Nachwirkungen von Peacer ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Nachwirkungen Eren erwachte und setze sich ruckartig in seinem Bett auf, nur um sich hektisch umzusehen. Es dauerte ein paar endlose Sekunden, bis sich seine Augen genügend an die Dunkelheit gewöhnt hatten, um sein Zimmer zu erkennen. Daraufhin entspannte er seine verkrampften Muskeln etwas. Keine Titanen und keine Toten. Er war sicher. Er seufzte und strich sich mit einer zittrigen Hand das schweißnasse Haar aus der Stirn, bevor er tief Luft nahm und diese langsam wieder ausblies. Seine rechte Schulter schmerzte. Er konnte zwar nicht erkennen, wie spät es war, aber er wusste auch so, dass es noch viel zu früh zum Aufstehen war. Trotzdem schwang er sich aus seinem Bett und zog sich an. Er hatte schon zu oft Albträume gehabt, um nicht zu wissen, dass er ohnehin keinen Schlaf mehr finden würde, zumindest keinen erholsamen. Egal wie erschöpft er sein mochte, die Träume würden ihn nicht zu Ruhe kommen lassen. Besser war es, die Zeit zu nutzen anstatt sinnlos herumzuliegen. Er machte sich auf den Weg zum Trainingsplatz. Die aufgehende Sonne fand Eren durch die Luft wirbeln. Er trainierte, um seine Technik mit dem 3D Manöver Apparat zu perfektionieren. „Eren!“ Die Stimme durchbrach die morgendliche Stille und seine Konzentration und er geriet kurz ins Straucheln, bevor er sich wieder fing. Etwas irritiert landete er vor Mikasa, nicht sonderlich glücklich über die Unterbrechung. „Was?“, fragte er schroff, aber seine Schwester ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Vor allem nicht von ihm. Sie hielt ihm seine Lunchbox hin. „Du hast das Frühstück verpasst.“ Sie war ruhig, aber er kannte sie schon zu lange, um nicht den besorgten Unterton heraus zu hören oder ihre leicht angespannte Haltung zu übersehen, die deutlich machte, dass sie etwas beschäftigte. Er konnte sich auch denken, was das war: warum er nicht schlief oder zu essen vergaß, warum er stundenlang trainierte und vor allem warum er sich langsam aber sich von ihr und Armin (und allen Anderen) abschottete. Er wusste auch, dass sie seine Beweggründe nicht verstehen würde. Er vermied also ihren Blick, als er die Lunchbox mit einem gemurmelten Dank annahm und sich auf eine Mauer setzte, um deren Inhalt zu vertilgen. Mikasa nahm schweigend neben ihm Platz, aber er ignorierte ihre Anwesenheit so gut er konnte. Er wollte nicht reden. Er hatte Albträume, ja, aber wer hatte das nach Trost und der gescheiterten 57ten Expedition nicht? Er war sich sicher, dass jeder, der es schon mal mit Titanen zu tun gehabt hatte und miterlebt hatte, wozu diese in der Lage waren, Albträume hatte. Das Grauen, das man verspürte, wenn man seine Kameraden sterben sah hinterließ Spuren. Er würde sicher nicht jammern, so schwach war er nicht. Immerhin war er die Hoffnung der Menschheit. Es wurde erwartet, dass er stark war, also würde er sein Bestes geben, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Außerdem sollte er derjenige sein, der auf Mikasa aufpasste, und nicht umgekehrt. Er würde auf jeden aufpassen, und dafür musste er stärker werden. Einmal schon hatte er die falsche Entscheidung getroffen und andere hatten für seine Schwäche mit ihrem Leben gezahlt. Zu viele hatten bezahlt. In Zukunft würde er sich nur noch auf sich verlassen. Er stand auf. „Danke für das Essen. Ich muss jetzt weiter trainieren.“ „Eren...“ Aber er schwang sich schon erneut durch die Lüfte und ließ seine Schwester samt ihrer Besorgnis auf dem Boden zurück. Eren biss die Zähne zusammen und vollführte das Manöver ein weiteres Mal, seinen schmerzenden Muskeln zu trotz.Er übte nun schon seit Stunden, war aber mit der Ausführung dieser letzten Technik nach wie vor nicht gänzlich zufrieden. Es war fast perfekt, aber eben nur fast. Im Kampf gegen Titanen reichte ein fast nicht. Ein „fast“ könnte tödlich sein. Er schauderte und startete einen neuen Versuch, der aber auch diesmal nicht ganz gelang. An seiner Technik lag es nicht, sondern an seinen Muskeln, die langsam aber sicher den Dienst versagten. Er ignorierte das schmerzhafte Brennen seiner über alle Grenzen angespannten Muskeln jedoch und schwang sich wieder in die Lüfte. Titanen ließen einem keine Zeit zum Erholen. Er musste stärker werden, schneller, ausdauernder. Ein Seil schoss nach vorne und bohrte sich in die Trainingsmauer, das andere in den Titan-Dummie. Mit einem Schub vollführte Eren eine Drehung um den Kopf herum, zu schnell, um selbst von einem Anormalen gepackt zu werden, zückte seine Schwerter und wirbelte auf den Nacken zu. Er traf, aber ein stechender Schmerz fuhr durch seine überstrapazierte Schulter und sein Schnitt ging nicht tief genug, als ihm dabei das Schwert fast aus der Hand rutschte. Er verlor kurz das Gleichgewicht und begann zu fallen, konnte sich aber zum Glück wieder fangen, bevor er eine schmerzhafte Begegnung mit dem Boden machen konnte. Menschlicher Titan oder nicht, das hätte weh getan. Schwer atmend landete er und verzog das Gesicht, als seine Beine unter ihm nachgaben. Nach den Strapazen war es ihnen selbst zu viel, auch nur sein Gewicht zu tragen und sie verkrampften. Der Rest seines Körpers fühlte sich nicht viel besser an, vor allem seine Schulter schien doch etwas mehr abbekommen zu haben als er gedacht hatte. Trotzdem kam er wankend wieder auf seine zitternden Beine, seine Sturheit ein besserer Antrieb als seine ausgelaugten Muskeln. Bevor er erneut losfliegen konnte, landete eine kräftige Hand auf seiner Schulter und hielt ihn zurück. „Das ist genug für heute, Eren.“ Seine plötzlich erhöhte Herzfrequenz beruhigte sich wieder, als er die monotone Stimme Levis erkannte, noch bevor er ganz herumgewirbelt war. Er ließ seine zum Kampf erhobene Fäuste wieder sinken und die Anspannung wich, als er in die gelangweilten Augen des Captains sah. „Ich hab's fast raus. Nur noch ein-, zweimal-“ Levi schüttelte den Kopf und packte erneut seine Schulter, um seine Missbilligung zu verdeutlichen. „Du hast es längst gerafft. Du brauchst eine Pause.“ „Ich kann mir keine Pausen leisten.“ „Verletzungen kannst du dir noch weniger leisten.“ Eren versuchte sich loszureißen, aber seine Willensstärke reichte nicht an die von Levi heran, dessen Hand tonnenschwer auf seiner Schulter verweilte. „Ich heile sowieso.“ Warum schien das niemand zu verstehen? Er hatte es satt, Mikasas und Armins besorgte Blicke auf sich zu spüren, den unterschwelligen Vorwurf zu hören, dass er ihnen aus dem Weg ging, nur weil sie einfach nicht kapierten, dass er stärker werden musste. Er machte das ja auch für sie. Für jeden. Die gesamte Menschheit verließ sich auf ihn. Je stärker er wurde, desto weniger Menschen starben, so einfach war es. Warum sie also ihn ansahen, als sei er der Verrückte, als müsse man sich um ihn Sorgen machen, verstand er beim besten Willen nicht. Immerhin war er derjenige, den man am schwersten töten konnte. „Das ist nicht der Punkt.“ Levis Stimme war genauso unnachgiebig wie seine Hand und Eren seufzte. Er wusste, wann er verloren hatte. Mikasa und Armin mochte er ignorieren können, aber Levi war noch immer sein Vorgesetzter, ja, er war derjenige, der sein Leben wortwörtlich in der Hand hielt. So lange seine Argumente auf taube Ohren stießen, musste er sich fügen. „In Ordnung,“ sagte er in einem Tonfall der besagte, dass rein gar nichts in Ordnung war und Levi ließ ihn endlich los, als er Richtung Schloss zu marschieren begann, wo sie ihre Ausrüstung lagerten. Trotzdem folgte er ihm wie ein Schatten, als ob er Eren nicht traute und nur darauf wartete, dass dieser sich wieder in die Lüfte schwang, sobald er ihm den Rücken zukehrte. Falsch lag er mit der Vermutung nicht. So aber verbiss sich Eren jeden Kommentar und schälte sich aus der Ausrüstung, checkte sie auf Defekte und reinigte sie gründlich, bevor er sie zurück an seinen Platz räumte. Die Ausrüstung war wichtig. Er konnte noch so stark werden, wenn seine Ausrüstung defekt war, würde das dennoch seinen Tod bedeuten. Levi war noch immer da, als Eren endlich fertig war. Mit vor der Brust verschränkten Armen lehnte er an der Wand und beobachtete ihn mit unergründlichen Augen. Eren ballte die Hände zu Fäusten. „Wollen Sie mich bis ins Bett begleiten, Sir?“ Daraufhin zuckte Levis Mundwinkel kurz nach oben und er hob eine Augenbraue und Eren kniff die Lippen zusammen als ihm die Zweideutigkeit seiner Aussage bewusst wurde. Innerlich verfluchte er sich dafür. Zum Glück war Levi gnädig und verbiss sich einen Kommentar. Stattdessen meinte er, nun wieder vollkommen ernst. „Du solltest mit irgendjemanden reden.“ Sein Tonfall war neutral, weder befehlshaberisch noch bevormundend, als würde er übers Wetter sprechen und sich nicht in Erens Leben einmischen. Es dauerte einen Augenblick, bis die Bedeutung der Worte bis zu Eren durchdrang. Daraufhin runzelte er die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Über was?“ Levi aber ließ sich von seinem irritierten, abwehrenden Tonfall gar nicht aus der Ruhe bringen. Was wohl kein Wunder war, da das nicht einmal Titanen vermochten. „Stell dich nicht dumm, Rotznase.“ Er schwieg einen Augenblick, ehe er fortfuhr. „Es ist ungesund, alles in sich hineinzufressen.“ Eren schnaubte. Das von jemanden wie Levi zu hören war aber auch ironisch. Immerhin war der Captain so ziemlich der verschlossenste Mensch, der Eren je begegnet war. Dies teilte er diesem auch prompt mit. „Das kommt von dem Richtigen,“ sagte er und marschierte an ihm vorbei Richtung Keller, wo er nach wie vor seine Nächte verbrachte. Kurz wunderte er sich, wann ihm alles so egal geworden war, dass er selbst mit seinem größten Vorbild so respektlos sprach, aber dann tat er es mit einem innerlichen Schulterzucken ab. Das war unwichtig. Wie so vieles. Er hatte gedacht – gehofft - dass Levi ihn jetzt endlich in Ruhe lassen würde, aber darin hatte er sich getäuscht, denn dieser stieß sich von der Wand ab und schlenderte neben ihm her, fast so, als wäre er nur rein zufällig in die selbe Richtung unterwegs. Dabei lag nichts außer dem Keller auf diesem Weg und das war kein Ort, an den sich ein Cleanfreak wie Levi freiwillig begab. „Man sagt, man müsse selbst kein Koch sein, um eine versalzene Suppe zu erkennen.“ Sein Ton war ruhig, aber Eren konnte den kaum unterdrückten Ärger heraushören, vielleicht, weil er den mittlerweile von sich selbst kannte. Es erheiterte ihn irgendwie, dass er Levi auf die Palme bringen konnte. Nur wenige waren dazu in der Lage, was aber wohl vor allem daran lag, dass niemand es zu versuchen wagte. Dass er allerdings seinem Ärger nicht wie üblich freien Lauf ließ, zeigte, wie ernst ihm diese Sache zu sein schien. Eren rollte die Augen. „Hat Mikasa Sie auf mich angesetzt?“ „Deine Freundin hat damit nichts zu tun.“ Levi hörte sich eindeutig verärgert darüber an, dass man auch nur impliziere, er könnte sich etwas von einer Frau vorschrieben lassen. „Ich bin verantwortlich für dich, falls du es schon vergessen haben solltest.“ Wie konnte er, wenn er ihn kaum je aus den Augen ließ? „Um mich aufzuhalten, falls ich die Kontrolle verliere.“ Sonst nichts blieb ungesagt, aber nicht ungehört. „Ganz genau.“ Levis Stimme war wieder gleichgültig, was Eren wütend machte. „Ich habe alles unter Kontrolle.“ Das war eine glatte Lüge, und Levis gehobener Augenbraue zufolge wusste er das genauso gut wie er. „Hör auf, dir etwas vorzumachen. Das ist armselig,“ sagte er abfällig und Eren wäre ihm am liebsten an die Gurgel gegangen. Aber trotz allem war Levi noch immer ein Vorbild und sein Captain und so hielt er sich zurück und schwieg einfach verbissen, während er stur Levis dunklem Blick auswich. Levi seufzte irritiert. „Verdammt, Eren, lass dir helfen.“ „Oder was?“ Erens Ärger war mindestens genauso groß wie Levis. Er hatte eindeutig genug davon, dauernd nachgestellt zu werden. „Oder es wird früher oder später ausarten.“ Er schwieg kurz. „Überleben ist kein Privileg, Eren, sondern eine Bürde. Teil sie oder gewöhne dich dran, aber lass den Scheiß.“ Ein letzter, durchdringender Blick, dann endlich ging Levi und ließ Eren mit seinen Gedanken allein vor seiner Zelle zurück, irritiert, wie schon lange nicht mehr, aber auch ein kleines bisschen nachdenklich. Es war einige Tage später, bei einer gemeinsamen Trainingsstunde als die Situation komplett ausartete, als Erens Albtraum ihn einholte obwohl er diesmal hellwach war. Grund dafür war ein dummer, kleiner Fehler, der dazu führte, dass Armin eine relativ harmlose, aber stark blutende Platzwunde am Kopf davontrug. Das war der Auslöser. Eren sah das Blut, roch den metallischen Gestank und plötzlich war er zurück in Trost, bei seinem ersten Kampf gegen einen Titan. Er hörte die Schreie seines sterbenden Squads, fühlte den Schmerz seines abgebissenen Beines, die schreckliche Schwäche, die ihn zu übermannen drohte. Das Grauen, als er Armins entsetzten Gesichtsausdruck sah, erstarrt und wehrlos, während der bärtige Titan ihn sich in den Mund schob. Er spürte die Panik, den Adrenalinstoß, die ihn dazu verleiteten, Armin hinterher zu springen und ihn in Sicherheit zu schleudern, die Angst um seinen besten Freund größer als sein eigener Selbsterhaltungstrieb. Die Erleichterung über seine Rettung war stärker als seine Verzweiflung, als er erkannte, dass er nicht mehr flüchten konnte. Der Schock über den Verlust seines Armes maskierte den Schmerz, reichte aber nicht, um die unerträgliche Hitze im Magen des Titans ebenfalls auszublenden, oder das Grauen, das er bei dem Anblick der Leichen verspürte. Der pfeffernde Schmerz in seiner Wange war allerdings neu und instinktiv hielt er sich die betroffene Stelle – mit der Hand, die er eben noch vermisst hatte. Er blinzelte und plötzlich saß er nicht mehr im Magen des Titans sondern auf dem Waldboden, und die Leichen waren von dem wütenden aber sehr lebendigem Gesicht Levis ersetzt, welcher die Hand schon für eine weitere Ohrfeige erhoben hatte. „Komm zu dir, du verdammter Idiot.“ Vage wurde sich Eren bewusst, dass seine Kameraden einen gebührenden Abstand hielten und zu gleichen Teilen besorgt wie alarmiert aussahen, die Hände auf ihren Schwertern. Waren sie in Gefahr? Seine ohnehin schon erhöhte Herzfrequenz verdoppelte sich und er begann zu hyperventilieren, während er sich hastig umsah, in der Erwartung, eine Horde Titanen zu sehen. Zwei kräftige Hände packten eine Schultern und er zuckte zusammen, bis ihm einfiel, dass er noch beide Arme hatte. Wieder. Er sah Levi mit weit aufgerissenen Augen an und fragte sich, wieso dieser so ruhig war, wenn die Welt im Chaos versank. „Was...?“, krächzte er, seine Stimme heiser, als ob er geschrien hätte, und zittrig, obwohl weit und breit keine Titanen zu sehen waren. Trotzdem bebte er am ganzen Körper. Aber Levis Ruhe hatte mindestens genauso viel Wirkung auf ihn wie seine vorige Ohrfeige und er spürte, wie seine Panik langsam zu verebben begann, während er beinahe verzweifelt seinen Blick festhielt, um nicht wieder zurück in seinem Albtraum zu versinken. Er mochte es nicht gerne zugeben, aber in diesem Augenblick war Levi sein Anker und seine beruhigende Aura sein Rettungsreifen. Langsam beruhigte sich zuerst sein Atem, dann sein Herzschlag und dem Zittern wich tiefe Müdigkeit. „Besser?“ Levis Blick war prüfend und Eren nickte erschöpft. Daraufhin stand der Captain auf und zog ihn auf die Füße, etwas grober als unbedingt nötig, aber Eren war zu müde um sich zu beschweren, und zu dankbar über die stützende Hand an seinem Ellenbogen, die ihn davor bewahrte, sofort wieder einzuknicken. „Das Training ist für heute beendet. Wegtreten!“ Sein wütender Ton zeigte Wirkung und alle bis auf Mikasa und Armin traten einen hastigen Rückzug an. Levi rollte die Augen, sagte aber nichts und trat wortlos beiseite als Mikasa auf Eren zueilte um sogleich seinen Platz als Stütze einzunehmen und ihn zu bemuttern. Eren hatte nicht einmal die Energie, um sie abzuweisen. Er war sowohl physisch als auch psychisch völlig am Ende. „Denk an meine Worte, Rotzlöffel. Und sei gefälligst dankbar für deine Freunde.“ Mit einem letzten, abfälligen Blick marschierte Levi davon und überließ die drei Freunde sich selbst. Sie hatten viel zu besprechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)