Servant Girl von Anemia ([Murderdolls-FF]) ================================================================================ Kapitel 1: Obscure Girl ----------------------- 1. Kapitel - Obscure Girl     Ich konnte nicht behaupten, dass ich keine Ahnung hatte von dem, was auf mich zukommen sollte. Zumindest im Ansatz war ich ohnehin derjenige, der die Hauptschuld an den Geschehnissen trug, und mittlerweile war ich sogar so weit, mir dies einzugestehen. Anfangs hatte ich noch versucht, ihn dafür verantwortlich zu machen, ihn und sein ganzes Erscheinungsbild, seine Art und seine für mich so ungewöhnliche und gerade deshalb so reizvolle Persönlichkeit. Ein andermal hatte ich meiner Freundin die Schuld in die Schuhe geschoben, denn wenn eine Beziehung in Turbulenzen geriet, wenn die Liebe nicht mehr blühen und gedeihen mochte, dann war bekanntlich nicht nur eine Person samt ihrer Gefühle Ursache sowie Grund dafür.   Vielleicht stimmte es auch. Vielleicht war Roxanne nicht die richtige Partnerin für mich. Womöglich wollte mir dies mein Unterbewusstsein bereits mitteilen, als ich mich in einer freien Minute mit meinem Laptop auf die Couch setzte und die Seite dieser neuen Agentur aufrief, die versprach, jede Wohnungsreinigung zu einem ganz besonderen Erlebnis zu machen. Seit einiger Zeit schauten wir - Roxanne und ich - uns nach einer Hilfe für unseren Haushalt um. Seitdem wir gemeinsam in ihrer Wohnung lebten, hatte unser straffer Terminplan es schlichtweg nicht mehr ermöglicht, für glänzende Sauberkeit zu sorgen. In einigen Ecken hatte ich erst neulich die weißen Flusen entdeckt, die Spinnen zu mehr oder minder beeindruckenden Kunstwerken sponnen, und im Badezimmer sammelten sich die Seifenreste in Dusche und Waschbecken. Von den Kalkablagerungen und der zentimeterhohen Staubschicht auf den Wohnzimmerschränken fing ich am besten gar nicht mehr an. Das Ende vom Lied war, dass wir bereits zu husten begannen, wann immer wir nur den Flur betraten und uns dann schnell in das Schlafzimmer verzogen, denn dies war der einzige Raum, den Roxanne nach ihrer Arbeit einigermaßen sauber hielt. Mehr war ihr auch nicht zuzutrauen, hielt sie sich doch von früh bis spät im Büro auf, das sah selbst ich ein, aber auch meiner eins hatte andere Dinge zu tun, als sich um die Dreckecken unserer Wohnung zu kümmern. Schließlich befand ich mich die Hälfte des Jahres auf Tournee, nahm eine Platte auf oder tüftelte neue Songideen aus. Demzufolge lag es mir fern, das Dienstmädchen zu spielen, zudem ich immer behauptete, nicht für das Putzen geboren zu sein. Eine dumme Ausrede, ich weiß, aber Ausreden waren nun mal meine Spezialität.   Ich weiß nicht mehr, wer mich überhaupt über diese doch recht zwielichtige Agentur informiert hatte, deren Internetseite ich gerade lud und die mich schon kurz darauf mit ihrem freundlichen Slogan begrüßte, in welchen man so einige Dinge hineininterpretieren konnte. Womöglich hatte ich ihre Werbeanzeige sogar auf einer Pornoseite entdeckt, wie ich vermutete, als ich mich durch diverse Links klickte und mir aus so ziemlich jeder Ecke hübsche Mädels mit Staubwedel in der Hand und mit den typischen Zimmermädchenoutfits bekleidet ein kokettes Lächeln schenkten. Ich entdeckte Blondinen, Schwarzhaarige, ja sogar Asiatinnen, ob deren Anblick ich mitbekam, wie selbst meine Mundwinkel zu zucken begannen. Wer träumte auch nicht von einer mandeläugigen Schönheit, besonders dann, wenn man wusste, dass diese als besonders treu und aufopferungsvoll galten? Ich lebte eben am liebsten meine dominante Seite, und leider wies mich Roxanne viel zu oft in die Schranken, wann immer ich wieder den Macho heraushängen ließ. Ja, womöglich konnte man mich Arschloch nennen, aber so war es eben. So war ich und so musste man mit mir klarkommen.   "Wir machen jede Wohnungsreinigung zu einem besonderen Erlebnis!" Um ehrlich zu sein traute ich dem Frieden zunächst nicht, klang dieses Angebot doch ziemlich nach der schönsten Nebensache der Welt, und ich ahnte, dass Roxanne nicht sonderlich begeistert sein dürfte, wenn vor ihrer Wohnung plötzlich eine Nutte aufkreuzte. Einen schiefhängenden Haussegen wollte ich nicht unbedingt provozieren, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt, und doch konnte ich nicht aufhören, über diese ominöse Agentur nachzudenken. Über einige Tage hinweg rief ich immer wieder ihre Seite auf, las ihre Geschäftsbedingungen und die Aufgabenbereiche der Mädels, nur um jedes Mal zu dem Schluss zu kommen, dass das alles eigentlich ganz ordentlich klang. Weniger nach perfiden Rollenspielchen, sondern tatsächlich nach Haushaltshilfe, die lediglich ein optisches Bonbon darstellen sollte. Ich wusste, dass ich mich zunächst mit Roxanne hätte beraten sollen, doch irgendetwas sagte mir, es nicht zu tun und das Experiment einfach zu wagen, ohne ihre Zustimmung einzuholen. Denn im Grunde erwartete ich nicht sonderlich viel von der Dame, die da in nächster Zeit unsere Wohnung in Schuss halten sollte, war der Service trotz der vielen Versprechen doch vergleichsweise kostengünstig und in Kombination mit den Outfits klang das Ganze dann doch mehr nach Spielerei gepaart mit anzüglichem Gepose und zweideutigen Witzen als nach einer ernsthaften Arbeitskraft. Doch ich wollte es darauf ankommen lassen, sagte ich mir. Feuern würden wir das Mädchen immer noch können, wenn es nicht mehr konnte als mit dem Arsch zu wackeln. Aber ich hatte da eine bedeutende Sache außer Acht gelassen. Was, wenn das Mädchen Putzen tatsächlich erotisch machen, dabei aber ebenso effektiv wie einwandfrei unsere Wohnung reinigen würde? Und was, wenn ich die Madame schon wegen ersterem Punkt nicht mehr missen wollen würde? Was, wenn das, was als Experiment angedacht war, komplett aus dem Ruder laufen würde, weil auch ich nur ein Mann war, der sich irgendwann nicht mehr zurückhalten können würde?   All diese Fragen hatte ich mir vorab nicht gestellt.   Und so nahmen die Dinge ihren Lauf, beginnend in jenem Moment, als die Klingel betätigt wurde und ich - gerade frisch geduscht aus dem Badezimmer kommend - an die Tür eilte, damit Roxanne nicht von ihrer wichtigen Rechnung aufsehen musste, die sie in ihrem Arbeitszimmer tätigte. Ein paar Tage waren ins Land gezogen, seitdem ich das Dienstmädchen angeheuert hatte, und seitdem hatte ich kaum noch einen Gedanken daran verschwendet. Erst jetzt, als ich den Türöffner betätigte, fiel es mir wieder wie Schuppen von den Augen. Heute war Mittwoch, Mittwoch, der Dreizehnte, und dies stellte das Datum dar, für welches sich das Mädchen angekündigt hatte. Ich wusste nicht, wie sie aussehen würde, denn man hatte sich keine Bestimmte vorab aussuchen können (was gegen ein zwielichtiges Gewerbe sprach), aber es genügte mir, zu wissen, wie ich aussah, und dass mir nichts anderes übrig blieb, als unsere neue Arbeitskraft nur mit einem Handtuch bekleidet zu begrüßen. Doch ich war mir sicher, dass sie den Anblick meines bloßen Oberkörpers und meines ungeschminkten Gesichtes schon ertragen würde. Denn mich konnte man ja nun wirklich nicht als unattraktiv bezeichnen. Allerdings schien das die Person, deren Schritte ich gerade im Treppenhaus vernahm, ein wenig anders zu sehen, ihrem schockierten Blick und ihrem Innehalten ein paar Stufen vor dem Ziel nach zu urteilen. Jedoch beruhte dieses Empfinden ganz klar auf Gegenseitigkeit. Denn die Person war nicht die erwartete Haushaltshilfe, die schließlich zögerlich näher kam, nachdem sie sich etwas gefasst hatte. Sie war weder weiblich, noch ein Postbote oder einer meiner Kumpels. Blieb also nur noch die Möglichkeit, dass Roxanne Herrenbesuch erwartete...richtig?   Falsch. Ganz falsch. "Hey", grüßte der Unbekannte mich betont locker, doch an seiner Körperhaltung und seinem prüfenden Blick erkannte ich, dass er innen drin alles andere als entspannt war. Als er mir seine Hand reichte, gab ich sie ihm. Ihn dabei ebenso skeptisch musternd wie er mich. "Kennen wir uns?", waren die ersten Worte, die mir mit zusammengekniffenen Augenbrauen entkamen, während ich den Kerl eingehend musterte und mir seine Besonderheiten ins Auge stachen. So stellte ich fest, dass er ziemlich klein war, vielleicht sogar einen ganzen Kopf kleiner als ich. Dafür trug er allerdings seine Haare länger als meiner eins, hatte sich die Augen dezent mit Kajal umrandet und außerdem schien er einen Meisterbrief im finsteren Dreinschauen ausgehändigt bekommen zu haben. Wahrscheinlich aber war es vonnöten, kalt und unnahbar zu wirken, wenn man als Mann so verdammt klein war. Selbst Roxanne hätte ihn überragt.   "Heute ist mein erster Arbeitstag bei Ihnen", bekam ich schließlich meine Erklärung, die der junge Typ jedoch recht unsicher hervorbrachte. Ob ihn meine Blöße derart einzuschüchtern wusste? Eigentlich wirkte er nicht unbedingt so, als wäre er einer dieser verdammt prüden Amis. Prüde Amis trugen für gewöhnlich keine langen Haare und schon gar keine Schminke. "Erster Arbeitstag?" Ich war prompt wie vor den Kopf gestoßen und kratzte mir nervös den Kopf. "Aber ich habe doch...ich hab doch ein Dienstmädchen geordert, und nicht..." Der Kerl wirkte sichtlich verlegen. "Also hat Sie mein Chef nicht informiert. Sie haben eine Frau erwartet. Okay, tut mir Leid, aber Sie werden wohl mit mir vorlieb nehmen müssen." Ich hatte ganz vergessen, dass ich noch immer halbnackt im Türrahmen stand. Irgendwie hatte mich diese unerwartete Wendung so durcheinandergebracht, dass ich noch nicht einmal großartig verwundert reagieren konnte. "Schon gut", sagte ich deswegen, woraufhin der Fremde den Kopf hob und mich anschaute, als würde er nur mit Blicken 'Oh, ich darf wirklich bleiben?' fragen. "Es stand eben nirgends, das die Agentur nicht nur weibliche Frauen anbietet, sondern auch...ähm..." Nun gut, zugegeben, das alles hatte mich derart aus dem Konzept gebracht, dass ich nur noch unwillkürliche Scheiße laberte. Zum Glück war die Stimmung zwischen uns dermaßen gespannt, dass mein Gegenüber gar nicht erst auf mein Gesagtes einging, sondern nur weiterhin stumm vor mir verharrte, bis ich ihn hereinbat. Somit standen wir im Flur, erneut in unser unbehagliches Schweigen gehüllt. Noch während ich tief durchatmete und angestrengt darüber grübelte, was ich nun sagen sollte, murmelte mir der andere bereits mit seiner relativ tiefen Stimme eine Frage entgegen.   "Wo kann ich mich umziehen?" Ich hakte gar nicht erst nach, wieso er sich umziehen wollte. Das Ganze wirkte so irreal, dass ich dem Typen zugleich irgendeine spontane Antwort lieferte. "Ähm...neben dem Arbeitszimmer, also gleich hier links, ist das Gästezimmer. Wir treffen uns...dann im Wohnzimmer. Das ist gegenüber." Ich erhielt ein nüchternes Nicken, dann verzog sich der Kerl ohne ein weiteres Wort und ließ mich allein und verdattert im Flur stehen. Doch mir blieb nicht viel Zeit, um meine Gedanken zu sortieren, denn bereits wenige Sekunden später stürmte Roxanne auf mich zu, mit aufgebrachtem Gesichtsausdruck und ebenso aufgebrachter Stimme. "Wer ist das?", wollte sie vollkommen berechtigt von mir wissen und deutete mit dem Daumen hinter sich. "Du hast mir gar nicht gesagt, dass heute einer deiner Kumpels das Gästezimmer-" Okay, die Stunde der Wahrheit hatte geschlagen. "Nein, nein, das ist kein Kumpel", erklärte ich ihr, wobei sie mich ohne mit der Wimper zu zucken musterte. "Ich habe vor ein paar Tagen eine Haushaltshilfe für uns eingestellt, weil wir doch immer keine Zeit haben, um die Wohnung in Schuss zu halten. Ja, und das ist sie eben. Besser gesagt, er." Roxanne wirkte weder sonderlich angetan noch sonderlich entrüstet. Noch. Als unsere neue Arbeitskraft nämlich wenig später im Türrahmen erschien, glaubte ich, dass meiner Freundin prompt die Augäpfel herausfielen. Und auch ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich nicht überrascht, ja sogar ein bisschen verstört reagierte.   "Oh. Ähm...", bekam ich nur wenig klug heraus, während meine Blicke an dem Typen hinabwanderten. Sein düsterer Blick war wohl das Einzige, was er beibehalten hatte, ansonsten schien er sich einer Wandlung um hundertachtzig Grad unterzogen zu haben. Seine langen, schwarzen Haare hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen, doch das wahre Spektakel begann erst ein paar Stockwerke tiefer. Denn wie ich feststellen musste, trug der Kerl doch tatsächlich jenes Kleid, welches die Uniform der Agentur darstellte! Und das, obwohl er ganz offensichtlich kein Mädchen war! "Oh mon dieu!", stieß Roxanne aus und offenbarte somit ihre französischen Wurzeln, während ich aufgrund meines längst nicht so abenteuerlichen Hintergrundes auf ein paar weniger feine Worte zurückgriff. "What the fuck?!" Dass dem Kerl die ganze Situation peinlich war, konnte er nicht verbergen. Beinahe hätte mir mein rüder Fluch Leid getan, aber wie gesagt nur beinahe, denn ich liebte es über alle Maßen, das böse F-Wort zu benutzen. Deswegen tat ich es auch exzessiv, und meine Mitmenschen durften sich davon nicht stören lassen. Allerdings brachte uns mein What-the-fuck auch nicht weiter, also straffte ich meine Schultern, nachdem ich dieses Kuriosum, das der Typ in diesem Zimmermädchenoutfit darstellte, zur Genüge begutachtet hatte und erhob meine Stimme, bereits weniger schockiert. "Gut, wollen wir dann mal einen kleinen Rundgang unternehmen? Wir müssen schließlich noch einiges besprechen..." Als ich mich in Bewegung setzte, stand Roxanne noch immer wie angewurzelt im Flur. Ich warf ihr einen gleichgültigen Blick zu, ehe ich den Kerl sprichwörtlich an die Hand nahm und ihn zunächst ins Schlafzimmer geleitete, wo ich mir zunächst ein paar Klamotten überzog. Während ich mein Handtuch unbedacht auf den Boden warf und ich einen Scheiß darauf gab, ob er meinen nackten Arsch sehen konnte, begab ich mich prompt auf die Suche nach dem Gesprächsfaden.   "Wie ist überhaupt dein Name?" "Joey. Joey Jordison." Anhand seiner Stimme konnte ich erkennen, dass er mir wohl nicht beim Anziehen zuschaute, sondern die Wand begutachtete. "'kay", sagte ich und zog mir meine Unterhose über, damit wir endlich vernünftig reden konnten. Falls das überhaupt möglich war, wie ich mutmaßte, als ich ihn mir einmal mehr betrachtete. Es war nicht so, als hätte dieses Kleid, welches aus schwarzem Satin gefertigt und von weißer Spitze über und über umsäumt war, lächerlich an ihm wirkte, nein, ganz und gar nicht. Auf eine sehr groteske Weise stand es ihm sogar. Man konnte nicht sagen, dass es ihn feminin machte, nein, man erkannte noch immer deutlich, dass Joey männlichen Geschlechtes war, und dennoch wohnte dieser Kostümierung ein gewisser Reiz inne.   Joey machte nun, da ich keine doofen Kommentare mehr über sein Outfit machte und auch keine Fragen mehr stellte, einen wesentlich entspannteren Eindruck. Und nur so konnte sich ein Gespräch zwischen uns entwickeln. "Und Sie sind Joseph Poole, ja?" "Ja, ja, das stimmt", bestätigte ich, grinste im selben Zug allerdings schmerzlich. "Aber ich hasse diesen Namen. Nenn mich bitte Wednesday, oder kurz Wed. Das ist mir lieber. Ach so, und ich finde, wir sollten uns duzen. Ich hasse es ebenso, wenn man mich siezt." "Geht klar", nickte Joey und versuchte sich sogar an so etwas wie einem milden Lächeln, doch es verschwand sehr schnell wieder, als er sich suchend im Raum umblickte. "Ja, es ist schmutzig", beantwortete ich seine stumme Frage. "Du kannst dann auch gleich loslegen, du scheinst ja richtig darauf zu brennen, endlich zu putzen. Krass für einen Typen." Joey lächelte wieder, jedoch konnte ich dieses Mal nicht sagen, ob er es tat, weil er sich verspottet fühlte oder weil er mir freundlich gesonnen war und mir zustimmte. "Aber eine Sache hätte ich schon ganz gerne gewusst", fuhr ich fort, ließ mich auf das Bett sinken und stützte mich lässig auf die Unterarme. "Wieso arbeitest du in so einem verdammten Weiberjob? Wie kommt man da überhaupt drauf?" "Na ja." Joey zuckte die Schultern. "Ich brauchte dringend Geld, und einen ordentlichen Job zu bekommen ist schwer..." "Du hättest doch aber hundertprozentig auch mit anderen Dingen gut Geld machen können." Joeys Augen musterten fragend mein keckes Grinsen, während ich seine Gestalt erneut von oben bis unten betrachtete. Seine weißen Strumpfhosen und die eleganten, schwarzen Damenschuhe, von denen ich nicht wusste, wie man sie nannte, waren mir bisher noch gar nicht aufgefallen. Außerdem besaß Joey wirklich ein schönes Gesicht, das musste selbst ich als heterosexueller Typ zugeben. Besonders sein Halbprofil hatte so etwas Harmonisches, und wenn er dann die Lippen einen Spalt weit öffnete, während er nachdachte oder verwirrt war... "Mit Sex zum Beispiel." "Sex." Unüberhörbare Skepsis. "Ja", bestätigte ich deswegen ganz gelassen, so, als würde ich über eine Banalität wie das Wetter reden. "Du traust dich in Frauenkleider, dafür gibt es doch haufenweise Liebhaber...und hey, ich meine, so wie du aussiehst..." Joey schwieg eisern, doch ich erwartete auch gar keine Erwiderung seinerseits, sondern erzählte fröhlich einen Schwank aus meiner Jugend. "Ich trug ja früher selbst mal Frauenkleider, aber ich sah damit wesentlich bescheuerter aus als du. Mir hat das nicht gestanden. Aber du siehst so aus, wie der fleischgewordene Traum, den solche travestievernarrten Typen haben. Nicht zu weiblich, ich glaube, das mögen die nicht. Man sieht, dass da ein Schwanz unter dem Kostümchen steckt. Und das", ich zwinkerte ihm zu, "macht den Reiz aus." Ich hatte geendet und erhob mich, ignorierend, dass Joey nun mich betrachtete wie einen Außerirdischen und nicht mehr ich ihn. "So, und nun hast du mich kennengelernt, nun können wir zum Wesentlichen übergehen. Komm, ich zeig dir gleich mal die größte Schmutzecke. Du als Reinlichkeitsfanatiker wirst kotzen..."     Im Großen und Ganzen verlief der erste Tag unerwartet positiv. Joey folgte mir brav durch das ganze Haus und erledigte anschließend bereits ein paar Arbeiten, und das zu meiner Überraschung wesentlich besser als Roxanne. Es machte sich eben doch bezahlt, einen Professionellen im Haus zu haben. Und deswegen sparte ich auch nicht mit Komplimenten, als der Feierabend näher rückte.   "Du kannst für heute Schluss machen." Joey wischte gerade auf den Boden kniend das Bad und es dauerte eine Weile, ehe er zu mir aufschaute und sich dann erhob. "Okay, ich geh mich dann mal umziehen..." "Nicht so eilig." Ich berührte ihn bestimmt am Oberarm, spürte aber sofort, dass ich das besser hätte gelassen. Warum, das konnte ich nicht einmal selbst sagen; Joey hatte mir weder einen grimmigen Blick zugeworfen noch ein eindeutiges Signal gegeben, dass ich ihn nicht hätte berühren sollen. Es fühlte sich schlicht und ergreifend falsch an. Nicht so, als wenn man einem Freund im Scherz die Schulter tätschelte. Aber wir waren ja auch keine Freunde. Genau genommen war ich sein Chef, und er war mein Untergebener. Vielleicht war es deshalb so seltsam. Weil wir uns noch so fremd waren. Ja, das musste es gewesen sein.   Ich zog also meinen Arm wieder zurück, allerdings nicht zu abrupt, Joey sollte nicht bemerken, dass mir die Berührung wider Erwarten Unbehagen bereitet hatte. "Du hast die Probezeit bestanden", eröffnete ich ihm noch einmal eindrücklich, obwohl er dies sicher aus meinen vorangegangenen Worten herausgelesen hatte. "Es wäre schön, wenn du morgen wieder um dieselbe Zeit hier sein könntest." Unter Joeys abwartenden Blicken griff ich in meine Hosentasche und holte das heraus, was ich unserem Angestellten mitgeben wollte. "Da Roxanne und ich morgen wahrscheinlich den ganzen Tag arbeiten werden, wäre es sinnvoll, wenn du einen Schlüssel bekommst." Bestimmt überreichte ich Joey das gute Stück, und er nahm es ohne zu Zucken an. "Ich denke mal, dass wir dir so weit vertrauen können", fuhr ich fort, ein schelmisches Grinsen umspielte meine Lippen. "Enttäusche uns nicht. Denn wenn du klaust, dann muss ich dir leider dein hübsches Gesichtchen zerkratzen. Merk dir das." Selbst diese Drohung schien Joey nicht aus der Ruhe zu bringen. Genauso wenig wie das 'hübsche Gesichtchen', welches dafür mich umso mehr irritierte. Einmal mehr nahm ich wahr, dass Joey keiner meiner Kumpels war. Mit ihm, das fühlte sich vollkommen anders an, wesentlich distanzierter und dann auch wieder nicht. Als würden wir uns schon lange kennen, denn ich hatte keinerlei Skrupel, ihn mit meinen doch manchmal recht versauten Witzen aufzuziehen. Womöglich lag das aber auch seiner noch sehr ruhigen Art zugrunde. Joey schien einer zu sein, mit dem man alles machen konnte, so glaubte ich. Und wahrscheinlich war es unter anderem auch das, was mich auf ganz eigenartige Weise an ihm faszinierte.   "Du kannst während unserer Abwesenheit auch die Dusche benutzen, wenn du magst. Ach, und wenn du für einen vollen Kühlschrank sorgst, dann darfst du auch gerne nur für dich kochen." Wieder schmunzelte ich, während Joey kaum eine Miene verzog. Ob er sich noch immer davor fürchtete, ich könnte ihn insgeheim für sein Outfit verlachen? "Es wäre aber auch sehr schön, wenn du etwas für uns kochen könntest. Ich hoffe, du bist gut darin." "Klar, das hat man mir während der Ausbildung beigebracht", versicherte mir Joey. Ich nickte. "Okay. Dann sehen wir uns morgen." Auch Joey nickte, und einmal mehr musste ich feststellen, dass seine Art überhaupt nicht zu seinem damenhaften Aufzug passte. Charakterlich, da schien er ganz Mann zu sein, wenig gesprächig und nicht sonderlich offen mit seinen Emotionen. Meine Blicke streiften noch einmal über ihn, als er sich an mir vorbeischob, um das Bad zu verlassen. Aus seinem Zopf hatte sich eine Strähne gelöst, die ihm an seiner verschwitzten Schläfe klebte.     *   Ich musste gar nicht erst abwarten, bis Roxanne den Mund aufmachte. Sie saß im Wohnzimmer, und anhand des Grabesblickes, den sie mir über ihre Klatschzeitschrift hinweg zuwarf, konnte ich ausmachen, dass es da etwas gab, das ihr ganz und gar nicht behagte. Und ich meinte auch beurteilen zu können, wie die Laus aussah, die ihr über die Leber gelaufen war. "Ja, ja, es tut mir leid, dass ich Joey ganz alleine, hinter deinem Rücken, eingestellt habe", ging ich direkt zum Brennpunkt über und gesellte mich entschuldigend zu ihr auf die Couch. Roxanne allerdings tat so, als wäre ich gar nicht anwesend und starrte anstelle verbissen in ihr Heft. "Joey?" Neugierig war sie trotzdem. Vielleicht konnte man dies als gutes Zeichen verbuchen. Vielleicht auch nicht. "Ja, die kleine Transe heißt Joey. Und Joey putzt besser als du, und dabei trägt er noch hohe Schuhe!", versuchte ich mich an einem Witz, doch meiner Freundin schien das Lachen im Hals stecken geblieben zu sein. Mir allerdings auch, denn ich sinnierte gerade darüber, dass Joey ein hübscher, klangvoller Name war, der irgendwie zu dem Kleinen passte. Doch ich schob diesen Gedanken schnell beiseite und ging auf Versöhnungskurs. Bedeutete: Bemitleidenswerter Gesichtsausdruck, Kosenamen und bettelnde Stimme. Leider stand mir diese Rolle nicht sonderlich gut. Aber manchmal war es schlicht und ergreifend besser, sich lächerlich zu machen, als den halb verkohlten Braten im Ofen zu lassen, so mein Leitsatz.   "Och komm, Roxie, ich habe es doch nur gut gemeint." Mein Kinn schmiegte sich auf ihre Schulter, was es mir ermöglichte, einen Blick auf Kim Kardashians großen Arsch zu werfen. "Ja, ich hätte dir vorher davon erzählen sollen, dass ich jemanden eingestellt habe, aber es sollte eben eine Überraschung werden." "Darum geht es doch gar nicht", meinte Roxie bitter; meine Tour schien bisher nicht erfolgreich verlaufen zu sein. Wie immer. Und das lag nur daran, dass ich einfach nicht dazu geboren war, süß zu sein. Ich war gutaussehend, aber nicht süß. Nicht jeder vermochte diese beiden Facetten so bravourös in sich zu vereinen wie Joey. Joey hätte Roxanne sicherlich in Nullkommanichts weichgekocht, selbst mit seinem etwas böse angehauchten Blick. Doch ich war nun mal nicht Joey, und eigentlich wollte ich auch gar nicht er sein, denn es wäre mir dezent auf den Sack gegangen, ständig im Kleidchen den Staubwedel zu schwingen. Ich blieb lieber ich, auch wenn es in manchen Situation äußerst unvorteilhaft anmutete, ich zu sein.   "Ich finde deine Idee gut", fuhr Roxie fort und atmete tief durch, so, als würde sie sich auf einen großen Kampf vorbereiten. "Ich finde es nur nicht so gut, wen du angeheuert hast." Endlich warf sie mir einen Blick zu, mir, der noch immer an ihrer Schulter klebte und sich an einem Schmollmund versuchte. Selbst Kim lachte mein Gesicht aus. Und anhand von Roxannes Gesichtsausdruck konnte ich ablesen, dass auch sie mir nicht so recht zugeneigt war im Moment. Zusammengepresste Lippen trafen auf zusammengezogene Augenbrauen. Ich hasste diese tiefe Falte, die sich dann auf ihrer Stirn bildete. Wahrscheinlich, weil ich sie mit Ärger in Verbindung brachte. "Ich meine...wieso suchst du dir eine Firma aus, die männliche Dienstmädchen in Frauenkleidung anbietet?" "Aber...ich hab doch gar nicht-" Roxanne machte gnadenlos weiter. Da konnte selbst ich nicht dagegen anstinken. "Deinen entsetzten Blick vorhin, als dieser Jordan oder wie der heißt vor uns stand, hättest du dir übrigens sparen können." Sie wendete sich ab und starrte an die Wand. "Gibs zu, du hast den nur angestellt, weil dich das geil macht. Ohne Grund macht man so was nicht." Nun wurde ich aber zunehmend wütend. Die Kuscheltour hatte sie sich nicht verdient, außerdem zog sie sowieso nicht. "Hör mir mal bitte zu", setzte ich so ruhig wie möglich an, doch ich spürte ganz genau, dass in meinem Körper ein Sturm, ja vielleicht sogar ein Orkan tobte. "Ja, ich gebe zu, ich wusste von den Kostümen, und ich fand das eigentlich ganz witzig-" "Ganz witzig", schnaubte Roxanne giftig. Stocksteif verharrte sie vor dem Balkonfenster, während ich immer verzweifelter nach Beherrschung rang. Der Groll saß schwer in meinem Magen, und es fehlte nicht mehr viel, bis ich...bis ich... "Ja, ich fand das ganz witzig", bestätigte ich in der Inbrunst der Überzeugung. In dem Moment hatte ich selbst ganz vergessen, dass ich ein bisschen log. "Aber ich hatte keine Ahnung, dass die mir einen Kerl schicken!" "Als ob es das besser machen würde." "Ja, das tut es!", donnerte ich weiter, gar nicht bemerkend, dass ich mich längst erhoben hatte. "Ich stehe nämlich nicht auf Typen, und du solltest das eigentlich am besten wissen! Hab ich je irgendwelche Andeutungen gemacht, dass ich mich für Männer interessieren würde?" Roxanne schwieg eisig. Und meine Wut wurde vielleicht nicht kleiner, aber doch wesentlich erträglicher, denn ich hatte im Grunde überhaupt keinen Bock, mich nun auch noch wegen Joey mit meiner Freundin zu streiten. Insgeheim wusste ich allerdings, dass ich einen kleinen Fehler gemacht hatte. Doch dies zugeben? Never! Schließlich hatte ich tatsächlich zu keiner Sekunde vorgehabt, der Haushaltshilfe unter das Röckchen zu gehen, nur weil es ein albernes Kostümchen trug. So billig war noch nicht einmal ich. Zumindest redete ich mir das ein. Die Realität sah nämlich tatsächlich ein wenig trauriger aus.   "Komm, lass uns nicht mehr streiten." Und doch fuhr ich wieder die Kuscheltour. Aber einer musste schließlich klein bei geben, und für gewöhnlich war ich das. Das tagelange Schmollen, das ganz zu Anfang unserer Beziehung einmal geherrscht hatte, hatte mich noch wesentlich mehr aufgebracht als Roxanne um des lieben Friedens Willen Recht zu geben. So stand ich also hinter ihr und massierte ihre Oberarme, bis sie es sich überlegt zu haben schien und sich zu mir umdrehte. Anhand ihres viel weicheren Gesichtsausdrucks erkannte ich, dass nun alles wieder gut werden würde. "Ich lieb dich doch", flüsterte ich und zog sie in meine Arme, und als sie den Kopf gegen meine Brust lehnte wirkte sie wieder so schwach und zerbrechlich, dass der kleine, stille Joey mit seinem adretten Kleidchen ganz weit in den Hintergrund meiner Gedanken rückte. Klar, sein Outfit stand ihm wirklich gut, aber das würde noch lange kein Grund für mich sein, komplett auszuflippen, niemals. Zudem ich nichts, aber auch gar nichts, mit Schwänzen anzufangen wusste.   So die Theorie. Die Praxis sollte allerdings ein wenig anders ausschauen. Zumal es der kleine, stille Joey faustdick hinter den Ohren zu haben schien...   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)