Angel of Ashes von Rapsody (Wenn Engel die Welt beherrschen) ================================================================================ Kapitel 1: Sheena ----------------- Die Fackeln, die sie um die kleine Zeltstadt aufgestellt hatten, erleuchtete die schwarze Nacht nur schwach. Seitdem es keine Laternen und Stadtlichter mehr gab, die die Nacht wie von selbst zum Tag werden ließen, war es kaum noch möglich, ohne ein Feuer auszukommen. Elektrizität gab es gar nicht und es war immer wieder eine Herausforderung, Flammen entstehen zu lassen. Auch wenn sie nur wenige Fackeln zur Verfügung hatten und ihr Kerosin sich dem Ende neigte, empfand Sheena das Feuer um ihr Lager doch als einen kleinen Trost. Es schien die dunkle, grausame Welt von den Menschen in den Zelten abzuschirmen. Auch wenn die Realität so aussah, dass sie viel leichter zu finden waren, solange die Flammen züngelten. Nichts desto trotz brachte das Feuer irgendwie auch Wärme in Sheenas Herz. Ein kleiner warmer Schimmer in dem ansonsten so trostlosen Alltag. Die Tage und Nächte unterschieden sich nicht groß von einander. Die Gefahr gefunden zu werden bestand zu jeder Tageszeit und die kleine Gruppe, die aus 20 Frauen, wenigen alten Männern und sechs Kindern bestand, hatte sich damit abgefunden, ständig in der Gewissheit zu leben, dass man sie irgendwann finden würde. Das sie die Gruppe finden würden. Eigentlich hatten sie bereits resigniert, gestand Sheena sich ein und sah sich die schlecht erhaltenen Stoffzelte an, die sie aus irgendwelchen Fetzen und Ästen errichtet hatten. Alles was sie noch hatten finden können. Sie seufzte. „Wann geht die Sonne wieder auf, Shee?“ Ein kleines, blondes Mädchen von etwa sieben Jahren, kam aus einem der provisorischen Zelte gekrochen und krabbelte in Sheenas Schoss. Sie trug nur ein altes, abgewetztes Kleidchen in einen verblichenen gelb und viel zu große Leggins, die Sheena vor einiger Zeit einem toten Kind ausgezogen hatte. Eine Tat, die das Überleben sicherte, mehr nicht. Trotzdem konnte Sheena die Albträume nicht abstellen. Die vielen Bilder, die sich ihr des Nachts bemächtigten. Die Kleine kuschelte sich an Sheena, da die Nächte kalt waren und Körperkontakt notgedrungen das einzige war, was sie einander noch geben konnten. Der kleine Körper tröstete die junge Frau ebenfalls ein wenig. Selbst trug sie auch zusammengetragene Kleidung, die sie mit Seilen an ihrem abgemagerten Körper hielt. Die dunklen Hosen, die sie übereinander trug, hatte sie vor dem Feuer ihres Hauses retten können, der schwarze Rollkragenpullover und die abgerissene, braune Jacke hatten ihrer Mutter gehört. Karla hatten die Gefallenen vor Monaten gefunden, als sie sich nach einer Auseinandersetzung zu weit vom Lager entfernt hatte. Sheena hatte ihr folgen wollen, als sie plötzlich das so typische Rauschen der Schwingen vernommen hatte, doch es war zu spät gewesen ihr Mutter zu warnen. Keith hatte, mit seinen 70 Jahren, unmenschliche Kräfte entwickelt, um sie zurück zu halten und zum Schweigen zu bringen, während sie alle zusehen mussten, wie eins dieser Monster ihre Mutter auslöschte. Das Einzige, was Sheena von dem Tag geblieben war, waren Karlas Schreie gewesen, die immer noch in ihrem Kopf widerhallten. „Nur noch wenige Stunden, Amara. Dann wird uns die Sonne wieder wärmen.“ Sheena küsste die Kleine auf die schmuddelige Nase, die übersäht war mit Sommersprossen, dann verstärkte sie ihre Umarmung um das Kind so gut wie möglich zu wärmen. Für ein großes Feuer, hatten sie nicht mehr die Mittel. Licht war viel wertvoller, daher sparten sie mit dem Heizen. „Kannst du etwas für mich singen?“ Sheena lächelte auf das Mädchen hinab. Ständig bat man sie zu singen, denn es schien der Gruppe Hoffnung zu schenken, wenn ihre glockenhelle Stimme längst vergessene Lieder wieder erweckte. Das zuviel Lautstärke gefährlich war, übersah man dann gerne. „Hast du denn einen bestimmten Wunsch?“ Das Gesicht der Kleinen erhellte sich. „Das Lieblingslied meiner Mama, sie hört uns bestimmt von da oben aus zu.“ Sheena erschauerte und wagte nicht, dem Blick von Amara zu folgen. Sie hatte aufgegeben daran zu glauben, dass die Menschen in den Himmel kamen, um an Gottes Seite die Ewigkeit zu verbringen. Doch Amara war fast zehn Jahre nach dem Feuer der Engel geboren worden, sie wusste nicht, wie es vorher gewesen war. Dass Mütter nicht bei einer einfachen Geburt starben, weil sie de Kraft für die Strapazen nicht mehr besaßen. Sheena hatte neben Amaras Mutter gekniet und ihre Hand gehalten, während sie die letzten Atemzüge tat, in der Gewissheit, dass Gott keinen Platz für sie im Himmel haben würde. Sheena selber war bereits 10 gewesen, als Gott sich gegen die Menschen wandte. Sie erinnerte sich noch an ihre große Verwirrung und Angst, als diese wunderschönen Gestalten vom Himmel gestürzt waren, wie ein Wunder um wenig später die Menschheit fast vollständig auszulöschen. Damals hatten Engel für Sheena jegliche Faszination verloren und mit ihren jetzt 26 Jahren hatte sie gelernt, die geflügelten Wesen zu hassen. Ihre Schönheit, ihre Gestalt, das Rauschen ihrer Schwingen und das Summen, welches sich jedes Mal über das Land legte, wenn sie kamen. Wie ein gigantischer Wespenstaat, nur millionenfach gefährlicher. Sie atmete einmal tief durch und begann eine ruhige, sanfte Melodie zu summen, die dann in irische Worte überging. Sheena selber war ebenfalls Irin von Geburt- ihre Mutter war eine deutsche Studentin gewesen, die ihre große Liebe in Dublin kennen gelernt hatte- und daher gingen ihr die Worte wie Honig über die Lippen. Das Mädchen in ihren Armen entspannte sich sichtlich und auch Sheena spürte, wie das Lied sie wärmte. Amara hatte ihre Mutter nicht kennen gelernt, aber Sheena erfand immer wieder neue Geschichten für das Kind und dabei hatte sie ihr auch einmal erzählt, dass ihre Mutter dieses Lied geliebt hatte. Irische Volkslieder hatten den Vorteil, dass ihre Strophen endlos ausgedehnt werden konnten. Als die ersten Sonnenstrahlen nicht mehr fern waren, schlummerte Amara tief und fest und sie wusste, dass auch alle anderen sie gehört hatten. Sie hatten eine weitere Nacht überlebt und nun konnte der Tag kommen, eine weitere Etappe ihrer Reise. Eine Reise, bei der sie das Land durchquerten um Wege und Mittel zu finden zu überleben, ohne tatsächlich einen Grund dafür zu haben. Denn es war nichts mehr übrig. Der negative Effekt des Tages war die unerbittliche Hitze der Sonne. Nur wenig Vegetation war übrig geblieben und die wenigen Bäume spendeten kaum Schatten. Die Welt, die sie bisher durchquert hatten, war nur noch eine Wüste, mit wenigen, kargen Oasen. Peter hatte gesagt, dass ihn die Landschaft der ehemaligen USA an die Nullarbor Ebenen in Australien erinnerten, seiner Heimat. Er war mit seinen Jahren noch der Jüngste der Männer. Sheena kannte sich mit Pflanzen nur insoweit aus, dass sie wusste ob man sie essen konnte oder nicht. Das meiste hatte sie in Selbstversuchen gelernt. Eines Tages, wenn die Menschen nicht mehr waren, dann würde die Erde wieder ein Paradies sein. Ein Paradies, in der es nur noch Tiere gab und Menschen nur ein längst vergessener Traum. Sheena blinzelte in die Sonne. Manchmal wünschte sie sich das so sehr, doch wenn sie dann ihre Freunde betrachtete, fiel ihr das nicht mehr so leicht. Es war Mittag und so heiß und trocken, dass ihre Lippen bereits rissig wurden. Sie trug die Jüngste aus der Gruppe auf dem Rücken. Mira war erst drei und die Hitze setzte ihr besonders zu. Ihre Mutter befand sich zwar ebenfalls in der Gruppe, aber sie war viel schwächer als Sheena und ihr machte es nichts aus, hin und wieder den Kindern die Strapazen zu erleichtern. Nur wenige Kinder überlebten und noch weniger Kinder wurden geboren. Es gab kaum noch Männer auf der Welt. Sheena wusste nicht einmal, wann sie das letzte Mal einen gesehen hatte, der unter 50 Jahre alt gewesen war. Und heute war 50 ein stolzes Alter. Sheena glaubte nicht, dass sie dieses Alter jemals erreichen würde. Keiner von den jungen Überlebenden würde das. Sheena hatte sich ein wenig die Rolle der Beschützerin aufgebürdet. Sie war von den 20 Frauen noch die Jüngste und Stärkste und sie hatte in diesem Krieg gelernt, eine Waffe zu benutzen. Sie besaß zwar nur ein altes Langmesser, aber zur Jagd und zum Kampf gegen wilde Tiere eignete es sich noch. Seitdem führte sie die Gruppe quer durch das Land, auf der Suche nach Lebensmitteln und Wasser im Wettstreit mit dem Grauen aus den Lüften und den Entbehrungen dieser Zeit. Manchmal wünschte sie sich, sie könnte einfach aufgeben. Wie die wenigen, die ihr in der Gruppe noch geblieben waren. Die Alten wünschten sich meistens so sehr den Tod, dass Sheena alle Kraft brauchte um sie dazu zu bringen, dass sie weitergingen und die meisten Frauen waren in eine dumpfe Lethargie gefallen. Aber wer kann ihnen das auch übel nehmen, dachte Sheena. Sie waren alle älter als 40 und hatten ihre Männer, Söhne und Töchter sterben sehen, meist auf grausame und unbarmherzige Art. Sie waren abgestumpft und schienen nur darauf zu warten, dass die Gefallenen auch sie fanden. Sheena hatte sich dem auch oft genug hingeben wollen. Was hatten sie denn auch für eine Zukunft. Es gab nur noch eine Hand voll von ihnen, die durch die Welt streiften und von einem Tag zum anderen lebten. Dabei war sich Sheena nicht einmal sicher, ob es noch weitere Menschen wie sie gab. Sie hatte seit Jahren keine mehr gesehen, aber sie hoffte darauf. Der Gedanke, dass es sonst niemanden mehr gab, war so trostlos, dass sie sich sicher auch aufgab, wenn sie diesen zugelassen hätte. Stattdessen blickte sie nach vorne, vergaß ihre eigenen Sehnsüchte und Wünsche und dachte an Kinder wie Mira, die vielleicht doch eine Zukunft haben konnten, wenn sie nur überlebten. Hatte nicht jedes Böse irgendwann ein Ende? Wenn Gott ein Einsehen hatte und entschied, dass sie genug gelitten hatten? Sie wanderten nun schon seit dem Morgengrauen und hatten nicht ein einziges Mal etwas Grün gesehen, geschweige denn Wasser und ihr letzter Fund lag fünf Tage zurück. Sheena wusste, dass es brenzlig wurde. Sie sah sich nach ihren Freunden um. Das Bild gefiel ihr nicht. Die Gruppe verlief sich auf einem Kilometer, die Schwächsten quälten sich mehr vorwärts, als das sie noch liefen und Sheena schaffte es einfach nicht mehr, sie zusammenzuhalten. Sie blieb stehen und schirmte die Augen vor der Sonne ab. Hier zu rasten, mitten in der Sonne auf weiter Ebene ohne Schutz war gefährlich, aber sie befürchtete, dass einige der Älteren bald zusammenbrechen würden. Noch war sie nicht so gefühllos, dass sie das zulassen konnte. Wenn die Welt nur noch eine Handvoll Menschen übrig gelassen hatte, wie konnte sie da nach dem Recht des Stärkeren leben? Diesen Punkt hatte Sheena noch nicht erreicht. Sie ließ die Gruppe halten und befahl, die Zelte zu errichten. Darunter war es zwar brütendheiß, aber die Sonne würde nicht mehr so gnadenlos auf sie herunter scheinen und wenn sie dann endgültig unterging, würde sich die Wärme für die Nacht halten. Sie war nicht glücklich darüber, den Marsch jetzt schon beenden zu müssen, aber sie musste an die anderen denken. Auch wenn die meisten es nicht zeigten, sie waren froh, als Sheena ihnen bedeutete, zu halten. Sheena gab Mira in die Obhut ihrer Mutter und half die provisorischen Zelte zu errichten, dann überprüfte sie, in welcher Verfassung sich die Gruppe befand. Das wenige Wasser, das sie noch besaßen, wurde portioniert herum gereicht. Sie alle waren erschöpft, aber einige wenige schafften es gerade noch, sich in den Staub fallen zu lassen und Sheena machte sich große Sorgen. „Wie geht es dir Ava?“, sie kniete sich neben eine etwa 50- jährige Frau, die trotz der Hitze und des Schweißes aschfahl im Gesicht war. Ava versuchte zu lächeln, doch es glich einer Grimasse in dem hohlwangigen Gesicht, mit dem viel zu früh ergrauten Haar. Die grauen Augen schienen erblasst und stumpf. Diese Frau war eine Kämpferin gewesen, diejenige die Sheena und ihre Mutter aufgenommen hatte, vor so langer Zeit. Als die Gruppe noch über weit mehr als den knapp 35 Menschen umfasst hatte. Fünf Jahre nach der Sintflut hatten die Gefallenen sie alle in der Nacht überrascht. Ava hatte mit ihrem Mann versucht zuerst die Alten und Kinder in Sicherheit zu bringen, doch sie hatte einen hohen Preis bezahlt. Sean war verbrannt, als sie ihn noch an der Hand hielt. Seitdem war sie nie wieder richtig zu sich gekommen. Noch heute schrie sie oft im Schlaf. „Es ging mir schon besser, Shee, Aber ich halte es aus. Ich muss nur rasten und etwas schlafen.“ Sheena öffnete ihre Feldflasche und setzte sie bei Ava an, die sofort das Gesicht abwandte: „Nein, dass ist dein Wasser, ich habe auch noch ein bisschen.“ Sie versuchte nach ihrer Flasche zu greifen, die an ihrer Hüfte hing, doch Sheena hielt ihre Hand fest. „Du brauchst mehr davon als ich, also bitte sei vernünftig und trink.“ Zaghaft setzte Ava an und trank in langsamen, kleinen Schlücken. Sie trank bewusst nicht viel, aber Sheena wusste, dass selbst kleine Mengen helfen konnten. Sie strich der Älteren über die Schulter und sah sich nach den Kindern um. Sie waren alle unter ein Zelt gekrochen, da die Erwachsenen meist keine Geduld für ihre Belange hatten. Nur Sheena schaffte es immer, Zeit für sie aufzubringen. Die Kleinen waren alle bereits mehr oder weniger eingeschlafen und sie entspannte sich etwas. Die Gruppe war am Ende ihrer Kräfte, aber Sheena noch lange nicht. Sie legte wieder ihre, aus Flicken gebundene Tasche um und zog ihr Messer. Wenn sie alleine unterwegs war, war es immer besser die Waffe in der Hand zu haben. Sie gab ihr Mut und Kraft. Sheena hatte nie behauptet, dass nicht auch sie Angst vor den Gefahren dort draußen hatte. „Shee? Was tust du?“ Norman, der ebenfalls schon über 60 war, kam aus seinem Zelt gekrochen. Seine blauen Augen waren wässrig und wirkten in seinem hageren, ungepflegt bärtigen Gesicht noch übermüdeter. Sheena vermutete, dass er langsam erblindete, er dies aber für sich behielt. Seine Bewegungen wurden immer fahriger, während sein Gehör stetig besser wurde. Norman hörte die Engel oft weit vor ihr selbst. „Ich geh noch ein Stück und such nach Wasser. Vielleicht ist es nicht mehr weit.“ Sie lächelte um ihn aufzumuntern. „Ich werde zurück sein, bevor die Sonne untergeht.“ „Pass bitte auf dich auf. Ohne dich schaffen wir es nicht.“ Ein Schmerz durchzuckte sie und sie fühlte sich einsam. Wenn ihre Mutter jetzt hier gewesen wäre, hätte sie Norman gescholten, weil er so kraftlos und tatenlos war. Doch Sheena konnte das nicht. Sie hatte Verständnis, soviel Geduld, aber sie war alleine mit der Last dieser Menschen und sehr oft wünschte sie sich, jemand würde ihr einen Teil der Bürde abnehmen. Sie wurde ihr oft einfach zu viel. Sofort bekam Sheena ein schlechtes Gewissen. So durfte sie nicht denken. Sheena lief einige Meilen nach Norden ohne auch nur die Spur von Wasser zu finden. Erst als ihr bewusst wurde, dass sie die Sonne zu ihrer Linken ließ, machte sie sich auf den Rückweg. Sie war eigentlich zu spät dran, aber ihre Angst um die Gruppe hatte sie voran getrieben. Wenn sie nicht bald auf eine Oase stießen, würden sie nicht nur verdursten sondern auch verhungern. Viel Dörrfleisch war nicht mehr übrig und Sheena vermutete auch, dass einige der Älteren Skorbut bekamen. Sie sprachen teilweise nicht mehr oder nur durch halb geschlossenen Mund, damit niemand sehen konnte wie schlecht es ihnen ging. Bei den Oasen wuchs oft ein wenig Grünzeug und Tiere sammelten sich ebenfalls dort, um zu saufen. Sie fuhr sich mit dem Arm über die Stirn, da ihr der Schweiß in die Augen lief. Wie oft wünschte sie sich ein Bad, aber diesen Luxus hatte sie schon so lange nicht mehr genossen, dass sie vergessen hatte, wie sich warmes Wasser anfühlte. Jetzt hätte ihr sogar altes, brackiges Wasser gereicht. Die junge Frau beschleunigte die Schritte, als sie plötzlich ein glucksendes Geräusch vernahm. Irritiert drehte sie sich im Kreis, um die Quelle auszumachen. Normalerweise war außer dem pfeifenden Wind nichts zu vernehmen. In einiger Entfernung sah sie kleine Schatten am Horizont zwischen knorrigen, fast blattlosen Bäumen entlang hasten. Wieder kam das Geräusch in einem Echo bei ihr an und der Schatten wurde immer kleiner und kleiner. War das etwa möglich?! Automatisch verfiel Sheena ins Laufen und folgte den winzigen Punkten, die sich von der untergehenden Sonne abhoben. Wenn sie sich nicht irrte, liefen dort vor ihr eine Gruppe von Straußen – oder andere Vogelähnliche Tiere- und da wo die Strauße hin liefen, dort konnte es nur Wasser geben. Sie wusste nicht, wo sie die Energie hernahm, aber sie lief noch hinter den schnellen Vögeln her, als die Sonne bereits die letzten Strahlen über das Land schickte. Dann war es dunkel und bis auf die Sterne, hatte sie nur noch das regelmäßig Gackern der Tiere vor ihr als Orientierungspunkt. Sheena hoffte, dass die Gruppe in Sicherheit und ruhig blieb, während sie noch immer hinter den großen Vögeln herlief. Wie lange sie wirklich gelaufen war, konnte sie am Ende nicht sagen, aber plötzlich spürte sie, wie sich der Boden unter ihr veränderte. Statt dem stetigen Trommeln ihrer Stiefel auf trockenen, teils rissigen Lehmboden unter ihr, wurden die Geräusche dumpf und es raschelte und knisterte um sie herum. Gras! Das konnte nur Gras sein. Trocken und fast ausgedörrt, aber solange es noch existierte, musste es eine Quelle in der Nähe geben. Sie musste einen Freudenschrei unterdrücken, da sie die Vögel nicht erschrecken wollte. Stattdessen verlangsamte sie ihre Schritte, um kaum Laute von sich zu geben. Sie brauchte nicht nur das Wasser, sondern wollte auch einen der Vögel töten. Ein großer Strauß, konnte ihnen viel Fleisch bieten. Sheena hatte Glück gehabt und innerhalb kürzester Zeit einen wohlgenährten Strauß töten können. Sie vermutete, dass die Steppe langsam ein Ende finden musste, wenn es den Tieren so gut ging. Sie legte eine Hand auf das weiche Gefieder des Vogels, dem sie mit einem Dolchstoß ins Herz das Leben genommen hatte. Sie hatte stets Respekt vor jedem Lebewesen und so dankte sie dem Strauß für das, was er ihr gab und entschuldigte sich für das, was sie ihm genommen hatte. Besudelt vom Blut des Vogels, weil sie ihn auf einen Baum gezogen hatte, und dem ihren, weil sie mit ihm hatte kämpfen müssen damit er nicht entkam, war sie dann in das große Wasserloch gesprungen, an dem sie die Strauße gefunden hatte. Dort oben im Baum würde ihr nun erstmal kein Raubtier ihre Beute abspenstig machen und Sheena hatte Zeit, ihre Freunde hierher zu führen. Die Nacht war zum Wandern wesentlich besser geeignet und sie war bereits seit Stunden fort, somit hatten sich die anderen von den Strapazen erholen können. Sie blickte sich noch einmal in der kleinen, aber sehr grünen Oase um. Hier konnten sie eine Weile bleiben und die dichten Büsche und Bäume boten genug Schutz. Frisch und erholt durch ihren Erfolg, machte sie sich auf den Weg zurück ins Lager. Nachdem sie sich an dem alten Kompass ihres Vaters, eines der wenigen Relikte, die sie aus der alten Zeit noch besaß, orientiert hatte, lief sie so schnell sie ihre Beine trugen. Sie vermutete, dass sie in diesem Tempo, wenn sie es denn bei behalten konnte, in etwa zwei bis drei Stunden wieder zu ihren Freunden stoßen würde. Beschwingt von der Freude über ihren Fund, schaffte sie es sogar noch früher zurück zu sein. Als sie die schwachen Feuer des Lagers am Horizont ausmachen konnte, überkam sie eine solche Erleichterung, dass alle wohlauf waren, dass sie einen Endspurt einlegte. Doch je näher sie kam, desto mehr spürte sie, dass etwas nicht stimmen konnte. Sie vernahm Schluchzer und ängstliche Kinderstimmen. Sofort überkam Sheena ein schlechtes Gewissen. Hoffentlich weinten sie nicht wegen ihr, sie hatte niemanden Sorgen machen wollen. Aber angesichts dieser Neuigkeiten, würden sie wahrscheinlich nicht lange wütend auf sie sein. Kira, eine der ältesten Kinder entdeckte sie als erste. „Shee!“ Sie kam ihr durch die Fackeln entgegen und warf sich ihr schluchzend in die Arme. „Gott sei Dank, bist du wieder da.“ Carlos und Lilo, ein altes Ehepaar, welches zuletzt zu ihnen gestoßen war, kamen ihr ebenfalls entgegen. Schuldbewusst drückte Sheena die Kleine in ihren Armen fester an sich. „Es tut mir Leid.“ Sie schob die Kleine ein wenig von sich und strahlte sie und die Umstehenden an. „Aber ich bin fündig geworden! Etwa 3 Stunden von hier gibt es eine Oase.“ Erst jetzt nahm sie war, dass ihre Nachricht nicht den gewünschten Effekt hatte und wenig später die ganze Gruppe vor ihr stand, teils mit tränennassen Gesichtern. Sheena runzelte die Stirn. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe.“ Sie sah sich um, wartete auf eine Erklärung, doch es schien niemand geneigt, ihr zu antworten. Dann lief es ihr eiskalt den Rücken herunter und ihr Herz tat einen Satz. „Wo ist Ava?“, der Ton ihrer Stimme wurde wenige Nuancen schriller. Sie riss sich von Kira los und schob sich an den anderen vorbei in den Kreis des Lagers, doch die Zelte waren alle leer. Sie wandte sich wieder an die Gruppe. „Was ist geschehen?“ Sie erkannte an den Gesichtern ihrer Freunde, dass sie sie einschüchterte. Frank, ein pensionierter General der US Airforce, der noch viel von seiner ehemaligen Autorität besaß, nahm sie sanft am Arm und führte sie aus dem Lager hinaus. Sie wollte erst protestieren, doch dann sah sie ihn. Ein Körper, umringt von Steinen und geehrt durch ein kleines Kreuz aus verdörrten Ästen, zusammengebunden durch ein Stück Stoff. Sie hatten Ava nicht begraben, ganz so wie sie es seit Jahren nicht taten. Wenn ein Mensch ging, übergaben sie ihn an die Natur, sowie sie sich von ihr bedienten. Sheena schluckte und wandte das Gesicht ab. Sie konnte sich das nicht ansehen. Dies war nicht das erste Mal, dass sie mit dem Tod eines geliebten Menschen konfrontiert wurde, aber leichter war es trotzdem nie. „Wie ist es geschehen?“, fragte sie Frank leise, ohne ihm ins Gesicht zu sehen. „Sie ist einfach nicht mehr aufgewacht. Ich denke, sie ist ziemlich schnell gestorben.“ Frank legte den Arm um ihre Schulter. „Sie hatte einfach keine Kraft mehr.“ Sie nickte, schüttelte seine tröstenden Arme ab und ging dann, ohne einen weiteren Blick auf das Grab zu werfen zurück zu der Gruppe. Die wenigen Schritte sagte sie sich immer wieder, dass dies doch der beste Tod war, wenn es etwas Gutes an ihm geben konnte. „Brecht die Zelte ab, wir laufen heute noch einige Kilometer. Ich habe eine Oase gefunden, wo wir genug zu Essen und Trinken finden um dort ein wenig zu bleiben und zu rasten.“ Das bald auch Raubtiere auf den Körper aufmerksam werden würde, brauchte sie nicht auszusprechen. Wer jetzt erwartete, dass wenigstens ein einziger schockiert war, weil Sheena nicht weiter trauerte, der lag falsch. Der Tod war ein allgegenwärtiger Gefährte geworden und jeder litt auf seine Weise darunter, wenn er einen Kameraden verlor. Nichts desto Trotz musste an die Lebenden gedacht und jegliche Trauer schnell überwunden werden. Das Einzige, was Sheena sich trotz dem Schicksal der Menschen bewahrte war, ein kleines Gebet gen Himmel zu sprechen, wenn einer von ihnen starb. Vielleicht hörte Gott hin und wieder doch noch hin, wenn ein Mensch mit ihm sprach. Sie erreichten die Oase noch vor Morgengrauen und die, die noch Kraft besaßen, halfen Sheena den Vogel aus dem Baum zu ziehen und ihn zu verarbeiten. Alle anderen errichteten die Zelte, füllten Flaschen und badeten. Eine Gelassenheit und Freude machte sich breit, wie lange nicht mehr und erfüllte sie alle mit neuer Lebenskraft. Als sich alle gewaschen, satt getrunken und gegessen hatten, versammelten sie sich um ein kleines Lagerfeuer, welches sie aus dem trockenen Holz hatten errichten können. Ihnen war zum ersten Mal wieder richtig warm und sie waren glücklich. Schon bald wollten sie, dass Sheena für sie sang. Doch statt etwas Fröhliches zu singen, stimmte sie ein Klagelied an. Sie wollten Ava gedenken und ihr wünschen, dass sie an einem besseren Ort war. Für Sheena war das Lied ein Trost. Es erfüllte sie und bekämpfte die leisen Schuldgefühle, die sie jedes Mal überkamen, wenn jemand aus der Gruppe starb. Sie fühlte sich für alle verantwortlich, auch wenn der Tod normal geworden war. Sie erhob die Stimme und hoffte, dass Ava sie hören würde. Und nicht jemand anderes. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)