Boys Don't Cry von Umi (Sailor Bennoda vs. Tentakelmonster) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „... Und nun?“ Chester zuckte bloß mit den Schultern und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Irgendwas müssen wir doch, uh, machen können... ich mein... wir können nicht nichts tun...“ „Hm. Weiß nicht.“ „Du weißt nicht?“ Er zuckte erneut mit den Schultern. „Es ist schließlich auch passiert, ohne dass wir irgendwas getan haben. Vielleicht macht es sich dann auch irgendwie von selbst wieder rückgängig. Und wir machen's nur schlimmer, wenn wir was unternehmen.“ Er blickte zu Mike, der ihn bloß fassungslos ansah und den Kopf leicht schüttelte, und seufzte. Zuckte ein drittes Mal mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich mein ja nur. Ich hab jedenfalls noch nie von so was gehört und auch, als ich heute morgen erst mal gegooglet hab, hab ich nichts gefunden. Wüsst jetzt auch selbst nicht, wie man so was wissenschaftlich erklären können sollte. Erst recht nicht als was, was mal eben über Nacht passieren kann. Und wenn's so aus wissenschaftlicher Sicht null Sinn ergibt, aber auch wirklich absolut null Sinn-“ „Joe meinte mal, bei manchen Fröschen gibt’s das auch. Keine Ahnung, ob mal eben so über Nacht, aber... nun, es passiert. Irgendwie.“ „...“ „Was?“ Chester schüttelte den Kopf und murmelte dabei ein leises „Wir sind doch keine Frösche“, während sein Blick auf die Körbchengröße B, mit der er an diesem Morgen aufgewacht war, fiel. Inzwischen wusste er, dass es ihn auch schlimmer hätte treffen können – Mikes Vorbau schätzte er auf eine üppige D, vielleicht sogar Doppel-D – aber glücklich war er nach wie vor nicht. Erst recht nicht, wenn er an die Veränderungen, die zwischen seinen Beinen passiert waren, dachte. Wobei er immerhin nicht in einer kleinen Blutlache aufgewacht war, so wie sein bester Freund, der sich nach wie vor nicht von diesem Schreck erholt zu haben schien, sich allerdings immerhin nicht mehr im Bad verschanzte, nun, nachdem seine Frau ihn mit einer Binde und einem Wärmepflaster für seinen Bauch versorgt hatte. Dafür war er nun verwirrt, all die Jahre nie bemerkt zu haben, dass Anna überhaupt solche Wärmepflaster besaß, und noch verstörter, als er erfuhr, dass sie vor der Geburt ihres Ältesten neben eben jenen Pflastern auch die eine oder andere Schmerztablette gebraucht hatte, um während „dieser Zeit“ (Anna hatte bloß stumm die Augenbrauen nach oben gezogen, als klar wurde, dass ihr Mann das Wort Menstruation auch unter größter Anstrengung einfach nicht über die Lippen bekam) überhaupt ihrem Alltag nachgehen zu können. Überhaupt war verstört so ziemlich das treffendste Wort, um Mikes aktuellen Zustand zu umschreiben.   Nicht, dass Chester sich sonderlich wohler damit fühlte, wohl auf unbestimmte Zeit in einem Frauenkörper leben zu müssen, aber er war immer schon besser darin gewesen, Dinge als gegebene Tatsachen hinzunehmen und sich mit ihnen zu arrangieren, selbst wenn er keine logisch nachvollziehbare Erklärung für sie finden konnte. Mike hingegen brauchte es einfach, eine genau bestimmbare Ursache für alles zu haben, erst recht wenn es um Dinge ging, die es zu ändern galt. Damit, dass es für diesen Geschlechtswandel, den er und Chester anscheinend über Nacht vollzogen hatten, nicht mal den Ansatz einer logischen Erklärung gab, kam er beinahe noch schlechter klar als damit, dass sie beide keine Ahnung hatten, wie sie die Sache wieder rückgängig machen konnten. „Wie hat Talinda eigentlich reagiert?“ „Ganz okay. Schätz ich.“ „Schätzt du?“ Chester grinste schief. „Sie war vor mir wach. Meinte später, sie hat zuerst meine Arme gesehen, also, meine Tattoos, und danach erst die Titten. Wär's andersrum gewesen, hätt sie vielleicht anders reagiert, aber so hat sie mich, nachdem sie sicher war, dass sie nicht bloß träumt, halt geweckt und abgewartet, was ich mache. So falls sie Halluzinationen haben sollte oder so. Weil, dann hätt ich ja vermutlich ganz normal reagiert und nicht... nun ja, so, als ob ich im falschen Film bin.“ Er zuckte, wie schon so oft an diesem Tag, mit den Schultern. „Bin dann erst mal ins Bad und hab mir das Ganze im Spiegel genauer angesehen. Sie kam dann nach und-“ „Alles?!“ „Huh?“ Mike starrte ihn fassungslos an. „Hast du dir... nun ja, echt alles angesehen?“ „Uh... klar, ich mein... du nicht?“ „So ganz alles?!“ Chester runzelte leicht die Stirn. „Natürlich ganz alles. Wenn du's genau wissen willst: Ich hab die Beine breit gemacht, mich runter gebeugt und, uh, halt eben zwischen meine Beine durch in den Spiegel geschaut. Und halt geschaut, wie ich da jetzt ausseh. Ich mein, ich musste doch sicher gehen, dass ich zumindest noch irgendwas da unten hab. Also, irgendwas menschliches. Und nicht über Nacht zu nem Alien oder Roboter oder so geworden bin.“ „...“ „Du hast dich echt noch gar nicht angeschaut? … Nicht mal angefasst? So zum, uh, halt schauen?“ Mike verzog unwillkürlich das Gesicht. „Da kommt grad blutiges Zeug raus, ich fass das doch nicht mehr als notwendig an. Wenn das aufgehört hat, vielleicht... irgendwann...“ „Wenn du meinst...“ Chester ließ sich etwas bequemer in das Studiosofa zurücksinken, öffnete die Beine ein wenig und klopfte sich fast schon liebevoll auf den Schritt. „Ich hätt zwar auch lieber meinen Schwanz wieder, aber wenn ich schon ne Pussy haben muss, dann bin ich froh, dass sie wenigstens nett aussieht. Also, zumindest mir gefällt sie. Erinnert mich n bisschen an meine erste Highschool-Freundin. Nicht Elka, sondern die vor ihr. So von der Optik her, mein ich. Und auch allgemein ist alles da und funktioniert auch, soweit ich das ohne eingehendere, uh, Tests beurteilen kann.“ Mike öffnete kurz den Mund, um sich nach der Art der Tests, die der andere wohl noch durchführen wollte, zu erkundigen, schloss ihn dann aber unverrichteter Dinge wieder.   Nicht, dass er prüde war, aber... er wollte sich nicht groß anfassen oder irgendwas testen, und auch nicht mal über so was nachdenken. Das da zwischen seinen Beinen, überhaupt sein ganzer Körper, war nicht sein eigener. Den kleinen Leberflecken an seinem Kinn, seiner Schläfe und seiner Fußsohle sowie einigen anderen Details nach zu urteilen war das zwar irgendwie alles immer noch er, aber... nun ja, eben nicht im richtigen Körper. Und dabei hatte er lange genug gebraucht, um sich mit diesem anzufreunden und war gerade an einem Punkt in seinem Leben angekommen, an dem er zum ersten Mal so wirklich zufrieden mit seinem Körper war, und was geschah? Er wachte eines Morgens plötzlich in einem anderen auf. Einem, der dem entsprach was gemeinhin als "Frauenkörper" bezeichnet wurde. Was bedeutete, dass jeder, der ihn nicht erkannte, ihn als Frau sehen würde, sobald er auch nur einen einzigen Schritt aus dem Haus hinaus wagte. Und dann war da noch seine Stimme... oh Gott... seine Stimme... Chesters Stimme! Die Band! DIE TOUR! Er wurde automatisch blasser und vergrub mit einem schmerzerfüllten Aufstöhnen das Gesicht in den Händen. „Mike? … Alles okay?“ Er schüttelte den Kopf. „In drei Monaten geht die Tour weiter... Was ist, wenn wir das bis dahin nicht wieder irgendwie hingebogen gekriegt haben? Und groß was aufnehmen, zumindest was Vocals angeht, können wir in der Zwischenzeit auch nicht... und Interviews... überhaupt die anderen, wie sollen wir denen das erklären... wie erklärt man so was überhaupt irgendwem, der nicht irgendwie dabei war, als es passiert ist? Fuck... fuck fuck fuck fuck Fuck!“ Er vergrub die Finger in seinen Haaren und zog die Beine an den Körper, um seine Stirn an seine Knie lehnen zu können. „Das kann doch alles bloß ein beschissener Alptraum sein...“ Chester musterte seinen besten Freund einen Moment lang, dann rutschte er näher und legte den Arm um seine Schultern, um ihn sanft etwas an sich drücken zu können, und bemühte sich dabei um einen möglichst beruhigenden Tonfall. „Irgendwie kriegen wir das schon hin. Ich mein, reicht ja, wenn wir erst mal nur einem von den anderen was sagen. Brad oder so. Und der kümmert sich dann um irgendwelche Interviews. Und drei Monate sind ne ganze Weile. Vielleicht hat sich die Sache bis dahin ja auch schon von selbst erledigt, hm?“ * „... Wo sind deine Haare?“ „Huh?“ Mike verengte die Augen etwas und deutete mit einem Nicken auf Chesters ausgestreckten Arm, während der andere diesen gerade nach seinem Starbucks-Kaffee streckte, in der Hoffnung, an diesen heranzukommen, ohne dafür aufstehen zu müssen. „Die unter deinen Armen.“ Der Ältere blickte ihn bloß verständnislos an. „Ich hab sie abrasiert.“ „Wieso?“ „Weil Talinda meinte, wenn ich weiter drauf bestehe, dass sie ihre wegmacht, soll ich meine auch wegmachen. Wobei, da ging's um ne andere Stelle, aber dann war ich eh schon mal dabei und irgendwie sah's komisch aus, wenn alles haarig ist außer meiner Pussy, also...“ Er zuckte mit den Schultern und versuchte erneut, seinen Kaffee zu erreichen, bis es Mike zu viel wurde und der ihm den kleinen Pappbecher einfach seufzend rüber reichte. „Stört es sie nicht?“ „Was?“ Mike seufzte ein weiteres Mal. „Dass du Titten hast. Und 'ne...“ Ein drittes Seufzen folgte, als er sich dabei ertappte, auch nach inzwischen drei Tagen immer noch Probleme zu haben, gewisse Körperteile und deren Funktionen beim Namen zu nennen. Er kannte sie, keine Frage, und er wusste auch, mit ihnen umzugehen... bei Anna... nicht sich selbst, denn da beließ er es nach wie vor bei so wenig Beschäftigung mit seinem aktuellen Körper wie möglich. Aber aussprechen konnte er diese Worte einfach nicht. Vielleicht aus Angst, die entsprechenden Körperregionen dann nicht mehr als sexy empfinden zu können... oder weil es ihm dann vielleicht überhaupt nicht mehr gelingen könnte, zumindest manchmal zu verdrängen, dass er diese Körperteile ebenfalls besaß, wenn auch hoffentlich nur vorübergehend... Er wusste es nicht. Klar war nur, dass er sich von nun an besser verkneifen musste, überhaupt auf dieses Thema zu sprechen zu kommen, da Anna jedes Mal, wenn es ihm nicht gelang, die Dinge beim Namen zu nennen, etwas frustrierter und auch irgendwo enttäuschter von ihm zu sein schien. Irgendwo verstand er sie. Irgendwo aber auch wieder nicht. Zumindest das hatte sich nicht geändert. „Geht so.“ „Was?“ „Du hast mich gefragt, ob Talinda meine Titten und Pussy stören und ich sagte 'geht so'. Ich mein, Rummachen und Sex sind eh nicht drin, sie steht nicht auf Frauen, aber ansonsten... nun ja, geht’s halt.“ „Hm...“ „Und Anna?“ Mike brummelte irgendetwas Unverständliches in seinen aktuell nicht mehr vorhandenen Bart. „Huh?“ Er seufzte. „Anna stört's bloß, dass es mich so stört. Sie versteht natürlich, wie scheiße das wegen der Band ist und... überhaupt wegen allem, aber ich glaub, wenn's nach ihr ginge, könnt ich mich 'langsam mal wieder einkriegen'.“ Chester runzelte irritiert die Stirn. „Vermisst sie's nicht, mal wieder n bisschen zu knutschen und zu vögeln und so?“ Die Wangen des Jüngeren verfärbten sich unwillkürlich ins Rötliche. „Uh... wie gesagt... sie stört's nur, dass es mich so stört... und ich mich deshalb nicht unbedingt anfassen lassen will...“ „Heißt das, wenn's dich nicht stören würde, dann würdet ihr...?“ Mike zuckte mit den Schultern. Zögerte. Nickte schließlich und murmelte ein leises, etwas unsicheres „Sie ist da nicht so... also... uhm, sie ist pan“ und richtete seinen Blick, darum bemüht, beschäftigt zu wirken, wieder auf seinen Computerbildschirm. „Soll ich dir mal das Demo vorspielen, das ich letzte Nacht gemacht hab?“ „Anna ist was für'n Ding?“ Er seufzte. Natürlich hatte Chester seinen (vielleicht etwas zu) subtilen Hinweis, dass er mit dem Thema fertig war, nicht mitbekommen. „Pan. Pansexuell. Sie steht auf, uh, alles.“ „Ich dachte, das heißt bi.“ „Auch... irgendwie... aber irgendwie auch nicht ganz, uh...“ Mike verdrehte, genervt von der Hitze in seinen Wangen – die weniger mit der sexuellen Orientierung seiner Frau zu tun hatte, sondern eher mit seiner eigenen, die zu den wenigen Geheimnissen gehörte, in die Chester nicht eingeweiht war – und Chesters stumpfer Neugier, die Augen. „Frag Google. Oder Wikipedia. Hab ich auch gemacht, als sie mir das das erste Mal gesagt hat.“ Der Ältere zuckte bloß mit den Schultern, trank einen Schluck Kaffee und zog dann tatsächlich sein iPhone aus der Hosentasche. Mike seufzte und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. Rutsche ein wenig herum. Streckte sich. Murrte frustriert. Schob seinen Bürosessel so nah wie möglich an den Schreibtisch heran und platzierte – nach einem kurzen Kontrollblick zu Chester, der allerdings zu vertieft in seine Weiterbildung auf gewissen Gebieten war, um irgendetwas anderes um sich herum mitzukriegen – seine unliebsame Oberweite auf dem Tisch, um seinen Rücken etwas zu entlasten. Er verstand nach wie vor nicht, warum Chester dieses Glück haben musste, mit eher kleinen, handlichen Brüsten davon zu kommen, während er mit diesen... Dingern gestraft war, die theoretisch nun auch nicht so groß und schwer waren, aber eben größer und schwerer als sein Rücken es gewohnt war. Anna hatte ihm zwar gesagt, dass in seinem Fall vielleicht schon der richtige BH eine gewisse Entlastung bringen könnte, aber so weit kam es noch, dass er Frauenunterwäsche trug... auch wenn er sich vergangene Woche während seiner... während des unangenehmen Herumblutens, das er inzwischen so gut es ging wieder verdrängt hatte, eine seiner Lieblings-CalvinKleins ruiniert hatte, weil diese bekloppten Binden irgendwie nicht richtig darin halten wollten... Er würde keinen BH tragen. Und keine Höschen. Eher verzichtete er ganz auf Unterwäsche. Schlimm genug, dass Annas Jeans bequemer als seine eigenen waren und sich eine – wenn auch schlichte – Blümchenstickerei auf der Arschtasche des (im Übrigen ein wenig zu kurzen) Paars, das er gerade trug, befand. Irgendwo war Schluss. Und dieses Irgendwo war beim Thema Unterwäsche. Immerhin passten im manche seiner Pullover und Shirts noch. Seine Hemden... nicht wirklich. Eines hatte er nicht einmal mehr vorne zugekriegt, als er es versucht hatte. Alles saß locker, nur diese bescheuerten Brüste weigerten sich, hineinzupassen. Chester hingegen hatte es tatsächlich fertig gebracht, sich seine Titten abzubinden und einfach weiter seine üblichen Lieblingsoberteile zu tragen. Und er passte immer noch in seine Jeans. Und irgendwie stand ihm das Ganze auch noch. Selbst der inzwischen leicht herausgewachsene Irokese und die großen Plugs mit Totenkopfmotiv in seinen Ohrlöchern fügten sich nahtlos ins androgyne Gesamtbild ein. Während Mike für seine eigene Erscheinung eher den nicht wirklich schmeichelhaften Ausdruck „Kampflesbe“ verwenden würde, würde man ihn fragen... und wäre es okay, so was zu sagen... wobei er so gesehen fast schon wieder froh war, dass ihm seine karierten Hemden nicht mehr passten; sonst würde es ihm vermutlich nur noch schwerer fallen, sich derartige Worte zu verkneifen. Er enttäuschte beziehungsweise frustrierte Anna auch so schon genug mit seinen verbalen Ausfällen in Bezug auf den Körper, in dem er momentan festsaß... „Mir ist langweilig.“ „...“ „Lass uns rausgehen. Irgendwas machen. Ne Runde joggen. Einkaufen. So was eben.“ Mike drehte sich wie in Zeitlupe mit seinem Bürosessel um und blickte den anderen düster an... … der selbstverständlich unempfänglich für seine stumme Botschaft war – wie immer, wenn es darum ging, den Mund zu halten. „Du brauchst 'n paar ordentliche Klamotten. Wenigstens ein oder zwei nette Shirts oder so. So 'n bisschen tailliert.“ „...“ „So siehst du...“, (es schien, als wäre Mike nicht der einzige, der sich gelegentlich gewisse Worte verkneifen musste, während er andere überhaupt nicht über die Lippen bekam), „... uh, deine Pullover sind unvorteilhaft geschnitten. Du hattest immer schon Taille, aber jetzt hast du, uh, mehr Taille eben. Aber halt auch 'n Vorbau und wenn du die Taille da so gar nicht betonst, sieht das aus, als hättest du eben keine. Und das sieht aus als wärst du...“ Chester gingen endgültig die Worte aus. Mike zog bloß eine Augenbraue nach oben. „Fett? Ist das das Wort, das du suchst?“ Der Ältere grinste entschuldigend und zuckte mit den Schultern. „Uhm... ich würd's stämmig nennen?“ „...“ Er seufzte. „Komm schon, Mike, du kannst dich nicht für die nächsten Monate hier in deinem Studio vergraben. Du musst auch mal in die Sonne, an die frische Luft und so. Und du brauchst 'n paar Klamotten, in denen du dich 'n bisschen wohler fühlst. Und die nicht entweder wie 'ne Wurstpelle oder 'n Kartoffelsack an dir kleben beziehungsweise hängen.“ Er stand auf, ließ sein iPhone in seiner Hosentasche verschwinden, näherte sich dem Schreibtisch, legte seine Hand auf die Maus und begann, sämtliche offene Dateien zu speichern und die entsprechenden Programme zu schließen. „Niemand wird uns beachten. Wie sonst auch. Oder nein, besser sogar, weil uns selbst Fans nicht erkennen würden, wenn wir ihnen über den Weg laufen würden. Alles ganz gechillt.“ Ein letzter Klick und der Rechner fuhr herunter. Chester schenkte seinem besten Freund ein aufmunterndes Lächeln. Dieser war zwar immer noch alles andere als überzeugt, wusste die Mühen des Älteren jedoch zu schätzen und zwang sich ihm zuliebe ebenfalls ein kleines Lächeln auf, bevor er sich ebenfalls erhob und sich mit einem geseufzten „Na schön, bringen wir es hinter uns“ gemeinsam mit ihm auf den Weg nach unten machte. * „... Ich geb auf.“ „Wieso? Falsche Größe?“ Der Jüngere schob den Vorrang der Umkleidekabine zur Seite und deutete mit vorwurfsvollem Blick auf sein Dekollete, bevor er seufzend an dem taillierten Hemd, das Chester ihm in die Kabine gehängt hatte, herumzupfte. „Egal, was ich anprobiere, diese blöden Dinger sehen in jedem Oberteil nur noch fetter aus als im vorigen.“ Er blickte sich mit unglücklicher Miene um. „Und überhaupt: Wir sind hier in der Damenabteilung und ich probier Frauensachen an und kauf vielleicht sogar welche, so um sie dann anzuziehen... Ich komm mir vor wie 'ne Dragqueen für Arme!“ Chester seufzte und legte dem anderen die Hand auf die Schulter. „Ach komm... Wir sitzen doch im selben Boot. Es ist zwar, hm, echt scheiße, aber es hätte auch schlimmer kommen können.“ Er ließ ein kleines Grinsen sehen. „Stell dir vor, du wärst jetzt keine Frau, sondern ein Tentakelmonster. Oder... hm, 'n Fisch. Wobei, dann hättest du im Bett, ohne Wasser, vermutlich nicht lange überlebt... uh... So oder so, es hätte auch schlimmer kommen können. Immerhin sind wir selbst als Frauen noch ziemlich sexy!“ Sein Blick glitt über den Körper des anderen. „Ich mein, fuck, ehrlich mal, du bist heiß! Jetzt, wo man sieht, dass du 'ne Taille hast... und deine Brüste sind der Wahnsinn...“ Mike schob die Hand des Älteren von seiner Schulter. „Wenn das deine Titten wären, fändest du sie nicht mehr so 'Wahnsinn'. Du hast diese perfekten Durchschnittsdinger und auch nicht ganz so 'n fetten Arsch und wenn du dich von deiner Frau bloß eng genug abbinden lässt, gehst du locker weiter als Kerl durch... als schmächtiger Kerl, aber eben immer noch als Kerl. Ich mein, ehrlich, fick dich, Chaz.“ Er deutete auf das locker sitzende Ve'cel-Shirt des Älteren und seine verwaschenen Jeans. „Dir passen deine eigenen Sachen wenigstens noch. Du kapierst das Problem nicht mal. Du bist trotzdem irgendwie immer noch du, während ich bloß noch aus Titten bestehe. Und entweder versuch ich was anzuziehen, damit sie nicht so auffallen, und seh wie 'n fettes Mauerblümchen aus, oder ich zieh was an, was nicht scheiße aussieht, und schon starrt jeder nur noch auf diesen Rieseneuter, den ich da vor mir her schieb! ...“ Er schnippste kurz mit den Fingern, um Chesters Aufmerksamkeit von eben jenem Rieseneuter abzulenken und den anderen dazu zu kriegen, ihm wieder ins Gesicht zu schauen. „Genau das meine ich!“ Er schüttelte den Kopf und zog sich mit einem gemurmelten „Wir sitzen nicht im selben Boot. Du sitzt in irgend'nem Boot, ich paddel nebenher“ wieder in die Kabine zurück und probierte sich durch den restlichen Klamottenstapel hindurch. Es dauerte eine gute dreiviertel Stunde, in der er jedes Teil mindestens einmal, manchmal auch mehrfach anprobierte und daran herumzupfte, bis er immerhin zwei Shirts und drei Hemden gefunden hatte, die seiner Meinung nach zumindest ansatzweise seinen üppigen Vorbau mehr kaschierten anstatt ihn noch zusätzlich zu betonen. Als er anschließend den Vorhang wieder aufzog, um die Sachen, die ihm nicht gefielen, auf die entsprechende Kleiderstange neben den Umkleidekabinen zu hängen, traute er im ersten Moment seinen Augen nicht: Dort, wo vor nicht mal einer Stunde noch Chester gestanden hatte, stand nun... nun ja, immer noch Chester. Irgendwie. Irgendwie aber auch wieder nicht. Mike schluckte schwer. Eins konnte man Chester lassen: Er machte keine halben Sachen. Und wenn sein bester Freund ihm vorwarf, er würde es sich zu einfach machen und seinen neuen Körper einfach kaschieren, dann war es mit einem etwas engeren Shirt allein, um ihm das Gegenteil zu beweisen, nicht getan. Das erste, was Mike auffiel, war, dass der andere das Zeug, mit dem er sich zuvor seine Oberweite abgebunden hatte, durch einen Push-up-BH ersetzt hatte. Statt seinem Ve'cel-Shirt trug er nun ein eng anliegendes, tailliertes und zudem noch recht tief ausgeschnittenes schwarzes Tanktop mit kleinen Nieten aus gebürstetem Metall auf den Schultern. Dazu graue, verwaschene und leicht ausgefranste Jeans-Hotpants und fast kniehohe, schwarze, mit zahllosen Riemen und Schnallen verzierte Lederstiefel. Mit Absatz. Zwar keinen Pfennigabsätzen und auch nicht allzu hoch, aber... auch nicht flach. Hinter ihm auf der roten Couch, die vor den Kabinen stand, lag eine große, dunkelbraune Wildledertasche (in der er vermutlich seine anderen Klamotten untergebracht hatte) und auf dieser ein dünner schwarzer Mantel. Mike wusste nicht, wie lange er wohl mit halb geöffnetem Mund da gestanden und gestarrt haben mochte, bis er endlich wieder etwas von sich geben konnte. Auch wenn dieses Etwas nur aus einem gestammelten „Fuck...“ bestand. Chester grinste zufrieden, stemmte eine Hand an seine Hüfte und klopfte sich mit der anderen auf seine Brust. „Die Verkäuferin in der Wäsche-Ecke meinte, ich hab den perfekten Busen, der in fast jeden BH passt. Als ich meinte, dass ich upgraden will, brauchte sie nicht mal zu suchen, sondern bloß ins nächste Regal zu greifen.“ Er legte auch noch die andere Hand an seine zweite Brust und blickte an sich herunter. „'N bisschen kleiner als deine sind sie immer noch, aber ich hab getan, was ich konnte. Das einzige, was schwerer war, waren Hose und Schuhe. Mir ist das die letzten Tage gar nicht aufgefallen, aber... nun ja, geschrumpft sind wir ja scheinbar nicht. Die meisten 'langen' Hosen waren mir zu kurz oder lang genug, aber dafür schlabberig. Und find mal Damenschuhe in meiner Größe, ey...“ „Du bist... hochhackig.“ „Das waren die einzigen, die sie hatten, die gut aussahen.“ Mike runzelte die Stirn und schmunzelte. „Kannst du überhaupt in den Dingern laufen?“ Der andere zuckte grinsend mit den Schultern. „Geht so. Seh vermutlich wie 'n Storch aus dabei, aber lieber so als in hässlichen Schuhen. Hatte wirklich keine andere Wahl. Die Schuhabteilung hier ist auch nicht so groß.“ Er blickte wieder zu Mike auf und funkelte diesen stolz an. „Und? Seh ich heiß aus oder seh ich heiß aus?“ Die Antwort waren hochgezogene Augenbrauen und ein anerkennendes Pfeifen. „Du siehst mehr als nur heiß aus.“ Chester grinste zufrieden und ging, nun ja, stakte auf seinen erhöhten Absätzen zu dem anderen und nahm diesem die aussortierten Kleidungsstücke ab. „Die können weg?“ Mike nickte. „Hast du was gefunden?“ Erneutes Nicken. „Uhum. War aber 'ne schwere Geburt.“ Mike ließ seinen Blick erneut über den Körper des anderen gleiten. „Keine Ahnung, wie du in den paar Minuten 'n ganzes Outfit zusammen gekriegt hast. Sollten wir die Band schmeißen müssen, kannst du jedenfalls immer noch Verkäufer werden. Oder Modeberater. Oder so was in der Art.“ Diesmal war es an Chester, die Stirn zu runzeln. „Ist das dein Ernst? Wenn das alles hier, uh, nicht wieder weggeht, dann willst du die Band schmeißen? Ich mein, unsere Stimmen klingen jetzt anders, aber... also, immer noch gut? Würd ich sagen? Und ansonsten sind wir ja auch immer noch wir...“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich seh das eigentlich nicht ein, wieso wir Linkin Park da einfach aufgeben sollten. Wir können ja ne Weile Pause machen und... nun ja, schauen dann mal.“ Er schmunzelte. „Bis uns was einfällt, können wir ja Remakes unserer bisherigen Alben rausbringen. So alle bisherigen Songs nur eben mit unseren, uh, 'neuen' Stimmen.“ Er klopfte Mike auf den Rücken und grinste. „Und bei A Thousand Suns nehmen wir dann für The Requiem die unbearbeiteten Originalaufnahmen mit deiner alten Stimme. Das wär auf jeden Fall mal ein Projekt, dass es so noch nicht gab.“ Mike blickte ihn einfach nur schweigend an. Als ihm klar wurde, dass Chester das alles vermutlich tatsächlich ernst meinte, seufzte er bloß, schüttelte den Kopf und ging zurück in die Umkleidekabine, um die Sachen zu holen, die er sich ausgesucht hatte, und mit diesen an die Kasse zu gehen. Zumindest das weiße Shirt und das hellblaue Hemd wollte er danach gleich anziehen... wobei... Sein Blick fiel auf Chesters Busen. Vielleicht war ein BH doch keine schlechte Idee? … Nicht mal wegen der Form seiner Brüste, aber er fror schnell und noch weniger als Oberweite an sich konnte er Oberweite mit hervorstehenden Brustwarzen gebrauchen... und ein weißes Shirt ohne was darunter war auch allgemein nicht gerade die beste Idee... Kaffee. Bevor er irgendeine weitere Entscheidung traf, braucht er erst einmal einen Kaffee. Sie bezahlten (kam es ihm nur so vor, oder flirtete die Verkäuferin, die sie beide abkassierte, mit Chester, während sie die Preisschilder seines Outfits, das er natürlich zu faul war noch mal auszuziehen, einscannte und dann entfernte? … ob sie eine Lesbe/bi/wasauchimmer war? … ob sie auch mit Anna flirtete, wenn die hier einkaufte? … ob Anna dann zurück flirtete, so wie er manchmal, gelegentlich sogar versehentlich, mit anderen Männern flirtete? … durfte er sich dann überhaupt darüber aufregen? Bisher hatte er sich immer eher Sorgen darum gemacht, dass seine Frau von irgendwelchen Männern angebaggert werden könnte. Frauen baggerten ja nicht an... eigentlich... hatte er zumindest immer gedacht...?) und machten sich auf den Weg nach draußen. Kaum dass Mike seinen Fuß auf die Rolltreppe gesetzt hatte und sein Blick dabei ein weiteres Mal über Chesters figurbetontes Outfit (nun, wenn er ehrlich war, eigentlich direkt über Chesters Figur, sein Outfit dabei völlig außer Acht lassend) glitt, ging plötzlich alles sehr schnell: Hinter ihm knallte es laut, es folgten panische Schreie, Scherbenklirren, das platschende Rauschen einer sich auf den Boden ergießenden Wassermasse... und ein erneutes dumpfes Platschen. Das nächste, was er wahrnahm, war das fassunglos gemurmelte „Fuck“ von Chester, dann hatte der ihn auch schon am Handgelenk gepackt und rannte, so schnell seine Absätze es erlaubten, mit ihm im Schlepptau die Rolltreppe hinauf und in Richtung des nächstbesten Ladens, um sich in diesem zu verstecken. Erst jetzt – darauf vertrauend, dass sein bester Freund schon darauf achtete, wohin sie rannten – wagte Mike es, sich nach dem Ursprung des Angst einflößenden Lärms hinter sich umzudrehen. Mehr als ein ungläubiges „Fuck“ bekam jedoch auch er nicht über die Lippen, als die riesige, gut zwei Meter hohe Grüne Riesenanemone (die ihrem Namen mehr als nur gerecht wurde, so riesig und grün wie sie war) sich über die Scherben, die wohl einmal das Glas des Meerwasseraquariums in der Mitte der Mall, aus dem sie sich befreit hatte, gewesen waren, hinweg walzte und dabei alles, was ihre Tentakel berührten, zu verätzen schien. Und er hatte doch wirklich gedacht, noch bekloppter, als eines Morgens in einem Frauenkörper aufzuwachen, konnte es nicht mehr werden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)