Geistkrieger von Totenbuddler ================================================================================ Kapitel 4: Im Wald ------------------ Diese wartende Stille wird dem jungen Jäger zu viel. Hastig steht er auf und will gerade nach draußen gehen, als die Stimme seines Großvaters ihn aufhält. „Gestern war ich in der Geisterwelt. Dort habe ich bei den weisesten der Tiere Rat gesucht. Habe Vater Himmel und Mutter Erde um Antworten angefleht.“ Die Stimme des Mannes ist wie ein Windhauch, unwirklich, als könnte sie jeden Moment verschwinden. „Weißt du was sie mir gesagt haben?“ der Blick des alten Shamanen ist auf das Wasser gerichtet. Tonlos schüttelt Cheveyo den Kopf. Seine Kehle ist wie zugeschnürt, auf seiner Brust scheint sich ein Bison niedergelassen zu haben, so schwer fällt es ihm, Luft zu holen. Sein Großvater schaut auf und krampfhaft muss Cheveyo schlucken. „Ich fragte sie, was ich tun könne, um mein Volk zu schützen, es vor dem Untergang zu bewahren vor dem Dämon.“ Das Leuchten in den Augen wird matter, der Ausdruck in ihnen kummervoll, „Nichts. Das sagten sie mir. Es gibt nichts, was ich tun kann. Nichts um meinen eigenen Tod und den des Stammes zu verhindern.“ Noch einen Moment hält der Alte den Blickkontakt aufrecht, dann schaut er herunter zum Wasser. Betont ruhig atmet Cheveyo, als er vor dem Wetu steht. Sein Herz scheint gepackt von der Schuld, vom Wissen, dass er seinem Großvater alles sagen sollte. Hat er es nicht deutlich genug erwähnt? Der heilige Mann kann nichts tun für den Stamm, kann sein eigenes Leben nicht retten. Cheveyo kennt den alten Mann, weiß, wie er denkt, weiß dass wenn er etwas ausspricht es einen Grund haben muss. Der Shamane kann nichts gegen den Dämon tun, weil Cheveyo der Einzige ist, der etwas gegen den Dämon unternehmen kann. Wütend fährt er sich über die Augen. Er kann kein Shamane werden, er will kein Shamane werden. Niemals... niemals! Seine Beine fangen an zu gehen, zielstrebig auf einen Ort zuzusteuern, an dem er immer Antworten gefunden hat, wenn er nicht mehr weiter wusste. Zu seiner kleinen Schwester Namida. Sie haben nicht dieselbe Mutter, doch er liebt sie mehr als seine größeren Brüder. Ihr lachen und ihre Fröhlichkeit haben etwas Befreiendes. Wenn Cheveyo das Gefühl hat, nicht mehr weiterzukommen, so ist sie es, die ihn wieder aufbaut. Die genau die richtigen Worte findet. Mit ihrer kindlichen Sichtweise, die vollkommen frei ist von Lug und trug wird sie ihm sicher einen Ausweg zeigen. Namida ist bei dem ältesten der Geschwister untergekommen, bei Helaku und seiner Familie. Unschlüssig steht Cheveyo vor ihrem Wetu, soll er hineingehen? Vielleicht schlafen sie noch und er will sie nicht wecken. Die Antwort wird ihm abgenommen, als sich durch die Öffnung ein Kopf voller geflochtener Zöpfe schiebt. Das Lächeln das Namida ihrem Bruder schenkt, lässt die Sonne erneut aufgehen. Cheveyo merkt das sein Gesicht das Lächeln erwidert und glücklich lässt er sich darauf ein. „Morgen, großer Bruder. Musst du zu Helaku?“ Er schüttelt den Kopf. „Nein, ich bin wegen dir hier.“ Freudestrahlend lacht sie auf. „Dann musst du aber mit mir Schritt halten, denn ich muss Holz sammeln. Nicht einmal für eine kleine Flamme haben wir noch was.“ Das Lächeln auf dem Gesicht nickt Cheveyo, nichts würde er lieber tun. Sie gönnen sich eine Pause, auf der Lichtungen im Wald. Das Holz das Namida gesammelt hat, liegt neben ihr auf dem Boden, während ihr Lachen durch die Blätter streicht, sich mit dem sanften Wind verwebt. Als es sich verliert, schaut sie auf den Boden, beißt sich auf die Lippe, bevor sie zu ihrem großen Bruder aufschaut. „Du warst nicht da, als Vater gegangen ist.“ Namidas großen grauen Augen schauen ihn an und sofort fühlt er sich schuldig. Um ihrem Blick auszuweichen, beobachtet er die Bäume. Da bemerkt er ein Eichhörnchen, langsam greift er an das Messer an seiner Seite und geht bedächtig auf den Baum zu. Mit einer eingeübten Bewegung schnellt das Messer aus seiner Hand. Da bewegt sich das Ziel, das Eichhörnchen will wegrennen, den Baum hinauf. Doch damit hat er gerechnet und etwas höher gezielt. Mit einem zufriedenen Schnauben quittiert er das Geräusch, mit dem das Messer sich in das Holz frisst, und zieht das Messer mit dem Tier vom Baum. Als er sich umdreht sieht seine Schwester ihn nur missbilligend an. „Ich mag Eichhörnchen!“ Schulterzuckend und grinsend schaut ihr Bruder sie an und setzt sich ins Gras. Weiß er doch, das Namida sich genauso, wie alle anderen über frisches Fleisch freut. „Namida, ich muss dir was erzählen.“ Der formelle Ton den Cheveyo anschlägt lässt das Mädchen, das erst zehn Sommer gesehen hat, aufhorchen. Mit großen Augen schaut sie den älteren Bruder an. „Ist es ein Geheimnis?“ ihre Stimme klingt aufgeregt. Verschwörerisch blickt sich der junge Jäger um und beugt sich zu ihr vor. „Ja, also erzähl es bloß niemandem! Es ist unser kleines Geheimnis!“ Eifrig nickt die Jüngere, ganz begierig darauf etwas zu erfahren, was sonst keiner weiß. Cheveyo redet drauflos, von den Tieren, die so zutraulich waren. Von dem Rat, bei dem er dabei war und von ihrem Großvater, der noch immer will das Cheveyo Shamane wird. Namida hängt an seinen Lippen, sie liebte schon immer Geschichten. Sie unterbricht ihren sechs Sommer älteren Bruder nicht, schweigt, bis er auch von seiner Reise zu den Geistern erzählt hat, erst dann schaut sie ihn mit fragendem Blick an. Der Ausdruck in ihren grauen Augen erinnert ihn den der Schneeule, beide scheinen nicht zu wissen, wie viel Weisheit sie besitzen. „Großvater will das du Shamane wirst“ fängt sie an zusammenzutragen, was sie verstanden hat. „Doch du willst das nicht. Aber du warst in der Welt der Geister, ohne einen anderen Shamanen der dich geleitet hat.“ Cheveyo nickt, wagt nicht sie zu unterbrechen und hofft verzweifelt, dass sie ihm einen Ausweg aufzeigt. Namidas Augen scheinen etwas in seinem Gesicht zu suchen, nach etwas bestimmten zu forschen. „Dann bist du doch schon ein Shamane.“ Wie versteinert sitzt er da, unfähig sich zu rühren für einen Moment, dann lacht er schallend. Mehr aus Verzweiflung als denn aus Freude. „Nein! Ich bin kein Shamane! Ich bin nur zufällig dorthin gelangt! Ich bin ganz normal!“ Seine Schwester schüttelt traurig den Kopf. „Aber selbst die Gehilfen von Großvater Shamane brauchen Hilfe bei der Krafttierreise! Warum hast du es sonst so einfach geschafft, wenn du kein Shamane bist?“ Stille senkt sich über die beiden, während Cheveyo nachdenkt, etwas sucht, um die Worte des Mädchens entkräften. „Großvater schafft es nicht, alleine den Dämonen zu besiegen.“ Es kommt stockend, zaghaft aus seinem Mund. Als würde es erst jetzt wahr werden, wenn er es ausspricht. Als hätte er Angst vor den Worten, die seine Schwester nun sagen könnte. „Dann hilf ihm doch.“ Die Aussage, so unschuldig hervorgebracht das er nicht einmal böse sein kann lässt ihn auffahren. Verzweiflung kommt in ihm hoch. „Nein! Ich kann nicht! Ich bin kein Shamane! Ich kann das alles nicht!“ Stürmisch rennt er fast vor ihr hin und her, muss seiner Mutlosigkeit Luft verschaffen. „Großvater wird dich sicher einweisen und dir alles Beibringen.“ Ihr lächeln soll ihn beruhigen, doch gerade das macht es nur noch schlimmer. „Was ist, wenn ich es nicht schaffe?“ seine ganze Kraft scheint aus ihm zu weichen, geschlagen schaut er durch das zarte Blätterdach zum Himmel. Müde betrachtet er das Gesicht, das, umrahmt von schwarzen langen Zöpfen, mit Sanftmut zu ihm hochschaut. Sein Anker in dieser harten Welt, sein Zelt voller Freude und Weisheit. Ein Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht, matt ohne Freude. Ihm wird klar, das der Mann, der sie einst bekommen wird, jemand Besonderes sein muss. Cheveyo kniet vor sie, nimmt ihre Hand in seine und schaut ihr in die Augen. „Namida, ich bin kein Shamane. Kein Weg führt mich zu der Lösung, wie ich etwas dazu beitragen kann. Wenn ich versage, so gehen viele Menschen von uns. Um dieses Problem müssen sich Leute kümmern die mehr davon verstehen, als ich es tue.“ Namidas Zöpfe fliegen, als sie ihren Kopf energisch schüttelt, sie lächelt und drückt ihrem großen Bruder, mit dem sie nur den Vater teilt, einen Kuss auf die Stirn. Ganz so als wolle sie ihn vor den düsteren Gedanken beschützen. „Ich glaube an dich.“ Ihr lächeln ist bei den Worten, so strahlend das Cheveyo das Herz brechen will. Sie steht auf und streicht ihr knielanges ledernes Kleid über den Beinlingen glatt, Cheveyo will es ihr gleichtun, da schaut sie ihn an. Ein wenig traurig diesmal, sodass er wieder zurück auf die Erde sinkt. „Ich glaube an dich, du kannst das schaffen. Du bist doch mein großer Bruder.“ Sie stockt kurz und beißt sich auf die Lippe, „Doch jemanden der meine Freunde sterben lässt, den kann ich nicht mehr Bruder nennen.“ Geschockt sitzt er da. Nimmt nichts mehr wahr, schaut nur noch aus aufgerissenen Augen seine Schwester an. Sie sagt noch etwas, lächelt und rennt dann in den Wald. Will etwas Holz holen, Cheveyo soll so lange hier warten. Doch der Junge bekommt es nicht mit. Nichts mehr um ihn scheint noch Sinn zu machen. Angst schreit in seinem Innern, Angst zu versagen und diese nagende Furcht seine Schwester zu verlieren, dass sie ihn nie wieder anschauen wird. Nie wieder ihn anlächelt oder mit ihm redet. Er kann kein Shamane werden. Seine Brust zieht sich zusammen. Er beugt sich nach vorne, schlägt auf Mutter Boden ein. Cheveyo will schreien, will toben und die Welt fragen, warum er das alles durchstehen muss. Er will nur normal sein. Er will doch keinen enttäuschen. Plötzlich erinnert er sich an die ganzen Nächte, die er auf den Fellen im Wetu seines Vaters verbracht hat. Lautlos weinend, schreiend nach einer Person, die ihn liebt und in die Arme nimmt. Nach seiner Mutter, nach Geborgenheit. Doch seine Mutter ist nicht da. War sie nie, nie für ihn. Er schreit, lautlos, unhörbar. Wieder will er weinen, sich übergeben. Irgendwas, nur das er sich nicht mehr so elend fühlt. Doch keine Träne kommt, ausgepumpt und schockiert von den Gefühlen starrt er auf das Blätterdach. Lässt sich hinten überfallen und begrüßt den Schmerz im Rücken, als er dumpf aufschlägt. Es lenkt ihn, für kurze Zeit, von seinen Problemen ab. Sein Großvater, der Alte Mann, der Heilige Mann des Stammes. Ja, ist er nicht der, von dem es heißt, das er der erste Shamane des ganzen Volkes ist? Der Vater seiner Mutter, einer großartigen Shamanin. Sie hätte besser werden können als er! Wäre sie nicht gestorben. Durch seine Geburt. Krampfhaft schließt Cheveyo die Augen, er ist schuld, das seine Mutter gestorben ist, genau, ein Jahr nachdem sie ihm das Leben geschenkt hat, starb sie. Sie hat sich nicht mehr erholt, kam nicht mehr zu Kräften. Als hätte sie alles verbraucht, um ihn zu gebären. Sie hätte sicher einen Weg gefunden, den Dämonen zu besiegen. Er kann sich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern. Weiß nicht, wie sie gerochen hat oder wie ihre Arme ihn sanft und schützend umschlungen haben. Ihr Vater, der große Shamane hat nichts für sie getan. Konnte sie nicht retten. Dabei ist er doch der Beste. Dabei ist er doch so stark, so mächtig so… er hat seine eigene Tochter sterben lassen. Konnte das, was ihm am wichtigsten war, nicht retten. Cheveyo will das nicht. Er kann es nicht. Wie soll er jemand sein, der mächtig ist und doch die die ihm Nahe sind, nicht retten kann? Wie soll er in die Augen derer schauen, die auf ihn vertrauen, wenn er weiß, dass er dann doch versagt? Er will niemanden sterben sehen. Er will keinen verlieren, keinen enttäuschen. Diese Verantwortung ist Cheveyo zu groß. Warum also verliert er nun jemanden, wenn er kein Shamane wird? Wie kann es seine Schuld sein? Versteht Namida nicht das er dazu nicht fähig ist? „Nein, denn sie hatte ja immer eine Mutter.“, sagt eine gemeine Stimme in seinem Hinterkopf. Ruckartig setzt er sich auf, reibt entschieden mit dem Handballen über die Stirn, sowas darf er nicht einmal denken! Seine Gedanken sind ruhiger, sie wissen noch immer nicht weiter, doch nun wird er nicht mehr von ihnen erdrückt. Die Finger gleiten an die Federn, streichen sie entlang und Liebkosen sie. Langsam verliert er sich an die Erinnerungen, an die Geschichten die der heilige Mann von seiner Mutter erzählt hat. Da reißt ihn ein Schrei aus den Gedanken. Verwirrt schaut er sich um nicht weit entfernt sitzt ein Weißkopfseeadler auf einem Ast. Er! Nur wegen ihm hat seine Schwester sowas zu ihm gesagt! Nur wegen den Geistern, denkt der Vater seiner Mutter, das er ein Shamane werden muss, denkt der das er mächtig ist. Seine ganze Wut konzentriert sich auf Dyami, den Adler. Der scheint zu spüren, was in ihm vorgeht, sein Auge ihm zugewandt mustert er ihn streng und zornig. Wer hat denn hier mehr recht zornig zu sein? Flink klaubt Cheveyo einen kleinen Stein auf und wirft ihn nach dem Vogel. Erst als das Geschoss seine Finger verlässt, erkennt er, was er da macht. Scham überflutet ihn und sein Blick folgt dem Stein auf seiner unheilvollen Bahn. Nur das Klacken des Steins auf dem Holz ist zu hören. Der Adler ist verschwunden. Da bohrt sich ein Schmerz in Cheveyos ausgestreckten Arm und lässt ihn aufkeuchen. Nur mit Mühe schafft er es, ihn oben zu halten. Der Adler hat seine Klauen tief in das Fleisch gegraben. Entrüstet faltet er seine Flügel noch einmal auf und schreit, wohl wissentlich das Cheveyo es somit schwerer hat ihn oben zu halten. „Es, tut mir leid“ presst der Mensch zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Die kleine Eule hat recht.“ Zu groß sind die Schmerzen, zu schwer ist der Vogelkörper als das sich Cheveyo darüber wundert, warum die Stimme nur in seinem Kopf auftaucht. Warum der Adler überhaupt so mit ihm sprechen kann. „Eule? Ist Kotori auch hier?“ er schaut sich um, stützt seinen malträtierten Arm mit der anderen Hand. Der Adler plustert sich auf, fast kann Cheveyo ihn lachen hören. „Die, die du Schwester nennst. Sieh sie durch die Augen, die nicht in deinem Kopf sind, dann erkennst du den Waldkauz, der sie ist.“ „Was?“ verwirrt wie er ist, versteht Cheveyo kein Wort, die Schmerzen lassen ihn erneut aufstöhnen, doch tief in ihm drin weiß er, dass er es verdient hat. „Sie hat recht. Du bist der einzige der den Dämon stoppen kann. Dich kennt er nicht. Deinen Großvater hat er schon im festen Griff, die Gehilfen sind keine Gefahr. Doch er kennt dich nicht, weiß nicht das wir bei dir sind. Du bist der einzige der ihn besiegen, ihn überraschen kann.“ Seine Knospen grünen Augen blitzen im Licht der Sonne auf. „Wenn du dich ihm nicht stellst, wird sie dich nie wieder Bruder nennen. Denn dann wird sie nicht mehr lange Leben.“ „Nein!“ der Schrei kommt abrupt und erst danach wird ihm klar, das er es war, der geschrien hat. „Nein, ihr könnt sie mir nicht nehmen!“ Wieder plustert sich der Adler auf. „Nicht wir nehmen sie dir, du wirst sie selbst verdammen, durch deine Tatenlosigkeit!“ „Cheveyo?“ Hastig stolpert Namida auf die Lichtung, ihr gesammeltes Holz fest an die junge Brust gedrückt. Die Fransen ihres Kleides schwingen noch immer hin und her, das Gesicht ist gerötet und der feine Mund geöffnet. Sie muss schnell gerannt sein, als er geschrien hat. Plötzlich schämt sich Cheveyo dessen, mühsam stellt er sich gerade hin. Doch ihm gilt ihr verzückter Blick schon lange nicht mehr. Das Holz landet, mit einem dumpfen poltern auf dem Boden. „Wie wunderschön.“ Langsam kommt sie näher, hat nur Augen für den, in der Sonne schimmernden, Adler. Anmutig senkt Dyami den Kopf, erlaubt der Kleinen ihn zu berühren. Hingerissen berührt sie die Federn lächelt Selig. Als sie ihre Hand wieder zurücknimmt, breitet der Adler seine Flügel aus und fliegt, ohne ein weiteres Wort, davon. Namida schaut ihm hinterher, berauscht von dem Augenblick. „War das dein Tier?“ Die Formulierung bringt Cheveyo zum grinsen, zum Glück kann Dyami die Frage nicht mehr hören. Er verzichtet auf eine Erklärung, nickt nur und hofft das der Adler es nicht doch noch herausbekommt. „Er hat mich kleiner Kauz genannt.“ Stolz steht in ihren Augen, während sie zurückrennt, ihr Holz aufschichtet, das sie es tragen kann. Cheveyo versucht sich zu entspannen, während er die Wunden an seinem Arm betrachtet. Versucht nicht mit seinen Augen zu sehen. Mehr zu sehen als es gibt. Doch jedes Mal wenn er seine Schwester anschaut, kann er nichts anderes sehen als die Person, die ihm am wichtigsten ist. Er sieht sie so wie sie ist, als seine kleine Schwester. Namida hat das Holz aufgehoben. Sauber geschichtet hat sie es nun auf dem Rücken und schaut ihn aus fröhlich glänzenden Augen an. „Wer als Erstes am Waldrand ist!“ jauchzt sie und rennt über den Waldboden in die Richtung des Dorfes. Es dauert einen Moment, bis Cheveyo versteht, doch dann flucht er und schaut sich nach dem Bogen um. Irgendwann wird er ihn nochmal verlieren. „Namida warte!“ Ihm antwortet nur das Lachen und seufzend macht er sich daran, sie einzuholen. Flink wie ein Waldkauz, denkt er sich und verliert sein Lächeln. Hatte Dyami recht? „Er hat sie Kauz genannt.“ Seine Augen werden größer, seine Füße schneller, wie konnte Namida das wissen? Hat er etwa mit ihr geredet? Er holt sie nicht mehr ein. Am Waldrand lehnt er sich schwer atmend an einen Baum. Namida hat sich auf den Boden gelegt. Das Holz liegt neben ihrem glücklichen Gesicht. „Diesmal hast du gewonnen!“ als großer Bruder spielt er den Gönnerhaften, „Aber das nächste Mal kannst du mich nicht so leicht überrumpeln!“ Sie öffnet ein Auge und linst zu ihm rüber. „Du wirst einfach alt Cheveyo!“ Lachend springt Namida auf und greift nach dem Holz. Cheveyo stimmt ein, geht in die Hocke und hilft ihr. „Ist das nicht niedlich?“ Die dunkle Stimme lässt Cheveyo zusammenfahren und sich langsam umdrehen. „Es ist so schön, wenn man sich in der Familie hilft. Musstest du mal wieder deiner Frauenarbeit nachgehen?“ Liwanu steht da, sich locker auf den Speer gestützt. Sie haben wohl zu laut gelacht, stellt Cheveyo fest, sonst hätten sie ihn gehört. In einiger Entfernung stehen andere Jungen aus dem Dorf, Odakotha und andere Freunde von Cheveyo sind auch dabei. Betreten schauen sie herüber. Cheveyo kann es dem Hünen ansehen, das er seine Flucht gestern noch nicht verwunden hat. Bevor einer der beiden etwas sagen, oder schlimmer noch, etwas tun, schiebt sich Namida zwischen die Jungen. Verdutzt blicken sie auf das kleine Mädchen, dass die Fäuste in die Hüften stemmt. „Cheveyo hilft mir nicht!“ entrüstet ist ihr Ton und entschieden der Blick aus dem geröteten Gesicht. „Ich kann meine Arbeit ganz gut alleine machen!“ Ihr Bruder muss lächeln, denkt sie etwa das Liwanu sie damit ärgern wollte? Zu seiner Überraschung grinst auch der andere. „Natürlich, daran hätte ich auch nie gezweifelt.“ Das Blitzen in seinen Augen, als er zu ihm schaut, ist Cheveyo nicht geheuer. „Aber weißt du, wir haben deinen großen Bruder schon gesucht, wir wollen nämlich jagen gehen.“ Im gleichen Maße wie sich Namidas Gesicht zu einem Lächeln aufhellt, verzieht sich Cheveyo zu einer Grimmasse. „Aber er hat doch auch im Wald gejagt!“ Kurz schließt Cheveyo die Augen, fleht stumm sie möge es nicht sagen. „Er hat ein Eichhörnchen erwischt.“ Erst scheint Liwanu verdutzt zu sein, dann richtet er sich zu seiner vollen Größe auf. Das Grinsen in dem Gesicht mit den im Nacken zusammengehaltenen langen schwarzen Haaren wird triumphierend. „Ein Eichhörnchen!“ Cheveyo kann das Lachen in der Stimme hören. Was hat ihm seine Schwester da nur eingebrockt? „Na da ist er ja ein ganz großer Jäger!“ Liwanu hockt sich hin und schaut Namida ernst in die Augen. „Darf ich ihn dir entführen? Es wurden Hirsche gesichtet und die Wollen wir noch schnappen, bevor sie alle weg sind. Cheveyo wird uns da sicher helfen können!“ Namidas lächeln lässt Liwanus Gesicht für einen Moment weich werden. Keiner kann ihr Böse sein, keiner ihre Fröhlichkeit zerstören. „Nimm ihn nur mit,“ mit einem schelmischen Lächeln macht sie die Stimme ihrer Mutter nach, „Aber, bring ihn mir heile wieder!“ Lachend steht Liwanu auf. „Das versprech ich dir Kleine! Ich passe auf deinen Bruder schon auf.“ Namida dreht sich zu Cheveyo um und schlingt die Ärmchen um seinen Hals, als er sich zu ihr runter beugt. Fest drückt sie ihn, ganz so als wäre er nicht nur für ein paar Stunden, sondern für ein paar Tage weg. Als sie ihn loslässt, lächelt sie noch einmal und widmet sich dem Holz. Verloren steht er da, unschlüssig, was zu tun ist. Da legt sich eine Pranke auf Cheveyos Schulter und lässt sein Herz in die Tiefe sinken. Zunächst noch stumm geht er mit Liwanu einige Schritte auf die anderen Jungen zu. „Deine Schwester ist zu nett für diese Welt.“ Stumm nickt Cheveyo, das weiß er doch schon. Trotzdem ist er Liwanu wiederstrebend dankbar, das er den Spitznamen nicht in ihrer Gegenwart verwendet hat. Namida sieht ihn noch immer mit den Kindlichen großen Augen, denkt das er ein Held ist. Liwanu fährt sich über das Zeichen an seinem Hals, dort wo die Begegnung mit einem Bären ihn fast das Leben gekostet hatte. „Weißt du das Namida die beste Freundin meiner kleinen Schwester ist?“ Er scheint noch etwas sagen zu wollen, doch Schweigen senkt sich über die Beiden. Jeder in ihren eigenen Gedanken versunken kommen sie schließlich bei der Gruppe an. Wie von selbst finden die beiden Jungen ihre Freunde und setzen sich mit der Gruppe in Bewegung. „Was war das denn?“, flüstert Odakothah. „Hat er dir gedroht oder so?“ Genervt zuckt Cheveyo mit den Schultern, als wäre es ein Wunder, das er noch gehen kann. Cheveyo kann sein Glück noch immer nicht fassen als sie am Abend zurückkehren. Die Jagd war gut und er hat einen Hirsch mit einem wohlplatzierten Pfeil zu Fall gebracht. Es war ein gutes Gefühl, als die anderen ihm auf die Schulter klopften und seine Treffsicherheit bewunderten. Selbst mit Liwanu und seinen Freunden ist er gut ausgekommen. Nun gehen sie nicht mehr in kleinen Grüppchen und prahlen schlimmer als die Alten mit ihren Jagderfolgen. Die Packpferde, die ihre Beute zurückschleifen, gehen hinter ihnen im gemächlichen Schritt. Als sie auf das Dorf zukommen verstummen sie nach und nach. Großvater Sonne versinkt fast und taucht sie in sein letztes Licht. Trotzdem kommt keiner sie begrüßen. Niemand ist da um sie zu loben, sich über das frische Fleisch zu freuen oder ihnen zu helfen. Schnell drückt Cheveyo einem Jungen neben sich die Leine des Pferdes in die Hand und geht nach vorne. Neben Liwanu bleibt er stehen und schaut, wie der andere, zweifelnd zum Dorf. Der Blick den die beiden austauschen lässt keinen Zweifel zu, Liwanu weiß auch von dem Boten, von dem Dämon. Sofort läuft Cheveyo los, auf das Dorf zu. Dumpf hört er noch Liwanus Stimme hinter sich. „Ihr bringt die Pferde und die Beute langsam zum Dorf zurück. Seid wachsam! Der Rest geht zur anderen Seite! Achtet auf alles Ungewöhnliche, irgendwas stimmt hier nicht.“ „Und diese Seite Liwanu?“, fragt eine Stimme. „Die übernehme ich und der Shamanen Bursche.“ Mit den Worten rennt auch Liwanu los, dem jüngeren hinterher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)