Sternenseelen von Verath ================================================================================ Kapitel 7: Wolf im Schafspelz ----------------------------- Rick legte den Kopf ein wenig schief und wiederholte Atturs Namen. Dieser starrte ihn noch immer ungläubig und mit großen Augen an. Würde er nicht genau wissen, dass der Mann vor ihm Rick war, könnte er es nicht glauben. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er den jungen Herrn in einer normalen Stimme reden hören. Es klang falsch, merkwürdig und ungewohnt. Außerdem konnte er sich nicht daran erinnern, dass Rick je seinen Namen in den Mund genommen hätte. Eigentlich hatte er sogar daran gezweifelt, dass dieser ihn überhaupt kannte. Für ihn war er immer nur der kleine Bastard gewesen. »Weißt du nichts mit dir anzufangen?« Auch jetzt reagierte der Sklave nicht auf Ricks ruhige Worte. Schließlich legte dieser ihm eine Hand auf die Schulter, wobei Attur nur unter Anstrengung ein Zusammenzucken vermeiden konnte. »Komm mit, ich möchte, dass du dich etwas… angemessener kleidest.« Wieder dieses Lächeln, welches von Sanftmut und Güte sprach. Es war so perfekt, dass Attur gar an der Fälsche darin zweifelte. Obwohl er Rick kannte - nur zu gut kannte er ihn - war er nicht in der Lage, es eindeutig als falsch zu enttarnen. Nur leicht festigte sich der Griff an seiner Schulter, als er mit in die Richtung dirigiert wurde, in die Rick nun ging. Zurück. Ihr Weg führte sie durch die opulenten Gänge des Anwesens bis in den Flügel, in dem die Gäste - die Mitglieder des Rats und die Anwärter des Titels - residierten. Wann immer ihnen jemand entgegen kam, setzte Rick das Lächeln wieder auf, einige grüßte er höflich. Mit manchen, die er wohl bereits besser kannte, wechselte er auch ein paar Worte. Attur stand lediglich stumm daneben, denn weder hatte er etwas zu sagen, wenn es um die Gespräche gehobener Leute ging, noch wäre er gerade dazu im Stande. Er war noch immer völlig überwältigt von Ricks Wandlungsfähigkeit. Der junge Herr war grausam, sadistisch, widerlich, falsch, mürrisch - er könnte noch unzählige Worte finden, die Rick perfekt zu beschreiben wüssten. Doch nie war er tatsächlich freundlich oder gar gutmütig gewesen. Selbst wenn er andere Eindrücke vorspielte, schimmerte immer ein wenig von seinem wahren Ich - von seiner Abscheulichkeit - hervor. Aber nicht hier. Als trüge er eine vollkommene, makellose Maske. »Ich hoffe doch sehr, Eure Unterstützung sicher zu haben, Lord Marl. Nicht nur Eurem Geschäft würde es sich als dienlich erweisen, einen Handwerksverwalter als Statthalter zu ernennen. So wichtig die Landespolitik auch ist, wenn es dem Land bereits an einem soliden Grund aus einem zufriedenen, starken Volk und einer gut funktionierenden Wirtschaft fehlt, wird es scheitern. Gerade nun, da das Unheil uns so plötzlich ereilt, ist es wichtig, Landwirtschaft und Handwerk zu stärken.« Der rundliche Mann mit breitem Schnauzer nickte zustimmend auf Ricks Worte. »Eine fürchterliche Wendung des Schicksals. König Rafin muss schnell handeln, denn lange wird es nicht dauern, bis das unreine Wasser die Flüsse hinab gespült wird und auch bei uns ankommt. Nicht auszudenken, was wir tun, wenn unsere sich nun füllenden Vorräte geleert sind.« Entsetzt über den Gedanken schüttelte Lord Valent Marl den Kopf und sein Doppelkinn kam deutlicher zum Vorschein denn je. Seine Wangen waren in einem tiefen Rot ebenso wie seine Nase und er sah nicht danach aus, als könne er bis Drei zählen, aber Attur wagte sich keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Vor allem nicht über Männer dieses Standes, denn der Schein war nicht selten trügerisch wie eine Diebin. »Eben deswegen ist es auch von größter Wichtigkeit, im Bälde für unsere Stadt Vorkehrungen zu treffen. So mächtig unser ehrwürdiger König auch ist, Sichelstolz liegt deutlich östlicher als Rhodohr und seine schützenden Hände können nicht überall sein, wenn im ganzen Land Beistand benötigt wird. Wir müssen uns wappnen, um uns selbst helfen zu können, bis König Rafin seine Aufmerksamkeit auf uns lenkt.« Rick legte seine Hand auf den Hermelinkragen von Valent Marl. »Genau dafür ist ein Statthalter doch da, nicht wahr? Er dient dem König als verlängerter Arm, sodass er ganz Perron in seine hütende Umarmung ziehen kann.« Ein siegreiches, zuversichtliches Lächeln umspielte die Lippen des Anwärters und wurde von seinem Gegenüber erwidert. »Ganz recht. So jung Ihr auch sein mögt, Ihr seid nicht auf den Kopf gefallen«, schmunzelte Lord Marl. »Das will ich doch sehr hoffen. Mein werter Vater hätte mich längst in die Tiefen der Garus-Fälle geworfen, wäre ich nur Schall und Rauch.« »Bei Teseus Zähnen! Welch Schande dies wär!« Beide lachten. »Dann freue ich mich auf die Vorstellung nach dem prächtigen Empfang heute Abend. Hoffentlich ist das Essen ebenso prächtig.« Dabei hielt sich Valent Marl den Wanst und lachte, wobei seine Wangen noch ein Stück röter wurden. »Ganz ohne Frage.« Rick ging weiter und Attur folgte sogleich. »Soll ihm doch ein Stück des Banketts im Halse stecken bleiben«, hörte Attur seinen jungen Herren leise knurren, kaum dass sie weit genug entfernt waren.   Sie kamen an den Gemächern der Haver an und Attur folgte seinem Herrn hinein. Sobald das Geräusch der zufallenden Tür im Raum erklang, fiel die zuvor kaum auszumachende Anspannung von Rick merklich ab. Er stieß die Luft aus und schüttelte sich kurz, bevor er sich zu Attur umdrehte. »Kannst du dir vorstellen, wie widerlich es ist, diesen dummen, desolaten Narren in den Arsch kriechen zu müssen?« Da war sie wieder. Die merkwürdig süßlich klingende, viel zu hohe Stimme, gepaart mit Frustration und einer Prise Missfallen. Ja, das kann ich mir vorstellen, schließlich mache ich es mein ganzes Leben lang bereits, dachte Attur sich im Stillen. Rick schnalzte mit der Zunge und seufzte erneut lautstark, bevor er sich etwas im Zimmer umsah. »Ich habe nun schon keinerlei Begehr mehr diese Scharade aufrecht zu erhalten. Am liebsten«, er schritt wieder auf Attur zu, sah auf ihn nieder und schlug ihm die Hand leicht auf die Wange, behielt sie dann dort, »würde ich dir etwas aaantuuun.« Das letzte Wort betonte er ganz besonders und zog es lang, beinahe schien es so, als würde Rick von einer Woge der Erregung überrollt. Attur sah hinauf in das pockennarbige Gesicht. In seinen Augen las er das Verlangen nach Schmerz heraus, nach Domination und Demütigung. »Doch wie sähe es aus, wenn mein exotischer Blickfang mit Verletzungen entstellt wäre?« Attur lief es kalt den Rücken hinunter ob der widerlichen, wenn auch bereits gewohnten Stimmlage des anderen. Die Hand auf seiner Wange fühlte sich abstoßend an und am liebsten hätte er sie weggeschlagen. Als wolle Rick ihm tatsächlich einen Gefallen tun, nahm er seine Hand zurück und ging zum Schrank, den er öffnete und darin augenscheinlich nach etwas suchte. »Heute Abend wird uns Anwärtern die Ehre«, er sprach das Wort mit Verachtung aus, »zuteil, uns bei einem Bankett vorstellig zu machen. Ich möchte, dass du jederzeit an meiner Seite bist, verstanden?« Attur nickte hastig, als er jedoch bemerkte, dass Rick dies nicht sehen konnte - er hatte den Kopf noch immer im Schrank stecken - sprach er schnell: »Ja, Herr.« »Natürlich fiele es nachteilig auf unser Haus zurück, würden wir dich bei solch einem wichtigen Anlass in diesen Lumpen herumlaufen lassen. Also erdreiste dir nicht, dich noch einmal in der Nähe feiner Herren mit dem sehen zu lassen, was du Kleidung nennst.« Er schien gefunden zu haben, was er suchte und kam mit einer Hand voll Kleidern zurück zu Attur. Unverhohlen musterte er den Sklaven und brachte sein Missfallen, was dessen Kleidung anging, deutlich zum Ausdruck. Er drückte ihm alles in die Hände. »Schnell, schnell, zieh dich um.« Dabei wedelte er leicht mit der Hand. Unverzüglich sputete sich Attur und huschte hinter den Wandschirm im Zimmer. Er entledigte sich seines schlichten Leinenhemdes und seiner Bundhose, um in die schicke, wenn auch ungewohnt enge beigefarbene Hose zu schlüpfen und sich die hochwertigen Strümpfe bis unter die Knie zu ziehen. Einen winzigen Augenblick nahm er sich Zeit, um die schwarzen Lederstiefel zu bewundern, die er tragen durfte, bevor er hineinschlüpfte. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit«, murrte Rick bereits. Schnell griff Attur nach dem weinroten Hemd und warf es sich über. Gerade als er es von unten nach oben zuknöpfte, erschien Rick hinter dem Paravent. Sein Gesichtsausdruck war ungeduldig. »Hast du mich gehört, kleiner Bastard?« Attur machte sich klein. »Ja, Herr. Verzeiht meine Trödelei.« Ein Finger bohrte sich unter sein linkes Schlüsselbein und ließ ihn erschrocken zurückweichen, was eine hüfthohe Statue von Duat und nicht zuletzt die Wand jedoch weitgehend verhinderten. Rick starrte ihn an. »Nur weil du nun gekleidet bist wie ein Bürger heißt das nicht, dass du mehr wert bist als der Dreck, der dir innewohnt. Das hier«, er bohrte seinen Finger schmerzhaft fester in Atturs Körper, »verschwindet selbst durch andere Kleidung nicht.« Er nahm seinen Finger weg und offenbarte dadurch ein beinahe unscheinbares Brandmal. Es war ein Kreuz, in dessen Mitte sich ein Punkt befand, um welchen sich zwei größer werdende Kreise reihten. Am äußersten Kreis gingen noch einmal vier Striche - mittig zwischen den Spitzen des Kreuzes - ab. »Sei dir dem gewahr, während du neben mir stehst.« Hastig nickte Attur. Er wusste, dass er für immer ein Sklave war. Nie würde er sein eigener Herr sein, nie würde er sich träumen wagen, als freier Mann durch die Welt zu schreiten. Er stand weit unter Rick und dieser ließ es ihm jedes Mal aufs Neue spüren - mit dem größten Genuss.   Wie befohlen hielt er sich den ganzen Abend über direkt neben seinem jungen Herrn auf. Dieser war in einen edlen Gehrock gewandet und hatte die ihm sonst etwas wirr ins Gesicht hängenden Haarfransen nach hinten gekämmt und dank Wachs hielten sie dort. Da sich keine Frau im Flügel und in den Sälen aufhalten durfte, war alles Atturs Arbeit entsprungen. Er hatte ein paar Schläge kassiert, weil dies eindeutig nicht zu seinen Fertigkeiten zählte. Aber da Lord Haver sich ebenfalls im Raum befunden hatte, waren sie alle verdient gewesen und nicht übermäßig quälend oder schmerzvoll. Wenn er nun das Ergebnis betrachtete, war er durchaus zufrieden. Rick setzte seinen Weg fort, denn er hatte sich von den reichlich auf vier lange Tische aufgedeckten Speisen genommen. In der Mitte stand ein Zierbrunnen, aus dem man sich reichlich und fast schon verschwenderisch jederzeit frisches, sauberes Wasser nehmen konnte, wenngleich die meisten Gäste lieber dem Wein den Vortritt in ihre durstigen Münder ließen. Attur knurrte leise der Magen und er schluckte. »Halte dich ja zurück, für euch sind die Reste vorgesehen«, hatte Rick ihm zuvor eingebläut. Er konnte es kaum erwarten und hoffte, dass noch etwas übrig wäre, nachdem er seinen Herren in die Nachtgewänder geholfen hatte, und die anderen Sklaven sich nicht wie ein Schwarm Hornissen darüber hermachten, bevor er zurückkam. Denn es waren viele Sklaven hier. Attur hatte Glück gehabt, wenn es um die Stelle ging, an der er als Sklave brandmarkt wurde. Zwar trug er stets Gewänder, die das Mal offen zeigten - auch jetzt durfte er das Hemd nur so weit zuknöpfen, dass das Brandmal ein Stück unter seinem linken Schlüsselbein noch gut sichtbar war -, doch er könnte es rein theoretisch verstecken. Anderen war es in den Hals oder gar die Wange gebrannt worden. Er hatte sogar schon einen Mann gesehen, der das Zeichen seines Herrn auf der Stirn trug. Ganz eindeutig maßen sich die edlen Herren daran, welche Sklaven sie besaßen. Attur war es noch nie so sehr aufgefallen, da er bisher nur selten bei wichtigen Zusammenkünften anwesend gewesen war. Doch hier war es mehr als offensichtlich: beinahe ein jeder Gast hatte einen Sklaven an seiner Seite und die Wenigsten davon waren schäbig. Eigentlich sah er überhaupt keinen, der nicht irgendetwas Erstaunliches an sich hatte. Der eine war groß und bullig und strotzte nur so vor unaufhaltsamer Kraft, der andere von unsagbarer Schönheit. Wieder andere - dazu gehörte er - waren nach perronischem Maßstab exotisch. Er sah einen rothaarigen jungen Mann, dessen Schopf beinahe wie das Feuer selbst loderte, und einen mit beinahe schwarzer Haut. Jedes Mal, wenn dieser lächelte - und das tat er oft, auch wenn Attur nicht verstand, welchen Grund er dafür haben könnte, da sein Leben sicher nicht viel amüsanter als das seinige war - blitzten die weißen Zähne im starken Kontrast zu seiner Hautfarbe auf. Auch einen bereits etwas älteren Sklaven mit ebenso sandfarbenem Haar wie Atturs eigenem entdeckte er im Laufe des Abends. Wer sich einen besonderen Sklaven leisten konnte, musste gut betucht sein. Es war ein Statussymbol, ein Weg seinen Reichtum und seine Macht zu zeigen und sich umwerben zu lassen. Es gab viele Feste in Perron - dort waren Frauen nicht verboten - und die Herren nutzten diese Gelegenheiten, um ihre weiblichen Sklaven zu präsentieren. Bei Zusammenkünften wie diesen griffen sie hingegen auf die männlichen zurück. So manches Mal hatte sogar die Weitergabe eines Sklaven so begonnen. Interessierte man sich für einen, der hier zur Schau gestellt wurde, kam es öfters vor, dass nicht lange darauf ein Brief den betreffenden Herrn ereilte. Einigen Mächtigen und Reichen war es zuwider, sich auf Sklavenmärkte zu begeben und ihnen blieben nicht viele andere Möglichkeiten, an Sklaven heranzukommen, außer natürlich sie schickten Vertreter, was durchaus üblich war. Der größte Vorteil, einen Sklaven nicht von einem Händler zu kaufen, war, dass diese deutlich besser gepflegt waren, wie manch Sklave vom offenen Markt - dafür spielten sich die Verhandlungen aber auch auf gänzlich anderen Preiseben ab. »Ganz vortrefflich, Eure Rede, junger Lord.« Ein hagerer und kleiner Mann in äußerst edlen Gewändern hatte Rick am Weitergehen gehindert und Attur, der sich direkt hinter ihm befand, wäre durch sein gedankenloses Gaffen beinahe in seinen Herrn hineingerannt. Nun richtete auch er seine Aufmerksamkeit lieber auf den augenscheinlich reichen Adeligen anstatt auf die unzähligen Sklaven um sie herum. »Euch als neuen Statthalter einzusetzen, wäre die einzig richtige Entscheidung, die der Rat treffen kann.« Wie bereits zu Anfang seines Gesprächs nickte Ricks Gegenüber ständig. Attur kniff die Augen etwas zusammen und versuchte herauszufinden, ob irgendetwas den Mann dazu zwang. Doch selbst nach minutenlangem Starren fand er weder einen Faden an dessen Kopf noch etwas anderes, das die ununterbrochene Nickbewegung erklärte. Also legte er sein Augenmerk lieber an den jungen Sklaven neben dem Adeligen. Dieser war beinahe noch ein Kind mit großen dunklen Augen und schmaler Gestalt. Nichts an ihm schien besonders und Attur fragte sich, ob sich der Mann keinen guten Sklaven leisten konnte - was jedoch völliger Unsinn war, wenn man sich alleine dessen Kleidung ansah. Die großen dunklen Augen starrten ihn unverhohlen an, wodurch Attur ein Anflug von Verlegenheit durchzuckte. Es war, als hätte der Junge genau bemerkt, wie er ihn angaffte. Schnell sah Attur in eine gänzlich andere Richtung. Er bestaunte lieber den Reichtum, der alleine in diesem Saal beinahe erdrückend auf ihn wirkte. An der hohen Decke hingen vergoldete Kronleuchter mit unzähligen Kerzen, deren Ketten schier unendlich lange waren, um tief genug zu hängen und den großen Raum überhaupt zu erleuchten. Die Gespräche, in die Rick verwickelt wurde, interessierten ihn nicht. Nahezu jeder lobte ihn in den Himmel und Attur wartete nur darauf, bis der Erste Ricks Gehrock nach oben zog, um ihm wortwörtlich in den Arsch zu kriechen. Bei den meisten konnte er nicht sagen, ob es ehrlich oder gelogen war, doch es gab ein paar Männer, die äußerst schlecht im Lügen waren und sogar Attur erkannte in ihren Worten und ihrer Haltung die Falschheit. Er verstand nur nicht, warum sie unehrlich waren. Haal hatte einmal das Wort Diplomatie in den Raum geworfen, als sie darüber gesprochen hatten. Doch weder er noch Attur hatten gewusst, was es genau bedeutete. Haal hatte es nur irgendwo in diesem Zusammenhang aufgeschnappt. Die Vorstellungen der Anwärter - vier an der Zahl - waren bereits vor dem Eröffnen des Festmahls von statten gegangen. Bevor die Mägen aller Anwesenden vollgestopft mit Köstlichkeiten und ihre Köpfe wie Körper dadurch träge und müde waren. Attur hatte nur mit halbem Ohr hingehört und war solange an Lord Augustus Havers Seite gestanden. Es hatte sich sowieso nur darum gedreht, sich selbst als die beste Partie darzustellen. »Euer Sklave… er ist besonders.« Attur sah auf, als von ihm die Rede war. Der Adelige beäugte ihn interessiert. »Normalerweise besitzen Perrondraner eine viel dunklere Haut, aber seine scheint mir eher stark sonnengeküsst als dunkel. Fast wie die der Lanari und sein Haar ist das der Rienen.« Rick legte Attur eine Hand auf die Schulter. »Bereits seine Mutter besitzt diese Eigenart.« »Nein wirklich?« Die Augen des anderen Mannes leuchteten und erneut schnappte Attur den unverhohlen neugierigen Blick des jungen Sklaven auf. Dabei waren die dunklen Augen derart durchdringend, dass er ihnen nicht lange standhielt und wieder wegsah. So ging das einige Male: Der Junge sah immer dann wieder zu Attur, sobald dieser ihn erneut abschätzig musterte, um herauszufinden, was so besonders an ihm war, und starrte ihn förmlich zu Boden, bis es dem älteren Sklaven reichte und er seinen Blick wieder abwandte. Irgendwann ging Rick weiter und Attur war ihm fast schon dankbar dafür, weil ihn dieses Katz-und-Maus-Spiel langsam den letzten Nerv geraubt hatte. Der Abend zog sich beinahe unerbittlich in die Länge. Attur konnte das Gesülze der Adeligen und Reichen nicht mehr hören - er fragte sich, wie seine Herren diesen Umgang Tag ein, Tag aus ertrugen - und vor allem machte ihm der neue Rick zu schaffen, der den Menschen die Güte in Person bühnenreif vorheuchelte. Manchmal bemerkte er die prüfenden Blicke seitens Augustus Haver, die seinem Sohn galten. Rick stand unter ständiger Beobachtung - doch nicht nur von seinem Vater, sondern auch von allen anderen Gästen, die ihn oft mit bedeutungsschweren Blicken bedachten und sich wohl ihre Gedanken über die Abstimmung und die möglichen Kandidaten machten. Es war, als befänden sie sich an dem Stand eines Sklavenhändlers, bei dem die Kunden sich ihre Ware ansahen und den Gesündesten und Stärksten unter ihnen auserwählten.   »Beeil dich und bring mir mein Nachtgewand!«, quengelte Rick unleidlich und erschöpft, als sie endlich zurück in ihre Gemächer gegangen waren und der erste anstrengende Abend sein Ende nahm. Attur nahm Lord Haver soeben den hochwertigen Zylinder ab, den er die ganze Zeit über auf dem Haupt getragen hatte, als seine Bewegungen hastiger wurden, um Rick nicht unnötig lange warten zu lassen. Dieser war so übellaunig, dass er mit Leichtigkeit in neue Schwierigkeiten geraten könnte - aber glücklicherweise wohl ebenso müde. »Morgen erwarte ich eine ebensolche Leistung von dir«, ertönte die schneidende Stimme des Ältesten, der seinen Gehstock an die Wand lehnte. »Die Abstimmung wird sich noch einige Tage hinziehen, deshalb rate ich dir, deine… Vorlieben bis dahin aufzusparen.« Dabei traf  der Blick aus grauen, trüben Augen Attur, bevor er wieder zurück  zu Rick schweifte, der sich bereits mit einem tiefen Seufzen aufs Bett plumpsen hatte lassen und selbst die ersten Knöpfe seines burgunderfarbenen Wams öffnete. »Ein paar Tage… solange bin ich dazu in der Lage. Danach wird es nie wieder nötig sein. Statthalter auf Lebenszeit - was gibt es Schöneres?«, schwärmte Rick, als Attur ihm sein Schlafgewand aufs Bett legte. Sofort schnellte die augenscheinlich müde Hand hervor und schlang sich um Atturs Handgelenk. »Und dann… musst du erstmal nicht mehr hübsch aussehen.« Es klang wie eine düstere Drohung, gepaart mit dem grausigen, vorfreudigen Lächeln auf Ricks Antlitz. Er sollte für den jungen Herrn also eine Möglichkeit darstellen, sich abzureagieren. Es machte Attur bisweilen Angst, doch gleichzeitig empfand er weniger Panik als er wohl sollte. Womöglich, weil er sein ganzes Leben schon dazu diente und vorerst ein paar Tage den guten Rick erleben durfte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)