What want for Christmas von -ladylike- (Eine eigentlich zu romantiche Überraschung) ================================================================================ Kapitel 1: Eine eigentlich zu romantische Überraschung ------------------------------------------------------ What I want for Christmas Weihnachten. Weiiiiiiihnachten. Weihnachteeen! … Nein, das Wort wird nicht besser, wenn man es anders betont. Oder anders gesagt: Meine Weihnachtsstimmung wird nicht besser, wenn ich das Wort anders betone. Um genau zu sein, ist meine Weihnachtsstimmung nämlich gar nicht vorhanden. Heute ist Heilig Abend und ich fühle mich so weihnachtlich, wie das arme Rind, das Mama in den Rinderrouladen verarbeitet hat, die es zum Essen geben wird. Das hat auch nichts von der alljährlichen Liebe mitbekommen, die man um diese Jahreszeit verschenken soll. Stattdessen wurde es geschlachtet und zu Rouladen verarbeitet. Shit happens. Ich wurde zwar weder geschlachtet, noch werde ich heute Abend die Mägen meiner Eltern von innen kennen lernen, aber der ganze Stress und die Tatsache, dass der einzige Mensch, dem ich wirklich Liebe schenken möchte, nicht zugegen ist, lassen mich nicht so ganz glauben, dass wir Weihnachten haben. Zwar hat mein Freund mir heute ein „Merry Christmas xx“ per SMS geschickt, aber das hat auch keinen so großen Unterschied gemacht. Seit ich Henry diesen Sommer auf Korsika kennen gelernt habe und wir durch ein unglaublich romantisches, kitschiges Liebesgeständnis seinerseits zueinander gefunden haben – im Nachhinein ist es wirklich peinlich, dass ich dabei geheult habe, so wenig, wie ich für Romantik zu haben bin – habe ich ihn genau einmal getroffen. Für einen Tag in den Herbstferien. Und ich durfte nicht bei ihm übernachten, weil meine Eltern Angst haben, ich käme HIV positiv zurück … Nicht, dass gesagt ist, dass Henry HIV positiv ist, es ist lediglich die völlig überdrehte Angst von zwei Menschen, die noch nicht damit abgeschlossen haben, dass ihr Sohn sich als schwul herausgestellt hat. Man muss dazu sagen: Ich nehme es ihnen nicht wirklich übel. Ich liebe sie und an sich haben sie nie etwas gegen meine Homosexualität gesagt geschweige denn getan, aber in diesem Punkt sind sie mehr als peinlich. Schon im Sommer musste ich aufpassen, dass Henry nicht zu hören bekommt, wie gefährlich Sex ohne Kondom ist – fragt meinen besten Freund, der kann von solchen Vorträgen ein Liedchen singen. Aber genug von diesem Thema zurück zum Ursprung: Heute ist Weihnachten. Wuhu. Meine Mutter und ich haben vor ein paar Stunden bereits den Tannenbaum geschmückt und jetzt heißt es für mich eigentlich nur noch warten, bis es Zeit für die Bescherung wird. In dieser Zeit werde ich mich auf mein Skateboard schwingen und meinen Kumpels ihre Geschenke vorbeibringen, wie ich es jedes Jahr tue und wenn ich Glück habe, schaffe ich es sogar noch, mich mit Henry bei Skype zu „treffen“. Skype ist während unserer mittlerweile fast fünfmonatigen Beziehung zum wichtigsten Medium der Welt für uns geworden und ich war noch nie so dankbar, dass es existiert. WhatsApp war zwar auch mehr als hilfreich, aber letztendlich ist es immer schöner, den anderen auch regelmäßig sehen zu können. Wenn ich so rede, klingt es, als säße mein Freund Welten von mir entfernt, oder? Eigentlich ist er das gar nicht, denn würde ich ein bisschen mehr als eine Stunde Auto oder wahlweise auch Zug fahren und hoffen, dass er mich in Bremen am Bahnhof abholt, wäre ich da … Aber leider kostet zugfahren Geld und für Teenager von 16 Jahren ist das nicht immer so leicht aufzubringen, genauso wenig wie die Zeit, die es benötigt, hin und zurück zu kommen, wenn nach dem Wochenende böse Mathearbeiten warten oder wahlweise auch irgendwas anderes am Wochenende, dass einem den Besuch unmöglich macht. Und meine Eltern werden in der Beziehung auch nie besonders unterstützend sein. Zwar lieben sie mich, genauso wie ich sie, das ist gar keine Frage, aber deswegen (oder aus ihrer Sicht vermutlich gerade deswegen) unterstützen sie bestimmt nicht meine Pläne, mich zu meinem bestimmt sehr gesundheitsgefährdenden Freund zu fahren. Ich bin schon wieder vom Thema Weihnachten abgekommen. Himmel, das ist wirklich nicht schön. Henry kontrolliert meine Gedanken, ohne es darauf anzulegen. Laut polternd trampele ich die Treppe herunter, nehme zwei Stufen auf einmal, schnappe mir unten meine Jacke, ziehe mein Skateboard mit kleineren Schwierigkeiten hinter dem Schuhschrank hervor und bin schon fast aus der Tür, bevor ich mich noch einmal umdrehe. „Mama? Papa?“, rufe ich in das Haus hinter mir. „Ja, Schatz?“, kommt die Stimme meiner Mutter aus der Küche. „Ich bin unterwegs, Geschenke ausliefern!“ „Ist gut, Schatz, komm nicht zu spät zurück, in zwei Stunden werden Geschenke ausgepackt!“ „Ja, ja … Tschüss!“ Ich will gerade die Tür hinter mir ins Schloss ziehen, als mir auffällt, dass ich die besagten Geschenke, die ich vergeben will, gar nicht mithabe. Heute bin ich wirklich nicht ganz bei mir, scheint es. Seufzend gehe ich wieder rein, greife die schon bereitstehende Tüte von der Treppe und begebe mich dann wirklich nach draußen. Ich habe es nicht pünktlich geschafft, was mehr als typisch für mich ist. Stattdessen habe ich festgestellt, dass es in diesem Jahr viel zu warm für Weihnachten ist und bin bei meinem besten Freund hängen geblieben, der mir erzählt hat, sein kleiner Bruder habe sich heute an einem Stück Spekulatius verschluckt und sei dabei halb erstickt. In meiner Hand habe ich noch immer die Tüte, in der sich jetzt die Geschenke befinden, die ich von meinen Freunden zurückbekommen habe. Ich lasse die neben mich auf den Boden fallen, während ich mir die Schuhe von den Füßen und die Jacke von den Schultern streife. „Ben, na endlich!“, höre ich meine Mutter bereits aus dem Wohnzimmer. „Du wirst auch nie pünktlich kommen, oder? Nicht einmal am Heiligen Abend!“ „Mama, ganz ruhig, kein Grund zur Panik, ich bin gerade mal 15 Minuten zu spät, das ist noch sehr human“, erwidere ich, laufe durch den Flur und betrete das Wohnzimmer, in dem es riecht, als hätte meine Mutter eine Art Weihnachtsparfüm versprüht: Eine Mischung aus Tanne, Keksen, Tee und Kerzen. Meine Eltern sitzen auf dem Sofa und genau in der Ecke steht, wie jedes Jahr, der Tannenbaum. Diesen Ort habe ich mir ausgesucht, er ist wirklich praktisch, man muss nämlich die hintere Seite des Baums gar nicht schmücken, weil man sie nicht sehen kann. … Ich hoffe, Mama hat die Logik hinter meiner Wahl nie verstanden, sonst wäre sie nämlich beleidigt. „Dann können wir ja anfangen“, meint Papa lächelnd, steht auf und zwinkert Mama verschwörerisch zu. … Verschwörerisch? Irritiert mustere ich meine Mutter, die so selig vor sich hingrinst, als hätten wir heute dreimal Weihnachten auf einmal. Himmel, was haben die beiden sich bloß ausgedacht, dass sie so begeistert sind? Mein Vater geht zu unserer Musikanlage und drückt auf Play und bevor ich protestieren kann – ich mag Weihnachtsmusik grundsätzlich nicht – dröhnt mir Mariah Carey in den Ohren: „I don’t want a lot for Christmas …“ „Papa“, wende ich mich beinahe entrüstet an meinen Vater, „muss das sein? Du weißt, dass ich …“ „Sohn, jetzt warte doch mal ab!“, unterbricht er mich, grinst vielsagend und nickt in Richtung unseres Tannenbaums. Mit gerunzelter Stirn folge ich seinem Blick – und staune nicht schlecht, als die Zweige so stark zu wackeln beginnen, dass eine Kugel sich gen Boden verabschiedet. Es sieht beinahe aus als … würde jemand dahinter hervorkommen. Meine Augen werden groß, während ich zusehe, wie erst ein Arm, dann eine Schulter auftaucht und schließlich ein ganzer, grinsender Mensch zwei Meter von mir entfernt steht. „Nein!“, entfährt es mir ungläubig. „Doch!“, erwidert Henry mit diesem Grinsen, das ich so lieben gelernt habe. Ehe mir so ganz bewusst ist, was ich tue, laufe ich ihm entgegen und falle ihm um den Hals. Eine übermächtige Glückswelle hat meinen kompletten Körper geflutet, er zittert fast vor lauter Endorphinen. Genau das habe ich damals auch auf Korsika getan, nachdem er Wherever you will go für mich gesungen und mir seine Liebe gestanden hat, darum mache ich mir momentan allerdings keine Gedanken, viel zu sehr bin ich überwältigt davon, was hier gerade vor sich geht. „Du Idiot!“, murmele ich gegen die Musik in sein Ohr, nicht wissend, ob er mich bei der Lautstärke des Songs überhaupt hören kann. „Warum hast du nichts gesagt?“ Die Antwort auf die Frage weiß ich, bevor Henry sie gibt, denn auch sie habe ich im Simmer bereits gehört: „Überraschung!“ Ich grinse gegen seinen Hals, drücke leicht meine Lippen darauf, bevor ich ihn von mir wegschiebe. „Was machst du hier?“ Das wiederum ist wirklich eine Frage, deren Antwort mich brennend interessiert. „Er hat viel mit uns telefoniert“, schaltet sich meine Mutter vom Sofa aus ein, ein so seliges Lächeln auf den Lippen, als wäre Henry Erzengel Gabriel höchstpersönlich. „Dein Freund kann sehr überzeugend sein, du hättest ihn hören sollen. Wirklich gute Argumentationen, warum er hierher kommen sollte, um dich zu überraschen.“ Mein Stirnrunzeln kehrt zurück, ich wende mich an meinen Freund: „Ich habe dir nie unsere Festnetznummer gegeben.“ Das habe ich deswegen vermieden, weil ich mir Sorgen gemacht habe, dass er meinen Eltern zum Opfer fällt. Dass er sich ihnen selbst zum Fraß vorwirft, damit konnte ich ja nicht rechnen. „Und ich kann nicht mir Telefonbüchern umgehen, oder wie?“, fragt er lachend, ehe er mir mit dem Finger auf die Stirn tippt. „Hör auf, dir so viele Falten zu machen, Kleiner, ohne siehst du viel besser aus.“ Mit einem zärtlichen Lächeln gibt er mir einen Kuss auf die Stirn, was mich meine Gesichtszüge wieder entspannen lässt. Dann legt er einen Arm um meine Schultern und dreht uns beide komplett in Richtung Sofa: „Ja, ich habe sehr viel mit den beiden telefoniert. Aber es hat funktioniert und weißt du was: Ich werde hier sogar schlafen. Bis Silvester. Dann kommst du nämlich mit zu mir. Merry Christmas, Babe!“ Meine Sprachlosigkeit kennt keine Grenzen. Ich weiß nichtmal, ob ich meinen Eltern um den Hals fallen – ich weiß, wie viel Überwindung sie diese Zustimmung gekostet hat – oder meinen Freund küssen soll, entscheide mich dann aber für Letzteres. „Aber“, dieses Mal unterbricht uns mein Vater, „seid vorsichtig.“ „Dieses Haus ist durchaus hellhörig“, warnt auch meine Mutter. „Wenn ich etwas verdächtiges höre, trete ich euch die Tür ein. … Oder hast du Kondome da, Ben?“ Ich kann spüren, wie mir mal wieder die Röte ins Gesicht steigt. „Mamaaa!“ Henry lacht fröhlich, streicht mir durch die Haare. „Keine Sorge, wir sind ganz artig.“ Heute Abend in meinem Bett, sind wir tatsächlich sehr artig. Zwar wurden Henry natürlich Matratze und Schlafsack hingelegt, Safety first, aber der Gutglaube meiner Mutter wurde natürlich enttäuscht: Er liegt da, gegen meinen Rücken geschmiegt, einen Arm um mich gelegt. Seine Nase streicht durch meinen Nacken, sein Atem kitzelt meine Haut. „Ich liebe dich“, flüstert er leise, ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus. Es ist unglaublich, aber ich denke, ich habe in meinem Leben noch nichts so sehr genossen wie seine Anwesenheit in diesem Moment, in dieser Nacht. So lange habe ich das vermisst, obwohl ich es bisher nur ein einziges Mal erlebt habe. „Ich dich auch“, flüstere ich zurück. Eine Zeit lang bleibt es leise, nur unser Atmen und das Rascheln der Bettdecke, wenn seine Hand meinen Arm auf und ab streicht. Meine arme Mutter, wahrscheinlich steht sie draußen vor der Tür, bereit, sie einzutreten und ist beinahe enttäuscht, weil sie keinen Grund dafür findet. Bleibt zu hoffen, dass sie es nicht einfach so tut. „Weißt du was?“, frage ich irgendwann. „Nein?“ „Das ist schon die zweite hoffnungslos romantische Überraschung, die du mir machst und ich hasse dich immernoch nicht.“ Hinter mir kichert es. „Wirklich unglaublich. Und dass, obwohl du gegen Romantik und Überraschungen bist. Liebe macht wohl blind, was?“ „Wahrscheinlich.“ „Und weißt du auch was?“, fragt er zurück. „Nein?“ „Silvester wird auch romantisch.“ „Ach du Scheiße. … Darüber muss ich erstmal eine Nacht schlafen.“ Wieder lacht er. „Ich liebe dich.“ „Ich weiß.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)