Das Blut der schwarzen Rose von JessMizukiro ================================================================================ Kapitel 12: Kapitel 12 ---------------------- Am frühen Nachmittag des nächsten Tages, machte sich Jess gemeinsam mit Tara auf den Weg zum Nord-Ost-Bahnhof. Während sie den Weg am Flussufer entlang schlenderten, beobachtete die Blondine das schimmernde Sonnenlicht auf dem Fluss. Aber obwohl der Himmel ausnahmsweise azurblau und klar war, sah man jeden einzelnen Atemzug. Jess knöpfte ihren Mantel zu und zog den Schal, welchen sie sich ausnahmsweise umgelegt hatte, enger um den Hals. Heute war es doch noch etwas kälter als sonst, die kühle Luft aus den Bergen musste zu ihnen runterwehen. Tara hüpfte am Ufer entlang und sie schien richtig aufgeregt zu sein. Verständlich - es würde schließlich ihr erster Besuch des Schwarzmarktes sein. Kurz sah Jess dem Mädchen zu, bis sie dann ihren Blick hob und zur anderen Seite des Flusses schaute. Naidoko war schon immer ihre Heimat gewesen. Der Fluss teilte diese Stadt aber in einen Nord-Ost- und einen Süd-West-Block auf. Im Nord-Osten waren schon immer Arbeiter oder Angestellte untergebracht gewesen, auch die ein oder andere Familie lebte im kleinen Vorstadtviertel weit im Norden. Der Süd-Westen war den besser verdienenden Arbeitern, Beamten und Reichen vorbehalten, welche in der dortigen Innenstadt lebten. Insgesamt bestand Naidoko also aus zwei Blocken und sieben Vierteln. Die Viertel des Nord-Ost-Blocks waren zum einen das Vorstadtviertel, in der Nähe der Niemandsberge, das Arbeiterviertel und das verlassene Viertel, welches sich im östlichen Wald befinden soll. Der Süd-West-Block hatte insgesamt vier Viertel, dass wichtigste Viertel war die Innenstadt mit ihren Verwaltungsgebäuden, dann gab es noch das so genannte Schupo-Viertel, in welchem die Mitarbeiter der Einheit und ihre Angehörigen hausten. Dementsprechend war es den Assassinen strengstens verboten dieses Viertel zu betreten, vor allem, weil dort schon mehrere Morde an jenen verübt wurden, welche sich dort hinein gewagt hatten. Das dritte Viertel war das kleine Industrie-Viertel westlich der Stadt, dort endete auch die große Einkaustraße der Innenstadt. Das letzte Viertel wurde als das Brand-Viertel bezeichnet, da es bei einem schweren Feuer vor etwa 13 Jahren vollkommen verwüstet und bisher nicht wieder aufgebaut wurde. Jess konnte sich noch genau an Dwaynes Worte erinnern, mit denen er ihr im Alter von fünf Jahren versuchte zu erklären, dass ihre Familie in den Flammen offenbar getötet wurde. Ganz glauben konnte sie das jedoch nie, da irgendetwas in ihr ständig rief: Nein, sie sind nicht tot, sie sind NICHT tot. "Jess, wo willst du hin?!", Taras Frage riss sie aus ihren Gedanken und Jess blickte die Lilahaarige überrascht an. "Der Bahnhof liegt doch die Straße hier runter!" Wortlos ging Jess die Straße hinauf und ihre Augen glitten an den Graffiti entlang, welche die Mauern der Hochhäuser schmückten. Nur selten sah Jess Ein - oder Zweifamilienhäuser bei ihren Aufträgen, doch als sie das erste Mal das Vorstadtviertel besucht hatte, war ihr sofort leicht ums Herz geworden. Sie hatte den Wald, die Berge und den Sonnenaufgang sehen können, ohne das ihr Horizont von Hochhäusern begrenzt oder gestört worden war. Auch in den restlichen Vierteln schmückten Graffiti von Jugendbanden die Wände, Mauern, wahlweise auch Autos und Züge der Stadt. Einzig die Vorstadt und das Schupo-Viertel waren, soweit Jess wusste, frei von jeglichem Graffiti. Wahrscheinlich traute sich keine Jugendbande dort etwas zu verschmutzen, oder es existierten dort einfach keine Banden. Langsam stieg Jess die Treppe zu den Bahngleisen hinauf, welche sich hier im Nordosten auf zwei Stück beschränkten. Der Anblick der Wartezone war ernüchternd und alles andere als einladend. Abgesehen davon mochte Jess das Zugfahren sowieso nicht, aber das war nun einmal der schnellste Weg zum Schwarzmarkt und bei der langen Liste an Besorgungen würde das ganze bestimmt bis morgen andauern. Vor allem bekam man einige Dinge nicht tagsüber, geschweige denn hatten alle nötigen Geschäfte tagsüber geöffnet. Am Nordende des Bahnsteiges waren gerade einige Jugendliche damit beschäftigt einen defekten Automaten aufzubrechen, während zwei Jungen an einem Pfeiler ihr neustes Graffiti aufsprühten. Jess war froh, dass Tara schlau genug war um sich mit keinem von ihnen anzulegen, ihr reichte der bevorstehende Besuch des Schwarzmarktes schon. "Na, wen haben wir denn da?", einer der Graffiti-Sprüher drehte sich um und Jess sah in seine Richtung. "Lebst also auch noch?" Als er sich den Schal vom Gesicht zog, erkannte Jess ihn und ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen: "Und du sprühst also immer noch wie ich sehe." "Wenn sonst keiner diese Gegend hier verschönert, wer soll es sonst tun?", grinste der Junge und Jess trat gemeinsam mit Tara zu ihm. Auf dem Pfeiler prangte ein großer Drache und der Zweitete arbeitete an etwas, was aussah wie ein Phoenix. Jess lächelte: "Du stehst wohl immer noch auf Feuer, was?" "Klar!", lachte der Junge, doch dann zog er eine schwarze Spraydose hervor. "Aber warte, für dich mach ich etwas besonderes." Mit diesen Worten begann er eine schwarz vermummte Gestalt auf den Rücken des Drachens zu sprühen. Jess beobachtete ihn dabei aufmerksam und dann fragte sie: "Soll das etwa ich sein?" Der Junge rückte seine Kappe zurecht und nickte anschließend: "Jep, du weißt doch noch, das erste mal hab ich dich so schwarz vermummt gesehen, gemeinsam mit Jason." "Ach ja, tut mir leid, hab ich fast vergessen.", meinte Jess dann leise und sah die schwarze Gestalt eine Weile lang an, bevor ihr eine Spraydose hingehalten wurde: "Hey, zeig meiner Freundin doch mal, wie du sprayst.", meinte der Junge und grinste sie an. Als Jess dann zur zweiten Person sah, zog diese sich die Kapuze vom Kopf. Jess nahm leicht abwesend die Dose in die Hand: "Kann ich machen, Kev." Hätte er seine Begleitung nicht als seine Freundin vorgestellt, wäre sie nicht darauf gekommen, das es sich beim zweiten Sprayer um ein Mädchen handelte. Ihre Haare waren grün und kurz geschnitten, zusammen mit den weiten Klamotten konnte man sie kaum von einem Jungen unterscheiden. Kev sah sie währenddessen aus seinen blauen Augen heraus gespannt an und schob sich den Schal zurecht, welchen er wieder über gezogen hatte. Auch die Blonde zog sich ihren Schal nun über Mund und Nase, schüttelte die Dose und begann zu sprühen. Wenn sie sich früher mit Kev und Jason getroffen hatte, waren sie sehr oft herum spaziert und hatten gesprayt. Jess mochte diese Art der Beschäftigung, aber neben ihren anderen Verpflichtungen blieb für dieses Hobby keine Zeit mehr. Tara richtete ihren Blick gelangweilt in Richtung der Bande, welche noch immer mit einem Brecheisen zugange war und schüttelte den Kopf. Mit schnellen Schritten ging sie zu ihnen und beobachtete kurz das Geschehen, bevor die meinte: "So bekommt ihr das Ding doch in hundert Jahren nicht auf." Die Jungen blickten zu ihr und einer meinte: "Na, dann mach du es doch besser." Die Anderen lachten und Tara kam es so vor, als ob sie nicht glauben konnten, das ein Mädchen etwas besser konnte als sie. Sie griff in ihre Tasche und zog ein rundes, käfergroßes Ding heraus, drückte auf einen kleinen, blauen Knopf und schmiss es in den Schacht, wo sonst die Süßigkeiten und Getränke landen würden: "Gerne." Sie wartete ein paar Minuten, bevor sie einmal hart gegen das Glas trat, welches kurz darauf zerbrach. Daraufhin sprang die Elektronik an, die Süßigkeiten segelten zu Boden und der Automat fing an zu rauchen. Tara grinste, als sie die erstaunten Gesichter der Jungs sah: "So macht man das." Viel lieber, hätte sie den Automaten zwar gesprengt, aber das hätte zu viel Aufmerksamkeit erregt und außerdem machte es auch Spaß mit der Elektronik zu spielen. Sie kicherte leise und drehte sich um, als sie Jess' Stimme hörte: "Tara, was machst du da?! Komm her!" Die Blonde war inzwischen fertig mit ihrem Graffiti und betrachtete mit ihren dunkelblauen Augen die schwarze Rose im Maul eines Panthers. "Das du dich noch an dieses Graffiti erinnerst, Jess.", meinte Kev erstaunt und strich sich durch sein braunes Haar mit den blonden Spitzen. Jess betrachtete ihr Werk noch eine Weile, bevor sie antwortete: "Ich habe eben ein gutes Gedächtnis." Sie sah aus den Augenwinkeln wie Kev nickte und kurz darauf ertönte die Durchsage: "Zug 4 nach Moon Valley über Naidoko Hauptbahnhof, Gleis 1, Einfahrt." Jess hob den Kopf und sah am Gleis hinab, wo sich ein roter Zug dem Bahnhof näherte, dann sah sie zu Kev und seiner Freundin: "Na dann, ich muss los. Wir sehen uns, Kev." "Yo, bis dann, Jess. Lass dich nicht unterkriegen.", antwortete Kev und sie schlugen ihre Fäuste aneinander, bevor er und seine Freundin die Kapuzen überzogen und kurz darauf die Treppen hinab verschwanden. Die Jugendbande sammelte noch fleißig die Süßigkeiten ein, bevor auch sie in Richtung der Treppen rannten. Neben ihr schob sich Tara ein paar Salzstangen in den Mund und beide beobachteten, wie der rote Zug in den Bahnhof einfuhr. Auch er war mit Graffiti versehen, teils aus dieser Stadt, aber auch die Tags von anderen Stadtbanden prangten auf dem roten Lack. Als sich die Türen öffneten betrat Jess eines der mittleren Abteile und ließ den Blick den Gang hinab schweifen. Gegen Ende des Abteils saß ein älteres Ehepaar, welches Händchen hielt und sich offenbar unterhielt. Ein Stück vor dem Ehepaar saßen ein paar Jugendliche und der Geruch nach Alkohol war nicht zu verkennen. Wahrscheinlich waren sie aus Oscure und suchten einen Ort zum Ärger machen. Sie ließ sich auf einen Sitz im vorderen Abteil des Zuges fallen und streckte sich. Dann zog sie eine Liste aus ihrer Hosentasche und studierte sie, während sie abwesend den Rucksack auf den Platz neben sich stellte, sodass Tara sich vor ihr niederließ. Sie zog einen Rotstift und markierte ein paar Dinge auf der Liste - diese würden sie nur nachts holen können. Es waren erstaunlich viele - dafür würde sie bei den Tagesgeschäften ein wenig feilschen müssen. Sie blickte auf und sah in Taras nachdenkliches Gesicht, welches aus dem Fenster starrte. Ihr war nicht klar weshalb, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass dieses Mädchen etwas zu verheimlichen hatte. Nur was? Nun warf die Blonde ihrerseits einen kurzen Blick aus dem Fenster, an welchem gerade einige Büsche Bäume und Häuserdächer vorbei flogen. Der Zug war nicht gerade schnell unterwegs, weswegen man einen guten Überblick über den Nordteil der Stadt bekam. Die Berge lagen in nahezu greifbarer Nähe, dank dem klaren Wetter deutlich sichtbar, beendeten sie den Horizont. Im Frühling und Herbst waren die Spitzen meist von einem dichten Nebel eingehüllt, welcher sich auch in die nördlichsten Stadtteile vorwagte. Je näher sie dem Fluss kamen, desto spärlicher wurden die Häuser und desto mehr versperrten Bäume die Sicht auf die Umgebung. Die Sonne glitzerte auf den Wogen des Gewässers und ließ es strahlen, als bestünde es aus Millionen Diamanten. Doch Jess' Aufmerksamkeit wurde abrupt von den Jugendlichen eingefordert, die ihr zuvor durch ihre Alkoholfahne aufgefallen waren. Anscheinend wollten sie nun ihrer Sucht nach Randale in diesem Abteil Ausdruck verleihen. Hätten die nicht warten können, bis ich ausgestiegen bin?, dachte sich die Blonde sauer und war im Begriff aufzustehen. "Was ist los?", wollte nun ihre Begleiterin wissen, deren helle Augen von dunkelgrauen Schleiern durchzogen wurden. Jess antwortete, kaum das die Lilahaarige ausgesprochen hatte: "Nur ein paar Kleinkinder. Bleib ruhig sitzen, dass dauert nicht lange." Mit diesen Worten ging Jess den Gang hinab und behielt die vier Jungs im Blick, die in regelmäßigen Abständen aus ihren Flaschen tranken. Das ältere Ehepaar war offensichtlich in den nächsten Wagon geflüchtet. Einer der Jungen hatte seinen dunkelbraunen Haaren einen grünen Streifen verpasst und hielt sich an einer der Haltestangen fest, was seine Haltung aber nicht begradigte - geschweige denn verfestigte. Auch seine Kollegen sahen nicht gerade standfest aus und von einem halbwegs nüchternem Zustand waren zwei von ihnen schon weit entfernt. Es war ein Wunder das sie es überhaupt noch fertig brachten sich zu verständigen. Jess zog eine Augenbraue hoch und hätte sie nicht das Gefühl diese Idioten würden dafür sorgen, das sie länger als geplant in diesem Wagon festsaß, hätte sie sich nicht einmal mit Schutzausrüstung in deren Nähe gewagt. Doch leider verlangte die Tatsache, dass diese betrunkenen Jugendlichen gefährlich nahe an der Tür standen, ihre Aufmerksamkeit. Wie sie es doch hasste den Babysitter für solche Hohlköpfe spielen zu müssen. "Ich werde definitiv den Rückweg zu Fuß antreten.", dachte sich die Blondhaarige und trat auf die Jugendbande zu. Mit wenigen Schritten hatte sie die vier Jungen erreicht und schon etwa fünf Meter vor ihnen, war der Alkohol mehr als nur deutlich wahrzunehmen. Hatten die etwa vier Kästen getrunken?! Jess kannte sich zwar nicht in diesen Dingen aus, doch das die Jungen vor ihr nahe einer Alkoholvergiftung standen, stand außer Frage. Mit einer Hand wedelte sie die Fahne so gut es ging von sich und der Junge mit dem grünen Streifen sprach sie an: "Na, Süse?", er hickste und Jess stand kurz davor ihn mit seiner Flasche in die Welt der Träume zu befördern: "Bock, 'was Spase su ham'?" Er klammerte sich mit einer Hand haltsuchend an der Stange fest, hing aber mehr schlecht als recht nach vorn gebeugt. Jess hatte den Wunsch ihm die Beine wegzutreten, nur um ihn dann am Boden liegen zu sehen - einen Lacher konnte sie gerade gut vertragen. Jedoch mischte sich nun ein zweiter Junge ein, dessen Haare Ähnlichkeit mit einem Kanarienvogel aufwiesen: "Gefäll' dis meen Freend niach'?" Er lachte und hatte anscheinend schon Schwierigkeiten dabei gerade aus zu sehen, dennoch ließ er sich nicht davon abbringen die leere Sitzreihe knapp einen Meter neben ihr weiter anzuflirten: "Wenu ma' da' komsu misch." Sein Lächeln wirkte abartig und eher als ob man ihm ins Gesicht geschlagen hätte. Na hoffentlich war seine imaginäre Partnerin bereits geflüchtet. Sie drückte den Grünstreifen-Jungen zur Seite, welcher rücklings auf eine Sitzreihe fiel und anschließend verkündete: "Nisch verschüdded!" Jess rollte genervt mit den Augen und trat auf den Anführer der Bande zu, welcher sich offenbar für die rote Notbremse interessierte. Sie ging zu ihm und schlug ihm auf den Handrücken, als er danach greifen wollte. Perplex drehte sich der etwa um einen Kopf größere Junge zu ihr um und sah zu ihr hinab. Seine Haare wurden von einer neonpinken Strähne geziert, die seinen männlichen Ausdruck kräftig untergrub. Sie verkniff sich ein Grinsen und stemmte eine Hand an ihre Hüfte, als er sie fragte: "Wasoll das?" "Sag mal warst du ebenso betrunken als du dir die Strähne hast machen lassen, oder bist du einfach nur nicht im Besitz eines Gehirns?", auf seinen verwirrten Ausdruck hin, fügte sie hinzu: "Ich schätze beides." "Won spris du?", murrte er und lehnte sich leicht gegen die Wand, um nicht umzufallen, als der Zug in eine Kurve ging. Aus den Augenwinkeln sah Jess jedoch, wie der Kanarienvogel vollends aus dem Gleichgewicht geriet und seine Visage hinter der Sitzreihe verschwand. War auch besser so und es bedeutete weniger Arbeit - zumindest für sie. Währenddessen blickte sie den Anführer weiterhin an und antwortete ihm, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob er in der Lage war ihren Worten zu Folgen: "Na, von deiner wundervollen Strähne. Hat die deine Schwester gemacht?" Der Junge schien sauer zu sein, während sein verbliebener Kumpane einen Lachanfall bekam und zu Boden ging. Der Restinhalt seiner Flasche ergoss sich über den Boden und das leere Gefäß rollte unter einen der Sitze. "Passuf, i hab meng' Gels dafu besahls.", ließ er Anführer genervt verlauten, doch der Angesprochene interessierte sich offenbar für nichts weiter, als seinen Lachanfall. "Duhas geahmet.", lachte er und hielt sich den Bauch. Betrunkene waren ja so peinlich, hoffentlich machten sie jetzt keinen Ärger mehr. Jess war im Begriff zu gehen, als sie der Anführer packte: "W'hin so snell, Süse? Willse ne' au' 'was Spas ham'?" "Ich verzichte.", antwortete die Blonde und befreite sich aus dem Griff, doch nun war zumindest der Grünstreifen wieder auf den Beinen - mehr oder minder. "Su has mik gesubst!", meckerte er und Jess seufzte genervt. Anscheinend hatte er die Auffassungsgabe von einer Fliege, nein - von einem Häufchen Dreck. "Selbst wenn, dann standest du halt im Weg.", meinte sie ungerührt und sah ihn nur leicht aus den Augenwinkeln heraus an. Der Kanarienvogel lag seinem Schicksal ergeben bäuchlings im Gang zwischen den Sitzen und seine auslaufende Flasche benetzte seine Hose mit Bier. Das würde gewiss ein freudiges Erwachen geben, doch leider gab es gerade ganz andere Probleme. Ein kurzer Blick aus dem Fenster verriet Jess, dass der Hauptbahnhof nicht mehr weit entfernt lag, die ersten Bauten der Innenstadt zogen vorbei. "Tja, ich muss jetzt gehen. Wenn ihr jedoch Ärger macht, werde ich euch ruhig stellen müssen.", die Antwort darauf war das Gelächter der drei übrig gebliebenen und der Anführer meinte: "Was will'sen du machen?" "Das siehst du dann, denn offenbar bist du nicht schlau genug mich ernst zu nehmen.", der Junge taumelte und Jess fügte hinzu: "Ich korrigiere, ich bin sicher das du dumm genug bist." "En Mädsen erns nehm? Hahaha!", lachte der Junge der sowieso schon am Boden lag. Seine Nackenhaare waren blau eingefärbt, während sein Pony von einer neongrünen Strähne geziert wurde. In Sachen Farben stand er seinen Freunden in nichts nach - leider. Jess seufzte und da die drei Kumpane keine Anstalten machten sich in irgendeiner Form zu benehmen, musste sie wohl nachhelfen. Sie packte den Grünstreifen am Handgelenk, als dieser Anstalten machte sie anzufassen. Kurz darauf lag er am Boden und war offensichtlich mehr als nur perplex. Der Junge, welcher offenbar mehr als nur Alkohol im Blut hatte, brauchte nicht mehr als einen kurzen Stoß, um über seine eigenen Füße zu stolpern und mit dem Rücken gegen die Wand zu knallen. Nun stand niemand mehr zwischen ihr und den Anführer, welcher nervös zu seinen beiden Freunden blickte, welche jedoch keine Anstalten machten sich zu erheben. Er wich zurück in eine Ecke und Jess trat auf ihn zu, doch plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern und zog ein Butterfly-Messer aus seiner Hosentasche. "Findest du nicht, das eine Hosentasche ein ungeeigneter Ort für so etwas ist?", fragte Jess ungerührt, während der Junge ihr zitternd die Klinge entgegenhielt. Aufgrund seiner Trunkenheit war er nicht in der Lage das Messer gerade zu halten und seine Treffsicherheit lag unter Null - wenn er überhaupt auf die Idee kam seine Waffe zu benutzen. Die leere Flasche rollte gegen ihren rechten Fuß, Jess hob sie auf und warf sie kurz hoch. "Ich würde mir gut überlegen was du nun tust.", meinte sie kurz bevor der Anführer auf sie zugelaufen kam und versuchte sie mit seiner Klinge zu treffen. Jess warf die Flasche gegen seine Schulter, diese zerbarst am Boden, dann trat sie einen Schritt zur Seite, da der Angreifer über seinen am Boden liegenden Freund stolperte und direkt vor ihr auf die Nase fiel. Sie trat auf seine Hand und hob das Messer auf und dabei fiel ihr auf, das die Klinge komplett abgestumpft war. Dann betrachtete sie den Jungen der jammernd aufheulte - was für ein Weichei. Sie trat einen schritt zurück und warf dem Jungen das Messer vor die Nase. Anschließend winkte sie Tara zur Tür, da der Zug nun in den Bahnhof einfuhr, dann sah sie zu den Jungs, kurz bevor sich die Türen öffneten: "Zeit zum Aussteigen." Wie auf Kommando klaubte der Anführer sein Messer vom Boden und gemeinsam mit seinen Kumpanen zogen sie den schlafenden mit sich. Jess beobachtete noch, wie sie in einen anderen Zug Richtung Oscure stiegen und ging zufrieden in Richtung der Treppen. Da es früh am Morgen war, waren einige Bahngleise fast überfüllt, während andere einer Wüste glichen. Zum Glück gehörte dieser Bahnsteig zur zweiten Sorte - sie hasste Menschen, besonders wenn sie dicht an dicht zusammenstanden. Kurz sah die zu Tara, packte sie kurzerhand am Handgelenk und zog sie mit sich die Treppen hinab. "Ich kann aber alleine gehen…!", meckerte die Mitgezogene und stolperte mehr oder weniger hinter Jess her, aber diese ließ sie nicht los. Auch eine Antwort konnte man offensichtlich nicht erwarten. Der Gang war in grau-stahlblau bis zur Hälfte gekachelt und der Boden wirkte immer schmutziger, je weiter sie ihn hinab schritten. Die Decke und der Rest der Wand färbte sich immer dunkler, bis einige schwarze Flecken auftauchten, die an Ruß erinnerten. Einige Fliesen waren aufgeplatzt und hier und dort lagen ein paar leere Dosen, Fliesensplitter oder sonst welcher Müll herum. Anscheinend machten es sich einige Obdachlose hier gerne gemütlich, auch wenn der größte Teil nur der Ablenkung diente - beziehungsweise der Beobachtung. Diese Schupo waren wie Insekten - einfach überall und immer dort, wo man sie am wenigsten gebrauchen konnte. In der Ferne kamen ein paar Treppen in Sicht, doch schon zog die Blonde ihre Begleitung in einen komplett Rußgeschwärzten Gang, an deren Ende eine Stahltüre stand. Sie trat ohne ein Wort hindurch und betrat eine Art kleine Eingangshalle. Hier traf man sich zu einem kurzen Plausch, oder um mit unliebsamen Gästen zu ''verhandeln''. Wortlos und ohne weiter auf die Umgebung zu achten schritt Jess eine ausladende Treppe hinauf. Sie war überdacht und führte in eine Art großen Innenhof mit einem einladend hellen Brunnen. Auf den Pflastersteinen, aus denen das Unkraut wucherte, spielten einige Kinder mit einem Lederball, während andere ihren Eltern bei der Erledigung ihrer Arbeit halfen. Hier war eigentlich immer etwas los und es war außerdem um einiges angenehmer, als unten in der stickigen Luft. Doch leider würde sie dort bald hinab müssen, schließlich lagen dort einige wichtige Geschäfte die sie besuchen musste. Zum Glück lag aber der Großteil des Basars hier im Innenhof, nur die Schwarzmarkthändler verzogen sich mit ihren Zelten in den Untergrund. Deswegen nannte man ihr Verkaufsgebiet auch die Schwarze Gasse, jedoch war sie zu dieser frühen Stunde verwaist, ebenso der Innenhof. Hier würde der rege Betrieb erst gegen Abend eintreten. "Hier ist also der Schwarzmarkt?", fragte Tara nun und blickte sich erstaunt um. Jess nickte und antwortete: "Ja, zumindest der größte Teil davon." Ein Lederball rollte vor die Füße der beiden und Jess kickte ihn zurück zu den beiden Kindern, welche sie mit großen Augen anstarrten. Doch dann wandten sie sich wieder ihrem Spiel zu und ein leichtes Lächeln stahl sich auf Jess' Gesicht. Es war schön wieder hier zu sein - immerhin waren nun schon 4 Jahre vergangen. Wenn die ersten Einkäufe erledigt waren, würde sie ein paar alten Freunden einen Besuch abstatten. Sie sah auf die Liste und musste grinsen. Bei ihnen musste sie sowieso etwas einkaufen - wie passend. Jess: "Reiche mir deine Hand und ich werde sie umfassen. Wenn jedoch die des Todes deine Andere ergreift, so werde ich meine wieder lösen." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)