Trainingsstunden von _Delacroix_ (Eine "Mythos Academy"-Fanfic) ================================================================================ Trainingsstunden ---------------- Ich schnappe nach Luft, fast als würde ich jeden Moment ertrinken. Dabei ist das nächste Gewässer Meilen von hier entfernt. Ich mache einen Schritt vor, mehr taumelnd als tretend und entkomme knapp der scharfen Klinge eines Schwertes. Eilig reiße ich mein Katana herum, doch als ich die Klinge dorthin ramme, wo ich sie haben will, ist sie schon längst nicht mehr da. Für den Bruchteil einer Sekunde schimmert die Inschrift meines Schwertes verräterisch im Sonnenlicht. Mors Sola - Tod trennt. Dann spüre ich harten Stahl in meinem Rücken. „Schon wieder verloren“, verkündet meine Trainingspartnerin mit einem schiefen Grinsen und der Spartaner, der unser Training beaufsichtigt, gibt ein verärgertes Schnauben zum Besten, während das Mädchen sein Kurzschwert endlich wieder sinken lässt. „Willst du Revanche?“, fragt es, doch ich schüttele nur den Kopf. Jetzt eine Revanche und ich brauche keinen Reaper mehr um jung zu sterben. Lexis grinst gleich noch breiter. Im Gegensatz zu mir ist sie kein bisschen außer Atem. Ja, nicht einmal durchgeschwitzt, doch gerade das ist der Zauber der Amazonen. Atemberaubende Geschwindigkeit und kaum Ermüdungserscheinungen. Eine tödliche Kombination. Eine von vielen an meiner Schule. Japsend lasse ich mich auf die Tribüne sinken und versuche irgendwie wieder etwas Luft in meine Lungen zu bekommen. Ich bin nicht schlecht mit dem Schwert – Nein, das kann man wirklich nicht sagen - doch gegen meine Freunde gewinne ich trotzdem nie. Ich kann Dinge nicht ansehen und weiß wie ich mit ihnen töten kann und ich bin auch nicht so schnell, dass meine Bewegungen zu verschwimmen scheinen. Ich bin nicht einmal ungewöhnlich stark. Nein, meine Stärken liegen in anderen Bereichen. In Unauffälligeren. Vielleicht liegt es daran, dass das Mädchen am anderen Ende der Turnhalle mich noch nie bemerkt hat. Oder daran, dass wir einander nicht bemerken wollen. Das Mädchen? Das ist der Champion der Göttin Nike, eine Gypsy, deren Berührung magisch ist. Wie magisch? Das weiß ich nicht, aber wenn ich ehrlich bin, will ich es auch gar nicht wissen. Gwendolyn Frost zieht nämlich Reaper an und Reaper gehören so in ziemlich zu den Gestalten, die ich am allerwenigsten leiden kann. Warum? Weil Reaper böse sind. Böse, verschlagen, hinterhältig, gemein, tödlich und alles andere was man im Duden in der Kategorie „Negatives“ sonst noch so finden kann. Wenn ich ehrlich bin, wundert es mich sogar, dass sie nicht einfach ein Reaperbild hinein geklebt haben. Eines mit großen, roten, leuchtenden Augen, dass - „Aurel?“ Eine Hand legt sich auf meine Schulter, rüttelt an mir und als ich aufschaue, sehe ich Lexis fragenden Blick. Es kommt selten vor, dass sie einen von uns freiwillig berührt und vielleicht starre ich sie deshalb eine Spur zu lange an. „So schrecklich mies war deine Niederlage nun auch wieder nicht“, fängt sie an und will mich wohl mit ihren Worten trösten. Leider finde ich sie kein bisschen tröstlich, denn im Ernstfall würden mich solche Sätze nicht retten. Es kann jederzeit zum Ernstfall kommen, das weiß ich genau. Egal was die Lehrer sagen; wir sind im Krieg - wir alle - und wenn wir diesen Fakt ignorieren, wird Lokis Champion triumphieren und uns über kurz oder lang alle vernichten. Eine traumhafte Vorstellung. Ein fröhliches Lachen dringt durch die Turnhalle und für einen Moment gleitet mein Blick zurück zu Gwen Frost und ihren Freunden. Selbst auf Entfernung kann ich die pinken Funken sehen, die aus den Fingernägeln von Daphne Cruz schießen, doch ich blicke eilig wieder weg. Das letzte was ich brauche, ist eine wütende Walküre, die versucht mir das Starren abzugewöhnen. „Aurel!“, drängt Lexis und zwingt mich so, ihr wieder mehr Beachtung zu schenken, „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“ Beinahe sofort spüre ich Gewissensbisse, dennoch bin ich ehrlich und schüttele lieber den Kopf. Lexis hätte es ohnehin überprüft und sie mag es nicht wenn ich sie belüge, das habe ich inzwischen gelernt. „Ich finde Logan Quinn auch ganz süß, trotzdem starre ich ihn nicht an und vergesse alles um mich herum“, tadelt sie und ignoriert dabei tapfer den Fakt, dass mich der Spartaner nicht mehr interessiert als die letzte Wasserstandmeldung. Ich weiß, die meisten Mädchen der Akademie stehen auf ihn oder darauf das er sie mit einem Gänseblümchen zu Tode was-auch-immern könnte. Aber ich bin nun mal kein Mädchen und sehe die Dinge grundsätzlich ein wenig anders. Trotzdem lasse ich den Kommentar einfach im Raum stehen. Was soll ich dazu auch sagen? Das es mir egal ist, wem Lexis hinterher guckt? Oder das ich Logan Quinn für ein ziemliches Arschloch halte, so oft wie ich ihn schon aus dem Mädchenwohnheim habe schleichen sehen? Sicher kennt Lexis die Geschichten von ihm und den signierten Matratzen im Walhalla-Wohnheim. Immerhin wohnt sie selber dort. Sie braucht mich nicht, damit ich ihr sage, dass sie vorsichtig sein muss. Solche Dinge weiß sie ganz alleine. Darum hat sie einen Netzhautscanner und ich nur einen Ortungschip in meinem Smartphone. „Vielleicht sollten wir besser zum Frühstück gehen“, lenke ich ein und werfe keinen weiteren Blick mehr auf die sechs scherzenden Teenager am anderen Ende der Halle. Von Gwen und ihrer Clique wegzukommen, scheint mir nicht die schlechteste Idee zu sein. Immerhin weiß man ja nie. Dieses Mal ist es Lexis, die für einen Augenblick das andere Hallenende anstarrt. Dann zupft sie die Ärmel ihrer Trainingsjacke weiter nach unten. „Einverstanden“, stimmt sie meinem Vorschlag zu und verschränkt wie so oft die Arme vor der Brust. Ich erhebe mich, obwohl mein Körper beinahe sofort zu protestieren beginnt und habe bereits den ersten Schritt gemacht, als ich ihn plötzlich sehe. Er ist groß und nimmt fast die gesamte Tür mit seiner Erscheinung ein. Doch das ist es nicht, was mich erschreckt. Es ist der Fakt, dass ich sein Gesicht kenne. Das sandbraune Haar, die Art, wie er sich gegen den Türrahmen lehnt, die muskelbepackte Statur. Der Junge in der Tür ist mein Mitschüler Samson Sorensen, doch der ist seit mehreren Wochen tot. Für einen Moment starrt er mit leeren Augen durch mich hindurch, dann formen seine kalte Lippen ein Wort, das ich sofort verstehe. „Deckung!“ Meine Stimme klingt laut und fremd in meinen Ohren doch zumindest die Spartaner reagieren aufs Wort. Auch ich lasse mich so schnell wie möglich auf den kalten Hallenboden fallen. Der Aufprall schmerzt, doch der Armbrustbolzen, der nur Sekundenbruchteile später über mich hinwegfliegt, hätte es noch mehr getan. Das Katana in meiner Hand glüht erwartungsvoll auf und dann geht auf einmal alles ganz schnell. Schwarz vermummte Gestalten stürmen durch die Tür der Halle. Eigentlich sollten sie nicht hier sein, doch mir bleibt keine Zeit mich darüber zu wundern. Klirrend trifft Metall auf Metall und noch bevor ich richtig verstanden habe was geschieht, bin ich mitten drin im Gewühl. Ein Pfeil saust über mich hinweg, trifft mit tödlicher Sicherheit einen Reaper ins Herz, der daraufhin in sich zusammensinkt. Kurz sehe ich wie seine Seele verwirrt über seinem Körper schwebt, dann reißt der Blickkontakt wieder ab. Mein Katana trifft auf einen Kampfstab, lässt sich von dem dicken Holz aber nicht sonderlich beeindrucken. Die Inschrift leuchtet ein weiteres Mal in einem kühlen Blau, dann splittert die Waffe und mein Gegner gibt ein mehr als unschönes Geräusch von sich, als die Klinge in seinen Körper fährt. Ich mache einen Schritt, dann noch einen und plötzlich bin ich eins mit den Schatten. Ich kann die Reaper direkt vor mir sehen, doch sie sehen mich nicht mehr. Meine Fähigkeiten als Ninja haben die Führung übernommen. Kein Geräusch geht mehr von mir aus. Selbst meine Atmung hat sich beruhigt. - Reiner Selbsterhaltungstrieb. Irgendwo am anderen Ende der Halle brüllt einer der Angreifer wie am Spieß. Ich riskiere einen Blick und ich verstehe wieso. Er hat Bekanntschaft mit den Übungsspeeren gemacht. Kurz glaube ich Logan Quinn unheilvoll lächeln zu sehen, doch ich will es gar nicht genauer wissen und wende mich eiligst wieder ab. Da! Direkt vor mir taucht ein weiterer Reaper auf und rennt förmlich in meine Klinge hinein. Seine furchterregend roten Augen starren mich noch an, dann begreift er was geschehen ist und ich zerre eiligst mein Schwert aus seinem sterbenden Körper. Vielleicht ist es egoistisch von mir, doch ich warte nicht auf seinen Tod. Ich habe heute schon zwei Geister gesehen und das ist wirklich mehr als genug für einen Tag. Mein Blick schweift durch die Halle, sucht nach Lexis, doch ich kann sie unter all den Anderen nicht ausmachen. Dafür sehe ich Daphne Cruz, die mit tödlicher Präzision einen neuen Pfeil aus ihrem Köcher zieht und auch Gwen Frost, die mit ihrem Schwert in der Hand durch die Reihen der Reaper pflügt als wären sie ein Kartoffelfeld. Scheinbar haben sie es auf sie abgesehen. - Wieder einmal. Einer von ihnen greift nach ihrem Schwert, reißt mit aller Kraft daran und... schreit noch im gleichen Augenblick vor Schmerz. „Die Aktion hat sicher mehr als einen Finger gekostet“, denke ich mir, doch mein Mitleid hält sich in Grenzen. Wer Mitleid mit Reapern hat, lebt in der Regel nicht lange genug um es zu bereuen. „Rückzug!“, schreit Jemand und alles was noch irgendwie laufen kann, dreht um. Wäre ich weniger fertig, ich wäre vielleicht verleitet gewesen ihnen nachzurennen, so wie Gwen es prompt ein Stück weit tut, aber das macht mein Körper nicht mehr mit. Kaum ist auch der Letzte aus der Tür verschwunden, geben meine Beine nach. Ich sinke auf den kalten Boden und bleibe für lange Zeit einfach nur knien. Ich bin nicht verletzt, zumindest nicht körperlich, aber die roten Augen werden mich heute Nacht in meinen Träumen verfolgen. Sie und die Schreie der Sterbenden. Es dauert bis ich bemerke, dass Jemand mich beobachtet und noch einmal bis mir klar wird, dass das eine reichlich gefährliche Situation ist. Ich kenne Gwens Clique nur vom sehen und würde für keinen von ihnen garantieren wollen. „Woher hast du es gewusst“, fragt der Junge, der mich anstarrt und sein schwerer Akzent durchschneidet die Stille der Halle wie ein Schwert. Ich schlucke schwer, doch mir kommen keine Worte über die Lippen. Es ist offensichtlich, was er denkt und vielleicht liegt es daran, dass mir die Sätze unausgesprochen im Hals stecken bleiben. Wer würde mir auch glauben, dass mir ausgerechnet Samson Sorensen erschienen ist? Sie glauben mir ja auch bei anderen Geistern nie. „Er ist ein Champion. Die wissen solche Dinge“, argumentiert eine mir wohlbekannte Stimme von hinten und keine drei Sekunden später drängelt sich Lexis hinter dem Bogatyr hervor. Blut tropft von ihrem Schwert. Ihr Blick ist stumpf, ihre Haare zerzaust, dennoch schafft sie es irgendwie einen besseren Eindruck zu machen als ich. „Wisst ihr“, höre ich sie feststellen, „mit einem ordentlichen Überwachungssystem wäre so etwas nie passiert.“ Der Bogatyr klappt den Mund auf und vergisst prompt ihn wieder zu schließen als Lexis anfängt ihm die Vorzüge eines Netzhautscanners an der Tür aufzulisten. Ich meinerseits blende ihre Worte aus und versuche nicht über den anderen Jungen zu lachen. Den Vortrag habe ich schon oft gehört und insgeheim danke ich Kore dafür, dass nicht ich es bin, der ihn dieses Mal gehalten bekommt. Denn irgendwann zwischen dem zehnten und dem zwölften Mal habe ich mich bereits dabei erwischt zu überlegen, ob sie nicht vielleicht Recht haben könnte und das ist schlecht. Richtig schlecht, denn wenn es etwas gibt, das fast so schlimm ist wie die Reaper selbst, dann ist es die ständige Angst davor, dass sie wiederkommen könnten um zu beenden, was sie so gerne beenden würden. Mein Blick schweift durch die Halle und bleibt schließlich an Gwen Frost hängen. Vielleicht ist sie es, die dafür sorgen kann, dass ich nicht mit einem Hightechüberwachungssystem und Bodyguards an jeder Tür ende. Vielleicht wenn ihre Berührung wirklich magisch ist. - Sehr, sehr magisch ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)