Brightest Light von Flordelis (Miracle) ================================================================================ Kapitel IX - Ich dachte, es würde dich stören. ---------------------------------------------- In der Woche, die folgte, kam es Kieran vor, als würde er richtig aufleben. Obwohl er nachts nicht sonderlich viel schlief, war er tagsüber wesentlich wacher, er dachte auch nicht mehr dauernd an Richard und schaffte es zumindest ansatzweise, normal mit ihm umzugehen – auch wenn diesem nicht im Mindesten daran gelegen schien. Seit Kierans Gespräch mit Faren, schien es ihm, als würde etwas an seinem einst besten Freund nagen und dafür sorgen, dass er auf Abstand ging. Er konnte es nicht verstehen, aber er machte sich nicht viele Gedanken darum, da sein Kopf meist mit der Jagd auf Dämonen beschäftigt war – und wenn dem nicht so war, traf er sich mit Aydeen, in deren Gegenwart er ohnehin nicht klar denken konnte. Sein Vater schien auch endlich zufrieden, seitdem er von seiner Freundin wusste. Für Kieran war damit eigentlich alles perfekt und eigentlich müsste sich, seiner Meinung nach nichts mehr daran ändern – aber dieser Zustand hielt nicht lange. Eine Woche nach seiner Verabredung mit Aydeen und mehreren weiterer Treffen mit ihr, die stets eine Mischung aus angenehmem Schweigen und leichter Unterhaltung gewesen waren, geschah es, überraschenderweise, dass Kieran vergaß, sich ein Mittagessen von zu Hause mitzunehmen. Das war, wie er fand, der entscheidende Nachteil, wenn es um Beziehungen ging, man konnte durchaus vergesslich werden, weil man nur noch an die entsprechende andere Person dachte. Oder vielleicht liegt das auch an mir. Da er aber nicht den ganzen Tag ohne etwas zu essen überstehen konnte, beschloss er, in der Mittagspause etwas in der, stets überfüllten, Caféteria zu kaufen und dann im Klassenzimmer zu essen. Wie auch früher verbrachte er seine Pause nicht mit Richard oder den anderen. Damals, um sich nicht aufzudrängen und zumindest ein wenig zu schlafen und nun weil er sich sagte, dass er nicht mehr zu viel Zeit mit ihnen verbringen dürfte. Bei der Caféteria, die im Erdgeschoss durch eine Glastür zu erreichen war, handelte es sich um einen überraschend kleiner Raum, in dem lediglich einige Tische und zwei Theken Platz fanden. In der einen, tiefer gelegten befanden sich frische Zutaten, mit denen man Sandwiches belegen konnte, auf der anderen standen Kaffee- und Kakaoautomaten, für all jene, die unbedingt morgens etwas Derartiges zum Aufwachen benötigten. Kieran hatte nie davon Gebrauch gemacht und die Caféteria deswegen viel öfter nur von außen betrachtet. Der Verkaufskiosk befand sich in einem kleinen Raum direkt an der Caféteria und war vollgestopft mit allerlei Süßigkeiten und einem Kühlschrank mit Getränken. Die Tische waren alle besetzt und auch um die Theke mit den Zutaten standen allerlei Personen herum. All die Gespräche der anwesenden Schüler und Lehrer verschmolzen in seinen Ohren zu einem unangenehmen Summen, dem er rasch wieder entfliehen wollte, weswegen er, direkt nachdem er die Schachtel mit dem Essen in der Hand hielt, aus der Caféteria floh, um wieder nach oben zurückzukehren. Der Geruch der Soße an den Kartoffeln, die in der Schachtel waren, ließ seinen Magen knurren, aber das war rasch vergessen, als er die erste Treppe zur Hälfte hinter sich gebracht hatte und dabei an einem offenen Fenster vorbeikam. Das an sich irritierte ihn nicht im Mindesten, dafür aber das, was durch dieses zu hören war: „Ich denke schon, dass Kieran das ernst meint.“ Als er seinen Namen hörte, hielt er sofort inne. Im ersten Moment glaubte er, dass sich jemand mit ihm in der Eingangshalle, die er von der Treppe aus überblicken konnte, befand, stellte aber nach einem kurzen Blick fest, dass dem nicht der Fall war. „Was macht dich da so sicher?“, hörte er Richards Stimme, die eindeutig von draußen kam. Er wagte nicht, hinauszusehen, da er befürchtete, entdeckt zu werden, aber er konnte vor lauter Neugierde keinen weiteren Schritt machen. „Na jaaaa“, hörte er Faren langgezogen sagen, einer der seltenen Momente, in denen er um Worte verlegen schien, „fragen wir doch einfach Bell?“ Der erschrockene Ausruf, der daraufhin folgte, kam eindeutig von Bellinda, er konnte sich schon fast ihren schockierten Blick in Farens Richtung vorstellen. Aber dennoch raffte sie sich zu einer Antwort auf: „Also, ich war ja schon öfter in diesem Buchladen, in dem diese Aydeen arbeitet, deswegen wusste ich, wie sie mit Nachnamen heißt und habe mir einfach einmal ihr Anibook-Profil angesehen – und da steht auch, dass sie in einer Beziehung ist und ein Foto von Kieran ist auch dort zu sehen.“ Er erinnerte sich nicht daran, dass sie ein Bild von ihm gemacht hatte, empfand das aber nicht als unmöglich. Manchmal, besonders wenn er vor ihren Treffen auf sie wartete, war er doch ein wenig in seinen Gedanken verloren und bekam so etwas dann gar nicht mit. Es störte ihn auch nicht weiter, dass sie ein solches Bild dann einfach hochgeladen hatte, immerhin könnte das seinen Plan auch unterstützen. „Und ich habe mir ihr Twitter-Profil angesehen“, ergänzte Faren, „und da redet sie ebenfalls von ihrem Freund Kieran, mit dem sie ein paar Treffen hatte.“ Ihm war bislang gar nicht bewusst gewesen, auf wie vielen dieser Plattformen Aydeen sich aufhielt – und für einen kurzen Moment fragte er sich, ob die Möglichkeit bestand, dass sie dort verriet, was er nachts tat. Aber keiner von ihnen sprach darüber, also hatte er wohl Glück. „Du musst zugeben, Richard“, übernahm Joshua nun das Wort, „es ist eher unwahrscheinlich, dass er jemanden davon überzeugen kann, in diesem Ausmaß auf ein Spiel einzugehen.“ Kieran konnte nicht verhindern, zu schmunzeln, wenn er daran dachte, dass dies ja ursprünglich sein Plan gewesen war und sie sich nicht abgeneigt gezeigt hatte. Aber er fragte sich auch, weswegen Richard diese Sache so sehr interessierte, dass er seine Freunde danach befragte. „Vielleicht ist es unwahrscheinlich, ja, aber nicht unmöglich.“ „Sieh es ein“, erwiderte Faren, „es ist vorbei.“ Es klang fast nach einer Wette, genau wie er zuvor bereits geglaubt hatte. Aber er wollte eigentlich nicht glauben, dass sogar Richard sich an einer solchen Wette beteiligen würde – und dabei sogar gegen ihn und sein vermeintliches Glück setzte. Doch Bellinda widersprach sofort: „Ich denke das nicht! Du solltest es ihm einfach sagen, Richard.“ Kieran wartete nicht mehr auf die Erwiderung seines Freundes und setzte stattdessen den Weg fort, wobei er mit jedem Schritt, jeder Stufe ein wenig klarer zu denken schien. Wenn es diese Wette wirklich gab und Richard dabei gegen ihn gewesen war, bestätigte ihn das nur noch einmal darin, dass es Zeit wurde, sich von ihm zu lösen, auch wenn er das im Grunde seines Herzens immer noch nicht wollte. Er würde den Umstand nutzen, Richard dazu bringen, die Wette zuzugeben und die Freundschaft dann direkt beenden – kurz und schmerzlos. Dieser Plan stand felsenfest, als er am Klassenzimmer im vierten Stock ankam und er beschloss, ihn direkt an diesem Tag umzusetzen. Nach dem Unterricht saßen Kieran und Richard sich tatsächlich in der Bahn gegenüber und sahen beide aus dem Fenster hinaus. Faren, Joshua und Bellinda waren bereits ausgestiegen und es würde nicht mehr lange dauern, bis Richard ebenfalls an seiner Station angekommen war, also musste er seinen Plan umsetzen. Er wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah zu Richard hinüber. Dieser starrte nach wie vor hinaus, aber sein Kiefer wirkte angespannt, als würde er sich mit aller Gewalt davon abhalten müssen, etwas zu sagen. In den letzten Tagen war das häufig vorgekommen, Kieran konnte sich einfach nicht wirklich davon abhalten, ihn anzusehen, wann immer er nicht beobachtet wurde. Nicht nur, weil er Richards immerzu entspanntes Gesicht mochte, ihm gefiel auch der Effekt, den der Anblick auf ihn hatte. In seinem Inneren fühlte er sich in diesem Moment vollkommen ruhig und ausgeglichen. Nicht so aufgewühlt und gleichzeitig geborgen wie bei Aydeen, sondern wirklich ... als hätte er Frieden gefunden. Ein überraschend gegensätzliches Gefühl zu dem, das er empfand, wenn er kämpfte. Aber er musste sich davon nun lösen, um seinen Plan durchzuführen und sich das normale Leben aufzubauen, das sein Vater sehen wollte. „He“, sagte er, um die Aufmerksamkeit des anderen auf sich zu ziehen. Endlich wandte Richard sich ihm wieder zu. „Mhm?“ „Du siehst aus, als würdest du irgendetwas Wichtiges sagen wollen.“ Kieran erwartete, dass der andere nun lächeln und bemerken würde, dass er ihn ziemlich gut kannte. Aber das blieb vollkommen aus, stattdessen deutete er ein Kopfschütteln an. „Nein. Es gibt nichts zu sagen.“ Damit schwieg er wieder, was nur dazu führte, dass Kieran ihn mit zusammengezogenen Brauen ansah. „Sicher? Auch nichts, was irgendwelche ... Wetten betrifft?“ „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.“ Nur mit Mühe schaffte Kieran es, nicht frustriert zu seufzen. Da machte er es ihm schon so einfach und er weigerte sich dennoch, etwas zu sagen. Musste er es ihm denn wirklich auf den Silbertablett servieren? Vielleicht mit einem Brief, in dem vorformuliert war, wie er es ihm sagen sollte? „Aber ist ja auch egal“, sagte Richard plötzlich, so dass erneut Hoffnung in Kieran aufflammte, die allerdings sofort enttäuscht wurde: „Du hast mir bislang noch gar nichts von deiner Freundin erzählt.“ „Ich dachte, es würde dich stören.“ Eigentlich hatte Kieran es eher für unangenehm befunden, mit der Person, in die er seit Jahren verliebt war, über seine Freundin zu sprechen. Und im Moment sah Richard wirklich so aus, als würde er nur äußerst ungern über dieses Thema sprechen. Tatsächlich knirschte er ein wenig mit den Zähnen, ehe er antwortete: „Wir sind doch Freunde, warum sollte es mich stören?“ Dass er missgelaunt war, erkannte Kieran, aber den Grund dafür konnte er nicht so recht benennen. Er glaubte allerdings, dass es einfach nur Eifersucht war, da Richard seit Jahren keine Beziehung mehr eingegangen war und er wohl erwartet hatte, dass sie beide jetzt immer Single bleiben würden. Für einen kurzen Atemzug verfinsterte sich sein Gesicht, als er an die letzte Freundin des anderen zurückdachte, aber er kehrte mit seinen Gedanken sofort in die Gegenwart zurück und legte wieder seinen neutralen Gesichtsausdruck auf. „Ich dachte nur.“ Richard nahm seine Tasche und erhob sich von seinem Platz. „Vielleicht solltest du weniger denken, wenn es darauf hinausläuft.“ Dann ging er in Richtung der Türen, aber nicht, ohne Kieran noch einen Blick über die Schulter zuzuwerfen. „Meld dich bei mir, wenn du mit dem Denken aufgehört hast.“ Zwischen diesen Worten war noch wesentlich mehr zu hören, davon war Kieran überzeugt, aber er wusste nicht, worum es sich dabei handelte und eigentlich wollte er auch nicht darüber nachdenken – immerhin war sein Ziel ja, von dem anderen loszukommen und nicht, sich ihm weiter anzunähern. Richard verließ die Bahn, ohne sich zu verabschieden und sah ihn nicht einmal an, als er am Fenster vorbeilief, um den Bahnsteig zu verlassen. Doch statt sich weiter um diese Sache Gedanken zu machen, beschloss Kieran, lieber sein Handy herauszuholen und Aydeen zu schreiben, damit er sich bald wieder mit ihr treffen und das hier vergessen könnte, ehe er in seinen alten Trott zurückfiel. Dabei blendete er sogar aus, dass die friedliche Atmosphäre, die er bei Richard empfand, selbst bei diesem leicht aggressiven Gespräch eben nicht einmal unterbrochen worden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)