Gaius' Konfekt von RhapsodosGenesis (GaiusPalne) ================================================================================ Kapitel 1: Gaius' Konfekt ------------------------- „Ich verspreche es dir“, schwor er, „Yarne.“ Nach einem sanften Streichen durch das braune Haupthaar seines kleinen Sohnes erhob er sich schweigend und wandte sich um. Er fühlte den Blick, der auf ihm haftete. Bohrend. Stechend. Besorgt. Traurig. Mit Tränen in den Augen. Er wusste, dass er weinte. Weil er Angst hatte. Sich nach seinem Vater sehnte. Doch es war seine Pflicht. Er musste gehen. Gaius ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und hielt sich schwermütig davon ab, noch einmal zurückzuschauen und seinem Sohn erneut zu beschwören, dass er zurückkehren würde. Wem galt die Versicherung? Seinem Sohn – oder doch lieber sich selbst? Was war nur aus ihm geworden? Aus dem lässigen Dieb ohne Sorgen, dessen Leben daraus bestand, Honigstöcke zu plündern – ein verlässlicher, ernster, besorgter Vater? „Oh, Palne“, murmelte er vor sich hin, „Was hast du bloß aus mir gemacht?“, fragte er sich leise, während er sich aufkeimende Tränen aus den Augen wischte. Jetzt weinte er sogar. Wie ein Kind. Sollte nicht er derjenige sein, der Kinder zum Weinen brachte, indem er ihnen den Lutscher stahl? Ach was. Diese Person war er schon längst nicht mehr. Da konnte er sich einreden, was er wollte. Seinen Rücken hielt er gegen die Tür gepresst. Er betastete seine Waffe. Alles war bereit zum Aufbruch. Die Hirten zählten auf ihn. Immerhin war er einer der Freunde und Beschützer Lissas – und Ylisstols. Er durfte die Welt nicht im Stich lassen. Genauso wenig wie er Yarne im Stich lassen durfte. Und das war auch der Grund, weshalb er zurückkehren wollte – nein, zurückkehren würde. Yarne. Wenn er schon seine Mutter verloren hatte – verdammt seien die Untoten! – so sollte er zumindest das Recht auf seinen Vater haben. Er hatte es versprochen. Und er hatte seinem Sohn schwermütig beigebracht, Versprechen nicht zu brechen. Da wäre es ziemlich kümmerlich, wenn er selbst sich nicht daran hielte. Nein, traurig. Dann würde sein Sohn seinen Vater nie mehr wieder sehen. Und das Letzte, was er hätte, wäre ein gebrochenes Versprechen – so viel wert wie abgelaufene Honigmilch. Er schluckte den verdammten Kloß in seinem Hals hinunter und zwang sich, Abstand zur Tür zu gewinnen. Zögernde Schritte wurden zu festen Schritten. Der Beschützer des Erhabenen durfte nicht schwach sein – nicht ängstlich sein. Und schon gar nicht durfte er mit dem Gefühl in die Schlacht ziehen, dabei zu sterben. Immerhin hatte er es versprochen. „Keine Sorge, wir werden uns wieder mit kandierten Feigen vollstopfen, wenn du zurück bist!“, erklang die Stimme eines kleinen Taguel. Erstaunt wandte sich Gaius um. Stimmt, der Junge konnte Türen öffnen. Er wandte sich um und lächelte ihm freundlich zu. „Natürlich werden wir das – hat daran je jemand gezweifelt?“ Er grinste selbstsicher – gespielt. „Immerhin hab ich mir erst frische besorgt – die dürfen auf keinen Fall verderben!“ Yarne nickte entschlossen. „Du wirst sie mit mir essen, klar?!“ Er wirkte sehr fordernd, aber diesen betrübte Bestimmtheit, die ihn umgab ... Er hatte bestimmt geweint. Gaius wandte sich noch einmal um und umarmte seinen kleinen Jungen, der ihn so sehr an seine Mutter erinnerte. Palne. Wieso konnte sie nicht noch da sein? Mit ihr an seiner Seite hatte er niemals Zweifel gehabt. Sie hatte ihm Kraft gegeben. Er drückte Yarne fester. Jetzt gab er ihm Kraft. Aber er würde nicht zulassen, dass er ebenfalls Schlachten ausfechten musste. Das Beste für sein Kind. Er würde die Kriege beenden, dass Yarne in Frieden und Wohlstand aufwachsen konnte. Die Bürde, der letzte lebende Taguel zu sein, war ihm bereits aufgelastet. Er musste nicht auch noch anderweitig sein Leben riskieren. Nach einer Weile, die sich kurz und doch ewig anfühlte, ließ Yarne ihn wieder los, die kleinen Händchen entfernten sich von Gaius und die großen, roten Augen sahen ihn noch entschlossener als vorhin an. „Meine Hasenpfoten bringen Glück!“, rief er bestimmt, obwohl sich Gaius direkt vor ihm befand. „Darum wirst du Glück haben!“ Gaius grinste. Darum war er gekommen. Er wäre ihm bestimmt auch nachgelaufen, wenn Gaius bereits weiter entfernt gewesen wäre. Um ihm Glück zu bringen. Palne hatte das immer gesagt. Hasenpfoten brächten Glück. Die Glückseligkeit, die Gaius in dem Moment umfing, trieb ihm beinahe erneut Tränen in die Augen. Aber nur beinahe. Was für ein Glück er nur hatte ... diesen Sohn zu haben ... Das süßeste Wesen der Welt. „Danke, Schlappöhrchen“, sagte Gaius wie die Gelassenheit selbst, „Kann ich gut gebrauchen! Pass du auf das Haus auf.“ Er streckte ihm die Hand hin. „Wir sehen uns nach der Schlacht.“ Yarne nahm seine Hand. „Versprochen?“, fragte er ruhig. „Versprochen“, antwortete er mit fester Stimme. Aber jetzt musste er wirklich los. Sonst würde er nur wieder weinen. Und die Hirten warteten sicherlich auf ihn. Aber dieses seltsame Gefühl blieb. Und dem Blick des jungen Taguel, der an der Tür des kleinen Hauses stand, verriet ihm, dass er ebenfalls ein komisches Gefühl hatte. Es war die erste Schlacht, an der Gaius mitwirkte, seit Palne gestorben war. Natürlich war er nicht aus der Übung geraten, immerhin hatte er genug trainiert, um seinen Frust abzubauen ... doch ... Das Gefühl, besser nicht an diesem Kampf teilzunehmen, wuchs rasch in ihm – aber er durfte es nicht die Überhand gewinnen lassen. Nein. Das wäre schlichtweg falsch. Immerhin ... immerhin hatte er Palne versprochen, dass er ihrer statt auf die Familie der Erhabenen aufpassen würde, dass er mutig sein würde wie ein Taguel ... Palne, oh, ihr Götter, warum war sie bloß gestorben? Sie ... sie war doch ... Palne ... Die stärkte, mutigste Frau und Taguel, die er je gekannt hatte ... Aber die Tapferkeit, die sie an den Tag gelegt hatte, überstieg alles, was er je erlebt hatte. Ihrem Mut war es zu verdanken, dass der Großteil der Hirten diese Schlacht lebendig verlassen hatte, ihr war es zu verdanken, dass er lebte ... dass zumindest er zu Yarne zurückkehren hatte können ... Und dank ihres Einsatzes hatten sie solch eine starke Presche in die Reihen der Untoten geschlagen, sodass sie für eine Weile kein starkes Heer mehr zustande gebracht hatten, weshalb nur Grenzkämpfe stattgefunden hatten. Doch die Trauer und die Leere, die ihr Tod hinterließ, ließen sich nicht so einfach füllen. Nicht dadurch, dass sie die Untoten zurückgedrängt hatten. Nicht dadurch, dass sie Ylisstol vor einer Belagerung bewahrt hatten. Nicht dadurch, dass Yarne und er zusammengehalten hatten, als wären sie zwei Teile eines Ganzes ... Nichts konnte diesen Fleck in seinem Herzen ausfüllen, den sie so verdammt leer hinterlassen hatte ... Palne ... Er sah das Schlachtfeld noch genau vor sich. Die Flammen, die die untoten Magier gelegt hatten, um die Hirten einzukreisen. Die Takterin, deren Strategie so unschlagbar gewirkt hatte – und die durch einen Stich in ihr verdammtes Herz nutzlos geworden war. Die Beschützer Prinzessin Lissas, die getrennt worden waren. Er, der von seinem Posten abgekommen war … Diese verdammten untoten Biester hatten es irgendwie geschafft, sie alle in einen Hinterhalt zu locken ... und sie durch magische Explosionen an allen Seiten zu trennen – oder zu töten. Gaius ließ sein Schwert in die Gedärme eines Gegners fahren, während er versuchte, sich im Nebel, der durch die Explosionen aufgekommen war, zu orientieren. Palne – wo war sie? Es war Teil der Strategie, dass sie immer jeweils zu zweit vorrückten! Palne war seine Partnerin ... Aber wo war sie? Sie sollte doch kaum zu übersehen sein, wenn sie ihren Bestienstein benutzte! Doch der Rauch, der seine Kehle austrocknete und seine Augen zum Tränen brachte, der sich scharf und ätzend durch seinen Körper quälte, verhinderte, dass er etwas erkennen konnte, was sich nicht unmittelbar vor ihm befand. „Palne?“, rief er so laut wie möglich, woraufhin Husten ihn quälte, weil er zu viel Rauch geschluckt hatte. „Palne!“ Er erhielt keine Antwort. Irgendwo prallte Metall auf Metall. Die anderen kämpften. Ob sie ihre Partner nicht verloren hatten? Ein lautes Knurren ertönte irgendwo. Dieses Knurren würde er überall erkennen. Palne. Schnell rannte er in die Richtung, aus der er das Knurren wahrgenommen hatte und streckte währenddessen einen untoten Feind nieder, der ihm vors Schwert gelaufen war. Zumindest konnten diese Dinger auch nichts sehen. Gefährliche, rot glühende Augen betrachteten ihn für einen Moment und er fühlte sich sicher und geborgen. Er hatte sie gefunden. „Vorsicht!“, rief sie schnell aus – doch es war zu spät. Gaius wurde von irgendwoher von einem Blitz getroffen und zurückgeworfen. Nein. Es war nicht nur ein Blitz. Palne lag neben ihm – und einen Moment später erhob sie sich mit einem Grollen, woraufhin sie wieder im Rauch verschwand. „Folge mir!“, befahl sie ihm. Er erhob sich langsam. Seine Glieder schmerzten vom elektrischen Strom. Sie war so mutig. So entschlossen. Sie würde kein Mitglied der erhabenen Familie sterben lassen. Sie wartete auf ihn. Er war froh darum. „Gaius!“, erklang irgendwoher Libras Stimme – einen Moment später fühlte er sich besser. „Danke!“, rief er in den stechenden Rauch hinein - jetzt konnte er mit Palne schneller Schritt halten. Sie stürmte erneut voran und riss einen Untoten von den Füßen. Gaius beendete ihren Kampf mit einem gezielten Schwertstoß. „Gute Arbeit“, lobte Palne ihn. Er fuhr ihr durchs weiche Fell an ihrer Seite, was ihr ein amüsiertes Glucksen entlockte. Sie war wohl die Einzige, die in dieser Situation lachen konnte. „Pustekuchen“, antwortete er leichthin, „Wir müssen die Formation wieder einnehmen“, erinnerte er sie, „Lissa muss beschützt werden ...“ Sie und vier ihrer Kollegen waren für Lissas Schutz eingeteilt. Auch wenn der Plan bisher ein riesiger Fehlschlag war. Sich durch die bleibenden Bruchstücke an die Strategie zu halten, war vermutlich das Beste. Immerhin hatten sie keinen Taktiker mehr, der schnell einen neuen Plan konstruieren konnte. „Wenn sie uns nicht wieder bombardieren“, murrte seine Frau, während sie mit ihrer großen, bestialischen Nase zu seinem Gesicht fuhr und ihn anstupste, „Wir müssen weiter.“ „Ich halte mich an dir“, erklärte er ihr locker – sie nahm es wohl als Startschuss und schoss voraus. Ihre Sinne waren viel besser als seine – vermutlich konnte der Rauch ihr nichts anhaben. Sie war eben eine starke Frau. Seine Frau. Ein Untoter stellte sich ihnen in den Weg, als sie durch den Nebel schlichen und nach Lissa suchten. Der Untote attackierte Palne – Gaius blockte, indem er vor sie sprang. Sie hüpfte dafür auf den Untoten und stampfte ihn dadurch in Grund und Boden. Doch es blieb kein Moment zum Aufatmen. Der nächste von ihnen kam von hinten – und erst als sie mit derselben Taktik den dritten erledigt hatten, erkannte Gaius den Umstand, dass sie umzingelt waren. „Noch ein Hinterhalt“, murrte er. Scheinbar waren es ziemlich intelligente Untote. Immerhin hatten sie bereits zwei Pläne ruiniert. Hoffentlich hatte Frederick Lissa nicht aus den Augen verloren. „Sieben Anführer“, ertönte Palnes verzerrte Stimme neben ihm, „Und zehn pro Team“, fügte sie brummend hinzu, „Lissa ist ihr eigentliches Ziel.“ Was konnte sie bloß sehen, was ihm verborgen blieb? „Wir kümmern uns hier um unser Stück“, sagte er, während er den Schlag eines weiteren Feindes parierte, „Und danach klauen wir die anderen Stücke. Torten soll man nicht so schnell herunter schlingen, hast du gesagt.“ Genauso ungesund war es vermutlich, sich auf zu viele Untote zu stürzen – und auch nicht so lecker. Und vermutlich tödlicher. Der nächste Untote ihrer Reihe fiel. „Wir haben noch drei vor uns und zwei hinter uns, Gaius“, erklärte sie ihm, während sie einem ins Gesicht sprang. „Vier insgesamt.“ Und der nächste Moment verging so schnell, dass er das Geschehen kaum verstanden hatte. Palne streckte ihre Nase in die Höhe und schnupperte, das glänzende, braune Fell sträubte sich – und ein Schwert bohrt sich in ihre Seite, während ein anderer Untoter Gaius attackierte. Sie schrie auf – doch kein Schmerzlaut entrann ihrer Kehle, weil sie den Namen der Prinzessin laut und verzweifelt rief. Ohne das Schwert oder den Untoten vor sich zu beachten, stürmte seine Frau los. Der Nebel begann, sich zu lichten, während Gaius seinen Feind noch niederstreckte, wodurch von ihrem Kreis bloß noch zwei lebendige Untote verblieben waren – ihren Feind hatte Palne achtlos zertrampelt. Und noch ehe er sein Schwert hätte rühren können, ehe er mehr hätte tun können, als bloß den Mund aufzumachen, um ihren Namen zu schreien, sah er mit an, wie Lissa zur Seite geschleudert wurde, eine halbe Armee Untoter hinter sich, Fredericks Streitross reglos neben ihr, und Palne ... Palne von Pfeilen, Schwertern und Speeren gespickt vor ihr. Die riesige Gestalt Palnes war ein Schutzwall für Lissa. Die anderen Hirten reagierten. Sumia flog zu Lissa, zerrte die weinende, sich wehrende Prinzessin auf ihren Pegasus und flog davon. Rückzug ... Doch ... Wie sollte er sich zurückziehen, wenn Palne ... Plötzlich regte sich die Taguel wieder. Erst zuckte sie nur – Gaius rannte in ihre Richtung. Er würde sie nicht sterben lassen! Sodann erhob sie sich und sprang. Sie sprang vorwärts in diese kleine Armee von bestimmt zwanzig Untoten – sieben von ihnen war Anführer ins Gesicht geschrieben – und begrub sie unter sich. „Palne!“, schrie er laut und verzweifelt, in ihre Richtung stürmend, sein Schwert gezogen – bereit zum Angriff. Er würde sie nicht sterben lassen, verdammt! Plötzlich fühlte er Hände, die ihn zurückhielten. Stimmen, die auf ihn einredeten. „Gaius, nimm Verstand an, Mann!“, rief jemand. „Du kannst sie nicht retten!“, beschwor ein anderer, „Sie hat uns gerettet, nimm ihr Opfer dankbar an!“ Immer mehr Sprüche dieser Art drangen an seine Ohren. Doch keiner erreichte ihn. Keiner erreichte sein Herz. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Palne ... Palne ... Verdammt, nein – Palne! Schwerfällig schritt er die Straße entlang. Der Treffpunkt befand sich am Palast. Lissa würde wieder mitkommen, um die Männer zu motivieren – sie war eine starke, junge Prinzessin geworden. Er hatte dafür gestimmt, sie zuhause zu lassen. Prinz Owain wäre bestimmt nicht erfreut, ohne Mutter aufzuwachsen. Aber dafür gab es die Hirten. Sie würden die Prinzessin beschützen – und wenn es ihr Leben kosten würde. Und Gaius war ein Hirte. Ja, er war einer ... Mit ganzem Herzen. Und Palnes Tod hatte diesen Entschluss gefestigt. Er würde ihr Vermächtnis weitertragen. Als er am Palastplatz angekommen war, waren die Truppen bereits startbereit. Fredericks Nachfolge stand am Platz und belehrte die Männer. Der neue Taktiker stand neben ihm. Sie präsentierten die Pläne. Untote hatten sich – jetzt nach zwei Jahren – wieder versammelt und drohten erneut mit einer Belagerung. Scheinbar wollte jemand diese Stadt unbedingt fallen sehen. Sie würden es verhindern. Lissa stand neben ihnen und lächelte motivierend. Sie hatte Gaius persönlich ihren Dank, aber auch ihr Mitleid bekundet. Alle Hirten litten, wenn ihre Freunde fielen. „Lasst uns erneut die Untoten zurücktreiben!“, rief der Kommandant, verbesserte sich dann aber: „Nein, wir werden sie ein für alle Mal auslöschen!“ Jubel machte sich um Gaius herum breit. Doch dieses schlechte Gefühl verschwand einfach nicht. Hoffentlich würde dieser Kampf nicht in einem Desaster enden – oder zu etwas weitaus Schlimmeren ausarten ... Gaius befand sich neben Palne und strich ihr schweigend sanft über die Hand. Palne ... Sie musste leben ... sie konnte nicht ... Tränen rannen über seine Wange. Palne – sie durfte nicht ... Sie war alles, woran er denken konnte. Libra erhob sich kopfschüttelnd und legte ihm sanft eine Hand auf die zusammengesackten Schultern. „Es tut mir leid ... Die Gottheit Naga wird sich um sie kümmern ...“ Gaius wusste, dass der Mann weinte. Er weinte um jeden, den er nicht hatte retten können. Palne ... nein ... Nicht Palne ... sie durfte nicht zu jenen zählen, die er nicht retten konnte ... Nicht sie ... Nicht die Heldin ... Der Held starb doch niemals am Ende! Er beobachtete den Bestienstein, der neben ihr lag. Sie hatte ihn verloren, während die Hirten sie von den Waffen befreit hatten. Die anderen Heiler hatten zuvor schon aufgegeben. Libra hatte am längsten durchgehalten ... wenn sogar er ... „Gaius ...“, erklang ein Flüstern aus ihrem Mund und zwei rote Augen sahen ihn schwach an. „Palne!“, rief er überrascht aus. Sie lebte! Sie lebte! Er wusste doch, dass man Palne nicht unterkriegen konnte! „Palne!“ Noch mehr Tränen strömten aus seinen Augen. Wie konnte nur jemand glauben, Palne würde sich unterkriegen lassen? „Es ... es tut mir leid ...“, fügte sie geschwächt hinzu. Nein ... Palne ... Palne entschuldigte sich nicht! Nicht Palne ... Palne war ... Palne ... „Du ... du darfst mich nicht verlassen!“, flüsterte er, „Palne ... bleib hier – du ... du musst hier ...“ Sie schüttelte merklich angestrengt den Kopf und schloss ihre Augen erneut. „Nein!“, kreischte er beinahe. „Ta ... Taguel ... haben ... gute Ohren ...“, ermahnte sie ihn, wobei ihre Stimme nur noch ein Hauchen war. „Nein! Nein!“, flüsterte er, „Nein! Palne ... du musst leben, verdammt ... Lebe, Libra und Lissa ...“ Er wandte sich um.“Libra, Lissa! Palne!“ Beide sahen ihn mitleidvoll an und wandten dann den Kopf ab. Er war sich sicher, ein Schluchzen zu hören. „Diese ... Taguel ... ist an ihre Grenzen ... gestoßen ...“, fügte sie leise hinzu, „Verstehe ... das bitte ...“ „Nein!“, rief er, „Nein! Diese Taguel lebt ewig!“, entgegnete er, „Diese Taguel ist Palne!“ Ein Schluchzen entrann seiner Kehle. „Palne, du ...“ „Hör auf zu weinen wie ein Jungtier ...“, sagte sie mit plötzlicher Bestimmtheit. Er sah ihr in die Augen. Und bemerkte dort Tränen stehen ... „Sag ... sag Yarne ... dass ich ihn ... liebe und“, sie stockte für einen langen Moment und zuckte gefährlich mit der Hand auf eine Bauchwunde, „und beschütze ... die Erhabenen und …“ Nach einer kurzen Pause, in welcher sie ihre Augen erneut schloss: „Leb wohl, mein Liebster …“ „Nein! Palne! NEIN!“ Sein verzweifeltes Kreischen ertönte noch immer in seinen Ohren, wenn er daran dachte. Besser nicht in einem Kampf daran denken. Diesmal hatten die Untoten keinen Hinterhalt vorbereitet. Scheinbar hatten sie keinen neuen Taktiker erwählen können. Auch schön. Gaius kämpfte diesmal direkt an Lissas Seite. Sie wollte etwas gut machen, glaubte er. Aber da war nichts. Es war Palnes eigene Entscheidung gewesen. Und Palnes eigener Einsatz. Und jetzt würde Gaius Lissa erneut beschützen. Er führte alle Hauptschläge aus und verteidigte die Prinzessin mit all seiner Kraft. Mit der Kraft seines Schwertes. Und nachdem Lissas letzter Heilzauber gebrochen wurde, nachdem Gaius sein Schwert kaum mehr zu schwingen vermochte und er sich fragte, weshalb es vor Verschleiß noch nicht gebrochen war, erst dann bemerkte er, was er bereits lange schon hätte bemerken sollen. Sie waren in der Überzahl. Und sie würden erst Halt machen, wenn der Letzte der Ylisstoler sein Leben gelassen hatte. Gaius sah zu Lissa. Sie wirkte müde – völlig überanstrengt. Er seufzte. Vermutlich würde sein nächster Schritt kein einfacher Pustekuchen werden. „Flieht, Lissa!“, befahl er ihr, wobei er sein Schwert dem nächsten Untoten in den Magen rammte und dort stecken ließ. Er nahm die Prinzessin an der Hand und machte eine Kehrtwende. Er lief mit ihr davon, bis sie den Schreck überwunden hatte und von selbst rannte. Und als sie ihn überholt hatte, sobald er bemerkte, dass alle anderen ebenfalls den Rückzug antraten, blieb er stehen. Diese Untoten würden sie verfolgen. Sie würden sie verfolgen, bis jeder Einzelne von ihnen – und allen voran Lissa – tot war. Er rannte zurück in ihre Menge, hob einen fallen gelassenen Köcher auf und zog seinen Bogen. Er würde heute keinen Kuchen mit Geburtstagskerzen spicken – aber es würde in etwa so einfach werden. Na dann ... los! So etwas schaffte der alte Gaius wohl noch. Gaius befand sich in der Mitte des Schlachtfelds. Ein sorgfältiger Kreis toter Untoter umgab ihn. Immerhin war er ein Assassine. Da konnte er wohl mit Schwert und Bogen gleichzeitig umgehen. Pustekuchen. Diejenigen Untoten, die er nicht glatt erwischt hatte und die noch am Schlachtfeld herumkrabbelten und –krochen, bereiteten ihm Sorge. Hoffentlich würden die anderen für ihn aufräumen. Falls sie zurückkamen. Immerhin hatte er ihnen relativ glatten Rückzug ermöglichen können. Zumindest etwas … Er schloss die Augen. Und lächelte. Palne ... Er würde jetzt zu ihr kommen ... Yarne ... Sein Lächeln verschwand. Yarne ... er hatte sein Versprechen gebrochen ... Das war wirklich ... gemein ... Wieso ... wieso konnte er es nicht halten ...? Warum ... Tränen rannen herab. Aber nicht die blutenden Wunden an seinem Körper waren der Grund dafür. Sein Sohn würde elternlos aufwachsen müssen. Er hatte sein Kind im Stich gelassen ... Er ... er war ein miserabler Vater ... Palne ... warum konnte sie nicht noch da sein? Warum hatte sie ihn nicht davon abzuhalten, die Untoten allein erledigen zu wollen? Ach … vermutlich waren sie sich einfach von Anfang zu ähnlich gewesen … Vom Anfang … zum Ende … Er nahm kaum wahr, dass drei Leute ihn zu heilen versuchten. Er nahm kaum wahr, dass Lissa sich bei ihm entschuldigte, sich bei ihm bedankte ... Gaius nahm nichts mehr wahr. Er glaubte bloß, Palne vor sich zu sehen. Er streckte die Hand nach ihr aus ... Sie nahm sie ... „Hey Palne ...“, begrüßte er sie – wobei seltsame Trauer ihn umgab. „Ich kann Yarne nicht mehr beschützen ... Wie soll ich ihm bloß sagen, dass es mir Leid tut, dass ich das Versprechen gebrochen habe?“ Er erhielt keine Antwort. „Denkst du, die kandierten Feigen werden ihm genügen?“ Und damit trat er in Nagas Reich. Zu Palne. Vielleicht konnte er von hier oben Yarne beschützen – nein. Er würde einen Weg finden, seinen Sohn von hier aus zu unterstützen. Das war ein Versprechen. Yarne saß angespannt am Esstisch. Die kandierten Feigen vor sich. Sein Papa würde heim kommen. Sie würden zusammen diese Feigen essen. Und dann würden sie zusammen trainieren. Und er würde der stärkste und lebendigste letzte Taguel sein! Das hatte er seinem Papa versprochen. Und ein Versprechen brach man nicht. Taguel-Ehrenwort. Als es an der Tür klopfte, sprang Yarne freudig auf. Sein Papa war zurück! Es war Zeit zum Essen! Der Schock saß tief, als diese ganze Horde Menschenbrut vor ihm stand. Alle standen vor ihm ... außer sein Papa … Alle bedauerten sie ihn ... Sein Papa ... sein Papa war … Tränen stiegen in seine Augen. Papa ... sein Papa war gemein ... Sein Papa ... Die Prinzessin stand vor ihm. Sein Papa hatte sie beschützt. Seine Mama hatte sie beschützt. Er würde es auch tun. Er würde die Erhabenen beschützen! – Aber er würde überleben. Und als sich Yarne das in den Kopf gesetzt hatte, bahnte er sich einen Weg durch die Menschenbrut und hoppelte eilig zum Palast. Und die Erhabene, die er für immer beschützen würde, hieß Lucina. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)