Ahorn von _Nami_ (Das Ahornblatt war unversehrt, wie die Erinnerungen...) ================================================================================ Kapitel 1: Ahorn ---------------- Als er aufwachte und die Augen öffnete, wusste er nicht, wo er war. Nur dunkel konnte er sich an die letzte Nacht erinnern. Nachdem er zu Bett gegangen war, sagte seine Mutter, dass er bitte sofort das Licht ausmachen solle, damit er schnell einschlafen könne. Dabei öffnete seine Mutter das Fenster in seinem Zimmer ganz weit. Die eisige Kälte drang hinein. Obwohl der eisige Wind sich sanft um seine die Vorhänge schlich und mit seinen Haaren spielte, wurde es plötzlich ganz warm, aber er öffnete die Augen nicht. Er fühlte sich frei und schwerelos. Frei von Sorgen, Ängsten und Wut. Er konzentrierte sich nur noch auf die Dunkelheit, die vor ihm lag und merkte, wie er immer mehr darin versank. Er öffnete die Augen und sah einen Wald vor sich. Die Umrisse der Bäume und Sträucher waren verschwommen. Sein Atem stockte. Träumte er? Er rührte sich nicht und horchte auf. Er hörte das Zwitschern der Vögel und das Rauschen eines Flusses. Es klang alles so echt... War es doch Realität? Als er einen Schritt nach vorne machte, hörte er ein Kichern. Es klang hell und laut. Es war das Kichern von Kindern. Er erkannte an den unterschiedlichen Stimmlagen, dass es mehr als eins sein musste. Er schaute sich um und ging in die Richtung, in der das Kichern immer lauter wurde. Plötzlich sprangen zwei Kinder hinter einem Baum hervor und liefen lachend an ihm vorbei. Er blieb stehen und musterte sie. Die Kinder sagten etwas zueinander, doch es klang so verzerrt in seinen Ohren. Sie beachteten ihn gar nicht und waren nur auf ihr Spiel fixiert. Als er genau hinschaute, erkannte er sie. Eines der Kinder war er und das andere sein kleiner Bruder. Und dies war der alte Wald, in dem sie früher immer gespielt hatten. Er befand sich direkt neben seiner alten Heimat. Sein Herz klopfte und er schaute ungläubig zu seinem jüngeren Ich und seinem Bruder rüber. Nein, das konnte kein Traum sein... ist es vielleicht eine Erinnerung? Die beiden Kinder liefen lachend weiter, würdigten ihn keines Blickes. Er blieb weiterhin stehen, atmete tief ein und seine Sinne entspannten sich bei dem vertrauten Geruch. An diesem Wald hingen sehr viele Erinnerungen, gute als auch schlechte. Hier hatten sein Bruder und er immer gespielt und die meiste Zeit ihrer Kindheit verbracht. Doch eines Tages wurde der Wald abgeholzt. Es passierte alles so schnell. Jeden Tag, wenn sein kleiner Bruder und er mit dem Fahrrad zur Schule fuhren, sah er diese schrecklichen, riesigen Maschinen, die so laut brummten, dass der Weg zur Schule für viele Kinder eine Qual wurde. Er sah, wie die Harvester die Bäume abrodeten. Er sah zu einer dieser Maschinen genauer rüber und beobachtete, wie der abgeholzte Baum auf den Waldboden fiel. Nein, als Waldboden konnte man ihn nicht mehr bezeichnen. Diese grässlichen Maschinen hatten den Boden völlig zerquetscht. Sein Ort der Kindheit und Sicherheit wurde zerstört. Die Wut und Enttäuschung, die er damals gefühlt hatte, kamen unwillkürlich wieder hoch. Er seufzte, ging zu einem der Bäume und legte vorsichtig seine Hand auf die Rinde. Er strich über den Baumstamm und lächelte. Es fühlte sich alles so wahnsinnig echt an. Er nahm seine Hand weg und betrachtete den Schmutz an deinen Fingern. Dies erinnerte ihn an dem Moment, wo er und sein Bruder zum ersten Mal gemeinsam einen Baum hochgeklettert sind… Es war ein Spitzahorn gewesen, ja er war sich jetzt ganz sicher und sein Bruder war damals noch zu klein, um allein auf so einen gewaltigen Baum hochzuklettern. Er hatte ihm immer wieder gesagt, das er sich einen kleineren Baum für seine Kletterpremiere aussuchen sollte, doch er hat darauf bestatten, mit ihm zusammen auf diesen Monsterbaum zu klettern. Als er sich jedoch überreden lies, was leider viel zu oft passierte, beschloss er seinen kleinen Bruder mit viel Mühe und Anstrengung hoch zu helfen. Als sie nach einigen Ausrutschern, Schürfwunden und einigen fluchen endlich die Spitze der Baumkrone erreicht hatten, weiteten sich ihre Augen. Die Aussicht war grandios. Man konnte zwar nicht über den ganzen Wald blicken, aber genug sehen, um die Vielfalt der Bäume, Sträucher, Farben und Formen zu bestaunen. Dies hatte ihn schon immer fasziniert. Obwohl es im Wald so viele Unterschiedliche Arten von Pflanzen und Tieren gibt, ergeben sie alle ein harmonisches Bild und leben in Einklang. Sein Blick wich weiter über die Baumkronen, bis zum Horizont. Er kniff seine Augen zusammen, als er sah, dass sich etwas Dunkles zusammenbraute. Etwa Rauch von einem Waldbrannt? Nein, vermutlich nur ein Gewitter, das langsam immer mehr über den Wald herzog. Sein Bruder zupfte an seinem T-Shirt und blickte ihn besorgt an. Ja, sie mussten schon bald hier weg, sonst wird es zu gefährlich. Aber Nachhause? Schon so früh? Nein, er wollte nicht hier weg, er wollte nicht zurück zu ihnen gehen… Vielleicht konnten sie ja nach einer Höhle suchen oder ähnlichem. Obwohl er bisher noch nie etwas Höhlenartiges hier gesehen hat. Panik machte sich bin seinem Herzen breit. Auch wenn ihm die Sicherheit seines kleinen Bruders wichtiger war als alles andere, so wollte er nicht zurück. Sie konnten auch gar nicht zurück. Doch hier bei Gewitter hier im Wald zu bleiben, war Lebensgefährlich. Bei dem Gedanken an Zuhause musste er schwer schlucken. Schon bei dem Gedanken, die er mit diesem Ort verband, wollte er sich instinktiv die Ohren zu halten. So laut schreien, dass er nichts mehr hört. Seinen kleinen Bruder in den Arm nehmen und trösten. Doch sie mussten ja wie immer, irgendwann zurück nach Hause, wenn sie hier im Wald spielen. Aber dass sie so schnell nach diesem schrecklichen Vorfall, wieder von ihrem gehüteten Rückzugsort weggerissen werden, damit hatte er nicht gerechnet. Nur deswegen hat er Kummer, wegen den ständigen Streitereien seiner Eltern. Er wusste, das seine Eltern sich immer schlechter Verstanden. Erst fing es damit an, das sie sich immer öfter wegen lächerlichen Kleinigkeiten Stritten. Doch dann wurde es immer heftiger. Sie wurden lauter und schriller. Er erinnerte sich noch vorhin an das Gesicht seines Vaters, ein Blick der ihn Angst machte und Tränen in den Augen verursachte. Den panischen, aber auch wütenden Blick seiner Mutter, die ihn anfleht, sich zu beruhigen, wegen der Kinder. Sein Vater schlug oder trat gerne gegen Gegenstände wenn er wütend war und gelegentlich landete mal eine Vase auf dem Boden. Doch als er in das Zimmer seines Bruders hineingehen wollte, der wie immer, weinend und voller angst, sich dort in seinen Bett zusammengekauert hatte, lief er durch den Flur und blickte ins Wohnzimmer. Er weitete seine Augen, als er die kaputten Gläser, Lampen, Vasen und den Umgeworfenen Tisch sah. Die Stühle waren ebenfalls umgekippt und es lagen viele Scherben auf dem Boden. Das Wohnzimmer war völlig verwüstet. Seine Eltern standen sich schweigend gegenüber, mit leeren Blicken. Er wusste, dass sein Vater seine Mutter nie Schlagen würde, aber seine Worte verletzten sie wie ein Messerstich. Ja, das konnte er schon öfter an ihrem Blick erkennen. Seine Eltern liebten sich schon lange nicht mehr und er verstand nicht, warum sie immer noch zusammen lebten. Er verstand nicht einmal den Grund, warum sie streiten. Möglicherweise wegen seinem kleinen Bruder oder wegen dem Geld, obwohl letzteres wahrscheinlicher schien. An die Zeit, an denen sich seine Eltern noch verstanden haben, konnte er sich kaum erinnern. Auch wenn er seine Eltern liebte, so wünschte er sich, sie würden sich endlich scheiden lassen. Er ging mit gesenktem Kopf in das Zimmer seines kleinen Bruders, der zusammengerollt in seinem Bett lag und schluchzte. Er ging mit langsamen Schritten auf ihn zu und schüttelte sanft seine Schulte. Der Kleinere blickte zu ihm auf und es brach ihm das Herz, als er wieder seine verheulten Augen sah. Er beugte sich zu ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Kleinere fing an zu lächeln, stand auf und beide gingen so schnell wie möglich raus, weg von diesem Ort, den er Zwangweise sein „Zuhause“ nennen musste. Jetzt waren sie hier, in ihrem vertrauten Wald, in dem sie immer flüchteten, wenn es Zuhause wieder so unerträglich laut wurde. Nun saßen sie hier, auf dem großen Baum. Er hatte das Versprechen, das er seinem Bruder zugeflüstert hatte, wahr gemacht. Sie sind gemeinsam zum ersten Mal auf einen Baum geklettert. Und konnten ihr Zuhause noch besser erblicken. Ihr wahres Zuhause. An diesem Ort war alles still, friedlich und wunderschön. Obwohl alles hier so unterschiedlich war, lebten hier alle in Einklang und Harmonie. Wenn seine Eltern dies auch nur könnten…. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als sein Bruder seinen Namen rief und stärker an seiner Kleidung zupfte. Er lächelte ihm zu und deutete mit seinem Kopf nach unten. Sein kleiner Bruder nickte und so kletterten beide wieder schweren Herzens runter. Das Gewitter kam immer näher und sie beobachteten, wie die schwarzen Wolken immer dichter zusammenrückten. Sie rannten aus dem Wald raus. Sie hörten die Stöcke unter ihren Schuhen knacksen. Ihr Atem wurde immer schwerer. Sie wussten nicht warum sie rannten, denn bisher hatte es noch nicht geblitzt und alles schien ruhig. Der ältere Bruder konnte nicht anders als nach hinten zu sehen. Er musste seinen Blick noch einmal auf sein Zuhause richten. Als hätte er schon eine Vorahnung. Als wenn er bereits wüsste, das er das letzte mal hier sein würde. Diese Erinnerung, nur durch den Dreck an seiner Hand, hervorgerufen. Nun stand er hier, alleine, älter und doch voller Heimweh. Sein Zuhause befand sich um ihn herum und trotzdem vermisste er es schrecklich. Als seine Mutter ihm damals gesagt hat, dass dieser Wald bald abgeholzt wird, um Siedlungen zu Bauen, ist für ihn eine Welt zusammengebrochen. Seine Welt, die Welt von seinem Bruder und ihm. Seine Mutter erklärte ihm, das Veränderungen im Leben normal seinen. Nichts blieb ewig und das der Wald abgerodet wird, hat auch etwas positives. Es wird eine neue Heimat für viele Menschen geben. Doch er schüttelte nur ungläubig den Kopf. Der Wald war bereits eine Heimat für Jemanden. Für Jemanden, der ein zuhause Dringend brauchte… Im Wald war er immer willkommen. Hier in diesem Haus war alles bitter und kalt, selbst im Sommer. Im Wald war alles bunt und fröhlich gewesen. Das Wasser des Sees, war immer kühl und erfrischend, er und sein Bruder hatten im fast den ganzen Sommer hier verbracht und kamen nur zum Schlafen nach Hause. Seine Mutter war natürlich unheimlich wütend, auch wenn der Wald in der Nähe von ihrem Haus lag. Ihm war auch bewusst, warum seine Mutter so viel von Veränderungen sprach. Die Abholzung des Waldes hatte sie wohl zu einem Neuanfang inspiriert. Und so ließ sie sich von ihrem Ehemann Scheiden, zog schließlich mit ihren Söhnen aus und ließen ihre alte Heimat hinter sich. Es war für ihn eine Schmerzhafte Erfahrung. Auch wenn die Streitereien aufhörten und sie ein neues Leben in einer neuen Stadt begannen, hatte er das Gefühl, das irgendwas Fehlte. Er schüttelte den Kopf. Er ging vom Baum weg und beschloss nach den Kindern zu suchen. Da sie ja nicht gerade leise spielten, fand er sie schließlich. Er sah wie sie unter einem Baum auf den Boden hockten und wie er selber ein hübsches Ahornblatt aufhob. Die beiden Brüder lächelten sich an und liefen weg. Er sah ihnen nach und sie wurden immer verschwommener und verschwommener… Das waren seine Erinnerungen an die letzte Nacht, die mit Sekunden immer wurden. Was für ein seltsamer Traum… Er blickte sich um. War er in seinem Zimmer? Es war stockfinster und er hörte das Rauschen des Windes. Er machte das Licht an und sah, dass er in seinem Zimmer war. In seinen angeblich neuen Zuhause. Enttäuschend seufze er. Er setzte sich auf und sah zum Fenster. Plötzlich sah er, wie etwas hineingeweht wurde. Es landete auf seiner Bettdecke. Er blickte überrascht auf das Objekt vor ihm. Er nahm es in die Hand und lächelte. Das hübsche Ahornblatt war unversehrt, genau wie die Erinnerungen an seine alte Heimat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)