Dancing under the Full Moon von hikabella ================================================================================ Kapitel 10: Erste Lektionen --------------------------- Es hatte eine Weile gedauert, bis die Kids endlich aufstanden. Und seitens Derek war dafür mehr als nur ein leichtes anstupsen mit dem Fuß nötig gewesen, bis Stiles endlich hoch kam. Und hätte Scott nicht eine Nachricht geschickt, dass sein Vater sich dringend in der Schule melden sollte, wahrscheinlich hätte er einfach weiter auf dem Boden zusammengerollt geschlafen. „Stiles, steh endlich auf und schwing deinen Hintern nach Hause. Scott hat sich gemeldet. Und dein Dad wartet garantiert auch dringend auf ein Lebenszeichen von dir. Mach mal ein bisschen zackig, sonst muss ich dir wehtun!“ Stiles brummelte protestierend, drehte sich aber umständlich auf alle Viere und setze sich dann brummelnd zurück auf die Fersen. Er gähnte herzhaft und streckte sich etwas, bevor er sich einmal wie ein Hund schüttelte und dann aufstand. „Immer musst du mit körperlicher Gewalt drohen, Derek“, beschwerte sich Stiles. Er drückte den Rücken durch und es knackte in mehreren Wirbeln. Kein Wunder, so wie er geschlafen hatte... Er wandte dem Älteren seinen Blick zu. Der antwortete nur mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Ich meine, Gewalt ist doch keine Lösung.“ „Ach was“, sagte Derek und legte den Kopf schief. „Aber es befreit ungemein. Gewöhn dich jedenfalls schon mal dran.“ Stiles stand auf, klopfte sich die Hose und das Hemd ab und verschränkte dann seine Arme vor der Brust. Er wirkte zwar nicht mal ansatzweise so furchterregend wie sein Gegenüber, aber einen auf 'Big Bad Wolf'-machen konnte er jetzt auch... theoretisch jedenfalls. Das mit dem Respekt einflößen musste er dringend üben. Er machte eine entsprechende geistige Notiz auf seiner To-Do-Liste. Schließlich drehte er sich zu Derek um. „Warum sollte ich?“, fragte er herausfordernd und reckte das Kinn vor. Derek starrte ihn aus halbgeschlossenen Augen durchdringend an. Er trat ganz nah an ihn heran, so dass Stiles den Kopf fast in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu sehen. Mit einem finsteren Gesichtsausdruck bohrte Derek ihm fast einen Finger ins Gesicht. Stiles kniff die Augen halb zusammen und betrachtete Dereks drohende Haltung genauer. 'Er ist sprachlos', stellte Stiles überrascht fest. Sprachlos vor Wut? Aber warum? „Na los“, forderte er sein Gegenüber auf. „Los, tu dir keinen Zwang an, Derek. Ich bin ja jetzt wie du und Scott, ich kann einiges einstecken ohne dabei drauf zu gehen. Nur zu. Wenn es dich befreit, dann leg mal los.“ Derek schnaubte. Und wieder stach er mit dem Zeigefinger fast zu. Dann atmete er lautstark aus, schloß kurz die Augen und lies wieder die Hand sinken. Er hielt sich die Stirn und schüttelte mit dem Kopf. „Du verstehst das alles nicht, Stiles. Du hast keine Ahnung.“ Er richtete den Blick an die Zimmerdecke, aber sein eigentlicher Blick ging weit darüber hinaus. „Stiles...“, er rang nach Worten. Dann seufzte er und senkte den Blick. Er atmete einmal tief durch. „Stiles, wir müssen zu deinem Dad. Und du musst lernen mit deinen neuen Fähigkeiten umzugehen.“ Seine Stimme war wieder ruhiger. Was auch immer er Stiles hatte sagen wollen, das war es sicher nicht. Aber er fragte besser nicht weiter. „Malia?“ Derek drehte sich zu dem Mädchen um, das inzwischen wieder am improvisierten Pokertisch saß und sich über die Essensreste von letzter Nacht hermachte. Das restliche Sushi war zwar leider mittlerweile ungenießbar (trockener Fisch - urks), aber es gab noch genug Salzstangen und Chips und (warum auch immer Lydia die eingepackt hatte) Schokoladen Cookies. Besonders auf letztere stürzte sie sich mit Feuereifer. Innerhalb kurzer Zeit waren nur noch Krümel übrig. Die Männer konnten nur staunend zusehen, wie schnell das Essen in ihrem Magen verschwand. „Malia, wenn du so weiter machst, dann wirst du der erste fette Werkojote sein, den ich je gesehen habe“, stellte Derek fest. Die wischte sich unbekümmert mit dem Handrücken über den Mund und griff nach dem Rest Cola. Sie trank die Flasche in einem Zug leer. „Ich bin der einzige Werkojote Derek, den du überhaupt je gesehen hast. Also ist das kein Maßstab.“ 'Freches kleines Ding', dachte Derek. „Wenn ich mich nicht irre musst du heute zur dritten Stunde in der Schule sein. Also geh jetzt nach Hause, zieh dich um und besuche dann deinen Kurs. „Und was macht ihr zwei?“, fragte sie. Derek sah Stiles wieder mit diesem seltsamen Gesichtsausdruck an, zwischen Sauer, Genervt und ernsthafter Sorge. Er legte Stiles seine Hand auf die Schulter. „Wir beide... werden trainieren. Freu dich schon mal drauf.“ Es klang wie ein Todesurteil.   Wie Scott gesagt hatte, fand Derek den Schlüssel im Flur auf dem Boden liegend vor. Er hob ihn auf, wischte etwas Erde ab und öffnete dann das Gitter. Aufräumen konnten sie auch ein anderes Mal. Jetzt war es wichtiger Stiles nach Hause zu bringen. Malia verabschiedete sich von Stiles mit einem dicken Kuss auf den Mund, nickte Derek einmal zu und verschwand dann mit übermenschlicher Geschwindigkeit im Wald jenseits des Hauses. Stiles blickte ihr nach. „Ganz schön flink“, murmelte er beeindruckt. Dann sah er Derek von der Seite an. „Und wie kommen wir nach Hause?“ Derek seufzte und verdrehte die Augen. „Na was denkst du, Stiles? Wir schwingen den Zauberstab und verwandeln einen Kürbis in eine Kutsche.“ Stile glotzte ihn daraufhin blöde an. „Wir laufen natürlich, Stiles.“ Stiles machte große Augen. „Den ganzen Weg durch den Wald?“ „Nein, wir nehmen die Abkürzung durch das Wolkenkuckucksheim.“ „Aber das sind mehrere Meilen.“ „Ja und? Je eher wir loslaufen, umso schneller sind wir da. Komm schon.“ Und mit diesen Worten griff er sich Stiles, packte ihn am Arm und zog ihn hinter sich her. „Hey!“, protestierte Stiles, aber Derek ließ ihn nicht los. Im Gegenteil, er schlug von Anfang an ein hartes Tempo an. Zuerst stolperte Stiles ein paar Mal fast, aber schon wenige Schritte später hatten seine Beine den Oberkörper wieder eingeholt und er legte an Geschwindigkeit zu. Und sogar ziemlich gut. Und ziemlich schnell. Und ehe Stiles klar wurde, was er da machte hatte er schon gemeinsam mit Derek die halbe Strecke hinter sich gelassen. Dann merkte Stiles zum ersten Mal bewusst, was es hieß Wolfskräfte zu haben. Seine Sicht veränderte sich. Trotz ihrer immensen Geschwindigtkeit konnte er die Bäume beinahe in Zeitlupe an ihm vorbeiziehen sehen. Jede noch so kleine Bewegung im Wald um ihn herum konnte er fühlen. Und die Gerüche... Jetzt konnte er tatsächlich eine feine Duftnote entdecken, die nach Scott roch. Diesen Weg mussten sie in der letzten Nacht genommen haben, denn er konnte auch Malia und Dereks... Aroma entdecken. Langsam verstand er, was Scott ihm all die Zeit seit seinem Biss versucht hatte zu erklären. „Jedes Lebewesen hat einen ganz bestimmten Duft, Stiles“, hatte er gesagt. „Das ist nichts, was du mit Deo oder Parfum überdecken kannst. Es ist mehr... sowas wie ein Aroma. Oder besser eine 'Signatur'. Wenn du etwas anfässt hinterläßt du Fingerabdrücke. Aber du überträgst auch immer etwas von deiner Körperwärme, deiner Energie und deinem Schweiß. Wie eine Unterschrift. Die Kombination macht sie einzigartig und sagt mehr über dich aus, als ein CSI feststellen könnte. Denn der Geruch beschreibt auch immer ein wenig den Charakter seines Besitzers.“ Scott zum Beispiel hatte eine frische waldige Note, konnte Stiles nun feststellen. Wie Moos, das unter einer Kiefer wächst und mit Tautropfen bedeckt ist. Erdig, natürlich, angenehm. Und doch widerstandsfähig. Das passte zu ihm. Er konnte auch lange Durststrecken überstehen und ein Tropfen Regen reichte, dass er förmlich aufblühte. Malia dagegen roch wie ein Sommerregen, der auf heißen Felsen trifft. Und Derek... Stiles drehte den Kopf ein wenig in seine Richtung. Derek... roch kraftvoll und geschmeidig. Stiles fand einfach keine besseren Worte dafür. Wie gut geöltes Leder, wie eine Peitsche die jederzeit zuschlagen konnte. Eine Waffe, ein Raubtier. Während Scott und Malia noch einen jungen, natürlichen Geruch hatten, war Derek bereits ein ausgewachsenes und gefährliches Raubtier. Wie er wohl für die anderen roch? Hatte sich sein Geruch nach dem Biss verändert? Hatte er sich bereits vorher durch den Nogitsune verändert? Derek hatte einmal erwähnt, dass er Peter als Alpha nicht hatte am Geruch erkennen können, da der seiner Alpha-Gestalt anders war. Also war es möglich, dass eine einzige Person verschiedene Duftnoten haben konnte, wenn er verschiedene Persönlichkeiten hatte. Hätten die anderen dann nicht bemerken müssen, dass er damals besessen war? Hätte er dann nicht anders riechen müssen, wenn der Nogi die Oberhand hatte? Oder hatte sich der Nogi so gut getarnt, dass... „Stiles!“ Dereks Ruf holte Stiles aus seinen Überlegungen zurück in die Gegenwart. „Halt an, Stiles.“ Stiles sah sich um. Er erkannte verschiendene Wegmarken. „Aber wir sind gleich da.“ „Ich weiß, darum sollst du ja anhalten.“ Stiles verstand nicht, was Derek von ihm wollte, aber er er wurde langsamer und blieb stehen. Erwartungsvoll blickt er Derek an und wartete auf eine Erklärung. „Das mit dem Laufen machst du nicht schlecht, aber du solltest besser wieder auf 'Normalmodus' umschalten, bevor wir aus dem Wald kommen.“ „Normalmodus?“ Derek zuckte mit den Schultern. „Sagt man das nicht so in Computerspielen? Normal-Modus, Detective-Modus, Tarn-Modus...“ „Ja schon, aber was meinst du genau, wenn du sagst ich solle... oh...“  Stiles blickte auf seine Hände und sah die Krallen. Er fuhr mit seiner Zunge über seine Vorderzähne und konnte die Reißzähne an den Ecken spüren. Ok, so durfte er definitiv nicht vor seinen Vater treten. Oder er würde gleich wieder einen elektrischen Schlag abbekommen. „Was, was muss ich tun, Derek?“ Derek legte Stiles beruhigend beide Hände auf die Schultern. „Atme ganz ruhig ein und aus. Konzentriere dich auf den Rythmus. Spüre deinen Herzschlag. Zentriere dich. Mach die Augen zu, wenn dir das hilft, und versuche ganz bewußt die Krallen einzuziehen, den Werwolf in dir wieder zu bändigen, ihn einzusperren, wenn du so willst. Oder schicke ihn zu einem kleinen Nickerchen in ein Körbchen ganz hinten in deinem Geist. Und hab keine Angst, du kannst das. Es ist natürlich, ein Instinkt. Kein Raubtier ist durchgehend im Kampf, auch ein Wolf macht mal Pause.“ Stiles atmete langsam aus und schloss die Augen. Er stellte sich den Wolf bildlich vor seinem inneren Auge vor. Wie er aufhörte die Zähne zu fletschen, die Ohren wieder aufrichtete, mit einem Wolfslächeln, die Zunge schräg aus Maul hängend beinahe lachte und davon trottete. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Krallen zurück zogen und auch die Reißzähne verschwanden. Er öffnete die Augen. Auch seine Sicht war wieder normal. Derek nickte zustimmend und ließ die Hände sinken. „Gut, jetzt können wir weitergehen.“ Und er drehte sich um und lief weiter zum Waldrand in der Nähe von Stiles Elternhaus.   Sheriff Stilinski musste bereits seit einiger Zeit hinter dem Fenster gestanden und nach ihnen Ausschau gehalten haben. Sie waren keine 20 Schritte mehr vom Haus entfernt, da öffnete er den beiden auch schon die Tür. Derek hatte ein amüsiertes Glitzern in den Augen, als er Stiles vor sich herschob und ins Haus bugsierte. Er griff in die Hosentasche und hielt dann mit einem breiten Grinsen Stiles' Dad den kleinen Schlüssel und die Handschellen hin. „Niemand wurde verletzt und niemand getötet, Sir.“ Er sah Stiles an. „Und zumindest geht es ihrem Sohn nicht schlechter als vorher auch schon.“ Der Sheriff nahm den kleinen Schlüssel in die Hand und drehte ihn hin und her. Wahrscheinlich um seine Finger zu beschäftigen. Er wusste nicht so recht, ob er Stiles umarmen sollte, oder nicht. Es war ein ziemlich merkwürdiges Gefühl. Als Scott ihm damals seine Wolfsform gezeigt hatte, war er sich auch nicht ganz sicher gewesen, wie er damit umgehen sollte. Immerhin kannte er Scott seit er ganz klein war. Und Scott war ein guter Junge. Darum vertraute er ihm auch und akzeptierte ihn so, wie er war. Es war schließlich nicht seine Schuld, was passiert war. Und seinen Sohn kannte er noch viel länger, also worüber machte er sich überhaupt Gedanken? Er zögerte nur einen kurzen Moment und nahm dann Stiles in die Arme. „Gott Junge, erschreckt mich bitte nie wieder so. Ich... Nach der ganzen Sache mit dem Nogitsune bin ich wohl etwas dünnhäutiger geworden...“ Dann schob er ihn auf Armeslänge von sich und betrachtete aufmerksam sein Gesicht. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ Stiles hüstelte verlegen und versuchte dem Blick auszuweichen. „Klar Dad, alles soweit wieder normal...“ 'Soweit bei uns überhaupt irgendwas was normal sein kann...', dachte er. Peinlich berührt wischte er die die Hände seines Vaters von seinen Armen ab und trat einen leichten Schritt zu Seite. Er war es nicht gewohnt, dass sein Dad vor anderen so gefühlsduselig war. Besonders vor Fremden... Aber war Derek eigentlich noch ein Fremder? Stiles konnte sehen, wie sein Dad Derek einen besorgten Blick zuwarf und sich erst zu beruhigen schien, als der letzte Sohn der Hale-Familie ihm beruhigend zunickte. Nein, Derek war kein Fremder mehr. Wenn er genau darüber nachdachte, war er das schon seit einer Weile nicht mehr. Spätestens die gemeinsame Sorge um Stiles seit das mit dem Nogitsune angefangen hatte, waren die Männer einander ein Stück näher gekommen. Der Sheriff musterte seinen Sohn noch einen Moment länger und trat dann einen Schritt beseite. „Ok, kommt beide erst mal rein. Und dann sollte ich wohl in der Schule anrufen.“ Er kratzte sich am Kopf. „Ich denk mal es ist besser, wenn du heute zu Hause bleibst. Der eine Tag macht auch keinen großen Unterschied mehr.“ „Wollte ich gerade vorschlagen“, sagte Derek. „Scott hatte auch schon geschrieben, dass der Lehrer nach ihm gefragt hatte.“ Im Vorbeigehen legte er die Handschellen auf die Konsole im Eingangsbereich und schob mir der anderen Hand Stiles vor sich her.   Während der Sheriff also sein Handy zückte und die Nummer vom Sekretariat in seinem Adressbuch suchte, gingen Stiles und Derek in die Küche vor. Hinter ihnen fiel die Tür mit einem leichten Rumms ins Schloss. Beide setzten sich an den Tisch und hörten das leise geführte Telefonat. Für Stiles war das noch eine leicht verstörende Tatsache, dass er dem Gespräch durch das halbe Haus hindurch so mühelos folgen konnte, als würde er direkt neben seinem Vater stehen. Derek sagte etwas zu ihm, aber er bekam nicht ganz mit was. Dann schnippte Derek in sein Gesicht und er zuckte überrascht zusammen. „Hey, gewöhn dir das gar nicht erst an zu lauschen“, tadelte ihn der Ältere. „Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?“ Stiles blickte leicht bedröppelt drein. „Ähhh...“ Derk schüttelte missbilligend den Kopf. „Ich sagte, du musst lernen dich auf deine unmittelbare Umgebung zu konzentrieren. Und das Gespräch zu ignorieren ist schon mal eine gute Anfangsübung. Sonst antwortest du noch auf Fragen, die zwei Räume weiter gestellt werden, wenn du nicht aufpasst.“ Stiles zuckte unbekümmert mit den Schultern. „Hab schon Sachen in der Art gebracht, wär also nicht so schlimm. ADHS, weißt du? Die Leute erwarten merkwürdiges Verhalten von mir.“ In dem Augenblick kam sein Vater durch die Tür. Er hatte das Telefon nich in der Hand und legte es nun auf dem Esstisch vor sich ab. „Möchtet ihr einen Kaffee? Ich hab noch ein wenig Zeit, bevor ich wieder aufs Revier muss.“ Derek und Stiles nickten zustimmend und nahmen beide dankbar die Becher mit der heißen braunen Flüssigkeit entgegen, die ihnen gereicht wurden. Stiles schüttete eine großzügige Menge an Milch und Zucker in seinen Becher, während Derek einfach tiefen Zug der puren heißen Flüssigkeit hinunterstürzte. Der Sheriff setzte sich zu den Beiden an den Tisch und sein Blick wanderte immer wieder von einem zum Anderen. Gedankenverloren trank auch er einen Schluck Kaffee. Die Stirn in Falten gelegt betrachtete er die Aufschrift seines Bechers. 'Für den besten Dad'. Stiles hatte ihm den vor vielen vielen Jahren selber mit seiner krakeligen Kinderhandschrift verziert zum Vatertag geschenkt. Er seufzte leise in sich hinein. Das waren noch einfachere Zeiten gewesen. Er musste sich keine Gedanken um Werwölfe, Dämonen und finstere Druiden machen. Seine größte Sorge war damals gewesen, wie sie Stiles dazu bringen konnten einfach nur mal ruhig da zu sitzen, ohne zu zappeln oder in einer Tour zu reden. In dem Augenblick wurde ihm etwas bewußt. Sie saßen bestimmt schon mehrere Minuten friedlich und still am Tisch. 'Ruhig' und 'still'. Beides Worte, die in Stiles Wortschatz noch nie vorgekommen waren. Aber sein Sohn saß jetzt seltsam friedlich auf seinem üblichen Platz, hatte die Augen halb geschlossen und genoß seinen Kaffee. Ohne zu zappeln und ohne zu reden. Überrascht warf er Derek einen fragenden Blick zu, der mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem Schulterzucken beantwortet wurde. Derek warf selber Stiles einen kurzen Blick zu und sah dann wieder den Sheriff an. Sein schiefes Grinsen schien zu sagen 'Es hat halt auch positive Seiten ein Werwolf zu sein.' Der Sheriff räusperte sich schließlich und stellte seinen Becher wieder vor sich auf den Tisch. „Also Stiles“, fing er an und blickte seinem Sohn prüfend ins Gesicht. „Wie läuft das jetzt mit dir und dieser Werwolf-Sache? Muss ich dich jetzt jeden Vollmond einsperren oder so? Und... was ist mit Scott? Was sagt er dazu? Was ich nicht verstehe, wie ist das ganze überhaupt passiert? Hat er dich gebissen? Wolltest du das überhaupt? Und was passiert nun?“ Stiles prustete überrascht in seinen Becher und machte große Augen. „Langsam Dad, ganz ruhig, keine Panik.“ Derek und der Sheriff sahen sich an. Stiles sagte seinem Dad er solle ruhig bleiben? Wer von beiden war denn immer derjenige, der nie ruhig sein konnte? „Also zunächst mal, nein, du musst mich nicht einsperren.“ Er deutete mit dem Daumen auf Derek. „Das besorgen die schon.“ Derek stöhnte auf und hielt sich die Stirn. Wie das wohl in den Ohren seines Vaters klingen mochte. Als würden sie Fesselspielchen im Hinterzimmer veranstalten oder so. Aber sein Dad nickte nur und verzog keine Mine. Offenbar hatte er sich schon mit den Besonderheiten von ihm und den seinen abgefunden. „Ist vermutlich die beste Lösung. Ihr kommt wahrscheinlich ohnehin besser damit klar, wenn ihr alle zusammen seid.“ Er holte tief Luft, eher er weiter fragte. „Ok, aber ich möchte immer noch wissen, wie es eigentlich dazu kam, dass du nun auch Krallen hast, Stiles. Du hättest doch vorher mit mir drüber reden können, wenn du und Scott geplant hattet, dass er dir den Biss geben würde. Warum hast du nichts gesagt?“ In seiner Stimme lag kein Vorwurf, mehr Trauer und das Gefühl, dass sein Sohn scheinbar nach allem noch immer Geheimnisse vor ihm hatte. An dieser Stelle mischte sich Derek ein. „Augenblick, Sheriff, ich glaube ich muss hier was klar stellen. Scott hatte nicht geplant Stiles zu beißen und er hat es auch nicht getan.“ „Aber wie...war es ein Versehen? Ihr hättet mich trotzdem vorwarnen können. Als du da plötzlich blutend und zitternd auf dem Küchenboden lagst... Gott Stiles, ich dachte schon du stirbst doch noch!“ „Dad“, Stiles versuchte den Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seiner Kehle breitzumachen begann. „Dad, ich... ich wußte doch selber nicht...“ Derek hob die Hände, um beide zu unterbrechen. „Er wußte nicht, was passieren würde. Keiner von uns wußte das. Darum konnte er Sie nicht vorwarnen. Und es steckt auch kein fremder Alpha dahinter, falls Sie das jetzt denken. Nein. Letztlich ist schon Scott dafür verantwortlich, aber nicht dadurch, dass er diesen Stiles gebissen hätte.“ Er deutete auf den jungen Mann, der neben ihm am Tisch saß. Der Sheriff sah aus, als würde er langsam einen Drink brauchen oder als bekäme er gerade eine ausgewachsene Migräne. „Einen Moment bitte“, sagte er und massierte sich die Schläfen. „Noch mal einen Schritt zurück, was meinst du mit 'nicht dieser Stiles', Derek?“ Derek blickte Stiles von der Seite an, aber der jüngere klammerte sich nur mit einem eulenhaften Blick an seinem Becher fest und über ließ es ihm offenbar alles zu erklären. Er seufzte. „Ok, wieviel haben Sie von der Nogitsune-Sache mitbekommen? Hatten die anderen von der 'Stiles-durch-Zwei'-Sache erzählt?“ Der Sheriff nickte verwirrt. „Ja schon, aber was hat das damit zu tun? Ich dachte der wäre besiegt und versiegelt worden...“ „Ist er ja auch. Aber damit wir das tun konnten, musste Scott die dunkle Hälfte beißen. Und wir vermuten nun, dass sich das übertragen hat, da ja nun mal letztlich der falsche Stiles ein Teil des echten war und mit dem verschwinden des Nogitsune haben sich beide Hälften wieder verbunden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Wenn Sie mehr über den esoterischen Teil der Sache wissen wollen sollten Sie mit Dr. Deaton reden. Er ist der Experte.“ Der Sheriff blickte überrascht drein. „Der Tierarzt? Wieso... Was hat er denn jetzt mit der Sache zu tun?“ Derek schaute Stiles mit einem genervten Gesichtsausdruck an. „Habt ihr deinem Vater eigentlich überhaupt irgendwas von dem erzählt, was passiert ist?“ Stiles wurde auf seinem Stuhl kleiner. „Ja...?“ Derek zog eine Braue hoch. „Klingt aber nicht so. Egal“, fuhr er fort und sah wieder dem Sheriff in die Augen. „Jedenfalls ist es jetzt so wie es ist. Stiles gehört jetzt zu Scotts Rudel. Damit ist es nun unsere Aufgabe ihn auszubilden und zu beschützen.“ Stiles nickte. „Scott und ich passen schon aufeinander auf. Und Derek und Malia auch, richtig?“ Derek brummte etwas Zustimmendes. Wieder an seinen Vater gerichtet fuhr er fort: „Und auch Lydia und Kira. Mach dir keine Sorgen, Dad. Sobald ich meinen Anker gefunden habe ist das alles nicht mehr so schlimm und wegen der blauen Augen mach mal keine Gedanken. Wird schon nichts passieren.“ „Blaue Augen? Wovon redest du? Und Anker... Stiles, wie wäre es wenn ihr ganz von vorne mit den Erklärungen anfangt, ok? Ich hab zwar die Grundzüge inzwischen kapiert, aber für die Feinheiten hatte ich noch keinen Nerv und keine Zeit. Sieht aber so aus als käme ich nicht mehr drumherum.“ Er sah auf seine Uhr und fluchte. Hastig nahm er noch einen Schluck aus seinem Becher. „Verdammt, ich muss jetzt wieder los zur Arbeit.“ Stiles machte große Augen. "Hattest du nicht gestern erst Spätdienst?" Der Sheriff seufzte. "Ja, aber wir sind nach der Sache neulich unterbesetzt..." "Oh... ja", sagte Stiles und hüstelte verlegen. Daran war er wohl nicht ganz unschuldig... Sein Dad stand auf und stellte den Becher in die Spüle. „Hört zu, ich bilde mir nicht mal ansatzweise ein zu verstehen, was hier eigentlich alles in dieser Stadt passiert, aber ich weiß inzwischen, dass es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als sich die Schulweisheit das träumen läßt. Wenn ich nach Hause komme reden wir weiter und ich möchte dann wirklich alles wissen, ok? Keine Geheimnisse mehr, einverstanden?“ „Einverstanden“, stimmte Stiles erleichtert zu. Keine Geheimnisse war ein guter Plan. Vorerst jedenfalls. „Was diese Blaue Augen und Anker-Geschichte angeht, das lässt sich eh so schnell nicht erklären. Und es ist auch für den Moment nicht so wichtig.“ Derek rümpfte die Nase. „Wichtiger wäre Stiles, dass du endlich duschen gehst. Du riechst nach nassem Hund.“ Der Sheriff taxierte sein Gegenüber mit festem Blick. Ihm war klar, dass der Werwolf nicht alles gesagt hatte, aber sein Blick machte deutlich, dass er in Stiles Gegenwart nicht mehr sagen würde. „Er hat Recht Stiles, sogar ich kann das riechen.“ Stiles und Derek folgten ihm zum Eingang und sahen stumm zu, wie er seine Jacke vom Haken nahm und sie anzog. Dann steckte der Sheriff die Handschellen ein, die noch auf der Anrichte lagen, wo Derek sie gelassen hatte. Er nickte Stiles zu. „Geh schon unter die Dusche, Stiles, wir reden heute Abend weiter. Hab dich lieb, Junge.“ Er drückte ihn noch einmal kurz und öffnete dann die Tür. „Derek, können wir kurz reden?“ Stiles sah den beiden Erwachsenen zu, wie sie vor die Tür traten. „Und nicht gleich wieder lauschen Stiles“, murmelte Derek so leise, dass der Sheriff ihn nicht hören, der junge Werwolf das aber sehr wohl verstehen konnte. „Ab unter die Dusche.“ „Sir, ja Sir“, murmelte Stiles mit unverkennbarem Sarkasmus zur Antwort. Derek grinste. Einen Moment später konnte er das Geräusch von laufendem Wasser hören. Mittlerweile standen die Männer vor dem Dienstwagen des Sheriffs. Er schloss den Wagen auf und öffnete die Tür. Dann zögerte er und drehte sich wieder zu seinem Begleiter um. „Ok, Derek, was willst du mir noch sagen, was er nicht hören sollte?“ Er deutete mit einem Nicken in Richtung Haus. Derek legte den Kopf schief. „Ich muss sagen sie nehmen das ziemlich gut auf, Sheriff. Stört sie das gar nicht, dass Stiles jetzt auch einer von uns ist? Scott hatte mit seiner Mutter da größere Probleme.“ Er zuckte mit den Schultern. „Was soll ich machen. Ich kann es ja nicht ändern. Und wenigstens heißt das immerhin, dass er nicht mehr an der gleichen Hirnerkrankung sterben kann wie seine Mutter. Oder?“ Derek schüttelte mit dem Kopf. „Nein, Krankheiten sind kein Problem mehr. Er wird auch wesentlich schneller heilen. Besser hören, besser riechen, schnellere Reflexe, körperliche Stärke. Sogar sein ADHS hat sich damit erledigt, wie sie in der Küche schon gemerkt haben. Aber er ist noch ein Teenager. Er wird etwas Zeit brauchen, bis er sich richtig zu beherrschen lernt. Und da kommt dieser besagte Anker ins Spiel. Ein Anker ist etwas, was dem Tier in uns Einhalt gebieten kann. Es lässt uns menschlich bleiben, wenn äußere Einflüsse wie der Vollmond an unserer Selbstbeherrschung zerren. Für jeden ist es etwas anderes, aber immer ist es etwas, das uns sehr wichtig ist. Aber das ist nicht das, worüber ich mit Ihnen reden wollte.Dieser andere Punkt mit den Augen...“ Derek zögerte kurz, er wusste nicht wie Stiles' Vater damit umgehen würde. „Fangen wir mal so rum an, Sie haben doch sicher inzwischen bemerkt, dass die Augenfarben eines Werwolfes von seiner normalen Augenfarbe abweicht. Es gibt Bernstein, Rot und Blau. Die von Scott waren anfangs Bernstein. Das ist die Farbe für junge unschuldige Werwölfe. Rot zeigt an, dass man einem Alpha gegenüber steht. Und Blau... blau heißt, dass dieser Werwolf in seinem Leben bereits... ein unschuldiges Leben genommen hat.“ Seine Stimme wurde am Ende leiser und er schaute betreten zu Boden. Müde schloss der Sheriff die Augen und rieb sich mit der Hand über die Stirn. „Oh Stiles... Was hat dieser Nogitsune dir nur angetan...“ Er holte tief Luft und riss sich zusammen. „Ich verstehe. Ist nach der Bombe in der Polizeistation auch kaum anders zu erwarten gewesen, oder? Hat das noch andere Auswirkungen auf ihn?“ „Nicht unmittelbar auf ihn, aber darauf, wie die Jäger mit ihm umgehen werden, wenn sie das sehen. Scott wurde damals nur verschont, weil sie auf Grund seiner Augen wussten, dass er unschuldig war. Bei Stiles werden sie sich nicht zurück halten.“ „Na gut“, meinte der Sheriff und stieg in seinen Wagen. „Dann hoffen wir mal, dass so bald keine anderen Jäger in der Stadt auftauchen werden.“ Beide Männer wechselten einen Blick der besagte, dass sie nicht wirklich daran glaubten. „Ich muss leider echt los jetzt. Gebt mir Bescheid, falls was sein sollte, ok?“ Er zögerte einen Moment, den Griff von der Tür bereits in der Hand. „Und passt mir bitte gut auf meinen Jungen auf, ja? Er ist alles, was ich noch habe.“ Der Sheriff hörte Dereks gemurmelte Zustimmung, warf die Fahrertür zu und startete den Motor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)