Tänzer der Finsternis von Asmodina ================================================================================ Kapitel 1: The dance goes on ---------------------------- Es ist finster in dem Club in der großen Hauptstadt Deutschlands. Eine sehr intime Atmosphäre umgibt die Besucher, einzig ein paar Scheinwerfer durchbrechen die Anonymität. Das leise Klirren von Gläsern und die lauten Klänge psychedelischer Industrialmusik lassen die Wände erbeben. Langsam schreite ich durch den Raum, mein rot-weißes Barockkleid schleift leicht über dem Boden und die winzigen Steine meines Diadems reflektieren das sperrige Licht. Vereinzelt unterbrechen Grüße und flüchtige Umarmungen meinen Weg, welche ich gerne erwidere. Es tut gut, wieder zu Hause zu sein, denn auch wenn mein Wohnsitz weit entfernt liegt, so lebt mein Herz doch hier, an diesem düsteren, mysteriösen Ort. Vor dem DJ-Pult bleibe ich kurz stehen; eine mit einem schwarzen Lack-Catsuit und sehr hohen Plateauschuhen bekleidete Gestalt hebt den Kopf und lächelt mich sanft an. „Asmo-chan“, formen die sinnlichen Lippen und ein Strahlen gleitet über das ebenmäßige Gesicht. Ich erwidere es und finde mich in einer stürmischen Umarmung wieder. Einzelne Strähnen der langen, in Neonfarben gehaltenen Perücke kitzeln meine Wange. Die Augen funkeln, du grinst verstehend und zeigst auf die kleine Bühne. Ich steuere darauf zu; ein Tänzer mit kurzen, dunklen, leicht verwuschelten Haaren erblickt mich und begrüßt mich mit einer ungestümen, herzlichen Umarmung. Eine unglaubliche Wärme geht von dieser aus und in solchen Momenten weiß ich, warum ich diesen Mann als einen meiner besten Freunde bezeichne. Niemals zuvor hat mich jemand in einer persönlichen Angelegenheit so unterstützt wie er. Als wir uns voneinander lösen, sehe ich ein schelmisches Grinsen auf seinen Lippen und den unübersehbaren Schalk in seinen Augen. Unauffällig, für mich aber deutlich erkennbar, weist er mit dem Kopf auf die Umkleidekabine. Ich begreife sofort und zucke zusammen, und zu meinem Ärger fangen meine Wangen augenblicklich an zu glühen. „Muss das sein?“, zische ich gespielt sauer, worauf sich mein Gegenüber nur mühsam das Lachen verkneifen kann. Er nimmt mich bei der Hand und führt mich zu einem geeigneten Platz, ehe er selbst hinter den Kulissen verschwindet - nicht, ohne mir vorher einen eindeutigen Blick zuzuwerfen, welchen ich mit einer spielerisch geballten Faust erwidere. Nachdem ich mich gesetzt habe, füllt mein üppiges Kleid die gesamte Sitzfläche des ledernen Sessels aus. Es ist also unmöglich, sich neben mich zu setzen, worüber ich jedoch ganz froh bin. Denn schon jetzt, eineinhalb Stunden vor dem Beginn der Performance, klebt mein Blick regelrecht an der Bühne, verfolgt jede noch so kleine Bewegung. Meine Gedanken drehen sich wie ein Wirbelsturm im Kreis und unzählige Fragen lassen meine schweißnassen, kalten Hände kaum merklich erzittern: Was macht ER gerade? Wie geht es IHM? Weiß ER, dass ich heute Abend hier bin? Und, denkt ER an mich? Auf keine dieser Fragen kenne ich die eindeutige Antwort, gerade deswegen quält es mich so. Die Minuten ziehen sich wie ein Gummiband und ich bin froh, dass mich sehr viele Leute kennen; so ergeben sich lockere Gespräche, auch wenn diese meist auf Englisch oder in einer asiatischen Sprache geführt werden. Nahezu jeder von ihnen bemerkt den strahlenden Glanz in meinen braunen Augen und auch die Botschaft, welche er in sich trägt. Einzig allein IHM bleibt dieses Wissen verborgen, und das ist momentan vielleicht auch besser so. Denn der Pfad zu deinem Innersten ist lang, steinig und voller Hindernisse. Ich weiß das, weil ich mir vor kurzem erlaubte, einen Blick in deine Seele zu werfen: Noch nie habe ich soviel Pein, so viel Qual und so viel Zerstörung auf einmal gesehen. Und an dem Platz, wo einst dein Herz voller Liebe und künstlerischem Elan pulsierte, ist nur noch ein riesiger Scherbenhaufen. Jene Scherben sind blutrot und kaum größer als ein Sandkorn. Eine salzige Träne löst sich aus meinem Augenwinkel; in ihr liegt die stumme Frage: Was hat sie dir gesagt, dass dein Vertrauen zerbrochen? Was hast du bloß erlebt, dass Welt und Augen erblinden? Die Antworten kenne ich nur in den Grundzügen, doch bin mir gewiss, dass noch mehr im Verborgenen liegt. Eilig wischt meine behandschuhte Hand die Träne weg. Ich möchte nicht, dass jemand unangenehme Fragen stellt. Ein greller Paukenschlag, ähnlich einem Kanonenschuss, reißt mich aus meinen Gedanken und reflexartig wende ich den Kopf wieder zur Bühne. Dort wurde die karge Beleuchtung mittlerweile verändert; sie ist düsterer, bedrohlicher, ohne grelle Farben. Die Wände sind mit riesigen, weißen Leinen verhangen, auf die bizarre Kriegsbilder projiziert werden. Dabei liegt der Schwerpunkt jedoch nicht auf Blut und langsamen Sterben, sondern auf dem inneren Konflikt und der stummen Verzweiflung, welche diese Ausnahmesituation mit sich bringt. Auch die musikalische Untermalung ist nun anders: Zwar ist es immer noch sonderbarer Industrial, jedoch deutlich nachdenklicher und ohne jeden tanzbaren Flair. Plötzlich fahre ich, wie vom Blitz getroffen, zusammen; die Augen weiten sich wie in Trance und durch meine Adern scheint brennende Lava zu fließen. Der Puls rast so schnell, dass die Schläfen pochen. Ich weiß, DU bist da und es dauert nicht mehr lange, ehe ich DICH wieder sehe. Meine Sinne schärfen sich, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Eigentlich weiß ich nicht einmal, warum es passiert. Die letzten Sekunden verstreichen, ehe erneut ein dumpfer Paukenschlag ertönt. Gleich darauf betrittst DU, gefolgt von meinem besten Freund, die Bühne. Ihr tragt zwei mannshohe Holzstäbe bei euch; was werdet ihr damit wohl tun? Auf das übliche, zuweilen totenbleiche, Make-up wurde diesmal verzichtet; nur eure schon ohne ausdrucksstarken Augen sind betont. Besonders bei DIR hat es eine fast schon beklemmende Wirkung, vor der ich jedoch nicht zurückschrecke. Die langen, schwarzen, sehr schlichten Kleider, welche eure dünnen Körper bedecken, symbolisieren zusätzlich die Nähe zum Tod. Nicht wenige Besucher weichen leicht erschrocken zurück; in ihren Gesichtern steht der Schock, aber nicht bei mir. Nein, mich kannst du nicht verschrecken oder vertreiben. Meine Fingerknöchel treten weiß hervor, so sehr kralle ich mich mittlerweile in die Sessellehne. Der Tanz beginnt; schnell wird klar, dass die Holzstäbe als provisorische Waffen dienen. Sie schlagen gegen deinen Brustkorb, gegen die Beine, werfen dich brutal zu Boden. Und du erträgst alles, tanzt weiter mit fließenden Bewegungen, ohne eine Miene zu verziehen. Deine Augen sind starr und ausdruckslos, an den schwarzen, langen Haaren klebt der Schweiß. Er verleiht dir ein fast erotisches Aussehen, mein Herzschlag beschleunigt sich und du bist dir dieser Wirkung nicht einmal bewusst. Ich spüre, wie ich mich verändere, unsichtbar für die Außenwelt und doch existent. Dein Geist hat sich befreit und ich gehe durch die breitwillig geöffnete Pforte. Mit jeder deiner Bewegungen lichtet sich der Nebel und ein Teil deiner Gefühlswelt wird mir offenbart. Doch was meine Augen dort sehen, was meine Hände dort fühlen ist nicht nur die Dunkelheit, welche das gewohnte Leben mit sich bringt; es ist ein lebendig gewordener Alptraum. Jene im Streit gesagten Worte, welche als grausames Echo in meinen Ohren widerhallen, die geradezu endlose Qual, welche wie ein geisterhafter Schemen in der Luft hängt. Überall klebt Blut und dazwischen liegen, gut verborgen, die winzigen Scherben, welche einst dein Herz gewesen sind. Ich will schreien, doch meine Kehle ist wie ausgedörrt. Ich will dich halten, dich schützen, die Scherben Stück für Stück wieder zusammensetzen. Aber würdest du es zulassen? Lässt du mich so nahe an dich heran? Die Musik verstummt, die Performance ist zu Ende. Für einen kurzen Augenblick treffen sich unsere Blicke. Ich weiß nicht, was dein Blick mir sagt. Stumm und für dich nicht zu sehen, formen meine Lippen: „Ich liebe dich!“ Ohne mich noch einmal umzudrehen, verlasse ich den Club. Ende Kapitel 2: Der schwarze Stern ----------------------------- Von draußen dröhnen die lauten Beats der Industrialmusik an mein Ohr, selbst die Wände unserer kleinen Umkleidekabine vibrieren unter der Lautstärke. Ich bin gerade in mein langes schwarzes Kleid geschlüpft, welches ich bei dem heutigen Auftritt tragen werde. Am Saum sind einige weiße Flecken zu sehen, was mich jedoch nicht sonderlich stört. Ich werfe einen Blick in den beleuchteten Spiegel und versuche, meine schwarzen Haare ein wenig zu ordnen. Vor einigen Wochen habe ich sie seitlich abrasieren lassen, hinten jedoch sind sie weiterhin schulterlang. An meinem Gesicht fällt mir eigentlich nur die sehr bleiche Haut auf, und das ohne die Nutzung von Make-up; sie ist das Resultat von sehr häufigen Rücken- und Nackenschmerzen sowie unzähligen schlaflosen Nächten, welche zuweilen mit Alkohol getränkt waren. Zum Glück müssen wir heute die Augen schwarz schminken, auf diese Art und Weise bemerkt man es nicht. Viele meiner Freunde meinen, ich solle etwas kürzer treten, mich mehr entspannen, mehr auf mich achten. Aber es ist unmöglich: Tanzen ist momentan der einzige Weg zu vergessen. Wenn ich die Bühne betrete und die abstrakten Klänge sich meines Körpers bemächtigen, bin ich nur noch Disziplin und Konzentration. Jede persönliche Emotion stirbt für diesen, manchmal viel zu kurzen, Zeitraum. Mein Bühnenpartner betritt die Umkleidekabine; er ist um so viel positiver und auch offener als ich, besonders im Hinblick auf die englische Sprache, welche für uns Japaner schwierig zu lernen ist. Während ich zuweilen nach Vokabeln suche und oft nur beschämt den Kopf senke, plappert er einfach weiter, ohne sich um Fehler zu kümmern. Manchmal beneide ich ihn darum… Erst auf den zweiten Blick fällt mir sein schelmisch-sanftes Grinsen auf, was durch die etwas zu hell funkelnden Augen noch verstärkt wird; was zum Teufel hat er nun wieder vor? Langsam bin ich seiner Aktionen, besonders in Sachen Liebe, ziemlich überdrüssig, auch wenn er es nicht böse meint. Zumal in seinem Tun und Handeln ein Körnchen Wahrheit liegt: In meinem Innern wohnt eine Leere, klafft ein riesiges Loch, welches nicht zu füllen ist; warum versteht das niemand? Erst jetzt bemerke ich, dass sein Blick dezent zur Tür weist. Mit einem fragenden Gesichtsausdruck öffne ich diese einen Spalt bereit und… im nächsten Moment gefriert mir das Blut in den Adern. Dort, knapp zwei Meter von der Bühne entfernt, auf einem ledernen Sessel, sitzt SIE. Das rot-weiße, bodenlange Kleid bedeckt die gesamte Fläche, teilweise sogar die Armlehnen. Das glitzernde Diadem, welche ihre langen, rotbraunen Haare schmückt, verleiht ihr das Aussehen und die Würde einer Prinzessin. Schon viele haben ihr diesen Spitznamen gegeben und die Faszination jener Ausstrahlung vermag ich nicht zu leugnen. Ihre ebenfalls braunen Augen leuchten eine Spur heller als bei unserem letzten Treffen in Bonn. Nur zu gerne erinnere ich mich an diese Begegnung, besonders an jenen Augenblick, wo wir uns unter freiem Sternenhimmel umarmten. Ein Teil von mir hat sie damals nicht wieder loslassen wollen, denn ich habe mich so geborgen gefühlt; als würde ich von einer langen Reise zurückkehren. In meiner Brust regt sich etwas und ich fluche stumm. Nein, das darf nicht sein. Auf dem Absatz mache ich kehrt und hoffe, dass sie mich nicht gesehen hat. In der Kabine funkele ich meinen Partner wütend an, was dieser nur mit einem leisen Lachen quittiert. Eigentlich wollte ich mich jetzt in die Meditation begeben, denn dieser Teil der Vorbereitung ist mindestens genauso wichtig wie die körperliche Fitness. Aber meine ganze Konzentration liegt brach und meine so geliebte Stille bekommt einige tiefe Risse. Und das alles nur, weil SIE da ist; diese Frau zerstört meine so sorgsam aufgebaute Fassade, als wäre sie aus Papier. Nur mühsam kann ich meine Wut beherrschen; einzig allein meine verdächtig zuckende Hand verrät sie. Aber ein Blick zu meinem Partner sagt mir, dass er verstanden hat. Es ist soweit; wir müssen auf die Bühne. Jene nunmehr deutlich schwermütigeren Töne umhüllen meinen Körper wie ein Leichentuch, schwer liegt der hölzerne Stab in meiner Hand. Der Charakter und ich werden eins, verschmelzen zu einer Symbiose, zu einer untrennbaren Einheit. Aber so ganz will es mir heute nicht gelingen… Schuld daran ist zweifelsohne SIE. Die braunen Augen (weiß sie eigentlich, wie stechend diese sind?) sind auf mich fixiert und lassen mich nicht mehr los. Sie leuchten wie Bernsteine; ein freudig-warmer Ausdruck liegt in ihnen und genau dieser Ausdruck ist es, welcher das tote Ding in meiner Brust wieder zum Schlagen bringt. Nein, ich will das nicht! Mit dem Holzstab ziehe ich meinem Partner den Boden unter den Füßen weg und wende dabei mehr Kraft auf, als notwendig gewesen wäre. Er wird danach einige blaue Flecken mehr haben. Ich versuche, vollkommen in dem Tanz aufzugehen, wirklich alles zu geben. Jede meiner Bewegungen soll pure Dramatik, pures Können ausdrücken. Aber ich kann diese Wut auf mich selbst kaum noch kontrollieren, immer wieder werfe ich einen Seitenblick in ihre Richtung. In der Mitte der Performance verändert sich ihr Gesichtsausdruck; er wird trauriger, sie zittert wie Espenlaub und ein paar Tränen glitzern in ihren Augen. Kann es wirklich sein…? Nein, das ist unmöglich; niemand kann die persönlichen Gefühle oder meinen Schmerz hinter meinen tänzerischen Bewegungen erkennen. Ich gehe zu Boden, aber diesmal ist mein qualvoller Blick authentisch und nicht gespielt wie sonst. Unsere Blicke treffen sich, wie im Nebel sehe ich, wie sie ohne Furcht die Hand nach mir ausstreckt. Würde sie mich wirklich halten, selbst in der dunkelsten Stunde? Das warme, ohne Zweifel angenehme Gefühl verstärkt sich. Ich weiß, warum ich sie in mein Leben ließ, die größte Qual und den schwersten Verlust, welchen ein Mensch erleiden kann, mit ihr teilte. Ihre Lippen haben immer ein freundliches Wort gesprochen, haben Trost gespendet und meine Welt bis zu einem gewissen Grade auf den Kopf gestellt. Zum ersten Mal habe ich meinen Wert erkannt, in einer Zeit, wo er schon verloren schien… Und in ihren Umarmungen fühlte ich eine Sicherheit, wie sie mir niemand anders hätte geben können. Die Performance ist zu Ende, mein Partner und ich ziehen uns zurück, heißer Schweiß rinnt von unseren Körpern. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sie ebenfalls den Club verlässt, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen. Ihr Mund formt einige Worte, die ich nicht verstehe. Doch ein großer Teil von mir möchte ihr nachlaufen. In der schützenden Kabine sinke ich zu Boden, ringe mit dem Kopf in den Händen. Mir dämmert langsam, was das für ein Gefühl ist. und so ziemlich alles in mir sträubt sich dagegen. „Mensch Shimo“, dringt die Stimme meines Partners an mein Ohr, „wieso sagst du ihr nicht einfach, dass du sie liebst?“ Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)