Vom Lied des Blutes von 19Rei-Sama ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Kapitel 1 Die Morgendämmerung brach gerade an, als er einen Fuß über die Grenzen der Stadt setzte. Wie ein Omen wirkte es – aber nicht wie ein gutes, denn mit dem Morgen erwachten auch die Köpfe derer, von denen er nicht gesehen werden wollte. Zu groß würde der Trubel, wenn seine Ankunft bekannt wurde, zu unangenehm das Getuschel. Sachte ließ er den Blick schweifen und lief weiter, die Straße war lang und wartete darauf, ihn zu verschlucken und in irgendeine Gasse zu werfen, in der alles Ekel, aller Zorn auf ihn warten würde. Aber das Vergnügen würde er keinem gönnen – vorher durchstreifte er lieber selbst die dunklen Gefilde seiner verhassten Heimat. Es dauerte nur wenige Minuten, ehe der erste Laden geöffnet wurde. Ein dicker Mann in weißer Kleidung und verschmierter Schürze trat heraus und stellte ein Schild vor die Tür, auf dem er sein Brot preiste. Unbehelligt ging er wieder hinein, er schien ihn nicht bemerkt zu haben. Innerlich nickte er und lief weiter. Wenige Meter später wandte er sich nach links in eine Gasse, dessen aufgerissener Boden mit Schweiß, Blut und Urin getränkt war. Hier und dort tummelten sich Nagetiere und auch ein Rabe hatte sich hier in der dunklen Häuserschlucht aus stinkendem, teilweise noch grauen Stein einen Platz gesichert. Ohne das Getier näher zu betrachten lief er den verdreckten Boden entlang bis er wieder auf eine größere Nebenstraße gelangte und sich nach rechts drehte. Leise hallten seine Schritte von den heruntergekommenen Häusern zurück – das einzige, was die kühle Stille dieses Weges störte. Es dauerte nicht lange, da wurden die nächsten zwei Läden geöffnet, ein Metzger und ein Schuster stellten nun selbst ihre Schilder hinaus. Gerade noch hatte er sich unter ihren Blicken hinweg geduckt und in der nächsten Gasse verschwinden können – das Beste war wohl, wenn er in zu dieser Zeit unbelebtere Räume abtauchte. Seine Schritte wurden schneller, innerhalb weniger Sekunden hatte er die Gasse verlassen und eine weitere betreten, unwesentliche Minuten später hatte er das östliche Stadtviertel hinter sich gelassen. Gerade erreichte er den Marktplatz, in dessen Boden verschiedene Ornamente eingelassen waren und der noch völlig leer war. Er wusste, dass dieser erst zur Mittagszeit zum Leben erwachte, weshalb er ihn gedankenverloren überqueren konnte. Am Ende dessen betrat er den westlichen Teil der Stadt, die Sonne in seinem Rücken warf einen unruhigen Schatten. Von dort aus ging er nördlich – bis er seinen Fuß in das Abendviertel setzte, wo alles wie ausgestorben war. Vorsichtig warf er einen Blick über die Schulter – niemand hatte ihn bemerkt. Nun wieder annähernd gelassen streifte er durch die Straßen, Gassen und engen Gänge des Viertels, das rundum verdreckt und versifft war und dies wohl auf ewig bleiben würde. Das Abendviertel war durch die höchste Kriminalitätsrate der Stadt gekennzeichnet, Gesindel wie Diebe, Mörder und Vergewaltiger fanden hier ihre Zuflucht, da die Garde nur selten hierher kam – es war ihnen vor drei Jahren sogar untersagt worden, da es dem Ruf schadete, wenn man einen Wächter aus einem Bordell kommen sah, von denen dieses Viertel lebte. Kein Wunder also, dass sich erst mit dem Einbruch der Nacht ein paar Menschenseelen hierhin verirrten. Er schüttelte den Kopf ob dieses Gedanken – die Männer, die einen Fuß auf diese Straßen setzten, sollten froh darüber sein, dass sich die Huren ihrer annahmen, wenn es schon ihre Frauen nicht taten. Unbemerkt seiner selbst waren seine Schritte wieder schneller geworden, sodass er auch das Abendviertel bald hinter sich gebracht hatte. Als er elf weitere Gassen und Straßen hinter sich gebracht hatte, erblickte er endlich das große, in dunklem Blau gestrichene Gebäude, welches er gesucht hatte. Auch hier war noch alles in Schweigen gehüllt, das nur von seinen Schritten, dem ruhigen Atem seiner Lippen und dem Rascheln seiner Haare auf seiner Kleidung durchbrochen wurde, bevor alles ein jähes Ende fand, als er vor den hohen Eingangstüren stand. Er musterte die goldenen Verzierungen still, dann erst öffnete er die Pforten ins Innere und trat in die Dunkelheit des Eingangsbereiches, die ihn augenblicklich verschluckte und drohte, ihn nicht mehr freizugeben. Es dauerte nicht lange, da steckten die ersten Diener ihre Köpfe durch die Türen und erschraken ob seines Anblicks, bevor sie eiligst wieder in den Zimmern verschwanden – sollte ihm nur recht sein, er wollte nicht aufgehalten werden. Raschen Schrittes ließ er ein paar Gänge und drei Wendeltreppen hinter sich, ehe er in einen Flur kam, wo er bereits erwartet wurde. „Lucis, Lucis – es ist lange her, seit du dich hier hast blicken lassen.“ Er drehte sich um, seine Augen musterten augenblicklich die blonde, junge Frau mit den hellen blauen Augen, die ihn verschmitzt anlächelte. Sie war recht groß, hatte angenehm anzusehende Kurven und trug dazu ein langes Kleid, das ihrem Körper nur noch mehr schmeichelte. „Garnett.“, begrüßte er sie ruhig, lehnte sich an die Wand hinter ihm. „Ach Lucis, mehr hast du nicht zu sagen? Es ist drei Jahre her, seit wir uns das letzte mal sahen.“, erwiderte sie mit melodischer Stimme. Ihr Blick wurde finster, misstrauisch. „Wo warst du die ganze Zeit?“, fragte sie. Er ließ sie nicht aus den Augen – Garnett Weaver war dafür bekannt, in einem unachtsamen Augenblick die Führung zu übernehmen, eben so, wie man es von einer Windjägerin ihrer Klasse erwartete. „Auf Reisen.“, antwortete er schließlich, die Blonde ließ ein kühles Lachen verlauten. „Auf Reisen.“, wiederholte sie. „Natürlich.“ „Ich hab keine Zeit für deine Spielchen – darüber wirst du wohl bestens informiert sein.“, meinte er kurz darauf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wusste, dass sie ihm nicht gerade wohl gesonnen war, nachdem er sie vor drei Jahren ohne ein Wort in einer Baracke zurückgelassen hatte und verschwunden war. Damals hatten sie oft das Bett geteilt – und er war verschwunden, um sie nicht weiter in die Sache hereinzuziehen. Aber das wusste sie nicht – und sie würde es auch nie erfahren. „Gewiss, Lucis. Dann solltest du in seine Gemächer flüchten, bevor ich dir ein Messer in den Rücken ramme.“, fauchte sie, ihn überkam ein Augenrollen, als er sich aufrichtete und umwandte. Er ging weiter, hob dabei die linke Hand und erwiderte: „Gewiss, Garnett. Gewiss.“ „Wegen diesem Scheiß hast du mich hierher bestellt? Wegen diesem Mist muss ich mich jetzt wieder der Gefahr aussetzen, jeden Moment gehängt zu werden?“, fauchte er und sprang von seinem Stuhl auf, ehe er zu einem der dunklen Fenster trat und wütend in die Stadt hinaus starrte. Er begann, auf seiner Unterlippe zu kauen – das tat er immer, wenn Nervosität in ihm aufstieg. „Lucis, du bist der einzige, den wir um Hilfe bitten können.“, sagte hinter ihm George – seine tiefe Stimme, er hatte sie nie vergessen können. „Warum ich? Es gibt tausende Blutjäger da draußen, die dir die Füße küssen würden, erhielten sie die Chance für dich zu arbeiten!“ „Keiner von ihnen ist schnell genug, keiner ist so leise, so vorsichtig wie du – keiner reicht an dich heran, Lucis!“ „Natürlich tut es keiner – weil keiner das getan hat, was ich tat!“, erwiderte er knurrend und sah auf seine linke Hand hinab – unter seinen Handschuhen war eine tiefe und lange Narbe verborgen, die sich um seine gesamte Hand und den gesamten Unterarm wand. Eine Narbe, die den Pakt besiegelte. „Und es wird auch keiner tun – niemand ist so bei der Sache, wie du, Lucis.“ Er dachte fiebrig darüber nach, wie er aus der Sache wieder heil herauskommen konnte. Er hatte nur einem gesagt, wie er zu erreichen war, hatte nur einem gesagt, was er getan hatte – und er hatte ihm das Versprechen abgenommen, ihn als gehängt zu verkünden. „George – ich wollte diesen ganzen Mist hinter mir lassen. Ich wollte, dass alles endet – die Qualen, die Attentate, die Fallen. Und jetzt holst du mich zurück, nur damit ich jemanden töte, der dir den Krieg angekündigt hat? Einen Krieg, auf den du dich seit über zwanzig Jahren vorbereitest?“ „Ja.“ Wutentbrannt drehte er sich um. „Verdammt, George – weißt du, was auf dem Spiel steht? Wenn der König herausfindet, dass ich lebe, dann werden sie mich finden – und ihn auch!“, knurrte er bedrohlich – George nickte nur sachte. Der alte Mann – wie konnte er so ruhig bleiben? „Ich weiß, Lucis – aber sein Leben steht auch auf dem Spiel, wenn dieser Krieg tatsächlich ausbricht. Wir haben keine Zeit, alle von hier fortbringen zu lassen. Und du kennst ihn – er würde nicht gehen.“ „Weil er denkt, dass ich zu feige war um zu kämpfen. Weil er es besser machen will – er will kein Verräter sein.“, erwiderte er leise – und wieder begann er, auf seiner Unterlippe zu kauen. Er atmete tief durch, trat dann wieder zu dem Stuhl, setzte sich. Wie sollte er das alles anstellen, ohne dass man auf ihn aufmerksam wurde? Niemand würde ihn vergessen haben – dafür hatte er ein zu großes Blutbad hinterlassen, als er verschwand. Aber allem voran musste er sich Gedanken darüber machen, wie er ihn aus der Sache heraushalten konnte. „Lucis …“ Er seufzte. „Ich mach's – aber nur unter einer Bedingung.“ Seine Augen bohrten sich in die Georges. „Du stellst ihn unter deinen persönlichen Schutz – und schaffst mir diesen dreckigen Gassenkriecher her!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)