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Juliprinzessin

von

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Part 1


 

Part 1

*

Neo
 


 

Alles um mich herum war nur noch ein konfuses Flirren. Das Flackern der Lichter vermischte sich auf unerträgliche Art und Weise mit den Bildern, die sich auf meine Netzhaut gebrannt zu haben schienen und noch unendlich lange Sekunden später in meinem Gehirn tanzten, als spiele sich die Szene zum zehnten Mal ab.

Doch bereits eine einzige war genug. Und ich konnte mein Empfinden nicht mehr differenzieren. Das, was sich in meinem Magen ausbreitete, war ein ekelhafter Brei aus Wut, Hass, gewürzt mit einer Messerspitze Trauer. Mit den ersten beiden Gefühlen konnte ich mich arrangieren, das wusste ich genau, sie gaben mir sogar Kraft, wie an dem Abend, an dem er mir eine geklatscht hatte. Doch Trauer war entmachtend. Hilflosigkeit ist nur ein unterwürfiges Ziehen im Bauch, das sich deinen Hals hinaufschleicht und deine Kehle verengt. Ein Messer. Ein Messer, das dich aufschlitzt. Nicht deine Haut, denn es wäre verräterisch, wenn Blutstropfen deine Wunde anzeigen würden. Es griff deine Seele an. Aber wenn du Glück hattest, verwandelte sich dieses unaufhaltsame innerliche Sterben in Kraft. Macht. Ein harter Druck im Körper. Wurde wieder zu Wut.

Wut ist ein besseres Gefühl. Wut ist ein Gefühl, dass ich gegenüber ihm empfinden wollte, wenn ich schon irgendetwas empfand.
 

Sie hatten mich bemerkt, denn ich hatte ihre Augen aufblitzen sehen, bevor sie sich hämisch vor meiner Nase aufstellten und mir demonstrierten, dass ich endgültig verloren hatte. Eine Weile lang hatte ich mir das Ganze angesehen, die flirrende Kälte in mir schwelen gespürt ob dieses Anblicks, hatte versucht ruhig zu bleiben, die Hilflosigkeit mit dem hastigen Inhalieren von Rauch zu ersticken.
 

Es war wie ein Blitz, der in mich fuhr, eine Implosion, als sie ihre Lippen aufeinanderpressten. Und dann fühlte ich nichts mehr. Aber das kannte ich. Wenn der Schmerz ganz, ganz tief in dich eindringt, dann schwimmt er erst später an die Oberfläche. Bis dahin denkst du noch, dass es dir egal ist. Hoffst, dass dir dieses verdammte Bild nichts tut. Doch sobald du zu denken beginnst, merkst du, dass es dich kaputt macht.
 

Ich musste weg. Egal, ob ich somit offensichtlich kapitulierte. Es ging nicht.

So ruhig wie möglich drückte ich mich von der Säule ab, an der ich bis eben noch gelehnt hatte, wunderte mich, dass ich es tatsächlich schaffte, wie die Ruhe selbst zu wirken. Meine Bewegungen waren vielleicht etwas fahrig, während ich mich durch die Menschenmassen zwängte, vielleicht auch ein wenig grob, denn durch meinen Nebel aus erdrückenden Gefühlen spürte ich nicht, wie ich dieses Mädchen ziemlich heftig in den Rücken stieß.

Es war nebensächlich. Interessierte mich nicht. Im Grunde interessierte es mich nie. Die Menschen interessierten mich nie. Es war lediglich Viv, dem ich so ziemlich alles von mir gegeben hätte. Und wahrscheinlich hatte er bereits zu viel von mir. Denn sonst hätte er es nicht einfach mit einem einzigen Faustschlag zerdonnern können.
 

Wut.

Ja, so war es gut.

Nichts anderes hatte er sich verdient.

Arschloch.
 

Die Bar tauchte schließlich vor mir auf. Das Verlangen nach einem harten Drink wuchs in mir, aber in Deutschland musste man bekanntlich achtzehn sein, um sich mit dem wirkungsvollen Zeug volllaufen lassen zu dürfen.

Egal. Ich hatte meine Zigaretten. Nestelte sie noch im Eilen aus meiner Hosentasche. Mit eisigen Händen gestaltete sich dies allerdings schwierig. Als ich nicht mehr schaute, wohin ich ging, traf ich plötzlich auf Widerstand. Etwas Rotes fiel zu Boden und eine Männerstimme verfluchte mich mit Worten, die ich aufgrund der Lautstärke um mich herum nicht verstehen konnte. Dass es ein Fluch sein musste, erkannte man trotzdem an dieser gewissen Tonlage.

Alles in mir ballte sich zu einer harten, impulsiven Masse. Ich glühte. Kochte. Bereitete mich bereits auf Kampf vor. Mein Kiefer mahlte. Und dann hob ich den Kopf, um meinen Gegner zu sichten.

Als sich unsere Blicke trafen, wich die offensichtliche Verärgerung meines Gegenübers schlagartig einem erstaunten Gesichtsausdruck. Auch mein Druck in der Brust flaute etwas ab, als ich Julian erkannte.

Julian, den Drummer von Lovex. Einer der Typen, der nett zu mir gewesen war. Der sich gar für mich interessiert hatte. Nein, dem konnte ich jetzt nicht auf die Fresse hauen. Das brachte ich nicht. Zumal sich dieser Wutnebel ein wenig gelichtet hatte, jetzt, wo ich einem bekannten Gesicht gegenüberstand, welches zudem auch noch leicht zu lächeln begann.

Ob es Verunsicherung war, die seine Lippen zucken ließ oder bloße Höflichkeit, die man an den Tag legte, wenn man jemanden antraf, mit dem man schon einmal Kontakt hatte, wusste ich nicht. Und es kümmerte mich auch nicht. Im Grunde war mir im Moment alles egal. Wahrscheinlich hatte sich der Schmerz wieder in meine Tiefen verkrochen, um mich heimlich von Innen aufzufressen. Das war okay. Hauptsache ich bekam nicht mit, wie mich das alles umbrachte.
 

"Hey", entwich es Julian schließlich, aber so zaghaft und leise, dass man es in dem Stimmengewirr um uns herum kaum wahrnehmen konnte. Es war mehr die Bewegung seiner Lippen, die mir verriet, dass er etwas in der Art sagte.

Ich bekam keinen Ton heraus, zog lediglich meinen Mund in die Breite und überlegte noch, ob ich meine Flucht fortsetzen oder doch die Bar ansteuern sollte. Gerade tendierte ich mehr zu Ersterem, setzte schon einen Schritt zur Seite, um an Julian vorbeizuziehen, da ich nicht glaubte, irgendeine Form von Gesellschaft ertragen zu können, als ich strauchelte.

Im Reflex richtete ich meinen Blick nach unten, um herauszufinden, was mir beinahe einen Sturz beschert hatte und erkannte die rote Coca-Cola-Dose von vorhin, die sich allerdings schon fast zwischen den bestiefelten Füßen eines jungen Mannes verkroch. Damit es mir nicht noch einmal das Leben schwer machen konnte, bückte ich mich kurzerhand und hob das Ding auf. Als ich wieder auf einer Höhe mit Julian war, fiel mir plötzlich sein über und über mit braunen, feuchten Flecken besprenkeltes T-Shirt auf. Ich musste gar nicht erst lange eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, dass die Dose wohl für die Schweinerei verantwortlich war. Diese aber nur, weil ich sie dazu verleitet hatte.

Anderen Leuten wäre die Sache sicher verdammt peinlich gewesen, sie hätten sich tausendmal dafür entschuldigt, aber ich war nicht die anderen Leute. Und heute, wo meine Laune ohnehin ein paar Etagen tiefer angesiedelt war, scherte ich mich einen Dreck um Julians braunes Batikmuster auf weißem Untergrund. Gleichzeitig sehnte ich mich gar nicht mehr so sehr danach, mich zu verpissen, denn eigentlich lag es mir überhaupt nicht, einfach so den Schwanz einzuziehen.

Deshalb schob ich mich kurzerhand auf einen gerade freigewordenen Barhocker, fackelte nicht lange und fingerte noch einmal nach der Zigarettenschachtel, die in meiner engen Lederhose etwas zusammengedrückt worden war.

Dieses Mal war ich erfolgreicher und schob schon bald eine glühende Kippe zwischen meinen Lippen hindurch. Die olle Coladose erwies sich ebenfalls ganz nützlich. Um meine Anspannung zusätzlich zu mindern, spielte ich ein wenig mit der freien Hand an ihr herum. Sah auf jeden Fall besser aus als rauchen und gleichzeitig den Nagellack von den Flossen zu knabbern.

Und da war ja noch Julian. Er hatte schließlich neben mir Platz genommen und warf immer wieder einen skeptischen Blick auf sein Shirt, zog es in die Länge, als ob die Flecken durch Hypnose verschwinden könnten.

Ich sagte nichts, er sagte auch nichts. Und doch begann er irgendwann ein kleines Gespräch. Obwohl er sicher schon wusste, dass ich nicht der redegewandteste Mensch auf dem Planeten Erde war. Ich verstand es, Männer mit der Kraft meiner Worte zu verführen, aber Smalltalk zählte ich nicht gerade zu meinen Professionen.
 

"Wie gehts so?"

Schöne Frage. Ich musste unverzüglich grinsen. Ein beißender Zug fuhr um meine Lippen.

"Joa. Kacke."

Ich hatte gerade beschlossen, Ehrlichkeit walten zu lassen. Manchmal tat diese ganz gut. Aber eben nur manchmal. Wenn man dabei auch noch ein wenig sarkastisch werden konnte, fühlte es sich fast schon himmlisch an. Auch wenn man gerade erklärte, dass man sich fühlte wie ohne Vorwarnung in den Arsch gefickt - nur auf mentaler Ebene.
 

"Mh, verstehe."

Zunächst besah ich Julian mit einem verwunderten Blick, aber bald schon wurde mir klar, dass auch er sicher in der Lage war, eins und eins zusammenzuzählen. Ich hatte kein Geheimnis aus dem gemacht, was ich von Vivian wollte. Einfach, weil Geheimnisse alles unnötig verkomplizierten. Schlimm genug, dass Sex zwischen mir und Viv zwangsläufig in Heimlichtuerei geendet hätte, nur weil ich noch nicht achtzehn Jahre lang auf dem Planeten Erde verweilte. Gedanklich verdrehte ich die Augen. Was konnte ich denn dafür, wenn ich auf ältere Männer stand? Schließlich will man im Bett einen Kerl haben, der sein Handwerk versteht und keinen blutigen Anfänger, der noch gar nicht weiß, wie der Hase läuft.

Die deutschen Gesetze waren echt für den Arsch, fand ich. Auch ein Sechzehnjähriger besitzt schon gewisse Triebe und so mancher minderjährige Lümmel hat einen größeren Schwanz als ein Fünfzigjähriger.
 

"Scheiß Situation."

"Kann man so sagen, ja."

Wenigstens einer, der ein wenig Mitleid bekundete. Auch wenn ich das Gefühl hatte, dass es sich nur um leere Floskeln handelte und um nichts weiter. Im Grunde war es ihm bestimmt ziemlich egal, ob ich bereits in der Vorhölle schmorte oder mich noch gegen meine Einweisung in das Fegefeuer wehrte.

Ich drehte die Coladose in der Hand herum. Nahm gleichzeitig einen tiefen Zug von meiner Zigarette, genoss das Gefühl des in meine Lunge strömenden Rauchs so intensiv wie möglich. Mein Blick wanderte von der Dose hin zu Julian. Der guckte mich mal wieder an. Irgendwie abwartend. Ah, ich wusste, was er wollte.

"Hier", nuschelte ich mit dem Stängel zwischen meinen Lippen und hielt ihm ebenfalls einen hin.

Julians Augen wurden erst groß, dann zogen sich seinen Brauen in Falten.

Es schien, als ob er keinen Schimmer hatte, was ich ihm angeboten hatte. Hatte ich mich so zweideutig ausgedrückt? Auch wenn dem so war, ich hatte ihm keinesfalls gegen meinen Willen dazu angestachelt, das Teil in seinem Arschloch zu versenken. Unsinn.

"Hier, jetzt nimm schon", forderte ich ihn erneut auf und fuchtelte mit der Kippe herum. "Siehs als kleines Sorry an für das da."

Dabei deutete ich mit dem Kinn auf sein Shirt.

Nach einigem Zieren nahm er mein Geschenk endlich an. Gentleman wie ich war brachte ich seinen Stängel sogar zum Brennen (also, die Zigarette, nicht das Teil zwischen seinen Beinen, nur mal so) und lehnte mich erst dann betont lässig gegen den Tresen. Obwohl ich innerlich noch immer ein zerbombtes Minenfeld war. Aber das musste ja noch längst nicht jeder sehen.
 

Julian hustete komisch nach dem ersten Zug, den er genommen hatte und ich wollte ihn schon fast fragen, ob er denn noch nie gequalmt hatte. Schließlich verkniff ich es mir allerdings, denn wenn ich das darauf folgende Wortballspiel gedanklich weiterführte, kam ich zu dem Schluss, dass ich damit den letzten noch freundlichen Menschen vergraulen würde.

"Was machst du eigentlich hier in Deutschland?", ergriff Julian trotz erst wenige Sekunden zurückliegenden Hustenanfall den Gesprächsfaden. Ja, dass er gerne fragte, das war mir schon bei unserem ersten Aftershowtreffen bewusst geworden.

"Wohnen", erwiderte ich gelassen; umso länger ich mir die Frage auf der Zunge zergehen ließ, desto niedlicher fand ich sie. Wie die eines unschuldigen Kindes. In diesem Augenblick fragte ich mich ernsthaft, wer von uns beiden sechzehn und wer fünfundzwanzig war.

"Wohnen?"

Es wurde immer putziger.

"Ja, wohnen", antwortete ich, schmunzelte dabei ganz breit, einfach, weil ich nicht anders konnte.

"Ich dachte, du bist Finne...?"

"Joa, auch."

Ich sagte doch, ich war nicht sonderlich wortgewandt im alltäglichen Gespräch.

"Wie, auch?"

"Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater ist Finne, ich bin sozusagen ein Mischgemüse und manchmal wohne ich in Deutschland bei meinen Verwandten."

"Ah", machte Julian daraufhin und nickte so tief beeindruckt, als hätte ich ihm gerade den Sinn des Lebens erklärt. Rauchen tat er allerdings schon längst nicht mehr. Und mein Gehirn formte endgültig das Wort, welches bereits vorhin gegen die Decke geklopft hatte: Pussy.

Ich hielt nicht sonderlich viel von nichtrauchenden Männern. Viv war zwar auch nicht gerade der Kettenraucher schlechthin, aber bei ihm war das etwas anderes, er war...ach, vergessen wir das.
 

Mit Julians unglaublichem 'Ah' war auch das Gespräch prompt beendet. Vielleicht hatte er es verschlungen, als er den Mund geöffnet hatte. Konnte durchaus sein.

So konzentrierte ich mich wieder voll und ganz auf die Coladose, drehte und wendete sie angestrengt, bis ich schließlich den weißen Schriftzug entdeckte, der sie außer dem Markennamen zierte.

"Gib endlich her, das ist meine", knurrte Julian ganz plötzlich wie aus dem nichts, und ich war so perplex, dass ich mir die Dose einfach entreißen ließ.

Bestimmt stand mein Mund jetzt offen. Ich überprüfte es gar nicht erst, sondern schaute nur noch auf Julian, der sich seinen Schatz angeeignet hatte und ihn nun behütete wie der Gollum seinen Ring. Er streichelte sogar liebevoll mit dem Daumen über ihre nackte Aluminiumhaut. Ein ganz klein wenig zweifelte ich gerade an seinem Geisteszustand. Aber nur ein ganz klein wenig.

"Deine?", hakte ich letztlich mit einer ordentlichen Portion Verwunderung in der Stimme nach. "Du sitzt hier an der Alkoholquelle, aber säufst lieber Cola aus Büchsen mit Prinzessin-Aufschrift?"

Als er mich daraufhin anblickte, waren seine Augen wieder so kugelrund wie der Vollmond.

"Das...heißt Prinzessin?"

"Hö, klar", sagte ich, begleitete das mit einem Schulterzucken. "Was sollte es denn sonst heißen?"

"Weiß nicht."

Nun zuckte er mit den Schultern. Musterte dabei ziemlich belämmert die Dose in seinen Händen. Nein, sie würde dir die letzten Rätsel der Menschheit nicht offenbaren.
 

Er drehte sie in einem Fort hin und her und irgendwie machte mich das nervös. Wenn ich es tat, dann beruhigte es mich. Aber wehe, ich musste zuschauen, wie ein anderer die Finger nicht mehr von einem bestimmen Gegenstand lassen konnte. Dann konnte ich schlimmstenfalls ausrasten.

Deswegen setzten meine Finger dem Ganzen nun ein Ende. Ich packte die Dose und platzierte sie entschlossen auf dem Tresen. Julian guckte komisch, brachte aber kein Wort hervor.

"Princess und Prinzessin klingt ja wohl ziemlich ähnlich, sag mir nicht, dass du keine Ahnung hattest, was das heißt", sagte ich deswegen, auch wenn ich mich schon im nächsten Augenblick ziemlich fies fühlte. Aber sei es drum.

"Ich...das ist ein Geschenk von einem Fan", erklärte mit der andere schließlich mit leiser Stimme; wahrscheinlich berührte es ihn ziemlich peinlich, dass es jemanden auf dieser Welt gab, der in ihm eine Prinzessin sah. Und noch unangenehmer war es ihm sicherlich, dass es jemanden auf dieser Welt gab, der nun darüber Bescheid wusste. Und mal im Ernst: Ich wäre auch nicht gern die Prinzessin der Nation gewesen. Musste ich ganz ehrlich zugeben.

"Ist ja süß", meinte ich allerdings entgegen meiner eigentlichen Gedanken, grinste etwas vor mich hin und schnipste mit den Fingern gegen die schreiend rote Büchse.

Dann schaute ich wieder Julian an. Er schaute auch. Schwarze Haarsträhnen fielen ihm wirr ins Gesicht. Ich dachte plötzlich daran, dass er damals, als er sich noch geschminkt hat, immer wie ein kleiner Emo aussah.

"Weißt du was?", begann ich, nahm den letzten Zug von meiner Kippe und verpasste ihr dann im nächstgelegenen Aschenbecher den Todesstoß. "Die Deutschen würden dich mit ziemlicher Sicherheit Juli nennen. Is' 'ne gängige Abkürzung von Julian."

"Aha."

"Ja...darf ich Juli zu dir sagen? Irgendwie finde ich, dass dir das steht."

Anstatt 'Ja' oder 'Nein' zu sagen, stellte er eine ganz andere Frage, mit der ich nicht gerechnet hatte.

"Ist Neo dann auch so eine deutsche Abkürzung?"

"Nö", brummte ich, schüttelte den Kopf. "Ich heiße Neo, weil es verdammt cool klingt."

Als Juli sich die Haare nach hinten strich, sah er mit einem Mal gar nicht mehr so sehr nach einem Emo aus. Sein jugendliches Gesicht mit der niedlichen Stupsnase wirkte aber tatsächlich wie das eines Julis.

"Und wie heißt du wirklich?"

"Sag' ich nicht", antwortete ich prompt und hoffte, mein Grinsen wäre eines der geheimnisvollen Sorte, aber man konnte seinen Gesichtsausdruck so schwer kontrollieren, wenn er echt aussehen sollte.

"Also ich heiß' eigentlich Juho", warf Julian ein, wahrscheinlich noch immer hoffend, ich würde ihm ein Sterbenswörtchen verraten. Doch nichts da.

"Ich weiß", erwiderte ich nur verheißungsvoll und schnippte erneut die Dose an, sodass sie gleich ein wenig in Julis Richtung rutschte. "Hast wohl vergessen, dass man dich sogar in Japan kennt, mh, Prinzessin?"

Er bleckte die Zähne. Vielleicht knurrte er sogar leise. Egal. Ich fand es jedenfalls ziemlich niedlich.
 

Wir saßen noch eine ganze Weile zusammen, schwiegen allerdings mehr, als dass wir uns über Gott und die Welt unterhielten. Obwohl es mich immer wieder aufs Neue amüsierte, dass es jemanden gab, der Juli zu seiner persönlichen Prinzessin gekürt hatte, so hatte ich trotzdem bald die Schnauze voll von unserer Schweigerunde, zumal sich aus der Ferne Vivian und Theon ankündigten, und auf noch einen gratis Softporno hatte ich wirklich keinen Bock.

"Ich hau ab", meinte ich zu Juli, klopfte ihm kumpelhaft auf die schmale Schulter und hielt mich noch ein wenig länger an ihr fest, damit ich sanfter vom Hocker gleiten konnte. Juli schaute mir gespannt nach und wie er es so tat, wieder ganz der kleine Emo mit den runden Augen und den ins Gesicht fallenden Haaren, konnte ich einfach nicht anders, als mein Handy zu zücken. Außerdem waren Viv und sein Lover nun so nahe gekommen, dass sie ohne Probleme Zeuge von meiner Aktion werden würden. Und so ein bisschen Rache von wegen Du-gehst-mir-am-Arsch-vorbei machte zudem glücklich.

"Gibst du mir deine Nummer?", fragte ich mit meinem allerliebsten Neolächeln auf den Lippen, legte sogar bittend den Kopf schief und hoffte, Julian war auch einer von den Typen, bei dem der Niedlichkeitsfaktor zog.

Zunächst sah es ziemlich schlecht für mich aus, denn er runzelte ratlos die Stirn, hinter der es wahrscheinlich auf Hochtouren zu arbeiten begonnen hatte.

Der Typ ist schwul, der Typ ist aufdringlich, ein Perverser, ein irrer Stalker.

Und obwohl all diese Dinge der Realität entsprachen, speicherte ich schon wenige Sekunden später Julians Nummer ab. Erst wollte ich sie mit 'Prinzessin' kenntlich machen, aber das war mir dann doch zu albern. Also tippte ich eifrig 'Juli' in mein Gerät und machte beschlossene Sache mittels Fingerzeig auf 'Speichern'.

Und während ich mich in Richtung des Ausgangs schob, sah ich Vivians Blick hinter mir her starren. Vollkommen fassungslos. Die Szene endete damit, dass er sich Julian zuwandte.
 

Oh, wie gerne hätte ich die sicher folgende Gardinenpredigt mitbekommen. Aber ich war längst außer Hör- und Sichtweite.
 


 

Julian
 


 

"Du hast dem jetzt nicht ernsthaft deine Nummer gegeben, oder?"

Wenn es das wirklich gegeben hätte, dass Blicke töten können, dann wäre ich nun sicherlich gestorben.

Vivian schaute mich an mit einer Mischung aus Vorwurf und tiefen Ärger, was seine hellen Augen noch kälter wirken lassen ließ.

Vielleicht zuckte ich sogar leicht zusammen, als ich sah, wie er mir den mentalen Todesstoß verpasste, mich für mein Tun bitterlich verurteilte, denn ich zählte eher zu den ängstlicheren Naturen. Es konnte passieren, dass ich selbst vor meinen besten Kumpels Schiss bekam. Ich korrigiere: Eigentlich besten Kumpels. Das, was Viv gerade abzog, war nicht sonderlich freundschaftlich. Er mischte sich in Dinge ein, die ihn nichts angingen und merkte es noch nicht einmal.

Als der erste Schreck über seine Reaktion verflogen war, holte ich tief Luft und spürte dabei einen dicken Wulst in meiner Magengegend drücken.
 

"Doch, ich hab ihm meine Nummer gegeben", erklärte ich so ruhig wie möglich, obwohl ich innerlich ziemlich aufgebracht war. "Na und?"

Dieses 'Na und?' hätte ich mir genauso gut sparen können. Im Nachhinein erschien es mir tatsächlich ein wenig unbeholfen. Aber wenn man am liebsten geplatzt wäre, dann musste meine seine Konzentration auf die Beherrschung richten und schaffte es nicht mehr, auch noch über eine intelligent klingende Wortwahl nachzudenken.

Wider Erwarten stürzte Viv sich nicht gleich erneut auf die Sache mit der Handynummer, sondern ließ seinen Blick von meinem Gesicht langsam abwärts gleiten. Theon hatte sich ebenfalls zu uns gesellt und die beiden kamen mir vor wie die Rächer des Rechts, wie sie da mein dreckiges Shirt musterten. Es hätte nur noch gefehlt, dass sie das Muster auswerteten, darin Schafe oder Schokoladenkekse erkannten. Wahrscheinlich wäre der Wulst in meinem Magen dann explodiert. Aber nicht nur deswegen. Bei Weitem nicht nur deswegen.
 

"Du hast dich schmutzig gemacht", urteilte Viv letztlich ruhig und deutete unnötigerweise mit dem Kinn auf mich.

"Ich weiß", erwiderte ich forsch. Ich wollte gerade die Arme vor der Brust verschränken, als mir einfiel, dass ich die Colaflecken nicht unbedingt auch noch zur Zierde auf meinen Armen machen wollte. Also ließ ich es bleiben.

"Vielleicht solltest du dich mal waschen", redete Vivian weiter.

Das genügte. Ich drehte mich um, beförderte die Coladose in meine Hände und stierte sie an, als könnte sie meine ganze sich plötzlich aufgebaute Wut aufsaugen. Dann wäre sie wieder gefüllt mit irgendeiner gallebitteren Flüssigkeit, die man getrost Gedankenkotze nennen durfte. Aber sie tat es natürlich nicht. Und es half auch nur bedingt, dass ich meine Fingernägel in das kühle Metall presste, bis die Sehnen meiner Hände hervortraten. Gleichzeitig spürte ich, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war. Und dass es mir gehörte.

"Du behandelst mich, als wäre ich deine Tochter", beschwerte ich mich und warf einen hoffentlich recht sauren Blick über meine Schulter hinweg nach hinten, wo Theon und Viv noch immer in Unbeweglichkeit verharrten. "Und nur mal zur Info: Ich kann meine Handynummer geben, wem ich will. Es hat dich nicht zu interessieren. Ich bin erwachsen, ich brauche keinen Vormund."

"Ach, Juke", seufzte Viv tief. Dabei erhob er seine Hand, wahrscheinlich wollte er sie mir zur Beruhigung auf die Schulter legen oder so. Aber fauchende Katzen streichelte man besser nicht, deswegen ließ er sie im letzten Moment wieder sinken. "Ich meine es doch nur gut und das weißt du auch."

Ich schwieg eisern.

"Dieser...Typ...der ist-"

"Der ist wirklich nett", schnappte ich, beschloss, mir den Moralapostel nicht weiter anzuschauen und lieber wieder die Büchse auf der Theke zu studieren. Rot war zwar nicht die beste Farbe gegen Wut, aber vielleicht wirkte sie sich ja lediglich auf Stiere negativ aus. Allerdings meinte ich mal wo gelesen zu haben, dass Stiere nur durch das Wedeln des Tuches gereizt werden; das Rot interessiert sie gar nicht, denn sie sind farbenblind...aber was machte ich mir über solch einen Unsinn Gedanken? Es lenkte mich zwar tatsächlich etwas ab, doch sobald Vivs Stimme wieder erklang, baute sich der ekelhafte Druck in meinem Magen erneut auf.
 

"Nett?"

Er betonte es auf eine Art und Weise, die ich absolut hasste. Abfällig. Ich musste an Neo denken und wie niedergeschlagen er reagiert hatte, als ich wissen wollte, wie es ihm geht.

"Ja, nett", gab ich mit einer nicht zu überhörenden Festigkeit in der Stimme zurück. "Und ehrlich gesagt finde ich es ein bisschen Scheiße, was ihr abgezogen habt."

Sie wussten natürlich, was ich meinte. Und ich wünschte irgendwie, dass ich meine Klappe gehalten hätte. Diese Sache wollte ich nicht auch noch ausschlachten. Denn das ging mich eigentlich nichts an.

"Hör mal, Julian...", setzte Viv wieder an, noch immer die Ruhe selbst. "Es ist ja deine Sache, aber lass dich von dem Kerl nicht zu sehr einlullen. Der Junge ist schlau, der spielt ein ganz geschicktes Spiel."

Ich verstand nicht.

"Was für ein Spiel?"

"Deine Nummer hat er sich nur verlangt, weil ich gerade zugesehen habe. Er wollte mir bloß den Stinkefinger ins Gesicht drücken."

Letzten Endes landete seine Hand doch auf meiner Schulter. Ich zuckte nicht zurück. Drehte nur mein Gesicht weg. Starrte vor mich hin. Verursachte mit meinem Blick sicher irgendein Loch in der Luft.

"Glaub mir, er ist nicht an dir interessiert. Wahrscheinlich wird er noch ein paar Mal versuchen, Theon und mich auseinanderzubringen. Deswegen...melde dich bitte nicht bei ihm. Es ist besser."

Rasend schnell flimmerten die unterschiedlichsten Gedankenfetzen durch meine Hirnwindungen. Der trotzige, aber dennoch irgendwie traurige Blick Neos, der zeigte, wie verletzt ihn das Ganze hatte. Sein Mund, der sich schief zur Seite verzog, als er mich mit 'Prinzessin' betitelte. Die langen Haare, die weit über seinen Rücken flossen. Die Art und Weise, wie er seine Wangen einsog, wenn er einen Zug an seiner Zigarette nahm. Und natürlich auch die Tatsache, dass es nicht so abwegig war, was Viv sagte. Dass er wahrscheinlich wirklich nur ein Spiel spielte. Mich für seine Zwecke nutzte. Weil er gemerkt hatte, dass ich ihn irgendwie ziemlich...mochte.

Aber so ganz wollte ich das nicht wahrhaben. Ich wehrte mich dagegen, dies als die Wahrheit zu betrachten.

Nein, Neo war nicht so. Vielleicht war er ja pervers, aufdringlich und verhielt sich manchmal wie ein Stalker, aber so ein intrigantes Arschloch, wie Vivian es in ihm sah...nein. Er hatte wirklich gelitten, ganz ernsthaft, und er fand mich doch auch sympathisch...oder nicht?
 

Ja, so war es. Weil ich es so wollte. Weil ich nichts anderes akzeptierte.
 

Und irgendwann, als wir längst wieder in Finnland waren und ich schon gar nicht mehr regelmäßig an ihn dachte, meldete er sich sogar bei mir.

War es peinlich zuzugeben, dass nach dem Telefonat das Gehäuse meines Handys ganz verschwitzt war? Und dass ich vor lauter Herzklopfen kaum einen Ton herausbekommen hatte? Ich konnte von Glück reden, dass ich mich noch an die Uhrzeit und den Ort für unser Treffen erinnerte.
 

Jetzt war ich mir ganz sicher, dass Vivian Unrecht hatte. Neo wollte mich sehen. Und ich machte mich am darauffolgenden Tag auf dem Weg zu ihm. Egal, wie hartnäckig die anderen mir dieses Vorhaben auszureden versuchten. Ich war mein eigener Herr und ich wollte um ehrlich zu sein nichts lieber, als Neo wiederzusehen.
 

*****
 

Ich kam mir vor wie in mein sechzehntes Lebensjahr zurückversetzt.

Als ich auf der Fußmatte vor dem kleinen, weißen Häuschen stand, welches allen Anscheins nach Neos Zuhause war und darauf wartete, dass man mich hereinbat, begann ich sogar wieder unnatürlich heftig zu schwitzen. Nervös war ich. Warum, das wusste ich selbst nicht so genau. Neo würde mich mit Sicherheit nicht umbringen wollen, um mich dann aufzuessen; vielleicht hätte ich ihm mitteilen sollen, dass mein Fleisch ganz scheußlich schmeckte. Vielleicht tat es das aber auch gar nicht. Ach, ich war bekloppt.
 

Das Schnarren der Klingel war wohl im gesamten Haus zu hören, denn selbst ich konnte es noch deutlich und penetrant vor der Tür vernehmen. Jetzt dauerte es auch gar nicht mehr lange, bis eine blonde Frau mit freundlichen, aber auch etwas erstaunt dreinblickenden Augen vor mir stand und mich mit einem zögerlich hervorgebrachten 'Hallo' begrüßte, was schon fast wie eine Frage klang.

Ich erwiderte brav ihren Gruß, lächelte reflexartig und dichtete dabei der Frau einfach mal die Rolle von Neos Mutter an. Als ich nichts weiter mehr sagte (vor Aufregung musste ich es irgendwie vergessen haben), ergriff sie das Wort.

"Du willst bestimmt zu Nina", mutmaßte sie, doch als ich gerade den Kopf schütteln wollte, tauchte ein Mädchen hinter der Frau auf, welches neugierig über ihre Schulter linste, um einen Blick auf mich zu werfen.

"Nee, der will nicht zu mir", berichtigte sie lässig, grinste dann ganz breit und verschwand wieder außer Sichtweite. Man hörte sie nur noch "Der will zu Adde" sagen.

Ich machte meinen Mund auf, um ein A wie Adde zu formen, aber kein Ton wollte meinen Lungen entweichen. Doch das erwies sich als nicht so dramatisch. Die Frau schien verstanden zu haben und drehte sich um. Ihr 'Aaaaadrian!' erschallte im ganzen Haus und dennoch erhielt sie keine Antwort. Deshalb zuckte sie die Schultern, nachdem sie sich wieder mir zugewandt hatte und deutete mit dem Kinn in das Innere ihres Heimes.

"Adrian wird wohl im Garten sein", erklärte sie mir. "Geh einfach mal nachschauen. Einfach geradeaus und durch die große Glastür durch."

Ich tat wie mir befohlen wurde.

Hätte ich nicht solche fürchterlichen Hummeln im Hintern gehabt, hätte ich mich wahrscheinlich ziemlich über mein geheimes Wissen amüsiert.

Adrian hieß er also mit richtigem Namen. Stimmt, das passte nicht so Recht zu ihm. Ein Adrian sah in meiner Vorstellung irgendwie anders aus.
 

Neo war tatsächlich im Garten. Er lag in einem Liegestuhl, hatte sich eine klobige, schwarze Sonnenbrille aufgesetzt und hörte offenbar laute Musik über Kopfhörer, denn er zeigte keine Reaktion, als ich die Glastür mit kalten Fingern hinter mir schloss, auch wenn ich das so leise wie möglich tat.

Nicht einmal als ich direkt neben ihm stand, regte er sich. Angestrengt dachte ich darüber nach, wie ich ihn auf meine Anwesenheit aufmerksam machen konnte. Ich scheute mich davor, ihn an der Schulter zu berühren oder irgendwo sonst, auf irgendeine Art und Weise war mir das nicht geheuer. Vielleicht lag es daran, dass er fast nichts anhatte außer ein paar knallengen schwarzen Shorts. Und dass sein Oberkörper wirklich sehr ansehnlich war. Niemand hätte diesen Kerl in diesem Augenblick für sechzehn Jahre gehalten. Das hier war absolut kein Junge mehr, sondern ein Mann. Kein Junge in diesem Alter besaß solche fein definierten Bauchmuskeln, sofern ich mich erinnern konnte und die wenigsten wiesen diesen pikanten Streifen dunkler Härchen auf, welcher sich vom Bauchnabel abwärts zog und unter dem engen Saum der Unterhose verschwand.

Am liebsten hätte ich noch viel länger einfach hier gestanden und ihn angeglotzt, aber das wäre unfair gewesen. Deswegen fasste ich mir ein Herz und ließ meine Fingerspitzen eine Spur zu vorsichtig über seinen Oberarm gleiten.

Da fuhr endlich Leben in den Körpers Neos und kurz darauf schob er sich seine Sonnenbrille ins Haar.

"Hallo...Adrian", grüßte ich ihn mit einem kecken Grinsen. Es war allerdings ein ziemlich zittriges keckes Grinsen.
 

"Ach, sorry, ich hab die Zeit ganz vergessen", brummelte er, kniff die Augen ein paar Mal zusammen und schaltete schließlich seinen MP3-Player aus, aus dem konfuses Gefrickel dröhnte, welches sich ziemlich nach Heavy Metal anhörte. Nebenbei bedeutete er mir, mich doch auf den freien Liegestuhl neben ihm zu setzen, er wolle sich gleich noch anziehen gehen.

"Kein Problem...", nuschelte ich jedoch vor mich hin, woraufhin er erst mir einen fragenden Blick zuwarf, dann seinen bloßen Oberkörper musterte. Dass er grinste, das blieb mir nicht verborgen. Und dass mir ein wenig warm wurde, das blieb ihm sicher nicht verborgen. Ich wurde immer rot, wenn ich die Hitze in meinen Wangen stechen spürte.
 

"Also, dann weißt du ja jetzt, wie ich wirklich heiße", setzte Neo an, lehnte sich aber im selben Zug wieder entspannt zurück und versuchte mit der Hand die Sonne davon abzuhalten, in seine Augen zu scheinen. "Aber es wäre mir lieber, wenn du mich weiterhin Neo nennen könntest."

"Klar", erwiderte ich kurz.

Ich spürte, dass eine Gesprächspause im Anmarsch war und wollte sie schnell verdrängen. Es wäre mir unangenehm gewesen, Schweigen aufkommen zu lassen.

"Wie gehts dir?"

Standardfrage, aber es interessierte mich ernsthaft.

"Joa, gut", nickte er und zog eine Schnute. "Wo sind meine Zigaretten?"

Dabei fühlte er den Boden neben dem Stuhl ab, bis ich mit dem Zeigefinger direkt unter ihn deutete. Daraufhin beugte er sich so weit vor, dass sich seine Wirbelsäule ziemlich deutlich unter der leicht gebräunten Haut abzeichnete. Wenn er gewusst hätte, was für ein Käse ich zurzeit war, dann hätte er sicherlich gelacht.
 

"Auch?"

Er hielt mir die geöffnete Zigarettenschachtel hin, nachdem er sie sich erfolgreich geangelt hatte. Als ich mit einem Kopfschütteln verneinte, steckte er sich selbst eine Kippe zwischen die Lippen und zündete sie sich an. Ich schaute ihm dabei zu, wie die grauen Kräuseln des Rauchs seinen zu einem O geformten Mund an beinahe einem Stück verließen. Langsam entspannte ich mich ein wenig.

"Ich hätt' nicht gedacht, dass es noch so wehtun könnte", meinte er dann beiläufig, die Zigarette ruhte qualmend zwischen seinem Zeige- und Mittelfinger.

"Was?"

"Na, das mit Viv. Eigentlich hatte ich ja schon beim Videodreh gesehen, dass Theon und er...dass da was läuft zwischen ihnen. Und damals war ich noch gar nicht sauer."

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich wollte etwas sagen, aber ich wühlte vergeblich in meinem Hirn nach den richtigen Worten. Also entschied ich mich für bloßes Zuhören. Als Neo schnaubte, war mir ohnehin klar, dass er auch ohne eine Erwiderung zu erhalten weiterreden würde.

"Vielleicht hätte ich Theon wirklich das Messer durch die Kehle ziehen sollen. Ich meine, wäre doch interessant gewesen, zu sehen, was Viv dann gemacht hätte..."

"Sag nicht so was."

Ich runzelte leicht geschockt meine Stirn. Aber dann lachte Neo kurz auf und zuckte mit den Schultern.

"Stimmt schon, ist ziemlich fies."

Lange genug hatte ich nach etwas gesucht, was ich zu diesem Gespräch beitragen könnte. Und endlich hatte ich es gefunden. Es war etwas, das ich im Nachhinein aber doch lieber für mich behalten hätte. Einfach, weil es bis dato niemand wusste und es ohnehin nicht mehr relevant war. Schnee von gestern. Asche. Verbrannte Gefühle. Und trotzdem hörte ich mich wenig später reden. Von dieser Sache, die mir fast schon unverständlich erschien.
 

"Als ich neu in der Band war, da war ich fünfzehn, da war ich auch ein Bisschen in Viv verknallt", erzählte ich. Neo schaute mich zwar an, aber es war kein ungläubiger Blick. Es wirkte fast schon so, als wunderte es ihn überhaupt nicht, was ich gerade gesagt hatte. "Aber das war nur ganz kurz, nur ne Schwärmerei, nichts Ernsthaftes."

Neo nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Er hatte den Rauch noch nicht einmal ausgeblasen, da redete er auch schon weiter.

"Und jetzt?"

"Was 'und jetzt'?"

"Na...ob du jetzt jemanden hast."

Wieder kroch die Hitze in meine Wangen. Ich war sogar so nervös, dass ich mich nach unten beugte und ein Gänseblümchen von der Wiese abzupfte. Dabei ließ ich ein peinlich quietschiges 'Nö' verlauten. Glücklicherweise hakte Neo nicht weiter nach, sondern gab sich mit dieser einsilbigen Antwort zufrieden und ließ mich an meinem Blümchen herumzupfen.

Nun sehnte ich mich überhaupt nicht mehr nach einer Fortsetzung des Gesprächs, die angespannte Stille ertrug ich lieber als noch irgendeine Frage bezüglich meines Liebeslebens. Ich wusste selbst nicht so genau, wieso ich mich immer gleich schämte, wenn jemand auf dieses Thema anspielte. Vielleicht, weil ich nicht sonderlich viele Erfahrungen aufzuweisen hatte und mich meist mit einer Lüge retten musste, um nicht wie der letzte Vollidiot dazustehen. Selbst meine Bandkollegen wussten nicht, dass ich erst mit drei Frauen intim geworden war. Und erst recht nicht, dass es mir nicht einmal gefallen hatte.
 

Ohne Blütenblätter sah die Blume total seltsam aus. Eben ein Stil mit einem gelben...Dings. Wie nannte man das eigentlich? Ernsthafte Gedanken machte ich mir allerdings nicht darüber. Mein Blick fiel auf das Gras zu meinen Füßen, wo all die ausgerissenen weißen Fetzen lagen.

"Du Blümchenkiller!", neckte mich Neo, sein rechter Mundwinkel zog sich amüsiert in die Höhe. Plötzlich aber schob er sich von seinem Stuhl, bückte sich über eine Ansammlung von Gänseblümchen und pflückte ebenfalls ein paar ab.

"Und was wird das?", hakte ich nach.

"Wirst du gleich sehen", erhielt ich nur als Antwort.
 

Auch ein schöner Rücken konnte entzücken, das wusste ich spätestens dann, als Neo mir eine halbe Ewigkeit nur seine Rückseite präsentierte. Ich versuchte, meine Blicke nicht ständig auf seinem Hintern münden zu lassen, aber das war schwer. Deshalb freute ich mich schon beinahe, als er sein Werk endlich vollbracht hatte und breit grinsend auf mich zusteuerte. In der Hand hielt er einen kleinen Kranz aus Gänseblümchen.

"So, Prinzessin", sagte er, platzierte das Ding schließlich auf meinem Kopf, woraufhin ich ganz verdattert nach oben linste, aber nicht mehr erblickte als ein paar vereinzelte weiße Blütenblätter.

Neo trat einen Schritt zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf schief. Er bewunderte sein Werk, ohne Zweifel.

"Jetzt bist du eine richtige Prinzessin", meinte er. "Eine Juliprinzessin."

"Ich seh bestimmt total bescheuert aus", murrte ich nur, fühlte mich tatsächlich nicht ganz wohl in meiner Haut.

"Ach, Quatsch, das ist total niedlich", widersprach Neo mir. Er lächelte.

Okay, wenn er meinte...
 

Er ließ sich wieder in den Liegestuhl gleiten. Rauchte selbstverständlich noch eine. Schaute dabei in den Himmel. Ich wollte auch nicht ständig zu ihm rübergucken, doch der Typ zog meinen Blick an wie ein Magnet. Irgendetwas war es, das mich an ihm faszinierte. Nur wusste ich nicht, was.

"Mal ganz ehrlich, Juli", sagte er plötzlich, noch immer ohne mich anzusehen. "Findest du, dass Theon besser aussieht als ich? Ich meine...guck, ich hab auch Nippelpiercings. Also...irgendwie kann ich Viv nicht wirklich verstehen."

Auf keinen Fall wollte ich auf diese Frage antworten. Denn die Antwort wäre mir viel zu...enthüllend gewesen. Direkt und unangenehm. Obwohl es ohnehin nur eine richtige Antwort gab, die Neo genauso gut kannte wie ich.

"Vielleicht spielen da einfach noch ein paar andere Sachen rein, dass Viv sich in Theon...na ja...verguckt hat", mutmaßte ich anstelle. "Wie Charakter oder so. Keine Ahnung."

"Aber Theon sieht nicht besser aus als ich, findest du doch auch."

Es war klar, dass er weiterhin darauf beharrte. Ich sah förmlich, wie sich die Sackgasse vor mir aufbaute. Entweder ich lenkte ein oder fuhr geradewegs auf die Mauer zu. Ich entschied mich schließlich für Ersteres. Zweiteres kam mir dann doch ein wenig zu schmerzhaft vor.

"Ja", murmelte ich betreten, schaute nicht mehr in Neos Richtung, da ich seinen Gesichtsausdruck fürchtete. Es war einer dieser Momente, in denen ich meine Schüchternheit am liebsten zum Teufel geschickt hätte. Aber das funktionierte nicht.
 

"Du, sag mal", setzte er erneut an und ich wäre schon vorher am liebsten im Erdboden versunken, weil ich ahnte, dass er mir eine erneute Peinlichkeit bescheren würde. "Wie siehts denn aus, hast du eigentlich Erfahrungen mit Männern?"

Wenn es sich so anfühlte, wenn man starb, dann wollte ich für immer leben. Ich schwamm sicherlich beinahe weg in meinem Schweißausbruch und mein Kopf würde das Ganze auch nicht mehr lange mitmachen, so heiß wie er sich anfühlte. Und dann auch noch das Donnern meines Herzens, welches bis hinauf unter meine Schädeldecke dröhnte.

"Nein", piepste ich, schimpfte mich gedanklich einen Vollidioten, ein feiges Schwein, eine Lusche. Aber das Merkwürdige war: Neo schien sich darüber nicht einmal zu amüsieren. Jedenfalls zeigte er es nicht. Wahrscheinlich, weil er mich nicht noch weiter in Verlegenheit bringen wollte; schließlich bestand die Gefahr, dass ich jeden Moment kollabierte.

"Alles okay?", fragte er nach, ich nickte hastig. Scheiße, man sah mir das Chaos in meinem Körper auch noch an. Noch Jahre später würde ich mich in Grund und Boden schämen, wenn ich an diesen Tag zurückdachte, das wusste ich ganz genau.
 

"Aber...du würdest ganz gerne mal Erfahrungen mit Männern machen, hab ich Recht?"

Ich hoffte, hinter der Hecke würde jemand stehen und mir mit der Flinte den Gnadenschuss verpassen. Ich war hinüber. Konnte weder 'Ja' noch 'Nein' sagen. Doch das war auch gar nicht vonnöten. Neo war intelligent genug, um mein furchtbares Verhalten richtig zu deuten.

"Also...wenn du kein Problem damit hast, dass ich erst sechzehn bin, dann würde ich jetzt ganz einfach mal sagen, dass wir...na ja, dass wir es einfach mal miteinander probieren. Ich find dich nämlich ganz süß, Juli. Auch wenn ich sonst eher auf anderes stehe..."
 

Ich wagte es, aufzusehen. Trotz glühender Wangen. Trotz mich fast zermalmenden Herzschlages. Unsere Blicke trafen sich. Ich suchte in Neos Augen nach etwas, das mir sagte, dass er sein Angebot nicht ernst meinte. Irgendetwas, was mir verriet, dass er mich nur veräppelte. Aber da war nichts. Sein kaum merkliches Lächeln, das Funkeln in seinen Augen - es war ehrlich.
 

Spätestens jetzt war ich mir ganz sicher, dass Vivs Worte Lügen gestraft worden waren.

Part 2


 

*

Part 2

*

Julian
 

Eigentlich spürte ich die Ernsthaftigkeit, die in seinen Worten lag erst, als sich unsere Lippen zum ersten Mal suchten.
 

Es geschah nicht an demselben Tag, an dem wir uns gefunden hatten, es war der Tag darauf, und die Spannung zwischen uns war derart gewachsen, dass sie nach Entladung suchte. Doch wir beide wussten uns bis zum Schluss zu beherrschen, obwohl ich das Glimmen des Feuers in Neos Augen schon ganz am Anfang entdeckt hatte.

Hunger. Gier. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass ich Schiss bekommen hatte, als er mich so anschaute, aber ein wenig mulmig war mir schon. Schließlich konnte ich mich kaum mehr an meinen letzten Kuss erinnern, so lange war es her. Und mit einem Mann, das war zusätzlich noch eine ganz andere Liga, glaubte ich. So wie Neo aussah, war er sicher ziemlich harsch und fordernd. Zudem fürchtete ich, er könnte mich auslachen oder wenigstens über meine Unbeholfenheit schmunzeln, die ich wahrscheinlich an den Tag legen würde. Denn obwohl ich mich zu Neo hingezogen fühlte, so richtig vertrauen konnte ich ihm noch nicht.
 

Doch entgegen meiner Zweifel war er butterweich. Fast schon jungenhaft-unschuldig. Als er mich im Flur seines Hauses zum Abschied an sich zog und mir erst einen zaghaften Kuss auf das Kinn gab, so, als wollte er prüfen, ob ich auch weiter gehen würde, schien von diesem direkten, ja fast schon leicht obszön wirkenden Neo nichts mehr übrig geblieben zu sein. Vielleicht schwelte noch ein kleiner Rest seiner mir bekannten Art in dem gespannten Zucken seiner Mundwinkel, als er mich für ein paar endlos lange Sekunden anschaute. Und sein Blick war nach wie vor der eines Wilden, eines Raubtieres, welches darauf aus war, Beute zu machen. Aber es machte nichts mehr mit mir. Jedenfalls nichts Negatives. Eher bescherte es mir äußerst positive Empfindungen und für einen Augenblick lang meinte ich endlich das gefunden zu haben, nach dem ich immer gesucht hatte.
 

Diese beiden Tage waren mir wie ein Traum vorgekommen, unwirklich und nicht greifbar. Jetzt, wo er mir seine Lippen aufdrückte, realisierte ich das umso intensiver. Es war wie Wachküssen, es war wie ein Zurückholen in die Wirklichkeit, in das Leben. Eine Implosion meiner selbst. Ein Wasserfall, nur aus Gefühl.

Es gibt eigentlich gar kein Wort, um auch nur annähernd den Zustand zu beschreiben, in dem mich seine Lippen versetzt hatten. Ein Gemisch aus Trance und Erregung, alle Sinne geschärft und doch vernebelt. Ein inneres Zittern, ein Beben gepaart mit dem Wunsch nach mehr, nach Größerem, nach immer Größerem. Gefühlsintensivierung.

Es endete mit einem Zungenkuss, der dermaßen hart durch meinen Körper fuhr, sodass ich die Nachwehen dessen sogar zu Hause noch spüren konnte. Und selbst jetzt war all das Empfinden noch immer zum Greifen nah. Mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren, ich benahm mich meiner eigenen Ansicht nach wie ein verliebter Esel und nervte mit meinem Kopf, der dauernd in den Wolken hing auch meine Bandkollegen. Diese mussten mich einmal mehr darauf aufmerksam machen, dass die Drums sich nicht von allein spielten.

Vivians strenges Gesicht holte mich nach und nach zurück in die Realität. Aber wie lange würde dieser Zustand währen? Ständig rasten die Bilder von Neo durch meinen Kopf, die vielen Eindrücke, die mir schon fast unbekannt vorkommenden Empfindungen. Wie attraktiv er war, wie sehr ich es mochte, wenn sich der Ansatz eines Grinsens auf seinem Gesicht bildete. Wie sehr mich sein Umgehen mit den Zigaretten faszinierte, das schon beinahe an ein verführerisches Spiel angrenzte. Man hätte mir einen ganzen Film von ihm schenken können, der ihn nur in ganz alltäglichen Situationen zeigte, ich hätte ihn verschlungen wie andere Menschen den neuen Streifen mit Denzel Washington. Jede seiner Bewegungen wusste mich in ihren Bann zu ziehen, dann verkrampfte ich mich vor Spannung und wusste weder aus noch ein. Und dann war da ja noch diese eine Gewissheit, die alles zu überschatten wusste.

Er war mein. Mein Mann. Mein Neo. Aber das wussten nur wir beide und vielleicht seine Schwester, die uns im Flur gesehen hatte. Meinen Bandkollegen hatte ich nichts erzählt, denn die dummen Sprüche vor allem aus Vivians Mund konnte ich schon förmlich hören. Vielleicht wäre ich zu dem jetzigen Zeitpunkt tatsächlich ausgerastet, wenn er mir die Überzeugung von Neos Gefühlen auszureden versucht hätte. Und das hätte er. Mit einer hundertprozentigen Sicherheit.
 

Proberaum. Ach ja. Ich befand mich nicht mehr im Flur von Neos Haus und genoss unseren immer fordernder werdenden Kuss. Ich saß hinter meinem Drumkit und sollte eigentlich den Takt zu Fighter vorgeben. Anstelle aber schien ich Löcher in die Luft gestarrt zu haben, so lange, bis Viv sich vor meine Funzel geschoben hatte und mir mit der Hand vor dem Gesicht herumwedelte.

"Erde an Juke, jemand zu Hause?"

Ich schüttelte verdattert den Kopf, um wieder zu mir zu finden.

"Ja, ähm...ich war nur grad in Gedanken, sorry", sagte ich, aber mehr als einstimmiges Gemurmel und leises Gelächter erntete meine Entschuldigung nicht.

"Das war nicht zu übersehen", grinste mich Christian von der Seite her an und Theon rollte mit den Augen. "Du bist schon den ganzen Tag überall, aber nicht im Proberaum."

Er hatte natürlich Recht. Und dass sie es ärgerte, das konnte man ihnen nicht verübeln. Ich schämte mich etwas und beschloss, ab jetzt jeglichen Gedanken, der auch nur im Entferntesten mit Neo zu tun hatte sofort abzuwehren. Doch kaum kam mir sein Name wieder in den Kopf, schon begann jemand die Kurbel für das unablässige Kopfkino zu betätigen. Es nahm einfach kein Ende mehr. Neo fraß mir noch den letzten Funken Verstand. Wenn ich es den anderen wenigstens hätte erzählen können. Aber das ging nicht. Es ging einfach nicht. Punkt.
 

"Ich glaube, mit unserem Traumtänzer hier werden wir heute nichts mehr anfangen können", seufzte Viv, nachdem er mich lange genug mit Blicken auf Herz und Nieren geprüft zu haben schien und wandte sich von mir ab. Die restliche Bande stimmte ihm wohl zu, denn sie ließ seine Meinung unangefochten im Raum stehen. Nur Sammy schielte mich noch aus den Augenwinkeln an und ich wollte ihm am liebsten ein ziemlich mürrisches 'Was guckst du so?' entgegenschleudern, aber die Betitelung als Zicke konnte ich mir genauso gut sparen. Deswegen war es letztlich der andere, der das Schweigbattle verlor und den Mund öffnete.

"Aber ich würde schon ganz gerne mal wissen, was Juke im Kopf herumgeistert...", sagte er mehr zu den anderen als zu mir. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er sei verknallt, aber..."

Volltreffer. Die Hitze ließ meinen Kopf pochen. Herr im Himmel, lass mich nicht rot werden, betete ich, denn mein Geheimnis sollte weiterhin ihr sicheres Versteck in meiner Brust haben.

Anscheinend machte sich jedoch kaum einer Gedanken über meine sicher ziemlich tomatengleiche Optik, denn prompt brach ein wildes Gemutmaße über meine heimliche Liebe aus, welches aber höchstwahrscheinlich nicht ernst gemeint war. Wenn mein Schädel nur halb so rot war wie heiß und jemand hätte davon Notiz genommen, dann wäre das ganze Gespräch wohl anders ausgefallen. So deckte ich meine Gefühle wieder artig zu und grinste brav ob ihrer absurden Vermutungen. Dass es Neo war, dem ich mein Herz geschenkt hatte, darauf kamen sie nicht. Das beruhigte mich ungemein, auch wenn ich gleichzeitig ziemlich verwundert darüber war. Es war noch gar nicht so lange her, vielleicht einen Monat, an dem mir Viv noch höchstpersönlich weiszumachen versuchte, dass Neo nur ein abgekartetes Spielchen mit mir und meinen Gefühlen spielen wollte. Wenn er es tatsächlich schon vergessen hatte, dann durfte ich mit Recht behaupten, dass sein Gedächtnis nicht weiter als von der Wand bis zur Tapete reichte. Aber es war mir ja ganz lieb.

Nur leider gab es ja hin und wieder mal diese kleinen Märchen vom Zufall zu hören, welcher bei manchen Menschen auch als das Schicksal bekannt war. So sehr ich geglaubt hatte, mein kleines Geheimnis wäre sicher hinter meinen verschlossenen Lippen aufbewahrt, so sehr schimpfte ich mich schon wenige Minuten später einen Idioten, denn selbst kleinen Kindern war bewusst, dass jede Heimlichkeit irgendwann an das Tageslicht kam. Das war so etwas wie ein Naturgesetz.
 

Noch immer erfüllte das konfuse Stimmengewirr der Jungs den Raum, aber sie alle verstummten mit einem Mal, als sie die Türklingel vernahmen. Ja, wir hatten eine Klingel an unserem Proberaum, schließlich konnte nicht jeder einfach so hier rein stürzen, wie es ihm gefiel, denn es bestand die Gefahr, dass wir den Schreck unseres Lebens bekamen, wenn uns jemand aus der tiefen Konzentration auf das Spiel herausriss.

So wäre es heute zwar nicht gekommen, aber wahrscheinlich hätte es dennoch einen Toten gegeben. Verreckt an einem Herzinfarkt. Und dieser Tote wäre niemand geringeres als ich gewesen.

Ich wünschte, ich wäre derjenige gewesen, der sich dazu erbarmte unseren Besucher zu empfangen, aber anstelle hatte sich Viv bereits in Bewegung gesetzt und es dauerte gar nicht lange, bis man ihn in einer ziemlich ärgerlichen Tonlage reden hörte.

"Oh, ich glaube, es gibt Stunk", meinte Jason und gluckste belustigt vor sich hin. Auch die anderen amüsierten sich ziemlich und rissen Witze von Viv mit einer Bratpfanne in der Hand, über die ich als einziger nicht lachen konnte. In meinem Kopf kreisten tausend Gedanken auf einmal und dann tauchte neben Vivs Stimme auch noch eine weitere auf, der unseres Gitarristen in Lautstärke und Ärgerlichkeit in nichts unterlegen.

Noch ehe ich es mir versehen konnte stolzierte auch schon Neo in seiner ganzen Pracht in den Proberaum, mit einem charmanten "...ach, fick dich doch" auf den Lippen, das ohne Zweifel Viv galt. Seine Stirn war gerunzelt, sein Blick sprach Bände und offenbarte Mordgelüste. Als er jedoch mich erblickte, hellte sich seine Miene augenblicklich auf.
 

Ich sah, wie er seinen bereits lächelnden Mund öffnen wollte, kam ihm allerdings zuvor. Beinahe fiel ich über mein Schlagzeug, als ich vom Hocker sprang um auf ihn zuzustürmen und an die Seite zu ziehen. Dass die anderen glotzten, als würde gerade ein UFO direkt vor ihrer Nase landen, versuchte ich zu ignorieren ebenso wie Vivian, der nun ebenfalls herzugekommen war und irgendetwas faselte von wegen Rausschmeißen und irrem Stalker. Ich aber zerrte Neo am Kragen seines ärmellosen Shirts wie ein Hund am Halsband weg vom Geschehen und stellte ihn dann mit glühendem Eifer zur Rede.

"Was machst du denn hier?", zischte ich, selbst schon fast ärgerlich. "Woher weißt du überhaupt, dass hier unser Proberaum ist? Und dass wir hier sind?"

Neo aber ließ sich von mir überhaupt nicht beeindrucken. Er grinste mich in Grund und Boden und verpasste mir einen Kuss auf die Nase, wofür ich ihm in diesem Augenblick am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte, weil es mein ganzes Geheimnis ruinierte. Wir befanden uns zwar außer Hör-, aber keineswegs außer Sichtweite.

"Ich weiß eben alles, Spätzchen", brummte er in einer beinahe lasziven Tonlage und versuchte dabei, seine Hände auf meine Hüften zu legen, doch ich wich ihm aus, trotzdem es mir gleichzeitig unglaublich missfiel, seinen Berührungen zu entkommen, waren sie doch genau das, dem ich schon den ganzen Tag nachhing.

"Lass...", murmelte ich, obwohl ohnehin schon alles zu spät war, aber ich war eben etwas ärgerlich gestimmt. "Ich hab dir doch gesagt, dass die anderen nichts von uns wissen sollen, weil...du weißt schon, warum."

"Ach, komm, Juli", argumentierte Neo, packte mich an den Unterarmen und dieses Mal wehrte ich mich nicht gegen ihn. "Sie hätten es irgendwann sowieso erfahren. Und es ist besser, wenn du es schnell hinter dich bringst...och, Süßer, hör auf zu schmollen. Es ist zwar ganz niedlich, aber..."

Ehe ich es mir versehen konnte hatte er mir seine Lippen auf meine gedrückt und obwohl ich es wollte, ich konnte ihm nicht einmal böse sein. Ich schämte mich lediglich tierisch für die Szene, weil jeder sie mitansehen durfte. Ich, Julian, ungeoutet und verknallt in einen Typen, den gewisse Personen beinahe schon als Feind der Band betrachteten, stellte all meine Gefühle zur Schau. Es war so peinlich. Die Scham saß mir im Nacken und schüttete mir kalte und gleichzeitig heiße Schauer über den Rücken.
 

"Ich wollte aber nicht, dass sie es wissen", grummelte ich und senkte meinen Blick hinunter zu unseren Schuhen, fixierte Neos schwere Stiefel. "Und jetzt hast du das gesamte Geheimnis ruiniert..."

"Sorry, aber ich mag Geheimnisse eben einfach nicht."

"Aber ich."

Seine Hände wanderten von meinen Armen hinauf zu meinen Wangen. Ich guckte ihn wieder an. Wie ein treudoofer Hund von unten hinauf und entdeckte etwas in Neos Blick, welches schon manchmal zum Vorschein gekommen war. Das Raubtier. Prompt begann es in meinem Bauch zu ziepen.

"Was hältst du davon", setzte Neo nun an und klang ganz begeistert, "wenn wir einfach eine neue Heimlichkeit aushecken?"

Er presste die Lippen aufeinander, was sehr viel aussagte. Vielleicht sogar mehr als einfache Worte. Zudem musste ich verblüfft feststellen, dass ich es ihm gleichtat, als er seine Fingerspitzen über meinen Hals gleiten ließ. Er schien dabei eine Stelle berührt zu haben, die geradewegs mit gewissen Bereichen zwischen meinen Beinen in Verbindung stand. Womöglich hatten dafür schon seine bloßen Blicke genügt. Ich konnte nicht leugnen, dass mich dieses Hungrige in seinen Augen nicht kalt ließ. Wenn ich genau hinschaute sah ich sogar, wie groß seine Pupillen waren und wie der Glanz in seinen Augen ermattete. Und dann wusste ich, an was er dachte. Was er sich in den lebhaftesten Farben ausmalte. Denn es war genau dasselbe, was auch immer wieder durch mein Hirn spukte. Was mich nachts kaum noch schlafen ließ.
 

"Ich bin sowieso gekommen, um dich abzuholen", erklärte Neo schließlich wieder beherrschter und schüttelte sein schönes, langes Haar. "Ich dachte mir, dass wir vielleicht noch etwas Schönes machen könnten. Also, wenn du dann mit der Probe fertig bist."

Etwas Schönes. Wie er es betonte. Es ließ keinen Raum für Interpretationen. Und ich scherte mich nicht einmal darum. Erst wenn sich mein Verstand wieder einmischen sollte, würde ich wohl Fracksausen bekommen, mutmaßte ich im Stillen.

"Ich glaube, ich bin fertig...", äußerte ich leise und schielte unsicher hinüber zu den restlichen Bandmitgliedern, denen unser Geturtel allem Anschein nach irgendwann langweilig geworden war, denn jetzt ruhten ihre skeptischen Blicke längst nicht mehr auf uns.
 

"Warte kurz, ich regle das und dann können wir los", gab ich Neo zu verstehen, löste mich sacht von ihm und steuerte dann auf die anderen zu. Als ich vor ihnen stand, schien ich wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt zu sein, denn fünf Augenpaare musterten mich prompt ziemlich abwartend.

Mit einem Mal kam ich mir vor wie ein Fremder, und das unter meinen eigenen Freunden. Ich spürte so etwas wie Abwertung in den Blicken Vivians und teilweise auch Theons und die restlichen Gesichter verrieten mir von ihrer Gleichgültigkeit, die sich jedoch mit einem winzig kleinen Funken Neugierde vereinte. Vielleicht bildete ich mir das alles aber auch nur ein, weil ich mich im Moment nicht so richtig wohl in meiner Haut fühlte. Vielleicht war es aber auch wirklich genau so. Ob Vivian mich jetzt hasste, fragte ich mich fast schon panisch. Ich wollte nicht, dass er das tat. Und gleichzeitig sagte ich mir, dass das mit Neo ganz allein meiner Entscheidung unterlag. Er musste damit klarkommen oder es bleiben lassen. Ganz einfach.
 

"Ähm...braucht ihr mich noch? Wenn nicht, dann kann ich gehen...oder?"

Zumindest Christian, Jason und Sammy gingen noch während ich sprach wieder zur Tagesordnung über, ich hörte, wie sie Scherze rissen, in denen ich oder Neo allerdings keine Rolle spielten. Theon war der Nächste, der sich kurz darauf um alles und nichts kümmerte und mich stehen ließ. Mir kam es schon beinahe so vor, als ignorierte er mich gar. Nur Vivian tat ein paar Schritte auf mich zu und blieb schließlich direkt vor meiner Nase zu stehen. In diesem Augenblick hasste ich ihn dafür, dass er ungefähr einen halben Kopf größer maß als ich und er zu mir hinabschauen musste, um meinen Blick einzufangen. Da ich allerdings ohnehin sofort auswich und viel lieber an die weiße Tapete hinter meinem Drumkit starrte, war dieser Fakt sehr schnell vergessen.

"Ich weiß, dass du es nicht magst, wenn wir uns in deine Angelegenheiten einmischen", begann Viv nun mit ruhiger Stimme zu sprechen. "Aber ich habe mich mit den anderen unterhalten und sie alle sind der Meinung, dass es dir nicht gut tut, wenn du dich zu sehr von diesem Kerl mitreißen lässt. Juke, er-"

"Ist nicht gut für mich, ich weiß, ich weiß", stöhnte ich genervt auf, wollte mich umdrehen und wieder zu Neo gehen, aber Vivians Hand packte mich noch rechtzeitig am Ärmel, sodass ich im Reflex anhielt und ihm doch noch ins Gesicht schaute.

"Du willst es nicht hören, aber wenn man die rosarote Brille aufhat, sieht man nicht klar. Du magst verknallt in den Typen sein, weil er dich verknallt gemacht hat. Aber..." Er seufzte tief und fuhr dann fort. "Du bist nur ein Ersatz für ihn. Weil er mich nicht haben kann. Vor wenigen Wochen, da war er noch ganz verrückt nach mir und jetzt verspricht er dir die große Liebe? Das ist seltsam, oder nicht?"

"Du bist nicht mein Vater, Vivian!"

Während er sprach, hatte ich die Empörung und die Wut in mir immer stärker werden gespürt. Nun aber war das Maß voll. Was bildete sich dieser Typ eigentlich ein? Dass er mich bevormunden konnte, wie es ihm beliebte? Pah, nicht mit mir. Ich wusste mehr über Neo als er es jemals tun würde. Ich war derjenige, der in seine Augen gesehen, der aus seinen Lippen die Wahrheit sprechen gehört hatte. Es waren keine Worte, es war dieser Kuss, der mir sein Herz versprochen hatte. Vivian war taub für all diese Dinge, natürlich war er es, denn sie hatten nicht zu ihm gesprochen, sondern nur zu mir. In einer Sprache, die nur Neo und ich verstanden. In einer Sprache, in der es keinen Ausdruck für Lüge gab.
 

Es fiel mir nicht schwer, meinen Ärmel Vivs Griff zu entziehen, Neo einzusammeln und ohne ein Wort des Abschieds die Tür anzusteuern. Ich musste raus hier, raus aus dieser Höhle, in deren Atmosphäre ich zu ersticken drohte. Ich wollte weg von meinen Bandkollegen und besonders gern wollte ich Vivian nicht mehr sehen müssen. Warum merkte er nicht selbst, dass wir uns mit diesen immer gleichen Gesprächen unaufhörlich im Kreis drehen? Manchmal dachte ich tatsächlich, dass er eifersüchtig auf mein Glück war. Aber das erschien mir dann doch zu absurd, um daran glauben zu können. Schließlich hatte er Theon und die beiden wirkten in vielen Situationen wirklich sehr verliebt auf mich. Oder konnte er es schlichtweg nicht ertragen, dass Neo ihm keine Aufmerksamkeit mehr entgegenbrachte, weil er es im Grunde genossen hatte, wie er sich nach ihm verzehrte? Wenn dem wirklich so sein sollte, dann war Vivian ein Arsch. Und dann wusste ich nicht, ob ich überhaupt noch sein Freund sein wollte.
 

"Hey, mach dir keine Gedanken", versuchte Neo mich aufzumuntern, als wir kaum einen Schritt aus der Tür getan hatten. "Der Kunde spinnt doch. Hat sie nicht mehr alle. Der will sich nur wichtigmachen."

"Ja, wahrscheinlich...", erwiderte ich mit dünner Stimme und erhielt für meine offensichtliche Niedergeschlagenheit einen Kuss auf die Wange. Das genügte, damit Neo meinen Blick erfolgreich einfangen konnte. Prompt sah ich, dass aus seinen Augen wieder diese heißen Funken sprühten.

"Ich werde dafür sorgen, dass du ihn und seine blöden Sprüche vergisst", tuschelte er mit einem Lächeln auf den Lippen.

"Aha", machte ich gleichermaßen zaghaft wie interessiert. "Und wo willst du mich das alles vergessen lassen? Bei mir? Ich habe Platz, und es stört keiner..."

Neo aber legte den Kopf schief und zog eine Schnute.

"Eigentlich dachte ich eher, dass wir zu mir gehen", meinte er. "Weil...ich hab da schon alles vorbereitet..."

Diese Worte ließen meine Augenbrauen vor Erstaunen in die Höhe zucken. Er hatte Vorbereitungen getroffen? Was er damit wohl meinte? Was gab es denn groß vorzubereiten, wenn man...na ja, wenn man miteinander schlafen wollte? Mir kamen ein paar Dinge in den Sinn, nach denen ich mir allerdings nie im Leben zu fragen gewagt hätte, erschienen sie selbst mir viel zu kitschig und mädchenhaft. Und doch sah ich vor meinem geistigen Auge einen angedunkelten Raum, in dem hunderte von Kerzen brannten, nur für uns. Nur für mich. Sollte ich mich dafür schämen, dass mir diese Vorstellung ein warmes Gefühl in das Herz zauberte? Egal, wie die Antwort auf diese Frage ausfallen sollte, ich tat es. Aber nur ganz kurz. Denn dann wies ich sie als ausgemachten Schwachsinn von mir. Neo war nicht so. Neo war kein Romantiker, der seinen Liebsten mit großen Gesten verführte und ihn in ein Bett besäht mit Rosenblättern lockte, um sich dort zu liebevollem Kuschelsex hinreißen zu lassen. Er war ganz anders.
 

Dass ich Recht hatte, stellte ich fest, als ich in sein Zimmer trat. Keine einzige Spur von Rosenblättern oder schweren Vorhängen, die das Kerzenlicht in der Dunkelheit erstrahlen lassen sollten. Es wirkte wie ein ganz normales Jugendzimmer, so wie ich eins hatte, als ich so alt war wie Neo. Poster von Bands, die ich nicht kannte schmückten die Wände. Mein Blick wanderte zu einem Foto, welches Lovex zeigte, aber es war nicht sonderlich groß. Mir fiel lediglich auf, dass Viv in der Mitte stand und beinahe wie der Bandkopf wirkte, natürlich gemeinsam mit Theon. Ich hingegen befand mich klein und fast schon unscheinbar im Hintergrund.

Und was, wenn Viv doch Recht hat? Wenn ich wirklich nur ein Ersatz für Neo bin? Ein Notnagel?

Ich wischte diese Gedanken beiseite, ermahnte mich, nicht zu viel in so ein bescheuertes Bild zu interpretieren. Es war purer Schwachsinn, und ich erhielt den Beweis, als ich meinen Blick wie zufällig zu Neos Nachtschränkchen wandern ließ.

Ich erkannte das Bild natürlich sofort wieder. Es war jenes, welches wir ganz kurz vor unserem ersten Kuss aufgenommen hatten. Beinahe musste ich lachen, als ich in die beiden breit grinsenden Gesichter blickte, die einfach nur doof aussahen, wie es eben immer so war auf Fotos. Aber das zählte nicht. Das was zählte, war unsere feste Umarmung und Neos Hand auf meinem Rücken, die mich näher an seine Brust drängte. Und die Tatsache, dass er es in einen Rahmen gesteckt und auf seinem Nachtschrank abgestellt hatte, obwohl es so hässlich war.
 

"Ist was?", vernahm ich Neos Stimme, die mich zurück in die Realität holte. Meine Blicke glitten über den bildschönen jungen Mann, der sich heute zum ersten Mal in meiner Anwesenheit eine Zigarette angesteckt hatte und genüsslich den bitteren Qualm inhalierte.

"Nö", machte ich nur knapp und schüttelte den Kopf.

Dass ich vorhin fast schon enttäuscht war wegen der fehlenden Kerzen und Blumen hatte ich ganz vergessen. Dafür rückte nun die Nervosität vermehrt in den Vordergrund, als Neo mich bei der Hand nahm und mich mit zu seinem Bett zog.

Mit einem Plumpsen kam er auf der Matratze zum Sitzen, ich landete auf seinem Schoß, besser gesagt auf seinem rechten Oberschenkel und kicherte etwas, ganz wie ein kleines Mädchen. Aber Scham dafür empfand ich dieses Mal nicht. Wieso sollte ich auch? Ich spürte doch nur zu deutlich, dass Neo es mochte, wenn ich mich weich gab, weich und etwas verletzlich. Obwohl er der Jüngere war, so gefiel er sich dennoch in der Rolle meines starken Beschützers, meines edlen Ritters, der ihn gegen alle Widrigkeiten der Welt verteidigte. Und wenn ich ganz ehrlich war, dann mochte ich das genauso gern wie er.
 

"So, Julchen", setzte er an, räusperte sich und quetschte den letzten Rest seiner Zigarette in dem ebenfalls auf dem Nachttisch stehenden Aschenbecher breit. Dann wendete er sich wieder ganz mir zu. Intensiver denn je, wie es mir erschien, was vielleicht an seiner Hand lag, die auf meiner Hüfte ruhte und mit ziemlicher Sicherheit nicht zuletzt an diesem tiefen, tiefen Blick aus seinen hübschen Augen, die so viel Liebe, aber auch so viel Verdorbenheit auszustrahlen wussten. "Was meinst du, was wir jetzt machen sollen?"

Ich grinste breit, und obwohl er es offensichtlich nicht wollte, tat er es mir gleich. Die Finger, die eben noch auf meiner Hüfte gelegen hatten, piekten mich nun in die Seite, sodass ich auflachte. Laut und quietschig. Julian, Julian, ob er dich kastriert hatte? Oder hatte er dich in ein Mädchen verwandelt?

"Sag, sag, sag!", forderte Neo unter Gelächter, ich aber konnte aufgrund meines zuckenden Zwerchfells ohnehin nicht antworten und wollte es auch nicht, aber ich war von seinem Schoß geklettert und robbte auf allen Vieren über die Matratze, deutete eine vermeintlich verzweifelte Flucht an. Vermeintlich, weil ich mich schon im nächsten Augenblick nur zu gerne von Neo packen und mit dem Rücken auf das Bett pinnen ließ.

Er war nun direkt über mir, und die Spitzen seiner langen Haare fielen mir ins Gesicht und kitzelten mich an der Nase. Augenblicklich schüttelte er seine schwarze Mähne, sodass sie jetzt nur noch über seine rechte Schulter floss. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mich im festen Griff hatte, dass seine Finger sich um meine Handgelenke geschlossen hatten und ich mich kaum mehr bewegen konnte. Der warme Druck seines Körpers auf meinen schränkte mich zusätzlich in meiner Freiheit ein. Aber kümmerte es mich? Nein, mitnichten. Ich genoss es sogar.
 

"Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie es sein wird, mit mir?", säuselte Neo, während er seine freie Hand über meinen Oberkörper gleiten ließ, mir Brust und Bauch begehrlich massierte. In mir begannen die ersten Wogen der Lust hin und herzuschwappen. Zunächst fühlten sie sich noch klein und flach an, aber schon bald schlugen sie höhere und stärkere Wellen. Er musste nur die Knöpfe meines Hemdes öffnen und etwas von meiner nackten Haut entblößen, damit ich fast nicht mehr ich selbst war. Ich schloss die Augen und wollte nichts lieber, als mich von diesen Gefühlen treiben zu lassen. Es war schön, so schön. Und dabei hatten wir noch nicht einmal angefangen...
 

"Natürlich hast du schon mal darüber nachgedacht", antwortete Neo an meiner Stelle auf seine Frage, da ich mich schon längst nicht mehr dazu in der Lage sah. Ich befürchtete, meine Stimme würde beben, wenn ich den Mund aufmachte, sich überschlagen, in einem Keuchen münden. Wahrscheinlich aber war es genau das, was er wollte. Hören, wie meine Lust die Luft in meinen Lungen zum Vibrieren brachte. Dass ich meine körperlichen Reaktionen längst nicht mehr zu kontrollieren vermochte und es ganz an ihm war, sie zu dirigieren.

Es begann mit einem Kuss auf den Mund, der zugleich in ein forderndes Spiel ausartete. Ich spürte, dass dies nicht der Neo war, der mir unseren ersten Kuss beschert hatte; dieser Neo hier war der, der sich auch Viv an den Hals geworfen hatte, voll Gier, voll Verlangen. Das, was er hier mit meinem Körper veranstaltete, war so geschickt, so aufreizend und gleichzeitig so obszön, dass ich nicht anders konnte und nicht nur einmal mit zittriger Stimme nach mehr verlangte. Seine Lippen schienen überall zu sein und seine Zunge tanzte über meine empfindlichsten Hautstellen, als wollte sie sie herausfordern, noch sensibler zu werden und noch stärkere Reaktionen meines Körpers hervorzurufen. Eigentlich wollte ich ihn anschauen, wenn ich zum ersten Mal mit ihm schlief, seinen wundervollen männlichen Körper betrachten und ihn an mich drücken, so eng es ging, aber ich verlor mich ganz und gar in meiner Rolle des Empfängers, des Genießers. Und Neo schien es zu gefallen, mich so gekonnt zu spielen wie ein Instrument, mir Töne und Empfindungen zu entlocken, die ich in dieser Intensität noch nie zuvor gespürt hatte. Besonders sein Mund war der edle Himmel und die heiße Hölle zugleich, besonders dann, als er mich hart und heftig oral befriedigte.

Ganz kurz fürchtete ich, dass seine Schwester oder seine Eltern mich hören könnten, aber bald schon schlitterte ich so nah an den Abgrund der Lust, dass ich nicht mehr denken, sondern nur noch spüren konnte. Spüren, wie er mich immer tiefer in sich trieb, wie mich dieser Druck in meinem Körper immer weiter verschlang, mit einer Gnadenlosigkeit, die mir alle Gliedmaßen zusammenzupressen schien. Letztlich raste die geballte Lust durch mich hindurch und ich schrie auf, nicht mehr wissend, wie ich diesem Wahnsinn standhalten sollte, der sich in mir abspielte. Doch dann war es auch schon vorbei und ich blieb lediglich schwer atmend liegen, blinzelte die weiße Zimmerdecke an.
 

"Mh, und was ist mit mir?"

Neo schob sich über mich, schaute mich aus fragenden und gleichzeitig glasigen Augen an, in denen noch immer der pure Hunger schwelte.

"Ich will auch noch auf meine Kosten kommen, Spätzchen."

Ja, okay. Das sah ich ein. Das war sein gutes Recht. Aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich es anstellen sollte. So geübt, wie Neo mich zu verwöhnen wusste, so würde ich das niemals hinbekommen. Ich hatte ihm gesagt, dass ich noch nie einen Mann hatte. Und trotzdem sollte ich nun aktiv werden.

In Gedanken sah ich meine Hände bereits über seinen Körper gleiten, hinab, immer weiter hinab, bis zu seinem Penis, der sich mir in freudiger Erwartung entgegenreckte, zuckend und rot angeschwollen. Doch ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Nicht nur aufgrund der Tatsache, ich würde nicht gut genug sein, sondern auch, weil ich nicht wusste, ob ich mich dazu durchringen könnte, sein bestes Stück anzufassen. Natürlich, ich besaß dieselbe Ausstattung wie er und es wäre eine Lüge gewesen, hätte ich gesagt, ich würde mich niemals selbst berühren. Aber auch wenn es Neo war - ich scheute mich davor, meine Finger um sein dickes Glied zu legen. Zum Glück musste ich das auch gar nicht. Neo hatte eigene Pläne entwickelt, Pläne, die mir ziemlich gefielen, als er mich in sie einweihte. Weil Worte noch keine Taten darstellten.
 

Wahrscheinlich meinte er in meinen Augen die Zustimmung für das gelesen zu haben, auf was es nun hinauslaufen sollte, denn er streckte sich so weit aus, dass er die Schublade des Nachtschränkchens erreichen konnte und brachte dort eine kleine Tube samt einem Kondom zum Vorschein. Ich war nicht blöd, ich wusste, was er vorhatte und nun wusste ich auch, aus was seine Vorbereitung bestand. Blümchen, Kerzen - ich war wirklich ein Volltrottel. Neo ging es vor allem um die Fleischeslust, um das Finden von Befriedigung und nicht um irgendwelche romantischen Kuschelstunden. Und um ehrlich zu sein: Ich konnte damit leben. Denn wenn ich tief in mich hineinhorchte, dann flüsterte mir mein Gewissen, dass ich es ebenso nötig gebraucht hatte wie er. Und der letzte Funken Lust war noch längst nicht verglüht, jetzt, wo ich ihn betrachtete und wusste, wie nah er mir gleich kommen würde.

Doch zunächst versicherte er sich, ob ich das hier tatsächlich wollte.
 

"Okay, also...darf ich dich ficken?"

Seine Stimme, heiser und rau, wollte nicht so recht mit diesen achtsamen Worten harmonieren. In ihr schwelte das pure Verlangen, welches mir den Verstand wegblies, denn noch nie in meinem Leben hatte ich einen Mann auf diese Art sprechen gehört. Es war faszinierend, wie der immer so beherrscht wirkende Neo genau wie ich nicht mehr so recht Herr über seinen eigenen Körper zu sein schien. Diese Feststellung kroch mir geradewegs zwischen die Beine und zog ohne Erbarmen an meinen Eingeweiden. Und es gab nur eine Antwort, die ich ihm auf seine Frage zu liefern bereit war.

"Du darfst", nickte ich beharrlich, schluckte aber hastig, als ich merkte, dass sich eine erneute Woge des Verlangens auf meine Stimmbänder gelegt hatte.

Neos funkelnde Blicke glitten über mich, nahmen meinen ganzen Körper ein; er wirkte auf mich wie ein Pirat, der seinen Schatz erkundete. Das, was ihm gehörte. Und so war es auch.

"Gut, dann...winkle die Beine an...", wies er mich an, aber es war ein unsicheres Hauchen und keine harsche, bestimmte Aufforderung, so wie ich es eigentlich erwartet hatte.

Verwundert zog ich die Knie an meinen Körper, woraufhin Neo sich an mich drängte, sein eigenes Glied in der Hand und es mit schnellen Bewegungen rubbelte. Aber nur kurz. Denn dann schüttelte er den Kopf und meinte, ich solle mich lieber auf den Bauch legen, das würde leichter werden.

Dass er unsicher war, spiegelte sich in seinen Taten und in seinen Blicken wider. Und es übertrug sich auf mich. Zwar tat ich das, was er von mir verlangte, aber sobald ich ihn nicht mehr sehen konnte, wusste ich gar nicht mehr, ob ich wirklich wollte, dass er mich...

"Warte, warte", ließ ich beinahe schon eine Spur zu panisch verlauten und drehte mich zumindest soweit auf die Seite, dass Neo wieder in mein Blickfeld rückte. "Ich...tus bitte nicht. Ich glaub, ich kann noch nicht...sorry..."

"Shh, nicht entschuldigen", brummte Neo, und dieses Mal hörte es sich unpassender Weise wesentlich bestimmter an. "Ist mir auch ganz Recht auf eine Art...ich war noch nie aktiv."

Die Spannung, die meine Muskeln sich verkrampfen ließen, wich augenblicklich aus meinem Körper und ich sackte mit lockeren Gliedern schwer in Neos Kopfkissen, mit dem Gesicht voran.

Langsam aber sicher wurde die ganze Sache ziemlich anstrengend, gestand ich mir ein, aber Sex im richtigen Leben hatte eben nichts mit den Szenen gemein, die man in Film und Fernsehen zu sehen bekam und erst Recht spielten wir nicht in einer Liga mit professionellen Pornodarstellern. Deswegen brauchten wir naturgemäß länger. Und das war in Ordnung. Aber erregt war ich nun schon längst nicht mehr. Eigentlich wollte ich nur noch pennen, aber das eröffnete ich Neo natürlich nicht. Der schien nämlich noch immer scharf zu sein und im Grunde wollte ich gern für seine Befriedigung zur Verfügung stehen. Sei es als Dankeschön für seinen vorzüglichen Blowjob aber auch, weil ich ihn doch liebte.

Gerade machte ich Anstalten, mich wieder auf den Rücken zu drehen, aber Neo hielt mich entschieden davon ab.

"Bleib so liegen", knurrte er. "Ich weiß, was ich jetzt sehr geil finden würde..."

Er hatte also einen neuen Plan. Wortlos drückte ich meinen Bauch zurück auf die Matratze und wartete ab, auch wenn mein Misstrauen nun leicht anstieg.

"Aber nicht heimlich doch ficken", warnte ich Neo mit leiser Stimme, der aber lachte hinter mir auf, allerdings klang es nicht fies oder hinterhältig, wie man vielleicht erwartet hätte, keineswegs.

"Was denkst du denn von mir, Süßer?", amüsierte er sich, während ich spürte, wie ein Gewicht auf meinen Po drückte und etwas Sanftes, Federgleiches meine Wirbelsäule hinabstrich. "Ich bin dein Freund und kein Schwerverbrecher. Ich mache nichts, was du nicht auch willst."

Noch heute erinnere ich mich an jenen Augenblick, an die Melodie dieser zarten Worte, die ich so aus Neos Mund niemals erwartet hätte. Ich weiß noch, wie die Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern begannen und wie ich mit einem Mal in die ganze Welt und in das Leben verliebt zu sein schien. Doch in Wirklichkeit galten all meine Gefühle nur einer einzigen Person. Es war die, die den Deckel des Gleitgelfläschchens mit einem unüberhörbaren Klacken öffnete und wenig später die feuchte Kälte großzügig zwischen meinen Pobacken verteilte. Ob er sah, dass ich mir mit zusammengekniffenen Augen auf die Lippen biss, um ein ausgleichendes Keuchen zu vermeiden, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er erst ganz still war, aber als er meine Backen auseinanderdrückte und ganz eindeutig seinen Penis dazwischenschob plötzlich ziemlich ungehalten schnaufte. In beinahe schon wahnsinnigem Tempo rieb er sich irgendwann gegen meine sensiblen Innenseiten und ich ließ es geschehen, ebenfalls ziemlich angetörnt ob dieses mir unbekannten Spieles, das zudem selbst in mir ein Kribbeln zu wecken wusste. Ich mochte das feuchte Gefühl zunehmend und auch Neos Länge, die immer dicker und schwerer zu werden schien, bis sich ein warmer Strahl aus zäher Flüssigkeit auf meinem Rücken ergoss. Neos tiefes, dumpfes Knurren, welches den Raum in diesem Augenblick erfüllte, zog mich komplett in seinen Bann und ich war mir ganz sicher, dass dies das erotischste Geräusch auf der ganzen Welt sein musste. Währenddessen musste ich wegen der Gewissheit, sein Sperma auf meinem Rücken zu haben, in mich hineinschmunzeln. Und plötzlich kam mir die ganze Szene doch ziemlich pornomäßig vor. Aber es war nicht so, dass ich mich am liebsten darüber beschwert hätte, nein. Ich entdeckte gerade, wie sehr ich auch etwas schmutzigere Spielchen schätzte und Sex nur wirklich Spaß machte, wenn zum einen die Gefühle stimmten und zum anderen nicht zu sehr auf Sittlichkeit und Ordnung geachtet wurde. Manchmal musste man sich einfach gehen lassen, sich etwas trauen und das Gehirn ausschalten. Und ganz ehrlich: Diese Dinge fielen mir in Neos Gegenwart nicht sonderlich schwer.
 

*
 

"Juli?"

"Mh?"

Ich brummelte nur, weil ich viel zu faul war, um große Reden zu schwingen. Zumal ich jetzt auch noch meine heimlich ersehnte Kuschelstunde bekam.

Im Augenblick konnte ich mir einfach nicht Gemütlicheres und Schöneres vorstellen, als meinen Kopf an Neos Brust zu schmiegen und ein wenig die Augen zu schließen. Wenn er weiterhin geschwiegen hätte, wäre mein Dämmerzustand wahrscheinlich gar in ein kleines Nickerchen ausgeartet, aber nun galt es, meine Lauscher zu spitzen, schließlich schob mir mein Freund bereits die Haare hinter die Ohren, damit ich auch recht gut vernehmen konnte, was er mir zu sagen hatte. Dabei blinzelte ich ganz müde und beobachtete seine sich bewegenden Lippen.

"Du weißt ja, dass ich keine Geheimnisse mag", sagte er leise und begann nun auch noch, mich im Nacken zu kraulen, als wäre ich sein kleiner Kater. "Deswegen sag ich dir jetzt, auf was ich im Bett stehe."

Nun hatte er meine Neugierde eindeutig geweckt. Mit großen Augen schaute ich zu ihm auf und fing dabei sein bildhübsches, wenn auch ziemlich freches Lächeln ein.

"Ich finds ziemlich geil, wenn man mir eine klatscht", gab er schließlich ohne Umschweife zu und ich war prompt so von der Rolle, dass ich mich von ihm löste und mich beinahe aufsetzte. Seine Hand, die auf meinem Oberarm landete und mir beruhigend über die Haut streichelte, hielt mich jedoch davon ab. So legte ich mich also wieder hin, mein skeptisches Stirnrunzeln blieb allerdings bestehen und das war es auch, was Neo ein belustigtes Glucksen entlockte.

"Ja, ja, ich weiß, was du jetzt denkst", nahm er vorweg und schob sich eine Hand zwischen Kopf und Kissen, dabei blickte er die Decke an und schien sich nicht mehr so recht entscheiden können, ob er weiterlachen oder eine ernste Miene aufsetzen sollte. "Du denkst jetzt: 'Boah, was hab ich für ein perverses Schwein als Freund? Hätte ich das mal eher gewusst...'"

"Nein", berichtigte ich ihn, wenn auch noch immer ziemlich verwirrt aufgrund seiner seltsamen Vorliebe. "Das denke ich nicht..."

Er ging gar nicht auf meine Worte ein, redete einfach weiter über seinen seltsamen Fetisch.

"Tja, ich weiß ja selbst nicht, warum das bei mir so ist...ich bin eben ein kleiner Masochist."

Er zuckte mit den Schultern.

"Viv hat mir damals im Klo auch eine geklatscht...und ich fands geil. Irgendwie..."

"Du erwartest nun aber nicht, dass ich SM-Spielchen mit dir vollführe?", hakte ich verunsichert nach, aber Neo schielte mich nur aus den Augenwinkeln heraus an und schlang dann wieder den Arm um meinen nackten Körper.

"Quatsch", versicherte er mir. "Ich erwarte gar nichts von dir. Ach, im Grunde wissen wir beide doch noch gar nicht so wirklich, was wir eigentlich wollen."

"Na doch", kam es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund. Wir sahen uns einen Moment lang schweigend an, bis ich mit dem herausrückte, was ich sagen wollte. "Dich will ich."

Es war das Ehrlichste und Aufrichtigste, das ich wahrscheinlich jemals zu einem Menschen gesagt hatte. Aber es kam mir in diesem Moment einfach angebracht vor. Denn es waren nicht nur Worte, es war Gefühl. Gefühl, welches versuchte, sich in Wortform zu zwängen, was aber stets mehr schlecht als recht gelang. Doch es genügte, um Neo wissen zu lassen, wie es in mir aussah. Und so gerührt, wie ich ihn jetzt erlebte, so hätte ich es nie für möglich gehalten.

"Du bist so zuckersüß, Juli", hauchte er mir gegen meine Wange, um dann seine Lippen behutsam auf meine zu drücken. Auch wenn ich diesen Kuss wirklich genoss, so brannte doch noch eine wichtige Frage auf meinen Lippen.

"Liebst du mich?", wollte ich wissen, als wir uns ein Stück weit voneinander gelöst hatten, Neos Gesicht meinem aber noch immer so nah war, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte.

"Hey, Julilein, natürlich liebe ich dich, du bist doch meine Prinzessin", erwiderte mein Freund mit einem Lächeln und küsste mich noch immer lächelnd auf den Mund. "Und ich bin dein Prinz. Auch wenn der dumme Vivian da anderer Meinung ist. Aber weißt du was? Wir werden ihm schon noch beweisen, dass das zwischen uns was Großes ist. Warte nur, bis wir alle als Opis um einen Tisch herumsitzen und Viv dann, alt und verschrumpelt, den kahlen Mund aufmacht und sagt: 'Das is ja doch Liebe, das zwischen euch. Hätt ich nicht gedacht. Krasser Scheiß.'"

Er imitierte einen zahnlosen Menschen so überzeugend, dass ich nicht anders konnte als lauthals loszulachen. Die Bilder, die er mir dazu in den Kopf gezaubert hatte, waren aber fast noch herrlicher. Vivian als alter Opa, das würde ich mir immer dann vorstellen wollen, wenn er mal wieder einen Keil zwischen Neo und mich zu treiben versuchte. Und er würde sich wahrhaftig die Zähne ausbeißen, wenn er mich weiterhin von seiner Ansicht überzeugen wollte. Denn zwischen Neo und mich passte kein Blatt Papier.
 

Er war mein Prinz und ich seine Prinzessin. Und unser Ross, das war die Liebe. Es würde niemals alt und lahm werden. Da war ich mir ganz sicher.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  wish-u
2014-07-02T09:11:50+00:00 02.07.2014 11:11

Warum gibt es hierzu nicht schon ein paar Kommis. . . Diese Story ist so schön *_* Ich hab ja schon ein paar deiner Geschichten auf fanficton.de gelesen und ich muss sagen was du hier ablieferst steht dem in nichts nach *vor Freude hüpf* Du triffst immer den perfekten Zwischenton zwischen Porno und Romantik. .. Was man auch an der Story sehr gut sehen kann, du erzählst mit einer solchen Leichtigkeit das man die Geschehnisse förmlich vor sich sieht. Auch die diesesmal etwas dezentere Sexszene ist durchaus erotisch. Außerdem freut mich das endlich mal wer die Sexyness des Hinterns und nicht des Darms erkennt. Das wird bei vielen eh zu sehr zum Standard und so ist es auch viel romantischer. Die Idee das sich ein Zurückgewiesener des Liebe sowieso mehr Schwärmerei und Idol Verehrung war sich ernsthaft verliebt und dabei von seinen gewohnten Mustern abweicht ist ebenfalls zuckersüß♥. Schade nur das die Vorgeschichte soviel adult Kapitel hat *verflucht sei meine Ehrlichkeit bei der Anmeldung >_<* Nja egal, weiter so^^

Antwort von:  Anemia
03.07.2014 09:05
Ich bin halt oft nicht so mit Kommentaren gesegnet. ;) Kann man nichts machen. Umso schöner, dass du mir was dalässt. :)

Jaaa, das ist eine meiner romantischeren Fanfics. Eigentlich bin ich ja von diesem Zug ziemlich weg, aber hier hab ich eben noch mal so was gemacht. Sieht man ja schon an dem rosigen Cover. :D

Jup, manchmal, da geht mir das Schreiben echt sehr leicht von der Hand. Manchmal nicht so, ich hoffe, das merkt man nicht allzu sehr. :) Das hier, das hat mir selber auch Spaß gemacht. Wie fast alles.

Sexyness des Darms? WTF? O.o Na ja, ich weiß, da draußen treiben sich seltsame Dinge herum. :D Aber ich mag nun mal Hintern sehr viel lieber als...Gedärme. O.o xD
Es gibt auch Geschichten, in denen schreibe ich das alles sehr viel reißerischer, aber das hätte hierzu natürlich nicht gepasst und es ist auch nicht jedermanns Geschmack. Das sollte einfach süß werden, die Erstes-Mal-Stimmung. :) Lange so was nicht mehr gemacht, aber es ist reizvoll. :)

Ja, meistens ist es ja auch nur ne Schwärmerei, die man für einen 'Prominenten' (ich mag dieses Wort nicht...es passt nicht zu meinen Lieblingsmusikern. >.<) empfindet. Ich für mich sehe das bis heute nicht so (*gg*), aber die meisten vergessen ja dann die 'Liebe' zu ihrem Lieblingsmusiker, wenn sie etwas 'Echtes' vor sich haben. ;)

Och, die Vorgeschichte kannst du doch auf FF.de lesen...da braucht man sein Alter nicht zu verifizieren....*flüster* ;)

So, vielleicht liest man sich ja wiedermal. :)

lg Serpa


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