Nanshoku von Rajani (Die Farben der Liebe) ================================================================================ Kapitel 11: Durchschaut ----------------------- Michiko war angespannt. Seitdem Meister Katakura und der Fürst ausgeritten waren, herrschte eine schrecklich gespannte Stimmung in der Burg. Entweder war es still oder der Fürst ließ die Shoji laut zuknallen. Und Meister Katakura war noch öfter auf den Feldern als sonst schon. Irgendwas musste passiert sein, denn eine derartige Spannung lag schon seit Jahren nicht mehr in der Luft. Das letzte Mal war es so, als der Fürst sich mit seinem Bruder gestritten hatte. Das war dann im Tod des Bruders geendet. Was würde jetzt wohl passieren? „Michiko!“, rief der Fürst. Sie seufzte und eilte zu dessen Zimmer. Seit diese Spannung hier herrschte war der Fürst recht oft hier im unteren Bereich der Burg, wo er die Felder im Blick hatte. Scheinbar beruhigte ihn das, dachte sie sich. „Mein Fürst?“, fragte sie vorsichtig. „Haben wir noch etwas Reis?“, fragte er und hob die noch halb volle Schale mit Gemüse an. „Natürlich, ich bringe Euch sofort welchen.“ Michiko ging wieder. Masamune stellte die Schale wieder ab und warf einen Blick zu den Shoji der Terrasse. Eigentlich hatte er keinen Hunger mehr, aber er war es gewohnt, aufzuessen und immerhin passte der Happen in seiner Schale noch rein. Den restlichen Reis konnte er ja an die Vögel verfüttern. Michiko kehrte mit einer Schale Reis zurück und ging dann wieder. Masamune runzelte die Stirn, denn seit dem Streit den er mit Kojuro gehabt hatte, war sogar Michiko noch zurückhaltender als sonst. Er nahm den Reis und aß das restliche Gemüse. Mit dem verbliebenen Reis ging auf die Terrasse und setzte sich. Hin und wieder warf er den Vögeln ein paar der Reiskörner hin und sah auf die Felder. In einem der hinteren Reisfelder sah er Kojuro stehen und die jungen Pflanzen überprüfen. Es war zwar nicht seine Aufgabe aber momentan suchte Kojuro jede Möglichkeit, irgendwelche Arbeiten zu machen und so wenig Zeit wie möglich bei ihm, Masamune, zu verbringen. Das ärgerte Masamune inzwischen gewaltig. Schließlich war das schon fünf Tage her, dass sie sich gestritten hatten. Bis jetzt hatte Masamune noch nicht über all das nachgedacht. Er war zu wütend gewesen, um über die gesamte Situation nachzudenken. Wäre es nur wegen Takeda gewesen, dann hätte er sich sicher schon Gedanken darüber gemacht, aber es ging ja nicht nur um Takeda und ob er nun einen Feldzug begann oder nicht. Es ging auch um die Tatsache, dass Masamune den General Takedas geküsst hatte und es Kojuro verheimlicht hatte – jedenfalls sah Kojuro es so. Masamune hingegen hatte keinen Grund gesehen, es Kojuro überhaupt zu sagen. Es waren nur ein oder zwei Küsse gewesen. Nichts, das Grund genug gewesen wäre, gleich so aus der Haut zu fahren, wie Kojuro es getan hatte. Masamune hatte Kojuro eine ganze Weile beobachtet. Die Reisschale war inzwischen auch leer. Er stand wieder auf und ging hinein. „Michiko.“, rief er. Leise öffneten sich die Shoji und die hübsche, zierliche Michiko sah ins Zimmer. „Mein Herr?“ „Ich würde gerne Tee trinken.“ „Natürlich. Darf ich die Reisschale mitnehmen?“ Masamune reichte ihr die leere Schale. „Ich möchte den Tee gern selbst zubereiten.“, fügte er noch hinzu. Mit einem etwas überraschten Nicken verließ sie ebenso leise wie sie gekommen war das Zimmer. Erstaunlicherweise kam sie auch recht schnell wieder. Aber eigentlich war es klar gewesen, denn heißes Wasser und Tee war in der Küche immer vorhanden. Sie stellte stillschweigend das Tablett ins Zimmer. Darauf standen eine glasierte Tonkanne, zwei glasierte Tonschalen, eine Kyusu und ein Bambusschälchen mit grünem Tee sowie ein Bambusbesen. Masamune warf einen Blick in die Schale. Der Tee war bereits zerkleinert worden. Eigentlich hatte er das selbst machen wollen. Aber nun gut, Michiko war so vorhersehend gewesen, dass sie ihm gleich die in Streifen geschnittenen und getrockneten Teeblätter gegeben hatte. Sie wusste wohl, dass der Fürst schon seit Jahren nicht mehr selbst den Tee zubereitet hatte. Sei's drum, dachte sich Masamune und füllte die zerkleinerten Blätter in die Kyusu. Dann berührte er die Tonkanne mit dem heißen Wasser und entschloss sich, noch zu warten. Zu heiß. Das letzte Mal hatte er Tee mit Kojuro gemeinsam gemacht. Der Schwertmeister hatte ihn nicht nur in den Kampfkünsten und -techniken unterwiesen, sondern auch in den anderen Künsten. Dazu gehörte auch die Kunst der Teezubereitung. Kojuro hatte dazu immer Sencha genommen, weil dieser am aromatischsten, gesündesten und hochwertigsten war. Wenn man ihn denn richtig zubereitete. Masamune konnte es, aber es war inzwischen schon ein paar Jahre her, sodass er einen Moment über die Ziehzeit nachdachte. Er prüfte erneut die Temperatur des Wassers. Einen Augenblick würde er noch warten müssen. Indes fiel ihm Shibata wieder ein. Er würde wohl etwa fünf oder sechs Tage bis zu Takeda zurück brauchen, immerhin reiste das Frettchen feige in einer Sänfte. Dann müsste er bald dort ankommen. Hoffentlich hatte das ganze Theater dann ein Ende. Wegen Shibata hatte er sich mit Kojuro gestritten. Masamune betrachtete die Kyusu und die zwei Becher. Er musste lächeln. Kojuro hatte ihm einmal gesagt, wenn er Tee machte, dann konnte er besser nachdenken. Vielleicht wollte Masamune ja genau deshalb Tee machen. Wieder prüfte er die Temperatur und diesmal war sie genau richtig. Er goss das Wasser in die Kyusu und lauschte auf das Shishi-Odoshi in der Nähe der Terrasse. Nach mehreren Schlägen des Bambusrohrs goss er den Tee in die Schalen. Das Wasser reichte genau für die beiden Schalen. Hätte er gewollt, hätte er Michiko nach einer zweiten Kanne Wasser fragen können, aber er wusste, dass der Sencha nur mit dem ersten Aufguss wirklich gut schmeckte. Doch eine der Schalen blieb unangerührt stehen, während Masamune den Bambusbesen in eines der Schälchen tauchte und es behutsam abwechselnd in beide Richtungen wirbeln ließ. Dann legte er den kleinen Besen weg, nahm die Schale in die Hände und mehrfach drehte. Er nahm einen Schluck. Ja, er konnte es noch – der Tee war sehr gut. Aber noch besser wäre es gewesen, wenn Kojuro hier sein würde und die zweite Schale trinken würde. Aber das war er nicht, weil sie sich gestritten hatten. Masamune verzog säuerlich das Gesicht. Warum denn überhaupt? Doch nicht nur wegen des Kusses? Kojuro war sein engster Vertrauter, sein Ratgeber und sein rechtes Auge, aber mehr war da nie gewesen. War er sauer, weil Shibata das Ganze erst ins Rollen gebracht hatte und somit Takeda auf ihn gehetzt hatte? Aber von Takeda ging seither noch keine Gefahr aus. Jedenfalls hatte Masamune bis jetzt noch nichts von dessen Armee auf dem Weg zu ihm gehört. Und wenn es genau das war, was dieses Frettchen von einem Fürsten wollte? Masamune stellte die Teeschale ab. Was hatte Shibata noch gleich gesagt? „...wer sagt, denn dass Ihr noch lange mit Takeda verbündet sein werdet? Nach dem, was vorgefallen ist...“ Sollte diese Lappalie etwa unser Bündnis in irgendeiner Weise stören? Ich wüsste nicht, dass man sowas nicht auch gesittet klären könnte. Ich bin ja schließlich nicht über Yukimura hergefallen! … Aber genau das will Shibata anscheinend Takeda glauben machen... Er war ja schon bei Takeda und hat ihm dieses Lügenmärchen aufgetischt, jetzt ist zu mir gekommen um mich augenscheinlich zu warnen, dass Takeda uns angreifen würde. Und ich schicke ihn zurück mit der Botschaft, dass Takeda keinen Grund dazu hat... I'm such a fool! Natürlich war Shibata das klar! Das, was ich gesagt habe, wird so wohl nicht bei Takeda ankommen. Ich wette darauf, dass er ihm ein weiteres Lügenmärchen erzählt... „Michiko?“ Leise gingen die Shoji auf, als hätte sie davor gewartet. „Ja mein Herr?“ „Lass Kojuro herbringen. Ich muss mit ihm reden. Und gebt den Soldaten Bescheid. Wir werden wahrscheinlich heute Abend Kriegsrat halten müssen.“ „Sehr wohl.“, sagte sie, runzelte kaum merklich die Stirn und schob leise die Shoji wieder zu. Masamune hörte ihre sachten Tippelschritte immer leiser werden. Er trank einen weiteren Schluck Tee. Shibata wird mit all dem bereits gerechnet haben, was passiert ist. Er kennt uns anscheinend sehr gut. Als hätte er uns ausspioniert... Er wusste, dass Takeda nicht kopflos in einen Feldzug rennt, selbst dann nicht, wenn sein General angerührt worden wäre. Er wusste auch, dass ich mir seine Frechheit, mir die Verführung Yukimuras zu unterstellen, nicht bieten lassen würde. Ihm ist auch klar, dass auch ich nicht einfach mit meinen Männern losziehe. Also ist er jetzt zurück zu Takeda geritten. Und er wird ihm eine Lüge aufbinden, die dafür sorgt, dass Takeda mit seinen Leuten loszieht. Er erwartet, dass ich das auch tue. Dumm nur, dass Takeda und ich nicht allein ein Bündnis eingegangen sind. Uesugi gehört auch dazu... Aber das weiß er auch und auch da hat er vermutlich vorgesorgt. Ich könnte schwören, sobald er bei Takeda angekommen ist, wird er einen Boten zu Uesugi schicken, der ihm berichtet, dass ich und Takeda das Bündnis gelöst haben und uns zum Kampf bereit machen. Uesugi ist Takedas ebenbürtiger Gegner, er wird keine Sekunde zögern um meiner Armee ebenfalls loszuziehen... Nicht dumm, Shibata... Gar nicht dumm... Masamune grinste, als er Michikos Schritte wieder vernahm. Sie sprach, ohne die Shoji zu öffnen. „Mein Herr, Meister Katakura lässt ausrichten, er möchte sich erst waschen, bevor er zu Euch kommt. Er möchte nicht schmutzig von der Feldarbeit vor Euch erscheinen.“ „All right. Ich warte.“, antwortete er und Michiko ging wieder. Er prüfte mit dem Handrücken die Temperatur der zweiten Teeschale. Noch war der Tee warm. Im Sommer kühlten der Tee zum Glück nicht so schnell ab wie im Winter. Kalter Sencha war einfach grauenhaft und es war eine Sünde ihn kalt werden zu lassen. Wenn sich Kojuro sich nicht beeilte, dann würde er ihn wegschütten müssen. Er seufzte. Was war nur mit Kojuro los? Er war sein treuester Mann, immer an seiner Seite und deckte ihm den Rücken. Warum nur war er dann so sauer, wo doch mit Yukimura bis auf die paar Küsse nichts passiert war? …Sollte das etwas mit dem letzten Teil der Shudo-Ausbildung zu tun haben, die Kojuro jetzt noch abschließen will? Das ist die einzige Erklärung. Schon allein, weil ich seine Gereiztheit bei unserem Streit als Aufgabe dazu betrachten sollte. Ob er wütend ist, weil ich der Shudo vorgegriffen habe, indem ich Yukimura geküsst habe? Das könnte es sein, immerhin hat er mir ja gesagt, dass er damals schon sehr gerne mein Shudo-Meister gewesen wäre. Wie er mich dabei angesehen hat, als er das gesagt hat. Und erst Recht, als er mir geschworen hat, dass er niemals über mich herfallen würde. Weder jetzt noch in einem anderen Leben... Masamune lief ein Schauer über den Rücken. Er schüttelte energisch den Kopf. Schon wieder... das ist mir schon mal passiert... Kojuro hat oft so eine Wirkung auf mich... Er hörte Schritte im Gang. Sie waren lauter als Michikos, also konnte es nur Kojuro sein. „Mein Fürst... Ihr habt mich rufen lassen?“, fragte er hinter den noch geschlossenen Shoji. Masamune schluckte. Kojuros Stimme war tief und klang leicht gereizt. Er war also immer noch wütend. „Komm rein, du wartest doch sonst auch nicht.“ Kojuro betrat den Raum und brachte eine Wolke angenehmen Dufts mit sich. Masamune sah ihn an. Die Haare klebten ihm noch feucht am Kopf, der Yukata im Nacken wurde ebenfalls feucht. Wieder schluckte er. Ich glaube, ich verstehe, warum er wütend ist... Über so eine Lappalie kann man nur wütend werden, wenn man... Hastig schüttelte Masamune den Kopf. „Was gibt es, mein Fürst?“, fragte Kojuro und setzte sich ihm gegenüber. „Ich habe Tee gemacht. Nimm dir deine Schale.“, sagte Masamune. Kojuro runzelte die Stirn. „Habt Ihr mich nur wegen dem Tee rufen lassen?“, hakte er nach. „Nicht nur. Wir müssen reden, vielleicht sogar Kriegsrat halten.“ Kojuro nickte. „Michiko hat da was verlauten lassen, dass sie noch zu den Soldaten gehen muss... Nun? Worum geht es?“ „Shibata treibt ein Spiel mit uns.“ „Wie meint Ihr das?“ „Nun ja, er war bei Takeda und hat ihm erzählt, ich hätte Yukimura verführt. Was so nicht stimmt-“, begann Masamune und registrierte, dass Kojuro eine Augenbraue leicht anhob. „Jedenfalls nicht so, wie Shibata das gesagt hat.“, räumte der Fürst ein und fuhr dann fort: „Danach ist er zu mir gekommen, um mir vorzugaukeln, Takeda käme mit seiner Armee um mich als Rache für die Verführung seines Generals anzugreifen. Er wusste, dass Takeda nicht so kopflos handelt und er wusste, dass ich es abstreiten würde. Er weiß auch, dass ich genauso wenig überstürzt vom Hof reite, wie Takeda. Also reitet er zu Takeda zurück und lässt mich in den Glauben, dass er ihm meine Botschaft überbringt. Aber ich wette mit dir, Kojuro: Was ich tatsächlich gesagt habe – und du bist mein Zeuge! - wird bei Takeda so nicht ankommen!“ Kojuro nickte. „Was meint Ihr, wird tatsächlich ankommen?“ „Er wird Takeda erzählen, ich hätte unser Bündnis aufgelöst und würde mich mit meinen Soldaten auf den Weg machen, mich ihm in den Weg zu stellen. DAS wird er ihm sagen und das wird wohl dazu führen, dass auch Takeda ins Feld zieht. Takeda hat von mir wohl zwei Dinge erwartet: Das ich es abstreite und ruhig bleibe oder dass ich das Bündnis löse. Letzteres tritt augenscheinlich auch ein, weil Shibata es ihm so sagt. Aber zu unserem Bündnis gehört ja auch noch Uesugi.“ Kojuro zog die Stirn kraus. „Was hat Fürst Uesugi mit all dem zu tun? Ihm kann es doch eigentlich egal sein, ob... Oh!“ „You see? Shibata geht davon aus, das Takeda und ich uns zerfleischen werden. Er will Uesugi mit hineinziehen. Und was dann kommt, kannst du dir vermutlich denken.“, sagte Masamune. Kojuro nahm wortlos die Teeschale und leerte sie in einem Zug. Dann stand er auf. „Ich trommle die Männer zusammen.“, sagte er nur und ging. Masamune erhob sich ebenfalls und verließ das Zimmer. Im Gehen sagte er Michiko noch, dass das Teetablett weggeräumt werden kann und ging dann das Gelände hinauf zur Hauptburg, wo der große Versammlungsraum war. Dort wartete er, bis alle seine Soldaten da waren und Kojuro neben ihm saß. Der Kriegsrat konnte beginnen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)