Guten Abend, leider rufen Sie außerhalb unserer Öffnungszeiten an.“ Es war eine Frauenstimme, wie man sie aus der Werbung kannte, und als sie an Kenjiros Ohr drang, setzte bei ihm fast sofort das Gefühl von Niederlage ein. Bedrückt wollte er den Hörer entfernen und erneut auf die schwarze Gerätschaft fallen lassen, doch plötzlich - er zögerte. „Falls Sie jedoch nach Antworten suchen, besuchen Sie folgende Adresse.“ Kenji schrak zusammen, langte fast sofort nach einem winzigen Bleistift, welcher direkt neben dem Telefon auf der Kommode lag, und kritzelte die kleinen, von der Frauenstimme genannten Buchstaben auf die Vorderseite der Visitenkarte und direkt unter die gewählte Telefonnummer. Als der letzte Buchstabe genannt war, ertönte ein Klicken und die Verbindung starb. Kenjiro, welcher noch immer den Hörer in Händen hielt und von einem schrillen Ton angeplärrt wurde, starrte die Adresse an, welche er soeben notiert hatte. lookingforanswers. [...] Er saß vor dem Holztisch. Nicht auf dem Sofa, sondern auf dem grünen Teppich, auf den eigenen, angewinkelten Beinen. Ungeduldig wartete er, dass sein schon recht alter Laptop hochfuhr, tippte sein Passwort ein - und anschließend und nachdem er einen Internetbrowser geöffnet hatte, die Buchstaben der Visitenkarte. L, o, o, k, i, n, g, f, o, r, a, n, s, w, e, r, s, Punkt, j, p. Noch während die weiten Augen auf den Laptop starrten und sich in den gereizten Iriden all das spiegelte, was vor ihm passierte, zögerte er schließlich nicht. Sein Herz schlug. Und er presste Enter. ALPHA Die Seite brauchte nicht lange um vollständig geladen zu sein, bot sie letztendlich doch nicht mehr als einen schlichten, schwarzen Hintergrund und den in ihm eingefassten Rahmen einer Videodatei. Das Bild sprang, neben dem kleinen Balken, der den Fortschritt des Videos zeigte, sofort an. Die Lautstärke schien dauerhaft auf moderater höhe eingestellt zu sein, sodass man vom ersten Wort an problemlos mithören konnte. "Klar kannst du das aufnehmen, aber lösch es dann, okay Babe?" Der nackten Frauenkörper bewegte sich grazil im Takt der im Hintergrund laufenden Musik, während sie ein bisschen wackelig Gin in zwei Gläser füllte. Geschmückt mit Pfefferminzblättern, kürte sie ihre Kreation schlussendlich mit zwei dünnen Zitronenscheiben, ehe sie sich halb zu dem Kameramann umdrehte und sich lasziv den Zitronensaft von den Fingern leckte. "Das gefällt dir, was?", schmunzelte sie, ehe sie ihr eigenes Haar schwungvoll nach hinten warf um einen besseren Blick auf ihren Körper zu geben. "Komm schon, ich mir so viel Mühe gegeben!", protestierte sie auf eine Aussage hin, die offenbar aus dem Video entfernt worden war und der eine zweite folgte, da sie schließlich antwortete: "Ist das so?" Ihr Schmunzeln wurde zu einem Grinsen. Dann drehte sie sich vollends um und präsentierte zwei schöne, tropfenförmige Brüste mit harten Knospen, einen flachen Bauch, feminine Hüften und einen vollkommen blanken Venushügel. Sie war glattrasiert und hatte knapp vor dem Übergang zwischen Bein und ihrem Geschlecht ein kleines Tattoo, das dank des eher schwachen Lichtes kaum zu erkennen war. Hanako begann sich auf den Kammeramann zuzubewegen, ihn nicht einen Moment auf den Augen lassend. "Du machst mich wirklich scharf...", raunte sie ihm, kaum, dass sie bei ihm war, entgegen. Man konnte gut erkennen, dass sie Make-Up für einen Besuch in eine Lokalität aufgelegt hatte, in welcher das Licht meist schummrig war und man sich schon anstrengend musste damit die eigenen Schminkfertigkeiten gewürdigt werden konnte. Trotzdem das aber so war, konnte man auch erkennen, dass sie schon ein paar Drinks intus haben musste. Ihre Augen schienen seltsam feucht und ein bisschen unkonzentriert. Wenig später ging sie auch schon vor ihm auf die Knie und öffnete ihm hörbar die Hose. Dann folgte ein beinahe aufgeregtes Quietschen. Das Bild wanderte von der Anrichte mit den Getränken zu Hanako, die ihn von unten herauf zweifelsohne lüstern anblickte. "Es war eine verdammt gute Entscheidung, dich abzuschleppen.", grinste sie, ehe sie nach etwas außerhalb des Bildes griff und begann, den Kopf in eindeutigen Gesten zu bewegen. Immer wieder spreizte sie dabei die Beine und griff mit der jeweiligen, freien Hand immer an einen Ort außerhalb des Bildes. Nasse Geräusche unterschiedlicher Art erfüllten die Szene Minutenlang, nur durch gelegentliches Stöhnen und Keuchen der Frau unterbrochen, die manchmal abließ um mit der Hand weiter zu machen, sich über die geröteten Lippen zu lecken, zu ihm auf zu sehen und das Spiel mit dem Kopf zu wiederholen. Irgendwann schien eine Hand nach ihr zu greifen und sie davon abzuhalten, weiter zu machen. Stattdessen gaben die Finger ihr ein Kondom, was sie glücklich entgegennahm und gekonnt öffnete. Die Szene wechselte abrupt und man sah, wie sie sich über ein helles Sofa beugte und laut und lustvoll stöhnte, während der Kammermann hart und unbarmherzig in sie stieß. Immer wieder griff sie sich selbst hart an die Brüste, biss sich auf die Lippen und zeigte deutlich gerötete Wangen und als das Tempo anzog, schrie sie beinahe nach mehr. Die Szene brach ein zweites Mal ab, allerdings war das, was danach kam, völlig anders. Es bewegte sich nun nichts und niemand mehr und Hanako lag, aufgeschlitzt und tot, genau so da, wie sie ihr Freund und wenig später die Polizei finden sollten. Dann wurde es erneut schwarz und Alpha sah vom Display seines Handys auf. Er war noch drei Stationen von seinem Ziel entfernt und er begann langsam von dem kalten Licht der Straßenbahn Kopfschmerzen zu bekommen. Die Dinge würden sich in Zukunft etwas ändern, das wusste er. Umso sinnvoller war es, Daiki Nagishiki aus seiner Wohnung nahe dem Clubviertel ausziehen zu lassen. Mit schnellen Fingern beseitigte er die Internetseite mit dem Video und schrieb dann an seine unverbindliche Vermietung. Er würde heute noch ausziehen, ein Nachmieter sei gefunden und seine Sachen wären raus. Das waren sie tatsächlich - eine andere, auf dem Weg zur Bahn geschriebene Nachricht hatte dafür gesorgt. Gesendet. Jetzt musste er nur endlich ankommen. KENJIRO Er übergab sich. Er kotzte, aus Mund, aus Nase, er kotzte heftig und er kotzte sich die Seele aus dem Leib. Bis zu dem Zeitpunkt, in welchem nur noch übelriechender Speichel aus seinem Mund flog und seine nun nasse Hand bedeckte, welche er sich verzweifelt, hilflos, doch vergebens gegen die Lippen gepresst hatte, um die Übelkeitsschwalle in sich zu behalten, blieb er gekrümmt und neben dem Sofa sitzend ... neben dem Sofa, welches er selbst in dem Video gesehen hatte. In dem Video, in welchem er Hanako gesehen hatte. Wie sie nackt tanzte, wie sie sich räkelte, wie sie ihm einen blies, wie sie sich von ihm ficken ließ - und wie ihr toter Körper das Blut auf den Laken verteilte. Auf ihren gemeinsamen Laken... Während Galle in seinem Rachen brannte, seine Hände und ein dunkler Fleck auf dem Teppich stanken, rauschten Tränen über seine Wangen, benetzten die geröteten Augen, die vor Verständnislosigkeit geradezu verzerrt waren. Kenjiro atmete dermaßen schnell, dass kein Sauerstoff an sein Hirn gelangte, und doch - er spürte alles. Die Verzweiflung, die Angst, den Ekel, den Brechreiz, den Hass, die Überforderung, sein Entsetzen. All das drohte aus ihm herauszubrechen, ihn zu zerbrechen, und ohne zu merken, wie lange er schon auf einen schwarzen Bildschirm starrte, fing er an zu weinen. Die ohnehin schon nassen Augen kniffen sich zusammen, er kippte vornüber und öffnete den Mund - und es kam nicht mehr heraus, als verzweifelte Schreie, die allein von einem Schluchzen immer wieder jäh unterbrochen wurden, nur um anschließend erneut aus seinem Leib zu brechen. Kenjiro weinte wie ein Kind, er schluchzte, er heulte, und er hörte erst auf, als ihm die Stimme versagte und sich sein Rachen taub anfühlte. [...] Mit zitternder, noch feuchter Hand griff er erneut zu der Computermaus. Langsam glitt der Cursor über den Bildschirm und stoppte erst, als er bei dem winzigen Dreieck - dem Playbutton - ankam. Mit rasselndem Atem starrte er das Schwarz des Laptops an. Er zitterte am gesamten Körper. Und trotzdem.. Er drückte Play. Nichts geschah. Der überforderte Leib zuckte, beförderte sich in eine Hocke, und er drückte erneut Play. Er drückte und drückte, doch es passierte nichts, und als er kurzerhand F5 drückte, war das einzige, was er noch sah, eine Seite mit dem Titel 'Error 404'. „Nein“, presste sich fast unverständlich und heiser aus ihm hervor. „Nein, nein, nein, nein!“ Die Augen wurden größer, die trocknende Haut seiner Wangen zog unangenehm. Er drückte erneut F5. „Nein!“ Ken sprang auf die zittrigen Beine, hämmerte auf die F-Taste, doch nichts geschah, nichts veränderte sich. Das einzige, was folgte, waren heisere Schreie und weit entfernt das Pochen eines Besenstils, welcher auffordernd gegen eine Wohnzimmerdecke geschlagen wurde. [...] Kenjiro stoppte mitten im Wohnzimmer. Sein Blick galt einem großen Spiegel, welcher neben der Schlafzimmertür hing. Darin erkannte er sich. Er erkannte das, was von ihm übrig geblieben war. Laut klirrend zerbrach der Spiegel in tausende Scherben, als Ken nach einem Küchenstuhl gegriffen und ihn ohne zu zögern in das Glas befördert hatte. Die hastigen Bewegungen stoppten hier jedoch nicht. Ohne sich um den Kotzfleck oder die Scherben zu kümmern, rannte der Student ins Schlafzimmer. Er schmiss die Schlafzimmertür auf, welche mit einem lauten Knall gegen die dahinterliegende Wand krachte, und er kramte nur wenige Sekunden lang in der Kommode, welche auf Hanakos Seite des Bettes stand. Anschließend stieg er auf das Bett, dessen Federung schwach unter seinen Füßen nachgab; er köpfte einen roten Edding mit den Zähnen, spuckte den Deckel auf den Boden und - nachdem er wenige Fotos und Zeitungsartikel in der Mitte des Gebildes von der Wand gerissen hatte - setzte an. R Y U Erst als er den letzten Buchstaben mit wilden Strichen und zum dutzendsten Mal nachgefahren war, entfernte er sich wenige Schritte von der Wand. Schmerzhaft schnell atmend, sodass sich sein Brustkorb unüblich rasch auf und ab bewegte, starrte er die drei Buchstaben an. Er war es. Er war es. Er war es. Kenjiro hatte die Finger erkannt. Die Tattoos. Ryu hatte ihm die Karte gegeben. Er hatte sie unter Drogen gesetzt. Er hatte sie abgeschlachtet. Er hatte sie auf dem Gewissen. Er. Ken würde ihn kriegen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)