Vom Lied des Blutes von 19Rei-Sama ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog Langsam aber sicher gaben seine Knie nach und er sank schwerfällig zu Boden, fiel dann zur Seite in den weichen, reinen Schnee. Sein Blick ging gen Himmel, sein Atem war schwer und rasselnd. Wie flüssiges Feuer bahnte sich sein Blut den Weg durch seine Adern und troff schließlich aus seinen Wunden wie frischer Harz aus den Rinden der Bäume, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Zitternd erhob er seine Hand, aber sogleich fiel sie zurück in den Schnee und schaffte eine neue Bahn für weiteres Blut. Alles fühlte sich so schwer an, als würde er die Welt auf seinem Körper tragen. Er blinzelte leise und kaum merklich, niemand war in seiner Nähe. Er lag allein im weichen Schnee, keine Blicke die ihn verurteilten, keine Stimmen, die ihn verachteten. Und keine Hände, die an seine Kehle griffen. Etwas legte sich auf seine Wangen, kalter, unbefangener Schnee – warum hatte er die fallende Unschuld nicht bemerkt, die langsam zu ihm niedersank und seinem Blick den schönsten Himmel seit Jahren zeigten? Ein hartes, rasselndes Husten entrann sich seiner heiseren Kehle und zeigte der brennenden Flüssigkeit einen weiteren Weg hinaus in die Freiheit. Er versuchte, einen tiefen Atemzug zu nehmen, aber sein ganzer Körper wehrte sich dagegen. Während seine Muskulatur gegen jedwede Bewegung ankämpfte, drohten seine Lungen zu bersten, während irgendeine unbekannte Kraft sie zusammenzuschnüren schien. Er schluckte und ließ noch einmal die Flammen in seinem Körper lodern, dann erhob er abermals seine Hand, hielt sie mit aller Macht gen Himmel. Wie war es dazu gekommen, dass ihn alle verhasst ansahen? Dass aus jeder Stimme Abscheu und Angst sprachen? Dass jede Hand ein Messer in sein Herz stechen wollte, jedes Ohr sich von ihm abwandte und jedes Licht zerbrach, wenn es auf ihn traf? Wie kam es dazu, dass er allein in dem kalten Schnee weit ab anderer Lebensenergie lag, ohne dass sich jemandes Gedanken um ihn drehten? Ein schwaches Lächeln zog sich auf seine Lippen, während er die weißen Flocken beobachtete. „Wenigstens ihr seid gewillt, mir ein weiches Bett zu geben … Ich werde wohl auf ewig hier verweilen.“ Er hatte einst diesen Weg gewählt, also würde er ihn auch zu Ende gehen. Er würde in seiner Einsamkeit sterben, hier in der endlosen, verschneiten Ebene, würde hier darauf warten, dass die Finsternis ihn aufgrund seines Lebens zu sich in die Tiefe riss. Sein Blick war klar und richtete sich langsam auf die Sterne, während der Schnee langsam seine Tugend und Reinheit an das warme Rot verlor … Kapitel 1: ----------- Kapitel 1 Die Morgendämmerung brach gerade an, als er einen Fuß über die Grenzen der Stadt setzte. Wie ein Omen wirkte es – aber nicht wie ein gutes, denn mit dem Morgen erwachten auch die Köpfe derer, von denen er nicht gesehen werden wollte. Zu groß würde der Trubel, wenn seine Ankunft bekannt wurde, zu unangenehm das Getuschel. Sachte ließ er den Blick schweifen und lief weiter, die Straße war lang und wartete darauf, ihn zu verschlucken und in irgendeine Gasse zu werfen, in der alles Ekel, aller Zorn auf ihn warten würde. Aber das Vergnügen würde er keinem gönnen – vorher durchstreifte er lieber selbst die dunklen Gefilde seiner verhassten Heimat. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe der erste Laden geöffnet wurde. Ein dicker Mann in weißer Kleidung und verschmierter Schürze trat heraus und stellte ein Schild vor die Tür, auf dem er sein Brot preiste. Unbehelligt ging er wieder hinein, er schien ihn nicht bemerkt zu haben. Innerlich nickte er und lief weiter. Wenige Meter später wandte er sich nach links in eine Gasse, dessen aufgerissener Boden mit Schweiß, Blut und Urin getränkt war. Hier und dort tummelten sich Nagetiere und auch ein Rabe hatte sich hier in der dunklen Häuserschlucht aus stinkendem, teilweise noch grauen Stein einen Platz gesichert. Ohne das Getier näher zu betrachten lief er den verdreckten Boden entlang bis er wieder auf eine größere Nebenstraße gelangte und sich nach rechts drehte. Leise hallten seine Schritte von den heruntergekommenen Häusern zurück – das einzige, was die kühle Stille dieses Weges störte. Es dauerte nicht lange, da wurden die nächsten zwei Läden geöffnet, ein Metzger und ein Schuster stellten nun selbst ihre Schilder hinaus. Gerade noch hatte er sich unter ihren Blicken hinweg geduckt und in der nächsten Gasse verschwinden können – das Beste war wohl, wenn er in zu dieser Zeit unbelebtere Räume abtauchte. Seine Schritte wurden schneller, innerhalb weniger Sekunden hatte er die Gasse verlassen und eine weitere betreten, unwesentliche Minuten später hatte er das östliche Stadtviertel hinter sich gelassen. Gerade erreichte er den Marktplatz, in dessen Boden verschiedene Ornamente eingelassen waren und der noch völlig leer war. Er wusste, dass dieser erst zur Mittagszeit zum Leben erwachte, weshalb er ihn gedankenverloren überqueren konnte. Am Ende dessen betrat er den westlichen Teil der Stadt, die Sonne in seinem Rücken warf einen unruhigen Schatten. Von dort aus ging er nördlich – bis er seinen Fuß in das Abendviertel setzte, wo alles wie ausgestorben war. Vorsichtig warf er einen Blick über die Schulter – niemand hatte ihn bemerkt. Nun wieder annähernd gelassen streifte er durch die Straßen, Gassen und engen Gänge des Viertels, das rundum verdreckt und versifft war und dies wohl auf ewig bleiben würde. Das Abendviertel war durch die höchste Kriminalitätsrate der Stadt gekennzeichnet, Gesindel wie Diebe, Mörder und Vergewaltiger fanden hier ihre Zuflucht, da die Garde nur selten hierher kam – es war ihnen vor drei Jahren sogar untersagt worden, da es dem Ruf schadete, wenn man einen Wächter aus einem Bordell kommen sah, von denen dieses Viertel lebte. Kein Wunder also, dass sich erst mit dem Einbruch der Nacht ein paar Menschenseelen hierhin verirrten. Er schüttelte den Kopf ob dieses Gedanken – die Männer, die einen Fuß auf diese Straßen setzten, sollten froh darüber sein, dass sich die Huren ihrer annahmen, wenn es schon ihre Frauen nicht taten. Unbemerkt seiner selbst waren seine Schritte wieder schneller geworden, sodass er auch das Abendviertel bald hinter sich gebracht hatte. Als er elf weitere Gassen und Straßen hinter sich gebracht hatte, erblickte er endlich das große, in dunklem Blau gestrichene Gebäude, welches er gesucht hatte. Auch hier war noch alles in Schweigen gehüllt, das nur von seinen Schritten, dem ruhigen Atem seiner Lippen und dem Rascheln seiner Haare auf seiner Kleidung durchbrochen wurde, bevor alles ein jähes Ende fand, als er vor den hohen Eingangstüren stand. Er musterte die goldenen Verzierungen still, dann erst öffnete er die Pforten ins Innere und trat in die Dunkelheit des Eingangsbereiches, die ihn augenblicklich verschluckte und drohte, ihn nicht mehr freizugeben. Es dauerte nicht lange, da steckten die ersten Diener ihre Köpfe durch die Türen und erschraken ob seines Anblicks, bevor sie eiligst wieder in den Zimmern verschwanden – sollte ihm nur recht sein, er wollte nicht aufgehalten werden. Raschen Schrittes ließ er ein paar Gänge und drei Wendeltreppen hinter sich, ehe er in einen Flur kam, wo er bereits erwartet wurde. „Lucis, Lucis – es ist lange her, seit du dich hier hast blicken lassen.“ Er drehte sich um, seine Augen musterten augenblicklich die blonde, junge Frau mit den hellen blauen Augen, die ihn verschmitzt anlächelte. Sie war recht groß, hatte angenehm anzusehende Kurven und trug dazu ein langes Kleid, das ihrem Körper nur noch mehr schmeichelte. „Garnett.“, begrüßte er sie ruhig, lehnte sich an die Wand hinter ihm. „Ach Lucis, mehr hast du nicht zu sagen? Es ist drei Jahre her, seit wir uns das letzte mal sahen.“, erwiderte sie mit melodischer Stimme. Ihr Blick wurde finster, misstrauisch. „Wo warst du die ganze Zeit?“, fragte sie. Er ließ sie nicht aus den Augen – Garnett Weaver war dafür bekannt, in einem unachtsamen Augenblick die Führung zu übernehmen, eben so, wie man es von einer Windjägerin ihrer Klasse erwartete. „Auf Reisen.“, antwortete er schließlich, die Blonde ließ ein kühles Lachen verlauten. „Auf Reisen.“, wiederholte sie. „Natürlich.“ „Ich hab keine Zeit für deine Spielchen – darüber wirst du wohl bestens informiert sein.“, meinte er kurz darauf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste, dass sie ihm nicht gerade wohl gesonnen war, nachdem er sie vor drei Jahren ohne ein Wort in einer Baracke zurückgelassen hatte und verschwunden war. Damals hatten sie oft das Bett geteilt – und er war verschwunden, um sie nicht weiter in die Sache hereinzuziehen. Aber das wusste sie nicht – und sie würde es auch nie erfahren. „Gewiss, Lucis. Dann solltest du in seine Gemächer flüchten, bevor ich dir ein Messer in den Rücken ramme.“, fauchte sie, ihn überkam ein Augenrollen, als er sich aufrichtete und umwandte. Er ging weiter, hob dabei die linke Hand und erwiderte: „Gewiss, Garnett. Gewiss.“ „Wegen diesem Scheiß hast du mich hierher bestellt? Wegen diesem Mist muss ich mich jetzt wieder der Gefahr aussetzen, jeden Moment gehängt zu werden?“, fauchte er und sprang von seinem Stuhl auf, ehe er zu einem der dunklen Fenster trat und wütend in die Stadt hinaus starrte. Er begann, auf seiner Unterlippe zu kauen – das tat er immer, wenn Nervosität in ihm aufstieg. „Lucis, du bist der einzige, den wir um Hilfe bitten können.“, sagte hinter ihm George – seine tiefe Stimme, er hatte sie nie vergessen können. „Warum ich? Es gibt tausende Blutjäger da draußen, die dir die Füße küssen würden, erhielten sie die Chance für dich zu arbeiten!“ „Keiner von ihnen ist schnell genug, keiner ist so leise, so vorsichtig wie du – keiner reicht an dich heran, Lucis!“ „Natürlich tut es keiner – weil keiner das getan hat, was ich tat!“, erwiderte er knurrend und sah auf seine linke Hand hinab – unter seinen Handschuhen war eine tiefe und lange Narbe verborgen, die sich um seine gesamte Hand und den gesamten Unterarm wand. Eine Narbe, die den Pakt besiegelte. „Und es wird auch keiner tun – niemand ist so bei der Sache, wie du, Lucis.“ Er dachte fiebrig darüber nach, wie er aus der Sache wieder heil herauskommen konnte. Er hatte nur einem gesagt, wie er zu erreichen war, hatte nur einem gesagt, was er getan hatte – und er hatte ihm das Versprechen abgenommen, ihn als gehängt zu verkünden. „George – ich wollte diesen ganzen Mist hinter mir lassen. Ich wollte, dass alles endet – die Qualen, die Attentate, die Fallen. Und jetzt holst du mich zurück, nur damit ich jemanden töte, der dir den Krieg angekündigt hat? Einen Krieg, auf den du dich seit über zwanzig Jahren vorbereitest?“ „Ja.“ Wutentbrannt drehte er sich um. „Verdammt, George – weißt du, was auf dem Spiel steht? Wenn der König herausfindet, dass ich lebe, dann werden sie mich finden – und ihn auch!“, knurrte er bedrohlich – George nickte nur sachte. Der alte Mann – wie konnte er so ruhig bleiben? „Ich weiß, Lucis – aber sein Leben steht auch auf dem Spiel, wenn dieser Krieg tatsächlich ausbricht. Wir haben keine Zeit, alle von hier fortbringen zu lassen. Und du kennst ihn – er würde nicht gehen.“ „Weil er denkt, dass ich zu feige war um zu kämpfen. Weil er es besser machen will – er will kein Verräter sein.“, erwiderte er leise – und wieder begann er, auf seiner Unterlippe zu kauen. Er atmete tief durch, trat dann wieder zu dem Stuhl, setzte sich. Wie sollte er das alles anstellen, ohne dass man auf ihn aufmerksam wurde? Niemand würde ihn vergessen haben – dafür hatte er ein zu großes Blutbad hinterlassen, als er verschwand. Aber allem voran musste er sich Gedanken darüber machen, wie er ihn aus der Sache heraushalten konnte. „Lucis …“ Er seufzte. „Ich mach's – aber nur unter einer Bedingung.“ Seine Augen bohrten sich in die Georges. „Du stellst ihn unter deinen persönlichen Schutz – und schaffst mir diesen dreckigen Gassenkriecher her!“ Kapitel 2: ----------- Kapitel 2 Er schritt auf und ab, immer wieder, auf und ab, auf und ab. Das Zimmer um ihn herum nahm er kaum wahr – er hatte es zu oft gesehen, als dass es ihn noch interessierte. Er wartete – er wartete seit Stunden. Draußen war es bereits Nachmittag. Am liebsten würde er diesen Gassenkriecher allein suchen, aber bei Tageslicht war es zu gefährlich. Wenn er gesehen wurde – kaum auszumalen, was passieren konnte. Es klopfte vier mal an der Tür, Pause, weitere zwei Klopfgeräusche, wieder Pause. Er atmete kurz durch, setzte sich dann in die dunkelste Ecke des Raumes, ehe er laut sagte: „Herein!“ Langsam öffnete sich die Tür, sie knarrte leicht. Licht fiel vom Gang herein, doch es erhellte nur einen kleinen Teil des Raumes. Er sah, wie zwei Gestalten hereintraten eine von ihnen war groß, hatte breite Schultern und eine Glatze – das war George. Die zweite Gestalt war vergleichsweise klein, recht schmächtig und zeigte eine gekrümmte Haltung – die Person zitterte. „Hier ist er.“, sagte George, er nickte unscheinbar – George sah es trotzdem und ging heraus, schloss hinter sich die Tür. Die verbliebene Person sah sich nervös im Raum um, bis sie ihn entdeckte und erstarrte. Lucis wusste, dass man seine linke Gesichtshälfte sehen konnte, wenn man sich konzentrierte – er hatte ihn erkannt und das war gut so. „L-Lucis? Aber du bist tot!“, murmelte der Mann – er wollte am liebsten ausspucken. „Lange her, nicht wahr, Caleb?“, knurrte er bissig. „W-wie ist das möglich?“, wisperte der Schmächtige. „Ich habe mich dazu entschlossen, von den Toten aufzuerstehen, wie du siehst – und ich will das einfordern, was mir seit Jahren zusteht.“ Der Mann schluckte. „Ich hasse Leute wie dich, Caleb – abgrundtief. Ist dir das bewusst?“ Der Mann nickte leicht. „Und weißt du auch warum?“ Wieder ein Nicken. „Ja? Dann verrate es mir, Caleb – weshalb hasse ich Leute wie dich?“ Seine Stimme war kalt wie Eis – der Mann erzitterte stark, bevor er zu sprechen begann. „W-weil wir …“ „Weil ihr was, Caleb?“ „W-weil wir unzuverlässig sind.“ „Richtig Caleb – und du hast dich beim letzten Mal an die Spitze katapultiert. Ich könnte dich zerfetzen, dich deiner Organe berauben und sie auf dem Schwarzmarkt verscherbeln. Soll ich das tun?“ Ein Kopfschütteln, ein Schluchzen. „I-ich werde es wieder gut machen!“, versicherte er schwach. „Warum soll ich dir vertrauen? Das letzte Mal hast du mich verraten – nur wegen dir musste ich fliehen. Wegen dir ging alles den Bach runter.“ „I-ich kann dir Informationen besorgen – die brauchst du doch sicherlich? I-ich werde gut und schnell arbeiten!“ Ein Kniefall. „Diese Wort kenne ich noch vom letzten Mal. Aber gut, ich gebe dir eine Chance, Caleb. Wenn du aber versagst oder ich mitkriege, dass du mich wieder verraten willst, reiße ich dich mit in die Hölle!“ Zwei Stunden später saß er noch immer in diesem Zimmer, aber er war allein, da er den Gassenkriecher vor etwa fünfzig Minuten fortgeschickt hatte. Jetzt sah er hinaus auf die Straßen der Stadt, beobachtete das Treiben vor dem Gildenhaus. Viel zu viele Leute tummelten sich dort unten – wenn nur einer der Diener sein Schweigen brach, nur ein einziger … Ein Klopfen an der Tür ließ ihn aufhören, auf seiner Lippe zu kauen. Kurz darauf öffnete sich die Forte in das dunkle Gemach und er hörte schwere Schritte. „Du hast ihn frühzeitig wieder fortgeschickt – ich hatte erwartet, dass du ihm noch ein kleines Andenken verpasst.“ Georges Stimme bebte etwas, aber nicht vor Zorn, eher vor Sorge. Sorge um Lucis. Sorge um seine Klinge. Nein, um eine Klinge. Lucis sah auf seine Hände hinab, die Fingerspitzen der rechten waren mit Blut befleckt. „Ich habe ihm ein Andenken verpasst.“, erwiderte er ruhig, blickte ununterbrochen auf das erkaltete Rot hinab. Caleb Blackthorne – er hasste diesen Langfinger. Er hasste seine kurzen Haare, seine dunklen Augen, seine vernarbte Haut, den verdammten Dreitagebart, seine alten Messer, die zerschlissene Kleidung, sein Zittern – aber allem voran hasste er sein falsches Wimmern, wenn er Gnade erhoffte. Caleb Blackthorne – allein seinen Namen hasste er. Dieser Straßenräuber war wahrlich einer der besseren und einer von denen, die ihre Arbeit zumeist sauber erledigten. Aber Blackthorne war feige und Lucis hatte den Fehler gemacht zu glauben, dass der Gassenkriecher darüber stehen konnte. Beim letzten Mal hatte er diesem Pisser vertraut – etwas, das er nie wieder tun würde. Und das hatte er ihm gezeigt. Lucis hatte ihm eines seiner Ohrläppchen abgerissen und ins Feuer geworfen – eine kurze, schmerzhafte Geste, die seit Jahrhunderten einen Verräter kennzeichneten. Aber es war nicht annähernd das gewesen, was er diesem Hund wirklich antun wollte. Nicht annähernd … „Lucis?“ Er fuhr zusammen, drehte sich dann um und sah George in die Augen – er wirkte nervös. „Was gibt es so dringendes? Ich habe andere Dinge zu tun, als mir ständig Vorträge halten zu lassen.“ „Ich will dir keinen Vortrag halten, Lucis. Eher von einem … Problem berichten.“ Sofort musterte Lucis den Gildenherren – seine Hände schwitzten und er tänzelte leicht von einem Fuß auf den anderen. „Was ist passiert?“ Hat man mich entdeckt? Lucis schluckte leise – und atmete erleichtert auf, als George auf seine ungestellte Frage hin beruhigend seine Hand auf Lucis Schulter legte. „Es geht um ihn – er weigert sich, den Hof seiner Freundin zu verlassen.“ Er schüttelte den Kopf, wandte sich wieder dem Fenster, den Straßen hinter dem Kristall zu – wie es schien, musste er wohl selbst zur Tat schreiten. Es hatte bereits zu dämmern begonnen, als er seinen Fuß auf den kleinen Hof setzte. Rechts und links von ihm waren kleine Grasflächen, hin und wieder waren ein paar Blumen zu sehen. Knappe 40 Meter vor ihm stand das Bauernhaus, recht klein, aber ausreichend zum leben. Neben dem Haus gab es noch zwei Ställe – einer für Hühner, Enten und Gänse, der andere für Vieh. Er wusste, dass hinter dem Haus erst die Weide kam, anschließend das Feld, auf dem zu dieser Jahreszeit neben Getreide wohl ein paar Knollen und Rüben gediehen. Dieser Hof wurde seit nunmehr zweihundertneunundachtzig Jahren von der gleichen Familie geführt und seit jeher war das hier angebaute Gemüse und die anderen Erzeugnisse wie Eier oder Milch für Frische und Geschmack bekannt. Lucis ließ langsam dem Blick schweifen – seit seinem letzten Besuch auf dem Hof der Ashtrays hatte sich nichts verändert. Beinahe zumindest, denn damals war der Vater der kleinen Familie von einem Schatten ermordet worden. Lucis bedauerte, dass er dagegen nichts hatte tun können. Er trat schnellen Schrittes zum Haus hinüber, verharrte kurz vor der Tür aus dunklem Holz, ehe er kurz klopfte und den Umhang tiefer ins Gesicht zog. Dann wartete er in der Hoffnung, dass nicht Mme Ashtray öffnen würde. Kurz darauf knarrte die Tür und ein junges Gesicht blickte zu ihm hoch – es war Ben, der nun dreizehnjährige Sohn der Familie. „Was gibt’s? Wer bist'n du?“, fragte er und wischte sich unbeholfen etwas Dreck aus dem Gesicht. Lucis räusperte sich kurz. „Criss Cambridge – ist er hier?“, fragte er ruhig, der Junge nickte. „Weiß aber nicht wo. Willste reinkommen? Dann frag ich eben meine Schwester.“ Sachte nickte Lucis und trat an dem Jungen vorbei ins Haus. Es roch gut, über dem Feuer köchelte gerade eine frische Suppe, ebenso ein Kessel mit frischem Tee. Die Einrichtung im Raum war schlicht – ein Tisch für sechs Leute, sechs Stühle, eine kleine Arbeitsfläche mit Messern und einigen weiteren Gegenständen und hier und dort ein Bild von der Familie, zudem das Schwert des alten Ashtrays, welches über dem Kamin hing. „Kannst dich auch setzen.“, meinte der Junge und ging an ihm vorbei weiter ins Hausinnere, während Lucis sich dafür entschied, stehen zu bleiben. Er lehnte sich an die Haustür, damit niemand wegrennen konnte. Es dauerte nicht lange, da betrat ein junges Mädchen mit langem, braunen Haar, hellgrünen Augen und einer Bratpfanne in der Hand den Raum und musterte ihn forsch. „Wer sind Sie?“, fragte sie gezielt, doch Lucis erwiderte nichts. Magdalena Ashtray trug ein dunkles Kleid und hatte sich eine Schürze um die Hüften gebunden – für Lucis Geschmack aber war sie zu kräftig, was ein Leben als Bauerstochter nun einmal mit sich brachte. Wenn man täglich auf dem Acker half, baute man eben Muskulatur auf und beim Pflügen besonders im Rücken und in den Armen. „Reden Sie schon!“, fauchte sie nun. Lucis seufzte. „Ich suche Criss Cambridge – wo ist er?“ „Ich hatte Sie nach ihrem Namen gefragt!“ „Den wird er dir wohl früh genug verraten, wenn er mich erst einmal sieht.“ Ganz davon abgesehen dass es eine Schande ist, dass du mich nicht erkennst. Magdalena musterte ihn noch einmal, ehe sie sich murrend abwandte und den Raum wieder verließ. Lucis hörte, wie sie jemandem erzählte, dass ein Mann in schwarzem Umhang vor der Haustür stand und sie einfach übergangen war. Lucis schüttelte den Kopf – Weiber. Es folgten ein paar Minuten Stille, dann Schritte vermischt mit dem Rascheln von Stoff und schließlich ein ersticktes einatmen, als die Person vor ihm im Zimmer auftauchte und erstarrte. Natürlich erkannte er ihn – er würde ihn immer erkennen. „Lucis!“, knurrte der achtzehnjährige Junge vor ihm, seine Züge wurden grimmig und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Criss trug sein dunkelbraunes Haar inzwischen kurz, hatte sich jedoch eine etwas längere Strähne aufgespart und sie hinter sein linkes Ohr geklemmt – etwas, das ihn als fortgeschrittenen Magieschüler kennzeichnete –, seine haselnussbraunen Augen fixierten Lucis starr und unter seiner schneeweißen Haut erbebten einige Muskelpartien. „Sie sagten, du wärst tot! Was machst du hier, Lucis? Du solltest lieber wieder verschwinden!“, fauchte er kalt und deutete kurz auf ihn, Lucis schüttelte seufzend den Kopf und entledigte sich der Kapuze, sodass man ihm in die Augen sehen konnte. „Na na na, Criss – begrüßt man so seinen älteren Bruder? Und nur weil dir etwas zu Ohren kommt, heißt es nicht, dass es wahr sein muss, schon vergessen?“ Kapitel 3: ----------- Kapitel 3 Es war mitten in der Nacht, draußen stürmte es, sodass keine Menschenseele unterwegs war. Außer ihm. Der Regen hatte ihn schon völlig durchnässt, selbst seine sonst wasserabweisenden Stiefel waren mit kalter Flüssigkeit gefüllt, aber Lucis spürte die Kälte nicht, die seit Stunden nach seinem Körper griff. Er stand vor einem alten, zerfallenen Haus und starrte durch das Loch, in dem vor einigen Jahren noch eine Tür gehangen hatte, ins Innere. Die Dunkelheit vor ihm schien sich mit aller Macht gegen ein eindringen zu wehren, verschleierte alles, was darin verborgen war. Lucis schluckte. Er wusste nicht mehr, wie lange er bereits hier stand und ebenso wenig warum er es tat. Er wusste nur, dass er hier sein wollte. Nachdem er mit seinem Bruder gesprochen und ihn ins Gildenhaus gebracht hatte, war er sofort losgegangen. Es war, als wollten seine Füße keine Ruhe. „Es ist lange her …“ Sein Stimme war nicht mehr als ein kaum hörbares Wispern im Wind, aber das reichte ihm. Er wusste, dass man ihn verstand. Langsam trat er näher zu dem Haus, bevor er einen Fuß in die Finsternis setzte. Es fühlte sich an, als würde er in ein anderes Reich treten, ein Reich, das ihn davor warnte tiefer hineinzugehen. Und dessen Warnungen er nicht beachtete. Im Inneren des Gemäuers war alles dunkel, die Schatten, die sich hier eingenistet hatten, schienen vor ihm flüchten zu wollen. Langsam sah er sich um, seine Augen hatten sich schnell an alles gewöhnt und so erkannte er bald die kleine Kommode, die unter der Treppe in den ersten Stock stand und von der er wusste, dass dort alte Schuhe lagerten. Schuhe, die nicht mehr gebraucht wurden. Sein Blick wanderte weiter und blieb am Garderobenständer hängen. Das Holz war morsch und einige Haken waren bereits abgebrochen; die wenigen noch verbliebenen Jacken waren nur mehr Stofffetzen, die auf dem Boden ein Heim für kleinste Lebewesen boten. Er sah sich weiter um, trat dann durch die nächste Tür in einen Raum, der vor vielen Jahren mal ein Wohnzimmer gewesen war. Es roch nach Feuer, das vor vielen Jahren gewütet hatte. Das Sofa nahe der Fensterfront war zerschlissen, an einigen Stellen konnte man noch sehen, das jemand mit einer Klinge die Polster zerstört hatte. Der gläserne Tisch war nicht mehr als ein Scherbenhaufen und die Regale gegenüber dem Sofa waren völlig auseinander genommen worden. Hier und dort lagen Bücher herum, hin und wieder auch kleine Einzelteile, die mal schöne Skulpturen gebildet hatten. Aber Lucis' Blick wurde von keinem dieser Dinge gebannt, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, war der kleine Fetzen Papier, der zwischen dem Schutt lag. Vorsichtig trat er an die Stelle und ergriff es. Das Foto in seinen Händen war nicht mehr vollständig, eine Ecke war ausgebrannt. Aber dennoch waren noch alle Personen zu erkennen, die darauf abgebildet waren, wenngleich sich der Dreck bereits tief in die Fasern des alten Bildes gefressen hatte. Langsam strich er den Staub von der Oberfläche, starrte auf die lächelnden Gesichter – und seufzte tief, ehe er das Bild fallen ließ und sich umdrehte. Ein stechender Schmerz fuhr durch seine Hand, aber ebenso durch seine Brust. Er hatte nicht geglaubt, jemals wieder dieses Haus zu betreten, hatte nicht geglaubt, dass es überhaupt noch stand! Eiligen Schrittes verließ er den Raum und stürmte zur Haustür – aber er ging nicht weiter. Er konnte nicht. „Was ist plötzlich los?“, murmelte er geistesabwesend, ehe er sich auf die Stufen der Treppe setzte und sein Gesicht in seine Handflächen stützte. Er zwang sich, ruhig und tief durchzuatmen, zwang sich, den Staub und den Gestank von festgesetztem Qualm zu ignorieren, ebenso die Stimmen der Schatten, die ihm immer und immer wieder etwas entgegen wisperten – oder bildete er sich das ein? „Ich muss einen klaren Kopf bewahren!“, sagte er sich selbst, dann blickte er auf, sah über seine Schulter hinweg die Treppe hinauf. Lange Minuten hing er seinen Gedanken nach, doch schließlich entschied er sich. Langsam stand er auf und wandte sich um, nahm dann eine Stufe nach der anderen nach oben in den ersten Stock. Der Flur oben war eng, aber es reichte, um durchzukommen. In jeder Ecke lag Schutt und an der Decke hatten sich viele Spinnen ihre Heime errichtet. Er überlegte nicht lang und wandte sich nach rechts ins erste Zimmer – die Tür war aus den Angeln gerissen, sodass er problemlos hineingelangte. Er erblickte Spielzeug und Kuscheltiere. Das Bett in der hinteren linken Ecke war kaputt und die Kisten an der Wand zu seiner Rechten ausgekippt, sodass alles im Raum verteilt war. An den Fenstern hingen kleine Holzverzierungen, ein Pferd, ein Löwe und einige andere Tiere waren extra dafür geschnitzt worden. In der Mitte hing eine kleine Öllampe, gehalten lediglich durch den Zufall, dass diese Stelle noch nicht vom Zerfall heimgesucht wurde. Lucis schluckte – dieses Kinderzimmer, er konnte sich genau daran erinnern. Und auch daran, warum alles zerstört war. Er schüttelte den Kopf und wandte sich um, ging in den Raum direkt gegenüber des Zimmers. Es dauerte kurz, ehe er die Tür geöffnet bekam, da ein Bett vor sie geschoben worden war um jemanden am Eindringen zu hindern. Der junge Mann atmete zunehmend ruhig ein. Das Fenster ihm gegenüber war zerbrochen, der Schrank daneben geöffnet und beinahe leer geräumt. In etwa drei Fächern waren noch ein paar Hosen und Shirts, sonst nichts. Der Rest des Zimmers war ordentlich, bis auf das Kuscheltier, welches in der Mitte des Raumes lag und völlig verdreckt war. Langsam kam er näher und ging in die Hocke, um das Stofftier in die Hände zu nehmen und etwas vom Dreck abzuklopfen. Es sollte einen Wolf darstellen, der ihn verschmitzt angrinste. Wieder ein Schlucken, gefolgt von einem Blick zu der Wand, an der eigentlich das Bett hätte stehen sollen. Dort hing früher einmal ein Dolch, dessen Klinge aus reinem Obsidian und mit magischen Runen verziert war. Vor seinem inneren Augen konnte Lucis den Mann sehen, der es dort befestigt hatte, ehe er mit einem Lächeln zu ihm herunter blickte. Lucis schüttelte den Kopf und legte den Stoffwolf zurück auf den Boden, bevor sich aufrichtete und in das nächste Zimmer ging. Der Boden dort war mit Blut getränkt, sogar die Wände und Schränke, der Tisch, die Fenster und die Vorhänge hatten Blutspritzer abbekommen. Besonders das Bett war getränkt mit dem erkalteten Rot. Er sah, dass die Kissen und die Decken aufgerissen und durchstochen waren, die Wände rissig und die Decke bröcklig. Auch die Schränke wurden von Rissen und Schnittstellen entstellt. Lucis fuhr mit seiner rechten Hand über das alte, ehemals wertvolle Holz. Hier hatte alles angefangen – oder geendet? Er war sich nicht mehr sicher. Seine Gedanken überschlugen sich, doch er konnte sich keinen Reim auf die Bilder machen, viele passten einfach nicht zusammen. Ihn quälte das Gefühl, etwas übersehen zu haben – aber was? Langsam wandte er sich ab und verließ den Raum, wobei er hinter sich die Tür zuzog, an die er sich schließlich lehnte um durchzuatmen. Seine Augen fixierten die Decke, doch er nahm nichts wahr, hing in der Vergangenheit fest – wie war es zu all dem gekommen? Hatte er es jemals auch nur im Ansatz herausgefunden? Er wusste es nicht. Er hatte zu viel vergessen, hatte zu viel seiner Selbst aufgegeben, um das alles hinter sich zulassen. Er schloss seine Augen und griff mit seiner linken Hand an seine Hüfte, an der der kurze Dolch aus Obsidian hing. Er hatte dieser Klinge den Namen „Faith“ gegeben, weil sie damals das einzige war, was ihm Kraft gab. Er hatte ihr den Namen gegeben, weil er darauf vertraut hatte, dass alles besser werden würde. „Faith …“, wisperte er und fuhr über den Schaft. „Wie lange müssen wir das noch aushalten, hm? Wann setzen wir uns zur Ruhe?“ Seine Stimme begann zu brechen, weshalb er sich aufrichtete und zwang, tief Luft zu holen, bevor er auch den letzten Raum betrat. Das Badezimmer vor ihm war riesig, aber alle Armaturen waren völlig zerstört. Die Scherben häuften sich auf dem Boden, die Vorhänge waren zerfetzt und die Wände mit Rissen durchzogen. Die Öllampe, die eigentlich an der Decke hängen sollte, lag zu seinen Füßen – das Lampenöl war völlig ausgelaufen und verklebte noch immer den gefliesten Boden. Vorsichtig trat er tiefer in den Raum und erblickte den Spiegel, der beinahe unversehrt war. Er tat einige Schritte darauf zu, bevor er sich auf die wenigen Überreste der Waschschüssel stützte und in sein eigenes Gesicht sah. Seine Augen waren so wach, so misstrauisch wie immer, aber alles andere wirkte ausgelaugt. Seine fahle Haut spannte sich über seine Wangenknochen und um seine silbrigen Augen lagen tiefe Schatten, die von seiner Erschöpfung sprachen. Seine Lippen waren beinahe genauso blass wie seine Haut und schienen das Lächeln verlernt zu haben. Sein langes schwarzes Haar umrahmte das Gesicht, das vor Jahren wohl einige als „hübsch“ bezeichnet hätten. Einige Strähnen fielen ihm ins Gesicht – wie lange hatte er sie nicht mehr geschnitten? Wie lange hatte er nicht mehr geschlafen? Wie lange hatte er nichts mehr getrunken, nichts gegessen? Lucis hatte es vergessen – alles. Aus seinem Gesicht sprach kein Leben mehr, alles wirkte verwelkt auf ihn. Vielleicht lag es an dem Pakt, aber vielleicht auch daran, dass er seines Lebens überdrüssig war. Er hatte vor vielen Jahren verlernt das Dasein, die eigene Existenz zu atmen, hatte verlernt, sich zu freuen, zu lachen, zu vertrauen. Und am Ende, am Ende hatte er sogar verlernt zu lieben. „Was mache ich hier überhaupt? Warum bin ich hierher zurückgekehrt? Hatte ich nicht alles so tief wie möglich in mir vergraben wollen?“ Seine Stimme war leise, kaum zu vernehmen. Doch das reichte aus, denn er wusste, dass diese Worte keiner hören musste. Sie konnten ohnehin von niemandem beantwortet werden … Kapitel 4: ----------- Kapitel 4 Die Sonne war gerade aufgegangen, als er das Gildenhaus wieder erreicht und in seinem Gemach Zuflucht gesucht hatte. Er hatte sich auf das Bett gesetzt und strich immer und immer wieder über den Dolch aus Obsidian, während sein Blick in die Dunkelheit ging und seine Augen wirkten, als würden sie direkt in das Innere einer anderen Welt blicken. Seine Gedanken überschlugen sich, aber er konnte keinen fassen und es stellte sich nach kurzer Zeit ein Gefühl von Schwindel ein, welches er aber nicht zu beachten schien. Ebenso wenig wie seine nasse Kleidung und die kalte Haut, die seinen Körper zierte. Er bemerkte nicht einmal, wie George hereinkam und ihm etwas Essen und Wasser zum Trinken brachte. Erst das Knallen der Tür ließ ihn zusammenfahren und sich der Gegenwart bewusst werden. Erschrocken sah er sich um und erblickte alles, aber er hatte nicht das Gefühl, etwas essen oder trinken zu wollen. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung, eine Halluzination ausgelöst durch tagelanges Wandern ohne Nahrung. „Diese Abwesenheit darfst du dir auf dem Schlachtfeld aber nicht leisten, Bluter.“ Lucis zuckte zusammen, ein sengender Schmerz fuhr durch seinen linken Arm und ließ seinen Atem stocken. „Du wirst doch wohl die Bedingung nicht vergessen?“ Lucis schluckte und krallte sich mit der rechten Hand tief in den linken Arm. Das Wispern der Totenseele verursachte ihm Kopfschmerzen und hinterließ jedes Mal das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. „Du sollst uns Tote bringen – dafür hast du Kraft bekommen! Wenn du versagst, wirst du unter Qualen zu Grunde gehen.“ „Ich weiß – aber noch mehr Qualen als die, die das Leben birgt, kann man nicht leiden!“, knurrte Lucis. „Oh, dummer Bluter – so uneinsichtig wie immer! Aber du wirst schon noch sehen …“ Plötzlich fiel aller Schmerz von ihm und Lucis fiel in die Kissen hinter sich, sein Atem ging schnell, unregelmäßig und er spürte, dass an seinem linken Arm Blut hinab rann. Vorsichtig hob er den Arm vor sein Gesicht und löste langsam den Stoff, bis er alles freigelegt hatte. Das Blutmal zog sich über seinen gesamten Unterarm, wand sich über seine fahle Haut, bis es in seiner Handfläche endete. Am Mal entlang wanden sich Worte und Noten, die ihn mahnend an den Pakt erinnerten. „Ein Schimmer so schillernd rot, voll Ungeduld und Unschuld, so ungestüm und wahrlich schön rinnst du entlang des Lebens Höh'n“, las er leise – die erste Strophe des Blutliedes, mit welchem er den Eid leisten musste. Ein Eid, der ihn zum Tode verurteilte und ihm ewige Folter versprach. Es klopfte, Lucis riss den Kopf zur Seite. Leise und langsam öffnete sich die Tür. Eilig verdeckte er seinen Arm und setzte sich auf, bevor er sich den Besucher seines Gemachs näher ansah. Es war Criss – er sah zornig aus. Lucis seufzte – er hatte gehofft, dass sein Bruder länger bewusstlos sein würde, aber er hatte seine Fähigkeit magische Zustandsveränderungen abzuwehren wohl unterschätzt. Schnell hatte Criss ihn auf dem Bett gesehen und entfachte mit einer schnellen Bewegung das Licht im Raum, sodass Lucis seine Augen bedecken musste. „Was soll das, Lucis? Du hast kein Recht dazu, mich hier festzuhalten!“ Anscheinend hatte George seinen Leuten den Auftrag gegeben, Criss nicht aus dem Gildenhaus zu lassen, sodass Lucis jetzt wohl mehrmals am Tag einem Vortrag seines kleinen Bruders lauschen durfte, dass er auch allein überleben würde. Eben alles Dinge, die er in den vergangenen Jahren oft genug von ihm gehört hatte. „Nein, dazu habe ich kein Recht, das stimmt.“, erwiderte Lucis ruhig – er wartete darauf, dass sich seine Augen an das Licht gewöhnten, doch das dauerte länger als erwartet. „Warum hast du mich dann hierher gebracht, hm?“, fauchte Criss und ballte seine Hände zu Fäusten, während Lucis mit den Augen rollte. „Ich habe meine Gründe – und die gehen dich nichts an.“ „Sie gehen mich nichts an? Willst du mich verarschen?“ Lucis spürte, wie die Magie in Criss aufstieg – er hatte sie also noch nicht gänzlich unter Kontrolle bringen können. Ein Grund mehr, dich hier einzusperren. „Keineswegs, Criss – die Dinge, die hier vor sich gehen, sind über deinem Niveau, daher solltest du dich lieber irgendwo verkriechen und hoffen, dass du am Ende mit dem Leben davon kommst.“ Lucis war aufgestanden und hatte sich seinem Bruder zugewandt, der ihn unverwandt finster ansah. „Über meinem Niveau …“, murrte er, ehe er schnaubend das Zimmer verließ und die Tür hinter sich ins Schloss knallen ließ. Lucis seufzte – er hatte nie so gemein zu seinem Bruder sein wollen, aber anders konnte er ihn nicht von sich fern halten. Tut mir Leid, Criss, aber du würdest es nicht verstehen … Langsam bewegte sich Lucis auf die Tür zu, bevor er sich an sie lehnte und zur Öllampe an der Decke blickte. Criss hatte sie mittels eines weißen Feuers entfacht – fortgeschrittene Elementarmagie. Er beobachtete die Flamme dabei, wie sie leise und sacht tanzte und prasselte, bevor er das Feuer mit der gleichen Handbewegung wie die seines Bruders löschte. Die Dunkelheit, die sich um ihn legte, fühlte sich gut an – ein bekannter Feind, den er lieber in seiner Nähe wusste als so manchen Freund … Als sich hinter den Fenstern die Nacht über die Welt legte, erwachte Lucis aus seinem unruhigen, aber dennoch wohltuenden Schlaf. Vorsichtig setzte er sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht, bevor er sich aufrichtete und zu dem kleinen Tisch trat, auf den George wohl vor wenigen Minuten erneut Essen und Wasser platziert hatte, in der Hoffnung, dass Lucis endlich etwas zu sich nahm. Aber der junge Mann verspürte noch immer keinen Hunger, das Brot und der würzig riechende Eintopf sprachen ihn nicht an und auch das Wasser schien nicht für ihn bestimmt. Er hatte das Gefühl, als würde nichts wirklich für ihn bestimmt sein. „Ich sollte vielleicht nach ein paar Kernen Ausschau halten.“, wisperte er – Ginraikerne waren das einzige, was Lucis noch schmecken konnte. Alles andere verlor seine Würze, sein Aroma, sobald er es zu sich nahm. Die meisten Lebensmittel wurden sogar so trocken, dass sie ihn an Sand erinnerten. Genauso war es auch mit Getränken – er konnte nur Hoschuswasser zu sich nehmen, aber davon hatte er nicht mehr viel übrig und er konnte nicht von George verlangen, ihm neues zukommen zu lassen. Hoschuswasser war sehr teuer, sodass nicht einmal die Könige es sich regelmäßig leisten konnten. Es kam nur in einer einzigen Quelle hoch im Norden vor, wo es inmitten einer riesigen Eiswüste gefunden werden musste. Trotz eisiger Temperaturen gefror es nicht, da es durch Kristalle gefiltert wurde, die mehrere tausend Jahre alt waren und deren magische Fähigkeiten Vereisungen und viele andere Zustände zu heilen fortwährend auf das Wasser übertragen wurden. Hinzu kam, dass das Wasser klar und frei von Verunreinigungen war, da es Bakterien und Schmutz jeder Art sofort zerstörte, während das Wasser in Flüssen, Meeren und Quellen vom Rest der Welt beinahe völlig verseucht war, seit vor sieben Jahrhunderten eine Epidemie nach der anderen ausbrach. Das wenige klare Wasser, das man noch zu kaufen bekam, war magisch behandelt worden und somit ebenfalls teurer als die Kräutermischungen, die die Armen bekamen und welche aus dem Saft verschiedener Pflanzen bestanden, die hierzulande überall wuchsen. Der junge Mann tastete sich kurz ab – seine Kleidung war natürlich bereits trocken, aber er sollte sich von George dennoch neue bringen lassen. Seine alte Kleidung war bereits sieben Jahre alt und sah auch dementsprechend aus. Nur das Tuch um seinen Arm war vom Zerfall unberührt geblieben. Er hatte es als Kind von seiner Mutter bekommen, damals allerdings noch als Halstuch. Dieses hatte er sich später zu diesem Armschutz schneidern lassen – es erwies ihm also bereits seit Jahren treue Dienste. Lucis ballte seine linke Hand zur Faust und öffnete diese wieder – sie kribbelte etwas, das verhieß nichts gutes. Entweder würde etwas passieren, was ihm selbst schwer zu schaffen machen würde, oder … „Criss!“ Der junge Mann stürmte aus seinem Zimmer und jagte den langen Flur hinunter, überwand eine Treppe nach der anderen wie im Flug und stieß mehrere Leute aus dem Weg, damit er nicht anhalten musste. Er schluckte schwer, sein Puls ging unerwartet schnell und seine Gedanken überschlugen sich. Hoffentlich irre ich mich … Er bog um die Ecke und erreichte den Eingangsbereich, das Kribbeln seiner Hand wurde immer stärker, seine Schritte schneller. Schwungvoll ließ er die Türen des Gildenhauses hinter sich und rannte in die Dunkelheit – bis er einfach stoppte. Das Kribbeln in seiner Hand wurde zu leichtem Schmerzen, weshalb er sich aufmerksam umsah. Ein dumpfes Geräusch hinter ihm ließ ihn gefrieren. Lucis atmete ruhig durch, besann sich seiner Umgebung und ballte die Hände zu Fäusten, bis rubinrote Blutstropfen sacht zu Boden fielen und sich zu dem Dreck, dem Schmutz der Straßen gesellten und dort still, schweigend verharrten. Er hatte sich geirrt, Criss war nicht das erwählte Opfer, nicht der, den man in den Tod reißen wollte – und er war direkt in die Falle geraten. Kapitel 5: ----------- Kapitel 5 Lucis atmete tief durch, lauschte und hörte weitere dumpfe Aufschlage. Erst als jemand zu kichern begann, drehte er sich langsam um. „Der Kriecher hatte tatsächlich recht, als er meinte, du hättest damals überlebt!“, lachte ein kleiner, dicker Mann in grünen Tüchern, dessen gelbe Augen Lucis zu durchdringen schienen, ebenso wie die der anderen vier Leute. Die einzige Frau unter ihnen, sie war in violette Tücher gehüllt, sprach weiter. „Wir hatten erwartet, dass wir dich endlich los seien, weißt du? Wir hatten gehofft, jetzt endlich ein wenig Urlaub zu haben.“, wisperte sie kühl. Sie war hochgewachsen und überaus dünn. Ein ebenso dürrer Kerl trat vor und zeigte mit einem kristallinen Messer auf ihn, gab dabei ein verrücktes Lachen von sich und deutete auf seine Kehle. Lucis musterte die anderen beiden. Einer war groß und kräftig, der andere hatte wie er eine schlanke Figur. Der verrückt lachende und der Riese trugen beide schwarze Gewänder, der dritte aber trug eines in dunklem Rot. Dieser trat vor und zückte zwei Schwerter, bevor er eine geduckte Haltung annahm. „Es ist lange her, Lucis.“, sagte er knapp – Lucis nickte. Er kannte sie, alle fünf. Sie waren ausgebildete Auftragskiller, wie einst er und alle fünf hatten den obersten Rang bereits erreicht. Sie waren damals zusammen ausgebildet worden, hatten zusammen viel erlebt – bis Lucis sich für einen anderen Weg entschied. Anders als diese fünf tötete Lucis nicht mehr für Geld – er tötete im Namen des Blutes. „Weshalb so schweigsam, hm?“, fragte Fay, während sie das Tuch aus ihrem Gesicht zog und ihm einen eisigen Blick zuwarf. „Hast du das sprechen verlernt?“ Lucis spuckte aus. „Sicherlich nicht – ich weiß nur besseres mit meinem Atem anzufangen!“, fauchte er und zückte seinerseits sein Langschwert. Er beobachtete aufmerksam wie Fay einen Bogen zog, der dicke Worn zwei Wurfäxte und Riese Billy einen zweischneidigen Beil, der größer war als er selbst. Selbst der verrückte Kain nahm nun Angriffshaltung an. Nun wanderte Lucis Blick zurück zu dem Mann in dunklem Rot. Gerötete Augen sahen ihm finster entgegen – Mat war früher sein bester Freund gewesen, sie hatten alles geteilt, jeden Taler, jeden Brotkrumen, jeden Gedanken. Und nun standen sie sich als Feinde gegenüber. „Dich haben sie also auch überzeugen können.“, sagte Lucis ruhig, doch Mats Blick wurde nur noch dunkler. Lucis schüttelte den Kopf – vor wenigen Jahren noch hatte er sich gesträubt, Lucis anzugreifen oder überhaupt zu verfolgen, er hatte ihm sogar noch einmal aus der Klemme geholfen. Doch diese Zeiten, sie waren nun endgültig vorbei. „Ich werde dich wohl nicht davon überzeugen können, einfach zu gehen?“, fragte er leise und sein ehemals bester Freund schüttelte den Kopf. Lucis nickte leicht und verlagerte sein Gewicht. „Dann werde ich dich zusammen mit den anderen hier auslöschen.“ Der Schmerz seines Arms wandelte sich wieder in ein Kribbeln – die Totenseele, sie konnte es kaum erwarten Blut zu trinken! Lucis konzentrierte sich – dann sprang er nach vorn und schlug dem verrückten Kain seinen Dolch entgegen, bevor er ihm das Schwert zwischen die untersten beiden Rippenbögen schlug und die Klinge wieder herauszog, um dem Beil Billys zu entgehen. Mit einer schnellen Bewegung sprang er zur Seite und trat Fay von sich, bevor diese einen Pfeil in seiner Augenhöhle versenken konnte. In diesem Moment entging er knapp der Schneide von Worns rechter Axt und konnte nur durch ein Abrollen nach links Mats Klinge ausweichen. Kurzerhand stieß er sich vom Boden ab und landete auf Billys Schultern. Dieser blickte hoch und ergriff Lucis' rechtes Bein, bevor er ihn herunterziehen wollte, doch in diesem Moment rammte dieser dem Riesen den Dolch in die Schulter, sodass er auf der Stelle sein Bein freigab. In letzter Sekunde fing sich Lucis auf dem Boden und rollte nach hinten, stieß dabei Kain zur Seite und wich einem Giftpfeil Fays aus. Lucis knurrte vernehmlich, ehe er sich aufrichtete und überlegte, wie er die fünf erledigen konnte, ohne dabei Aufsehen zu erregen. In diesem Moment aber warf ihm Kain ein Messer entgegen, dem er nur knapp entgehen konnte – es streifte ihn an der linken Wange. Lucis spürte, dass etwas zu Boden rieselte – alte Hautpartikel. Er sah, wie Fay entsetzt die Augen aufriss, als sie bemerkte, dass Lucis' Wunde auf der Stelle wieder verheilte. Er spuckte Staub aus, dann duckte und konzentrierte sich. Sein Atem wurde ruhiger, immer flacher, bis er begann, Billy zu fixieren, der gerade zu ihm stürmte und den Beil niederfahren ließ. Gekonnt sprang Lucis zurück und mitten in der Luft bildeten sich unter seinen Füßen schwarze Partikel, von denen er sich abstieß! Mit enormer Geschwindigkeit sauste er auf Billey zu, die Partikel verdichteten sich um die Klinge seines Schwertes. Der Angriff auf Billys Kehler erfolgte zu schnell, als das es jemand hätte verhindern können und so landete Lucis beinahe geräuschlos auf dem Boden, noch bevor der Kopf des Riesen über das Gestein rollen konnte. Im Anschluss erschlaffte der Körper Billys und fiel samt Beil zu Boden. Lucs richtete sich auf und blickte zu Kain, dieser schluckte merklich. „W-wie … ?“ Fays Stimme brach, sie stürzte. Erneut sammelten sich Partikel um Lucis' Schwert. Sein Blick ruhte fortwährend auf Kain, während er dem Angriff Worns auswich und Mats Schritten hinter ihm lauschte. Kain wurde nervös, er zückte eine weitere Klinge und griff an. Lucis wich der linken, dann der rechten Klinge aus, weitere Schläge folgten, Kain trat zu – es half nichts. Als er nach Dreck griff und Lucis diesen ins Gesicht werfen wollte, rollte sich dieser zur Seite und sprang hinter den Messerfetischisten, bevor er dessen Brustkorb durchbohrte, ohne Widerstand zu spüren. Das Blut ergoss sich über dem Boden, bevor Lucis die Klinge wieder aus dem Körper zog und die schwarzen Partikel wie zuvor bei Billy zerstoben. Er wandte sich Worn zu, der augenblicklich zurückwich. „E-er ist ein Monster!“, jammerte Fay seit mehreren Minuten ununterbrochen, aber nun meldete sich auch Mat zu Wort. „Nein – nur ein Wahnsinniger, der sich einen Freifahrtschein in die unterste Ebene der Hölle besorgt hat!“ Lucis blickte zu ihm, musterte seine Augen – er hätte es ahnen müssen. Ein kaltes Lächeln stahl sich für wenige Sekunden auf sein Gesicht, ehe er dem Jäger entgegnete: „Und ich dachte, du wärst der Vernünftigere von uns.“ „So war es auch – bis du mich mit all diesem Scheiß zurückgelassen hast!“, erwiderte Mat knurrend. Lucis schüttelte den Kopf, ehe sich erneut Partikel um seine Klinge sammelten und er auf Worn zustürmte – dieser hatte keine Zeit mehr, mehr zu tun als ihn erschrocken anzusehen, bevor auch sein Kopf rollte. „Gehe ich recht in der Annahme, dass die vier nichts davon wissen?“, fragte Lucis dann und drehte sich zu Fay, welcher bereits Tränen über die Wangen liefen. Er wusste, dass Mat dazu nichts sagen würde – und auch, dass Mat sie ihm nicht überlassen würde. „Was sind deine Fähigkeiten, Mat? Willst du sie mir nicht zeigen?“ Der in rote Gewänder gehüllte Mann spuckte aus und fixierte ihn kalt. Lucis wusste, dass Mat nicht die gleichen Fähigkeiten bekommen hatte wie er, als auch er den Pakt eingegangen war – wäre es so gewesen, hätte er Lucis' Angriffe aufhalten können, hätte genauso schnell angreifen können. Also musste es etwas anderes sein, Gewinn an Stärke, die Möglichkeit, Geist von Körper zu trennen? Lucis überlegte fieberhaft – er musste Mats Schwachpunkt finden, bevor er gegen ihn gewinnen konnte. Lucis' Blick fiel auf Mats Hals, der mit einem Verband verdeckt war. Er deutete darauf. „Ist es dort, dein Mal?“ Mat zuckte unweigerlich zusammen, bevor er die Klingen näher an seinen Körper hielt. Lucis schüttelte den Kopf – Mats neuen Fähigkeiten hatten etwas mit Magie zu tun. Er hätte es ahnen müssen – von Anfang an hätte er es ahnen müssen. Mat fauchte, dann rannte er auf ihn zu. Lucis wich nach links aus, dann nach rechts und nach unten. „Du wirst nicht immer ausweichen können, Lucis!“, fluchte Mat und shclug erneut zu – aber Mat sagte die Wahrheit, Lucis würde nicht gewinnen, indem er jedem Angriff auswich. „Sag, Mat – was nutzt du?“, zischte er und stieß den Jäger von sich, aber dieser richtete sich schnell wieder auf und hatte sich kurz darauf wieder gefangen. „Sicherlich nicht die Schatten, Verräter!“, gab er zur Antwort und griff erneut an, seine Klingen verfehlten nur knapp Lucis' Kehle, sodass er gezwungen war, sich zurückdrängen zu lassen. Der Schwarzhaarige steckte Schwert und Dolch weg und richtete die linke Hand nach vorn. Mat reagierte schnell und sprang zur Seite – doch Lucis griff nicht an. Schwarze Partikel hatten sich verdichtet, sodass er den Griff seiner Sense packen und dieser aus den Schatten ziehen konnte. Mat schnaubte über seine Hast, ehe er sich Lucis wieder näherte – er fixierte ihn und konzentrierte sich scheinbar stark. Lucis schluckte leicht und bereitete sich auf den Angriff vor, als er sah, dass sich auch um Mat Partikel sammelten – nur dass seine von leuchtendem Rot waren. Das gleiche Rot, in dem nun auch seine Augen aufleuchteten. Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Kapitel 6 Lucis trat ein paar Schritte zurück und richtete sich vollends auf, um dem ehemaligen Gefährten einen höhnischen Blick zuzuwerfen. „Ich bin gespannt, Mat – zeig mir, ob du es inzwischen schaffst, mich in meine Schranken zu weisen!“ Augenblicklich schoss der Schwarzhaarige nach vorn und wirbelte um seinen Feind herum. Eine halbe Drehung ließ seine Sense knapp über Mats Kopf hinweggleiten, als dieser sich zur Seite rollte und mit einer Handbewegung eine Axt aus roten Partikeln auf Lucis niederfahren ließ. Gekonnt blockte er mit seinen Schatten, sodass beide Farben zerstoben und er erneut auf Mat zustürmen und ihn angreifen konnte. Dieser parierte mit seinen Klingen, ein Sturm aus Angriffen hagelte auf ihn nieder. „Unachtsam wie immer, Lucis!“, knurrte Mat mit einem Mal und Lucis spürte, wie ihm etwas in die linke Schulter schnitt und einen Hauch von schmerzartigem Empfinden hinterließ, das der Schwarzhaarige nur noch aus Erinnerungen heraus kannte. „Kannst du das auch so schnell heilen?“, fragte sein Gegenüber schnalzend, bevor Lucis zurücksprang und sich der Wunde besah. Ein tiefer Schnitt prangte dort in seiner Schulter und hatte einen Teil des Tuches zerstört, mit welchem er sein Mal verdeckt hielt. Ein Kribbeln war um die Wunde zu vernehmen – die Totenseele machte sich daran, den bereits verstorbenen Körper wieder herzurichten. „Es wird nicht länger dauern als wenige Minuten.“, erwiderte Lucis schließlich und sammelte Kraft, um den nächsten Angriff stärker zu gestalten. Noch bevor er zu einem Manöver kam, sah er eine rot leuchtende Peitsche auf ihn zusausen, der er knapp entging, bevor er einen Gegenangriff startete und Mat gegen ein umstehendes Haus schleuderte. „Kannst du auch etwas anderes, als Waffen zu formen, Mat?“, raunte er, als er einen Sekundenbruchteil später bereits an Mats Seite hockte und ihn im Nacken packte, bevor er ihn in das nächste Haus warf. Die Wand, die der Körper traf, zerbrach. Schnaufend richtete sich der andere Bluter auf, bevor er Lucis finster anblickte. „Ich werde dich in die Knie zwingen, Lucis Cambridge!“, knurrte er und stürmte nun seinerseits auf ihn zu, wobei er die roten Partikel um seine Arme sammelte. Augenblicklich bereitete Lucis den Schild aus den Schatten vor und sog die Luft ein – bis zu dem Moment des Aufpralls. Alles in ihm zog sich zusammen, er ortete aus der Richtung seines Brustkorbes ein lautes Knacksen, bevor er durch eine Hauswand hindurch geschleudert wurde und letztlich zum Stillstand kam. Als er sich sachte aufrichtete entfuhr ihm eine Ladung Staub, die der Heilungsprozess ein ums andere Mal mit sich brachte. Als er wieder auf den Beinen war, umschloss er den Stab seiner Sense fester und blickte kühl zum anderen hinüber, dessen Gesicht ein zufriedenes Lächeln zierte. „Wie fühlt es sich an, hm, Lucis? Schmerzt es dich?“, fragte er höhnisch, doch Lucis spuckte nur aus und trat langsam näher zu Mat. „Wie mir scheint, gehörst du erst seit kurzem zu den Seelensklaven.“, erwiderte er kalt, was Mat zu einem ebenso kalten Blick zwang. „So tief bist du also gesunken – immer sprachst du von Ehre, von Stolz – doch du bist nur eine elende Ratte die sich mit den Wurzeln des Lebens zufrieden gibt. Wann ist es soweit gewesen, dass du für ein wenig Macht alles aufgeben konntest?“, zischte Lucis zynisch, doch Mat schüttelte wutentbrannt den Kopf. „Das sagt der Richtige! Du bist es doch gewesen, der alles fortgeschmissen hat, nur um dem Tod die Stiefel zu lecken!“ „Du bist erbärmlich, Mat – hast du nicht immer davon geträumt, die ein Leben aufzubauen, in dem Fay nie wieder Gewalt erleiden musste, in welchem ihr zusammen für immer glücklich sein konntet? Was ist aus deinem Traum geworden, Mat? An meinem hat sich nichts geändert – ich habe nur einen neuen Pfad gewählt, der mir erlaubt das zu schützen, was es für mich immer zu schützen galt. Du hingegen hast alles aufgeben – dein Leben, deinen Traum, Fay und dich selbst. Du wirst ihr niemals das Geben können, was ihrer angemessen ist.“ Eine kalte Träne fiel zu Boden, bevor ihr weitere folgten. Mats Blick war so wütend, wie es Lucis nie zuvor gesehen hatte, doch er wusste, dass es genauso sein sollte. „Du weißt nichts, Lucis!“, zischte sein Gegenüber, bevor er erneut in die Farbe rot gehüllt wurde und ihm entgegenkam. Der Schwarzhaarige atmete ruhig aus, bevor er die Sense erhob und diese mit seiner Dunkelheit verstärkte. „Du hast keine Ahnung, was alles passiert ist!“, sprach Mat weiter, das Rot verdichtete sich immer mehr. Langsam nahm Lucis Haltung an, er schloss die Augen und gab sich der Leere in seinem Innern hin. Ohne dass er viel dafür tun musste, sprang er bereits auf den Jäger zu und parierte einen Angriff mit dessen verstärkten Schwertern. Die Finsternis um seine Waffe wurde dichter und umschlang nun auch seinen Arm, sodass er Mat mit einer geduckten Drehung die Klingen entriss und ihn mit einer schnellen Handbewegung zu Boden riss, bevor er den Schafft der Sense auf Mats Brust niederfahren ließ und ihn somit auf dem Gestein fesselte. Augenblicklich zerstob das Rot, ebenso wie es das Schwarz tat. „Du solltest den Dämon aufsuchen, der dir deine Seele geraubt hat, Mat – noch ist es nicht zu spät.“ Er ließ die Sense verschwinden und kniete neben seinem ehemals besten Freund nieder, um den Verband um seinen Hals zu lösen. Die Worte, die sich um das Blutmahl wanden entsprachen der achten Strophe des Blutliedes und sprachen von Rache und Stolz gleichermaßen. Die Wunde war noch immer offen, einzelne Tropfen liefen Mats Hals entlang. Tropfen, die, wie Lucis wusste, immer kälter werden würden, bevor sie gänzlich erstarben. „Wieso, Lucis …?“, brachte der Jäger ächzend hervor, doch der Schwarzhaarige schüttelte erst nur den Kopf. „Du weißt, warum ich gegangen bin – also weißt du auch, warum ich diesen Weg gehe.“ Mit diesen Worten erhob sich Lucis und wandte sich ab, bevor er nahe der Türen des Gildenhauses stockte. „Fay, du solltest dich gut um ihn kümmern – egal wie er sich entscheidet, er wird leiden wie niemand vor ihm.“ Mit leisen Schritten trat er zu den Türen des Gebäudes, bevor er im Schlund dessen verschwand. Kapitel 7: Kapitel 7 -------------------- Kapitel 7 Vier Tage suchte er bereits nach ihm – vier verdammte Tage hatte er es aufs Spiel gesetzt, entdeckt zu werden, weil er vier verdammte Tage lang nicht nur des Nachts, sondern auch am Tage ununterbrochen unterwegs war, nur um diese Ratte zu finden. Nun war es mitten in der Nacht und der Morgen des nächsten Tages war nahe – aber das tat nun nichts mehr zur Sache, weil der Gassenkriecher wenige Meter unter ihm an einem Haus lehnte und mit anderen, ebenso nichtigen Ratten verhandelte. Informationskauf – Blackthorne war gut darin, in dieser Angelegenheit zu verhandeln. Aber leider verkaufte er sie selbst auch weiter – an die falschen Leute. Ich werde dir den Kopf abreißen, Pisser – warte nur! Seine Hand ruhte auf dem Schaft seines Langschwertes, während er die Szene unter sich beobachtete. Die anderen zwei Gestalten verschwanden wenige Sekunden später – das war ihm nur recht. Die Ratte schien durchzuatmen. Ein Fehler. Aber ich werde dir schon zeigen, was Angst heißt. Blackthorne richtete sich auf und wandte sich rechts um, ehe er ein paar Schritte tat – ohne zu zögern sprang Lucis vom Dach des Hauses hinunter und landete weniger Meter hinter dem Langfinger, der augenblicklich erstarrte. Langsam wandte er den Kopf um – er erkannte ihn nicht. Es war zu dunkel – und der Bluter verhüllt. Er richtete sich auf, die Ratte wandte sich ihm gänzlich zu. „Wer bist du und was willst du?“, fragte die Ratte schnippisch, doch Lucis erwiderte nichts. Langsam zog er sein Schwert, die Augen Blackthornes weiteten sich schlagartig. „W-wartet, was soll das?“, seine Stimme zitterte. Lucis tat die ersten Schritte auf ihn zu und der Gassenkriecher wich zurück. „Du wagst es noch, nach einem Grund zu fragen?“ Panik gesellte sich zum Entsetzen in den Augen der Ratte. „L-Lucis? W-was machst du denn hier?“ „Du hast mich verraten, Caleb – wieder einmal. Ich hatte dir deine Chance gegeben, weil ich glaubte, dass du die Fähigkeit besitzt, zu denken, aber wie es scheint, habe ich mich geirrt.“ „V-Verraten? Ich dich? N-niemals!“ „Nein – und warum zitterst du dann? Warum bricht deine Stimme, wenn du mit mir redest, Caleb? Ich habe dir gesagt, was ich tue, wenn du deine Chance nicht nutzt. Hast du wirklich geglaubt, Mat und die anderen würden mich besiegen – dachtest du wirklich, ich sei so schwach?“ „Lucis, nicht …“ Die Schritte des Blutes verhallten, als er die Ratte in die Ecke gedrängt hatte. „Ich hätte mehr von dir erwartet, Gassenkriecher – viel mehr. Aber sei's drum – es ist ohnehin vorbei.“ „N-nein!“ Mit eine blitzschnellen Bewegung trieb er der Ratte seine Klinge zwischen die Rippen, das Blut, das sich über ihm ergoss, spürte er kaum. „Gibt es noch jemanden, Ratte? Noch jemanden, dem du von mir erzählt hast?“, fauchte er kühl und Blackthorne versuchte das Blut herunterzuschlucken, das aus seinem Mund drang. „Gibt es noch jemanden?!“, er drehte die Klinge und hörte einen Rippenbogen brechen. „Ma … ene …“, nur ein Wispern. „Sprich lauter, Ratte – vielleicht überlege ich es mir noch einmal anders? Wenn ich es will, wird dich jemand zurückholen.“ „Mar … en … e …“, die Augen des Langfingers wurden langsam trübe, seine Stimme erstarb. Lucis schluckte, bevor er dem Sterbenden die Klinge aus dem Leib zog. Dumpf fiel der Gassenkriecher zu Boden – Lucis spürte, wie sein Herz erstarb und die Totenseele, die ihn besetzt hatte, erfreute sich daran. „Maryene – verdammt! Diese Ratte!“, er spuckte aus und ließ die Klinge im Nichts verschwinden, ehe er sich umwandte und mit einem Satz auf das Dach zurückkehrte. Maryene – der Mann, den er für George töten sollte, der Schuld an seiner Rückkehr war. Der Mann, der dem König näher Stand, als irgendein anderer Gildenmeister des Landes. Der Mann, wegen dem nun früher oder später mein Kopf rollen wird. Lucis warf einen Blick über die Schulter – in der Richtung lag die Hauptstadt. Und er war sich sicher, dass man dort bereits bestens über ihn Bescheid wusste. Hastige Schritte führten ihn die Treppe hinauf, vorbei an den Angestellten, Dienern, Kriechern und sogar seinem aufgebrachten Bruder, der versuchte ihn am Ärmel zurück zuzerren, den Lucis aber mit einer eiligen Handbewegung von sich stieß. Er schluckte – wenn sein Körper nicht dem eines Toten gleichen würde, ihm würde wohl Schweiß von der Stirn perlen. Als er auf die großen Türen zuschritt, warf er eine der beiden Wachen zu Boden, die ihn vom eindringen abhalten wollten, dann legten sich seine Hände an das dunkle Holz, bevor die Türen beinahe aus den Angeln gerissen wurden. Der Staub, der kurzzeitig aufgequollen war, verschwand und er sah dem Gildenrat direkt entgegen. Mit finsterer Miene knurrte er in den Raum hinein, bevor er auf die Männer zustürmte und einen nach dem anderen von seinem Stuhl zog, ehe er allesamt aus dem Raum jagte. Dann erst wandte er sich George zu, der ihn entsetzt anblickte. „Was ist denn in dich gefahren?!“, donnerte seine Stimme, doch Lucis schloss erst angespannt die Türen, bevor er ein Zittern seiner Stimmer unterdrückte. „Maryene.“, fauchte er, George blickte ihn fragend an. „Maryene?“ „Maryene. Er weiß Bescheid.“ Stille. Dann ein sichtlich schweres Schlucken des Gildenmeisters. „Du meinst …“ „Ich sehe, George, du weißt, worauf ich hinaus will.“, wisperte er, ging auf den Tisch zu und fuhr die Maserung des Holzes nach – ehe seine Faust alles zersplittern ließ. „Verdammt! George, der König weiß von mir! Und er weiß, wo er mich finden wird – Maryene als Gegenspieler zu haben ist schon schlimm genug, aber wenn er von mir weiß, ist das alles hier ein reines Selbstmordkommando! Er wird mich finden – spätestens in zwei Tagen werden die Soldaten des Hofes vor deinen Türen stehen und sie werden nach mir verlangen! Weißt du, was sie mit mir machen werden, George? Sie werden mich hängen – vielleicht auch glatt vierteilen! Und dann denke mal daran, was sie erst mit Criss anstellen! Verdammt!“, er warf einen Stuhl um und trat angespannt zu den Fenstern. „Ich bin nicht ohne Grund gegangen – wollte nicht ohne Grund nie wieder zurückkehren!“ Er biss sich auf die Lippe – Sand begann, an seiner Zunge zu kleben. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde zu rasen beginnen – alles Einbildung, eine Illusion des Lebens, das er einmal in seinen Händen hielt. „Was wirst du tun?“ Der Bluter spuckte aus, bevor er sich umwandte. „Was ich tun werde? Die Frage ist, was wirst du tun? Du hast mir dein Wort gegeben, George.“, wieder wandte er sich ab – er konnte den Blick des Gildenmeisters nicht ertragen. Die Unsicherheit, die Angst … „Ich werde mein Ziel ausführen – Maryene wird sterben. Sorge dafür, dass Criss am Leben bleibt und zwischen uns wird alles geklärt sein.“ „Und wie willst du das bitte anstellen, du nichtsnutzige Klinge?“ Minder genervt entfloh ein Seufzer seinen kalten Lippen. „Garnett – ich hätte mir denken sollen, dass du deine Ohren überall hast.“ „Das hättest du, Lucis – aber du lernst eben nie dazu.“, die Stimme der Frau bebte und er konnte ihren erzürnten Blick in seinem Nacken spüren. Machst du dir etwa nach all der Zeit noch Sorgen um mich, Garnett? Ein Kopfschütteln, eine Drehung. Die blonde Windjägerin stand ihm direkt gegenüber, halb in den Schatten eines mächtigen Schrankes gelehnt. Lucis wusste, dass es dort einen Geheimgang gab – für den Fall einer spontan vorzunehmenden Flucht. Ihre blau schimmernden Augen ruhten auf ihm, ein eindringlicher Blick wollte sich in sein Innerstes bohren – doch die Seele des Bluters blieb verschlossen. Auch von ihr ein Kopfschütteln und Lucis trat langsam zum Tisch hinüber. „Was willst du, Garnett – hast du nicht neue Jägerinnen anzuschnauzen oder Werber in einen Fluss zu schmeißen?“, augenblicklich ruhte der Lauf ihrer Pistole an seinem Hals und Kälte war in ihre Augen getreten. Lucis störte es nicht – es änderte nichts. „Ich weiß gar nicht, was du hast, Garnett – hast du es so nicht schon immer gehandhabt?“ „Dass du dich traust, dieses Thema anzusprechen, dumme Klinge!“, das Knurren war leise und Lucis war sich sicher, dass George die Worte nicht hatte vernehmen können. Und selbst wenn – er hielt sich seit je her aus den Streitigkeiten zwischen ihm und der Windjägerin heraus. Mit einem Mal ließ sie die Waffe sinken und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Nach kurzem Schwiegen tat es George ihr nach und schließlich gab auch Lucis sich geschlagen und setzte sich. „Also, Lucis – wie willst du es anstellen? Jetzt, wo Maryene von dir weiß, wirst du wohl kaum einfach bei ihm hereinschneien und ihm den Kopf abhacken können.“, stellte sie fest und Lucis rollte seufzend die Augen. „Als ob ich so plump vorgehen würde.“ Eigentlich hatte ich genau das vor, dumme Hexe … „Warum verrätst du uns dann nicht deinen Plan?“ Wieder ein Seufzen, gefolgt von einem Kopfschütteln. „Ich werde ihn wohl oder übel in einen Zweikampf verwickeln. So beschissen er auch als Gildenmeister wie als Stadthalter ist, er ist ein ehrenhafter Mann, der ein Duell nicht ausschlagen wird.“ Mit einem Mal landete der Schaft der Pistole in seinem Gesicht und ließ ihn Staub spucken. Verdammte Hexe! „Wann bist du bitte so wahnsinnig geworden, Lucis?“, fauchte die Jägerin und ließ die Waffe wieder verschwinden. „Wenn du Maryene loswerden willst, musst du ihn schon in einen Hinterhalt locken – solcherlei Dinge beherrschst du doch am besten! Pah, ein Zweikampf mit Maryene – als ob du da auch nur eine Minute auf den Beinen bliebst!“ Ein vernehmliches Knurren entwich seinen Lippen, ehe er ruckartig aufstand. „Erzähl du mir nicht, was ich kann und was nicht, kleine Windhexe! Ein Hinterhalt ist völlig sinnlos – wir reden von Maryene, verdammt! Außer Reichtum liegt ihm nichts am Herzen und in irgendeine Schatzkammer werde ich ihn wohl kaum locken können! Womit also, willst du ihn reizen um ihn in einen Hinterhalt zu verwickeln, hm? Verdammt, ich werde nicht einmal an ihn herankommen, wenn ich mich ihm nicht offen ausliefere!“, fauchte er zornig, ehe ihm George beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legte. „Komm runter, Lucis, du-“ „Komm runter? Willst du mich verarschen? Hierbei steht verdammt noch mal nicht nur mein, sondern auch Criss' Leben auf dem Spiel! Wenn ich nicht schnell handle, werden alle Bemühungen umsonst gewesen sein! Verdammt!“, wieder trat er zum Fenster hinüber, er er sich durch die Haare fuhr und fieberhaft nachdachte. Wie sollte er das nur anstellen – wie konnte er ihn ohne jeden Schaden aus der Angelegenheit herausholen? Verdammt – verdammt! „Lucis …“, setzte die Jägerin mit plötzlich weicher Stimme an, doch Lucis tat es ab. „Nein, nein!“, er ließ die Hände sinken und beruhigte seinen Atem. „Wenn das alles vorbei ist – falls es jemals vorbei sein wird –, dann müsst ihr mich endgültig vergessen, verstanden? Lasst mir endlich die Ruhe, die ich mir all die Jahre über erkämpfen wollte.“ Ich werde ihn herausfordern – es ist die einzige Möglichkeit, bei der nicht noch mehr Schaden angerichtet wird … Er war allein, die Mittagssonne tat ihr bestes, in sein Zimmer hinein zustrahlen, doch es half nichts. Er saß da – er saß einfach nur da und starrte auf seinen Arm. Er schmerzte – gleich einem Pulsieren, das er kaum noch zu erkennen vermochte. „So schweigsam, Bluter?“ „Wann war ich jemals nicht schweigsam? Was willst du?“ Ein Geräusch, das einem Kichern gleichkam. „Warum sitzt du hier herum, Bluter – warum greifst du nicht einfach an? Du kannst nicht einfach durch die Hand eines Menschen sterben.“ „Wenn es so einfach wäre-“ „Es ist so einfach – nichts ist einfacher, als einem Menschen das Herz herauszureißen. Du bist mehr als diese Maden – stärker, mächtiger!“ „Und doch viel weniger wert, nicht wahr?“ Er seufzte. „Was plagt dein verkümmertes Herz, Bluter – alle Karten liegen klar auf dem Tisch! Du musst ihn nur töten – und vielleicht auch den König?“ „Den König?“ „Soll das Kind nicht endlich in Sicherheit verweilen? Bist du nicht deshalb den Pakt mit mir eingegangen, um wenigstens einem von euch beiden ein Leben zu schenken?“ „Was verstehst du vom Leben, Seele – was verstehst du von meinen Beweggründen? Du bist nicht mehr als ein Schatten, der sich an meinem Leid labt und meinen Körper zerfrisst, bis schließlich auch ich in die Tiefen eurer Dunkelheit hinab gerissen werde.“ „Du wusstest, worauf du dich einließest – und in diesem Wissen sangst du dein Siegel.“ Stille – Lucis war zu schwach, um noch etwas zu erwidern. „Warum hast du dir nicht das Leben des anderen Bluters genommen – du hättest auch seine Kraft haben können. Es würde das alles noch einfacher machen, als es ohnehin schon ist.“ „Nein – es hätte mir den Abschied von dieser Welt nur noch erschwert.“ Ein kurzer, sengender Schmerz durchfuhr ihn, bevor er an der Scheibe des Fensters gelehnt zusammensank. „Ich will doch nur etwas Ruhe …“ Er schloss die Augen und lauschte in die Stille hinein. Nichts, was ihn störte, nichts, was nach ihm verlangte … Doch was war das – ein Klackern? Vorsichtig hob er den Kopf und sah schließlich, wie ein rot gemaserter Falke vor seinem Fenster auf und ab flog, eine Nachricht an sein Bein gebunden. Müde raffte sich die Klinge auf und öffnete das Fenster, woraufhin das Tier auf dem Fensterbrett landete und er die Nachricht vom Bein binden konnte. Noch bevor er sich geöffnet hatte, war der Vogel auch schon verschwunden – Lucis konnte diese Viecher noch nie leiden. Sei's drum … Er rollte die Nachricht aus und las aufmerksam – bevor er sie erschrocken fallen ließ und aus dem Zimmer stürmte. Hinter ihm schlug die Tür zu, man konnte hören, wie Statuen zu Boden fielen und zersplitterten, doch nichts hielt ihn auf. „Er ist fort – der König hat ihn, aber er will dich“, das hatte auf dem Zettel gestanden. Und Lucis wusste leider zu genau, von wem die Rede war … Kapitel 8: Kapitel 8 -------------------- Kapitel 8 Der eisige Wind zog seit Stunden über ihn hinweg, doch er rührte sich nicht. Seine Augen waren starr auf den Platz vor ihm gerichtet, während er sich so nah am Königspalast versteckt hielt. Die Nacht über ihm wurde immer dunkler – mehr und mehr Wolken schoben sich über das Firmament und weigerten sich, jedwedes Licht hindurch zu lassen. Alles, was die Dunkelheit durchbrach, waren die Fackeln der Soldaten, die überall um ihn herum auf und ab liefen und wild durcheinander schrien. Einer der Generäle – sie alle waren Lucis wohl bekannt – verteilte Zettel an jeden. Die Klinge bemerkte, wie einer der Soldaten in seiner Nähe diesen vor Schreck fallen ließ und schon trug der Wind ihm die Nachricht zu, die dieses Treiben verursachte. Groß und eindringlich prangte das Bild des Meistgesuchten auf dem elfenbeinfarbenen Papier. Silbrige Augen blickten ihm kalt entgegen und dunkles, schwarzes Haar umrahmte das noch nicht kranke Gesicht. „Der Falke mit dem silbernen Blick ist zurückgekehrt – eine Belohnung für jeden, der etwas weiß und Tod für alle, die ihn zu schützen suchen!“ Er spannte seine Muskulatur nur noch mehr an, als er den Aufruf des Königs las – und ließ den Zettel wieder vom Wind davon tragen. Aufmerksam beobachtete er, wie immer mehr Soldaten den platz betraten, wie auch der nächste General auf die Bildfläche trat – wie die Flaggen des Königs gehisst wurden, um die Jagd nach ihm einzuleiten. Ein leises Knurren entfloh seinen Lippen und er musste den Wunsch eines schnellen, unerkannten Angriffs aus seinem Hirn verbannen – wie gern nur würde er sie alle nacheinander ihres Kopfes befreien! Doch deshalb war er nicht hier … Plötzlich spürte er hinter sich einen feinen Luftzug, der nicht dem Wind zugehörig war und fuhr herum! Da stand Mat – ein blutgetränkter Verband schmückte seinen Hals, er war blass und wirkte geschwächt. Etwas in Lucis schien erleichtert – alles andere misstrauisch. Er blickte dem Bluter still entgegen, bevor diese zu sprechen begann. „Warum?“, fragte Lucis leise, ein kurzes Lächeln zeigte sich auf den Lippen des anderen, doch es war schnell wieder verschwunden. „Weil du recht hattest.“, seine Stimme war schwach. Langsam trat er an ihm vorbei und begutachtete seinerseits das Geschehen auf dem Platz. „Was nicht heißt, dass zwischen uns alles geklärt ist.“ „Das dachte ich mir.“, erwiderte Lucis ruhig und wandte sich wieder um. „Es scheint, als hättest du einen Plan.“ „Sicher – im Gegensatz zu dir stürze ich mich ja nicht unvorbereitet in eine Schlacht.“ Ein leichtes Kopfschütteln der Klinge, dann ein Seitenblick zum alten Freund. „Was hast du vor – weihst du mich ein?“ „Es ist ganz einfach – wir brechen ein. Wenn wir es in den Hinterhof schaffen, kann ich dich zu einer geheimen Tür bringen, hinter der ein Gang in die Kerker liegt. Dort werden wir vermutlich deinen Bruder finden.“ „Und der Haken?“ „Wir können nicht auf dem gleichen Weg zurück – heißt, wir müssen uns durch die Soldaten im Palast kämpfen.“ „Was ist da dein Plan?“ „Nun, Lucis – den Teil überlasse ich dann dir.“ Der Gang war schmal, tief und stickig wie nie ein Ort zuvor. Selbst Lucis fiel es schwer, hier ordentlich zu atmen – Mat, der hinter ihm lief, wurde währenddessen immer langsamer. „Du Idiot – wenn du wusstest, wie das hier drin ist, hättest du auch draußen bleiben können!“ „Ich … lasse mir … doch nicht dieses Spektakel … entgehen!“, ein Knurren, bevor er den Rothaarigen am Arm packte und schneller hinter sich her zog. Solange, bis sie scheinbar eine Sackgasse erreichten. Vorsichtig legte Lucis seine Hand an das Gestein – es war glatt geschliffen worden. „Du musst den … Mechanismus … oben rechts auslösen …“ Langsam nickte die Klinge und taste das Gestein vor ihm ab, bis er schließlich eine Vertiefung und darin ein Scharnier fand. Er betätigte einen kleinen Hebel, woraufhin ein lautes Knacken ertönte – bevor sich Risse in das Gestein zogen und sich eine schwere Tür öffnete. Kurz warf Lucis einen Blick hinter der Tür hervor – die Kerker lagen direkt vor ihnen und einige Gefangene blickten ihm erschrocken aus ihren Verliesen entgegen. Er warf Mat hinter sich einen kurzen Blick zu. „Ich glaube, ich will gar nicht wissen, woher du diesen Geheimgang kennst.“, meinte er nur kurz und beide traten gänzlich heraus, kurz darauf verschloss sich hinter ihnen die Tür. „Hättest du nicht theoretisch auf der anderen Seite warten können – oder wärst du in der Zeit krepiert?“ „Wahrscheinlich.“ Ein Augenrollen, bevor die Klinge begann, die Zellen abzusuchen. Einige der Gefangenen wichen zurück, andere bettelten darum, dass er ihnen half – doch das alles interessierte den Bluter nur wenig. Er musste Criss finden, bevor der König auf die Idee kam, ihm etwas anzutun. Je tiefer sie in die Kerker gelangten, desto modriger wurde alles – die Luft um sie herum war feucht und schwer. Mat hinter ihm hustete schwer – er konnte spüren, wie die Totenseele nach seinem Blut schrie, als er welches ausspuckte. Hoffentlich schafft er das – zwei von der Sorte kann ich nicht beschützen. Mat und sein Bruder waren sich sehr ähnlich – beide waren stur, ihm gegenüber hitzköpfig und viel zu schnell abzulenken, wenn ihnen etwas nicht in den Kram passte. Und beide hassten es, vor ihm Schwächen zu bekennen. „Schalte ihn einfach aus, Bluter!“, sprach die Totenseele in seinem Kopf, doch er ging nicht weiter darauf ein. „Sei nicht töricht – du kannst nicht alle Leben retten.“ Nicht alle – aber vielleicht ein paar. Sie kamen in den letzten teil der Kerker und der Schwarzhaarige warf suchend den Blick umher. Irgendwo musste er sein – er konnte sein rasendes Herz beinahe spüren. „Criss – wo bist du?“, wisperte er – und selbst dieses Flüstern wurde von den kalten Wänden zurückgeworfen. Das Rascheln einer Kette wurde laut – woher kam dieses Geräusch? „Lucis? Bist du das?“, die Stimme seines Bruders war ebenso schwach wie die Mats – doch aus welcher Richtung kam sie? „Kann die Seele ihn nicht aufspüren?“, fragte Mat plötzlich und Lucis spürte den eindringlichen Blick in seinem Nacken. „Sie könnte, ja.“ „Warum nutzt du sie nicht?“ „Sie ist gerade nicht besonders gut auf mich zu sprechen.“ „Ich frage wohl lieber nicht nach. Ich gehe rechts lang – schau du links nach.“ Lucis nickte, als Mat an ihm vorbei trat und dem Kerker weiter nach rechts folgte. Der Schwarzhaarige warf einen Blick an die Wand vor ihm – eine mit Pflanzen überwucherte Statue eines alten Kriegsgottes stand dort und sah finster zu ihm herab. Er atmete noch einmal durch – ein ungutes Gefühl überkam ihn, als er nach links abbog. Er sah sich um – die Gefangen hier wirkten alle krank oder zumindest so ausgehungert, dass sie dem Tode nahe waren. Sie waren stärker in Ketten gelegt als die im vorderen Teil der Kerker – hier mussten die Palastwachen wohl die gefährlicheren Gefangenen unterbringen. Oder die, die politisch oder auf andere Art und Weise wichtig waren. „Lucis …“, die Stimme seines Bruders brach – er schien verletzt worden zu sein, als man ihn in den Palast brachte. „Criss, haben sie dir etwas angetan?“, fragte er ruhig, doch im ersten Moment kam keine Antwort. „Criss?“, kam es nun von Mat – obwohl er weit entfernt war, hörte es sich an als würde er noch immer hinter ihm stehen. „Ich hab eine Platzwunde am Kopf – und sie haben mich gebannt. Mehr nicht …“ Gebannt? Verdammt! Er unterdrückte es, auszuspucken – wie er die Königsfamilie hasste! Kaum erfuhren sie, dass jemand ein klein wenig Magie beherrschte, bannten sie den Betroffenen – es war ihnen völlig egal, welche Risiken das barg! Wenn er nicht wüsste, dass der Erzmagier des Hofes ein guter Zauberer war, er würde wohl freiwillig in den Thronsaal kommen und dem König mit eigenen Händen den Kopf abreißen! „Wie geht es dir?“, kam es von Mat – Lucis schüttelte den Kopf und lief weiter. Criss antwortete nicht auf die Frage – warum auch, es war eigentlich offensichtlich. „Bist du allein – haben sie gesagt, wann sie nach dir sehen werden?“, kam es nun von der Klinge. „Nein …“ Der Schwarzhaarige nickte leicht – bevor er erstarrte, als er einen lauten Knall vernahm! Ein Blick nach oben verriet ihm, dass Staub von der Decke rieselte – was hatte da gerade die Verliese betreten? „Oh oh, Bluter – jetzt solltest du dich wohl langsam beeilen, was?“ Sei einfach still, Seele – wenn du noch was von diesem Körper haben willst, solltest du mir lieber helfen! Ein Kichern, das in seinem Kopf widerhallte – bevor ihn etwas weiter nach vorn zog. Ich bin also richtig! Er begann zu rennen, als er das Echo schwerer Schritte vernehmen konnte – neben den Schritten Mats, die ebenfalls stetig schneller wurden. „Fast da, Bluter – lass mich heute ein wenig Spaß haben, ja?“ Wieder ein Kichern – noch etwas, was er nicht ausstehen konnte. Aber daran hatte er sich ja inzwischen gewöhnt … „Criss!“, sagte er plötzlich, als er in der letzten Zelle seinen Bruder erblickte. Der Blick des Jungen war müde, Blut rann über seine linke Wange. Eiligen Schrittes trat Lucis zu den Gittern und sammelte seine Kraft. „Rühr dich nicht, Criss – ich hol dich raus!“ Die schwarzen Partikel sammelten sich um seine Hand und er bemerkte, wie der Junge die Augen aufriss, bevor die Klinge mit einem schnellen Schlag die Gitter zum zerbrechen brachte. Dann ergriff er die Kette, die an Criss' Fuß befestigt worden war und die Partikel verschlangen sie förmlich und ließen sie zu Staub werden, bevor auch sie verschwanden. Schnell zog er den Jungen auf die Beine. „W-was … ?“ „Dafür haben wir keine Zeit – komm!“, er zog ihn hinter sich her und lief zurück. „Mat, ich habe ihn – komm zurück! Und beeile dich!“ „Was sind das für Schritte?“, ertönte Mats Stimme, doch Lucis knurrte nur. „Alles klar – ein Glück bin ich nie unbewaffnet.“ „Ja, welch ein Glück – vielleicht sichert dir das vier oder fünf Sekunden mehr vom Leben.“, erwiderte der Schwarzhaarige angespannt und lief weiter. Er spürte, wie Criss immer langsamer wurde – es wurde schwerer, ihn mit sich zu ziehen. „Er wird es nicht lange durchhalten.“ Da kennst du uns schlecht, Seele! Er packte Criss auch bei der anderen Hand, bevor er ihn mit einem Ruck auf seinen Rücken zog. „Was machst du denn?!“, fauchte dieser daraufhin, doch Lucis lief bereits weiter. „Ich achte darauf, dass du nicht zurückbleibst, Kind! Jetzt sei still!“ Seine Schritte wurden immer schneller und schneller – und kaum war er an der Statue angekommen, sah er auch schon Mat auf ihn zulaufen. Doch die schweren Schritte von rechts zogen seine Aufmerksamkeit stärker auf sich. Er sah einen Schatten am Ende des Ganges – einen Schatten, der bei weitem größer und auch viel breiter war als er selbst und der langsam auf sie zukam. „Was zum … ?“, kam es keuchend von Mat und Lucis spürte, wie Criss erschrocken seine Finger in seine Schultern grub. Was ist das? Ein Kichern, bevor die Seele antwortete. „Ich habe schon lange keinen mehr gesehen – ich dachte, der große Herr hätte sie alle eingesperrt!“ Hör auf in Rätseln zu sprechen, Seele! „Ach, Bluter – erkennst du es denn nicht? Das wird aus denen, die versuchen den Pakt mit uns auf eigene Faust zu brechen! Wahrlich grässliche Gestalten, habe ich nicht recht?“ Ein Schlucken. Er hatte von ihnen gehört – als er noch ein Kind war, hatte sein Vater ihm oft von diesen Wesen erzählt. „Wesen, die nicht tot, nicht lebendig sind – die nicht atmen, nicht essen, nicht trinken und nur wandeln, um die Seelen der Verlorenen einzusammeln. Sie kommen dich zu holen, wenn du dem großen Herren der Finsternis dein Herz verwehrst.“, zitierte er wispernd die alten Geschichten und augenblicklich ertönte ein Keuchen aus Mats Richtung. „Ein Schlächter – das ist doch hoffentlich ein Scherz, Lucis!“ „Wenn ich es so einfach abtun könnte …“ Geruch von Tod und Verwesung stieg ihm in die Nase und ließ selbst ihn würgen. Der Schatten kam immer näher und allmählich waren die vielen fauligen Wunden und Narben zu sehen, die sich über den gesamten unförmigen Körper zogen. Am Kopf schien es eine Brandnarbe zu haben, die sich über das ganze ehemalige Gesicht zog, ein Arm – oder das, was davon übrig war – war völlig entstellt. Verdammt – wie tötet man dieses Ding? „Töten? Wie willst du etwas töten, das nicht lebt, Bluter?“ Ein tiefes Knurren, bevor Lucis langsam in die Knie ging. „W-was machst du denn, Lucis?“, wisperte der Junge erschrocken, doch Lucis reagierte nicht. Langsam griff er nach Faith – den Dolch trug er immer bei sich. „Das wird kaum reichen!“ „Mat – kannst du noch diese Bannzauber sprechen?“ „Was willst du denn damit anrichten?“ „Wenn das Teil da tatsächlich weder tot, noch lebendig ist, werden wir ihm wohl kaum einfach das Herz ausreißen können. Vielleicht reicht es, wenn wir es hier festhalten, bis wir fliehen können.“ „Hattest du mir nicht ein wenig Spaß versprochen, Bluter?“ Ich habe dir überhaupt nichts versprochen! „Denkst du nicht, dass du ihn vielleicht mit ihrer Hilfe ausschalten kannst?“ „Wer weiß – und wenn, wird es wohl kaum einfach werden.“ „Klar … Ich brauche aber Vorbereitungszeit.“ „Habe ich mir bereits gedacht!“ Lucis ließ seinen Bruder runter, bevor er auf das Wesen vor ihm zustürmte. Er setzte zu einem Angriff an, doch schon in diesem Moment traf es ihn gegen die Schulter und warf ihn zurück, sodass er unsanft gegen die Statue prallte. Der Sand seines Körpers rieselte zu Boden und er stand keuchend auf. Verdammt – das tat ganz schön weh! „Seit wann so sensibel?“ Er spuckte aus, bevor er erneut angriff. Ein Sprung und er entkam dem Schlag des Schlächters – doch schon traf ihn der andere Arm des Unwesens in die Seite! „Das Teil ist gar nicht so dumm, wie es aussieht!“, murmelte er und richtete sich wieder auf. „Aber das heißt nicht, dass du gegen mich bestehen kannst, Mistvieh!“ Der schwarze Staub sammelte sich um seine Hand und die Klinge von Faith, ehe er wieder angriff und sich unter dem ersten Arm des Schlächters hinwegduckte. Kaum schoss der zweite auf ihn zu, ließ er seine Kling in das verweste Fleisch niederfahren. Ein ohrenbetäubendes Jaulen ertönte, als das Vieh plötzlich eine Art Mundöffnung zeigte – der Jäger zog seine Waffe wieder aus dem Fleisch und bemerkte die eitrig-faulige Flüssigkeit, die ins Freie drang und nach Tod und Krankheit roch. Eiligst drehte sich Lucis zur Seite um dem nächsten Schlag des Schlächters zu entgehen. „Du kannst das wohl nicht ab, was?“, fauchte er, bevor er die Klinge mitten in die Brust des Untieres trieb und sie einmal nach links durch das Fleisch zog, bis sie wieder aus dem Fleisch drang. Augenblicklich quoll die stinkende Flüssigkeit wieder hervor und das Jaulen des Schlächters ließ ihn vor Schmerzen einen Moment die Augen zukneifen – ein Moment, in dem er selbst am Kopf erwischt und zu Boden geworfen wurde. Wo kommt dieser Schmerz her – das war doch alles schon vorbei! „Vergiss nicht – er war einmal genau wie du! Du kennst die Regeln eines Kampfes zwischen zwei Blutern!“ „Natürlich …“, murmelte er. „… meine Klinge durch ein jedes Herz – doch nur die eines Seelenträgers durch das meine.“ „Wunderbar zitiert, meine Puppe – nun zeige ihm doch, aus was ein solcher Seelenträger gemacht ist!“ Er stützte sich auf und brachte sich unter schwerer Anstrengung wieder auf die Beine – Faith noch immer fest in seinen Händen. Der Schlächter stand ihm direkt gegenüber – er schien ihn genauso zu beobachten, wie es Criss und Mat getan hatten. Entsetzen stand in beider Augen – erst jetzt bemerkte der Schwarzhaarige, wie ein Tropfen Blut über seine Wange rann und schließlich zu Boden tropfte. Sein Blick wurde augenblicklich kälter – wenn das Vieh einen ernsten Kampf wollte, so sollte es diesen kriegen! „Mat, wenn du soweit bist, werde ich diesem Teil den Kopf abhacken – und ihm noch jedes dieser verkrüppelten Gliedmaßen einzeln ausreißen!“, fauchte er und kreiste einen Moment lang seine Schultern – bis das Wesen erneut seine Mundöffnung Preis gab und ein tiefes Grollen erklingen ließ, bevor es auf ihn zutrat. Glaubst, dass es so einfach wird, Made? Warte nur! Er warf Faith in die Höhe und zog während eines Sprungs hin zu dem Schlächter seine Sense aus den Schatten. Mit einem schnellen Angriff trennte er einen der Arme vom Körper und verletzte zusätzlich noch ein Bein der Bestie. Der Konterangriff stieß ihn zurück, doch er fing sich ab, griff nach dem niedersausenden Dolch und schleuderte ihn auf das Wesen zu! Jaulend versuchte es, die Klinge aus seinem Bauch – oder ähnlichem – zu reißen, doch in diesem Augenblick griff Lucis bereits erneut an und schlug den zweiten Arm ab. „Na, Mistvieh – wie willst du mich jetzt angreifen?“ „Freue dich nicht zu früh, Bluter.“ Und schon bemerkte der Schwarzhaarige, was die Seele damit meinte – aus den Wunden wand sich etwas heraus, das an menschliche Muskelstränge erinnerte und sich schließlich immer mehr und mehr verfestigte. Bis er sich schließlich einem Wesen mit mehr als zwei Armen gegenüber sah. Ich bin gerade ein wenig erleichtert, dass das Teil keine Waffen trägt. „Würde das alles wohl etwas zu schwer machen, was, Bluter?“ Hör auf zu lachen, Seele – es ist zu deinem Besten, wenn ich das hier überstehe! Er schwang noch einmal seine Sense, bevor er Mat einen Blick zuwarf, der sich wiederum mit Criss zurückgezogen hatte und konzentriert auf den Schlächter sah. „Sag mir, dass du endlich fertig bist!“ „Ein Augenblick noch, Idiot – du weißt genau, dass ich geschwächt bin!“ „Du bist geschwächt?“, er blickte zu dem Wesen. „Und das hier ist besser?“ Ein tiefes Grollen, gefolgt von einem lauten Kreischen, dass Lucis für einen Moment wieder die Sinne zu vernebeln suchte – dich die Klinge schüttelte es früh genug ab, um dem Angriff der Bestie entgehen zu können! Mit einer schnellen Drehung schlag er dem Schlächter den Rücken auf und schlug zudem einen der Arme ab, bevor er in die Höhe sprang und die Waffe auf eine der Schultern niedersausen ließ. Unter einem widerlichen Geräusch quoll die faulige Flüssigkeit wieder hinaus und lief den Rücken hinab. Das Vieh drehte sich blitzschnell um und noch bevor Lucis reagieren konnte wurde er an der Kehle gepackt! Was zum …?! Ein unglaublicher Schmerz durchdrang seinen Körper – er hatte dieses Leiden schon beinahe vergessen gehabt. Sein Brustkorb schien sich zusammenzuschnüren, während er die Sense fallen ließ und die Hände an die unförmige Hand des Schlächters legte, um sie irgendwie auseinander zudrücken. Komm schon – komm schon! Nicht hier, verdammt! Die schwarzen Partikel verdichteten sich – und ihre bloße Berührung schien dem Unwesen schiere Schmerzen zu bereiten. Dennoch, es ließ nicht los sondern drückte nur noch fester zu. „Lucis!“, ertönte plötzlich Criss' Stimme – er hörte Schritte näher kommen. Nein – nicht du, Criss! Wenn du ihm nur ein Haar krümmst, Schlächter …! Er spannte seine gesamte Muskulatur an – und plötzlich fiel er zu Boden, als das Wesen sich nach hinten krümmte und immer weiter hernieder sank. Angespannt versuchte der Schwarzhaarige, wieder auf die Beine zu kommen – und Criss zog ihn langsam hoch. „Zurück, Criss – du bist zu schwach für das hier!“ „Du etwa nicht nach diesem Angriff?!“ „Das lass mal meine Sorge sein!“, die Klinge griff zum Bauch des Unwesens und zog seinen Dolch aus dem fauligen Fleisch, bevor er diesen hoch erhob. Mat hatte endlich den Bannzauber sprechen können – jetzt konnte das Mistvieh sein blaues Wunder erleben! Blitzschnell ließ er Faith niederfahren, durchtrennte Sehnen und Knochen, zerteilte eine Faser nach der anderen – bis endlich der Kopf der Bestie zu Boden fiel und der Körper langsam in sich zusammenfiel, während sich die eitrige Flüssigkeit über dem Boden ergoss. Lucis atmete schwer – doch er konnte sich jetzt keine Pause erlauben. Er musste Criss zurück zu George bringen – und auch Mat wieder heil aus dem Schloss geleiten. „Kommt – lasst uns keine Zeit verlieren …“, sprach er und steckte Faith weg, während die Sense am Boden zerstob. Nach einem langsamen Nicken lief Mat zu ihm und Lucis griff Criss' beim Handgelenk, bevor sie alle drei wieder losrannten. Von wegen man kann es nicht töten, Seele – musst du Mistvieh einem immer anlügen? „Bist du denn besser, Bluter?“ Bald schon hatten sie die Kerker und auch einige Gänge hinter sich gelassen – und keine einzige Palastwache kam ihnen entgegen. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihm aus – das konnte ja nur noch schlimmer werden. Hoffentlich irre ich mich … „Das denke ich weniger.“ Ja, ich auch … Sie erreichten eines der großen Tore hinaus in den Palasthof – und kaum hatten sie dieses geöffnet, standen sie eine halben Legion gegenüber. Einer der Generäle, die vor drei Jahren maßgeblich an der Jagd nach Lucis beteiligt waren, trat vor und zog sein Schwert. „Im Namen seiner Majestät, dem König, verurteile ich dich, Silberfalke, hiermit zum Tode durch Enthauptung!“, verlautete er. Na wunderbar – das Szenario, dass ich mir schon immer erträumt habe … Kapitel 9: Kapitel 9 -------------------- Kapitel 9 Er biss sich auf die Unterlippe und seine Gedanken begannen, um den bevorstehenden Kampf zu kreisen. Langsam rückten einige Soldaten näher – ebenso wie der General. „Lucis?“, er wandte den Blick zu Mat, der ebenso verbissen auf die Legion blickte wie er zuvor. „Erinnere mich daran, mich für all das hier an dir zu rächen.“ Lucis schnaubte, bevor er den Blick wieder auf den Genral richtete – er spannte seine Muskulatur an. „Geht klar – aber nur unter einer Bedingung.“, er spürte, wie es in seinen Fingerspitzen zu kribbeln begann. „Die da wäre?“ „Schaff den Jungen hier weg!“, mit diesen Worten stürmte Lucis vor und zog die Sense aus den Schatten! Mit einer schnellen Bewegung war er dem Angriff des Generals und der ersten drei Soldaten in seiner Nähe ausgewichen, ehe der Schwarzhaarige zwei von ihnen enthauptete und dann weiter in die Massen sprang. Vier der Soldaten griffen ihn an – eine Drehung nach links, ein Sprung zurück und Lucis konnte ihnen ausweichen und zum Gegenangriff übergehen. Der erste Kopf rollte noch bevor jemand hatte reagieren können und die schwarzen Partikel um seine Füße stoben wieder auseinander. Ein Kribbeln in seiner linken Hand bedeutete ihm, weiterzumachen – die Seele lachte dreckig. Sein Blick glitt nach rechts und nach links, bevor er einen Schlag von oben parierte und über einen auf Höhe seiner Kniekehlen hinweg sprang. Er landete sicher und rollte sich nach hinten ab, um einem erneuten Angriff zu entgehen, bevor er sich auf seine Hände stützte und scheinbar mühelos den gerade zu ihm gelangenden Genral zur Seite trat. Gerade richtete er sich auf, als eine Klinge ihn an der Brust erwischte und Unmengen an Sand aus seinem Körper riss. Die Augen des Angreifers weiteten sich schlagartig – bevor sie völlig verblassten, nachdem Lucis die Klinge seiner Sense in dessen Herz trieb und wieder heraus riss. Eine schnelle Drehung und sechs weitere Köpfe fielen zu Boden – das Blut, das ihn nach und nach benetzte bemerkte er kaum. Irgendwo hinter ihm wurde ein Schrei laut, bevor ein jung wirkender Soldat auf ihn zustürmte und seine Klinge in Lucis Bauch versenkte. Mehr als ein kaltes Lachen konnte er ihm allerdings nicht abringen. „Du unterschätzt mich, Jüngling.“, wisperte er in eisigem Ton, bevor er Faith nun seinerseits in die Bauchhöhle seines Gegners trieb. „So macht man das – merk es dir für dein nächstes Leben!“ Er riss die Klinge heraus und steckte sie weg, bevor er das Schwert des jungen Kriegers ergriff und herauszog – nur um damit den nächsten Angriff des Generals zu parieren. Er spürte, wie ihm Sand aus den Mundwinkeln rieselte, ebenso aus der bereits wieder fast verschlossenen Wunde an seinem Oberkörper. Sein Kalter Blick streifte den des Mannes, der ihn über Monate in eine Hetzjagd verstrickt hatte. „Du bist alt geworden, was?“, zischte er, doch sein Gegenüber quittierte das nur mit einem lautstarken Knurren. Ein Dolch wurde zwischen seine Unterarmknochen getrieben, bevor ein Tritt in den Rücken und eine schnelle Bewegung des Truppenanführers ihm Elle und Speiche brachen. Ein kurzer, leiser Schmerz flammte in seiner rechten Hand auf – doch der war schnell vergessen, als die schwarzen Partikel wie von selbst in seine Wunde eindrangen und die Klinge des Dolches sprengten, bevor sie die Knochen wieder vollends herrichteten. Langsam stand er auf und wich nur einen Schritt zur Seite, um den Schaden durch ein auf seine Kehle gerichtete Klinge zu minimieren. Er spürte, wie Hitze in ihm aufstieg – und er umfasste seine Sense fester, bevor er wie ein Blitz auf die umliegenden Gegner einschlug! Ein Gefühl von Zorn breitete sich in ihm aus – aber es kam nicht von ihm selbst, nein, die Seele selbst fühlte sich angegriffen. Eine Klinge nach der anderen barst durch seine Sense – ein roter Tropfen nach dem anderen fiel wehklagend zu Boden. Das Geschrei um ihn herum nahm er kaum noch war – das Pulsieren in seinem Arm übertönte beinahe alles. Seine Bewegungen wurden schneller, stärker – tödlicher. Wie in Raserei verfallen metzelte er einen Körper nach dem anderen nieder und bemerkte kaum, wie immer mehr Sand aus sich schließenden Wunden rieselten. „Sollen sie schmoren, diese Ratten – ich werde jede ihrer Seelen verbrennen!“ Verbrennen? Die Hitze in ihm wurde immer größer, immer unerträglicher! Nein! Mit einem Schlag endete alles – und eisige Kälte überfiel den Schwarzhaarigen. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wurde er sich der Übermacht bewusst, sah, wie immer mehr Feinde an die Stelle eines Gefallenen traten. Er spürte, wie Schwäche ihn überkam – seine Muskulatur begann zu zittern. Was …? Nicht jetzt … Alles um ihn herum schwankte – wie in Zeitlupe schien alles zu verschwimmen. Der Tumult war nur ein leises Surren in seinen Ohren, jede Bewegung die er wahrnahm so langsam wie er es nie zuvor gesehen hatte. Rechts von ihm hob einer seine Klinge auf Höhe seines Kopfes … „Mir scheint, als würdest du ein wenig Hilfe gut gebrauchen können!“ Mit einem Mal normalisierte sich alles und alle Augen richteten sich gen Himmel. Blondes Haar wehte im stärker werdenden Wind, während eisig blaue Augen zur Menschenmasse hinunterblickten. Garnett! „Wie wäre es also mit einem Sturm?“, fragte die Windjägerin mit kaltem Lächeln, bevor sie die Hände erhob. Mit einem Mal kamen Sturmböen auf und peitschten hart in die Gesichter der Soldaten. Das Tosen des Windes überdeckte jegliches Geschrei und riss jedes von neuem vergossene Blut mit sich. Die Soldaten um ihn herum hatten Mühe, überhaupt stehenzubleiben, weshalb der Schwarzhaarige zu einem neuen Angriff ansetzen wollte – doch schon in diesem Moment wurde er von einer Säule aus reinem Wind erfasst und in die Höhe gerissen. Entsetzte Schreie und hunderte Finger, die nun in seine Richtung deuteten – doch das alles bemerkte er kaum noch, das die Windjägerin ihn mit sich durch die Luft zog. Am Handgelenk gepackt zerrte sie ihn mithilfe ihrer Böen aus der Stadt heraus – die Häuser unter ihnen erschienen ihm mickrig und waren schon bald hinter ihnen verschwunden. Binnen weniger Sekunden hatten sie ein kleines Waldstück nördlich der Hauptstadt erreicht, in welchem Garnett ihn absetzte, bevor sie selbst leichtfüßig landete. Kurzerhand zerstob seine Sense und Lucis unterdrückte es, einmal tief durchzuatmen. Sein Blick glitt zu der Blondine neben ihm, die ihn klagend bedachte. „Das war ziemlich knapp, Lucis – du hättest draufgehen können.“ Oder auch nicht … Er wollte gerade etwas erwidern, als zwischen einigen Bäumen Mat und Criss hervorkamen und zu ihnen rannten. „Lucis!“, rief Criss noch bevor er vor ihm zum Stehen kam – noch bevor er seinen älteren Bruder fragend ansah. Der Schwarzhaarige aber ignorierte es – er wusste, dass Criss die Partikel nicht verstand. Doch das musste er auch nicht. „Wir sollten verschwinden – sie werden bald hier sein.“, sagte er schließlich und lief los – er wollte so schnell wie möglich zurück zum Gildenhaus. Kapitel 10: Kapitel 10 ---------------------- Kapitel 10 Lucis beobachtete, wie sich Criss und Garnett friedlich unterhielten – wie sie unschuldig zusammen lachten. Lange war es her gewesen, seit ihm eine solche Szene offenbart wurde – etwas, das er wirklich vermisst hatte in den letzten Jahren. Die beiden liefen einige Meter vor ihnen, während er zusammen mit Mat etwas zurückgefallen war. Er wollte ungern nah bei ihnen sein – wollte die Blicke seines Bruders nicht spüren. Und außerdem musst ja jemand darauf achten, dass sie nicht eingeholt wurden. Der Schwarzhaarige atmete nun endlich erleichtert durch – es fühlte sich gut an, einfach so durch die Gegend zu laufen. Mat neben ihm schwieg und hing wohl ebenso seinen eigenen Gedanken nach. „Lucis, kann ich dich was fragen?“, etwas überrascht ließ er seinen Blick zum Magier wandern. Er sah den Schwarzhaarigen eindringlich an, sodass Lucis nicht anders konnte, als zu nicken. Daraufhin wandte Mat den Blick wieder nach vorn. „Wie lange?“ Der Krieger ließ den Blick sinken. „Fast vier Jahre.“ Ein Schlucken vom alten Freund. „Ich … hatte es gar nicht bemerkt …“ „Ich wollte es nicht – niemand sollte es wissen, Mat.“ „Warum hast du's getan?“, seine Stimme wurde leiser – dich Lucis schwieg. „Verstehe … Deshalb bist du auch gegangen – so hast du den Krieg damals gewonnen.“ „Und doch viel mehr verloren. Aber ich hatte mich bereits damit abgefunden – ich hatte es akzeptiert.“ „Was hast du akzeptiert?“ Ein Blick zu Criss. „Seinen Hass. Es war besser so – leichter. Für ihn wie für mich.“ Immer schon hatten sie ein schwieriges Verhältnis gehabt – Criss konnte es nie leiden, dass Lucis in allem besser war als er, dass George ihm mehr vertraute und dass er länger fort sein durfte. Criss konnte es nicht ausstehen, dass Lucis zu morden begann um Geld für sie zu verdienen – er konnte nicht glauben, vom Tod abhängig zu sein. Und als der Schwarzhaarige sich veränderte, begann er ihn regelrecht zu hassen. „Warum bist du zurückgekommen?“ „Wegen George – er will, dass ich Maryene umbringe. Den Mann, der euch angeheuert hat und wegen dem nun auch der König wieder hinter mir her ist.“ Mat seufzte und schüttelte den Kopf. „Und das nur wegen eines dummen Fehlers.“ Wohl wahr … Der König war noch nie gut auf die Jäger zu sprechen gewesen – aber Lucis war ihm ein Dorn im Auge. Er wurde im Mordfall der Prinzessin für schuldig erklärt – doch das alles war eine Lüge. Am Abend ihres Todes war Lucis nicht einmal in der Hauptstadt gewesen, doch an seiner Stelle war jemand gewesen, der ihm sehr ähnlich sah. Jemand, der ihm das alles angehangen hatte. „Irgendwann wird die Wahrheit ans Licht kommen – selbst wenn dann bereits mein Kopf rollte. Das wäre mir sogar recht …“ „Willst du denn keine Rache – hegst du keinen Groll?“ Der Schwarzhaarige schüttelte milde den Kopf – vor drei Jahren noch hätte er an dieser Stelle vermutlich sogar gelächelt. „Keineswegs – ich habe meinen Schatten bereits ermordet, das weißt du. Und die beteiligte Person habe ich viel zu gern, um sie zu hassen.“ Ein verdutzter, erstaunter Blick wurde ihm von Mat zugeworfen, jedoch sagte er nichts mehr dazu und wandte sich wieder ab. Lucis ließ seinen Blick zum Himmel wandern – erst jetzt bemerkte er, wie sehr er die Gespräche wirklich vermisst hatte. Schon immer konnte er mit Mat offen über alles sprechen – selbst wenn sie Streit hatten, er hatte ihm immer zugehört, wenn er etwas loswerden wollte. Er hatte ihm immer geholfen, egal wie groß die Kluft zwischen ihnen war. Wenn es nur so hätte bleiben können … Das Schweigen hatte etwas beruhigendes – er war dankbar, dass Mat ihn auch so verstand, ohne dass er alles erklären musste. Der Krieger bemerkte, wie es zu schneien begann – langsam aber sicher wurde alles um ihn herum unter einer weißen Decke begraben. Die Bäume und Büsche, die wenigen Blumen, die Bäche und Wege – alles wurde zur Ruhe gebettet. Es schien, als wolle Mutter Natur ihren Kindern einen Moment des Friedens schenken – einen Augenblick, in dem alle sie selbst sein durften, ohne Angst vor einem Ende. Er sah, wie Garnett ihre dünne Jacke fester um sich zog und wie Criss sich anspannte – aber sie lachten dabei und so war es gut. Er konnte die Kälte nicht spüren – nicht so wie sie –, aber er konnte sich an das Gefühl erinnern, sich nach einem langen Tag im Freien wieder am Kamin zu wärmen. Er hatte es noch nie verstanden, aber die Kälte schien alle irgendwie zusammenzubringen. Solche Abende kann man eben nur im Winter erleben. Er ließ den Blick über die verschneite Landschaft wandern – erst als die Sonne allmählich wieder aufging, endete der Schneefall. Mat, Garnett und Criss schienen bereits ziemlich ausgekühlt und sie freuten sich offenkundig auf ein warmes Bett. Lucis konnte es gut verstehen – es war eine lange Nacht gewesen, für jeden einzelnen. Als im Osten bereits alles in rot und orange getaucht war, setzten sie ihre Füße endlich in die lang ersehnte Stadt. Sie zogen ihr Tempo an und ließen schnell die ersten Meter hinter sich – doch mit einem Mal ließ sie ein lauter Knall hinter ihnen zusammenfahren. Erschrocken wandten sie sich um – und sahen, dass die Eisengittertore der Stadt geschlossen und verriegelt wurden. Ein Lachen rechts von ihnen wurde laut und Lucis folgte dem Geräusch – auf einem Dach unweit von ihnen entfernt stand ein Mann, dessen Bart und Haare bereits zu ergrauen begannen. Er hatte einen langen Mantel an, doch dieser versteckte nicht die stark ausgeprägte Muskulatur dahinter. Ein dreckiges Grinsen stand im Gesicht des Mannes mit den dunkelgrünen, schmalen Augen. Er hörte, wie seine Begleiter unwillkürlich zurückwichen – und ebenso, wie aus den Gassen um sie herum immer mehr Menschen drangen. Doch seine Augen blieben an dieser einen Person hängen, der so siegessicher durch seinen Bart fuhr und unaufhörlich lachte. „Maryene …“ Kapitel 11: Kapitel 11 ---------------------- Kapitel 11 Lucis trat ein paar Schritte vor um Criss und Garnett hinter sich zu schieben, bevor er ein tiefes Knurren von sich gab und seine Muskulatur anspannte – bereit zum Angriff. Der Mann lachte nur noch lauter. „Ich hörte du trachtest nach meinem Leben, Silberfalke – ist George also schon so tief gesunken, den meistgesuchten Jäger um Hilfe zu bitten?“, sprach die tiefe Stimme belustigt. „Deine Überheblichkeit scheint nach wie vor deine große Schwäche zu sein, Maryene – oder glaubst du, dass du mir auf diese Weise zum Henker werden kannst?“, erwiderte Lucis kalt und zeigte einmal in die Runde. Doch schon erhob sein Gegenüber die rechte Hand. „Ich muss nicht erst dazu werden – ich bin es bereits!“ Seine Hand schnellte hinunter und augenblicklich griffen die Männer und Frauen aus den Gassen an! „Zusammen“, rief Lucis eiligst, woraufhin die drei anderen kampfbereit zusammenrückten. Die erste Welle trieb Garnett mit ihren Sturmböen zurück, was Lucis die Zeit verschaffte, die er brauchte. Schnell hatte er seine Sense gezogen und war in die Lüfte gesprungen! Komm, Seele – leih mir Kraft! Die schwarzen Partikel umschlossen die Klinge seiner Waffe und als er zu Boden raste stieß er diese fest in den Untergrund – eine schwere Erschütterung riss die Umstehenden Feinde zu Boden. Der Bluter zog die Waffe heraus und ließ sie nach rechts, dann nach links sausen um die ersten Diener Maryenes aus dem Leben zu reißen. Ein Keuchen hinter ihm ließ ihn aufhorchen – sein Blick verriet ihm, dass die anderen bereits stark bedrängt wurden! Er ließ die Sense verschwinden und zog sein Schwert, bevor er auf die Kopfgeldjäger und einfache Gassenkriecher, ehemaligen Soldaten und Magier losging. Ein Kopf rechts – ein Herz links – dann trat er zwei Paar Füße weg und durchbohrte die zu Boden Gefallenen innerhalb eines Sekundenbruchteils. „Lucis, hinter dir!“, rief Criss dann – und der Krieger konnte noch rechtzeitig einen Schlag mit einem Breitschwert parieren, ehe er dem Träger hart gegen die Brust trat und dieser schließlich ins schwanken geriet. Er zog Faith – und warf die Klinge zwischen das Augenpaar, dass ihn verbissen ansah. Ein Angriff von rechts folgte und er musste zurückweichen, dann abrollen und wieder zur Seite ausweichen, bevor er das Schwert in die Brust einer ehemaligen Kopfgeldjägerin treiben und wieder hinausziehen konnte. Er warf einen Blick zurück und entging einem Speer, der sich tief in den Boden grub. Ein Sprung zur Seite und er konnte auch einer Axt entkommen, bevor er seine Klinge in der Magengrube eines Mannes trieb, der ihm vor Jahren das richtige Werfen von Messern beigebracht hatte. Faith! Er rollte sich ab und trat jemanden zur Seite, der gerade mit einem Morgenstern auf ihn zugekommen war, bevor er sich durch die Menge um ihn herum zu dem Mann hindurch schlug, in dessen Kopf noch immer sein Dolch steckte. Blitzschnell hatte er diesen hinausgezogen und mit einem Schwung die Halsschlagadern zweier Männer durchtrennte, die ihn gerade anfallen wollten! „Lucis!“ Garnett? Er sprang in die Luft und steckte Schwert wie Dolch weg – als er sah, wie Garnett die anderen beiden vor eine Meute Angreifer zu schützen suchte, zog er seine Sense wieder aus den Schatten. Die schwarzen Partikel sammelten sich um seine Hände und Füße – und augenblicklich sauste er auf die Meute zu! Mit einem lauten Donnern landete er genau vor Garnett und enthauptete die erste Reihe Angreifer, bevor er die zweite Reihe in zwei Hälften teilte. Über und über war er mit dem Blut seiner Feinde benetzt – doch je mehr er ausradierte, desto lauter wurde das Gelächter Maryenes. Der Bluter wollte gerade zu einem erneuten Angriff ansetzen, als ein lauter Ruf alle aufblicken ließ. Lucis hörte Fußgetrappel – und sah nur kurz darauf, wie Georges Leute zu ihnen stürmten. Lucis' Blick wanderte zu den Dächern gegenüber Maryenes – George trat gerade an den Rand. „Maryene! Was soll das Ganze – willst du die ganze Stadt zerstören?“, fluchte er wütend, doch sein Erzfeind tat es mit einem Grinsen ab. „Aah, George, mein alter Freund. Schön, dass auch du dem Spektakel beiwohnen willst – deine Klinge ist bereits dabei, zu zersplittern …“ Sofort warf der Gildenmeister einen Blick auf Lucis, der tatsächlich schwerer atmete als bei den Kämpfen zuvor – das die Seele beim Kampf gegen die Königssoldaten außer Kontrolle geraten war, laugte ihn noch immer aus. Dem Schwarzhaarigen entging nicht, wie George sich auf die Lippe biss – er schien zu merken, wie es um seine Klinge stand. „Lucis ist nicht so leicht klein zu kriegen wie du zu denken magst, Maryene.“, George gab ein Zeichen und plötzlich wurden Garnett und Criss aus der Menge gezogen und aus dem Gefahrenbereich geschafft – Mat und Lucis rückten näher zusammen. „Na das wird sich noch zeigen, George – ich bin gespannt, wie viel Druck der Falke mit dem Silberblick aushalten kann!“ Ein Handzeig und schon begann der Kampf von neuem – nur dass dieses Mal Georges Leute den ersten Schlag taten! Lucis hörte, wie einige Kämpfer beider Sieten zu Boden gingen. „Lucis?“, kam es von Mat, als dieser einen Sprengzauber vor ihnen ausgelöst hatte. „Entschuldige, dass ich dich angegriffen habe – die letzten Jahre haben mich blind gemacht.“ Lucis ließ seine Sense donnernd niederfahren und zerteilte eine Reihe Angreifer. „Hör auf, dir darüber Gedanken zu machen – ich hatte mit keiner anderen Begrüßung gerechnet.“, sprach er, bevor Mat ihn am Arm packte und so mit sich zog, dass Lucis einige Männer zu Boden treten konnte – der Krieger landete leichtfüßig, ehe er seine Klinge durch ein Herz trieb und wieder vom vergänglichen Fleisch befreite. „Und außerdem ist es jetzt noch nicht vorbei, verstanden? Heb' dir deine Entschuldigungen bis zum Schluss auf!“ Beide stießen ein paar Leute zurück, bevor sie – jeder auf seine Weise – neues Leben forderten. Ein Kichern kam aus Mats Richtung. „Du bist unverbesserlich, Lucis.“ „Ich habe nie etwas anderes behauptet!“ Weitere Angriffe folgten, bevor auch sie parieren und ausweichen mussten. Lucis wurde an der Schulter erwischt und während einer Drehung rieselte der Sand nur so aus seinem Körper heraus. Er enthauptete den Angreifer, trennte dem nächsten den Arm ab und wieder dem nächsten trieb er die Sense in die Bauchhöhle. Dann – ganz plötzlich – wurde ein Aufschrei laut. Erschrocken wandte sich Lucis um, suchte Mat – doch er fand ihn in der Menge nicht. Verdammt, wo bist du? Wo bist du, Mat? Da – er sah eine Gruppe Angreifer, die alle zur selben Stellen zu drängen schienen! Lucis sprang auf und ignorierte, dass ihn ein Schwert inmitten seiner Bauchhöhle traf – die Klinge hatte er schnell wieder aus dem Körper gezogen. Er kämpfte sich durch die Menge hindurch, wich aus, parierte und griff an – bis er seinen alten Freund endlich sehen konnte. Der Jäger war bereits zu Boden gegangen, doch ein letztes Schutzschild konnte er noch aufrecht erhalten. Blut rann aus vielen Wunden und troff schließlich zu Boden. „Mat – ich bin da!“, rief Lucis und stürmte zu ihm – wo er einen mächtigen Angriff auf die Menge um den Magier herum startete! Die schwarzen Partikel hatten seinen Körper umschlossen, während die Sense für einen Moment verschwand. Wie in Raserei verfallen griff Lucis einen nach dem anderen blitzschnell an und forderte immer und immer wieder den Tribut, mit dem er seine Seele zahlte. Kaum hatte er die Menge ein wenig zurückgetrieben, zerstoben die Partikel. Erst jetzt viel ihm auf, dass einige Bewohner aus ihren Häusern geflohen und auf den umliegenden Dächern Schutz gesucht hatten – was bedeutete, dass Maryene noch unzählige Leute mehr hatte, die die Bewohner nicht durchließen. Von George waren ebenfalls weitere Männer dazugestoßen – sie schienen die Stadtbewohner vor Übergriffen zu schützen. Garnett und Criss wurden inzwischen zum Gildenmeister selbst gebracht, Lucis konnte sehen, wie angespannt Criss ihn beobachtete. „Lu … cis …“ Ein Blick zu Mat verriet ihm, dass es diesem immer schlechter ging. Verdammt! „Halte durch!“ Der Krieger zog Mat auf seinen Rücken, bevor er unter Aufwendung der ihm erkauften Attribute über die Menge hinweg sprang und nach zwei weiteren Ansätzen schließlich bis auf das Dach gelangte, auf dem die anderen waren. Criss wollte gerade zu ihm stürmen, doch Garnett hielt ihn auf, während George ihm den schwerverletzten Mat abnahm. „Du musst ihn schnellstmöglich behandeln lassen, George!“, sprach Lucis schnell und wollte sich gerade wieder abwenden, doch George hielt ihn einen Moment zurück. „Was ist mit dir? Hältst du durch?“, fragte der Mann, doch Lucis ließ nur den Blick fahren. Er wusste es nicht – er wusste nicht, wie lange sein Körper nach standhalten konnte. Er selbst konnte die Erschöpfung kaum noch wahrnehmen – aber sein Körper war noch immer zu einem Teil menschlich. Er warf dem Gildenmeister einen kurzen Blick zu, bevor er wieder in die Menge sprang und dabei seine Sense hervorholte. Wieder ließ eine Erschütterung die Kämpfenden zu Boden reißen – und dieses Mal tat sich der Boden an einigen wenigen Stellen auf und verschlang mehrere Männer und Frauen beider Seiten. Verzeiht – aber Opfer müssen dargebracht werden, wenn man einen Krieg gewinnen will. Und genau das war ausgebrochen – ein Krieg zwischen zwei verfeindeten Gilden. Der Krieg, den er hätte verhindern sollen. Lucis sah die Angst in den Augen der Bewohner – Angst, die nicht nur den Feinden, sondern auch ihm galt. Eine Angst, die er nie wieder hatte sehen wollen. Die Klinge richtete sich auf und griff umstehende Feinde an, metzelte einen nach dem anderen nieder, ließ einen Kopf nach dem anderen rollen. Die Wunden, die er davontrug verheilten schnell und so machte er weiter. Doch plötzlich bohrte sich etwas durch seine Brust und hinterließ einen stechenden Schmerz! Schnell hatte er den Speer ergriffen und hinausgezogen – Unmengen Sand rannen aus der Wunde. Aber es war nicht wie sonst – nein, er war rotgefärbt. Von dem Blut, dass für Jahre unter Verschluss gehalten worden war. Was …? Er drehte sich um, bemerkte, wie sich die Menge teilte, wie sich der Kampf legte – wie alles verstummte. Er sah, wie der eine Mann auf ihn zutrat – der, der den Speer geworfen haben musste. „Es wird Zeit, das alles zu beenden.“, sprach Maryene – und mit einem Mal peitschten Wind und Wasser auf ihn ein und rangen ihn zu Boden! Was zum …?! Unter plötzlich aufflammenden Schmerzen kämpfte er sich hoch und blickte in die dunkelgrünen Augen seines Gegenüber, der nur eisig grinste. „Lass mich ihnen dein wahres Antlitz offenbaren, Silberfalke!“, sagte der Feind höhnend – Lucis riss die Augen auf. Unglaubliche Sturmböen umshclossen ihn und zerschlugen immer und immer wieder Teile seiner Haut, zerfetzten seinen Teil der Kleidung, die ihm George bereit gelegt hatte – und das Tuch, dass er so schützend um seinen linken Ar gelegt hatte. Kaum war dies geschehen, endete alles und Lucis landete keuchend und mit vielen Wunden übersät, aus denen langsam das Blut sickerte. Ich hätte es wissen müssen … Warum hatte er es nicht bemerkt – warum hatte er es nicht gespürt? Ein entsetztes, erschrockenes, Angsterfülltes Raunen ging durch die Reihen – Schreie wurden laut, Schritte voller Panik wurden hörbar, als sie das Blutmal an seinem Arm erblickt hatten. Doch Lucis sah, wie sich Zorn zu der Angst in den Augen mischte. Und er blickte zu Maryene, der schallend zu lachen begonnen hatte. Lucis schluckte, bevor er ein lautes und vernehmliches Knurren von sich gab – bevor die schwarzen Partikel aus seinen Wunden sickerten und seine Arme und Beine, seine Waffe verstärkten, Partikel, die sich daran machten, seine Wunden irgendwie zu verschließen. „Seht, welch Monster unter uns weilt – aber keine Sorge, ich werde es vernichten!“, sprach der Mann und nahm nun seinerseits eine kampfbereite Haltung ein. Lucis spuckte aus und schwang seine Sense bedrohlich, bevor auch er sich bereit machte. „Freu' dich nicht zu früh, Drecksmade!“ Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Kapitel 12 „Ich hätte es wissen müssen – von wegen, Monster. Du bist es doch, der die erste Karte zu diesem hinterhältigen Spiel legte!“ „Da magst du Recht haben, Silberfalke – aber denkst du denn, dass sie dir glauben würden? Dem Mann, den sie am meisten hassen?“ Lucis spuckte aus, Blut rann über seine Mundwinkel. „Sei vorsichtig, Bluter – die Seele uns gegenüber ist stark!“ Soll sie ruhig – dann sind wir eben stärker! Lucis preschte nach vorn! Ein Angriff von oben, dann von unten – doch Maryene parierte alles mit einem einfachen Schutzzauber. Er lachte schäbig, bevor er selbst zu einem Angriff ausholte und einen Brocken aus dem Boden riss, der auf Lucis zuschnellte. Der Krieger aber rollte ab und griff seinerseits wieder an. „Ist das alles?“, fragte sein Gegner sarkastisch und fing den Angriff ab, indem er die Klinge der Sense packte. Lucis sah, wie einige wenige Tropfen Blut zu Boden fielen. „Er hat seine körpereigenen Kräfte verstärken lassen – samt Magie. Lass dich nicht von ihm treffen!“ Ich werde mich redlich bemühen. Maryenes Hand schnellte vor, doch Lucis sprang zurück und zog Faith, da er die Sense hatte zerfallen lassen. „Ich werde dich ausweiden, Maryene!“, fauchte er, den Schmerz, der in seinem Körper tobte wie ein Sturm ignorierend. „Mit diesem Zahnstocher?“ „Du hast es erraten!“ Wieder ging Lucis auf seinen Gegenüber los – die schwarzen Partikel verdichteten sich um seine Arme und Beine, sodass er es schaffte, einem Konter Maryenes auszuweichen und ihm dafür die Klinge in die Schulter zu jagen. Augenblicklich zog der Schwarzhaarige die Klinge wieder hinaus und ging auf Abstand, während Maryene sich unberührt zu ihm umwandte und den Nacken kreisen ließ. „Guter Schachzug – aber nicht gut genug!“ Wieder kam Wind auf – Böen, die Sicheln glichen flogen auf ihn zu! Nur knapp konnte er dem Angriff entgehen, doch die letzte Böe traf ihn dennoch und riss seine ohnehin bereits geschundene rechte Seite auf. Verdammt! „Steh auf, Bluter – kämpfe! Wozu gab ich dir deine Kraft?“ Ein Knurren. Sei still! Der Jäger lief auf seinen Feind zu und sprang schließlich hoch in die Luft. „Mal sehen, was du davon hältst!“, wisperte er und die Partikel verdichteten sich um seine Füße. Wie ein Blitz fuhr er plötzlich zu Boden und mit einem unheimlichen Donnern riss der Untergrund auf. Geräusche gleich einem Wehklagen wurden laut – der Schlund verlangte nach Opfern! Doch Maryene war außerhalb der Reichweite – er hatte ausweichen können. „Lächerlicher Zug, Silberfalke!“, lachte er, doch Lucis ließ sich nicht beirren. „Wer sagt, dass er bereits beendet ist?“, erwiderte er nur kühl, bevor er mit noch immer verstärkten Beinen zu dem feindlichen Bluter preschte. Er holte noch beim Lauf aus und trieb die Klinge tief in das Fleisch Maryenes! Ein kurzes Keuchen, bevor dieser ihn an der Schulter packte und in die Höhe riss. Verdammt! „Sagte ich nicht, du sollst dich nicht treffen lassen?“ „Zeit für einen Gegenangriff, Silberfalke.“, wisperte der Magier, bevor er seine Faust in Lucis Magengrube versenkte. Sofort quollen Unmengen Blut und Sand aus seinem Mund, der Schmerz betäubte seine Sinne. „Wage es nicht, jetzt schlapp zu machen!“ Das … hatte ich … nicht vor! Er spürte, wie er zu Boden fiel – ein Tritt in die Seite folgte, ebenso eine neue Ladung Blut und ein Röcheln, dass an das eines Sterbenden erinnerte. Hoch mit dir, Lucis – hoch mit dir! Der Bluter kämpfte sich auf die Beine – auch nachdem Maryene ihn wieder zu Boden gerafft hatte. Noch schwankend richtete Lucis den verschwommenen Blick auf seinen Gegner, bevor er sein Schwert zog. „Es ist … noch nicht vorbei!“, knurrte er und griff wieder an! Ein schwacher Schlag von rehcts unten, den sein Feind mit Leichtigkeit parierte – ebenso den nächsten von oben und folgenden von links. Verdammt – ich kann … kaum was … erkennen … „Du musst es nur wollen!“ Ja – das stimmte! So war es immer gewesen. Die Seele heilte seinen Körper – und konnte ebenso seine Sicht klären. Schwach nahm er war, wie Maryene anzugreifen suchte, doch Lucis sprang unter Schmerzen zurück – die Landung ließ ihn straucheln. Doch er konzentrierte sich – den Blick starr auf Maryene gerichtet, von dem wieder einmal lautes Gelächter zu hören war. „Was ist, Silberfalke – gibst du auf? Bist du zu schwach für den Kampf?“ „Keines … wegs.“ Langsam wurde es besser – gerade rechtzeitig um zu sehen, dass der Magier ihn angriff! Er machte eine halbe Drehung nach rechts, um dem Faustschlag zu entkommen, doch schon traf ihn die andere Hand direkt gegen die Brust und warf ihn abermals zurück. Schlitternd kam Lucis zum stehen – und sprang zur Seite, um nicht in einen Schlund zu rutschen. Streng dich an – du musst gewinnen! Er knurrte abermals und seine Haltung wurde geduckte. Seine Blick fiel auf Faith – unweit von ihm lag sein Dolch nahe eines Abgrundes. Maryene musste ihn hinausgezogen und fallen gelassen haben. So schnell er konnte lief er hinüber – und entging auf diese weise neuen Böen seines Feindes! Eilig hatte er seine Waffe ergriffen und ebenso wie das Schwert angriffsbereit auf seinen Gegenüber gerichtet. Er konzentrierte sich – und die schwarzen Partikel umschlossen wieder seine Beine und drangen ebenso in seine Wunden ein, um diese allmählich zu heilen. „Sag bloß, du hast noch immer nicht genug?“, sprach sein Gegner, doch der Jäger erwiderte nichts und eilte nur auf ihn zu. Gerade als Maryene nach ihm greifen wollte, rollte sich Lucis noch vorn hin ab und richtete sich so auf, dass er Maryene sowohl Schwert als auch Dolch in die Bauchhöhle jagen konnte! Ein schwerer Schlag traf ihn in der Seite und Lucis ging röchelnd zu Boden. Schwer atmend versuchte er, sich aufzurichten – dass er Maryene keuchen hörte, wirkte dabei wie Balsam für seinen geschundenen Körper. „Nach links!“ Er tat, wie es de Seele befahl und konnte einem neuerlichen Angriff des feindlichen Bluters entgehen! Er warf einen Blick über die Schulter, bevor er sich gänzlich umdrehte – Zorn loderte in den Augen seines Gegenübers. „Denk nach, Bluter – es muss einen Grund gehabt haben, dass er dich noch vor dem richtigen Kampf so schwer verletzte! Einen Grund dafür, dass seine Angriffe jetzt langsamer und schwächer sind als zuvor!“ Was? Er beobachtete, wie Maryene die Klingen aus seinem Bauch riss und von sich schleuderte, ehe er langsam auf ihn zukam. Einen Grund, weshalb er … Natürlich! Jetzt fiel es ihm erst auf! Maryene hatte die ganze Zeit so gut wie unbewegt auf dem Dach gestanden – und erst zum Schluss ist er zu einem mächtigen Magieangriff übergegangen! Er hatte die Zeit genutzt, um diesen Angriff vorzubereiten – aber er war nicht halb so stark gewesen, wie er es erhofft hatte! „Und warum, Bluter?“ Ein kaltes Lächeln zog sich nun auch über Lucis Gesicht. Weil du nicht länger als ein verdammtes halbes Jahr lang als Bluter lebst! Deshalb hatte er es auch nicht vorher erkennen können – die Kräfte waren zu unausgereift! „Ein Lachen, Silberfalke – so kurz, vor deinem Ende?“ „Du solltest keine voreiligen Schlüsse ziehen, Maryene!“, schwarze Partikel sammelten sich im seine Füße wie seine Hände, bevor er weitersprach. „Du warst dir so sicher, dass du nun stark genug bist, nicht wahr? Hast gedacht, dass alle deine Kräfte gereift sind – doch du hast dich geirrt!“ Maryene stockte in seiner Bewegung – einen Augenblick lang konnte man Entsetzen in seinen Augen sehen. „Was redest du für einen Unsinn?“ „Unsinn? Nein. Ein halbes Jahr, Maryene – höchstens! Doch deine Kräfte erwachen erst nach einem ganzen Jahr vollständig! Du magst stark geworden sein und doch, gegen meine Attribute hättest du in einem fairen Kampf nie eine Chance gehabt! Deine Seele entzieht deinem Körper noch immer zu viel Energie, nicht wahr? Du wirst noch immer schnell müde – wirst langsamer! Doch ich, Maryene – ich bin bereits völlig im Einklang mit der meinen!“ Blitzschnell preschte Lucis vor und stieß seine Faust tief in Maryenes Magengrube, sodass dieser weit zurückgeworfen wurde und inmitten eines Hauses landete, dessen Wände schwere Risse davontrugen und zu bröckeln begannen. „Dein Dolch – nimm ihn!“ Sein Blick wanderte hinüber und kaum hatte er Faith gesehen, stand er auch schon daneben um die Waffe aufzuheben. Er erinnerte sich – als er den Pakt schloss, hatte er Faith fest in den Händen gehalten. So wurde auch aus der Klinge ein Attribut der Seele. Schwere Schritte und das Geräusch krampfhaften Einatmens ließ ihn aufblicken. Maryene kroch aus dem Haus hinaus und schien sich auf einen neuen Angriff vorzubereiten. Sein Gesicht war von Entkräftung gezeichnet – doch auch Lucis' Körper verweigerte ihm allmählich den Dienst. Ich scheine es heute wohl übertrieben zu haben … Der Schwarzhaarige schritt langsam auf den Bluter zu, der angriffsbereit die Fäuste erhob. Immer schneller werdend holt er mit Faith aus – immer weiter und stärker, bis er endlich bei Maryene ankam! Seine Klinge fuhr nieder und durchbrach die rechten Rippenbögen seines Feindes – ein Knacksen wurde laut, ein Zittern ging durch seine Hand –, während sich dessen Hände tief in seine Bauchhöhle gruben! Beiden Seiten quollen Unmengen Blut aus jeglichen Wunden – doch Lucis war noch nicht fertig! „Meine Klinge durch ein jedes Herz, Maryene – doch nur die eines Seelenträgers durch das meine. Sag mir, wie schmerzhaft ist die Gewissheit, dass all dein Flehen um Macht umsonst war?“, wisperte er kalt und die Augen seines Gegners weiteten sich. Lucis hob die freie Hand und durchbrach dann den Brustkorb Maryenes, bevor er dessen Herz völlig aus dem Körper riss und zu Boden fallen ließ. Er konnte sehen, konnte spüren, wie das Leben aus dem ergrauten Mann wich – sein Leib sackte zusammen und fiel schwerfällig nieder. Noch immer war seine Hand fest um den Griff seines Dolches geschlungen – doch wie er bereits befürchtet hatte, war Faith bei diesem Angriff zerbrochen. Er ließ den Schaft fallen und wandte seinen Blick hinauf zu Mat und Criss, zu Garnett und George. Sie alle starrten ihn regungslos an, weit aufgerissene Augen – vor Angst, vor Entsetzen? Er konnte es schon nicht mehr erkennen. „Ich habe … meinen Teil der Abmachung erfüllt. Maryene ist gefallen. Der Krieg beendet – es wird keiner mehr kämpfen wollen.“, sprach er laut, doch George regte sich nicht. Doch mit einem Mal wurden Stimmen laut – die Bewohner, die Männer und Frauen, die zuvor noch gekämpft hatten begannen zu schreien. Hass sprach ihm entgegen – er solle verschwinden, sterben – für immer vergehen. Er ließ den Blick fahren – die ersten Leute griffen nach dem Dingen, die in ihrer Nähe verweilten. Der erste Stein flog in seine Richtung, gefolgt von weiteren Steinen, Krügen, Scherben, ja, sogar Messern. Nichts von alledem erreichte ihn. Er warf einen Blick zu seinem alten Freund – ein gequälter Ausdruck legte sich über dessen Gesicht. Und auch Lucis wurde davon befallen. Er zeigte ein Lächeln, dass nicht schmerzhafter hätte sein können. „Ich wusste, warum ich ging und warum ich nie wieder zurückkehren wollte.“, sagte er – und Mat ließ wie er selbst auch den Blick sinken. Die Schmerzen in seinem Körper wurden immer stärker, als er sich umwandte und auf die Tore zulief. Erst jetzt bemerkte er, dass Maryene sie mit seinen Böen teilweise zerstört hatte – so konnte er beinahe ungehindert aus der Stadt verschwinden. So konnte er alle Rufe, allen Hass endlich hinter sich lassen … Epilog: Epilog -------------- Epilog Schwach fiel seine Hand zurück in den Schnee, der sich bereits in tiefem rot gefärbt hatte. Die leisen Flocken, die zu ihm hinab sanken, legten sich wie ein schweres Tuch auf seinen Körper und taten ihr bestes, ihn vor anderen Augen zu verstecken. Sein Blick war starr gen Himmel gerichtet – es war bereits dunkel geworden, aber es musste noch mitten am Tag sein. Wie hatte er es soweit geschafft, ohne zusammenzubrechen – wie war er soweit ins Landesinnere gedrungen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen? Wie hatte er solange durchhalten können? Langsam schloss er die Augen, sie fühlten sich unglaublich schwer an. „Ich wollte … alles ändern … Criss sollte doch nur in Frieden … leben … können. … Ist dies … nun der wahre Preis, den ich … zahlen muss?“ Seine Gedanken wirbelten um alle möglichen Ereignisse – Erinnerungen aller Art kamen in ihm hoch. War das berühmte Vorbeiziehen des eigenen Lebens? Er wusste es nicht. „Criss …“ Damals, als sie angegriffen wurden, war er mit seinem Bruder aus dem Haus geflohen – ihre Eltern hatten sie solange geschützt, bis sie es aus dem Fenster geschafft hatten. Lucis war lange mit seinem Bruder auf dem Rücken fortgerannt – solange, bis sie von George aufgegriffen und letztlich gänzlich von ihm aufgenommen wurden. Seitdem hatte Criss kaum noch mit ihm geredet – er hatte ihm vorgehalten, dass sie ihre Eltern hätten retten können, aber was sollten zwei Kinder schon ausrichten? Damals hatte er auch Mat kennengelernt – die Ausbildung zur Klinge hatte ihm den wohl treuesten Freund gebracht, den man sich wünschen konnte. Ein ewiges Bündnis hatten sie sich geschworen – ewiges Vertrauen. Warum hatte er es aufgegeben? Ein Röcheln drang aus seiner Kehle, Blut rann über seine Mundwinkel hinab. Sein Hals brannte schwach, doch das alles schien zu verschwimmen. „Garnett …“ Wie hatte er sie kennengelernt? Er konnte sich schwach daran erinnern, dass sie bei einem seiner ersten Aufträge hereingeplatzt war – arrogant hatte sie ihnen das Kopfgeld letztlich weggeschnappt und war wieder von dannen gezogen. Schon damals war er von ihr fasziniert gewesen – und irgendwann hatte er sie an für sich gewinnen können. Sie hatten sich alles erzählt – Geheimnisse gab es nicht zwischen ihnen. Nur den Pakt hatte er ihr verschwiegen … „Ich hätte deine Bürde für die Ewigkeit getragen, Garnett. Der Tod der Prinzessin – ich weiß, dass du es nicht wolltest. Ich weiß, dass es nur ein Unfall war …“ In der Nacht war sie zu ihm gekommen – sie hatte ihm alles berichtet. Als man ihn anklagte, hatte er sie davon abgehalten, die Wahrheit zu sagen – sie wurde verbannt, aber das war ihm lieber als mit anzusehen, wie sie gehängt wurde. Unter großer Anstrengung öffnete er wieder seine Augen und spannte ein letztes Mal seine Muskulatur an, um in seine Tasche zu greifen. Schwerfällig zog er den Silberring hinaus und hielt ihn vor sich, bevor er die Hand samt Ring auf seine Brust sinken ließ, während er den linken Arm von sich streckte. Zwei Monate vor seiner Flucht hatte er das Schmuckstück gekauft – in der Nacht, in der er seine Liebste zurückgelassen hatte, er hatte sie um ihre Hand bitten wollen. Doch als er die Menschen auf den Straßen hörte, wie sie schrien und ihm den Tod wünschten, da konnte er es nicht – er konnte sie nicht mit in diesen Abgrund reißen … Keuchend und röchelnd drehte er sich auf die Seite – ein Wehklagen seines Körpers konnte er kaum unterdrücken, sodass er sich vor Schmerzen krümmte. Dann fiel sein Blick auf das Blutmal. Verblasste es etwa? Der Text schien zu verschwinden – jedes Wort, vom ersten bis zum letzten. Die Noten jedoch verblieben in seinem Fleisch um die zu mahnen, die es vielleicht irgendwann erblicken würden. Ein schmales, erschöpftes Lächeln zierte seine blassen Lippen – es war nun also vorbei. Endgültig schloss er die Augen und sein letzter Atemzug verließ seine Lippen. Er hatte die Rufe seines Bruders nicht mehr vernehmen können, spürte nicht mehr, wie er umgedreht wurde und wie die eine Frau in seinem Leben ihm einen letzten Kuss gab. Er hörte nicht mehr, wie Mat ihm nun seinen lang ersehnten Frieden wünschte – fernab allem Hass, aller Angst und aller Schmerzen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)