Vom Lied des Blutes von 19Rei-Sama ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Kapitel 4 Die Sonne war gerade aufgegangen, als er das Gildenhaus wieder erreicht und in seinem Gemach Zuflucht gesucht hatte. Er hatte sich auf das Bett gesetzt und strich immer und immer wieder über den Dolch aus Obsidian, während sein Blick in die Dunkelheit ging und seine Augen wirkten, als würden sie direkt in das Innere einer anderen Welt blicken. Seine Gedanken überschlugen sich, aber er konnte keinen fassen und es stellte sich nach kurzer Zeit ein Gefühl von Schwindel ein, welches er aber nicht zu beachten schien. Ebenso wenig wie seine nasse Kleidung und die kalte Haut, die seinen Körper zierte. Er bemerkte nicht einmal, wie George hereinkam und ihm etwas Essen und Wasser zum Trinken brachte. Erst das Knallen der Tür ließ ihn zusammenfahren und sich der Gegenwart bewusst werden. Erschrocken sah er sich um und erblickte alles, aber er hatte nicht das Gefühl, etwas essen oder trinken zu wollen. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung, eine Halluzination ausgelöst durch tagelanges Wandern ohne Nahrung. „Diese Abwesenheit darfst du dir auf dem Schlachtfeld aber nicht leisten, Bluter.“ Lucis zuckte zusammen, ein sengender Schmerz fuhr durch seinen linken Arm und ließ seinen Atem stocken. „Du wirst doch wohl die Bedingung nicht vergessen?“ Lucis schluckte und krallte sich mit der rechten Hand tief in den linken Arm. Das Wispern der Totenseele verursachte ihm Kopfschmerzen und hinterließ jedes Mal das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. „Du sollst uns Tote bringen – dafür hast du Kraft bekommen! Wenn du versagst, wirst du unter Qualen zu Grunde gehen.“ „Ich weiß – aber noch mehr Qualen als die, die das Leben birgt, kann man nicht leiden!“, knurrte Lucis. „Oh, dummer Bluter – so uneinsichtig wie immer! Aber du wirst schon noch sehen …“ Plötzlich fiel aller Schmerz von ihm und Lucis fiel in die Kissen hinter sich, sein Atem ging schnell, unregelmäßig und er spürte, dass an seinem linken Arm Blut hinab rann. Vorsichtig hob er den Arm vor sein Gesicht und löste langsam den Stoff, bis er alles freigelegt hatte. Das Blutmal zog sich über seinen gesamten Unterarm, wand sich über seine fahle Haut, bis es in seiner Handfläche endete. Am Mal entlang wanden sich Worte und Noten, die ihn mahnend an den Pakt erinnerten. „Ein Schimmer so schillernd rot, voll Ungeduld und Unschuld, so ungestüm und wahrlich schön rinnst du entlang des Lebens Höh'n“, las er leise – die erste Strophe des Blutliedes, mit welchem er den Eid leisten musste. Ein Eid, der ihn zum Tode verurteilte und ihm ewige Folter versprach. Es klopfte, Lucis riss den Kopf zur Seite. Leise und langsam öffnete sich die Tür. Eilig verdeckte er seinen Arm und setzte sich auf, bevor er sich den Besucher seines Gemachs näher ansah. Es war Criss – er sah zornig aus. Lucis seufzte – er hatte gehofft, dass sein Bruder länger bewusstlos sein würde, aber er hatte seine Fähigkeit magische Zustandsveränderungen abzuwehren wohl unterschätzt. Schnell hatte Criss ihn auf dem Bett gesehen und entfachte mit einer schnellen Bewegung das Licht im Raum, sodass Lucis seine Augen bedecken musste. „Was soll das, Lucis? Du hast kein Recht dazu, mich hier festzuhalten!“ Anscheinend hatte George seinen Leuten den Auftrag gegeben, Criss nicht aus dem Gildenhaus zu lassen, sodass Lucis jetzt wohl mehrmals am Tag einem Vortrag seines kleinen Bruders lauschen durfte, dass er auch allein überleben würde. Eben alles Dinge, die er in den vergangenen Jahren oft genug von ihm gehört hatte. „Nein, dazu habe ich kein Recht, das stimmt.“, erwiderte Lucis ruhig – er wartete darauf, dass sich seine Augen an das Licht gewöhnten, doch das dauerte länger als erwartet. „Warum hast du mich dann hierher gebracht, hm?“, fauchte Criss und ballte seine Hände zu Fäusten, während Lucis mit den Augen rollte. „Ich habe meine Gründe – und die gehen dich nichts an.“ „Sie gehen mich nichts an? Willst du mich verarschen?“ Lucis spürte, wie die Magie in Criss aufstieg – er hatte sie also noch nicht gänzlich unter Kontrolle bringen können. Ein Grund mehr, dich hier einzusperren. „Keineswegs, Criss – die Dinge, die hier vor sich gehen, sind über deinem Niveau, daher solltest du dich lieber irgendwo verkriechen und hoffen, dass du am Ende mit dem Leben davon kommst.“ Lucis war aufgestanden und hatte sich seinem Bruder zugewandt, der ihn unverwandt finster ansah. „Über meinem Niveau …“, murrte er, ehe er schnaubend das Zimmer verließ und die Tür hinter sich ins Schloss knallen ließ. Lucis seufzte – er hatte nie so gemein zu seinem Bruder sein wollen, aber anders konnte er ihn nicht von sich fern halten. Tut mir Leid, Criss, aber du würdest es nicht verstehen … Langsam bewegte sich Lucis auf die Tür zu, bevor er sich an sie lehnte und zur Öllampe an der Decke blickte. Criss hatte sie mittels eines weißen Feuers entfacht – fortgeschrittene Elementarmagie. Er beobachtete die Flamme dabei, wie sie leise und sacht tanzte und prasselte, bevor er das Feuer mit der gleichen Handbewegung wie die seines Bruders löschte. Die Dunkelheit, die sich um ihn legte, fühlte sich gut an – ein bekannter Feind, den er lieber in seiner Nähe wusste als so manchen Freund … Als sich hinter den Fenstern die Nacht über die Welt legte, erwachte Lucis aus seinem unruhigen, aber dennoch wohltuenden Schlaf. Vorsichtig setzte er sich auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht, bevor er sich aufrichtete und zu dem kleinen Tisch trat, auf den George wohl vor wenigen Minuten erneut Essen und Wasser platziert hatte, in der Hoffnung, dass Lucis endlich etwas zu sich nahm. Aber der junge Mann verspürte noch immer keinen Hunger, das Brot und der würzig riechende Eintopf sprachen ihn nicht an und auch das Wasser schien nicht für ihn bestimmt. Er hatte das Gefühl, als würde nichts wirklich für ihn bestimmt sein. „Ich sollte vielleicht nach ein paar Kernen Ausschau halten.“, wisperte er – Ginraikerne waren das einzige, was Lucis noch schmecken konnte. Alles andere verlor seine Würze, sein Aroma, sobald er es zu sich nahm. Die meisten Lebensmittel wurden sogar so trocken, dass sie ihn an Sand erinnerten. Genauso war es auch mit Getränken – er konnte nur Hoschuswasser zu sich nehmen, aber davon hatte er nicht mehr viel übrig und er konnte nicht von George verlangen, ihm neues zukommen zu lassen. Hoschuswasser war sehr teuer, sodass nicht einmal die Könige es sich regelmäßig leisten konnten. Es kam nur in einer einzigen Quelle hoch im Norden vor, wo es inmitten einer riesigen Eiswüste gefunden werden musste. Trotz eisiger Temperaturen gefror es nicht, da es durch Kristalle gefiltert wurde, die mehrere tausend Jahre alt waren und deren magische Fähigkeiten Vereisungen und viele andere Zustände zu heilen fortwährend auf das Wasser übertragen wurden. Hinzu kam, dass das Wasser klar und frei von Verunreinigungen war, da es Bakterien und Schmutz jeder Art sofort zerstörte, während das Wasser in Flüssen, Meeren und Quellen vom Rest der Welt beinahe völlig verseucht war, seit vor sieben Jahrhunderten eine Epidemie nach der anderen ausbrach. Das wenige klare Wasser, das man noch zu kaufen bekam, war magisch behandelt worden und somit ebenfalls teurer als die Kräutermischungen, die die Armen bekamen und welche aus dem Saft verschiedener Pflanzen bestanden, die hierzulande überall wuchsen. Der junge Mann tastete sich kurz ab – seine Kleidung war natürlich bereits trocken, aber er sollte sich von George dennoch neue bringen lassen. Seine alte Kleidung war bereits sieben Jahre alt und sah auch dementsprechend aus. Nur das Tuch um seinen Arm war vom Zerfall unberührt geblieben. Er hatte es als Kind von seiner Mutter bekommen, damals allerdings noch als Halstuch. Dieses hatte er sich später zu diesem Armschutz schneidern lassen – es erwies ihm also bereits seit Jahren treue Dienste. Lucis ballte seine linke Hand zur Faust und öffnete diese wieder – sie kribbelte etwas, das verhieß nichts gutes. Entweder würde etwas passieren, was ihm selbst schwer zu schaffen machen würde, oder … „Criss!“ Der junge Mann stürmte aus seinem Zimmer und jagte den langen Flur hinunter, überwand eine Treppe nach der anderen wie im Flug und stieß mehrere Leute aus dem Weg, damit er nicht anhalten musste. Er schluckte schwer, sein Puls ging unerwartet schnell und seine Gedanken überschlugen sich. Hoffentlich irre ich mich … Er bog um die Ecke und erreichte den Eingangsbereich, das Kribbeln seiner Hand wurde immer stärker, seine Schritte schneller. Schwungvoll ließ er die Türen des Gildenhauses hinter sich und rannte in die Dunkelheit – bis er einfach stoppte. Das Kribbeln in seiner Hand wurde zu leichtem Schmerzen, weshalb er sich aufmerksam umsah. Ein dumpfes Geräusch hinter ihm ließ ihn gefrieren. Lucis atmete ruhig durch, besann sich seiner Umgebung und ballte die Hände zu Fäusten, bis rubinrote Blutstropfen sacht zu Boden fielen und sich zu dem Dreck, dem Schmutz der Straßen gesellten und dort still, schweigend verharrten. Er hatte sich geirrt, Criss war nicht das erwählte Opfer, nicht der, den man in den Tod reißen wollte – und er war direkt in die Falle geraten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)