Warme Berliner von Anemia (Jaschas turbulentes Jahr) ================================================================================ Kapitel 8: November 2013 ------------------------ 1. November - Mutter Natur   Tim darf endlich nach Hause. Ich bin dabei, als er seine Sachen zusammenpackt. Die beiden Rosen sehen inzwischen ganz welk aus. Aber er hat sie trotzdem nicht weggeworfen. "Ey, du hast echt alles verpasst!", rüge ich meinen Freund, der mir allerdings kaum zuhört, sondern mit seiner Sporttasche kämpft. Ich muss ihm helfen, denn noch immer ist er ein einarmiger Bandit mit seiner Krüppelhand. Sexy ist das nicht, aber ich hatte ihm ja selbst in diesem Krankenhausnachthemd kaum widerstehen können. Wir stopfen die Tasche. Das da sind Tims Buxen. Die mit dem Superman-Logo auf dem Arsch. Oh Shit, an diesen Dingern hänge ich total. "Max war gestern im Rock", sage ich. "Ernsthaft?" Tim mustert mich ungläubig. "Ja." "Du ziehst Transen jeglicher Art an, glaub ich." "Ja, und aus." Nun schleicht sich Beunruhigung in Tims Blick. "Nee, du denkst doch nicht im Ernst, ich hätte Max..." Ich schüttle den Kopf und zurre den Reißverschluss zu. Dann mache ich ein paar Schritte um den Tisch und lege meine Hände auf Tims Hüften. "Spatzi, Moo und Flori wollten, dass ich als Regenwolke zu Halloween gehe, weil ich so schlecht gelaunt war ohne dich. Die dachten, ich werde alt und alles." Der Schmalz quillt mir aus allen Poren. Aber Tim genießt das. Er hält ganz still und schaut mich an wie ein Hündchen, was wiederum ich genieße. "Und abends im Bett, ja, da hab ich mich voll alleine gefühlt. Irgendwie war das voll kalt unter der Decke, so ohne dich." Ich schäme mich ein bisschen, aber als Tim mir so gut er eben kann um den Hals fällt, weiß ich, dass es das wert war. Dass ich ihn Spatzi genannt habe, liegt mir dennoch wie ein Stein im Magen. Mutter Natur hat echt ne schöne Scheiße angerichtet, als sie mich in Tim verliebt gemacht hat.   2. November - Groß und klein   Ich mag nicht ans Handy gehen. Nicht um diese Uhrzeit. Ja, womöglich ist es schon zwölf, aber Tim und ich, wir hatten die ganze Nacht über viel nachzuholen, und alles war so schwierig mit diesem dämlichen Gipsarm. Doch das ebenso dämliche Handy kümmert das nicht. Es nervt maximal ab mit seinem Gedudel. Aber da ich eh wach bin, nehme ich das Gespräch an. "Mh." "Jascha?" "Mh." Ist das mein Chef? Einer meiner Kollegen? Jedenfalls ist es ein Mann, so weit bin ich schon. Und mein Chef duzt mich eigentlich nicht. "Ich bins", hilft mir der Mann auf die Sprünge. "Dein Vater." Stimmt. So was hatte ich auch mal. Hatte ich völlig verdrängt. "Was is?", murmle ich verschlafen und reibe mir die Wange, aber die Müdigkeit liebt mich, sie will nicht von mir lassen. Von Tim übrigens auch nicht. Der blinzelt träge zu mir hoch. "Schlechte Laune?" Es lacht am anderen Ende der Leitung. Mein Vater und ich haben uns ewig nicht gesehen, und trotzdem tut er, als hätten wir voll das Vertrauensverhältnis. "Nee", krächze ich und spiele an Tims dunkelbraunen Locken. "Warum rufst'n an?" Pause. "Ich wollte fragen, ob du mich besuchen kommen magst." Was denn. Der hat vielleicht Nerven! Bei dem hackts wohl. "Ich weiß nicht..." Doch, ich weiß schon. Erstens habe ich auf meinen Dad keinen Bock (schließlich hatte er auch ewig keinen Bock auf mich) und zweitens kann ich nicht schon wieder ohne Tim. Nee, auf keinen Fall. "Überlegs dir", vernehme ich die Stimme meines Vaters mit ihrem sächsischen Akzent. "Ich würde mich freuen." "Ja nee is klar", schnaube ich, als ich bereits aufgelegt habe. Das Handy landet in der Ecke. Und ich überlege mir einen Scheißdreck. Kuschle lieber noch eine Runde mit Timmilein. Der große und der kleine Petrov sollten sich besser aus dem Weg gehen.   3. November - Betrug   Tim und ich sitzen vor der Glotze, auch wenn das Abendprogramm immer mieser wird. Uns ist es eh egal, was in der Flimmerkiste gezeigt wird. Denn das, was unsere Finger unter der Decke tun, lenkt uns von allem ab. Zumindest von fast allem. Tim starrt auf den Bildschirm. Dabei kommt nur Werbung. Gerade aber wird ein Bild von einer Eiscremeschachtel eingeblendet. In dem Falle ist sogar Tim für Werbestrategien empfänglich. "Boah, ich hätt Bock auf ein Eis", macht er seinem Verlangen Luft. "Du kannst mich lutschen", schlage ich vor, doch das juckt den nicht. Er will ein echtes Eis. "Ich habe glaub neulich ne Schachtel im Kühlschrank gesehen", verkünde ich. Tim ist prompt Feuer und Flamme.   Ich reiße das Gefrierfach auf und hole die Schachtel hervor, ziehe den Deckel ab - und erstarre. Irgendeine braune Masse befindet sich darin. Etwas, das nicht einmal entfernt an Eierlikör-Sahne erinnert. "Igitt", bringe ich hervor, so wie Max im Raum erscheint. "Das können wir glaub wegschmeißen." Der Kerl beäugt den Eisschachtel-Inhalt, dann fängt er an zu grinsen. "Da hab ich Kassler mit Soße eingefrostet", erklärt er. Und ich blicke ihn anklagend an. Ich dachte, das wäre vergammeltes Eis. Dabei ist das ein fieser Betrug.   4. November - Lava   Immer wieder kreuzt Felix auf. Er ist wie ein Running Gag. Und hartnäckig wie Urinstein. Max ist nicht nachtragend, was die nuttige Nummer von neulich angeht. Aber besonders gesprächig ist er auch nicht. Wir hocken zwar alle im Wohnzimmer, doch er hat Stöpsel drin - in den Ohren - wobei aber selbst wir die Musik rauschen hören. In zehn Jahren ist der taub. Aber die Zeit bis dahin sollte man ja genießen. Felix pfotelt. Es ist fast niedlich, wie er Max gegen die Schulter tatzt auf der Suche nach Aufmerksamkeit. Auch wenn Max nicht begeistert sein dürfte, zieht er sich einen Stöpsel aus dem Ohr. "Was hörstn?", fragt das Katerchen. Max grinst. Als wäre ihm die Frage unangenehm. Oder die Antwort darauf. "Eskimo Callboy." Da wird die Katz plötzlich wild. So habe ich Felix noch nie erlebt. So...voller Leben. "Die sind der Hammer!", jubelt er und rückt zu Max, schnappt sich den losen Stöpsel und steckt ihn sich hinein. Also, in sein Ohr. Und ich spüre regelrecht, wie der Vulkan namens Felix-Max ausbricht. Dass heiße Lava zwischen ihnen brodelt. Oder wenigstens Potenzial, was eine Fickfreundschaft betrifft. Gemeinsamkeiten machen sexy. Obwohl ich Max nicht sexy finde, nur weil er Alligatoah hört.   5. November - Urlaub   Die Hausverwaltung hat angeordnet, dass bei uns die Fenster gestrichen werden müssen. Also, die Rahmen. Nicht so, dass man nicht mehr rausgucken kann. Max kann also weiterhin Domi bespannern. Ich bespannere ihn auch manchmal, aber eher ausversehen. Wenn es sich nicht vermeiden lässt. Wenn Domi stript oder so. Meine Augen gehorchen meinem Hirn nicht immer.   Der Malermeister hat sich gerade eben verabschiedet. Tim und ich sind ganz froh darüber, denn nun haben wir wieder sturmfrei und können Spaß haben. Allerdings fängt mein Freund plötzlich an, wie ein Irrer in alle Schränke zu durchwühlen. "Scheiße", stößt er irgendwann aus, nachdem ich ihm skeptisch bei seiner seltsamen Form von Spaßhaben zugesehen habe. "Meine Brieftasche ist weg." Nun wird er auch noch panisch. Rast wie blöde von Zimmer zu Zimmer. Ich komme nicht mehr ganz mit. "Wo hastn das hingetan?", will ich wissen. "In den Küchenschrank", erklärt mir Tim verzweifelt. "Aber da ist es nicht mehr!" "Also ich habs nicht", stelle ich klar. "Und Max ist nicht da." Er wirft mir einen verschwörerischen Blick zu. "Der Maler hats geklaut!" Er stürzt zum Fenster. Wirft einen Blick nach draußen. "Der steht noch unten, ey, der kriegt so was von auf die Fresse, ich sags dir..." "Warte mal." Ich durchwühle die Flurgarderobe. Unter Tims speckiger Jacke ertaste ich etwas Hartes, Ledriges, so pervers das auch klingen mag. Ich ziehe es hervor. "Tuts auch das hier?" Fast ein wenig fassungslos steht Tim neben mir und lässt sich die Brieftasche überreichen. "Das zum Thema 'Sie ist im Küchenschrank'", spotte ich, grinse schief und klopfe ihm tröstend auf die Schulter, weil er so bedeppert dasteht. "Du brauchst dringend Urlaub. Aber da guter Sex den Urlaub ersetzt..." "Ich hab Alzheimer", murmelt Tim in Gedanken versunken. "Was hilft gegen Alzheimer?" "Sex", erwidere ich. Denn Sex ist immer die beste Medizin.   6. November - Legendär   Da kommt man nach der Arbeit nach Hause und erhofft sich einen gemütlichen Feierabend, doch nichts da. Mein ganzes Leben steht von der einen auf die andere Sekunde Kopf. Aus dem Badezimmer kommt meine Mutter. Ja, verdammt. Ich glaube, nicht mehr sauber zu sein. Aber das Ganze entpuppt sich nicht als schlechter Traum, sondern als grausame Realität. Das Schlimmste ist, dass nur ein Handtuch ihre Blöße verdeckt. Sie muss geduscht haben. "Mom", rufe ich verdattert aus, da mir absolut nichts Schlaues bezüglich dieses ungewollten Aufeinandertreffens einfällt. "Was machst denn du hier?" Ich brauche ihre Antwort eigentlich gar nicht. Denn in meinem Kopf verbinden sich gerade all die seltsamen Vorkommnisse zu einem stimmigen Ganzen. Der Lederrock, Max' Desinteresse an Felix - gut, das muss nichts heißen, ich stehe auch nicht auf meine Mutter, nur weil mich der wie zehn aussehende Felix nicht anmacht - die gute Laune meiner Mutter… Alter. Tim soll kommen. Er muss mich auffangen. Ich glaub, ich fall um. Als auch noch Max dazukommt und ebenfalls nicht mehr als ein Handtuch um die Hüften trägt, ist das Dilemma perfekt. "Alter, du poppst meine Mutter!", schreie ich und möchte Max an die Gurgel springen, der faselt, dass er ja nicht wusste und nicht ahnen konnte. Aber die Herrin funkt mir dazwischen. "Jascha! Wie redest du denn...?" Mein Blick vernichtet sie förmlich. "Ich rede so, wie ich will!", blaffe ich und dampfe ab. "Fuck!" So schnell bringt mich eigentlich nichts auf die Palme. Wer das schafft, der ist schon legendär. Max aber hat es geschafft. Egal, ob er wusste, in welchem Verhältnis diese heiße Mittvierzigerin zu mir steht oder nicht. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. Ich bin echt sauer. Und angewidert. Die Bilder wollen mir nicht mehr aus dem Kopf. Meine Fantasie quillt über. Immer dann, wenn sie nicht soll.   7. November - Ich bleibe immer bei dir   Erklärungen. Schon aufgrund dieses Wortes könnte ich ausrasten. Max soll seine verfluchte Fresse halten. Genau wie meine Mutter. Da sie dies aber ums Verrecken nicht hinkriegen, gibt es nur eine Möglichkeit, sie zum Schweigen zu bringen. Ich muss hier raus. Aus dieser Stadt. Das Angebot meines Vaters scheint plötzlich der Himmel geschickt zu haben. Meinen Arzt, der mich ewig krankgeschrieben hat, ebenfalls. Dad freut sich natürlich - und hoffentlich ehrlich - über meine Entscheidung. Tim allerdings nicht.   Wir stehen am Bahnsteig. Der Zug wird gleich eintreffen. Nur noch wenige Minuten. Mir tut es weh, meinen Freund so zu sehen. Traurige Augen, krummer Rücken. Nicht einmal gekämmt hat er sich heute Morgen. Seine Aufmerksamkeit hat nur mir gegolten. Und gilt mir immer noch. Genau, wie ich für ein paar Augenblicke nur noch für ihn existiere. Meine Finger streichen durch sein wuscheliges Haar. Ganz weich ist es, ich will mir das Gefühl einprägen. Zudem jenes, welches er in mir auslöst, so wie er sein Gesicht gegen meine Halsbeuge drückt. "Lass mich mitfahren", tuschelt Tim. "Besser nicht", sage ich behutsam. "Mein Dad ist auch nicht gerade der toleranteste Mensch." In dem Moment fährt der Zug ein. Tims Gesicht ist meinem ganz nah. "Ich bin ja nicht lange weg", beruhige ich ihn. Aber Tim nickt heftig. "Doch." Der Trennungsschmerz geht mit ihm durch. Er presst die Lippen aufeinander. Ringt mit sich. "Hey, nicht schwächeln, starker Mann!", lache ich, um zu überspielen, was in mir vorgeht. Ich presse Tim an mich, küsse ihn auf die Schläfe. Dann steige ich ein. Bis zur Abfahrt sehen wir uns schweigend durch die Scheibe an. Als sich der Zug in Bewegung setzt, winkt mir Tim hinterher. Und ich würde ihm am liebsten sagen, dass ich doch immer irgendwie bei ihm bin. Wenn nicht körperlich, dann zumindest mit dem Herzen.   8. November - Gefangen   Erst am nächsten Tag komme ich in dem kleinen Vorort von Dresden an. Vorort klingt schon voll nach Pampa und Menschen, die noch nicht geschnallt haben, dass die DDR nicht mehr existiert. Lustigerweise gibt es Vorurteile, die tatsächlich zutreffen. Genauso, wie es schwule Tucken gibt, existieren auch die übelsten Hinterwäldler. Zef Side*, denke ich mir. What the Fuck. Wo bin ich hier gelandet. Das Schlimme ist aber: Mein Dad ist keinen Scheiß besser. Als ich ihn zuletzt gesehen habe, wohnte er noch in einem stinknormalen, zivilisierten Mietshaus. Inzwischen haust er aber in einer Laube im Kleingartenverein. Ja, Mann, sogar im November! Es ist echt schweinekalt, und ich wünsche mir plötzlich, in unserer geheizten Wohnung geblieben zu sein. Aber nun bin ich hier. Bei meinem wie ein Wilder lebenden Vater. Werde während meines Aufenthalts hier vergessen, was eine Toilette ist, denn hier gibt es nur ein Plumpsklo. Außerdem stinkt es in der Laube. Mächtig gewaltig. Als wäre eine Maus hinter der Couch verreckt oder so. Aber so endet man eben, wenn man als ehemaliger Spielsuchti sein ganzes Geld verzockt hat. Und so endet man auch, wenn die Erzeugerin den Mitbewohner bumst. Alles eine Scheiße. Das hier ist echt schlimmer als Knast. ___   * Zef bedeutet in Afrikaans so viel wie Hinterwäldler. Die Antwoord, Jaschas Lieblingsband, bezeichnen ihre Musik zudem als Zef.   9. November - Bonbon   Ich habe ja geahnt, dass mein Vater die absolute Stimmungskanone ist. Gut, eigentlich ist er wider Erwarten ganz okay, man kann sich ab und an schon mit ihm unterhalten, aber nicht den ganzen Tag. Dafür bin ich nicht geschaffen. Und er auch nicht. Sein Bier ist ihm lieber als ich. Und mir sind meine Zigaretten lieber. Wenns jetzt noch ne Glotze gäbe, wäre mein Leben gar nicht so mies. Aber alles, was mir geblieben ist, ist mein Handy samt zwei Gigabyte Musik. Nicht viel, aber immerhin. Moo und Flori haben mich schon angerufen, um zu fragen, was passiert ist. Wieso ich nicht mehr da bin und so. Ich habs ihnen ansatzweise erklärt und gemeint, sie sollen Tim fragen. Tim, der immer alles weiß, wenn es um mich geht. Tim, der mir gestern noch ganz spät eine gute Nacht gewünscht hat. Tim, dessen Bild ich auch jetzt wieder auf dem Display habe. Von Strunk heraufbeschworen oder so. "Hey", sage ich weich und linse nach draußen, um zu checken, ob mein Vater weit weg ist und ich frei sprechen kann. "Was geht?" Doch aus frei sprechen wird nichts. Aus sprechen wird generell nichts. Ich höre anstatt Tims Stimme lediglich ein Rascheln. Geilo. Da hat der Honk das Ding wohl in der Hosentasche stecken.   Später ruft er noch mal an. Dieses Mal bewusst. "Deine Eier haben erst bei mir angerufen", erzähle ich ihm und grinse. "Ich glaube, sie haben Sehnsucht." "Kann sein", lässt Tim verschmitzt durchblicken. Ich lehne mich auf der stinkenden Couch zurück. Das Gespräch hat Potenzial... "Ich würd sie jetzt gern lutschen", wispere, doch da steht plötzlich mein Vater im Raum. "Was ist mit lutschen?", will er wissen. Anscheinend rafft er nicht, dass ich telefoniere. "Bonbons", sage ich. Eltern darf man nie die Illusion rauben, man wäre noch ein kleines Kind.   10. November - Glaskugel   Wenn das so weiter geht, werde ich Alki. Tims Krankenhausaufenthalt hat bereits den Grundstein gelegt. Aber nun vertieft sich meine Sucht noch weiter. Und mein Vater tut nichts dagegen, im Gegenteil. Er bietet mir ständig Pilsner an. Und ich war schon immer einer, der schlecht Nein sagen konnte. So sitzen wir in der klirrenden Novembersonne. Ich schiebe das Kinn in Tims Schal, dankbar, dass er ihn mir überlassen hat, obwohl er ihn doch selbst braucht. Er riecht voll gut. Man kann es nicht beschreiben. Er riecht eben nach Tim. Nach dem besten Mannsstück, das mir je untergekommen ist. "Was macht'n eigentlich die Lena?", reißt mich die Stimme meines Dads aus meinen Tagträumen. Wenn der wüsste, was er da für ein beschissenes Thema anschneidet... "Ach", winke ich ab. "Die hat jetzt so nen jungen Typ am Start, der zufällig so was wie ein Kumpel für mich ist. War. Whatever." "Aha." Das klingt verwundert. Aber weitere Fragen stellt er nicht. Zumindest keine, die die Herrin betreffen. "Und du so? Hast du eigentlich ne Freundin?" Na super. Ich wäge in Windeseile ab, ob ich lügen soll. Die Wahrheit sollte ihn nämlich nicht freuen. Dennoch entscheide ich mich für sie. Was hab ich schon zu verlieren? "Ich bin mit meinem besten Kumpel zusammen." Ich nehme einen Schluck aus der Flasche. "Hat sich so ergeben. Na ja." Daraufhin herrscht Schweigen zwischen uns. Ich hätte vermutet, mein Vater tobt nun los oder so, aber nichts da. Er ist die Ruhe selbst. Erst nach einer Weile macht er wieder den Mund auf. "Du und deine Mutter, ihr seid beide so richtig verkorkst." "Ja, genau wie du auch", sage ich. "Spielsuchti." "Woher weißt du das?" Er starrt mich an. Ich zucke die Schultern. "Hat mir meine Glaskugel verraten." Woher ich das weiß, weiß ich nämlich selbst nicht mehr.   11. November - Fackel   Heute ist Karneval. Aber mir ist nicht nach Party. Denn die Gartensparte hat nicht nur das Problem, nichts außer Tristesse zu verbreiten und mich als Regenwolke deluxe gehen zu lassen, nein - seit gestern Abend herrscht Ebbe in meiner letzten Kippenschachtel. Und ich hab keinen Plan, woher ich Nachschub nehmen soll. Mein Vater lyncht mich, wenn ich was von ihm 'leihe'.   Vor Vaters Garten schleicht ein Typ rum. Könnte mein Alter haben. Was er hier macht - keine Ahnung. Aber sicherlich ist ihm auch langweilig. Ein Hopper gehört nicht in nen Kleingarten. Und der Kerl scheint auch ein Hopper zu sein. Ich lümmle über dem Gartentor. Blicke den Kerl, der prompt stehen bleibt, hoffnungsvoll an. "Hast du mal ne Kippe?" Er glotzt zurück, sieht mir für ein paar Sekunden ins Gesicht. Die Sonnenstrahlen lassen seine Augen voll golden schimmern. "Hier", sagt er, und ich realisiere, dass er mir wohl schon ewig die Zigarette unter die Nase hält. "Fett, danke." Ich nehme das Teil. Und stiere weiterhin dieses Fremden an. Leute haben mich schon immer irgendwie fasziniert. Manchmal erweckt das falsche Eindrücke. Der Typ aber geht weiter. Meine Kippe entzünde ich an einer der brennenden Fackeln, die mein Dad aufgestellt hat.   12. November - Die Geister der Vergangenheit   Mein Vater hat mir zigarettentechnisch doch was von sich abgegeben. Ich musste nicht mal betteln. Es genügte, dass ich sein Sohn bin. Sachen gibt’s, ey. Allerdings hat sich gerade ein neues Problem ergeben. Dad ist einkaufen gefahren, und da ich seiner klapprigen Schrottmühle nicht traue, bin ich im Garten geblieben. Mitsamt einer ganzen Schachtel Zigaretten. Ich bin ja kein Kettenraucher oder so, das reicht schon eine Weile. Aber dennoch nutzt sie mir momentan einen Scheißdreck. Denn heute ist es zu früh für brennende Fackeln. Und mein Feuerzeug muss ich irgendwo verbummelt haben. Jedenfalls ist es nicht mehr auffindbar. Gerade, als ich zu seufzen ansetze, erscheint mir doch tatsächlich ein Engel. Also, das darf jetzt nicht falsch verstanden werden. Dieser fremde Hopper von gestern ist weder besonders fesch noch besitzt er so ein markantes Lächeln wie Tim. Aber der Himmel schickt ihn. Ernsthaft. Und Raucher helfen sich immer. Egal, was passiert.   Es dauert nicht lange, und ich hänge wieder über dem Zaun. "Hast du Feuer?" Prompt fasst er sich in die Hosentasche. Ich wusste es. "Cool", freue ich mich und lasse mir bei der Gelegenheit gleich noch die Kippe von ihm anstecken. Dann nehme ich erst einmal einen tiefen Zug, bevor mich die Realität wiederhat. "Mein Zippo ist hops gegangen, irgendwie", erkläre ich. "Kein Ding", sagt der Kerl und streckt mir die Faust für einen Best-Buddy-Gruß hin. Eigentlich ist es zu früh dafür, aber was solls. "Ich bin übrigens Justin, aber nenn mich Jus." "Jascha", sage ich meinen Namen. Dieser Jus grinst. "Jay und Jay, das ist Schicksal, weißt du?" Ich verstehe erst nicht, was er meint. Dann dämmert es mir. Warum er mir nun mit irgendeinem Schicksal kommt, kann ich mir allerdings nicht erklären. Vielleicht haben ihm die Geister der Vergangenheit irgendeinen esoterischen Quark ins Hirn geschissen. I don't know.   13. November - Trauer   Es ist alles gekommen, wie es kommen musste. Ich hocke in Jus' Laube und rauche Gras. Ich glaube, er baut es im Garten an, aber ich habe ihn nicht gefragt. Denn ich muss vielmehr daran denken, dass die Lage absolut strange ist. Dreimal sind wir uns begegnet. Und heute hat der Typ mich eingeladen. In diesen kleinen Verschlag, der so dreckig ist, weil seine Katze wahrscheinlich in die Ecken scheißt oder so. Das Vieh ist ganz schwarz, und es mag mich. Genau, wie es Die Antwoord zu mögen scheint. Aus den Boxen dröhnt scheppernd ein Songtext, den ich nur zu gut kenne. "I think about you when I masturbate..." Allmählich glaube auch ich, dass das mit uns irgendein blödes Schicksal sein muss. Denn Die Antwoord haben auf Last.fm gerade mal 379.731 Hörer, und das weltweit. Und ausgerechnet hier treffe ich jemanden, der diese genialen Spacken kennt.   Der Kater pennt auf meinem Schoß. Schon eine Weile. "Du musst irgendeinen guten Vibe haben", meint Jus mit einem schiefen Grinsen, als er das sieht. Irgendwie grinst er ziemlich oft schief. Genau wie ich auch. "Niko ist eigentlich eher schüchtern." "Du auch, was?" Ich wollte scherzen, doch anscheinend habe ich ins Schwarze getroffen. "Jep, eigentlich schon", erklärt Jus. "Ey, schüchterne Hopper gibts nicht." Ich boxe ihm gegen die Schulter, was ihn allerdings wenig kümmert. "Man wird irgendwann so", sagt er und klopft auf die zerfetzte Couch. "Ich bin froh, dass ich das hier hab." "Du wohnst hier?" "So ziemlich." "Okay..." Ich schaue mich um. Nein, ich möchte hier nicht wohnen. Ich bin ein Vollblutstadtkind, eindeutig. "Es ist mein Versteck", präzisiert er etwas. "Meine Zuflucht." Irgendwie lässt mich das nicht so recht kalt. Justin scheint einsam zu sein. Und traurig. Ja, vor allen Dingen traurig. Ein trauriger Hopper. Ey, so was müsste gesetzlich verboten sein.   14. November - Helden   Am nächsten Tag kommt Jus vorbei. Ihn interessiert, wie mein Dad wohnt, meint er. Das nehme ich ihm allerdings nicht ab. Heute hocken wir also in der Laube meines Vaters, welcher wieder ausgeflogen ist. Es ist hier drin kälter als in Justins Bude. Warum, das weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich sorgt Katzenscheiße für Wärme. Es gibt ja die verrücktesten Dinge.   Jus holt eine Rolle Mentos aus seiner Hose. "Kann ich auch einen?", frage ich. Jus nickt und ich halte meine Hand auf. Als ich sie wieder wegziehen will, hält Justin mein Handgelenk fest. "Warte mal." Verwirrt schaue ich ihm zu, wie er meine Finger öffnet und meinen Handteller studiert. "Du hast eine verdammt krasse Herzlinie", haut er plötzlich raus. "Was hab ich?", frage ich, doch Jus hört mir nicht zu. Die Kuppe seines Zeigefingers fährt über eine meiner Handlinien, wahrscheinlich diese komische Herzlinie. "Umso tiefer die Herzlinie, desto leidenschaftlicher ist man", erklärt er, und als er seinen Griff um mein Gelenk lockert, ziehe ich meine Hand schnell weg. Die Tatscherei wurde mir langsam echt unangenehm. "Aha", erwidere ich unbeeindruckt. "Danke für die Lesung, die irrer Eso-Held." Daraufhin kehrt Schweigen ein. Und ich vermute immer stärker, dass Justin irgendwie verrückt ist.   15. November - Denk nicht zu viel   Justin ist zum Glück nicht mein einziger Gartennachbar. Es gibt hier noch andere Laubenpieper. Und natürlich auch Laubenpieperinnen. Man mag es nicht glauben, aber sogar im November verirren sich Menschen in die Sparte. Und die sind bestimmt nicht alle so irre im Kopf wie Jus und mein Dad. Sondern haben triftige Gründe, sich in eine Laube zu verziehen. Ich bin ja eigentlich kein Spanner. Okay, vielleicht manchmal. Wenn es wirklich viel zu gucken gibt. Und heute ist Kino deluxe in der gegenüberliegenden Laube. Anscheinend hat die Tussi, auf die man da einen Blick erhaschen kann, einen gut heizenden Ofen, oder aber ihr ist nicht kalt, weil sie selbst so übermäßig hot ist. Denn ansonsten würde sie sich wohl nicht so ungeniert obenrum freimachen. Scheiße, hat die Titten. Garantiert ist da nicht viel echt dran, aber das juckt meine Urinstinkte gar nicht. Die finden es eher scharf, wie die Lady da ihre Möpse im Spiegel bewundert und betastet. Wenn sie nun auch noch anfängt, sich selbst zu befriedigen, dann mach ich mit. Aber so was von. Mann, Mann, wie stockhetero ich noch immer bin. Dass ich keine Frauen mehr im Bett habe, geht mir manchmal schon ganz schön ab. Nichts gegen Tim, um Gotteswillen, aber Titten sind halt auch was Feines. Leider werden nun jene, die ich eben noch so schön bestaunen konnte, von einem BH verdeckt. Schließlich zieht die Tussi sich noch ne Bluse über, und im selben Augenblick kreuzt ein Kerl an ihrem Gartentor auf. Wahrscheinlich betrügt sie hier ihren Alten. Oder verkauft sich heimlich. Wer weiß. Ich sollte jedenfalls nicht immer so viel denken. Vielleicht sollte ich bald mal wieder bei Jus vorbeischauen. Auch wenn der voll psycho ist, aber schließlich hat er Gras. Und das ist noch immer das beste Mittel gegen zu viele Gedanken auf einmal.   16. November - Auto   Dieses verfluchte Unkraut sorgt immer für einen freien Kopf. Eigentlich habe ich bisher selten Joints geraucht, nur anlässlich spezieller Feierlichkeiten oder so, aber in dieser Gartensparte scheint man nicht nur Alki zu werden, sondern auch Drogensüchtiger. Ich hab mir ja gedacht, dass mir dieses Umfeld nicht gut tut, aber von Max lernt man schließlich auch nicht viel Gutes. Dann doch lieber Jus. Jus, der nie viel redet, und wenn doch, dann irgendeinen abgedrehten Stuss. Also übernehme ich das Sprechen. Als meine Sorgen weit weg geschwebt sind, purzeln die Fakten bezüglich des Erlebten einfach aus mir heraus. "...ja, und dann hab ich sie erwischt, halbnackt, alle beide." Ich zucke die Schultern, denn momentan geht es mir wirklich am Arsch vorbei, was und mit wem die Herrin es treibt. Justin hört mir schweigend zu. Dreht sich immer wieder einen neuen Joint. Ein schlimmer Kiffbruder ist das. Nun bin auch ich wieder ruhig, denn ich habe alles gesagt. Habe mir alles von der Seele geredet. Jus nimmt einen tiefen Zug von seiner Tüte, dann schaut er mir in die Augen. "Denk nicht so viel", sagt er, es ist fast ein Säuseln. Und dann kommt er mir plötzlich nahe. Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht, weshalb ich auch nicht gleich eingreifen kann. Mir schießt lediglich durch den Kopf, dass dieser Irre mich küsst, einfach so, auf den Mund. Meine Hände schieben ihn allerdings schon Sekundenbruchteile später empört von mir. Woraufhin Justin nur einen ahnungslos-fragenden Blick übrig hat. Er glotzt wirklich wie ein Auto. "Hör auf mit der Scheiße!", zische ich und bin mit einem Mal nicht mehr gechillt. "Ich steh zwar auch auf Schwänze, aber ich hab nen Freund, klar?" Justin nickt betreten. Ob es ihm peinlich ist, weiß ich nicht. Vielleicht bedauert er es auch nur, dass er mich nicht haben kann.   17. November - Mythos   Nach der Nummer gestern war klar für mich, dass ich hier weg muss. Und das so schnell wie möglich. Es gibt ja echt wenige Leute, die Die Antwoord hören, aber es gibt eindeutig noch weniger schwule Hopper. Anscheinend bin ich nicht nur ein Idiotenmagnet, sondern auch jemand, der solche verkorksten Pappnasen anzieht. Denn im Grunde bin ich selbst einer von denen. Von den Idioten wie auch von den schwulen Hoppern. Zumindest, wenn man die Details außer Acht lässt.   Meinem Vater ist es eh egal, ob er wieder alleine ist oder nicht. Viel hatten wir uns ohnehin nicht zu sagen. Wir haben einfach ein paar Tage nebeneinander her gelebt. Auch mir fällt der Abschied nicht schwer. Dad ist ein Mann wie alle anderen auch - er hat mich lediglich rein zufällig gezeugt. Zu Hause werde ich wenigstens erwartet. Das weiß ich ganz genau. Tim will ich erst was von meiner Heimfahrt erzählen, wenn ich schon im Zug sitze. Aber das kann sich ziehen, denn die beschissene Bahn streikt. Wahrscheinlich haben sie es angekündigt, aber dieser Kleingartenverein war ja ein ganz anderes Universum, in dem nichts zu mir durchgedrungen ist.   Ich brauche also den ganzen Tag und die halbe Nacht, um in meiner Heimatstadt anzukommen. Allerdings wird mir im Zug, als ich so alleine mit meinen Gedanken bin, einiges klar. Erstens: Jeder darf vögeln, mit wem er will. Zweitens: Gras macht dich bekloppt, siehe Justin. Drittens: Ich werde womöglich niemanden mehr außer Tim je küssen. Aber das macht mir nichts aus. Ja, ernsthaft. Dass bisexuelle Leute nicht treu sein können, das ist ein Mythos. Das Problem ist nur, dass die, die vorgeben, nicht zu können, in Wirklichkeit nicht wollen. Impotente Frigidität könnte man das nennen, überlege ich, während ich alberne Strichmännchen an die beschlagene Scheibe male, die sich an den Händen halten.   18. November - Musik   Ob er am Bahnhof ist? Gesagt hat er nichts. Bis jetzt kann ich ihn auch nicht sehen, egal, wie sehr ich mir den Hals verrenke. Der Zug wird immer langsamer. Schließlich bleibt er stehen. Und ich bin endlich wieder in Berlin. Erst als ich mit meiner Tasche über den Bahnsteig wandle, merke ich, wie sehr ich diesen Grund und Boden wirklich vermisst habe. Nie wieder Provinz, ey. Ein Tag länger, und ich wäre verreckt, ernsthaft.   Neben dem Fahrplan entdecke ich ihn schließlich. Scheiße, hat der Kerl mir gefehlt. Scheiße. Es rauscht durch mich durch wie der Wahnsinn, als wir uns in den Armen liegen. Ja, jetzt, jetzt bin ich wieder zu Hause. In genau dieser Sekunde bin ich heimgekehrt. "Privet moj myschka", raunt Tim mir ins Ohr. Und ich muss wie blöd grinsen. Er guckt mich an wie ein dummer Junge, als wir uns etwas voneinander lösen. "Alter, du hast Russisch gelernt!", erkenne ich erstaunt. "Mir war langweilig", gesteht Tim schulterzuckend. "Ohne dich ist echt verdammt langweilig." "Ich weiß." Mein Grinsen ist nun ein stolzes. Ich bin eben doch der Beste. "Wie wars?", will Tim wissen. Ich winke nur ab. "Öde", sage ich nur und muss wieder daran denken, wie er mich eben genannt hat. "Aber ich glaub, ich hätte doch noch länger bleiben sollen." Ehrliche Bestürzung macht sich auf Tims Gesicht breit. "Wieso?" "Weil du noch dezent an deinem Russisch feilen musst", kläre ich ihn auf. "Kleine Maus steht mir nicht so, nee." "Oh." Er grinst auch, lächelt. Gemeinsam schlendern wir in Richtung Bahnhofshalle. "Allerdings ist Bärchen auch nicht gerade so fett." Ein schelmischer Blick streift mich von der Seite. "Gut, du hast es so gewollt: Privet moj Tuffi." Wahrlich Musik in meinen Ohren. Aber ja, ich habe es tatsächlich so gewollt. Denn ich bin, was ich bin. Tuffi.   19. November - World Wide Web   Tim muss mich nach einer heißen Nacht schon wieder teilen. Denn auch Moo und Flori wollen was von mir abhaben. Und ja, es ist auch schön, sie wiederzusehen. Dieser Justin hätte sie auch bevor er sich diesen Kuss geleistet hat nie ersetzen können. Natürlich haben sie auch Wind von der Geschichte um Max und meine Mutter bekommen. Moo sowieso, der ist schließlich Max‘ Bruder. Klar, dass wir das Ganze nun auswerten. "Max war schon immer schräg drauf", plaudert Moo aus dem Nähkästchen, während er die ganze Tüte Erdnussflips alleine frisst. Wir lassen ihn, denn die Infos sind gerade brandheiß. "Der war früher sogar mal Emo, als er so fünfzehn war." "Waaaas?" Ich falle aus allen Wolken. "Du meinst, der war so n kleiner, irrer Felix?" "Ja, aber geritzt hat er sich nicht." "Der schlitzt ja auch lieber Tiere auf als sich selber", ergänzt Tim. Keiner kommentiert das. Anstelle erzählt Moo weiter. "Und dann, so mit zwanzig oder so, da hat unsere Mom den mal mit ner Bitch vom Fenster aus gesehen, die bestimmt schon über dreißig war." Er stopft sich eine Handvoll Flips in den Mund und redet ungeniert kauend weiter. "Er hat natürlich alles abgestritten, aber ich glaub, die Alte war sogar mal bei uns oben. Keine Ahnung. Na, und dann war er drüben, in Köln, wer weiß, was er dort getrieben hat." Allgemeines Schweigen breitet sich aus. Bis Flori schließlich alles mit einem Satz zusammenfasst. "Also steht er auf MILFs." "Jep." "Krass." Tim nickt. "Krasser Scheiß." Wieder Schweigen. Bis Moo sich erneut zu Wort meldet. "Also, nachvollziehen kann ichs schon. Reife Frauen sollen voll geil im Bett sein." Ja, MILF-Porns, die hab ich auch schon zur Genüge gesehen. Sogar mit Tim. Und ich verwette meinen Arsch, dass es einige Fetische ohne das World Wide Web gar nicht gäbe.   20. November - Wage es nicht!   Sonderlich lange mag ich Max zwar noch nicht kennen, aber in der kurzen Zeit habe ich bereits mitbekommen, dass er nicht sonderlich nachtragend ist. Eigentlich ist schon jetzt wieder Alltag in unserer beknackten Wohngemeinschaft eingekehrt.   Heute bügelt der Kerl. Am liebsten würde ich ihn fragen, wieso das nicht meine Mutter übernimmt, aber ich wage es nicht. Ich habe nämlich keinen Bock auf Schläge. Man weiß nie, zu was er imstande ist. Anstelle sage ich etwas anderes. Es fällt mir leicht, weil er mit dem Rücken zu mir steht und in seine Arbeit vertieft ist. "Mich geht das ja eigentlich gar nichts an", entkommt es mir. "Weißte, mich hat das nur so umgehauen, weil meine alte Mutter noch ein Liebesleben hat." "Deine Mutter ist nicht alt", höre ich Max sagen. "Ach, na ja." Ich grinse. "Wie manns nimmt. Also morgens, da sieht sie echt ganz schön alt aus." "Okay..." Blödes Thema. "Aber was ich eigentlich sagen wollte...ich hab kein Problem damit, dass du mit meiner Mutter..." Das Thema ist auch nicht besser. "Du, Jascha, nimms mir nicht übel", setzt Max nun unerwartet an, "aber mir ist da auch einiges zu Ohren gekommen..." Er dreht sich mit dem heißen Eisen in der Hand zu mir um und grinst schelmisch. "Du hast mal mit der Freundin deiner Mutter...?" Und ich hatte schon gedacht, das vorherige Thema wäre furchtbar. Aber das ist noch schlimmer. Weshalb ich es verdrängt hatte. Erfolgreich. Aber nun liegen die Wunden wieder offen. "Ja, na und?" Ich zucke die Schultern. Max sagt auch nichts mehr. Aber bestimmt denkt er sich seinen Teil. Irgendeiner muss gepetzt haben. Wenigstens scheint er nicht zu wissen, dass es sogar kurz einen kleinen Jascha gegeben hatte. Obwohl Max mir sicher zugestimmt hätte, dass Abtreibung die verantwortungsvollste Lösung war. Der Menschheit zuliebe. Die er hasst. Mh.   21. November - Opfer und Täter   Eigentlich sind die Samstagmorgen immer am besten. Man kann lange schlafen, aber der Montag sitzt einem noch nicht im Nacken. Dafür sitzt einem aber vielleicht etwas anderes im Nacken. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Tim pennt, aber über seinen Rücken krabbelt irgendwas Schwarzes, Kleines. Und mit klein meine ich wirklich sehr klein. Ohne Mikroskop ist es kaum sichtbar. Da muss man schon wirklich sehr nahe rangehen. Als ich das tue, lässt sich aber feststellen, dass es mindestens acht Beine hat. "Jascha, nich", höre ich es murmeln. "Zu früh für Sex." Für Sex ist es eigentlich nie zu früh oder zu spät - vorausgesetzt, man bezieht sich nicht auf das Alter. "Du hast da was", sage ich. "Was hab ich da?" "Ne Spinne, glaub ich." Mit einem Mal ruckt Leben durch seinen Körper. Wie blöde beginnt er, sich zu schlagen, und kreischt dabei in einem fort: "Ist sie weg? Ist sie weg?" "Oh Mann, die war nur ganz mini." Ich verdrehe die Augen. "Entweder du hast sie umgebracht, oder sie krabbelt nun im Bett herum." Das hätte ich nicht sagen sollen. Sofort steht Tim draußen und beobachtet panisch die Matratze. Ich habe dafür nur ein Seufzen übrig. "Wenn Vic sich so gehabt hätte, hätte ich es noch einigermaßen nachvollziehen können, der ist schließlich ein halbes Mädchen. Aber du..." "Fick dich." Ich lache. "Oh, wer wird denn da gleich ausfällig werden?" "Ich", sagt Tim. "Schließlich bin ich das Opfer." "Nee, die Spinne is das Opfer", wende ich ein. "Du hast sie umgebracht." "Also ist sie weg?" Ich zucke die Achseln. "Weiß nicht." Das reicht Tim nicht. Anstatt wieder ins Bett zu kommen, verzieht er sich ins Bad. Wer weiß, ob er jemals wieder hier schlafen wird, ehe der Kammerjäger nicht nach dem Rechten gesehen hat. Was für eine elende Pussy.   22. November - Meersalz   Aus Prinzip gehe ich immer alleine einkaufen. Das erspart nämlich jede Menge Zeit und Nerven. Alternativ schicke ich auch jemand anderen in den Laden, der dann aber auch gefälligst den Einkaufszettel abzuarbeiten hat. Heute stehe ich trotzdem vor der Fleischtheke bei Edeka. Und an meiner Seite befinden sich Tim und Max. "Du musst schon sagen, was du haben willst, sonst bestimme ich, und dann hör ich das Gemäkel schon förmlich." Max nervt. Weil er sich als Koch aufspielt, aber selbst keinen Plan hat, was er denn heute Abend auf den Tisch bringen soll. Deswegen werden mir wieder Dinge angedichtet. "Ey, dann mach einfach Steak." Ich zucke mit den Schultern. Also gibt es Steak. Tim sagt erst gar nichts dazu. Aber Tim frisst schließlich auch alles. Alles außer Minispinnen, die findet er verflucht eklig.   Mit dem Fleischbeutel im Einkaufswagen geht es weiter. Hier findet eine Tüte Parmesan, da ein Streuer mit Meersalz seinen Weg in den Korb. Schließlich kommen wir an dem Regal mit Bioprodukten vorbei. Für Max und mich ist das nichts, aber Tim guckt sich das Zeug genauer an. "Komm weg, das ist Pferdefutter", verlange ich von meinem Freund, denn die Packungsgestaltung dieses Biozeugs ist grauenvoll. Doch Tim grinst plötzlich und hält mir eine kleine Flasche entgegen. "Agaven-Dicksaft", lese ich laut vor, woraufhin Tim einen Lachflash erleidet. Nicht nur ich und Max glauben, er wäre reif für die Klapse, sondern sicher auch die anderen Kunden. "Übersetz das mal", fordert Tim, als er sich wieder etwas beruhigt hat. Ich runzle die Stirn. "Agaven - ich weiß nicht, was das heißt... thickjuice." "Dickjuice, du Horst!", schmettert mir Tim entgegen. Mit hochgezogenen Augenbrauen gucke ich zu Max hoch. Da fehlt echt eine Prise Meersalz an diesem geschmacklosen Witz. Aber auf dumme Weise ist das trotzdem arg komisch. Ich kann Tim irgendwie verstehen.   23. November - Federleicht   Den Rentnerstempel lasse ich mir nicht verpassen. Flori und Moo haben behauptet, durch meine Beziehung hätte ich mich innerhalb ein paar Monate zu einem Opa entwickelt - dabei ist das Bullshit, Liebe konserviert nämlich. Um den Lästerlichen dies zu beweisen, sitze ich mit ihnen in Floris Partykeller. Ja, der Typ hat echt so was. Schon deshalb ist er ein geiler Kumpel. Aber ein noch geilerer Kumpel ist Moo. Moo, der gar nicht so bescheuert aussieht, wenn man bereits einem im Tank hat. Ich blickficke ihn schon länger. Irgendwann blickfickt er mich zurück. Ich grinse. "Alter, das ist echt wie früher." Das Licht der Diskokugel, welches Muster auf sein Gesicht malt, lässt ihn doch albern aussehen, als er haargenau so grinst wie Tim. Mit den Mundwinkeln nach unten. "Echt?" "Ja Mann, echt." "Aja." "Wie früher, als ich noch nicht so homo drauf war." Es war klar, dass Tim mich für diesen Spruch anguckt. Soll er. Denn es stimmt. Ich lüge nicht. "Früher warst du auch schon homo", meint Moo. "Da hast du nur statt Tim mich geknutscht." Der Alk hindert mich am klaren Denken. Meine Hand schiebt sich in seinen Nacken. Das letzte, was ich sehe, bevor ich ihm nen Kuss auf den Mund drücke, sind seine riesengroßen Augen. Irgendwie wie ein panisches Pferd. Als ich ihn von mir stoße, schmunzle ich. "Jetzt ist wirklich alles wie früher." Tim nimmt mir mein Fremdgehen nicht übel. Ungerührt nippt er an seinem Bier. Moo ist schließlich unser Kumpel.   Während sich in mir ein Gefühl einschleicht, das meinen Körper federleicht zu machen scheint, entdecke ich auf der Couch den weggedämmerten Max. Sabber läuft ihm aus dem offenen Mund. Felix wird ihn gleich weglecken, glaub ich. Der sitzt schon auf seinem Schoß. Bei einem Schlafenden. Er muss es echt nötig haben.   24. November - Antrieb   Boah, mein Kopf. Ich will echt nicht mehr leben, ey. Wieso bringen die besten Dinge im Leben nur immer solche Nebenwirkungen mit sich? Alkohol ist echt ein verdammt böser Geist. Genau wie Max, der mich in meinem Zustand mit seiner Abmetzelmusik quält. Der Typ ist schon wieder auf dem Posten, aber der trinkt ja auch echt wenig, weil er ne schreckliche Pussy ist und nichts verträgt. Dennoch muss er deshalb nicht die Totenruhe stören. Warum ich auf der Couch liege, weiß ich selbst nicht. Bin halt irgendwann hier verendet. Alles, was ich weiß, ist, dass meine Ohren von der einen Sekunde auf die andere zu klingeln beginnen. Im Reflex schmeiße ich mir das Sofakissen auf das Gesicht, aber auch das vermag meinen Schmerz nicht zu lindern. Ich brülle. "Mach das aus!" Immerhin macht Max die Scheiße leiser. Dann schiebt er meine Beine zur Seite und pflanzt seinen fetten Arsch auf die Couch. "Kunstbanause." Ich habe das Gefühl, dass er mich auslacht. "Das sind Nachtblut. Sag niemals was gegen Nachtblut, wenn du behauptest, mit den satanischen Geboten zu sympathisieren." In dem Moment verstehe ich sogar eine Liedzeile inmitten all des Gebrülls. 'Menschen lieben dich, wenn du deine Sache hast gut gemacht, doch machst du deine Sache richtig bist du gottlos und verhasst.' Ich nehme das Kissen von meinem Gesicht. Gucke Max an. Max, der mich so stolz angrinst, als hätte er höchstpersönlich diese Musik geschrieben. Vielleicht hat er das ja auch, was weiß ich. Ich will es auch besser gar nicht wissen. Aber eins muss ich zugeben. "Das stimmt sogar", bekenne ich, und Max nickt. "Diese Band ist mein Antrieb an miesen Tagen." Soll das eine Anspielung auf meine missliche Lage sein? Mir wayne. Ich halte diese Akustikwand trotz zutreffender Lyrics nicht aus. Und schmeiße mir wieder das Kissen aufs Gesicht.   25. November - Dahin schmelzen   Es raschelt. Beunruhigend, so mitten in der Nacht, wo man außer Tims Schnaufen sonst nie was hört. Ich bin ja kein Schisser, aber das ist doof. Es raschelt noch lauter. Dann bedeckt etwas mein Gesicht. Dämlich. Ich muss ehrlich sein - ich bin erschrocken und hätte beinahe Tim meine Faust auf den Kopf geklatscht. Aber seine Birne ist noch nicht Matsch. Ich konnte mich beherrschen. Gerade so. Denn nun weiß ich ja, was geraschelt hat. Die Antwoord. Diese beschissenen Idioten, deren Abbild auf dem Poster prangt, das über meinem Bett hängt. Hängen sollte. Denn im Augenblick befindet es sich nicht an seinem Bestimmungsort. "Boah, verpisst euch, ihr Spackos, ich will pennen..." Tim wacht nicht auf, trotzdem ich spreche. Tim ist wie tot, wenn er schläft. Er wäre es nicht mehr, wenn ihm Ninjas Fresse so nahe wäre. Oder Yolandis Schritt. Wegen letzterem könnte man eher noch dahin schmelzen. Aber nicht wegen schwarzgefärbter Zähne. Mann, ist der Kunde hässlich aus der Nähe betrachtet. Das soll meine Lieblingsband sein. Okay. Mir egal. Ich fege das Poster auf den Boden. Poster sind eh nur was für kleine Kiddies. Oder einsame Fetischisten. Und das bin ich beides nicht. Gut, vielleicht ein wenig. Wer weiß.   26. November - Inspiration   "Ey, was hastn dort?" Tim guckt mich an, als würde er nicht ganz mitkommen. Er hält die Hände zwischen die Knie gepresst. Wie ein Mädchen. Oder wie einer, der was zu verbergen hat. Doch mir bleibt nichts verborgen. Kein noch so wohlgehütetes Geheimnis. "Komm", fordere ich ihn mit einem Lächeln auf, dem niemand widerstehen kann. Erst recht Tim kann das nicht. "Ich hab eh schon gesehen, dass du Blut an den Fingern hast. Wen hast du denn ermordet?" "Niemanden", sagt Tim. Glaubste ja wohl selber nicht. Verarschen kann ich mich alleine. "Bestimmt Moo, weil ich ihn geknutscht hab", mutmaße ich und schmunzle. "Du kleiner Eifersuchti..." "Quatsch." Er zieht sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurück. Irgendwas stimmt nicht mit ihm. Aber so was lässt sich leicht herausfinden. Ich brauche nur seinen Arm zu schnappen. Er macht ihn ganz steif, aber dann sehe ich doch, was er an den Fingern hat. Besser gesagt, auf den Nägeln. "Uff", fällt mir dazu nur ein. Ich lasse Tims Arm los, als wäre er ebolarisiert. "Emoschwuchtel, Alter." "Boah, fick dich." Beleidigt steckt er die Hand zurück zwischen seine Knie. Ich kanns kaum fassen - Tim hat sich die Nägel lackiert. In Emoschwarz. What the holy fuck. "Nee, gibs denn das..." "Das ist, weil ich knauple." "Felix sollte man sich dennoch nicht als Stylinginspiration nehmen. Als nächstes zerschnibbelst du dir die Arme, aber da is Feierabend, ich sags dir. Dann fick ich dich nie wieder." Man muss ja mal Klartext reden. Tim rollt darauf mit den Augen. "Ey, Max hat mir dazu geraten", stellt er richtig. "Der kaut nämlich auch." Und lackiert sich die Nägel. Alter Verwalter. Ich möchte meinen Kopf am liebsten in das abgestürzte Poster wickeln und darin ersticken. Hilfe. Nur Schwule in diesem Haus. Und dann sag nochmal einer, Homosexualität wäre nicht ansteckend.   27. November - Pflege   Homosexualität erinnert mich manchmal an eine Bakterie. Sie ist nicht nur ansteckend, sondern auch verdammt sozial. Schwul und schwul gesellt sich eben gerne. Kein Wunder, dass unser Lieblingsemokater schon wieder bei uns rumhängt. Er muss den Geruch der Homofische gewittert haben, die Max neuerdings vom anderen Ufer angelt. Wahrscheinlich hat den das Geficke mit der Herrin nun gay gemacht. Könnte ich ihm nicht mal verübeln. Darüber nachdenken will ich trotzdem nicht. Da ist mir selbst Felix' verstrahlter Tschernobyl-Blick noch lieber. Denn er gilt ja nicht mir, sondern Max. Der Kleine ist heute sogar kurzärmlig unterwegs. Wahrscheinlich möchte er seinem Angebeteten nackte Tatsachen unterbreiten und seine Paarungsbereitschaft subtiler als noch vor einiger Zeit präsentieren. Irgendwie dubios. Aber der Typ springt sogar drauf an. Besser gesagt auf die rote Geheimschrift auf Felix‘ Armen, die davon erzählt, wie sehr er sich selber hasst. Erst sagt Max nichts, sondern guckt nur. Immer wieder. Schließlich wendet er sich doch an ihn. "Vielleicht solltest du mal ne Therapie machen", meint er, klingt dabei aber irgendwie voll fürsorglich. Sein Blick wandert über Felix' Arminnenseiten. "Is nicht schön, dass du dich so ruinierst. Bist doch eigentlich so ein Hübscher, wa?" Tim und ich schauen uns an. Wir denken dasselbe. "Du könntest ihn doch therapieren", schlägt Tim vor. "Bisschen Liebe könnte doch Wunder wirken bei so nem kranken Pflänzchen." Max erwidert darauf nichts. Ein wenig missbilligend guckt er auf Tim, das wars aber auch. Dafür aber zerfließt Felix förmlich. Offenbar wähnt er sich seinem Ziel nahe. Tim und ich uns auch. Wir sind im Kuppelmodus und hoffen, dass Max Felix pflegen wird. Vielleicht klappts ja so zwischen ihnen, denn in jedem Mann steckt doch ein Vater. Außer in mir. Aber ich verfüge ja auch nicht über eine starke Brust zum Anlehnen. Man sollte schon seinen naturgegebenen Talenten gemäß handeln.   28. November - Düstere Legenden   Tim plagt der Hunger. Mitten in der Nacht. Er geht mir schon ewig Weile auf den Sack mit seinem gurgelnden Grummelmagen. Was er jetzt braucht, sei ein Pudding, meint er. Und so, wie ich an Pudding denke, rumort es auch in meiner Wampe. Deshalb schleichen wir schließlich auch gemeinsam zum Kühlschrank. Im Dunkeln. Nackt. Auf der Treppe hätte es dann beinahe einen Toten gegeben. Das Ding ist echt creepy, wenn man nichts sieht. Im Wohnzimmer begrüßt uns eine Lichtquelle. Wohl Max' Laptop. Ich frage mich, was er hier treibt, aber nicht lange. Denn dann entdecke ich einen großen Haufen auf der Couch. Max hat offenbar der Schlaf plötzlich übermannt. Okay. Kann ja mal vorkommen. Was nicht vorkommen kann, erklärt mir Tim. Aufgeregt tippt er mir gegen den Arm und zeigt auf den Laptop. Nackt, wie ich bin, schleiche ich ums Eck, linse auf den Bildschirm. Bombastisch! Auf der Mattscheibe ist tatsächlich das Vorschaubild für ein Video von miteinander bumsenden Emotypen zu sehen. Ich komm nimmer klar, ey. Zumal die Seite kackedreist 'Homoemo' heißt. "Der guckt sich Felixe an!", zischt Tim mir zu. Er sieht nackt und im Finsteren aus wie ein Geist. Witzig. Doch nicht so witzig wie unser Fundstück. "Aber er ist dabei eingepennt", gebe ich zu bedenken, worauf Tim nichts mehr sagt. Wir schleichen weiter in die Küche. Und ich überlege mir, dass es gar nicht so komisch ist, gleichzeitig MILFs, Transvestiten und Emos zu mögen. Wenn man einmal irre im Kopf ist, dann eh richtig. Tja, um Max' Sexualität ranken sich einige düstere Legenden. Er sollte mit Felix gemeinsam ne Therapie machen. Ne Sextherapie. Vielleicht schläft er ja nicht mehr ein, wenn er aktiv am Verkehr beteiligt ist. Werde auch du ein Homoemo. Denn in jedem Menschen steckt was Gutes, auch wenn es nur ein Messer ist.   29. November - In Gedenken an...   "Tuffi." Tim steht in der Tür. Er sieht blass aus. Man kann eigentlich nur spontan Mitleid mit ihm bekommen. Da ich gerade auf dem Drehstuhl sitze, patsche ich mir auf die Schenkel. "Komm zu Papa", fordere ich ihn auf, und wahrscheinlich findet Tim es scheiße, dass ich mich Papa nenne. Denn er setzt sich nicht auf meinen Schoß. Setzt sich gar nicht. Steht unbehaglich guckend in der Gegend rum. "Nee." Seine Stimme ist leise. Er hat was. "Erzähl Dr. Sommer, was los ist." Ich kenne Tim gut genug, um einschätzen zu können, wenn ihn was quält. Und offenbar mag er es lieber, wenn ich mich Dr. Sommer nenne. Denn er macht den Mund auf. "Ich hab Verstopfung." Während er das sagt, schaut er mich ernst an. Und ich Depp vom Dienst hätte fast spontan gelacht. Tims Hinterausgang ist zu. Scheiße. Ehe ich was sagen kann, fährt Tim fort. "Das ist seit dem letzten Fick." "Oh." Ich ziehe die Augenbrauen hoch. "Und nun?" "Wir sollten öfter die Positionen tauschen." Das gefällt mir nicht. Tim ist schließlich immer so willig, wenn ich ihn nehme. Ganz im Gegensatz zu mir, wenn er mich nimmt. Außerdem grusle ich mich jetzt, wo ich weiß, dass man dabei verstopfen kann. Trotzdem, Tim tut mir leid. Er blinzelt. "Das hat bestimmt was mit dem Sperma zu tun." "Mh." Ich kratze mich am Kopf. "Kann sein..." So gesund ist eine Arschbesamung bestimmt nicht. Kann ich mir gut vorstellen. "Aber es ist geil, wenn du in mir zuckst." Daraufhin zuckt bei mir wieder was - allerdings mein Mundwinkel. Wir kriegen das schon wieder hin. Wäre ja gelacht. Und dann darf Tims Arsch nicht mehr in Frieden ruhen. Heute aber gedenken wir der Zeiten, als er noch unberührt gewesen war. Und es auf dem Scheißhaus wie geschmiert lief. Oder so.   30. November - Um den heißen Brei herumreden   Eigentlich kann ich Starbucks nicht ab. Heute sitze ich trotzdem in diesem Laden. Der Durst hat mich und Tim in der Stadt überwältigt. Und die Müdigkeit. Wir benötigen also einen Kaffee. Zum Glück ist Tim so gut und geht an die Theke, während ich mich schon mal in den Sessel lümmeln kann. Schließlich kommt er wieder, einen Becher in jeder Hand. Einen stellt er vor mich, einen vor sich. Dann setzt er sich. Und guckt so. Als würde er auf irgendeine Reaktion meinerseits warten. "Was?", frage ich. Tim schüttelt nur den Kopf. Manchmal ist er echt komisch. Ich weiß auch nicht. Da er gesprächsunfähig scheint, setze ich den Becher an die Lippen. Trinke. Dann halte ich panisch die Luft an. Pruste. Kaffee sprudelt mir aus der Fresse. Ich sehe bestimmt aus wie einer, der Tollwut hat. Etwas Hartes wurde mir mit dem Kaffee in den Mund geschwemmt. Tim macht ganz große Augen. Was geht hier vor? Als man mir wieder ne Portion Beherrschung verpasst hat, schlucke ich die Brühe und hole anschließend einen Ring aus meinem Mund. Hä? Ich werfe Tim einen fragenden Blick zu, und der Kerl wird krebsrot. "Ja, äh...", bringt er mühsam hervor und schaut verschämt weg. "Das ist ein Antrag." "Ein Antrag?" Ich hebe die Brauen. "Ein Antrag auf was? Auf Hartz IV?" "Nee." Er räuspert sich. "Ich würd dich ganz gerne heiraten, Jascha." Was. Jetzt bin ich gesprächsunfähig. Tim ist irre geworden. Das geht mir zu schnell. So schnell, dass ich nicht nachdenken kann über das, was ich sage. "Boah. Fuck." Tims Augen sind groß. "Willst du denn?" Ich mustere den Ring, der aussieht wie im Schmuckladen gekauft. Er ist nichts Besonderes. Jedenfalls nicht objektiv betrachtet. Lediglich die Tatsache, dass er von Tim ist, macht ihn besonders. Wir sehen uns in die Augen. "Ja, Mann. Ich will das sogar..." Daraufhin beugt er sich über den Tisch, legt die Hände auf meine Wangen und küsst mich. Einfach so. Vor allen Leuten. Und es stört mich nicht mal. Ich bin glücklich. Ich bin wirklich glücklich darüber, dass Tim meint, dass das mit uns für immer ist. Denn der Meinung bin ich auch. Der Antrag ist seltsam, aber wen kümmerts. Mich nicht. So musste er nicht um den heißen Brei herumreden. Das Ganze ist typisch Tim. Und fände ich scheiße, wie er manche Dinge tut, dann wäre er nicht mein Freund. Und erst recht nicht mein zukünftiger Mann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)