Shee von Pfeffersosse (Teil 1) ================================================================================ Kapitel 3: Eclypso ------------------ Shee konnte sich nicht bewegen, da sie immer noch in Nimkos Armen gefangen war. Ihr Herz schlug schneller, weil sie nicht genau wusste, was sie fühlen oder tun sollte. Sie war zu perplex, um irgendetwas gegen ihre Situation zu tun. Dennoch wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie nicht mehr in ihren eigenen Wänden war, sondern in einem fremden Haus, ganz weit weg von ihrem. Dies wurde ihr klar, da die Innenausstattung nicht dem Standard von D5-3F entsprach. Sie konnte noch nicht einmal genau sagen, was sie überhaupt da sah, da sich ihr Körper – am meisten noch ihr Kopf – gerade ziemlich eigenartig anfühlte. Sie löste dann schnell ihre Starre und stieß Nimko von sich, torkelte nach hinten und fiel – weil ihr Gleichgewicht ein wenig aus dem Ruder geraten war – auf ihren Hintern. Ihr Atem ging schwer und ihr Herz schlug in einem erhöhten Rhythmus. Ihr war gerade so schwindelig, dass sogar Flecken vor ihren Augen auftauchten. Das Rauschen des Blutes in ihren Ohren war so laut, dass sie nicht hätte sagen können, ob sie jemand in der Zwischenzeit angesprochen hatte. Sie fand demnach auch keine wirkliche Erklärung, wieso sie sich gerade so fühlte. Ihr schien aber, dass der Grund sicherlich etwas mit diesem komischen Gefühl von vorhin zu tun hatte. Immerhin hatte ihr Körper sich so angefühlt, als sei sie durch irgendetwas Schmales und Dünnes durchgezogen worden. Aber dies konnte doch unmöglich gewesen sein. Langsam lösten sich die Flecken vor ihren Augen auf und sie blickte sich etwas um. Sie sah wie Cyborg-Nimko zu dem fremden Mann ging und musste einmal schwer schlucken. Sie war definitiv nicht mehr in ihrem Haus. Die Innenausstattung glich eher einem Büro, dessen war sie sich beim genaueren Hinschauen bewusst geworden. Es war ein großzügiger Raum, in dessen Mitte ein großer Schreibtisch stand. Hinter dem Schreibtisch konnte sie nach draußen blicken, da sich dort eine riesige Fensterfront befand. Draußen entdeckte sie etwas Unlogisches, denn dort herrschte tiefe Nacht. Als sie vorhin mit Nimko sprach, schien die Sonne noch über Berg und Tal und nun war es schwarze Nacht, wie konnte dies nur passiert sein? Ihr Blick glitt zu den beiden Männern hinüber und sie vernahm wieder die fremde Männerstimme: „Du bist ein wenig zu brachial mit Shee umgegangen, wieso hast du sie nicht besser darauf vorbereitet?“ Shee war sich sicher, dass sehr viel Wut in der Stimme lag, auch wenn sie nicht wirklich beurteilen konnte, wie der Mann charakterlich überhaupt war. Sie fühlte sich momentan so fehl am Platz, da sie mit ihrer Kleidung ziemlich auffiel. Ihr Blick ging wieder umher und sie bemerkte, dass neben dem Schreibtisch auch noch andere Gegenstände im Zimmer waren. Sehr viel erkannte sie nicht, da sie einige Einrichtungsgegenstände noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Was sie aber sagen konnte war, dass sie ziemlich wertvoll und kompliziert aussahen. Der antik anmutende Schrank in der linken Zimmerecke war vollgestopft mit scheinbar heimatlicher Lektüre. Aus der Entfernung heraus war dies schlecht einzuschätzen. Auf der anderen Seite des Zimmers sah sie einen weiteren Schrank, dieser war grösser und wirkte auch recht vollgestopft. Da die Schranktüren geschlossen waren, konnte sie nur mutmaßen was sich darin befand, aber es war ihr gerade ziemlich egal. Sie versuchte sich langsam hochzurappeln, doch das Rascheln ihrer Kleidung war nicht unbemerkt geblieben. Cyborg-Nimko kam auf sie zu und reichte ihr die Hand. Shee blickte ihn recht wütend an und schlug seine Hand weg. Sie wollte im Moment nicht von ihm berührt werden, denn sie war zu wütend auf ihn. „Fass mich nicht an! Was hast du mit mir angestellt?!“, rief Shee aufgebracht und zeigte mit dem Finger auf den fremden Mann. Sie wedelte etwas wild damit herum, weil ihr die passenden Worte fehlten. Der Mann kam ihr zuvor und erhob seine Stimme: „Es tut mir Leid, dass du mit dem Nimko-Express reisen musstest, aber anders hättest du nicht hierherkommen können. Aber wo bleiben meine Manieren. Mein Name ist Li-Kau und ich heiße dich herzlichst auf Ecylpso willkommen.“ Hatte sie gerade richtig gehört? Hatte dieser Mann – Li-Kau schien sein Name zu sein – gerade von Eclypso geredet? Wie konnte das sein? Sie hatte sich doch überhaupt keine Millimeter aus ihrer Wohnung bewegt, und doch schien sie ganz woanders zu sein. Auch wenn ihr schon vorher bewusst gewesen war, dass sie sich nicht mehr in ihrer Wohnung befand, so war es dennoch ziemlich überraschend diesen Namen schon von der zweiten Person in so kurzer Zeit zu vernehmen. „Mo…moment mal. Sie wollen wir weismachen, dass ich mich, obwohl ich mich keinen Millimeter aus meiner Wohnung entfernt habe, in Eclypso bin?“, fragte Shee nach, da sie eine Antwort bekommen wollte, auch wenn die Antwort sicherlich offensichtlich war. „Genau, du befindest dich nicht mehr in deiner Wohnung in Iutera. Der Bezirk D5-3F liegt nun einige Kilometer von hier entfernt und ich denke, so Leid es mir auch tut, so schnell kannst du nicht wieder zurück nach Hause. Ich kann natürlich verstehen, dass du gerade ziemlich verwirrt bist und viele Fragen hast, dennoch möchte ich dich bitten diese Fragen auf später zu verschieben“, erklärte Li-Kau und bewegte sich auf Shee zu. Sie versuchte ein wenig Abstand zwischen sich und die beiden Männern bringen und rutschte deswegen auf ihrem Hintern weg. Ihr erschien es die logischste Lösung zu sein, um nicht mit den beiden Körperkontakt aufnehmen zu müssen. War sie etwa jetzt eine Gefangene? Hatte Nimko sie nur benutzt? So viele Fragen schwirrten im Moment in ihrem Kopf und doch konnte sie sie nicht stellen. Sie stieß mit dem Rücken gegen die Wand und blickte sich gehetzt umher. Sie fühlte sich eingeengt und wollte nur noch weg von hier. Sie hatte auch das Gefühl verletzlich zu sein, deswegen war es für sie umso schwerer nicht davonlaufen zu können. Obwohl dies sonst nicht ihre Art war. „Lassen Sie mich in Ruhe und kommen Sie gefälligst nicht näher!“, rief Shee wütend auf und versuchte sich nun, mit der Wand im Rücken, langsam aufzusetzen und aufzustehen. Nimko war plötzlich neben ihr und wollte ihr aufhelfen. Shee hingegen schlug seine Hand wieder einmal weg und schüttelte den Kopf. Nimkos enttäuschter und bedrückter Blick versetzte ihr einen Stich ins Herz, doch sie wollte stark sein und nicht plötzlich von ihm Hilfe bekommen. „Bitte Shee… Ich will dir doch nur helfen. Ich weiß, dass du dies nicht wirklich möchtest, aber lass mich dir dieses eine Mal helfen, einverstanden? Ich werde dir auch die nötigen Erklärungen geben, wenn du dies möchtest.“ Nimkos Stimme war leise und voller Gefühle, doch Shee ließ sich dadurch nicht beirren und schüttelte wieder ihren Kopf. Nimkos Vater – so viel konnte sich Shee, ohne weitere Ausführungen, zusammenreimen – blieb dort stehen, wo Shee ihn zuletzt ermahnt hatte. Er erhob seine Stimme und sprach damit Nimko direkt an: „Junge, bitte lass ihr etwas Zeit. Ich denke du hast sie ein wenig überfordert mit allem. Zudem ist nicht jeder sofort wieder fit, nachdem er die Teleportationsmöglichkeit zum ersten Mal benutzt hat. Am besten wir gehen ins Nebenzimmer und werten dich wieder auf?“ Shee bemerkte, wie Nimko und Li-Kau einen vielsagenden Blick austauschten und fragte sich, ob sie dies wohl verstehen musste. Li-Kau verließ das Zimmer und ließ die beiden alleine, doch Shee blieb stur und sagte kein Wort mehr. Nimkos Blick konnte sie momentan nicht wirklich deuten, aber er wirkte ziemlich geknickt. Er öffnete den Mund um irgendetwas zu sagen, doch schnitt sich selber das Wort ab und schüttelte dann den Kopf. „Bleib einfach sitzen, wenn du dich besser fühlst, komm doch bitte ins Nebenzimmer. Ich werde dort auf dich warten“, sagte Nimko und schenkte Shee ein scheues Lächeln. Dann drehte er auf dem Absatz um und ging nach nebenan. Dann war Shee alleine und ließ sich wieder auf den Boden sinken. Ihr war so übel, sie konnte es nicht einmal mehr in Worte fassen. Was auch immer vorhin mit ihr passiert war, sie fühlte sich wirklich grausam. Sie zog ihre Beine an ihre Brust und legte ihren Kopf zwischen die Knie. Shee musste sich erst einmal beruhigen und da war die Stille, die sich ihr nun bot genau das richtige. Sie musste das ganze erst verdauen, immerhin hatte sie heute so viele Informationen bekommen, dass sie das Gefühl hatte schon alleine daran würde ihr Kopf zerplatzen. Die drückenden Kopfschmerzen, die sich nun bei ihr bemerkbar machten, erschwerten ihr jedoch weitere Überlegungen, deshalb ließ sie die für den Moment einfach fallen und schloss ihre Augen. Vor ihren Augen bildeten sich Bilder, doch sie versuchte sie zu ignorieren. Sie wollte jetzt nicht nachdenken, jetzt noch nicht. ~*~ Shees Gemütszustand und auch ihr körperliches Empfinden hatten sich der letzte Stunde zum Positiven verbessert und sie fühlte sich nun kräftig genug aufzustehen und in diesen einen Raum vorzudringen. Keiner der beiden Männer war in der Zeit, in der sie hier auf dem Boden hockte, zu ihr gekommen und sie wurde auch sonst nicht weiter gedrängt. Auf der einen Seite fand sie dies ziemlich gut, aber auf der anderen Seite wirkte es doch etwas eigenartig auf sie. Entweder war das, was die Beiden dort drinnen taten, mit einem großen Zeitaufwand verbunden und sie konnten deshalb nicht weg oder Shee wollte nicht wissen was darin vor sich ging. Als sie dort so auf dem Boden hockte, drangen einige merkwürdige Geräusche an ihre Ohren und sie wurde immer neugieriger darauf, was sie wohl hinter dieser Tür vorfinden würde. Shee stand zwar noch ein wenig wackelig auf ihren Beinen, doch sie konnte ohne wirkliche negative Einflüsse einen Schritt nach dem anderen. Ihre Füße trugen sie dennoch zunächst zu dem großen Schreibtisch in der Mitte des Raumen und sie besah sich ein wenig die Utensilien, die darauf lagen. Ihr Blick blieb bei einem umrandeten Foto hängen, auf dem sie einen Jungen sah, der vergnügt ein Geschenk auspackte. Das Foto schien schon etwas älter zu sein und wirkte, als sei es ziemlich oft in die Hand genommen worden, der mit Nimko im Nebenzimmer saß. „Das muss sicherlich sein Sohn sein“, schlussfolgerte Shee und wollte schon nach dem Foto greifen, ließ es dann doch bleiben, da sie nicht so tief in die Privatsphäre des Mannes eindringen wollte. Es war schon schlimm genug, dass man den Schmerz des Verlustes alleine an dem Foto schon sehen konnte. Immerhin ließ das äußere Erscheinungsbild deutlich darauf schließen. Sie wandte ihren Blick dann vom Foto ab und ließ ihn kurz über den restlichen Tisch gleiten. Viel konnte sie nicht erblicken, sicherlich waren die wichtigsten Dokumente in den Schubladen verstaut, aber da sie nicht als Schnüfflerin angesehen werden wollte, ließ sie es einfach bleiben und wandte sich dem großen Bücherregal zu. Erstaunt musste Shee feststellen, dass sich darin nicht nur Lektüre befand, sondern auch von Hand gebundene Bücher. Sicherlich hatte Li-Kau all die Erinnerungstücke seines Sohnes sorgfältig aufbewahren wollen. Da die Neugierde doch zu groß war und sie sonst nichts Spannendes unter den Büchern entdecken konnte – wobei der Fakt auch mitspielte, dass sie die Sprache nicht kannte – griff sie nach einem dieser Bücher und öffnete es vorsichtig. Ein kalter Schauer lief über ihren Rücken, als sie realisierte, dass sie ein Album mit selbstgemalten Bildern in der Hand hielt. Leider konnte sie die Worte, die auf der ersten Seite standen, nicht lesen, aber sie konnte sich vorstellen, dass es sich dabei um einige Abschiedsworte von Li-Kau an seinen Sohn handelte. „Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du nicht in meinen Privatsachen herumschnüffeln würdest“, sagte Li-Kau in einem freundlichen Ton, doch es schwall auch ein wenig Wut mit. Shee schreckte hoch und klappte das Buch sofort zu. Sie wusste, dass es wirklich keine gute Idee gewesen war, sich das Buch anschauen zu wollen und bereute ihre Entscheidung deswegen ein wenig. „Ich… es tut mir leid, ich wollte nicht…“, stammelte Shee und stellte das Buch behutsam an seinen ursprünglichen Platz zurück. War sie so in ihre Gedanken versunken, dass sie noch nicht einmal mitbekommen hatte, dass sie nicht mehr alleine im Zimmer war? Sie blickte auf Li-Kau und fragte sich, wieso seine Kleidung anders aussah, obwohl sie sich nicht einmal mehr sicher war, was er vorhin angehabt hatte. Darauf hatte sie nämlich nicht geachtet, aber diese Kleidung wirkte so, als hätte er gerade eine Operation hinter sich. Li-Kau erhob das Wort wieder und erklärte: „Ich habe mir ein wenig Sorgen gemacht, da du doch ein wenig lange auf dich hast warten lassen. Ich wäre erfreut, wenn du mir nun folgen würdest, immerhin ist Nimko im Nebenzimmer und wartet ungeduldig darauf, dass du endlich kommst.“ Ohne ein weiteres Wort ging er wieder in das Zimmer. Shee war sich etwas unsicher, ob sie ihm sofort folgen sollte, denn immer noch nagte dieses nervige Gefühl an ihr. Was es genau war, konnte sie nicht sagen, denn Hass war es nicht und Wut erschien ihr auch etwas unpassend formuliert. Auf jeden Fall war ihre Gefühlswelt ein wenig durcheinander geraten und sie erhoffte sich, dass dies schnell wieder behoben werden würde. Shee atmete einige Male tief durch und ging dann zu der Tür und legte ihre Hand auf die Klinke. Sie drückte sie noch nicht sofort nach unten, da sie ein wenig Angst vor dem hatte, was dahinter sein könnte. Doch mit etwas Druck senkte sich die Klinke und Shee öffnete langsam die Tür. ~*~ Eine kühle Brise schlug Shee entgegen und sie wunderte sich, ob sie gerade nach draußen gelangt war. Nichts deutete darauf hin. Doch mit einem Schlag wurde der Raum erhellt und Shee blieb die Luft weg. Sie wagte es nicht wirklich sich zu bewegen, da sie Angst hatte, das alles würde dann verschwinden. Die Apparatur, auf die sie blickte, ragte bis zur Decke des Zimmers und sie wusste nicht genau, was sie tun sollte. Die Tür schloss sich langsam hinter ihr und sie blieb sprachlos stehen. Das Gebilde erhob sich bis tief unter die lichtüberflutete Decke, doch Shee konnte keine Worte dafür aufbringen. Ihr Blick ging umher und sie fand noch mehr Apparaturen, die sie sprachlos machten. Sie fühlte sich, als sei sie in ein Labor vorgedrungen, das nie jemand hätte betreten dürfen. Dann erinnerte sie sich daran, dass an der Tür ein Schild hing. Sicherlich stand dort ‚Betreten verboten‘ darauf. Doch sie konnte sich nicht sicher sein. Auf jeden Fall war sie ziemlich überrascht so etwas hier vorzufinden. Das andere Zimmer hatte nicht darauf hingedeutet, dass eine so komplexe Maschine im Nebenzimmer stand. Kabel, Ventile, Federn, durchsichtige Glaskammern und noch vieles mehr war in dieser Maschine verarbeitet worden. Sie schien eine Energie von sich zu geben, doch Shee konnte sie nicht richtig beschreiben. Metallstreben hielten die einzelnen Komponenten zusammen und sie wunderte sich, ob Li-Kau dies ganz alleine gebaut hatte oder ob er von jemanden Hilfe bekommen hatte. In der Mitte der Maschine war eine Sitzgelegenheit, auf der Jemand saß. Zuerst konnte sie nicht viel von der Person erkennen, aber beim genauen Anschauen erkannte sie Nimko. Er hatte seine fleischige Erscheinung wieder angenommen, deshalb konnte sich Shee bei der Annahme sicher sein. Sie wollte schon etwas sagen, aber da fiel ihr Blick auf die vielen Monitore, die an der Wand befestigt waren. Flackernde Bilder waren darauf zu erkennen und Shee fragte sich, was sie dort gerade ansah. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass sie sich selbst sah, aber die Bildwechsel gingen so schnell von statten, dass sie sich nicht sicher sein konnte, ob dem so war. Sie sah wieder zu Nimko und ging näher auf die Maschine zu. Aus seinem Kopf ragten einige Kabel, die sich mit den Monitoren verbanden. Hätte sie die Wahrheit von Nimko nicht vorhin erst gehört, so hätte sie sich gefragt wie dies wohl möglich wäre. Eines der iuteranischen Visiere lag über seinen Augen und Ohren und sie wunderte sich noch nicht einmal weshalb dies so war. Sie wusste um die abschottende Wirkung und ging deshalb nicht weiter darauf ein. Li-Kau schien besorgt auf die Monitore zu schauen und schüttelte ein ums andere Mal seinen Kopf. Shee gesellte sich zu ihm und war zu perplex, als dass sie hätte weiter mürrisch oder wütend auf ihn sein können. Sie sprach ihn deshalb vorsichtig an: „Sind das Erinnerungen von Nimko?“ Li-Kau antwortete nicht sofort, sondern beobachtete die flimmernden Bilder noch kurze Zeit: „Ja, es sind Nimkos Erinnerungen, nur ist er zu aufgewühlt über deine Reaktion von vorhin, dass sie ziemlich vermischt und verwirrend sind.“ Hatte sie jetzt etwa Schuld daran, dass Nimkos Funktionalität eingeschränkt worden war? Sie wollte schon wütend werden, doch sie belehrte sich eines Besseren und sagte nichts auf Li-Kaus Aussage hin. „Ich wäre dir dankbar, wenn du ihm vielleicht für heute verzeihen könntest und ihn mit deinen Worten zu Vernunft bringst. Wir brauchen die Daten aus seinem ‚Gehirn‘ damit wir weiterarbeiten können. Aber so durcheinander und verworren, wie sie momentan sind, wird es schwer etwas Aufschlussreiches daraus zu ziehen.“ Li-Kau deutete auf etwas, das einem Mikrofon gleichkam und fügte noch hinzu: „Wärst du deshalb so freundlich mit Nimko zu reden? Ich werde das Zimmer dafür auch verlassen.“ Shee sollte nun so tun, als sei nichts passiert und Nimko einfach von jetzt auf gleich verzeihen? Sie wusste nicht, ob sie das tun konnte, da die Informationen und das was  Nimko ihr angetan hatte, doch ziemlich aufreibend waren. Da sie aber kein Unmensch war, wollte sie heute ausnahmsweise auf Friede-Freude-Eierkuchen machen, deshalb willigte sie schlussendlich ein. Auch wenn sie zugeben musste, dass sie nicht wusste, wie sie an die Sache herangehen sollte. „Vielen Dank, wenn du fertig bist, kannst du mich ja rufen. Ich werde in der Zwischenzeit im Nebenzimmer warten.“ Mit diesen Worten ging Li-Kau aus dem Zimmer und ließ Shee mit Nimko alleine. ~*~ Shee musste sich etwas zusammenreißen und den Mut aufbringen den ersten Schritt zu wagen. Sie wollte Nimko helfen, doch gleichzeitig war es ihr auch egal, was nun aus ihm werden würde oder auch nicht. Sie fühlte sich ziemlich hintergangen und überlegte, ob sie die Sache nicht für ihren Vorteil nutzen könnte. Dann aber kam ihr in den Sinn, dass sie Nimko so vieles zu verdanken hatte und sie brachte es nicht fertig etwas Böses zu tun. Sie drückte auf den Knopf und sprach in das Mikrofon: „Hi Nimko. Hier ist Shee. Es ist etwas seltsam so mit dir zu reden, aber Li-Kau wollte es so. Ich… Du… ach Mann, auf der einen Seite bin ich so verwirrt und wütend auf dich Nimko, dass ich es noch nicht einmal in Worte fassen kann. Doch auf der anderen Seite habe ich dir so viel zu verdanken, dass ich dir einfach nicht lange böse sein kann. Wir kennen uns dafür zu lange, als dass ich lange auf dich wütend sein könnte und doch, etwas ist in meiner Brust, das so schmerzt, dass ich es nicht in Worte fassen kann.“ Sie machte eine kleine Pause und senkte den Blick, sie konnte Nimko nicht ansehen während sie ihm diese Sachen sagte. Obwohl sie die Klappe meistens nicht halten konnte, fiel es ihr umso schwerer so mit Nimko zu reden. Sie konnte nur nicht genau sagen woran es genau lag, aber es war einfach so eigenartig, zumal Nimko ihr nicht antworten konnte – so schien es zumindest für sie. „Ich will dir keine Vorwürfe machen, Nimko, doch ich will dir einfach klar machen, dass es ziemlich viel für einen Tag war und ich nicht weiß wohin mit den ganzen Informationen. Hättest du mir das alles nicht langsamer und in ein paar Etappen beibringen können?“, fragte Shee und schüttelte den Kopf. Da fing sie doch tatsächlich an ihm Vorwürfe zu machen, dabei hatte sie sogar von sich aus gesagt, dass sie ihm keine an den Kopf schmeißen wollte. „Ich… Kannst du dich noch an unsere erste Begegnung erinnern Nimko?“, begann sie, „Weil ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, auch wenn es ein wenig schmerzhaft ist. Aber…“ Weiter kam sie nicht, da sich etwas auf den Monitoren verändert hatte, das sie aufblicken ließ. ~*~ Seine Schritte gingen langsam, denn seine Teleportation hatte viel Energie gekostet und nun befand er sich in einem fremden Land mit fremden Gerüchen und Geräuschen. Er hörte Vögel zwitschern und andere Tierlaute, doch es war etwas anderes, sehr leises, das an seine Ohren drang und ihn beschäftigte. Er blieb stehen und horchte auf. Ein Wimmern war zu hören, doch es war nicht wirklich ersichtlich aus welcher Richtung es kam. Er blickte sich um, konnte dennoch nichts erkennen. Doch dann fiel sein Blick gen Boden und er erblickte dort frisches Blut, ziemlich viel sogar. Er folgte der Spur und fand nicht weit davon entfernt eine junge Iuteranerin, die scheinbar schwer verletzt am Boden lag. „Ngh… au…“, hörte er und beugte sich vorsichtig über das Mädchen. Er konnte nicht sagen, wieso er ihr helfen wollte, aber etwas in ihm hatte ihm das Signal vermittelt, dass er sich nicht sofort in die Arbeit schmeißen, sondern ihr helfen sollte. Er sah sofort, dass ihre Verletzung lebensgefährlich war und wollte schon einen Moment einfach wieder gehen, da er keinen wirklichen Nutzen in ihrem Leben sah. Doch dann entschied er sich dagegen, da sie ihre rechte Hand ausstreckte und ihn damit aufhielt. „Bitte… nicht gehen.“ Nimko blickte auf den Boden und sah, wie hilflos das Mädchen doch war und hob sie dann einfach hoch und brachte sie zu den Häusern. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, aber die Leute empfingen ihn freundlich und so konnte er nicht einfach ungesehen gehen. Das Mädchen hatte seinen Ärmel auch nicht losgelassen und so musste er wohl oder übel an ihrer Seite bleiben. In dem Moment hatte ihm etwas gesagt, dass es besser wäre, wenn er sich an dieses Mädchen halten würde, denn sie schien anders zu sein. ~*~ Shee wusste nicht recht was sie davon halten sollte, denn es waren so viele Emotionen mit dieser Erinnerung verbunden, dass sie nicht wusste, wie sie richtig darauf reagieren sollte. Sie hätte nie gedacht einmal das Ganze aus Nimkos Perspektive zu sehen. Bis jetzt hatten sie auch nie oft darüber gesprochen, aber es schien heute der richtige Moment zu sein um darüber zu reden. „Du hast mir das Leben gerettet, obwohl ich die Hoffnung schon aufgegeben hatte, dass mich irgendjemand dort finden würde. Du… Instinktiv schienst du genau zu wissen wohin du mich bringen musstest, obwohl ich dir dann nicht mehr helfen konnte, weil ich durch den Blutverlust das Bewusstsein verloren hatte. Ich bin dir so unheimlich dankbar, dass du mich an dem Tag gerettet hast Nimko“, schloss Shee ihren kleinen Monolog und blickte wieder auf die Monitore, da sich etwas Neues darauf abspielte. ~*~ „Wird es wehtun Vater?“, fragte die jugendliche Stimme und sah auf die große Apparatur, in die er gleich hineinsteigen sollte. Zweifel vermischten sich mit Neugierde und es wurde immer schwerer ruhig zu bleiben. Ein jüngerer Li-Kau kam ins Bild und er sagte: „Es wird vielleicht etwas unangenehm sein, aber  wenn du Schmerzen hast, werden wir es sofort beenden.“ Er hatte einen Kittel an und griff nach einigen Kabeln vom Apparat, die lose in der Luft herunterhingen. Nimko senkte den Blick und schaute zu Boden, weil er nicht in das traurige Gesicht seines Erschaffers schauen wollte. Er flüstere dennoch: „Ich werde alles tun, was du mir sagst Vater.“ Dann stieg er in die Maschine und wurde mit den Kabeln verbunden. Li-Kau legte einen Schalter um und der markerschütternde Schrei von Nimko zerschnitt die Stille im Zimmer. Daraufhin folgte nur Schwärze. ~*~ „…ko! Nimko! Mach die Augen auf, bitte, mach die Augen auf!“ Der verzweifelte Schrei von Li-Kau hallte durch das Zimmer und das Bild wurde langsam klarer. Ein tränenüberflutetes Gesicht drang ins Bild und Nimkos Bewusstsein kam langsam wieder zum Vorschein. „Ich… Wo bin ich? Wo ist Shee?! Lass mich zu Shee, sie braucht mich!“ Nimko riss sich die Kabel vom Körper, schlug Li-Kau aus dem Weg und lief aus dem Zimmer. Er wollte zu Shee und zwar sofort! Doch er kam nicht weit, da sein Körper schlappmachte und er vor der Tür zum Zimmer mit der Maschine umkippte und immer wieder ‚Shee‘ rief. ~*~ Sie fragte sich wieso Nimko ihr dies zeigte. Wollte er damit zeigen, wie wichtig sie ihm war? Oder hatte er ihr etwas anderes zeigen wollen? Hatte er etwa Schmerzen, wenn er unter dieser Maschine war? Sie konnte sich keinen Reim daraus machen und eine Antwort wollte sie auch nicht darauf bekommen. „Hast du dich langsam wieder beruhigt Nimko? Kann ich deinen Vater wieder hinzuziehen?“, fragte sie vorsichtig, weil sie das Gefühl hatte, dass er sich besser unter Kontrolle hatte. Dieses Mal bekam sie keine Erinnerung als Antwort, sondern ein Zusammenspiel von einzelnen Wörtern, die den Satz ‚Nein, ich möchte mit dir alleine darüber reden und dir etwas zeigen‘ bildeten. Shee versuchte zu widersprechen, doch Nimko spielte ihr eine andere, neue Erinnerung vor. Sie ließ sich langsam auf den Stuhl sinken und beobachtete den Monitor. ~*~ „Ich bin heute zu ihr durchgedrungen und werde der erste sein, der das wahre Erscheinungsbild von ‚The Brain‘ aufdeckt. Wir schreiben heute den 5. Janurius und wir haben 10 Punkt 00. Eigentlich bin ich gerade bei Shee, aber sie wird mein Verschwinden nicht bemerken, da ich die Zeit schneller wechseln kann, als sie mit den Augen zwinkern kann.“ Nimko hielt ein Protokoll über die Geschehnisse und ging langsam weiter. Seine Schritte federten auf dem Boden und er drang durch die langen Gänge, die sich ihm boten. Von weiter her konnte er zwei Stimmen miteinander reden hören. Es schien fast so, als würden sie über etwas debattieren, aber er konnte nicht wirklich verstehen, was sie sagten. Nimko legte sich auf den Boden und robbte nun durch die Gänge, die Stimmen wurden immer lauter und nun konnte er auch etwas Eigenartiges wahrnehmen. Denn die Stimme hatte Aussetzer, er konnte es nur nicht wirklich erklären. Sie wurde immer lauter und nun verstand er auch was sie Stimmen sagten. „Mehr! Mehr! Mehr!“, sagte die eine gierige Stimme und wurde mit jedem ‚mehr‘ lauter. „N…an…an…nein!“, stockend und mit Aussetzern versuchte die andere Stimme sich zu verteidigen. Doch sie kam mit ihren Worten nicht an die andere heran und wurde wieder von der gierigen abgelöst. „Erinnert euch stärker, macht schon, stärkere Erinnerungen. Ah!“ Die Erregtheit der gierigen Stimme machte Nimko stutzig und so versuchte er einen Blick auf die Szenerie zu erhaschen. Er blickte, als einer der ersten, in das wahre Gesicht von ‚The Brain‘. Er war erstaunt, dass es sich dabei um einen computergenerierten Frauenkopf handelte, der sich über einen riesigen Bildschirm ausbreitete. Bei jedem Gemütswechsel konnte er die Störungen sehen und ihm wurde mit einem Schlag klar, um was es sich handeln konnte. Ihm konnte dies nämlich auch passieren und er hoffte, dass es niemals so weit kommen würde. ~*~ Eine freundliche Frauenstimme schreckte Shee auf und sie sah sich sofort um: „Bitte nehmen Sie nun den Finger vom Mikrofonschalter und entfernen sie sich von der Konsole. Download in 3… 2… 1…“ Mit einem ‚pling‘ fingen die Bilder an auf dem Monitor angeordnet und chronologisch aufzutauchen. Shee wusste nicht was sie tun sollte. Sie war zu verwirrt, als dass sie etwas hätte tun oder sagen können. Aber etwas wusste sie genau: sie hatte The Brain gesehen. Also hatte sie mit ihrer Vermutung Recht gehabt, dass es sich dabei um ein computergeneriertes Frauengesicht handelte. Und womöglich war dieses Problem e-. Sie schreckte auf, weil sie hörte, wie sich die Tür abrupt öffnete und Li-Kau hereingeeilt kam. Er sah wütend aus und sie konnte es ihm auch nicht verdenken. Immerhin hatte sie ihn nicht gerufen, als sie Nimko beruhigt hatte. Sie sah wie er schnell einige Knöpfe auf einer anderen Konsole drückte und wütend auf Shee zuging. „Du hättest mich sofort rufen sollen Shee! Ich hoffe wir haben jetzt keine wichtigen Informationen wegen dir verloren“, schnauzte er Shee an und blickte dann gebannt auf die Monitore. „Achso? Jetzt ist es auch noch meine Schuld, dass etwas Wichtiges verloren gegangen sein könnte? Na danke auch. Nächstes Mal klären Sie mich besser auf, ehe sie mir eine Order geben. Arschloch.“ Shee stapfte wütend aus dem Zimmer und ließ die Tür ins Schloss fallen. Sie wollte weg hier und zwar sofort! Sie sah sich im Zimmer um und fand eine Tür, öffnete sie und ging einfach hindurch. Es war ihr egal, dass es nun Nacht war, Hauptsache sie war von dem dummen Typ weg. ~*~ Shee fand sich in einer ziemlich trostlosen Gegend wieder. In der näheren Umgebung konnte sie keine anderen Häuser entdecken und auch sonst schien die Umwelt es nicht wirklich gut zu meinen mit dem Teil des Landes. Einige Stellen waren karg, andere überwuchert von einer Art Gestrüpp. Momentan konnte Shee noch nicht wirklich erkennen was es war, immerhin herrschte dort gerade tiefe Nacht. Sie ging etwas weiter, da sie sonst sicherlich Gefahr lief, dass die Beiden sie einholten. Sie hatte nur das Problem, dass sie nicht genau wusste wohin sie überhaupt gehen wollte. Sie kannte sich überhaupt nicht aus und da half ihr guter Orientierungssinn auch nicht weiter. „Verdammt!“, fluchte sie leise vor sich hin und ging einfach dem Weg nach, der von dem Haus wegführte. Sie würde schon einen Weg nach Hause finden. Da war sie sich absolut sicher.  ENDE DES ERSTEN TEILES Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)