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Let's live

Eine OneShot-Sammlung zu Haikyuu-Pairs
von

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Ein bisschen Schicksal steckt in allem

I. Ein bisschen Schicksal steckt in allem
 

“If you find someone who makes you smile, who checks up on you often to see if you’re okay. Who watches out or you and wants the best for you. Who loves and respects you. Don’t let them go. People like that are hard to find.”
 

— Unknown
 


 

Oikawa glaubte nicht an das Schicksal.
 

Schicksal war eine Ausflüchte, wenn man mental nicht stark genug war, die omnipräsenten Realität zu bewältigen und sie in all ihren guten und schlechten Facetten zu akzeptieren.
 

Schicksal war romantische Albernheit im verklärtem Weltbild – und dennoch gab es einen Moment in dem er sich diesem Wahn hingeben wollte.
 

Oikawa glaubte an Menschen.
 

Menschen konfrontierten Menschen jeden Tag. Kein Mensch konnte ein Leben führen ohne auf einen anderen Menschen zu stoßen, sich von ihnen beeinflussen zu lassen, geliebt und gehasst zu werden und vor allem von ihnen geformt zu werden. Menschen erschufen Dinge, die andere Menschen in ihre Leben aufnahmen, Musik, die einen bewegte, Geschichten, die einen berührten, Kriege, die einen zerstörten, Religionen, die einen auf ein anderes Leben hoffen ließen.
 

Menschen erschufen Menschen.
 

Dies war ein grundlegender Fakt, den er selbst mehr als einmal in seinem Leben bewiesen bekommen hatte. Die Angst vor Genies auf dem Volleyballfeld, die Kraft der Kameradschaft, den Frust von nicht überwindbaren Mauern, der Freude von gewonnen Hürden. Alles Empfindungen, die von Menschen geschaffen wurden. Empfindungen in den kein Schicksal involviert gewesen war. Schicksal erschuf keine Menschen. Wenn schon erschufen Menschen ihr eigenes Schicksal. Er hatte bestimmt zu vertrauen, zu kämpfen, der Welt zu zeigen, was er wert war.
 

Und dennoch empfand er eine kleine Sache in seinem Leben als Schicksal.
 

Lächelnd drehte Oikawa seinen Kopf energisch zu Seite, was den Jungen neben ihm einige Zentimeter weichen ließ. Stirnrunzelnd starrte ihn Iwaizumi an, hielt inne im Trinken seines Safts.
 

„Ah, du siehst aus wie der behämmerte Hamster auf YouTube.“
 

Oikawa lächelte auf die Beleidigung nur noch breiter. Zweifelnd über den Geisteszustand seines Freundes, zogen sich Iwaizumis Augenbrauen noch enger zusammen.
 

„Jetzt siehst du einfach nur noch bekifft aus.“
 

„Hmmm“, erwiderte er lange summend, tippte sich gespielt nachdenklich mit dem Zeigefinger gegen sein Kinn, bevor er mit einem schelmischen Ton erwiderte:„Vielleicht bin ich es ja, wer weiß?“
 

„Vielleicht bis du auch einfach nur ein riesengroßer Vollidiot?“, seufzte Iwaizumi, worauf Oikawa nur herzhaft lachte. Dann warf er einen Arm um den Kleineren und zog ihn in eine enge Umarmung gegen die sich der Andere halbherzig wehrte.
 

„Deine Beleidigungen sind wirklich die aller schlechtesten der gesamten Menschheit.“
 

„Ach, verpiss dich doch einfach!“
 

„Na, nicht möglich. Immerhin sind wir vom Schicksal auserkoren wurden.“
 

Menschen erschufen Menschen. Schicksal war eine romantische Fantasie.
 

Dennoch glaubte Oikawa daran, dass Iwaizumi zu treffen eine übernatürliche Fügung seines Lebens gewesen sein musste. Es verging kein Tag an dem er nicht aufhörte, erstaunt über die Tatsache zu sein, ein Menschen, der unterschiedlicher von ihm selbst nicht sein konnte, getroffen und dessen Vertrauen erlangt zu haben und besonders darüber, dass dieser in seinem Leben geblieben war.
 

Es war Iwaizumi, der ihn am meisten geschaffen und zudem gemacht hatte, was er heute war.
 

„Du bist wirklich ein Vollidiot“, ließ Iwaizumi laut verlauten, wobei er ihn leicht mit seinem freien Arm in die Seite boxte.
 

„Yeah, wohl war. Immerhin glaube ich an unser Schicksal für immer an der Seite des Anderen zu sein.“ Lächelnd wuschelte er über den Haarschopf des Kleineren, worauf dieser nur missmutig grunzte.
 

Kurz herrschte Stille in denen sie nur so dastanden, das Prasseln des Regens gegen das Plastikdach über ihnen, wartend auf den Bus, den Fortgang ihres alltäglichen Lebens, während das fremder Menschen an ihnen vorbeizog.
 

Schließlich nuschelte Iwaizumi etwas, was im Getöses eines vorbeifahrenden Autos unterging. Doch im Nachhinein erschien es Oikawa nicht so wichtig, als der Andere sich dichter an ihn lehnte, mit leichter Röte und möglichst versuchend verdrossen dreinzublickend.
 

Oikawa glaubte an die Menschen und ein klein wenig an das Schicksal.
 

Aber als er Iwaizumi noch ein Stückchen näher an sich zog und dessen rasenden Herzschlag, dessen Wärme und dessen warmen Atem im Nacken spüren konnte, wurde ihm sein größter Glauben bewusst.
 

Vor allen anderen existenten Wahrheiten, glaubte er in erster Linie an Iwaizumi.

Nach dem Mond fragen

II. Nach dem Mond fragen
 

“People aren’t either wicked or noble. They’re like chef’s salads, with good things and bad things chopped and mixed together in a vinaigrette of confusion and conflict.”
 

— Lemony Snicket
 


 

Es war nicht mehr genug.
 

Yamaguchi kannte dieses Gefühl nur zu gut. Er empfand es selten, doch wenn es die Oberfläche seines Bewusstseins durchbrach, dann meistens mit immensen Auswirkungen. Diese Auswirkungen waren bisher jedoch nur positiver Natur gewesen, ein netter Stoß in Richtung Selbstbewusstsein.

Der Drang mehr zu trainieren, mehr zu studieren, mehr anderen Menschen zu helfen, mehr von allem um ein besserer Mensch zu werden. Dementsprechend erschütterte es ihn in seinen Grundfesten, als er erkannte, was genau nicht mehr genug war.
 

Es war nicht mehr genug nur Tsukishimas bester Freund zu sein.
 

Er wollte mehr. Mehr Beachtung, mehr Nähe, mehr Berührungen, mehr von allem um der Mensch zu sein, der Tsukishimas Herz sein Eigen zu nennen.

Noch nie in seinem Leben hatte Yamaguchi so viel Angst vor seinen eigenem Verlangen gehabt.
 

Normalerweise würde er dem Verlangen nachgeben, so war er diesem Drang bisher immer entgegen gekommen. Einfaches passieren lassen, einfach leben lassen. Doch in dieser Hinsicht wurde ihm bewusst, dass sich fallen lassen, keinerlei akzeptable Option war. Fallen lassen, würde zu einem harten, schmerzhaften, brechenden Kollidieren führen.

Es würde sein Herz einfach zerschmettern und dann wäre für immer alles genug.
 

Jedoch stellte Yamaguchi fest, dass er kein Mensch war, der sein Verlangen unterdrücken oder gar kontrollieren konnte. Er war ein Mensch mit Herz und ohne Verstand. Und sein Herz ohne Verstand verlangte nach dem Verstand ohne Herz. Verlangte so sehr danach, dass jede Sekunde eine Qual wurde, die es nicht leben konnte. Es gierte solange bis der Körper sich ergab und ohne Widerstand jedem Befehl befolgte.
 

Innerhalb einer Sekunde, einer Bewegung, ließ sich Yamaguchi in sein Verlangen fallen, sich den Folgen seines Handelns im Klaren.

Jedoch war es ihm wert. Wert, da es ein Moment war, wenn auch nur einen Augenblick lang, der gelebt werden musste. Der in all seiner Unvollkommenheit alles war, wofür es sich lohnte, alles aufs Spiel zu setzen. Auch wenn es das eigene Herz war.
 

Yamaguchi stand auf seinen Zehnspitzen, seine Hand im Kragen des Anderen verkrampft und seine Lippen auf die von Tsukishimas gepresst – und niemals zuvor hatte er sich lebendiger und zerissener zugleich gefühlt.
 

Es war nicht mehr genug.

Hände umschlagen Körper, Lippen begrüßten sich, Wärme des Anderen wurde willkommen geheißen.

Es war nicht mehr genug und daran war absolut nichts falsch.

Es unverblümt sagen

III. Es unverblümt sagen
 

“There were only two options - something was wrong with everyone else, or something was wrong with me."
 

— David Levithan
 


 

Sawamura war der Ältere.
 

Allein dieser Fakt sollte genügen, dass ihre Positionen vertauscht waren. Jahre brachte Erfahrung, Verantwortung und Respekt mit sich. Wobei er zugeben musste, dass er so gut wie gar keine Erfahrung mit solchen Sachen hatte, seine Verantwortung hin und wieder Urlaub machte und Respekt so ein Thema war, zumindest wenn es um die Person vor ihm ging. Sie respektierte, aber gerne auch auf eine Weise, die mehr giftig, statt hochachtungsvoll war. Das änderte auch nichts an der Tatsache, dass er der Teamkapitän war, sondern stachelten den Anderen von Zeit zu Zeit sogar noch mehr an, ihm gegenüber frech und gehässig zu sein.

Somit, wenn er genau überlegte, war sein Alter eher eine dürftige Ausrede, warum er derjenige sein sollte, der den ersten Schritt wagte. Wobei ihm noch immer die Tatsache verwirrte, dass es überhaupt einen Schritt gab.

Unsicher runzelte Sawamura die Stirn, schulterte seine Sporttasche etwas zu heftig und etwas zu grob, weil seine Arme zu einer zitternden Puddingmasse verkommen waren.

„Bitte was?“, fragte er unsicher nach, wobei er ein nervöses Lächeln zustande brachte, was sogar ihm fremd war.

„Geh' mit mir aus“, wiederholte Tsukishima seine Worte, die schon vor einigen Sekunden aus seinem Mund wie Pistolenkugeln geschossen waren. Noch immer stand der Jüngere dabei völlig entspannt da, Hände in den Taschen und seine Kopfhörer auf Halbmast, so als hätte er während er Musik hörte, sich doch lieber für ein Gespräch entschieden, anstatt für Klänge und Lyrics. Dabei verzog er keinerlei Miene, die hätte auf einen schlechten Witz oder eine ernstgemeinte Bitte hinweisen können.

Weiterhin konnte Sawamura mit der Aufforderung nichts anfangen. Dabei konnte er nicht wirklich sagen, womit er weniger anfangen konnte. Dass ihn tatsächlich jemand um ein Date bat, dass es ein Junge war oder, dass es im allgemeinen Tsukishima war, der nach einem Date fragte.

„Warum sollte ich?“, war also seine äußerst schlappe und taktlose Erwiderung. Im Nachhinein hasste er sich ein wenig dafür und schloss für einen Moment die Augen, um sich selbst auszuschimpfen. Doch seinem Gegenüber schien das nicht weiter zu stören, so als hätte er mit solch einer Frage von vornherein gerechnet.

„Mein Geburtstagsgeschenk.“

„Was?“

Tsukishima stieß einen tiefen Seufzer aus, was Sawamura leicht erzürnte. Der Größere hatte keinerlei Grund genervt zu werden. Immerhin war er Derjenige, der aus dem Nichts erschienen war und mit unmöglichen Sachen aufwartete.

„Heute ist mein Geburtstag. Es wäre also mein Geschenk von dir an mich.“

Ungläubig starrte Sawamura den Anderen an, der nur leicht mit den Schultern zuckte, als wäre egoistisch Geschenke einfordern das Normalste der Welt.

„Nun, alles Gute zum Geburtstag, Tsukishima?“, sagte er langsam, das Gefühl habend, gerade in eine Falle getappt zu sein. Zum ersten Mal seit das seltsame Gespräch begonnen hatte, huschte ein unheilvolles Lächeln über Tsukishimas Lippen.

„Dankeschön. Bis Morgen dann. Ich komme um 13 Uhr vorbei.“

Bevor Sawamura widersprechen konnte, stieg der Jüngere auf sein Fahrrad, richtete seine Kopfhörer, winkte noch einmal zum Abschied und fuhr los.
 

Er war der Ältere – und schien komplett von einem Jüngeren ausgeknockt wurden zu sein.

Rote Früchte

IV. Rote Früchte
 

"Red is the great clarifier - bright and revealing. I can't imagine becoming bored with red - it would be like becoming bored with the person you love."
 

— Diana Vreeland
 


 

Azumane starrte die rote Frucht an.
 

Er mochte Früchte aller Art. Ihr saftiger Geschmack und ihr meist angenehmes Aroma waren eine Wohltat für sein Gemüt. In einer Zeit hatte er sich sogar mit deren Bedeutung beschäftigt, die Informationen hier und da leicht lächelnd aufgesogen und seitdem immer wieder abgerufen, wenn ihm danach war. Solche kleinen Dinge mochten für den ein oder anderen Menschen banal erscheinen, doch für ihn waren sie nun einmal ein Teil seines Wesens.
 

Er liebte nun einmal die kleinen Dinge des Lebens.
 

Sein jedoch angehäuftes Wissen verunsicherte ihn im Moment. Ihm war bewusst, dass er gerade zu viel in die Geste hinein interpretierte, jedoch konnte er sich dessen nicht erwehren und plötzlich war ihm nach heulen zumute. Er spürte wie die Bedeutung in seinem Kopf herumirrte und sich in seinen Schädel fraß, seine Augen anfingen zu jucken und ihm heiß wurde.
 

„Was machst du für ein Gesicht, Asahi? Magst du keine Kirschen?“, fragte Nishinoya, der ihm noch immer die Kirsche hinhielt und jetzt besorgt die Augenbraue zusammen zog, sichtlich irritiert über die Reaktion des Größeren. Azumane schüttelte hektisch den Kopf, wobei er versuchte seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen.

Er wusste, dass er völlig überreagierte, da seinem Gegenüber wahrscheinlich nicht einmal bewusst war, was die Kirsche bedeutete, dennoch berührte es ihn auf eine Art und Weise, dass er sich nicht anders helfen konnte, als beinahe anzufangen zu weinen.
 

„Heulst du?“, dabei schaute der Kleinere geschockt drein und ließ endlich die Kirsche sinken, nur um näher an ihn heranzutreten.

„Nein. Nein, ich heule nicht.“

„Aber deine Augen sind ganz rot.“

„Ich heule nicht. Ich bin nur...gerührt.“

Jetzt schaute Nishinoya völlig verwundert aus der Wäsche und ein wenig hilflos, da er sich nicht sicher war, warum der Größe bei einem Stück Essen mit einmal so aufgelöst war.

„Gerührt? Von einer Kirsche?“

Azumane konnte nicht anders, als leicht zu lachen auf die zweifelnde Frage seines Gegenübers, was den Anderen ein wenig verärgerte.

„Es ist die Bedeutung der Kirsche.“

„Bedeutung?“

„Ja, ihre Bedeutung. Wie zum Beispiel der Granatapfel ein Symbol der Fruchtbarkeit ist.“

Mit einem kuriosen Blick, musterte der Kleinere von ihnen die Kirsche in seiner Hand und drehte sie einige Male hin und her.

„Und was bedeutet sie?“

Kurz schwieg Azumane, seine Stimme festigen und sich darauf vorbereitend, ausgelacht zu werden.

„Selbstfindung und Selbstopferung.“
 

Die Kirsche in Nishinoyas Hand kam zum Stillstand. Erst rührte er sich nicht, bis er schließlich mit ernster Miene zu dem Größeren aufsah. Einige Sekunden starrten sie sich nur in die Augen, als der Kleinere die Kirsche weglegte, zurück zu all den anderen ihrer Art.
 

„Hm...und was bedeutet der Apfel?“

Zuerst reagierte Azumane nicht auf die Frage, da ihm die Reaktion des Kleineren verwunderte, hatte er doch mit etwas ganz Anderem gerechnet. Erst als Nishinoya ein zweites Mal und dabei ein wenig gepresster nachfragte, war er zu einer Antwort imstande.

„Auch Fruchtbarkeit. Jedoch auch als der erste Sündenfall und der Reichsapfel als Sinnbild der Weltherrschaft. Ebenso wird aber auch ein roter Apfel als Liebessymbol gesehen.“

Der Jüngere nickte nur und ließ dann seine Hände über die Obstauslage schweifen, bis er den wohl mit Abstand rötesten Apfel umgriff, den es dort gab.

Er atmete kurz tief ein und aus und hielt ihm schließlich die Frucht entgegen, wobei sein Gesicht fast die selbe Farbe wie der Apfel aufwies.

„Dieser hier ist passender.“
 

Azumane war sich sicher, dass er noch niemals ein schöneres Rot gesehen hatte.

Glasierter Weltschmerz

V. Glasierter Weltschmerz
 

“Reality sucks no matter where you go. Honestly, I’m sick of it.”
 

— Adachi Tohru
 


 

So, hier ist die Wahrheit.
 

Die Welt drehte sich niemals nach eigenem Willen. Man vermochte sie in eine Richtung zu schubsen, sie zu verlangsamen oder ihr Tempo zu beschleunigen, doch am Ende würde sie immer ihre eigene Richtung einschlagen.

Denn die Welt war ein selbstsüchtiges Biest, welches deinen Klagen und Bitten selten Gehör schenkte.
 

Wenn dir die Wahrheit nicht schmeckt, dieser unabänderliche Fakt, dann schmiere Glasur über sie. Äußerst süß und in dicker Schicht, voll gestopft von Geschmacksverstärkern, so dass der bittere, trockene Beigeschmack erträglich und genießbar wird. Doch bedenke immer, dass es unecht ist, dass du nur einen notdürftigen Ausgang aus der eigentlichen Misere erfunden hast.
 

Die Welt schenkt dir einen Menschen.

Die Welt entscheidet, dass deine sonstigen freundschaftlichen Gefühle eine hundertachtzig Grad Drehung vollziehen.

Die Welt lässt dich lieben.

Die Welt schließt jedoch aus, dass der andere Mensch die selbe Drehung vollzieht.
 

Das ist die Wahrheit und ganz ohne Glasur.
 

Iwaizumi hasst diese Wahrheit.

Hasst, dass seine Glasur über all die Jahre abgegrast wurde. Hasst, dass die Wahrheit so unschmackhaft war. Hasst, dass die Welt ihm nichts Gutes tat.

Hasst, dass er liebt.
 

Und Oikawa lächelt, wirft einen Arm um seine Schulter und erzählt ihm dumme Sachen, ohne zu ahnen, was in seinem Kindheitsfreund vor sich geht.
 

Iwaizumi fragt sich, ob Oikawa und er noch auf der selben Welt leben.

Fragt sich, wie es möglich sei, dass ein und die selbe Welt sich in zwei verschiedene Richtungen drehen konnte. Fragt sich, warum seine Tränen keinen Stopp fanden und wie oft sein Herz brechen könne, bis es seinen Geist aufgab. Fragt sich, weshalb die Wahrheit nur in einer Geschmacksrichtung existiert.

Fragt sich, wie lange die Welt sich noch so drehen würde oder ob es dafür kein Limit gäbe.
 

Und Oikawa lässt ihn los, rennt von ihm weg, ohne sich noch einmal zu ihm umzudrehen, in dem Glauben, dass sein Kindheitsfreund immer in seinem Windschatten sein werde.
 

Iwaizumi möchte die Macht besitzen, die Welt nach seinem Willen zu formen.

Möchte die Wahrheit umschreiben können. Möchte eine dickere Glasur erfinden. Möchte der eigene Herr in seinem Haus sein.

Möchte in der Lage dazu sein, die Welt eines anderen Menschen in die selbe Richtung wie der seinen zu drehen.
 

Und Oikawa bleibt irritiert stehen, dreht sich mit fragendem Blick zu ihm um, ruft nach ihm, da er sich nicht erklären kann, warum sein Kindheitsfreund ihm nicht schon längst folgt.
 

Hier ist die unschmackhafte Wahrheit.

Die Welt gehorcht nur sich selbst.

Wir können nur innigst hoffen, dass sie irgendwann einen anderen Kurs einschlägt.

Sollte sie das nicht, dann ist alles, was zu sagen bleibt:
 

„Aber bitte mit Glasur“, flüstert Iwaizumi und folgt mit grimmiger Miene und einem abgeschabten Herzen seinem Freund.

Konsenstheorie der Wahrheit

VI. Konsenstheorie der Wahrheit
 

“Of course I’ll hurt you. Of course you’ll hurt me. Of course we will hurt each other. But this is the very condition of existence. To become spring, means accepting the risk of winter. To become presence, means accepting the risk of absence.”
 

— The Little Prince
 


 

Sie würden niemals einen Konsens bilden.
 

Warum auch? Sie waren so unterschiedlich, was ihre Lebensart und ihre Wesen angingen, es wäre nur Arbeit und Mühe. Eine Leistung, die Tsukishima nicht erbringen wollte. Sie würde Fleiß und Ausdauer verlangen, endlose Diskussionen und Missverständnisse, ein beständiges Auf und Ab.
 

Und für was? Für eine Kameradschaft? Eine Freundschaft, die so dünn wie ein Bindfaden war und ebenso leicht bei zu viel Spannung, zu viel Druck, zu viel Gewicht und Bürde zerreißen würde? Eine Bekanntschaft, die nur solange halten würde, wie sie gemeinsam zur Schule und in den gemeinsamen Sportclub gingen?
 

Der Mühe also nicht wert.
 

Dennoch, in stillen Momenten wie diesem, spürte Tsukishima ein Ziehen in seinem Innersten. Ganz schwach, links unter seinem Herzen und dennoch penetrant, aufdringlicher als eine Katze, die nach ihrem Essen verlangte. Es war nicht schmerzhaft, nicht hinderlich oder gar weltbewegend.

Es war einfach da.
 

Tropfen perlten von Kageyamas nassen Haaren ab, fielen im Sturzflug zur Erde oder rannten ein Rennen über dessen Haut zu seiner Kleidung. Einige Sonnenstrahlen brachen in ihnen, spielten ein farbenfrohes Spiel, bevor sie wieder verschwanden und wo anders ihren Weg über die Welt suchten.

Ein langer Atemzug, eine Ruhe, in der Ferne Vogelgezwitscher und Rufe von anderen Menschen, ein Ausatmen, ein Öffnen der Augen und zwei dunkle Iriden starrten ihn unverhohlen an.
 

Das Ziehen wurde stärker, dennoch ignorierte er es. Konnte es. Wollte es. Denn alles andere würde auf eine Konfrontation hinauslaufen, die Tsukishima nicht bereit war zu riskieren. Die, wie sein Verstand ihm logisch mitteilte, nur in einem Desaster, einer unvermeidbaren Enttäuschung enden würde. Würde er dem Ziehen, den nötigen Respekt, die nötige Würde entgegenbringen, dann würde sich ein klarer Weg vor ihm pflastern, den er fast schon ertasten konnte.
 

Kageyama rührte sich. Griff nach seinem Handtuch, um sich damit fahrig übers Gesicht zu wischen, nur um es dann locker um seine Schultern zu werfen. Dabei ließ er ihn jedoch nicht eine einzige Sekunde aus den Augen. Beobachtete ihn mit einem undefinierbaren Blick. Schließlich verschränkte er die Arme vor der Brust, schien auf eine Reaktion von Tsukishima zu warten.
 

Eine Reaktion von der Beiden erahnten, dass sie ihre gemeinsame Nicht-Zukunft verändern würde. Eine Nicht-Zukunft, die eigentlich nicht existierte, da sie Beide entschlossen waren, keinerlei Verbindung aufzubauen, die mehr als nötig durch ihr alltägliches Leben war. Somit war allein die Erwartung irgendeiner Reaktion unverständlich, unbegreiflich - und dennoch vorhanden. Wie das schwache Ziehen in Tsukishimas Herzen.
 

Sie würden niemals eine Zukunft haben. Sie würden niemals den selben Weg gehen und die selben Empfindungen haben. Sie würden niemals Eins sein und niemals unzertrennlich.

Tsukishima war sich diesem mehr als bewusst.

Atmete und lebte diese logische Erkenntnis.
 

Nichtsdestotrotz setzte er einen Fuß nach vorne auf den Weg in die Nicht-Zukunft.

Zu seiner eigenen Überraschung begrüßte ihn Kageyama auf halber Strecke, so als hätte er schon eine Weile am Wegesrand geduldig auf ihn gewartet.

Tropfen perlten auf seine trockene Haut, luden ihn zusammen mit weichen, warmen Lippen und starken, kalten Händen in seinem Nacken auf einen angenehmen Spaziergang oder gar einen langen Wanderweg ein.
 

Sie würden niemals einen Konsens bilden – und vielleicht war es genau das, was sie zusammenhalten würde.

Singuläre Wetteranomalie

VII. Singuläre Wetteranomalie
 

“There’s nothing more intimate in life than simply being understood. And understanding someone else.”
 

— Brad Meltzer, The Inner Circle
 


 

Unwetter waren nichts neues für Akaashi.
 

Immerhin brachen sie in regelmäßigen Abständen über ihn herein. Zuerst waren sie ein unwillkommenes Ärgernis gewesen. Später ein nicht vermeidbares Ereignis. Zum Schluss nur noch ein nerviger, aber handelbarer Umstand.

Natürlich wäre es für ihn angenehmer, wenn von vornherein kein Unwetter existiere. Denn wer tauschte schon gerne sein Schönwetter gegen ein unbändiges Phänomen ein?

Unwetter waren, egal wie man es dreht und wendet, eine ungeheuerliche Plage.
 

Gleichwohl faszinierten sie auch.

All ihre negativen Eigenschaften, das plötzliche Umschwingen, das heftige Stürmen und krachende Donnern, das rasche Auftauchen und Verschwinden, die unheimliche Intensität, all dieses Unvorhersehbare, bildete eine bizarre Kuriosität, der man sich nicht entziehen konnte.

Unwetter waren, egal wie man es dreht und wendet, ein mitreißendes Abenteuer.
 

Bokuto war der Inbegriff eines Unwetters.
 

In einem Moment war er ein energiegeladener Sonnenschein, im nächsten eine schmollende Wolke. Depressiv von übermütig abgewechselt, Freude von Panik, ein Topf voller Farben, der sich niemals für eine länger als eine Stunde entscheiden konnte.

Ein Unwetter wie im Bilderbuch.

Anfänglich hatte Akaashi mit sich selbst kämpfen müssen, da solche Personen allgemein für ihn gewöhnungsbedürftig waren. Nach einiger Zeit tolerierte er dieses Verhalten und irgendwann gehörte es zu seinem Alttag wie die Luft zum Atmen.
 

Folglich war er nur minder bis überhaupt nicht überrascht, als ein komplett durchnässter Bokuto morgens um 5 Uhr an seiner Wohnungstür stand.

Ein lautes Krachen am Himmelszelt ertönte und ein kalter Windstoß fegte über die Erde, welcher Akaashis Beine streichelte und somit seine Härchen aufstellte. Das nasse Bündel vor ihm begann zu zucken und zu zittern, was mehr als eindeutige Zeichen für den Überraschungsbesuch waren.

„Nun“, sagte Akaashi, da sein Leben ein einziger kosmischer Witz war und trat an die Seite, damit der Größere eintreten konnte.
 

Dieser flitzte förmlich in die Sicherheit der kleinen Apartmentwohnung seines Mitstudenten, nur um eine Schneise aus Wasser und Dreck hinter sich zu lassen. Innerlich seufzte Akaashi, aber es war auch seine eigene Schuld, wenn er ein Unwetter in sein Haus Einzug gewährte.

Es dauerte nicht lange und Bokuto hatte den Weg ins Bad gefunden, um dort mehrere Handtücher auszuprobieren, bis er eines fand, was seinen Ansprüchen an Weichheit und Länge genügte, nur um dann den Kleiderschrank zu durchstöbern, da er dort immer einige Ersatzkleidungsstücke deponierte. Indes setzte Akaashi Kaffee auf und schaute dem Gewitter vor seinem Fenster zu, welches über ihrer Stadt wütete.
 

Schließlich gesellte sich Bokuto zu ihm, beide eine dampfende Tasse frischen Kaffees in der Hand. Irgendwann fanden die Füße des Größeren seine, schmiegten sich an sie, tippten sie an und hielten niemals still, die Nähe des anderen Paares zu suchen. Akaashi ließ ihn gewähren, reagierte hin und wieder mit dem eigenem Stupsen und Schubsen seiner Zehe auf die Berührungen.

Und während ihre Füße tanzten, warteten sie auf das Ende des Unwetters.
 

Nachdem die letzten vereinzelten Regentropfen zu Boden fielen und der Wind sich beruhigte, stand Akaashi auf, nahm die zwei leeren Tassen und stellte sie ins Waschbecken. Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum, nur um ins Schlafzimmer zu gehen und sich wieder unter seine kuschelige Bettdecke zu legen. Es dauerte nicht lange und ein warmer, größerer Körper gesellte sich dazu.

„Nur um das klarzustellen, ich bin nur vorbei gekommen, weil ich um dich besorgt war“, nuschelte Bokuto ihm ins Ohr, seine Arme schlangen sich fest um Akaashi.

„Von mir aus“, erwiderte er nur schlapp, bildete mit seinen Beinen und Bokutos einen komplizierten Knoten.

„Ernsthaft!“

„Jaja...“

Dabei entkam Akaashi ein amüsiertes Schnauben. Ein Unwetter, welches Angst vor einem anderem Unwetter hatte. Behielt diesen Gedanken dennoch für sich, da ihn die wohlige Wärme des Größeren, der Duft nach Regen und Kaffee, sowie dessen Atem und Nähe in einen angenehmen Schlaf abdriften ließ.
 

Unwetter waren nichts neues für Akaashi.

Aber am liebsten waren ihm jene, die den Namen Bokuto Koutarou trugen.

Das Engel Problem

VIII. Das Engel Problem
 

“The Buddhists say if you meet somebody and your heart pounds, your hands shake, your knees go weak, that’s not the one. When you meet your ‘soul mate’ you’ll feel calm. No anxiety, no agitation”
 

— Monica Drake- Clown Girl
 


 

Kuroo hatte nie Probleme.
 

Es war eine einfache Philosophie, der er folgte und ihm Unannehmlichkeiten vom Leibe hielt. Darunter fiel bestimmten Leuten, Dingen und Widerständen möglichst aus dem Weg zu gehen. Zudem schrieb er sich selbst eine gewisse Gewitztheit und ein riesiger Löffel aus dem Kessel des flüssigen Glücks zu, die seine selbsternannte Ideologie komplementierten.

Auch sein eigener, womöglich etwas verkommener, sorgloser und leichtlebiger Charakter waren ein klarer Vorteil, wenn man sorgenfrei leben wollte.
 

Daher stand er wie ein Reh im Scheinwerferlicht, als er mit einem Problem konfrontiert wurde.
 

„Ich verstehe es ja“, sagte Yaku ergebend. Kuroo verstand es nicht.

„Ich wünschte mir nur, du würdest einmal zeigen, dass ich dir wichtig bin. Dass das hier wichtig ist“, dabei deutete der Kleinere einmal um sich herum. Kuroo hatte keinerlei Ahnung, was 'das hier' überhaupt sein sollte.

Zwar hatte er eine leise Vermutung, dass es sich dabei um seine mehr oder weniger Freundschaft plus Extras mit Yaku handelte, jedoch blieb ihm der Sinn dieser angefangenen Diskussion verwehrt.
 

Yaku starrte ihn an, wartend auf eine Reaktion.

Kuroo starrte nur zurück, nicht wissend, was von ihm erwartet wurde.
 

Schlussendlich warf der Kleinere, sichtlich verärgert, die Hände in die Lüfte.

„Fein, von mir aus. Wenn es dir so wenig bedeutet, hast du ja sicherlich kein Problem damit, wenn ich es beende.“

Kuroo hatte sehr wohl ein Problem damit, zu seiner eigenen Verwunderung.
 

Es war einfach mit Yaku. Lustig, angenehm, entspannend, unkompliziert, alles, was er sich nur in einer Beziehung wünschen könnte. Wenn sie denn eine Beziehung hätten. Worüber er noch nie nachgedacht hatte. Wahrscheinlich, weil er es für selbstverständlich genommen hatte. Genauso selbstverständlich wie, dass Yaku das Gleiche für ihn empfand, was er für Yaku empfand. Es war nie eine Frage für ihn gewesen. Allem Anschein hingegen war es eine für den Kleineren.
 

„Vergiss es einfach. Ich war...ich dachte...was auch immer“, nuschelte Yaku jetzt, wobei er den Kopf senkte und drauf und dran schien, zu weinen. Kuroo wollte es nicht vergessen. Allerdings brachte er kein Wort hervor. Gänzlich überfordert, trat er einen Schritt auf den Anderen zu.
 

„Wage es ja nicht, mich jetzt anzufassen, noch einen deiner dämlichen Sprüche zu bringen! Und solltest du jetzt grinsen, verprügele ich dich“, keifte Yaku ihn an. Kuroo gehorchte augenblicklich, denn er war nicht lebensmüde und wusste, wo die Grenzen zu setzen waren, wenn sein Gegenüber wütend wurde.
 

„Es ist nur - ich würde einfach nur einmal gerne hören, ob ich...ob ich...“, aber der Kleinere beendete seinen Satz nicht, seufzte nur und sank auf den Boden. Kuroo dagegen würde gerne den Rest des Satzes hören, besann sich aber eines besseren und hielt den Mund.
 

Nach einer ganzen Weile in der sich keiner von ihnen rührte, wagte es Kuroo, die eine Frage zu stellen, die ihn seit dem Beginn des Gespräch plagte.

„Yaku, hast du ein Problem damit, mit mir zusammen zu sein?“
 

Der Kleinere schaute fassungslos zu ihm auf. Plötzlich wurde seine Mimik gereizt und er lachte trocken auf.

„Wir sind zusammen? Gut zu wissen!“ Kuroo entging keineswegs der bissige Unterton.

„So, du dachtest also all die Zeit wir wären kein Paar?“

„Ja! Warum hast du nie etwas gesagt?“

Kuroo zuckte nur mit den Schultern. „Für mich war es klar. Und du hast nie gefragt. Daher...“

Yaku blinzelte einige Male, bis er in ein heiteres Lachen ausbrach, was Kuroo schmunzeln ließ.

„So...du magst mich also“, fragte der Andere schüchtern, nachdem er sich beruhigt hatte.

Lässig und mit einem wölfischen Grinsen, schlenderte Kuroo zu seinem unwissenden Freund hinüber und beugte sich hinunter, um ihn zu küssen.
 

Vielleicht hatte Kuroo dennoch hin und wieder Probleme, obwohl er nichts dagegen hatte, solange sie Yaku betrafen.

Goldlack

IX. Goldlack
 

“Go to a coffee shop. Sit by the bar with the glass windows and look out. Look at all the people running to catch a train. All the girls with one too many shopping bags. All the couples too in love to care. Then you’ll see it — a bit of yourself in everyone. And somehow, sitting alone in a coffee shop had never felt so good.”
 

— Unknown
 


 

Matsukawa war niemand Besonderes.
 

Nicht wie Oikawa, der charismatisch, hart arbeitend, schlau, so wie gerissen und enthusiastisch war – manchmal zu gut für sein eigenes Wohl. Nicht so wie Iwaizumi, der ebenso hart arbeitend und auf seine eigene Art charismatisch wie Oikawa war, aber bei Weitem bodenständiger und von Zeit zu Zeit sein eigenes wildes Temperament nicht zügeln konnte. Nicht wie andere Leute, die durch besondere Talente oder auffällige Charakterzüge herausstachen.
 

Er war durchschnittlich. Nicht überaus talentiert, gutaussehenden oder intelligent, noch charismatisch, beliebt oder übermotiviert. Meistens still, jedoch nicht ohne sich selbst auszuschließen, ab und zu schlagfertig und kindisch, aber immer mit einer gewissen unerklärlichen Distanz wie ein Zuschauer zu sein, anstatt ein Teilhabender.
 

Womöglich lag es daher an seinem Wesen, oder an dessen Mängeln, dass er es genoss Menschen zu beobachten.
 

Jung und Alt, Groß und Klein, Mann und Frau, Gruppen oder einsame Wölfe, Freunde oder Paare, alle, jeden den er von seinem Standpunkt aus sehen konnte. Verfolgte ihre Bewegungen, sah ihre Emotionen, nahm noch so jedes einzelne Detail in sich auf.

Anfangs hatte er ein gewisses Schamgefühl empfunden, sich selbst gefragt, ob mit ihm etwas nicht stimme im Kopf. Jedoch je weiter er in sich hinein gehorcht hatte, desto mehr war ihm eine Erkenntnis gekommen.
 

Traurig, dachte er zuerst, als er realisierte, was es bedeutete. Ich, war sein zweiter Gedanke und lächelte schwach. Für ihn zu beobachten, war ein Stück zu leben. Zu sehen, wie Leben um ihn herum existierte, erinnerte ihn daran selbst zu atmen. Beruhigend, schloss er seine nur für ihn hörbare Diskussion mit sich selbst.
 

Und dann fing er an Hanamaki zu beobachten.
 

Hanamaki war auch niemand Besonderes und trotzdem so viel anders als Matsukawa. Manchmal stellte er sich vor, dass wenn Iwaizumi der Gegenpart von Oikawa war, dass Hanamaki sein Oikawa war. Auch wenn sie weder wie ihr Kapitän oder ihr Vize-Kapitän waren, noch solch eine Bindung besaßen. Dennoch war Iwaizumi ebenso ein Beobachter wie er, nicht mit der selben Sicht, aber mit der gleichen Faszination.

Nur, dass Iwaizumi los rannte und er am Rand stehen blieb.
 

Womöglich war es die Angst vor dem unbekannten Ende, die ihn fesselte. Vielleicht war es auch die Sucht nach dem stetigen Kribbeln von seinen Zehen bis zu den Fingerspitzen, die erregende Anspannung mit einem Fuß über den Abgrund zu hängen oder das stechende Verlangen, nachts im Bett mit offenen Augen an die Zimmerdecke starrend, direkt da, wo das Herz saß.
 

Eventuell war es auch nur Hanamaki selbst.
 

Matsukawa konnte nicht festlegen, woran es lag, dass der Andere ihn so in seinen Bann zog. Es geschah immer zu. Manchmal, während ihres Trainings, wenn dieser sich den Schweiß wegwischte. Auf den Fluren, wenn er hastig an ihm vorbei eilte. In Gruppen von Menschen, laut lachend und den Bauch sich dabei haltend. Beim Raschen über die Straße joggen, um zu ihm aufzuholen. Die Nase putzend, wegen einer eingefangenen Erkältung. Essend, schlafend, jammernd, weinend, so viel lauter atmend für ihn als jeder andere Mensch im ganzem Universum es jemals könnte.
 

Es war seltsam, es war von Zeit zur Zeit beängstigend, überwältigend und gruselig zugleich, aber vor allem war es so viel mehr, als er jemals wieder sein könnte und wollte.
 

Ein Fingerschnippen vor seinen Augen reißt ihn aus seinen Gedankengängen. Matsukawa blinzelt einige Male, bevor er hoch in Hanamakis Gesicht schaut. Dieser hat fragend eine Augenbraue gehoben und mustert ihn kritisch. Nach einigen Sekunden anstarren, gibt er einen Schnalzen von sich und verlagert seine Position, weitaus weniger forschend als vorher, weicher und nachgiebiger.
 

„Und wohin bist du dieses Mal abgedriftet?“, fragt er monoton nach, eingebrannt, weil die exakten Worte schon unzählige Male die Lippen verlassen hatten.

Kurz überlegt Matsukawa, bevor er schelmisch grinst, was seinen Gegenüber in Irritation die Augen zusammen kneifen lässt.

„Ich dachte daran, was für eine Blume ich wäre.“
 

Zuerst reagiert Hanamaki nicht, bis er im nächsten Augenblick ungläubig die Arme in die Luft wirft, nur den Kopf schüttelt über den schlechten Scherz und ein „Trottel“ zischt. Matsukawa beobachte ihn nur, wartet ab, bis sein Gegenüber aufhört. Abermals entsteht ein Schweigen zwischen ihnen, was er nicht einordnen kann, da es eine ungewohnte Schwere trägt, so wie das drückende Gefühl, wenn ein Gewitter naht.
 

„Goldlack.“

Anfangs reagiert Matsukawa nicht, erwidert Hanamakis ernsten Blick unsicher.

„Bitte?“, fragt er etwas perplex nach.

„Goldlack. Die Blume“, wiederholt der Andere.

Bevor Matsukawa noch etwas erwidern kann, erklingt der Ruf von Iwaizumi in der Ferne und Hanamaki wendet sich ab von ihm. Wie immer beobachtet er ihn mehrere Herzschläge lang dabei, wie er sich von ihm entfernt und folgt ihm schlussendlich.
 

Erst spät am Abend fällt ihm wieder das Gespräch und die Antwort ein. Also schaut er die Bedeutung nach. Anfänglich fühlt er sich ertappt und beschämt, bis er diese Etappen überwindet und ein weitaus angenehmeres Ziel erreicht.
 

Während Matsukawa beobachtete, war es Hanamaki, der handelte und waren damit an und für sich niemand Besonderes.

Doch zusammen als Union waren sie es und das reichte für sie vollkommen aus.

Klein, aber oho

X. Klein, aber oho
 

“I think perhaps love comes from finding someone you feel utterly comfortable with, someone who makes you comfortable with yourself. It’s like…finding yourself, or maybe it’s like finding the other part of yourself.”
 

- Whispers of Heaven
 

Yaku hasst es klein zu sein.
 

Man würde meinen, die Größe eines Menschen wäre im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter der modernen Technik, keinerlei Problem mehr. Nur das es eines war. Aus dem simplen Grund, dass die Menschheit entschieden hatte, wenn sie technisch fortschritt, warum dann auch nicht bei der Durchschnittsgröße. Daher war es furchtbar ein kleiner Mensch zu sein.
 

Er hatte schon immer zu den kleineren Kindern in seinem Alter gezählt und wann immer er seine Sorge verlauten lassen hatte, hatte man ihm gesagt, er würde schon noch seinen Wachstumsschub bekommen. Leider hatte Yaku sich selbst eingestehen müssen, als er siebzehn wurde und keinen Zentimeter mehr seit seinem dreizehnten Lebensjahr gewachsen war, dass dieser Schub niemals passieren würde.
 

Frustriert, sich seinem Schicksal ergebend, wäre alles soweit in Ordnung gewesen. War es sogar für eine ganze Weile, auch wenn er umgeben von Freunden war, die schon einmal, wenn sie im Halbkreis um ihn standen, die Sonne verdunkelten. Zumindest bis zu jenem Tag an dem Lev Haiba auf ihrer Schwelle zur Sporthalle auftauchte.
 

Lev war ein Riese. Ein Mammutbaum. Der Mount Everest von Nekoma High. Und Yakus größter Groll, wenn es um Größe ging.
 

Ihm war bewusst, dass Lev es nicht böse meinte. Der Junge war ein Kindskopf mit viel zu gefährlichem Aussehen und äußerst naiv in so vielen Dingen des Lebens, dass man sich den Drang erwehren musste, ihn zu jeder Tages und Nachtzeit zu behüten. Trotzdem brachte es ihn im Dauerlauf auf die Palme, wenn Lev ihn unbewusst daran erinnerte, dass zwischen ihnen ungefähr 30 Zentimeter lagen.
 

Regale.

Egal wo, egal wie, egal welche, sie veranlassten Lev aller Zeit helfend an seine Seite zu hechten. In einem Moment stand Yaku noch auf Zehnspitzen, die Zunge hochkonzentriert zwischen den Zähnen gepresst, angestrengt mit den Fingerspitzen nach dem Rand der Verpackung angelnd und im nächstem warf sich ein Schatten über ihn. Wie ein Dach beugte sich Lev über ihn, eine warme Hand auf Yakus Schulter ablegend und die andere locker nach der Verpackung greifend.

„Bitte sehr“, flötete der Riese dann mit einem breiten Grinsen und hielt ihm den Gegenstand entgegen, worauf er nur grummelnd Laute herauspresste, die sich wie ein Danke anhörten – nicht in der Lage dazu bei dem breiten Strahlen ihn zu scholten, dass er zwei Jahre älter war und es sehr wohl allein geschafft hätte (und das nervöse Kribbeln der plötzliche Nähe komplett ignorierend).
 

Witze.

Wenn Yaku jemals ein Buch schreiben würde, dann wäre eines mit Sicherheit über Größenwitze. Nach siebzehn Jahre konnte er mit Recht behaupten, so gut wie fast jeden Witz über Größe gehört zu haben. Diese gingen von harmlos, zu albern, bis hin zu sexistisch und geschmacklos. Trotzdem schien die Welt nie müde zu werden und so passierte es, dass er meistens die Augen verdrehend den Witz schon beim Sprechen nachäffte. Daher hatten irgendwann die meisten Leute um ihn herum verstanden den Mund zu halten. Außer Lev, der die Memo entweder nicht bekam oder niemals verstand. Denn dieser riss unaufhörlich Witze über Yakus Größe, wobei er dafür mehr als einmal einige Schubser und sachte Tritte oder Schläge kassierte. Erst am Ende jedes Tages fragte sich Yaku leise, ob Lev die Witze wirklich ungewollt erzählte, was ihn mehr als die Witze selbst irritierte.
 

Kleidung.

Was der Bekleidungsindustrie entging, war, dass Menschen, obwohl sie klein waren, nicht unbedingt jung sein mussten. Was wiederum dazu führte, dass Yaku ab und zu verzweifelte, wenn es darum ging neue Hosen oder Oberteile zu finden. Er hatte zwar die Größe eines Dreizehnjährigen, aber den Körperbau eines jungen Mannes. Daher musste er in der Regel Hosen kaufen, die an der Hüfte zwar passten, aber über seine Zehnspitzen gingen oder manche Oberteile nicht anziehen konnte, weil sie über seine Schultern rutschten oder zu eng waren. Klamotten kaufen war ein Frusterlebnis der Superlative.

„Keine Sorge, Yaku“, sagte der Mammutbaum neben ihm, der drei passende Hosen für seine unwirklich langen Beine auf Anhieb gefunden hatte und jetzt zwei neue Oberteile in der Hand hielt, die ihm höchstwahrscheinlich auch wie angegossen passten. „Ich leih dir einfach meine Sachen, wenn du nichts Passendes findest.“ Dabei strahlte er ihn an, ganz ohne dubioses Motiv, nicht wissend, dass ab jetzt Kleidung zu finden, noch schwerer für Yaku geworden war.
 

Alterskontrollen.

Es war verständlich, dass mit all den Kosmetikprodukten und weiß der Geier was noch, es heutzutage schwer war, dass Alter von jungen Leuten einzuschätzen. Dennoch wurmte es ihn, wenn er ständig danach gefragt wurde. Yaku gab zu, er war klein und sah eventuell etwas jung für sein Alter aus, aber nicht als wäre er gerade erst aus der Wiege gekrabbelt. Mehr als einmal wurde er Abends von der Polizei angehalten und gefragt, warum er um diese Uhrzeit draußen umher wanderte und wo denn seine Eltern wären. Oder beim Alkohol kaufen schon seinen Personalausweis aus reiner Gewohnheit griffbereit hielt. Jedoch war er dabei alleine gewesen, niemals in einer Gruppe, da Gruppen ihm anscheinend älter erscheinen ließen.

„Dürfte ich deinen Ausweis sehen, junger Mann?“ Perplex starrte Yaku die Verkäuferin an der Kinokasse an.

„Bitte?“, fragte er überrumpelt nach. Sie lächelte schwach, ihr Blick zwischen ihm und Lev, der ruhig neben ihm stand hin und her huschend.

„Dein Freund mag zwar alt genug sein, jedoch kann er nicht als dein Erziehungsberechtigter durchgehen“, erklärte sie in einer nervtötenden Singsangstimme. Daraufhin brach Lev in schallendes Gelächter aus und Yaku spürte wie Scham und Wut in ihm aufstiegen.

Alterskontrollen waren verständlich, aber äußerst demütigend, wenn man nur weil man kleiner war, für jünger gehalten wurde.
 

Auf der gesamten weiten Welt gab es noch unzählige andere Situationen, wo klein zu sein, äußerst unpraktisch war, dachte Yaku verbittert. Es schien fast so, als wolle die Welt einem mitteilen, dass man keinen Platz in ihr haben dürfte, wenn man ihrem Standard nicht entspracht. Es ärgerte ihn ungemein und bis zu einem gewissen Grad deprimierte ihn sogar. Mehr als einmal wünschte er sich beim Geburtstagskerzen ausblasen oder beim Sehen einer Sternschnuppe er würde auf wundersame Weise einige Zentimeter wachsen.

Ein leises Grunzen ertönte hinter ihm und lange Arme umschlangen ihn. In weniger als einem Herzschlag war er in einer kompletten Umarmung eingeschlossen. Lev hatte ihn mit seiner gesamten Größe umschlossen und ihn fest an sich gedrückt, schützend vor dem kalten Winterwind. Schweigsam schaute Yaku auf, bemerkte die ersten Stoppel an Levs Kinn, bis der Riese seinen Blick mit einem breiten Lächeln erwiderte.

„Warm?“
 

Yaku hasst es klein zu sein. Wirklich. Aber ab und zu, wenn Lev ihn in eine komplette Umarmung zog, empfand er es weit weniger schlimm.

„Yeah.“

Sein Ohr direkt an den Brustkorb des Riesen gedrückt und dessen Herzschlag lauschend, lächelte der Kleinere glücklich.

Versteckspiel

XI. Versteckspiel
 

“I'm thinking of you a lot, in the mornings, in the afternoons, in the evenings, at night, in the periods in between and just before and after - and also during.”
 

- Daniel Glattauer, Love Virtually
 


 

Iwaizumi spielte Verstecken, ohne wirklich zu ahnen, wonach er überhaupt suchte.
 

Eigentlich war Iwaizumi immer überzeugt davon gewesen, dass eine seiner persönlichen Stärke jene war, die sich damit beschäftigte, was er von seinem Leben wollte. Es war ihm nie besonders schwer gefallen Entscheidungen zu treffen. Dies konnten triviale Sachen sein, wie was er am Morgen anziehen oder frühstücken würde oder substanziellere Dinge, wie an Oikawas Seite bleiben oder was er für einen Beruf ausüben wollte. Sie mochten ihn zwar ins Grübeln bringen, aber keineswegs ins Stolpern.
 

Daher verunsicherte ihm der Fakt umso mehr, dass es ihm zum ersten Mal schwer fiel einen Schritt in eine Richtung zu setzen.
 

Zurückdenkend an seine Kindheit, war er nie wirklich gut im Verstecken spielen gewesen. Zwar hatte er andauernd Oikawa in den unmöglichsten Verstecken gefunden, aber meistens eher dank dessen Ungeduld. Die meisten Menschen nahmen an, es lag daran, dass Iwaizumi ein guter Menschenkenner war, wogegen die Wahrheit ganz anders aussah. In Wirklichkeit war Iwaizumi der schlechteste Menschenversteher auf Erden und womöglich der stümperhafteste Sucher in der gesamten Galaxis.
 

Weshalb nach Ushijima suchen einer Sisyphusarbeit gleichkam.
 

Iwaizumi suchte ihn nicht wirklich in dem Sinne. Er wusste ganz genau, wie dessen Tagesplan aussah, was entweder die Uni, gemeinsame belegte Kurse, das gemeinsame Volleyballtraining, den Park in der Nachbarschaft fürs Joggen oder Starbucks und ab und zu den Tierpark beinhaltete. Wenn es ihm danach verlangte, könnte er sogar den geschenkten Zweitschlüssel benutzen und in dessen Wohnung auf ihn warten. Iwaizumi brauchte Ushijima zur keiner Stunde des Tages körperlich suchen, was in sich schon verrückt war.
 

Absonderlicher war es, dass er den Anderen auf einer psychischen Ebene suchte.
 

So richtig im Klarem darüber, ob es überhaupt die richtige Bezeichnung zu seiner momentanen Lage war oder ob es dazu eigentlich eine gab, war er sich nicht. Auch Oikawa war dabei keine große Hilfe mit seinen ominösen Bemerkungen, er müsse dieses Spiel schon alleine gewinnen oder verlieren.
 

Also suchte er, ohne Plan und ohne Anhaltspunkt. Ohne einen Anfang und ohne Garantie eines Endes. Nur mit dem zunehmenden Verlangen zu suchen und schließlich zu finden.
 

Anfangs beschränkte Iwaizumi sich auf ein distanziertes Beobachten, welches ihn zuerst nicht sonderlich weiterbrachte. Lange schon hatten sich Ushijimas Bewegungen, kraftvoll und stolz auf dem Volleyballfeld, ungeschickt und steif im realen Leben, hinter seine Augenlider eingebrannt.

Nach einer Weile verstand er, um zu Finden, musste er beim Suchen näher heran.

Dennoch fand er auch dort nichts wirklich, was für ihm neu war oder Licht ins Dunkle brachte. Ihm war schon längst aufgefallen, dass wenn der Größere nervös war, er mit seinem rechten Bein rhythmisch wippte oder er beim Nachdenken sich den Nacken kratzte. Ebenso wenn er lächelte ein Grübchen bekam und wenn er frustriert oder wütend wurde, zuallererst sein linkes Augenlid zuckte.
 

Iwaizumi suchte, allerdings nicht an den richtigen Stellen wie er feststellen musste.
 

Daher versuchte er einen anderen Weg. Er fing an, auf Ushijimas Worte zu achten, auf dessen Stimme. Ruhig und gefasst, wann immer er sich mit seinen Mitmenschen unterhielt. Tiefer und knapp am frühen Morgen, wenn er gerade aufgestanden war und noch nicht seinen ersten Kaffee getrunken hatte. Und einmal, da war sie auch leise und zärtlich gewesen, als Iwaizumi sich betrunken und wütend auf Oikawa, nachts vor seiner Wohnungstür wiedergefunden hatte.

Kurzum, auch dort fand er keine unerklärlichen Antworten.

Logischerweise blieb ihm nur übrig, auf andere Eigenarten zu achten. Weswegen er sich auf Ushijimas Verhalten konzentrierte. Fair und fordernd zugleich zu seinen Mitmenschen und sich selbst. Von Zeit zu Zeit einer gewissen naiven Ignoranz unterliegend, die über die Jahre abgeflacht war. Ungewöhnlich aufmerksam und gütig, wenn es um Menschen ging, die ihm etwas zu bedeuten schienen. Trotzdem oftmals unleserlich und in sich verschlossen, was zumindest für Iwaizumi frustrierend war, da es sich anfühlte, als würde er Dornen gespickte Mauern erklimmen wollen.
 

Iwaizumi suchte abermals an den falschen Stellen und war damit mit seinem Latein am Ende.
 

Somit stand er auf verlorenen Posten mit sich selbst und seinem Verlangen nach etwas zu suchen, von dem er nicht einmal wusste, ob es überhaupt auffindbar war. Unfähig eine Entscheidung über sich selbst zu fällen, blieb ihm nur eine einzige Tür offen. Eine, bei der er sich unschlüssig war, ob sie ihm beim Suchen helfen oder seine Mühen endgültig ertränken würde.
 

Anstatt im Stillen nach Ushijima zu suchen, entschloss er sich, diesen offen und direkt zu begegnen.
 

Der Größere schwieg eine ganze Weile, nachdem er sich Iwaizumis Ausführungen und Beobachtungen angehört hatte. Starrte ihn an, wobei er sich leicht im Nacken kratzte. Dann erschien das bekannte Grübchen und seine Stimme war sanft wie an jenem Abend.

„Vielleicht suchst du ja gar nicht.“

Auf diese Antwort hatte Iwaizumi nur die Stirn gerunzelt und ein missmutige Schnauben von sich gegeben. Jedoch schien es Ushijima nicht weiter zu stören, da er jetzt auf ihn zutrat und den Abstand zwischen ihnen auf ein gutes Nichts verringerte.

„Schon einmal daran gedacht, dass du derjenige bist, der sich versteckt?“
 

Iwaizumi erwidert daraufhin nichts, da er realisiert, dass es stimmte.

Eine ganze Zeit schon hat er Ushijima längst gefunden gehabt. Gefunden, was tief in ihm schlummert und doch so offensichtlich ist. Und er hat danach in sich selbst gesucht, herausgefunden, dass es perfekt mit dem übereinstimmt, was in dem Größeren wohnt. Doch unfähig es sich einzugestehen, war er weggerannt.
 

„Nun, dann hast du mich wohl jetzt gefunden", sagte er leise, wobei seine Stimme leicht zitterte und damit ihren herausfordernden Klang verlor.

Ushijima dagegen belohnte sich auf diese Worte hin selbst, indem er sachte Iwaizumis Kinn anhob und sich vorbeugte.
 

Iwaizumi war ein furchtbarer Sucher und ein exzellenter Verstecker. Zu seinem eigenem Glück war Ushijima dagegen ein furchtbarer Verstecker und ein exzellenter Sucher.
 

Verstecken spielen war noch nie zuvor so verlockend gewesen.

Erhobenes Glas

XII. Erhobenes Glas
 

“We’re all afraid of not being enough; but the reality is we’re more than enough.”
 

— Unknown
 


 

Auf einen Triumph stößt man an.
 

Grinsend, mit der Sonne im Bauch und schwirrenden Kopf, hebt Iwaizumi die Dose in seiner Hand. Beinahe erreicht sie ihren Blechzwilling und alles scheint gut sein. Alles fühlt sich richtig an. Kein Puzzelteil, was fehlt.
 

Eine vertraute Hand um sein Handgelenk bricht das Eis. Zerstört die Idylle, lässt das Licht in die tiefe Dunkelheit des Sees rein. Kein Schein dieser Welt könnte mehr die Risse verdecken, die sich in Überschall ausbreiten.
 

„Komm mit mir.“

Der Griff um Iwaizumis Handgelenk hart, die Stimme fest und eine Farbe, die ihn an warme Sommertage im Wald erinnert, an das Klettern auf Bäume, das Brechen von Ästen, an imaginäre Schwertkämpfe und das Essen von Stockbrot über einem Lagerfeuer.
 

Er könnte.

Folgen und folgen, immerzu. Jahrelang hat er es getan. Hat sich beschwert und hat gemosert, hat es verneint und sich darüber lustig gemacht – und trotzdem stets gelächelt und an der Seite des Anderen gestanden. War Prometheus für einen Menschen, der sich selbst zum Icarus ernannte.

Er könnte also.
 

Aber Iwaizumi entscheidet sich dagegen.

„Nein.“

Kein weiteres Wort. Keine weitere Erklärung. So viel, was es zu sagen gibt. Zuviel um es in einer Nacht zu schaffen. Womöglich sogar zu viel für ein ganzes Leben.

Wendet also nur seine Augen ab von dem Feuer, was beginnt die Erinnerungen zu verbrennen und starrt stattdessen die winzigen Tropfen auf seiner Dose an.
 

Es dauert mehrere Herzschläge, bevor die Hand um sein Handgelenk loslässt und einige mehr, als Oikawa aufsteht und den Raum verlässt. Ihn verlässt, wie es langsam in Iwaizumi sickert, wie Honig, der viel zu klebrig und überreif ist.
 

Iwaizumi lehnt sich zurück gegen die kühle Wand. Schließlich zieht er seine kalten Beine an, umgreift verkrampft mit beiden Hände die Dose in seiner Hand und lehnt seine Stirn gegen das eisige Getränk. Nur seine Tränen sind unglaublich heiß auf seinen Wangen.
 

Auf einen Triumph stößt man an.

Sogar, wenn das Getränk voller Reue ist.
 

Die Welt dreht sich weiter, Jahreszeiten wechseln sich ab und das Leben zieht wie ein Schnellzug an ihm vorbei. Fremd und eigenartig, mit vielen Gesichtern und Eindrücken, aber nicht von Dauer und ohne wirkliche Substanz. Pudding in den Gliedern, Explosionen im Kopf und Stahl im Herzen. Kein Unfall, aber auch keine Erfüllung.
 

Nur wenn Iwaizumi Bilder von Oikawa sieht, wie er brillant auf dem Volleyballfeld ist und für ihre Nation spielt, stoppt die Zeit und er ist wieder jünger, glücklicher und an der richtigen Stelle seines Lebens. Und wann immer der Andere gewinnt, hebt er eine Dose mit einem Geschmack, der ihn alles bedeutet und für den er sich selbst aufgeben musste.
 

An einen unbedeutenden Abend, schaute ihn Matsukawa irgendwann mit einem undefinierbaren Blick an, als Iwaizumi die Dose zum Prost in Richtung Fernseher, in Richtung Oikawa gehoben hatte.

„Du bist wie ein Kriegsveteran.“

Hanamaki hatte darauf nur angeschwippst gelacht, Matsukawa nicht und Iwaizumi auch nicht. Zuerst hatte er den Vergleich albern empfunden. Später, allein in seiner leeren Wohnung, in seinem harten Bett, stimmte ein Teil seines Bewusstseins zu.

Krieg war es gewesen, als er mit Oikawa befreundet gewesen war. Sie Beide, Seite an Seite gegen jede Hürde, die es gab, durch Wind und Wetter, durch alle Zeiten, ob gut oder schlecht. Und dann auf halber Strecke, kurz vor dem Ziel, war er verwundet worden.

Eine Kugel direkt ins Herz.
 

Eine Kugel, die sich noch immer dort befand. Seine freundschaftlichen Empfindungen getötet hatte und ihn dazu zwang, Oikawa als mehr als nur einen Kameraden auf dem selben Schlachtfeld zu sehen.

Iwaizumi hätte ihn weiterhin folgen können, aber es hätte seinen sicheres Ende bedeutet. Ein Ende, vor dem er sich nach all den Jahren noch fürchtete und ihn Nachts schweißgebadet aufwachen ließ.
 

Auf einen Triumph stößt man an.

Aber was, wenn man es selbst nicht als Triumph empfand?
 

Armageddon bricht über Iwaizumi herein, als er die Neuigkeiten von Oikawas geheimer Lieber erfährt, der er demnächst ein Heiratsantrag machen möchte. Der trockene See in ihm füllt sich mit Sturmwasser, schwappt über die Ränder und reißt die Landschaft und die Tiere in seiner Umgebung ins Verderben.

Äußerlich hebt er die Dose in seiner Hand und prostet dem künstlichen Abbild zu.

„Viel Glück“, krächzt er mit einer Stimme, die ihm fremd ist.
 

Danach bewegen sich seine Beine von ganz allein. Frischer Wind begrüßt ihn, als er das Balkonfenster öffnet. Raue Fliesen kratzen seine nackten Füße und die Geräuschkulisse einer Großstadt dröhnen in seinen Ohren. Trotzdem ist es Nacht und still in ihm und ein ekliger, hässlicher Fleck, erzählt ihm von der Möglichkeit, auch die Sterne und den Mond auszublenden.
 

Gerade als er ausholte, um die Dose in seiner Hand wegzuschmeißen, hinderte ihn das Klingeln an seiner Haustür daran. Perplex runzelt Iwaizumi die Stirn. Es klingelt länger und ohne Pause. Ein Ärger entfacht in ihm, den er, seitdem er Oikawa aus seinem Leben verscheucht hatte, nicht mehr empfunden hatte.
 

Also eilt er zur Haustür und reißt sie auf.

Reißt sie auf zu seiner Vergangenheit, zu seiner Gegenwart und in wenigen Minuten zu seiner Zukunft.
 

Oikawa Tooru steht vor ihm. Eine Farbe, die ihn an warme Sommertage erinnert. Eine bekannte Hand, die eine Dose zum Triumph hebt und eine Stimme, die fest und bestimmend ist.
 

„Auf uns, Hajime. Mögen wir ein langes glückliches Ehepaar werden.“
 

Auf einen Triumph stößt man an.

Besonders dann, wenn es einer des Herzens ist.

König der Berge

XIII. König der Berge
 

“So many people are shut up tight inside themselves like boxes, yet they would open up, unfolding quite wonderfully, if only you were interested in them.”
 

— Sylvia Plath
 


 

Berge waren majestätisch.
 

Sie ragten empor zum Himmel, überschatteten alles um sie herum und dennoch rissen sie nicht alles egoistisch an sich. Manche waren größer als andere, manche jährlich bedeckt mit Schnee und andere ließen Leben in einer anderen Form erblühen. Und wenn man es wagte, sie zu erklimmen, beschenkten sie einen mit einem einmaligen Ausblick.
 

Trotzdem hatten auch sie ihre Tücken. Denn Berge hatten ihre eigenen Gesetze. Diese mochten unfair und gefährlich erscheinen, sogar lebensbedrohlich, doch im Grunde war es nur ein Selbstschutz, der seitdem der erste Berg aus der Erde gestiegen war, so festgeschrieben war. Denn wenn Berge etwas waren, dann verankert in sich selbst und der Welt.
 

Aone war solch ein Berg.
 

Moniwa war sich nicht mehr sicher darüber, wann er es festgestellt hatte, aber es ließ ihn seitdem nie wieder los. Zuerst war er irritiert gewesen, denn jedes Mal, wenn er Aone betrachtete, entsann er sich an schneebedeckte Alpen. Unnahbar, eisig, bedrohlich und gleichwohl konnte man seine Augen nicht abwenden.
 

Über die Zeit verschob sich dieser Eindruck, wechselte zu erklimmbare Berge, die trotzdem einiges an Mühe und Fleiß abverlangten, aber keineswegs undankbar erschienen. Bis schließlich er die erste Sprosse entdeckte, die langsam erblühte, nachdem Aone ihn umarmt hatte.
 

Von da an, schrumpfte der Berg, weniger steil und halsbrecherisch, dafür umso grüner und lebhafter. Es dauerte nicht lange und Moniwa fand sich selbst beim Wandern auf diesem Berg wieder. Nahm all die unbekannten Eindrücke auf, die neu und aufregend waren. Nichtsdestotrotz war es mühselig und auf der Hälfte war er dabei entmutigt den Rückweg anzutreten. Eine große, raue Hand um seine hinderte ihn daran und verschlungene Finger animierten ihm zum Weitergehen.
 

Der Berg um ihn herum wurde sanfter, die Erde weicher und große Bäume zäunten ihn ein. Unter warmen Sonnenstrahlen und dem melodischen Rascheln der Blätter erklomm er weiterhin den steilen Weg, der aber schon lange nicht mehr versuchte ihn davon abzuhalten die Spitze zu erreichen. Als Moniwa schließlich den höchsten Punkt erreichte, stockte ihm der Atem.
 

Vor ihm breitete sich eine Welt aus, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Konnte in die weite Ferne über Felder, Flüsse, Wälder und Städte hinwegsehen. Für einen Moment blickte er durch die Augen des Berges auf die Welt vor ihm und es war das größte Geschenk, was ihm jemals gemacht wurde.

Aones Lippen waren ungewöhnlich weich und er schmeckte seltsamerweise nach Apfelsaft, als er ihn küsste, aber Moniwa würde es sich niemals mehr anders wünschen.
 

Berge waren majestätisch.

Und Moniwa erzählte jedem, dass Aone der König aller Berge war.

Sieben Mahlzeiten

XIV. Sieben Mahlzeiten
 

“Sometimes good people make bad choices. It doesn’t mean they are bad people. It means they’re human.”
 

— Arima Kishou
 


 

Kunimi war bei Weitem kein Heiliger.
 

Es mangelte ihn oftmals an Disziplin und Gutherzigkeit, ignorierte ab und zu wichtige Feiertage oder Gesetze und vermied das Beten im Gegensatz zu anderen Leuten, die er kannte. Somit eindeutig kein Heiliger und erst Recht nicht auf Gottes Liste seiner Lieblinge. Dennoch war er auch kein Sünder, den man nicht retten konnte. Zumindest hatte er es angenommen.
 

Und dann war Kindaichi in sein Leben getreten.
 

Es war nicht wirklich dessen Schuld gewesen, dass jede Chance auf Vergebung sich im Nichts auflöste. Trotzdem hätte er ihm die Todsünden nicht als schmackhaftes Sieben-Gänge-Menü servieren müssen, dem man nicht widerstehen konnte.
 

Die erste Mahlzeit war Faulheit.

Von Natur aus war Kunimi kein besonders motivierter oder energiegeladener Mensch. Viele Tätigkeiten kamen ihm zu mühsam oder unnötig vor, weswegen er seinem eigenem Energiesparplan verfolgte. Kein Problem soweit, womöglich ein klein wenig fragwürdig, aber kein Grund ihn in die ewige Verdammnis zu schicken.

Aber Kindaichi brachte ihn dazu, bewusst faul zu sein. Groß von Natur lud sein Körper dazu ein, ihn als Kissen zu benutzen. Den Kopf in seinen Schoß zu legen und lange Nickerchen zu halten. Oder sich auf seinen starken Rücken wiederzufinden und nach Hause getragen zu werden.

Kindaichi verleitete ihm dazu faul zu sein und er genoss jeden Augenblick davon.
 

Völlerei folgte dicht auf den Fersen.

Normalerweise war Kunimi nicht sonderlich gefräßig. Es gab sogar Tage, wo er sich dazu zwingen musste, mehr als nur ein jämmerliches Frühstück zu verzehren. Er hatte einfach nie Freude am Essen empfunden.

Kaum hatte Kindaichi von dieser Macke Wind bekommen, hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass er anständig aß. Der Größere war kein guter Koch. Seine ersten Versuche waren katastrophal und ungenießbar. Da er aber ein Sturkopf war, hatte er es weiterhin versucht, bis es einigermaßen schmeckte.

Leise musste Kunimi sich eingestehen, dass er sogar verbrannte Eierreste hinuntergeschluckt hätte, solange sie von Kindaichi kamen. Er aß nicht, er verschlang.

Denn es war alles nur für ihn, ihn, ihn.
 

Und damit servierte ihm Kindaichi die Habgier.

Materieller Besitz maß selten einen hohen Wert in Kunimis Leben. Natürlich gab es Sachen, die er weder teilen wollte, noch jemanden Anderem geben, typischer Geiz. Aber Habgier war vorher unbekanntes Terrain gewesen.

Er verwandelte sich in ein Elster, wenn es um Kindaichis Wertsachen ging. Behielt den Pullover, den er ihm einmal auslieh, weil es zu kalt draußen war. Behielt dessen Bleistift, den er ihm schenkte, weil sein eigener gebrochen war. Nahm noch so jede Kleinigkeit an sich, die er von Kindaichi kriegen konnte und hortete sie wie ein Drache seinen Goldschatz.

Seins, seins, seins.
 

Die nächste Mahlzeit war bisher am schwersten zu schlucken.

Eifersucht war nah verwandt mit Neid, daher verwunderte es Kunimi nicht, dass er sie empfinden konnte. Nur hatte er nie damit gerechnet und nicht in dem Ausmaß.

Natürlich bewunderte Kindaichi Oikawa und Iwaizumi für ihr Talent und für ihre Fähigkeiten, er tat es auch, dennoch hinterließ es ein bitteren Beigeschmack. Mit zunehmender Irritation und Frustration nahm er wahr, wie die Aufmerksamkeit auf den Älteren lag und nicht genügend bei ihm. Wie sie sich in jedes ihrer Gespräche einschlichen und keinen Platz für ihn ließen.

An einem Nachmittag wurde es so schlimm, dass ihm der Kragen platze und er Dinge an Kindaichis Kopf warf, die er selbst im Nachhinein nicht fassen konnte. Es war das erste Mal gewesen, dass ihn Eifersucht so sehr auffraß – und ihn auch lange nicht losließ.
 

Noch nicht einmal die Eifersucht verdaut, wurde ihm schon der Zorn aufgetischt.

Wütend zu sein, war auslaugend und anstrengend, weswegen Kunimi selten in den Genuss davon kam. Wahrscheinlich lag es auch an seinem Wesen, aber stille Wasser waren bekanntlich tief.

Es hatte Situationen gegeben, in denen er wütend geworden war. Personen, wie der selbsternannte Tyrann, die ihn wütend gemacht hatten.

Aber niemand brachte ihn so zur Weißglut wie Kindaichi. Lockte alle negativen Emotionen aus ihm heraus, um sie in einen selbstzerstörerischen Akt zu benutzen. Es war beängstigend und gleichzeitig großartig. Nämlich es brachte seinen mit Adrenalin gefüllten Körper dazu, die Dinge zu tun, die sein ruhiger Kopf ihn verweigerte.

Wie Kindaichi gegen einen Spind zu drücken, ihm am Kragen zu sich zu ziehen und ihn zu küssen.
 

Wollust war eine Untertreibung dessen, was ihm Kindaichi zum Essen anbot.

Sex war ein Thema gewesen, welches keinerlei Interesse bei Kunimi fand. Manchmal fragte er sich selbst, ob was mit ihm nicht stimmte, tat es aber mit einem Schulterzucken ab. Sogar wenn es so wäre, könnte er daran nichts ändern und er würde es einfach so hinnehmen.

Daher trieb ihm sein Verlangen nach Kindaichi fast in den Wahnsinn. Er wollte ihn schmecken, ihn überall berühren, ihn unter sich als stöhnende Masse haben, ihn seinen Namen immer und immer wieder entlocken, ihn zu jeder Stunde des Tages mit Haut und Haar verschlingen.

Kunimi wusste nicht, ob es Kindaichi genauso erging. Aber er hoffte es jedes Mal, wenn er ihn all die Fantasien ausleben ließ, die er über ihn hatte und er sich nicht dagegen wehrte.
 

Sechs Mahlzeiten. Mahlzeiten, die ihm ins Verderben zogen und alle ausgehend von einem Menschen.

Trotzdem fand Kunimi keine Reue in sich. Er würde jede einzelne Mahlzeit bis zu seinem Tod wiederholen und am Ende vor dem Gericht seine Schuld zugeben. Und wenn man ihn fragen würde, warum dem so war, würde er schwach lächeln und eine simple Antwort geben:
 

„Weil er sie mir zubereitet und serviert hat.“
 

Die siebte Mahlzeit war seine Liebe zu Kindaichi.

Mit Fantasie nicht zu erfassen

XV. Mit Fantasie nicht zu erfassen
 

“You will never be too much for someone who can’t get enough of you..”
 

— Unknown
 


 

Akaashi hatte sich vieles in seinem Leben vorgestellt.
 

Jedoch nicht, um 3 Uhr morgens in den städtischen Zoo einzubrechen, nachdem er einen Anruf von Kuroo bekommen hatte. In dem Wirrwarr von hastig gesprochenen Sätzen, hatte er folgende Worte vernommen: Betrunken, Bokuto, Kängurukäfig und beeil dich.
 

Ja, Akaashi hatte sich vieles vorgestellt.

Aber Bokuto Koutarou hatte eindeutig nicht dazu gehört.
 

Dennoch kletterte er, nur im schwachen Schein der Straßenlampe, auf einen äußerst wackeligen Müllcontainer, um von dort aus über die Zoomauer zu hüpfen. Akaashi hatte nicht nachgefragt, wie Bokuto und Kuroo diesen äußerst kostenfreien und unerlaubten Eingang zum Zoo gefunden hatten und im Grunde wollte er es auch nicht wissen. Generell wollte er die Hälfte dessen, was die beiden Chaosbrüder anstellten, gar nicht so genau erfahren.
 

Die Landung auf dem sicheren Boden war mehr als unsanft und dreckig, da er mitten in eine Schlammpfütze landete, die sich durch den Regen am Nachmittag gebildet hatte. Leise fluchend, machte er sich mit nassen Füßen in Richtung Kängurukäfig auf. Dabei warf er mehr als einen nervösen Blick über die Schulter.
 

In seinem Kopf spielte sich jetzt schon die Konversation ab, die er mit dem Wachmann haben würde, würde er auf frischer Tat ertappt werden.

„Es tut mir Leid Offizer. Aber sehen Sie, ich habe da diesen Freund, der zur Melodramatik tendiert und jeglichem Gesetz der Logik widerspricht. Daher muss sich ja irgendwer um ihn kümmern. Und eine höhere Macht hat bestimmt, dass ich das bin. Später bei meinem Ableben kann ich mir dann ein nettes Rezept ausschreiben lassen und kriege im Himmel sicherlich nette Rabatte für diesen Dienst an die Menschheit.“

Sogar leise geflüstert, klang es mehr als hohl und unglaublich an den Haaren herbeigezogen. Doch würde man Bokuto persönlich kennen, wäre es wohl die schlüssigste aller Erklärungen.
 

Endlich am Ziel angekommen, entdeckte er auch schon Kuroo. Dieser stand mit den Händen in die Hüfte gestemmt da und schüttelte nur immer wieder den Kopf, während er das Innere des Kängurukäfiges betrachtete.

„Wo ist er?“, fragte Akaashi ohne Umschweifen. Kuroo nickte nur mit den Kopf in die Richtung, in die er bis eben noch geschaut hatte.

„Jo, Boku. Akaashi ist hier!“

Aus dem Inneren des Käfigs kam nur ein viel zu hohes Quieken, was eine Mischung aus Schock und Geheule war.
 

Wenn Bokuto ein Talent besaß, dann ihn jedes Mal aufs Neue zu überraschen. Wie zum Beispiel nicht nur in einen Zoo, sondern auch in einen Tierkäfig einzubrechen, nur um dann unbeschadet zwischen Kängurus zu hocken. Es waren solche Momente, wo Akaashi sich fragte, wie er schon seit mehreren Jahren mit diesen Irren befreundet sein konnte.

„Was tut er da drinnen?“, dabei ignorierte er geflissentlich die Frage nach dem „Wie“.
 

„Nun, erst wollte er sich einen Boxkampf mit einem der Kängurus liefern“, holte Kuroo aus, worauf Akaashi ihn einen zweifelnden Blick zuwarf, den der Größere nicht weiter beachtete.

„Da dieser geniale Plan nicht funktionieren wollte, entschied er, eines der Kängurus zu adoptieren und dann zu einem Boxweltmeister auszubilden“, ein Schnauben und ein Augenverdrehen.

„Und dann wurde die ganze Sache heikel, als er anfing, dich in seine bösen Machenschaften miteinzubeziehen...“, Kuroo stoppte und Akaashi war verwirrt.

Zu seinem eigenem Leidwesen bezog Bokuto ihn äußerst oft in wahnwitzige Sachen mit ein, welche er, aus ihm selbst unerklärlichen Gründen, meistens tatsächlich auch mitmachte.

„In Ordnung. Was nicht erläutert, warum er weinend zwischen Kängurus sitzt.“
 

Kuroo schwieg eine ganze Weile und schien es interessanter zu finden mit seinen Haarspitzen zu spielen, bevor er gedämpft weitersprach.

„Er fing an sich auszumalen, wie ihr zusammen das Känguru aufziehen würdet.“

Akaashi blinzelte einige Male. „Und?“

Kuroo stieß einen tiefen Seufzer aus. „Zusammen, Akaashi. Und zwar zusammen zusammen. Auf die verrückte Sims-Familien-Weise, wenn du weißt, was ich meine.“

„Oh“, war Akaashis einzige Antwort darauf. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Aber er hatte auch nicht mit einem Bokuto in einem Kängurukäfig gerechnet, daher…

„Zumindest als Bokuto es selbst verstand, ist er durchgedreht und fing an zu jammern, dass du nie wieder was mit ihm zu tun haben möchtest, wenn du es herausfindest. Ich habe ihm gesagt, dass sei Schwachsinn, aber du kennst ihn ja, wenn er in solch eine Laune abdriftet.“
 

Damit endete Kuroo und starrte ihn jetzt erwartungsvoll an. Kurz rang Akaashi noch mit sich, bevor er nur seine Ärmel hochkrempelte und das tat, was das einzig Richtige in solch einer Situation war.

Er kletterte in den Kängurukäfig.

Später in einem lichten Moment würde er sich selbst hinterfragen, was er sich dabei gedacht hatte, da nachts in einen Käfig voller wilder Tiere zu steigen, was alles andere als intelligent ist. Trotzdem bereute er es den Rest seines Lebens nicht.
 

Eines der Kängurus beäugte ihn misstrauisch, als er sich vor Bokuto hinhockte und anfing dessen Kopf zu tätscheln. Sofort schellte dessen Kopf hoch und ein verheultes und liebgewonnenes Gesicht begrüßte ihn.

„Akaashi?“

„Alles ist gut, Bokuto.“

„Aber-“

Ohne zu zögern, umarmte er den Größeren und ließ ihn keine Chance noch irgendwas zu sagen.

„Wir können kein Känguru adoptieren und zum Boxweltmeister ausbilden. Wie wäre es lieber mit einem Hund oder einer Katze? Oder ein Kaninchen? Die sind auch sehr süß.“

Zuerst rührte sich der Größere nicht, bis sein Körper anfing zu beben und die Umarmung erwiderte.
 

Akaashi hatte sich vieles in seinem Leben vorgestellt.

Aber niemals wäre er auf die Idee gekommen, dass er seine erste und einzige Liebe gestehen würde, während er umrundet von Kängurus war, den Duft von Alkohol und Kot in der Nase hatte und dazu mitten in der Nacht in den städtischen Zoo einbrach.

Ja, er hatte sich das sicherlich nicht vorgestellt und besonders nicht, dass es von allen Personen auf Erden ausgerechnet Bokuto sein würde.
 

Immerhin stellte man sich niemals die schönsten und großartigsten Dingen vor, man begegnete ihnen zufällig auf dem langen Weg des Lebens.

Gedankenlos

XVI. Gedankenlos
 

“One of the hardest things you will ever have to do my dear is grieve the loss of a person who is still alive.”
 

— Unknown
 


 

Matsukawa war der Denker des Duos.
 

Der Logische. Der Sachliche. Die Stimme der Vernunft, wenn die Dinge aus dem Ruder liefen. Der Dämpfer auf einer sonst viel zu lauten Pistole. Das Polster, um die scharfen und groben Kanten zu verdecken. Er war die neckende Hintergrundstimme, die niemals zu auffallend wurde, damit die Hauptrollen immer gut zu hören waren.
 

Er war all das und brach es mit einem scheußlichen Akt aus urmenschlichster Verzweiflung.
 

Die Töne zitterten in der sonst lauwarmen Frühlingsluft. Überschlugen sich an den falschen Stellen und brachen als grässliche Laute, die mehr Tier als Mensch ähnelten. Trotzdem entflohen sie seinem Mund, reduzierten ihre schwere Last auf keinster Weise. Aussprache grauenhaft, Bedeutung kristallklar.
 

Es hätte schlimmer sein können - Hätte es nicht.

Ein Versuch. Ein Leben.

Und er war blindlings in die Lücke zwischen den festen Gründen gesprungen.
 

Über seinem Kopf raschelten die Bäume in voller Blüte. Teilten sie mit einer sonst so farblosen Welt unter ihnen. Konnte es nicht spüren, aber wie in einem Spiegelbild in seinem Gegenüber sehen, wie sich einige der Blüten in seinen Haaren und Kleidungen verfingen. Hörte von Weitem die freudigen Rufe von anderen graduierenden Schülern. Das Zwitschern der Vögel. Das Sausen der Stahlrosse. Eine weit entfernte Baustelle vor ihrem Lieblingsladen.
 

So viele Details.

Eine Trance und er hatte sie ausgelöst.

Wollte das sie endete; wollte das sie niemals verging.

Kostete sie, fürchtete sie. Verdammte sich, schöpfte Hoffnung mit jeder verstreichenden Sekunden.

Glaubte einem Happy Ending schon so nahe zu sein.
 

Hanamaki rührte sich und die Realität brach mit einem immensen Gewaltakt auf ihn ein.

Denn sein Freund lächelte nicht wie sonst. Kein Grinsen voller Schalk. Sondern stattdessen ein schmaler Strich. Die Augenbrauen in Missgunst verzogen. Die Nase wie im Ekel gerümpft.
 

„Ist das ein schlechter Scherz?“

Ihre jahrelang erfolgreiche Aufführung bröckelte. Brach in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Verpuffte in einer Welle aus Schaum und Hohn. Alles nur wegen seinem Drahtseilakt, den sein Herz in Panik vollzogen hatte und sein Gehirn nicht rechtzeitig verhindern konnte.
 

Er könnte lügen. Könnte es als Scherz abtun. Auch wenn er sich sicher war, dass nach diesem rohen und so zerbrechlichen Satz stets Zweifel bleiben würde. Ein ewiger Riss bleiben würde.

Es wäre die logische Entscheidung gewesen.
 

Wäre, wäre, Eisenbahnkette.
 

„Nein.“ Kleinlaut, schwach, verletzlich.

„Widerwärtig.“ Klar, hart, eiskalt.
 

Keine weitere Erklärung war von Nöten. Hanamaki lief an ihm vorbei und er hielt ihn nicht auf.

Über ihm raschelten die Blätter erneut und er schaute auf in eine viel zu farbenfrohe Blütenwelt. Eine Welt, die ihn schmerzte, weil seine gerade jede Farbfacette verloren hatte.
 

Normalerweise war Matsukawa der Denker des Duos.
 

Also warum hatte er nicht nachgedacht, bevor er „Ich liebe dich“ gesagt hatte?

Eine Million Feuerwerke

XVII. Eine Million Feuerwerke
 

“I have looked at you in millions of ways and I have loved you in each.”
 

— Unknown
 


 

Ushijima hatte nie darüber nachgedacht, wie Leute sich ansahen.
 

Womöglich war ihm nie der Gedanke gekommen, da er selbst kein großer Experte war, wenn es darum ging, Gefühlsregungen zu zeigen. Und ihm war bewusst, dass die Augen einen großen Teil davon einnahmen, was in einem Menschen vor sich ging. Vielleicht hatte er auch nie darüber nachgedacht, weil es ein völlig irrsinniger Gedanke war und normale Menschen erst gar nicht über so etwas ins Grübeln gerieten.
 

Trotzdem war ihm eines Nachmittags der Gedanke gekommen, nachdem er an seine Kindheit zurückdachte.
 

Sein Vater und er hatten gerade im Garten zusammen mit dem Volleyball geübt, da war seine Mutter im Türrahmen aufgetaucht. Sofort erschlaffte die konzentrierte Körperhaltung seines Vaters, dennoch lächelte er sachte und grüßte seine Mutter ruhig. Seine Mutter dagegen stemmte die Hände in die Hüfte, ebenso ein sachtes Lächeln und ruhigen Ton auf den Lippen. Für Außenstehende und ihn selbst, schaute es wie eine ganz normale Begrüßung zwischen zwei liebenden Ehepartnern aus. Erst Jahre später, begriff er, dass an dieser Szene nichts lieblich gewesen war. Denn die Augen seine Eltern waren leer von allen Regungen gewesen. Pure Neutralität gegenüber der anderen Person.
 

Man konnte mit vielem lügen und verschleiern, aber die Augen, die konnte man selten betrügen.
 

Tendou starrte ihn aus seinen eigenen tiefbraunen an, nachdem Ushijima ihn seinen Gedankengang erläutert hatte.

Seine Augenbrauen waren hochgezogen und verschwanden in seiner feuerroten Mähne, die ungekämmt und ungestylt in sein Gesicht hing. Seine Nase war in Irritation gekräuselt und sein rechte Mundwinkel zuckte, so wie immer, wenn er mit etwas konfrontiert wurde, wo er zuerst keine sofortige Reaktion drauf wusste.

Und seine Augen - seine Augen erzählten die selbe Geschichte wie seine Mimik.
 

„Toshi, bist du zu lange in der Sonne gerannt und hast dir einen Stich eingefangen?“, erwiderte Tendou nach endlosen Sekunden des Schweigens.

Ushijima runzelte die Stirn. „Nein. Ich habe meine heutige Route exakt nach Effizienz und-“, bevor er jedoch zu Ende sprechen konnte, winkte Tendou energisch mit der Hand ab.

„Jajajajajajaja, schon klar, es war auch eher eine rhetorische Frage gewesen.“

„Oh.“ Ushijima zögerte, lehnte sich ein wenig zurück gegen die Lehne seines Stuhls. „Natürlich.“

Abermals entstand eine untypische Stille zwischen ihnen, die ihm mitteilte, dass er eventuell ein falsches Thema angesprochen hatte. Was keine Seltenheit darstellte, da ihm bewusst war, dass es ihm stark an sozialen Fähigkeiten mangelte und somit auch an geeigneten Gesprächsstoffen. Doch dies war der seltenste Fall, wenn es sich um Tendou als seinen Gesprächspartner handelte. Dieser schien so gut wie mit jedem Thema zurechtzukommen, so unpassend und seltsam es auch sein mochte.
 

Jetzt richtete sich Tendou in eine aufrechte Position auf, da er bis eben noch auf Ushijimas Bett gelegen und einen seiner Manga gelesen hatte. Offene Kuriosität spiegelte sich in seiner Mimik und in seinen Augen wider, während er Ushijima musterte.

„Warum plötzlich der Gedanke wie sich Leute anschauen? Das ist so“, und Tendou grinste jetzt breit, an etwas für ihn wohl amüsantes denkend, „tiefgreifend. Du wirst doch wohl nicht sentimental auf deine alten Tage?“

„Nein, ich denke nicht“, war seine kurze Antwort. Atmete kurz ein, drehte den Bleistift in seiner Hand einige Male, bevor er erneut ansetzte, um seine Gedanke in Worte zu fassen. In Worte zu fassen, die klar und deutlich waren, damit Tendou verstehen konnte, was er meinte. Wobei er sich da keine allzu großen Sorgen mehr machte. Über die Jahre hinweg war der Andere perfekt darin geworden, die wirren Knoten aus den Wortfäden, die aus seinem Mund purzelten, zu entknoten und richtig zu zuordnen.
 

„Ich habe darüber nachgedacht, wie du mich ansiehst.“

Die Augen des Rothaarigen weiteten sich in Überraschung und sein Mund klappte auf. Schließlich klappte er ihn laut wieder zu, griff sich energisch an seine Brust, wo dessen Herz schlug und ließ ein sonderbaren hohen Laut von sich.

„Wie ich dich anschaue?! Wakatoshi, ich hoffe du hast dabei nur an jugendfreie Inhalte gedacht! Nicht, dass mich die anderen stören würden, hehehe...uhä, warte, wo war ich? Was wollte ich sagen? Verdammte kritische Treffer ins Herz, die bringen einen ständig aus dem Konzept!“

Ushijima blendete Tendous endloses Gerede aus, ließ es als angenehme Hintergrundmusik in seinen Ohren rauschen. Dabei konzentrierte er sich auf dessen Augen. Diese strahlten jetzt förmlich, fast schon so rot wie seine Haare, wenn das Licht und die Stimmung sie richtig trafen.

Erst als sich Tendou begeistert vorbeugte und dabei bedrohlich wackelte, da er sich mit seinen Händen völlig falsch auf dem Bett abstützte, hörte er ihm wieder zu.

„Und wie schaue ich dich an?“, fragte der Rothaarige fast schon ehrfürchtig.
 

Warm. Ehrlich. Amüsiert. Fasziniert.

So als würde er jede Sekunde seines Lebens, erneut von Ushijima begeistert sein.

Als würde er ihn stets von neuem begegnen.

Ein ungelöstes Rätsel des Lebens darstellen, was niemals zu schwer und kompliziert wurde.

„Wie Feuerwerk“, antwortete Ushijima.
 

„Uh“, Tendou lehnte sich zurück, blinzelte einige Male und wippte dabei vor und zurück. Bis er schließlich ganz die Augen schloss und anfing zu summen. Ushijima dagegen rührte sich nicht, sondern ließ den Anderen einfach gewähren.

Plötzlich stoppte Tendou in jeder Bewegung und wandte sich mit einem breiten Lächeln ihm wieder zu.

„Toshi, manchmal steckt doch einer ziemlicher Romantiker in dir!“

„Ist das so?“

Doch anstatt eine verbale Antwort zu bekommen, erhob sich Tendou nur und sprang ihm förmlich in die Arme. Was dazu führte, dass sie samt des Stuhles umfielen, was den Rothaarigen nicht weiter zu stören schien. Denn dieser lachte nur lauthals und klammerte sich an Ushijima.
 

Ushijima dachte auch weiterhin nicht viel darüber nach, wie Leute sich ansahen.

Solange ihn Tendou nur mit Feuerwerk in seinen Augen anschaute, war ihm das genug.

Altlasten

XVIII. Altlasten
 

"Let me wake up next to you, have coffee in the morning and wander through the city with your hand in mine, and I’ll be happy for the rest of my fucked up little life."
 

— Charlotte Eriksson, Empty Roads & Broken Bottles; in search for The Great Perhaps
 


 

Sein Kopf war immer voller Krach.
 

Tendou konnte sich nicht entsinnen, wann es angefangen hatte. Möglicherweise als er noch ein Kind gewesen war. Wahrscheinlich als er eingeschult worden war. Vielleicht auch schon früher, als Türen geknallt wurden, um die lauten Stimmen seiner Eltern zu erdrosseln. Im Endeffekt war es auch nicht wichtig.
 

Der Krach war da und forderte stetig seinen Preis.
 

Wenn er schlafen wollte, plagten ihn so viele Gedanken, dass er sich unruhig hin und her warf. Mehrmals aufstand, lange in seinen Mangas blätterte oder irgendwelche Videospiele zockte. An manchen Nächten hielt in der Krach solange wach, dass er erst in den frühen Morgenstunde Ruhe fand oder selten sogar gar keinen Schlaf. Besonders in den Wintermonaten gesellte sich eine für die Jahreszeit typische Depression hinzu, die den Effekt verdoppelte.
 

Daher war es überraschend gewesen, dass es Ushijima nicht zu stören schien. Was nicht ganz richtig war, da es ihn am Anfang besorgt hatte. Doch auf die Sorge des Größeren hatte er nur mit leichten Worten und einem Schulterzucken reagiert. Schweigend hatte Ushijima es hingenommen, dennoch entgingen Tendou die Veränderungen daraufhin nicht. Es waren nur Kleinigkeiten, wie sanftes Rückenkratzen, warmer Milch, ein entspannender Film oder nächtliches Kuscheln mit beruhigenden, geflüsterten Worten in seinem Ohr.
 

Die Hälfte der Zeit half es nicht wirklich. Aber wenn Tendou dem ruhigen Atmen von Ushijima neben sich lauschte, während er schlief, war der Krach bei Weitem weniger störend.
 

Es passierte nicht oft, aber von Zeit zu Zeit ähnelte der Krach einem schrillen Gekreische. Es war eine Symphonie aus Wut, Neid und Eifersucht. Oder sogar Hass, Abneigung und Gleichgültigkeit. Im ersten Moment ließ er sich davon auffressen, ließ dem Krach freien Lauf, füllte nicht nur sein Kopf, sondern auch sein Herz. Bis er sich dabei ertappte, erschrocken innehielt und nein, nein, nein, stoppstoppstoppppp schrie. Alles danach war ein grauenhaftes Knäuel an Stücken und Resten für das er ewige Wochen brauchte, um es endgültig zu entzerren.
 

„Manchmal beneide ich dich so sehr, um deine mentalen Kapazitäten, dass ich dir die Krätze an den Hals wünsche“, hatte Tendou an einem besonders schlechten Tag verlauten lassen. Ushijima hatte nur fragend aufgeschaut und ihn lange angestarrt.

„So geht es uns allen ab und zu, wenn wir mit Leuten konfrontiert werden, die besser als wir selbst sind“, antwortete dieser schließlich ruhig und gefasst.

Für manche waren diese direkten Worte wie Säure, aber für Tendou waren sie wie Balsam. Der Krach in seinem Kopf ebbte ab, kehrte zur Normalität zurück.

„….aber du würdest es nie tun, weil du weißt, dass dein Kopf dir aus Unsicherheit nie genug für mich zu sein, einen Streich spielt“, fügte Ushijima nach einigen Sekunden an.

„Sicher?“ Breit grinsend, die Intensität des Kraches wieder rasant zunehmend.

Ushijima schaute mit festen Blick zu ihm hinüber.

„Sicher.“
 

Viele Leute fanden Ushijimas plumpe Ehrlichkeit anstößig. Doch für den Krach in Tendous Kopf war es die beste Medizin.
 

Ein Großteil des Kraches waren auch Erinnerungen, die ihn stets einholten. Aus ihren verstaubten Ecken sprangen, buh machten und dann gackernd eine Zeit lang verweilten, bevor sie wieder verschwanden. Dabei waren es niemals gute Erinnerungen. Nur welche, die von Fehlern sprachen, ausgesprochene Sätze oder Situationen, für die er sich heutzutage schämte und all den Menschen, die ihn auf die eine oder andere Art verletzt hatten.
 

Akzeptanz war schwer, wenn man Tendou Satori hieß.
 

Monster nannten sie ihn. Freak. Seltsam. Unheimlich. Mach die Worte, die dich verletzen, zu deinem Schild. Werde das, was sie eh von dir denken. Ignoriere sie. Geh ihnen aus dem Weg. Jetzt ist sowieso alles anders. Denk nicht weiter drüber nach. Atme. Vergiss. Krach, Krach, Krach, Krach, Krach, Krach, Krach, Krach, Kra-

Eine warme Hand in seiner.

Eine Stirn gegen seine eigene.

Ein warmes Lächeln nur für ihn.

Der Krach sortiert sich. Die Erinnerungen verblassen. Sie gehen nie ganz weg. Sie werden immer wiederkommen. Sie sind ein Teil von ihm bis er sterben wird. Trotzdem quälten sie ihm bei Weitem nicht mehr so stark, wie sie es früher getan hatten. Alles wurde mit genügend Jahren dazwischen schwächer und rostiger.
 

Vor Ushijimas Akzeptanz ihm gegenüber, musste sich sogar der Krach beugen, egal wie laut er war.
 

Tendou war bewusst, dass es nicht gesund war, mit so viel Krach im Kopf zu leben. Aber es gab nun einmal keinen Knopf zum Stummschalten, sondern nur Methoden, um alles etwas abzudämpfen. Außerdem hatte er gelernt damit zu leben und versuchte sein Bestes, es nicht allzu sehr sein Leben bestimmen zu lassen. Also lachte er lauter als alle Anderen, begeisterte sich und stürzte sich in Fantasien hinein oder beschäftigte sich mit allen möglichen Zeug.
 

Ja, in Tendous Kopf herrschte ständig Krach und dennoch war es in Ordnung, solange Ushijima da war, um ihn eine angenehme Note zu verpassen.

Versprochen ist versprochen

XIX. Versprochen ist versprochen
 

"None of us knows what might happen even the next minute, yet still we go forward. Because we trust. Because we have Faith."
 

— Paulo Coelho, Brida
 


 

Der Junge sprach niemals ein Wort.
 

Er stand stets nur mit einer finsteren Miene an der Bushaltestelle, spielte mit seinem Handy herum oder hörte über seine Kopfhörer Musik. Lev konnte nicht sagen, was ihn so an dem kleineren Jungen interessierte, doch irgendwas an ihm zog ihn magisch an. Der Wunsch dessen Stimme zu hören, wuchs mit jedem Tag und trieb ihn förmlich in den Wahnsinn. Daher nahm er all seinen Mut zusammen und tippte den Jungen an einem besonders kalten Wintermorgen auf die Schulter.
 

Mit einem genervten Ausdruck schaute der Kleinere zu ihm auf.

„H-Hey!“, stotterte Lev. Schallte sich selbst sich zusammenzureißen. „Ziemlich kalt heute, nicht wahr?“

Wenn es ein Preis für schlechte, erste Sätze gab, würde er ihn ohne große Konkurrenz gewinnen. Anscheinend schien das auch der Empfänger zu denken, denn dieser schnaubte abfällig.

„Bei so viel Angriffsfläche und so wenig warmer Kleidung ist es natürlich kalt...Idiot.“

Huh?
 

Überrascht schaute er den Jungen an. Dieser hatte ihm tatsächlich geantwortet.

Und seine Stimme war wunderschön.

Sie jagte kleine Stromstöße seinen Körper hinab und mit einmal begann alles an ihm wie von einer unsichtbaren Energie erfasst zu werden.

Der Junge hatte etwas gesagt und jetzt wollte er nur noch mehr hören.
 

Ein riesiges Lächeln stahl sich auf Levs Gesicht, was den Kleineren zu irritieren schien, da er einen Schritt von ihm wegmachte.

Bevor er an sich halten konnte, brüllte er ihm fast schon entgegen.

„Lev. Mein Name ist Lev! Wie heißt du?!“

Sein Gegenüber blinzelte einige Male, machte noch einen Schritt von ihm weg, denn Lev rasch selbst wieder verringerte. Der Andere schien zu verstehen, dass wenn er nicht antworten würde, dass ihn der Größere nicht in Ruhe lassen würde.

„...Yaku.“
 

Ab diesen Augenblick ließ Lev den Jungen namens Yaku nicht mehr in Ruhe. Jeden Morgen, wenn er ihn an der Bushaltestelle traf, redete er auf ihn ein. Zuerst versuchte Yaku ihn zu ignorieren, gab jedoch resigniert auf. Trotzdem blieb eine gewissen Distanz zwischen ihnen, die Lev nicht ganz verstand. Erst nach wenigen Wochen fiel ihm auf, was so seltsam war.
 

Yaku sprach zwar, aber er lachte niemals.
 

Er hatte noch nie einen Menschen erlebt, der niemals lachte. Dabei war er sich sicher, dass Yaku dazu in der Lage war. Immerhin hatte er ihn mehr als einmal schmunzeln erlebt oder sich den Mund zuhalten sehen, wenn er irgendwas besonders lustiges gesagt oder getan hatte. Dennoch hatte er ihn kein einziges Mal laut lachen hören. Kein Gelächter, was den ganzen Körper zum Beben brachte und einen Tränen in die Augen trieb.
 

Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wollte er Yaku lachen hören. Wenn dessen Stimme schon so wunderschön in seinen Ohren klang, wie musste sich dann erst ein Lachen von dem Kleineren anhören?
 

Daher machte es sich Lev zur persönlichen Aufgabe, Yaku zum Lachen zu bringen. Was mehr schlecht als recht gelang. Von grauenhaften Witze, zu blöden Showeinlagen bis hin zu albernen Getue versuchte er alles. Doch der Kleinere blieb standhaft wie eine Mauer. Er wollte schon die Hoffnung aufgeben, als der Andere seine Enttäuschung zu fühlen schien.

„...irgendwas nicht in Ordnung mit dir? Ich meine, mehr als sonst?“, obwohl Yaku spöttisch klang, verschwand doch der ehrliche, besorgte Unterton aus seiner Stimme nicht.

Lev zögerte zuerst, gab aber schließlich nach. Es lag nicht in seiner Natur zu lügen und zudem konnte ihn der Kleinere das Phänomen, was ihm umgab, vielleicht sogar erläutern.

„Du lachst nie.“
 

Überrascht weiteten sich die Augen von Yaku.

„Und keine Ahnung. Ich würde dich so gerne mal lachen hören. Deine Stimme ist schon so schön, da muss dein Lachen atemberaubend klingen“, gab Lev ohne Filter zu. Der Kleinere dagegen lief hochrot an und drehte beschämt den Kopf zur Seite. Eine unangenehme Stille senkte sich über sie, die der Andere schließlich mit leiser Stimme brach.

„...mein Lachen ist unheimlich.“
 

Jetzt war es an Lev, überrascht zu schauen. Er konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, dass Yakus Lachen unheimlich war. Er wurde nur etwas unheimlich, wenn er manchmal fuchsteufelswild wurde. Aber sein Lachen? Niemals. Trotzdem schien es den Kleineren wirklich zuzusetzen.

Ohne Vorwarnung griff er nach dessen Hand.

„Und was ist, wenn ich dir verspreche, dass ich es nicht unheimlich finden werde? Wirst du dann für mich lachen? Nur ein einziges Mal, bitte?“

Erneut schien die Geste und die plötzliche Nähe Yaku aus dem Konzept zu bringen, da er ihn nur völlig verwundert mit offenem Mund anschaute. Dann schien es klick bei ihm zu machen und ein kurzer innerer Kampf stattzufinden, bevor er seine Antwort gab.

„...okay.“ Runzelte besorgt die Stirn. „Versprochen ist versprochen.“

Lev strahlte in ihn nur an und nickte heftig.

„Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen!“
 

Nach ihrem Versprechen dauerte es noch einige Wochen mehr, bevor Yaku tatsächlich lachte.

Lev konnte sich bei bestem Willen nicht mehr erinnern, was es endgültig ausgelöst hatte, aber es hatte irgendwas mit Eis und seiner Tollpatschigkeit zu tun. Im Nachhinein war es auch komplett egal. Denn als der Kleinere anfing zu lachen, reduzierte sich alles nur darauf.
 

Yakus Lachen war, wie erwartet, atemberaubend melodisch.

Es ließ sein Herz höherschlagen und verwandelte seinen Kopf zu Pudding.

Ohne noch weiter überlegen zu müssen, deklarierte er es zu seinem allerliebsten Geräusch auf Erden.

Niemals würde er es auch nur einen Tag missen wollen.
 

Dabei störte es ihn kein Stück, dass Yaku beim Lachen einen Haufen Motten aus dem Mund entflohen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (54)
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Von:  SchwarzflammeDethora
2019-03-29T14:03:13+00:00 29.03.2019 15:03
Ich werde es nie verstehen.
Menschen haben Stimmbänder, Gehirn, Atem und einen Mund.
Wieso benutzen sie diese nur so selten an den richtigen Stellen?
Traurig und armselig zu gleich.
Aber wie dem auch sei, Drama formt das Leben.
Schöne Geschichte!

Gruß SfD
Von:  SchwarzflammeDethora
2019-03-28T22:57:02+00:00 28.03.2019 23:57
Kyaaaaaaaaa *_*
Mein absolutes Lieblingsfarbe Paar
Hach ich bekomm davon nie genug. :3
So schön beruhigend und erhellend.
Ich hab Bokuto noch nie so betrachtet.
Aber es ist wahr und süß

Gruß SfD
Von:  SchwarzflammeDethora
2019-03-28T22:43:38+00:00 28.03.2019 23:43
Awwww wie süß!!!!
Und so typisch für die beiden. XD
I Love it!!

Jetz bin ich wieder glücklich xD

Gruß SfD
Von:  SchwarzflammeDethora
2019-03-28T22:38:11+00:00 28.03.2019 23:38
WTF!!!
Was zum.... Was war das?
Wieder gut geschrieben, am Ende ein kleiner Schreibfehler, aber...
Was zur Hölle?!
Wie kommt man denn darauf?
Und dann noch von Tsukishima aus?
Da fällt man ja aus allen Wolken...
Dazu fällt mir auch nix mehr ein... Kopf ist leer o.o
Von:  SchwarzflammeDethora
2019-03-28T22:28:40+00:00 28.03.2019 23:28
Grah!
Nach dem ich mir Ffs durch las mit Oikawa und Iwayzumi...
Dachte ich, ach das geht ja.
Dann kam eine Oikawa und Kuroo Ff, die liegt mir heute noch im Magen.
Aber das Jetz... T.T Nein >.<
Ich mag meinen knuffigen Tsukishima nich an Yamaguchi abgeben!!!
Kuroo, ja! Tadashi NEIN!!!
Trotzdem gut geschrieben, auch wenn ich für das kleine Ding ne halbe Stunde gebraucht habe -_-

Gruß SfD
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-09T06:37:39+00:00 09.04.2017 08:37
Das ist wirklich ein etwas sonderbares AU XD
Aber ich finde es sehr süß, dass Lev so ehrlich uns intensiv mag, dass ihn diese sonderbaren Motten eben nicht stören. Er akzeptiert ihn so wie er ist und das macht diese Geschichte so angenehm zu lesen! Sehr süß!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-09T06:31:21+00:00 09.04.2017 08:31
Mir hat deine Darstellung von den Beiden sehr gefallen. Und die Bezeichnung von Tendou als ein Feuerwerk habe ich auch als sehr passend empfunden. Es ist eben doch schön mal zu lesen, dass Wakatoshi sich auch über solche Dinge seine Gedanken macht und so herausfinden möchte warum Tendou ihn wie ein kleines Feuerwerk ansieht!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-09T06:23:46+00:00 09.04.2017 08:23
Wie romantisch... XDDDDD
 
 Betrunken, Bokuto, Kängurukäfig und beeil dich
Schon bei diesem Satz musste ich lachen. Weil es einfach nur absurd ist. Aber dennoch logisch für Bokuto und Kuroo. Und wie Bokuto dann auf abstruse Ideen zu den Kängurus gekommen ist und jede Idee am Ende doch zu Akaashi führt. Einfach herrlich! Du hast die beiden sehr gut eingefangen und auch wenn das Liebesgeständnis nicht sehr romantisch ist. Es hat gepasst!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-09T06:18:10+00:00 09.04.2017 08:18
!!!!!!
Kunimi ist ein Charakter, der mir sehr am Herzen liegt und die Umsetzung von ihm in Kombination mit Kindaichi hat mir wirklich sehr gefallen! Ich fand es unglaublich interessant zu lesen wie Kindaichi doch zu einer jeden seiner persönlichen Todsünden wird und wie er somit einen ganz großen Teil in seinem Leben einnimmt!
Von:  Jeon_Jungkook
2017-04-09T06:11:38+00:00 09.04.2017 08:11
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Ich hab die ganze ff über gedacht, dass Oikawa nun eine Frau gefunden hat, die er liebt und habe Iwaizumi bemitleidet und ihm eine neue Liebe gewünscht. Und dann das! Iwaizumi tut mir noch immer Leid. Aber ich freue mich, dass er nun einen Triumph hat und sich an Oikawas Liebe erfreuen darf! <3


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