When a good man goes to war von Virgil_Oswin_Wrigh ({he. is. mine.}) ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel: Zu dir oder zu mir? ------------------------------------------ KENJIRO „Ich hatte gedacht, du seist mit uns hier!“, plärrte eine junge Frau mit erstaunlich langem Haar, als sie versuchte, die rauchige Stimme, die träge aus der Jukebox drang, zu übertönen. Während eine ihrer Hände zu einer Faust geformt und in empörter Manier gegen die eigene Seite gestemmt war, deutete ihre andere Hand auf einen runden Holztisch im hintersten Eck des Pubs. Dort saßen zwei weitere Gestalten, die fragende Blicke in die Richtung des dunkelhaarigen, angesprochenen Jungen schickten. Kenji warf einen warnenden Blick über die eigene Schulter und nahm sich somit offensichtlich nicht mal die Zeit, sich zu der langhaarigen Dame umzudrehen. „Sei still!“, fauchte er, reichlich angespannt. „Sie wissen etwas über den tattoowierten Kerl!“ Er nickte zu dem Tisch, an welchem er stand und an welchem drei Mädchen saßen. Laut und sichtlich gereizt schnaubend, machte die Dame auf dem Absatz Kehrt und stapfte zu dem Ecktisch zurück. Die rotbraunen Augen wandten sich derweil wieder zu den Mädchen, um seine Frage, die er soeben schon mal gestellt hatte, zu wiederholen: „Wer ist der Kerl?“ Einen unsicheren Blick durch die Runde werfend, antwortete schließlich eine des Dreiergespanns. „Na ja, wir wissen eigentlich auch nichts genaueres über ihn“, murmelte sie, ehe sie auch schon von dem größten der Mädchen unterbrochen wurde. „Sie findet ihn nur scharf!“ „Das ist gar nicht wahr!“ - die Reaktion, die ein Erröten mit sich zog, brachte die anderen beiden zum Kichern. Ein lauter, dumpfer Knall ertönte, welcher nicht nur die drei jungen Frauen, sondern auch Gäste an anderen, naheliegenden Tischen erschrocken zusammenfahren ließ. Kenjiro blickte die Mädchen schließlich zornig an. „Ihr könnt mir also gar nichts über ihn erzählen?“, presste er hervor, als stünde sein Geduldsfaden unter enormer Anspannung. Langsam zeigte sich eines der Mädchen sichtlich genervt. „Nein, wieso? Findest du ihn etwa auch scharf?“, scherzte sie trocken. Das veranlasste Kenjiro, schwunghaft aufzustehen. „Zeitverschwendung!“, kotzte er gestresst, ehe er dem Tisch den Rücken kehrte. Obwohl er die enttäuschten Blicke auf sich spürte, trottete er wieder zu dem Tisch mit seinen drei Freunden zurück. Die junge Frau mit dem langen Haar schnaubte erneut genervt, während sich andere nicht so zurückhaltend gaben. Ein Blondschopf mit beachtlich großer, aber durchaus schlacksiger Statur und Brille meldete sich zu Wort: „Du machst uns den Abend kaputt, das ist dir klar, Ken?“ Kenjiro platzierte indes beide Arme auf dem Holztisch und ließ den Kopf darauf sinken. Frustration machte sich in seinem gesamten Leib breit. Es war das zigste Mal, dass er sich nach draußen und schließlich hierher begeben hatte - und erneut schien das Ganze zu nichts zu führen.. „Mensch, Ken“, eröffnete ein anderes Mädchen mit frecher Kurzhaarfrisur, deren Ohrringe größer waren als ihre Brüste. „Hier laufen hunderte solcher Gestalten rum! Was versprichst'n dir davon? Schau, da hinten, allein bei dem zähle ich schon fünf Tattoos - und das sind nur die, die ich sehen kann!“ Kenji wandte sich minimal in die Richtung, in welche das Mädchen nickte. Anschließend murmelte er: „Der hat keine Brille.“ „Na, vielleicht trägt er jetzt Kontaktlinsen? Schon mal daran gedacht?“ Er verengte die Augen. Natürlich hatte er bereits an so etwas gedacht. Nicht umsonst hatte er die Freundin des muskulösen Tattoowierten gefragt, ob ihr Freund eine Sehschwäche besaß. Was glaubte sie, dass er ein nichtsnutziger Amateur war? Dass er sich nicht ausreichend ins Zeug legte? Kenji presste die Zähne aufeinander und schluckte jeden weiteren Kommentar herunter. Wegen den Dreien würde er sich am Ende nur im Kreis drehen und nicht voran kommen! „Selbst wenn!“, platzte das langhaarige Mächen in das karge Hin und Her hinein. „Ich habe keine Lust mehr! Andauernd geht es um den tattoowierten Kerl und Hanako! Hanako hier, Hanako da! Können wir nicht endlich mal über etwas anderes reden!?“ „Asako..“ „Nein, ich habe keine Lust mehr!“ Sie stand auf, griff sich ihre Jacke, welche sie achtlos über die eigene Stuhllehne geworfen hatte, und schmetterte ein paar grüne Scheinchen auf den Tisch. „Wisst ihr, worauf ich Lust habe?“, sprach sie, wobei man keine ernsthafte Frage heraushören konnte. Dafür klang sie zu trotzig. „Auf eine Disco! Wie sieht es aus, möchte mich jemand begleiten?“ Ohne abzuwarten, ob sich jemand als Begleitung meldete, verließ sie den Tisch. Die restliche Meute zögerte, ehe sich auch die anderen - und schlussendlich alle außer Kenjiro - erhoben. Der frustrierte Japaner würdigte seine Freunde dabei nicht eines Blickes „Sorry, Ken“, schmiss der Blondschopf in die sich auflösende Runde, ehe er dem langhaarigen Mädchen folgte. Bevor er sie jedoch erreichen konnte, wurde er von der flachbrüstigen, jungen Frau, die sich ebenso Kenjis Freundeskreis schimpfte, zurückgehalten. „Was ist?“ Sie nickte zu ihrem Tisch zurück. „Wir können ihn doch nicht so hier lassen? Allein?“ „Was willst du machen?“ Auch Blondie klang ein wenig entnervt. „Es ist jedes Mal dasselbe.“ Die Kurzhaarige zögerte. „Ich werde ein paar Drinks springen lassen.“ Blondie zuckte mit den Schultern. „Dann viel Erfolg dabei.“ Er wandte sich zum Gehen, doch bevor das Glöckchen am Eingang erklang, drehte er sich nochmal um. „Hey! Sachiko!“ Die Angesprochene blickte ihm überrascht entgegen. „Komm nach, wenn dir die Laune vergeht. Wir sorgen dafür, dass sie wieder kommt, keine Sorge!“ Sachiko verdrehte die Augen, blickte erneut zum Tisch, an welchem das Überbleibsel mit sich rang, und steuerte schließlich die Bar an. Sie war der festen Überzeugung, dass Alkohol auch hier Wunder bewirken konnte. Kenjiro hingegen hatte den Glauben an Wunder schon lange verloren. Nervös und in Gedanken wippte er stetig mit einem Bein, während er tief in den eigenen Stuhl gerutscht war. Er starrte ein Bild auf der Wand an, während er von Neuem und mindestens zum tausendsten Mal das durchging, was in jener Nacht passiert sein konnte, als er von seinem Freundeskreis zurückkehrt war und seine Verlobte tot und massakriert in der eigenen Wohnung aufgefunden hatte... Wer hatte das Hanako antun können? Wer hatte das ihm antun können? ALPHA Ganz langsam und mit Bedacht begann er, kaum, dass er aus dem vollen und lauten Club getreten war, die kühle Nachtluft bis in den letzten Winkel seiner Lunge zu füllen, während er mit der Schulter gegen die Wand links neben ihm gelehnt stand. Die Hände in die Taschen der eigenen Jacke schiebend, ging sein Blick hinaus auf den direkt an ihm vorbeiführenden Bürgersteig und obwohl ihn kaum ein halber Meter von den vorbeilaufenden Passanten trennte, sah ihn niemand. Völlig eingehüllt in die Dunkelheit der Gasse, die er genommen hatte, nachdem er unerlaubterweise das Tanzlokal durch den Hinterausgang verlassen hatte, blieben seine Iriden hier und da an dem einen oder anderen hängen. Kurze Haare, hohe Schuhe, Röcke, Hosen, ein Schal, Handtaschen, ein Handy, eine Zigarette, Rauch, Asche, eine Geldbörse, Geldscheine, eine Kette, ein Lächeln, zusammengepresste Lippen, müde Augen, eine große Nase. Sekundenlange Eindrücke rauschten an ihm in einem unbeherrschten Tempo vorbei, ihn ein wenig wirr, ja fast unkonzentriert werden lassend und gerade, als er fürchtete vollends den Faden und ein Ziel für diese Nacht zu verlieren, sah er sie. Ihr Haar war lang...so beeindruckend lang und obwohl ihr glockenhelles Gelächter von Herzen zukommen schien, erreichte es nicht ihre Augen. In diesen lag etwas anderes, etwas verborgenes - ein Geheimnis, das nur sie kannte. Alpha richtete sich auf und straffte die Schultern während die Zeit sich verlangsamt zu haben schien. Innerhalb eines Herzschlages hatte er ihre gesamte Gestalt in sich aufgenommen; hatte ihren dezenten Schmuck und ihre vollen Lippen registriert, bemerkte ihre seltsame Art sich die langen Strähnen hinter die Ohren zu streichen und wusste ihm die Eigenschaft ihrer Haare, zu schwer und zu glatt zu sein, als das sie sich hinter der Ohrmuschel hätten aufhalten können. Ihre Augen wanderten, auf der Suche nach Bestätigung, zu ihrer Begleitung. Ein zweiter Herzschlag verging und wie in einer Momentaufnahme veränderte sich alles, was er im ersten Bild von ihr eingefangen hatte. Ihr Lachen verschwand und mit ihr der Blick. Sie hatte nicht bekommen, was sie wollte. Enttäuschung ließ ihre Gesichtsmuskulatur beinahe förmlich erschlaffen und aus dem Leuchten wurde ein fahler Nachgeschmack. Sie nahm die Hand herunter und ihre Arme hingen wenig ambitioniert schlichtweg an ihren Seiten. Der Körper begann sich der Laufrichtung anzupassen. Ein dritter Herzschlag, ein drittes Bild: Nun sah sie gerade aus und obwohl es noch immer so besonders schien, dass ihr Haar eine beachtliche Länge hatte, war sie jetzt nicht mehr als alle anderen um sie herum. Bevor sie hinter den Mann verschwand, der bisher immer einen halben Schritt hinter ihr gewesen war, sah er, wie ihr Gesicht beinahe wächsern wurde und wie sie, einer Puppe gleich, jeden Ausdruck verlor. Als sie und ihre Begleitung an ihm vorbeigeschritten und aus seinem Blickfeld herausgetreten waren, holte die Zeit wieder auf. Plötzlich verlief nichts mehr langsam und das Rauschen der Autos, die direkt hinter dem Bürgersteig an ihm und all den anderen Nachtgeschöpfen vorbei fuhren, gewann an immenser Intensität. Er hatte nicht bemerkt, wie er die Hände aus den Taschen und zu Fäusten geballt hatte. Nun entspannte er die völlig verkrampften Finger wieder, lockerte sie ein bisschen und ließ sie im Anschluss ein weiteres Mal in die Taschen gleiten. Dann, einen günstigen Moment abpassend, gliederte er sich in den Menschenstrom vor sich ein, welcher ihn ohne Widerstand einfach aufnahm. Einer von vielen seiend, lief er mit gesenktem Kopf und angezogenen Schultern einfach gerade aus. Nichts, was um ihn herum geschah, schien jetzt noch von Bedeutung zu sein und kaum, dass er fünf Minuten gelaufen war, hatte er sie auch schon wieder vergessen. Sin lief mit festem Schritt und doch völlig aus dem Takt mit den anderen. Immer schien er ein bisschen weiter vorn, manchmal ein bisschen weiter hinten zu laufen. Wenn sich sein Körper zum Vorwärtsschritt herabsenkte, hoben sich die der anderen im Aufschwung zu einem neuen Schritt. Als einziges, völlig asynchrones Teilchen wurde er bald auch schon wieder von der Masse ausgeschieden und strandete, ohne von der liebevoll gestalteten und alles andere als japanischen Fassade Notiz zu nehmen, vor einem Irish Pub. Er zögerte nicht, die drei flachen Stufen zur Tür hinauf zur nehmen, die Hand nach der Klinge auszustrecken und sie herunter zu drücken. Ein leises Läuten kündigte seine Ankunft an und der eine oder andere nahm seine Ankunft wahr. Aber er kannte hier niemanden - und niemand kannte ihn. Jedenfalls glaubte er das, weswegen er zielsicher die Bar anstrebte. Der einzige Ort, an dem es nicht verdächtig aussah wenn man alleine in sein Getränk starrte. Die Kälte von draußen in der Wärme des Lokals abschüttelnd, bezog er Stellung neben einer Frau mit kurzen Haaren. Sie schien nicht für sich allein zu bestellen, weswegen sie noch immer wartete. Die eigene Jacke öffnend, zog er sie wenig später auch schon aus, während sie ein wenig ungeduldig mit den Fingerspitzen auf dem Holz des Tresens herum tippte. Alpha erwischte sie dabei, wie sie ihn musterte. So unauffällig wie möglich und doch reichlich ungeschickt glitt ihr Blick über seine tätowierten Hände, hinauf zu seinen tätowierten Armen, über seinen tätowierten Hals und dann in sein Gesicht. Ihre Blicke trafen sich und während er sie durch eine dunkle Brille hindurch ansah, glaubte er eine Art Erkenntnis als auch Überraschung und Neugier in ihren Iriden gesehen zu haben. Dann rutschten mehrere Gläser vor ihr auf die Theke und ein künstliches Lächeln kroch falsch auf ihre Lippen. Alpha wandte sich ab und ließ sich auf dem Hocker mit der kurzen Lehne, über welche er seine Jacke gehängt hatte, nieder. "Ein kühles schwarzes.", verkündete er der Barkeeperin. Die nickte, wandte sich kurz ab und reichte ihm auch schon wenig später einen Untersetzer, eine Flasche und eine kleine Schale Erdnüsse. Sich eine davon in den Mund schiebend, vertrieb er den unnatürlich salzigen Geschmack mit einem Schluck seines Bieres und begann dann, das Etikett seiner Flasche zu hypnotisieren. KENJIRO Klonk. Kenjiro brach aus seiner Starre, als nicht nur sechs kleine Schnapsgläser vor ihm auf den Holztisch krachten, sondern auch noch Sachiko in seinem Blickfeld auftauchte. Das kurzhaarige Mädchen ließ sich ihm gegenüber auf eine Bank fallen, während sie ein wenig überzeugendes Grinsen auflegte. „Willkommen zurück unter den Lebenden, Dornröschen, hier ist dein Prinz!“ Die blutroten Flüssigkeiten fixierend, aus denen ein starker, alkoholischer Geruch drang, wirkte Kenji wenig begeistert. „Wolltest du nicht mit den anderen verschwinden?“, murmelte er, ohne seine missgelaunte Art zurückzuhalten. „Vergiss die“, winkte sie ab, ehe sie sich einen Shot krallte und ihn zwischen ihren langen Fingern hin und her zwirbelte. Noch während sie ihren Gegenüber anstierte, zogen sich ihre Augenbrauen zusammen, als würde sie angestrengt nachdenken. Tatsächlich nahm das Mädchen völlige Unsicherheit ein, denn dort, im Rücken von Kenjiro und somit ungeachtet von ihm, hatte sich jemand hingesetzt, der ihr keine Ruhe ließ. „Was?“, fragte schließlich ihre Begleitung, die Frustration in eine genervte Stimme legend, als er sich angestarrt fühlte. Dass Sachikos Blick eigentlich immerzu auf jemand anderen fiel, bemerkte er nicht. Das japanische Mädchen haderte mit sich. Einerseits saß dort jemand, der haargenau auf die Beschreibung des Mannes, von welchem Kenji fast zu jeder Sekunde sprach, passte, andererseits hatte sie den festen Entschluss gefasst, ihren Kumpel auf andere Gedanken zu bringen. Auch sie war es Leid, dass sich alles für ihn nur noch um eine einzige Sache drehte - und dass sie den Kenjiro, den sie so sehr gemocht hatte, zu verlieren schien. „Hier“, entgegnete sie schließlich, fasste nach einem Shotgläschen und stellte es vor Ken hin. Ihr ganzes Gebaren wirkte unentschlossen und doch nahm sie die nächsten Worte in den Mund: „Du solltest ein bisschen lockerer werden, weißt du?“ Die Aussage veranlasste den Dunkelhaarigen dazu, das Gesicht zu einer erbosten Grimasse zu formen. „Lockerer!?“, platzte es aus ihm heraus. Sachiko warf abwehrend beide Hände in die Luft. „Entspann dich, Ken. Niemandem ist geholfen, wenn du hier rumschreist.“ Es war anstrengend, mit ihm zu reden. „Du weißt, dass ich dir nichts Böses will, oder?“ Kenji fuhr sich durch das wirre Haar, atmete tief durch und versuchte die nächsten Worte weniger laut und weniger von Zorn zerfressen zu formulieren. „Ich will mich nicht entspannen.“ „Ich weiß“, antwortete seine Begleitung - die einzige, die sich nicht von ihm verschrecken lassen hatte - und sie seufzte leise. „Aber, wer weiß, vielleicht siehst du dann alles aus anderen Augen? Vielleicht fallen dir Sachen auf, die dir vorher nicht aufgefallen sind?“ Sie erntete einen gereizten Blick, welcher jedoch anschließend in sich zusammenfiel. Ken hatte schließlich nichts zu verlieren. Dieser Abend hatte - wie so viele andere zuvor auch - nichts gebracht. Die drei Mädchen vom anderen Tisch also hinter sich kichern hörend, packte er das kleine Schnapsglas und kippte es in einem Zug hinunter. „So ist es richtig!“, grinste Sachiko, deren Blick kurzerhand erneut auf den speziell aussehenden Mann am Tresen fiel. Das Grinsen bekam einen auffälligen Knacks und eine Art schlechtes Gewissen wusch über sie. Was, wenn das tatsächlich der Mann war, nach welchem Kenji fast ein ganzes Jahr Ausschau hielt? Der Gedanke, dass dieser Kerl,... eine Gänsehaut packte sie, doch verdrängte Sachiko die Vorstellung fast augenblicklich. Es war nicht nur absurd, sondern völlig unwahrscheinlich. Weswegen suchte Ken einen tätowierten Mann mit Brille? Weil dieser sich an jenem Abend angeblich in dem Pub aufgehalten hatte. Wie viele andere auch. Es sagte nichts aus. Gar nichts. Und doch.. „Ken“, murmelte sie, als der Student nach einem weiteren Shot langte. „Ken.“ „Was?“, erwiderte er unbeeindruckt, ehe er auch diesen Schnaps hinunterkippte. Er merkte im hintersten Eck seines Kopfes, wie die brennende Flüssigkeit versuchte, ihn von all den schmerzlichen Gedanken abzuschirmen und einzulullen. Mit dem hohlen Klirren, welches das Glas verursachte, als er es wieder auf die Tischoberfläche donnerte, und Sachikos nächsten Worten, war das angenehme Ziehen, das sich immer mehr in ihm aufbaute, allerdings mit einem Mal vergessen. „Da sitzt ein tätowierter Kerl mit Brille an der Bar.“ Kenjiro erstarrte. Unwissend, ob es der Alkohol oder das plötzlich ausgeschüttete Adrenalin war, wurde ihm klamm und heiß und als er seinen Kopf wie in Zeitlupe umwandte, starrte er tätowierten Oberarmen entgegen. In dem abgedunkelten Licht erkannte er nicht viel und dennoch wusste er haargenau, von welchem Kerl sie sprach. „Tut mir Leid, ich dachte-“ Er herrschte sie mit einem wuterfüllten Blick still. Anschließend stand er auf, ein wenig zu schnell, sodass die Stuhlbeine laut knarrten. Als sich Kenji vom Tisch entfernte, konnte er irgendwo hinter sich nur ein frustriertes „Verdammt..“ hören, doch es hielt ihn nicht davon ab, das Mädchen alleine zu lassen. Ohne zu zögern und wahrscheinlich auch, weil sein Denkvermögen sowie Schamgefühl nach und nach von dem hochprozentigen Schnaps beeinflusst wurden, nahm er auf dem Hocker neben dem tätowierten Fremden Platz. Zuerst schielte er nur die Arme und Hände an, als der Mann zu der Schale voll Nüssen griff, ehe sein Blick auf dessen Hals und die Brille fiel. Das Schielen wurde zu einem angestrengten Starren und bevor er sich versah, war sein gesamter Körper zu dem Fremden gewandt, ehe er sich selbst sagen hörte: „Bist du oft hier?“ ALPHA Er spürte, dass ihm das nicht genug war. Tropfen dabei zu beobachten wie sie einen Flaschenhals hinunter rannen und sich am aufgeweichten Etikett erhängten, war keine Beschäftigung für seinen Verstand und doch... Alpha empfand nicht das Bedürfnis aufzustehen und wieder zu gehen. Der Hocker war bequem, der Pub war warm und die Musik war akzeptabel. Ohne eine erkennbare Regung im Gesicht begann er damit, mit spitzen Fingern an dem Papier herum zu pfriemeln. Obwohl der Leim leicht nachgab und es einfach gewesen wäre, alles in einem Ruck zu lösen, tat er es nicht, einfach, weil er dem Augenschein nach dann nichts mehr zu tun gehabt hätte. Und, weil er sonst nicht gewusst hätte, wie er seine Hingabe für die Gespräche hätte verbergen sollen, die ihm ihn herum stattfanden. Sin war sich der meisten anwesenden Menschen sehr bewusst. Ihre Stimmen blieben einzelne Frequenzen und vermischten sich nicht etwa zu einer gewaltigen Masse, die von dem Geplärr der Jukebox zusammengehalten wurde. Ebenso verhielt es sich mit deren zuweilen sehr eigenen Düften, die ihre Sitzpositionen, ihre Geschlechter und viel zu oft ihre Unsicherheiten ob ihres eigenen Körpergeruchs verrieten. Nur einige wenige konnten sich einer derartigen Prüfung seinerseits entziehen. Noch jedenfalls. Er hatte es heute nicht eilig und vielleicht, nur vielleicht würde er- Mitten in den eigenen Gedanken innehaltend, fühlte sich der Dunkelhaarige, als hätte ihm jemand einen seichten Stromschlag verpasst. Alle seine Sinne sprangen zuerst aus ihrer gewohnten Routine und Arbeit heraus, ehe sie sich merklich justiert zurückmeldeten. Alpha überkam das Gefühl, kurz vor einem Déjà-vu zu stehen, aber es ergriff ihn nicht und er konnte es nicht packen. Was war das? Egal wie sehr er sich auch darauf konzentrierte, er begriff nicht und dann erklang eine ihm völlig unbekannte Stimme mitsamt einem Geruch, der ihm zweifelsohne fremd war...und doch bekannt. Ohne große Eile drehte er den Kopf zur Seite, nicht damit aufhörend das Etikett zu zerpflücken. Sein Verstand gab sich ob der Situation sehr verwirrt und schaffte es nicht, die vielen Bilder, die sich um die fremde Person herum gebildet hatten, übereinander zu schieben um des Rätsels Lösung zu projizieren. Sein Mienenspiel indes war und blieb eher eintönig und als er die seltsam gefärbten Augen auf das junge und doch zermürbte Gesicht richtete, tat er das ohne Erkennung, ohne Rücksicht, ohne Misstrauen und ohne Vorsicht zu signalisieren. "Wer möchte das wissen?", gab er zurück, ohne die Frage des fremden Mannes zu beantworten. Wenn Alpha eine Vermutung hatte, weshalb man an einem bestimmten Verhaltensmuster seinerseits interessiert sein könnte, so verbarg er dies gut. Im Augenblick war er nur ein Fremder, der von einem Fremden eine fremdartige Frage gefragt wurde. Woher kannte er nur diesen Duft...? KENJIRO Obwohl Kenjiro sich eh und je fixiert gab und nur eines im Sinn hatte, konnte man deutlich erkennen, wie ihn der Anblick der schwarzroten Augen aus der Bahn warf. Seine Augen weiteten sich milde, er stockte und starrte. Einen derartigen Anblick hatte er noch nie gesehen, schon gar nicht von Angesicht zu Angesicht, und obwohl er sich mittlerweile oft an solchen Orten aufhielt, merkte man ihm an, dass das Aussehen des Fremden ihm Unbehagen bereitete. Der Alkohol ließ jedoch keinerlei Vorsicht zu. Ihm wurde warm, deutlich warm, und doch - sein Verstand ratterte. Die Gedankengänge, dass die Antwort des fremden Mannes verdammt geschickt war, sodass es Kenji aufregte, konnte selbst der Schnaps nicht abtöten, und so fragte er sich, wie er vorgehen sollte, ohne auf irgendeine Art und Weise absurd zu wirken. Er konnte sich nicht leisten, den Tätowierten so einfach gehen zu lassen, ohne auch nur den Verdacht gestillt zu haben, dass er nicht derjenige war, der seine Verlobte auf dem Gewissen hatte. Doch irgendetwas in ihm, sei es seine Oberflächlichkeit oder der Frust, endlich Antworten zu erhalten, wollte den außergewöhnlich aussehenden Kerl bereits in eine Schublade stecken.. Er kam nicht umhin, zu schnauben. So vorsichtig er sich auch benehmen musste, Ken bekam nicht das hin, worum ihn Sachiko erst gebeten hatte: er wirkte nicht locker. Dennoch stemmte er einen Ellbogen auf die Bar, um zumindest den Eindruck zu geben, als wollte er sich nur ein wenig die Zeit vertreiben und als wäre er nur an einem kleinen Plausch interessiert. Es sprach nichts dagegen, in gewöhnlichen Pubs gewöhnliche Bekannschaften zu schließen, richtig? Anscheinend hatte das Hanako ja des Öfteren ebenso getan.. „Kenji“, antwortete er ein wenig zu ernst, die letzte Silbe seines Namens bewusst weglassend. „Also?“, hakte er anschließend und fast sofort nach. „Bist du hier im Pub oft unterwegs?“ Er merkte, wie ihn der Schnaps immer mehr beeinflusste, wie er ihn sogar dazu brachte, nervös mit dem Fuß zu tippeln. Seine Zunge wurde lockerer, er womöglich aufdringlicher, doch konnte er sich nicht dazu bringen, den Mund zu halten. Anstatt dessen nickte er zu dem Tisch mit den kichernden Weibern. „Bist du wegen den Mädchen hier?“ ALPHA Wenn er eines in den vergangenen Jahren gelernt hatte, so war er der todessichere Umstand, dass es für das Verhalten von Menschen immer einen Grund gab. Auch, wenn er schon lange aufgegeben hatte, sich zu wundern weshalb das so war, konnte er nicht anders als sich, während er den ihm zugewandten Mann betrachtete, zu fragen, was die Intention des anderen war. Aus welchem Grund hatte sich gerade er neben ihn gesetzt? Und warum waren es gerade diese Fragen, die er ihm stellte? Beinahe so, als wäre er dieser Unterhaltung nicht unbedingt zugeneigt, einfach, weil sie immer noch zwei Männer blieben die sich zuvor nicht ein einziges Mal begegnet waren, ignorierte er die Reaktion des anderen auf sein Äußeres. Es war offensichtlich gewesen, keine Frage, aber es hatte keinen Belang. Man sprach niemanden darauf an, wieso er oder sie eine schwere Behinderung hatte und ebenso sprach man niemanden darauf an, warum er oder sie das Gesicht in offener Abscheu verzog. Wieder lag keine Eile in seiner Bewegung, als er sein Bier anhob und es zu den eigenen Lippen führte. Ein kurzer, bedeutungsloser Schluck wurde genommen und genossen, dann klackerte die Flasche wieder zurück auf den Tresen. "Kenji.", wiederholte er ohne einen bestimmten Klang in der Stimme und nachdem der andere offenbar das letzte Wort gesprochen hatte. Ganz am Rande seines Bewusstseins und seines Blickwinkels nahm er dessen unruhige Haltung wahr, ehe er einen kurzen Blick hinüber zu den angesprochenen Frauen warf. Exakt vier Sekunden betrachtete er diese. Nicht lange genug um interessiert zu wirken und doch nicht so kurz, als das er hätte eine verwertbare Reaktion - etwa so etwas wie das Bewusstwerden über das Thema dieser Unterhaltung - zu zeigen. "Ich komme hin und wieder hier her.", sprach er dann und noch während er sich zuerst wieder der beschäftigten Barkeeperin und anschließend wieder dem neben ihm Sitzenden zuwandte. Obwohl er nicht glaubte einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt zu sein, konnte er sich nicht gegen das Gefühl wehren man hätte ihm die Spitze eines sehr scharfen Messers genau zwischen die Augen gesetzt und war jederzeit dazu bereit, es mit aller Kraft in seinen Schädel zu treiben. Alpha widerstand der Versuchung, sich genau dort zu kratzen und musterte stattdessen das Gesicht Kenjis. "Und ich kann natürlich nicht leugnen, das manchmal mit dem Bedürfnis zu tun, nicht alleine wieder nach Hause zu gehen, aber du kennst das Gefühl sicher, hm?" Es fiel ihm schwer diese Szene als belangloses Geplänkel abzutun und er wusste einfach nicht warum. Was war es, das dafür sorgte, dass er sich wie unter Beobachtung fühlte? Wieso zwang er sich selbst dazu, jedes einzelne Wort sorgfältig abzuwägen bevor er es sprach? Hatten sie hier und jetzt mehr Bedeutung, als ihm bewusst war? Und wenn ja, für wen von ihnen hatten sie das? Kenji, der Mann mit dem wilden Haar und der fahlen Haut. Der Mann, der sich zu ihm gesetzt und ihm seltsame Fragen gestellt hatte. Alpha drehte die Flasche zwischen seinen Fingern und brachte etwas Unruhe in die dunkle Flüssigkeit, ehe er so etwas wie ein sehr trockenes Lachen ausstieß, welches gut und gerne auch als Schnauben hätte durchgehen und alles hätte bedeuten können. "Allerdings müssen es für mich nicht zwangsläufig Frauen sein." KENJIRO So ruhig, so unbefangen auch die männliche Stimme klang und alles um ihn herum - zumindest in Kenjis Wahrnehmung - verstummen ließ, so wenig gefiel dem Sprach- und Kunststudenten, wie sein Name von den blassen Lippen fiel. Nichtsdestotrotz saugte Ken jedes Wort des Fremden in sich auf, wie ein Schwamm, und versuchte jede vorhandene oder fehlende Reaktion zu interpretieren. Alles in diesem Moment drehte sich für ihn um den Tätowierten und wäre da nicht dieser eine, geradezu belanglos eingeworfene Kommentar gewesen, hätte man meinen können, dass der blasse Japaner - derjenige, dessen Körper nicht von gewollten Narben überzogen war - sich wie ein aufdringliches Weibsbild benahm, deren Geschick wohl nicht in ihrer Wortwahl lag. Seine Konzentration brach. Mit leerem Blick starrte er den anderen an und doch ratterte es von Neuem in seinem Kopf. Der Schnaps gaukelte ihm vor, dass all die verworrenen Gedanken Sinn ergaben und eine Idee bildete sich in seinem Kopf, die nur aufgrund des Adrenalins und seines ansteigenden Alkoholpegels perfekt erschien. Ken wandte sich zur Bar, beide Arme auf die Theke stemmend. „Das ist gut zu wissen“, entgegnete er ruhig, während das Tippeln seines Fußes eine ganz andere Melodie verlauten ließ. Trotzdem ihn seine Nervosität versuchte, von Dummheiten abzuhalten, hatte sich die Aussage des Fremden - dass sich dieser hin und wieder in diesem Pub aufhielt - fest in seine Gedanken und Verdächtigungen gebrannt. „Hey“, sprach Kenji anschließend lauter, lockte somit die Barkeeperin zu sich und hob einen seiner ebenso blassen Finger, um ihr eine „1“ zu deuten. „Das gleiche wie er“, er nickte zu seinem Sitznachbarn, obwohl er niemand war, der Bier trank. Tatsächlich trank er allgemein kaum, weswegen ihm der Alkohol meist direkt ins Hirn schoss und für üble Folgen sorgte. Genau dieses Verhalten schien sich auch an diesem Abend abspielen zu wollen. „Und lass es in der Flasche. Zum Mitnehmen.“ Kenji blickte zu dem Mann neben sich, suchte Augenkontakt, ehe er anschließend murmelte: „Nur zur Sicherheit.“ ALPHA Es brauchte manchmal viele Erklärungen und noch mehr Zeit bevor Alpha verstand, was seine Mitmenschen ihm oft auf nahezu subtile Art und Weise versuchten mitzuteilen. Hier und jetzt und aufgrund der Zeitspanne, in welcher er schon auf Jagd in derartigen Lokalen ging, fiel der Groschen sofort. Er kannte diesen Blick, auch, wenn er - ähnlich wie vor Minuten schon bei der Dame mit den schier endlos langen Haaren - ein Geheimnis zu verbergen versuchte. Er kannte diese Worte und er erkannte dieses Verhalten. Trotzdem wandte er seine Aufmerksamkeit zunächst wieder dem eigenen Bier zu, es nach und nach austrinkend. Es war sein erstes und es sollte sein letztes bleiben, denn offenbar hatte er nun etwas anderes vor. Etwas, das nicht zu ließ, dass er sich betrank, denn wenn er etwas nicht durfte dann war es wohl die Kontrolle über sich zu verlieren. "Ich wohne nicht allzu weit von hier entfernt.", sagte er und log ohne mit der Wimper zu zucken. Es entsprach der Wahrheit, dass er einen Schlüssel zu einem wohnlich eingerichteten Apartment besaß und das er oft genug in ihr zugegen war, um ihr wirklich den Eindruck zu vermitteln, es handle sich dabei um seine eigenen vier Wände. Aber er säße schon längst hinter Gittern, ließ er so einfach nahezu jeden durch seine Tür und wieder hinaus spazieren. Sich in die eigene Hosentasche greifend, fischte er ein bisschen Kleingeld für sein Bier heraus und legte es deutlich sichtbar auf den Tresen. Dann war er es, der die eigenen, blutroten Iriden in die für ihn farblosen des anderen schlug. Dann stand er auf, griff sich entspannt seine Jacke und ließ Kenji alleine auf sein Getränk warten. Alpha war sich zu 85 % sicher, dass es um etwas anderes ging als um bedeutungslosen Sex. Er seinerseits konnte eine primitive Anziehung nicht leugnen und er wusste, dass es ihm eine Freude wäre den Körper des anderen zu zerstören. Aber er durfte diesem Trieb nicht nachgeben, wenn er etwas schützen wollte, das ihm noch wichtiger war als sein Es. Irgendetwas war faul an dieser Geschichte. Kenji machte den Eindruck als sei er unheilbar krank. Etwas an ihm, vielleicht sogar das, was er unterschwellig an ihm zu riechen glaubte, roch faulig. Aber er konnte nicht bestimmen, was es war und es war ihm schlichtweg nicht möglich die Zeichen zu lesen oder gar zu deuten. Was auch immer jetzt im Begriff war zu geschehen, er musste auf der Hut sein. Was konnte ein solcher Mann von ihm wollen? Was konnte ein solcher Mann von ihm wissen? Und wie kam es, dass er rein gar nichts über diesen wusste? Alpha zog für einen Moment lang die Augenbrauen zusammen, außerhalb des Pubs den Reißverschluss seiner Jacke schließend und warmen Atem in die kalte Nachtluft ausstoßend. Die blanken Lichter der Stadt blendeten ihn und zwangen ihn, die Augen hinter den Gläsern leicht zusammen zu kneifen. Kenji. Kenji. Kenji. Wie hoch standen die Chancen, dass sie beide Serienmörder waren? KENJIRO Die Aussage. Der Blick. Beides versetzte ihm ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Der Mann hatte verstanden. Und mit seinem Aufstehen würde das kleine Spiel beginnen. „Das geht auf die Rechnung des Mädchens dort hinten“, wies Kenjiro schließlich die Barkeeperin an, als er sein Getränk entgegennahm, und nickte zu Sachiko am hintersten Ecktisch. Nachdem er ein raues „Alles klar“ geerntet hatte, setzte er sich auch schon in Bewegung - jedoch nicht ohne einen letzten Blick zu seiner in vielerlei Hinsicht bezahlenden Freundin zu werfen. Das Mädchen starrte ihm mit fassungslosen Blick entgegen und er wurde sich der Tatsache bewusst, die ganze Zeit über von ihr beobachtet worden zu sein. Wut und Verärgerung schwappten ihr in Form eines stummen Blickes entgegen, ehe er nichtsdestotrotz einen großzügigen Schluck des bitteren Gebräus nahm und anschließend den Pub verließ. Den Verlobungsring von seinem eigenen Finger ziehend und in der tunnelartigen Tasche seines Pullovers sinken lassend, steuerte er letzten Endes die Person an, welche ihm von all den nächtlichen Streunern, die zu solch einer Zeit keine Ruhe zu finden schienen, noch am wenigsten fremd war. Das Bier mischte sich mit dem Schnaps und erinnerte seinen Körper daran, wie wenig er Alkohol gewohnt war, während er die Schultern anzog und sein Kinn in den dicken Kragen seines Pullovers bettete. Obwohl es für den ein oder anderen durchaus kalt war, spendete ihm sein aufgeheizter Körper genug Wärme, um nicht zu frieren. Nichts in Kenjiro warnte ihn. Nichts schrie Vorsicht!, Gefahr! oder dass er einen dummen Fehler beging. Das einzige, das den Jungen zu interessieren schien, war, mehr über den anderen zu erfahren. Dass er mit solch einer Leichtigkeit an ihn heranzukommen schien - schließlich glaubte er, sogleich das Innere seiner Wohnung betreten zu können - überschattete jede Form von Vernunft, welche ihm hätte Angst machen sollen. Was, wenn sich sein Verdacht tatsächlich bestätigte? Was dann? Doch gab es eine Sache, die Ken zum Hadern brachte. Der Mann hatte von vornherein die eigene Wohnung vorgeschlagen. Die Möglichkeit, dass sie ebenso in Kens Wohnung unterkommen konnten, wurde nicht zu einer Sekunde in Betracht gezogen. Allerdings hatte er Hanako vor einem Jahr in der eigenen Wohnung aufgefunden.. „Ich“, eröffnete er, daraufhin nach Worten ringend, ehe er weiteren warmen Atem in die kühle Nachtluft hinauspustete. „Wir könnten zu mir.“ Die Idee, die sich nach und nach in seinem nicht klar denkenden Kopf manifestierte, wirkte auf ihn so sinnvoll, so ausgezeichnet und wahrhaftig gut, dass sich seine Augen aufgeregt weiteten. Realität verwob sich mit Vergangenheit und noch bevor er wusste, wie schräg sich die Worte anhören mussten, warf er ein: „Mein Bett hat ein Kopfgitter.“ Alles in ihm verkrampfte sich, als sich das Bild seiner Verlobten, wie sie mit aufgeschlitztem Bauch und durch ihre ausgezogene Kleidung am Gitter ihres gemeinsamen Bettes befestigt, leblos und voller Blut auf den verschmierten Laken lag, erneut vor sein inneres Auge zwang. Er packte die Bierflasche kräftiger zwischen die sich krampfenden Finger, ehe mit einem Blinzeln all die Erinnerungen zu einer farbenfrohen Mixtur verschwommen - und er im nächsten Moment auch schon wieder in das unheimliche Schwarz und Rot der fremden Augen blickte. Mit einem Mal wurde ihm heiß und kalt zugleich und während er den plötzlich in seinem Hals entstandenen Kloß hinunterschluckte, befahl er sich stillschweigend, die Fassung zu bewahren. Alles lief gut. Alles lief nach seinem nicht vorhandenen Plan.. „Wäre das eine Idee?“ ALPHA Wie unsagbar suspekt, schoss es ihm durch den Kopf. Nicht mehr nur seltsam, nicht mehr nur ungewöhnlich, sondern ausgesprochen zwielichtig. Das war es, was das Verhalten des anderen war und eigentlich wäre das Grund genug gewesen, die ganze Aktion abzublasen. Aber Alpha war niemand, der leicht Angst empfand. Tatsächlich war all das, die Anwesenheit des hartnäckigen Mannes mit den verdeckten Karten und das, was sie vorhatten, eine Herausforderung, die er nur zu gerne bereit war anzunehmen. So lange schon tat er, was er tat und es war so spielend einfach. Menschen starben unter seinen Händen wie Eintagsfliegen und alles, was sie ihm gaben, waren flüchtige Momente der Befriedigung. Kenji jedoch war jemand, der ihm mehr versprach als nur ein kurzes Rendezvous. Er versprach ihm das Bewusstsein, nicht mehr nur am Rande des Unmöglichen zu wandeln, sondern sich kopfüber hinein zu stürzen. Sich zunächst nur halb zu ihm umdrehend, musterte er ihn ein paar Augenblicke, ehe er die Hände aus den Taschen nahm und den Abstand zwischen ihnen Schritt um Schritt verringerte. Je näher er ihm kam, desto eindeutiger schien sein eigener Blick zu werden und als er vor ihm zum Stehen kam, waren seine Augenlider auf Halbmast gesenkt. Ohne jede Scheu fuhr er mit einer seiner kalten Hände in den Nacken des Mannes. Nahezu zärtlich strichen seine schlanken, tätowierten Finger durch das weiche Haar, erst Ruhe findend, als sie vollends im Haaransatz am Nacken verschwunden waren. Die andere, noch freie Hand fand wie natürlich ihren Weg auf die Hüfte Kenjis, wo sie ihn fest und an Ort und Stelle hielt. Kaum, dass er ihn so im Griff hatte, überwand er auch die letzte Distanz um ihm einen Kuss zu stehlen. Die Berührung war weich und doch bestimmt; Alpha nippte an der bitter schmeckenden Oberlippe, küsste sie, setzte ab und umschloss dann die Unterlippe mit den seinen, ehe er von ihm abließ. "Solange wir nicht allzu weit laufen müssen, spielt es keine Rolle wie dein Bett aussieht." Niemand, der vorhatte irgendeinen Fremden flachzulegen, würde sich darum kümmern wie dessen Bett aussah. Das Kopfgitter extra zu erwähnen hatte einen ganz besonderen Sinn gehabt und eine kaum greifbare Erinnerung wollte sich ob dieser Aussage einstellen. Aber sie verschwand, kaum, dass er sich Kenji genähert und dessen unbekannt-bekannten Duft ein weiteres Mal und nun aus nächster Nähe wahrgenommen hatte. "Also?" KENJIRO Mit jeder Sekunde, die verging, und jedem Schritt, welchen der andere nahm, spürte Kenjiro sein Herz noch deutlicher. Es pochte wie wild in seiner Brust, drohte herauszuspringen und ihm das letzte Leben, an welches er sich noch so trostlos klammerte, aus dem Leib zu katapultieren. Erst glaubte der Student, dass der Tätowierte den Geduldsfaden und somit die Lust an dem Spielchen verloren hatte. Als er jedoch die zarten Finger im Nacken verspürte, verkrampfte sich auch der letzte Rest seines Körpers, welcher die Hitze des Alkohols immer deutlicher wahrnahm. Die rotbraunen Augen weiteten sich erneut, doch zwang er sich zu absoluter Starre, als das Gesicht des Fremden näher kam. In der Sekunde, in welcher Kenji die erstaunlich sanften Lippen auf den eigenen spürte und auch das kalte Metall des Piercings wahrnahm, wie es gegen seine Unterlippe drückte und ihm eine zärtliche Gänsehaut abverlangte, fühlte er sich nichtsdestotrotz ... übel. Es war der erste Kuss, den er mit jemandem teilte, seitdem Hanako von ihm gegangen war. Und es war die einzige Berührung, die er benötigte, um zu erkennen, in was für eine Situation er hineingeraten war. Ein flaues, nicht zuzuordnendes Gefühl erinnerte ihn daran, wie sehr er den anderen anstarrte, selbst nachdem dieser von ihm gewichen war, ehe er sich endlich aus der Versteinerung lösen konnte und schlussendlich abwandte. Sein gesamtes Gesicht brannte und die Befürchtung, dass der Alkohol tatsächlich seinen Körper übernahm, spielte nur die Tatsache runter, dass er doch ein Schamgefühl besaß - und dass genau dieses gerade unter der Situation litt, von einem Mann geküsst worden zu sein. Die Vorstellung, dass dieser Mann auch noch der Mörder seiner Verlobten sein konnte, presste sich währenddessen mit aller Gewalt zurück in seinen Schädel und wäre er nicht so darauf fixiert gewesen, Antworten zu finden, hätte er sich womöglich hier und jetzt übergeben. Konnte ein Mörder denn so sanft küssen..? „Hier lang“, entgegnete er mit gepresst-wackeliger Stimme, als er ein älteres Pärchen entdeckte, das nur wenige Meter entfernt auf sie zuschritt und einen fragwürdigen Blick für sie übrig hatte. Dennoch setzte sich Ken in Bewegung, schritt an dem Paar vorbei, ehe er auch schon den Flaschenhals mit bebenden Lippen umschloss und einen weiteren, beachtlich großen Schluck des eigentlich verabscheuten Gebräus hinunterkippte. Anschließend führte er den Mörder in spe, dessen Namen er bisher nicht mal kannte und definitiv herausfinden musste, zwei, drei Straßen entlang, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, ihn erneut mit Intimitäten überfallen zu können. Kenjiro ging geschwinden Schrittes - und stoppte erst, als er vor einer Tür angelangt war, um die noch mindestens zu einem Drittel volle Bierflasche auf einem Pfosten niederzustellen und mit ungeschickten Händen nach einem Schlüssel zu greifen. Bis er den Schlüssel im Schloss umgedreht und auch die Wohnung des mehrstöckigen Hauses betreten hatte, schwieg er und kämpfte gegen die Schwummrigkeit an, von welcher er sich einerseits nicht, andererseits sehr wohl übermannen lassen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)