Fremdkörper von -wolke- ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Kapitel 2 Hinter ihm knallte die Tür ins Schloss. Er kickte sich die Schuhe von den Füßen und lief die Treppe hoch ins erste Stockwerk, in sein Zimmer. Wieder knallte hinter ihm die Tür. Zum Glück war seine Mutter nicht da. Er sank auf den Boden, wo er gerade stand, atmete heftig, wie unter Schmerzen. Seine Augen brannten. Sein Hals fühlte sich zugeschwollen an, als könnte er nicht mehr atmen. In seiner Brust war ein stechender Schmerz. Er krümmte sich leicht, schlang die Arme um seinen Körper. Er hatte gedacht, er hätte es hinter sich gelassen. Er hatte gedacht, es wäre vorbei. Zwei Jahre- zwei Gottverdammte Jahre… Und alles war wieder da. Als wäre keine Zeit vergangen. Der Schmerz schoss durch ihn durch, als wäre es erst gestern gewesen, dass ihm Bens Mutter gesagt hätte, dass ihr Sohn weggegangen ist. Es war zum verzweifeln. Zittrig schnappte er nach Luft, versuchte zwanghaft, sich zu beruhigen, als er etwas gegen sein Fenster prallen hörte. Wieder ein leises klackern, wie von kleinen Kieseln, die jemand gegen sein Fenster warf. Das konnte nur einer sein. Schwankend kam er auf die Beine und stolperte zum einzigen Fenster im Raum, riss es auf und schaute hinunter. Im Garten stand ein Mädchen. Selbst im dämmrigen Licht des Abends konnte er ihre kirschrot gefärbten Haare sehen. Sie trug eine schwarze Plüschfelljacke mit Teddyohren auf der Kapuze, darunter eine Latzhose aus Jeans mit weiten Beinen, die in roten Chucks steckten. Sie hatte eine Hand in der Jackentasche vergraben und mit der anderen warf sie immer zu einen Kiesel in die Luft und fing ihn wieder auf. Sie hatte ein blasses, rundes Gesicht mit großen, dunklen Augen, die frech funkelten. Ihr Mund war zu einem ewig spöttischem Lächeln verzogen. „Na?“, rief sie zu ihm hoch. „Komm rum.“, kam Noahs kraftlose Antwort. Sie runzelte die Stirn und nickte, setzte sich in Bewegung. Noah schloss das Fenster und ging zur Haustür, um sie zu öffnen. Vor ihm stand Mell und schaute ihn an. „Deine Mum?“ „Nachtschicht.“, brummte er und ging von der Tür weg. Wesentlich leiser, als er zuvor, schloss sie die Tür hinter sich und zog sich im stehen umständlich die Schuhe aus und stellte sie neben seine. Dann folgte sie Noah in sein Zimmer. Sie fand ihm vor seinem Bett sitzend, die Beine lang ausgestreckt, leicht gespreizt, die Amre lose an sich herunter hängend, die Augen Blicklos auf das Fenster gerichtet. Na, super. Leise seufzend setzte sie sich neben ihn im Schneidersitz und wartete. Ihn auszuquetschen brachte nichts. Wenn Noah nicht reden wollte, redete er nicht. Wie eine Miesmuschel. Irgendwann zog er die Knie an die Brust und ließ seinen Körper gegen sie kippen, sein Kopf landete auf ihrer Schulter. Sie lehnte ihre Wange an seinen Haarschopf. Sie hörte ihn schwerer Atmen, spürte, wie sich sein Körper immer wieder verkrampfte, der leise, tonlose, stockend ausgestoßene Atem. Es war, als würde er mit aller Macht seine Schreie unterdrücken. Noah weinte nie laut. Sie kannte ihn jetzt seit irgendwas bei zwei Jahren. Als sie sich kennenlernten, war er mehr ein Wrack, als alles andere. Eigentlich hatte sie ihn seitdem nie wieder so am Boden erlebt. Sie spürte, wie ihre Jacke und das T-Shirt langsam nass wurden. Nach einer Weile beruhigte sich das Zittern, das durch Noahs Körper ging. Langsam verlagerte er sein Gewicht wieder von sich weg, stand auf und ging zu seinem Nachttisch, um aus der obersten Schublade nach Taschentüchern zu suchen. Er wischte sich die Augen trocken und schnäuzte sich. Dann wandte er sich um und schaute zu Mell, die immer noch vor seinem Bett saß und ihn wortlos anschaute. Abwartend. Sie verwunderte ihn immer wieder. Wenn er sie brauchte, erschien sie einfach aus dem Nichts, ohne, dass er sie kontaktieren musste. Sie war ziemlich ausgeflippt und scherte sich einen Scheißdreck um die Meinung anderer. Während er seinen Abschluss machte, arbeitete sie in dem Plattenladen ihres Vaters. Kennengelernt hatte er sie, als Sophie ihn vor zwei Jahren in die Band mitgebracht hatte. Kurz nach dem Ben weg war. Irgendwie war sie binnen kürzester Zeit seine beste Freundin geworden, als wäre sie sein Gegenstück. Und das auf eine ganz unromantische Weise. Er hatte keine Beziehungen mit Frauen, und sie hatte keine Beziehungen. Sie meinte, wichtige Beziehungen hatte sie zu ihren Freunden, alles andere war Triebbefriedigung. Von Liebe hielt sie nicht viel. Und Noah beneidete sie um diese zwanglose Einstellung. Er schlurfte zu ihr rüber und ließ sich neben sie fallen. Bei ihr konnte er sich entspannen. Sie drängte ihn nicht, quetschte ihn nicht aus, wartete geduldig und hörte zu, ohne lästige psychoanalytische Kommentare. Sie war einfach herrlich unkompliziert. Und ehrlich. Sie sagte ihm klipp und klar ins Gesicht, was sie dachte, auch, wenn sie ihm damit weh tat. Er selbst war viel zurückhaltender. Aber das war ok. „Er ist wieder da.“, flüsterte er leise. Seine Stimme klang kratzig und rau, wie eingerostet. „Zwei Jahre war er weg, und jetzt taucht er wieder auf. Will sich mit mir treffen. Und bringt zur Feier des Tages seinen Neuen gleich mit!“ Er lachte freudlos auf, es klang ziemlich verzweifelt in seinen Ohren. „Ich habe ihn geliebt, weißt du, so sehr geliebt. Und er wirft mich einfach weg. Und jetzt taucht er wieder auf, einfach so!“ Er brach ab, er konnte einfach nicht ausdrücken, welcher Sturm in ihm tobte- fand wie so oft die richtigen Worte nicht. Vorsichtig schaute er zu Mell, ob sie ihm folgen konnte. Sie sah ihn schief lächelnd an. Auf ihre merkwürdige Art und Weise verstand sie ihn einfach, ohne dass er groß reden musste. „Hast du ihm überhaupt eine Chance gelassen, sich zu erklären?“, fragte sie ihn. Er schüttelte den Kopf. „Konnte es nicht ertragen, ihn zu sehen.“; brummelte er. Sie schnaufte. „Du hattest dir Hoffnungen gemacht.“, stellte sie fest. Er schaute sie an. „Verrückt, oder? Ich dachte, es wäre vorbei, ich wär drüber hinweg. Dabei habe ich auf ihn gewartet, wie…“ Er wusste nicht, wie. Auf jeden Fall fühlte er sich schlecht, furchtbar kitschig. „Ich bin wie diese dummen Frauen aus Mums Romanen und Liebesfilmen.“, knurrte er endlich. Jetzt lachte Mell neben ihm laut auf. Irritiert schaute Noah zu ihr. Dann musste er ebenfalls lachen. Dann stand er auf. „Komm, ich hab Durst.“, meinte er und ging runter in die Küche, gefolgt von Mell. Er goss sich und seiner Freundin Saft in zwei Gläser, reichte ihr eins und lehnte sich an die Arbeitsfläche neben der Spüle, während sie am Türrahmen gelehnt stehen geblieben war. Sie trank einen Schluck, bevor sie etwas sagte. „Ich denke, ihr solltet schon ein klärendes Gespräch führen. Du solltest zulassen, dass er die seine Gründe nennt.“, meinte sie schließlich. Den Vorschlag mochte er gar nicht. Er hatte keine Lust mehr, sich mit Ben zu treffen. Aber Mell bewies wieder, wie gut sie ihn kannte. „Oder du ignorierst ihn und schließt endgültig mit ihm ab. Lässt ihn los und sagst, dir ist der ganze Scheiß wumpe.“ Er zuckte mit den Schultern und grinste sie schief an. Sie rollte mit den Augen und seufzte, ließ das Thema aber fallen. Das brachte jetzt nichts. „Kommst du morgen zu Probe?“, fragte sie. „Mein Dad hat vielleicht einen Gig für uns.“ Er nickte und nahm einen großen Zug aus seinem Glas. „Denke.“, meinte er. „Bei dir?“ „Wie immer. Wo Sonst?“, meinte Mell lachend. „Sophies Garage…“ „-Ist wohl kaum geeignet!“ Sie trank kopfschüttelnd ihr Glas aus und stellte es mit einem Klacken an den Rand der Spüle. „Warum bist du eigentlich her gekommen?“, fragte Noah endlich. Sie zuckte mit den Schultern. „Wollte fragen, ob du Zeit hast. Mir war langweilig.“, meinte sie nur leichthin. Sie zuckte mit den Schultern. „Papa wollte einen auf Familienabend mit Theresa machen- und das ist mir einfach nichts.“, murmelte sie. Sie liebte ihren Vater über alles, und sie kam mit ihrer Stiefmutter auch ganz gut klar. Nur sah sie nicht ein, warum sie Familie spielen sollte, denn: `Sie ist nicht meine Mum. Punkt.‘ Er machte es ihr nach und leerte ebenfalls sein Glas. „Na, dann wird ich jetzt wieder. Ist auch schon spät.“, brummelte sie mit einem Lächeln. Noah nickte. „Hey, du kannst ausschlafen. Ich hab gleich zur ersten Stunde.“ „Selber schuld. Was machst du auch Abi?“, erwiderte sie frech, um ihn zu necken. Er grinste. „Um Musik zu studieren.“, antwortete er. Sie schnaubte nur. Dann wandte sie sich um, indem sie ihr Gewicht auf ihre Hacken verlagerte und auf ihnen drehte sie sich um hundertachtzig Grad. Noah folgte ihrem leicht hüpfenden Gang weniger beschwingt und etwas schlurfend. „Ach ja!“, sagte sie, als sie an der Tür stand und sich umständlich die Schuhe im stehen anzog, auf einem Bein hüpfend. „Bald ist wieder Modenshow. Bist du wieder mein Partner?“, fragte sie. Er lachte. „Vergiss es. Ich hasse es, im Mittelpunkt zu stehen. Das weißt du. Aber ich schaue es mir gerne an.“ Sie lachte. „Aber auf der Bühne stehen.“, neckte sie ihn. Er zuckte mit den Schultern. „Das ist was anderes.“, brummte er. Sie zuckte mit den Schultern und umarmte ihn zum Abschied. Er schaute zu, wie sie die Straße hinab hüpfte, bis sie aus seiner Sicht verschwand. Dann schloss er die Haustür und ging hinauf und ging ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen und kurz zu duschen. Als er aus der Dusche trat und sich abgetrocknet hatte, zog er sich seine Boxershorts zum Schlafen an. Dann beugte er sich über das Waschbecken, um sich die Zähne zu putzen. Als er fertig war und wieder aufsah, schaute ihm sein Spiegelbild unglücklich in die Augen. Er betrachtete sich selbst. Er war dünn, fast mager. Seine Haut war fast unnatürlich blass. Die schwarzen Haare klebten nass an seinem Hals. Seine Augen waren zwei dunkle Löcher in seinem Gesicht. So dunkel, dass man kaum sah, dass sie eigentlich blau waren. Eine gerade, schmale Nase, schmale, ebenmäßige Lippen. Sein Gesicht war ebenso schmal. Nichts besonderes, fand er. Vielleicht war dass das Problem, vielleicht war er einfach nichts besonderes. Vielleicht war Ben deswegen gegangen. Kurz sah er den Fremden wieder vor sich stehen. Groß, kräftig, sportlich, gutaussehend. Ein kleinwenig exotisch. Sie sahen schon gut zusammen aus. Es tat weh. Er wandte sich ab und verließ das Bad, ging in sein Zimmer und ließ sich in sein Bett fallen, um in einen unruhigen Schlaf überzugehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)