Schicksalsbilder von vallendrael ================================================================================ Kapitel 2: Modellsuche ---------------------- Julien Nach der Vorlesung über zeitgenössische Fotographie stürmte Julien zum schwarzen Brett in der Mensa, um nachzusehen, ob sich schon jemand einen der Schnipsel mit der Telefonnummer abgerissen hatte. Er hatte seinen Aufruf an beinahe jedes schwarze Brett in der Uni gehängt und zudem noch über die Maillisten laufen lassen, doch bisher hatte sich niemand gefunden, der sich in ein Tütü, denn so hieß dieses Kleid, stecken lassen wollte. Frustriert sah er, dass es auch dieses Mal immer noch alle Zettelchen vorhanden waren. "Warum meldet sich denn niemand?", beschwerte er sich bei Stefan, der schlurfend nach ihm die Mensa erreichte. Im Schlepptau hatte er Sabrine dabei, die am selben Tag noch den Tanzkurs hatte. Gemeinsam reihten sie sich in die Schlange vor der Essensausgabe ein. "Würdest du dich in ein Tütü stecken lassen", fragte Stefan, "fotografieren lassen und dann dieses Bild sogar noch möglicherweise im ganzen Studiengang Fotographie bekannt werden lassen?" Natürlich war das aus Stefans Mund so etwas wie die Verdammnis zum Unmännlich sein. Dabei hatte das doch alles nichts mit Männlichkeit zu tun. "Naja", räumte Julien ein, "wahrscheinlich nicht." Er seufzte. War sein Vorhaben denn zum Scheitern verurteilt? Er sah das Bild doch immer noch so deutlich vor seinem geistigen Auge. Konnte das der Fall sein, wenn es nicht zustande kommen sollte? "Siehst du", stimmte Stefan zu. Er ließ sich von der Mensafrau eine doppelte Portion Fleisch aufladen. Leo Irgendwie musste er sich endlich dazu durchringen, Ballett lieben zu lernen. Herr Müller lobte ihn für seine Technik, verfluchte ihn jedoch in diesem scheußlichen Pseudofranzösisch für seine Steifheit und Ausdruckslosigkeit. Immerhin versuchte eine der Blondinen mit ihm anzubandeln. Vielleicht half ihm die Beziehung zu einer stärkeren Bindung zum Tanz selber. Auf dem Weg zur Uni dachte er über Herrn Müller und die Blondine nach. Da er heute nicht so sehr geschwitzt hatte, hatte er nur kurz geduscht und war schon etwas eher am Campus als erwartet. Unschlüssig, was er tun sollte, ging er zu dem Raum, in dem er die Tanzstunde halten würde. Ein junger Mann und eine der Frauen aus seinem Kurs warteten bereits vor der Tür und unterhielten sich angeregt. Als sie bemerkten, dass er sich ihnen nährte, wandten sie sich ihm zu. "Leo", sprach ihn die Frau an, "ist es in Ordnung, wenn mein Freund Stefan heute reinschnuppert?" Sie sah ihm dabei tiefer in die Augen als es eine vergebene Frau normalerweise tun würde. "Männer sind bei mir immer willkommen", scherzte Leo zweideutig. Er hatte den Frauen angeboten, ihn Leo zu nennen, weil er sich noch nicht daran gewöhnen konnte, "Herr Scherbenwert" genannt zu werden. Außerdem brauchte man beim Tanzen eine gewisse Lockerheit, die er befürchtete, dass sie verloren ging, wenn man zu formell wurde. Die Bemerkung brachte ihm von dem Freund einen merkwürdigen Blick ein. Bevor er allerdings erklären konnte, dass er auf Frauen stehe, ergriff der junge Mann das Wort. "Haben Sie schon die Suche nach einem Modell gesehen?", fragte er. Leo legte den Kopf schief. Er war Tänzer, kein angehendes Modell. "Nein", antwortete er, "warum sollte mich das interessieren?" "Weil ein Freund verzweifelt auf der Suche nach jemandem ist, der sich in ein Tütü stecken lässt", erklärte Stefan mit einem kaum unterdrückten Lachen. Nun, Tütüs waren für Leo kein allzu großes Problem, bei Tänzen trug man allerlei seltsame Kleidung. Er musste nur an die typische Hula-Kleidung denken und ein Tütü ging fast als normal durch. "Ich kann es mir ja mal durch den Kopf gehen lassen", ließ er seine Meinung im Unklaren. Die Miene des jungen Mannes hellte sich auf. "Super", strahlte er, "ich habe mir erlaubt, seine Kontaktdaten mal mitzubringen." Er kramte aus seiner hinteren Hosentasche ein leidlich mitgenommenes Stück Papier. Mehr ein Fetzen als ein wirkliches Papier. Leo nahm es skeptisch entgegen und warf einen Blick darauf. Eine Telefonnummer und eine E-Mailadresse sowie "Tanzmodell" standen darauf. Nun, immerhin würde er sich merken können, wofür es da war. "Dann melde ich mich bei deinem Freund", sagte Leo und steckte das Papier in seine Tasche mit den Sportsachen, die er beim Ballett getragen hatte. Die Tanzstunde verlief nicht ungewöhnlich, der Freund der Frau hatte wenig Talent zum Tanzen, andererseits hatten das die wenigsten. Er allerdings hatte, wie dem männlichen Geschlecht meistens nachgesagt wurde, auch wenig Interesse daran. Julien Müde saß Julien im Bus zum Uniwohnheim. Den verbleibenden Tag über war er durch die außerhalb gelegenen Stadtteile gefahren, auf der Suche nach dem perfekten Hintergrund für sein Bild. Dabei hatte er einige heruntergekommene Gebäude gefunden, die an sich schon ein schönes Motiv abgegeben hatten. Zu seiner Freude und dem Leid seiner schmerzenden Füße war er auf ein stillgelegtes Industriegebiet gestoßen, auf dem noch einige Kräne herumstanden, Lagerhäuser, die halb eingefallen waren und Balken überall verstreut. Sie gaben die Linien beinahe genau so wider, wie er sie sich vorgestellt hatte. Natürlich hatte er den Ort bereits aus verschiedenen Winkeln fotographiert, um ein Gefühl für ihn zu bekommen. Er wusste bereits ein, zwei Stellen, an denen er gerne sein Modell aufstellen würde, wenn denn jemals eins käme. Nachdem er ausgestiegen war, überkam ihn der Impuls, noch einmal nachzusehen ob schon wer seine Kontaktdaten mitgenommen hatte. Also schlurfte er in die Mensa, seine müden und wunden Füße versuchend zu ignorieren. Das schwarze Brett sah nahezu unverändert aus, als er seinen Aushang gefunden hatte, stockte ihm jedoch kurz der Atem. Ein Schnippsel fehlte. Der ganz rechts war von irgendjemandem nicht gerade feinfühlig abgerissen worden. Begeistert machte Julien ein Beweisfoto und eilte, auf nicht mehr schmerzenden Füßen, zu Stefan. Er schlug die Wohnungstür elanvoll auf und hielt seine Kamera wie den heiligen Gral in die Höhe. "Stefan", rief er in die Wohnung, "Stefan!" Aus dem Zimmer des gesuchten blickte ein müdes Gesicht zu ihm. "Was schreist du denn so?", verlangte Stefan zu wissen und rieb sich die Augen. Julien hielt ihm die Kamera unter die Nase, mit dem ausgewählten Beweisbild. "Sieh!", jubelte er, "jemand hat Interesse an dem Aushang gezeigt!" Stefan rieb sich einmal mehr die Augen und schielte auf den Flüssigkristallbildschirm. "Oh", meinte er, "das war ich." Enttäuschung machte sich in Julien breit. Langsam ließ er die Kamera sinken. "Oh", wiederholte er tonlos. Stefan klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. "Aber Kopf hoch, Alter", meinte er, "ich hab es diesem Tanzlehrer gegeben, du weißt schon, dem, von dem Sabrine erzählt hat. Hat übrigens wirklich nen geilen Arsch für nen Kerl." Julien glaubte, sich verhört zu haben. "Seit wann interessierst du dich für die Ärsche von Kerlen?", wollte er wissen. Stefan grinste ihn an und Julien wusste, dass er ihn gerade auf den Arm genommen hatte. "Aber ehrlich, der hat Interesse an deinem Tütü gezeigt", meinte er selbstbewusst. "Wirst sehen, der meldet sich bei dir." Julien wollte ihm gerne glauben. "Na, wenn weiter nichts ist, leg ich mich wieder hin", gähnte Stefan, "Hab morgen früh eine Veranstaltung." Julien kicherte. Stefan musste eine Grundlagenveranstaltung wiederholen, die er verpatzt hatte, weil er lieber mit der Übungsleiterin geflirtet hatte als sich auf den Stoff zu konzentrieren. Das Grinsen brachte ihm einen bösen Blick ein, doch heute konnte ihm nichts mehr die Stimmung verderben. Er hatte den perfekten Platz und jemand hatte seine Adresse genommen und der war sogar ein richtiger Tänzer, der Ballettunterricht nahm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)