Hell called Home von Raschka ================================================================================ Kapitel 7: Hoffnungslos Verlorene, die noch immer suchen -------------------------------------------------------- Die Minuten, die verstrichen, bis das Klingeln an der Haustür mich endlich aus meiner Nervosität riss, waren wohl die längsten meines Lebens gewesen. Die ganze Zeit schmunzelte Aryn angesichts meines Verhalten, doch sie schwieg und spielte mit mir unser Trinkspiel, das eine lange Tradition besaß. Aber heute konnte ich mich nicht so recht konzentrieren, ein Umstand, der Aryns Siege auszeichnete. Nach einigen Spielen, die ich fast allesamt verloren hatte, ertönte dann jedoch endlich die Türklingel. Sofort schlug mein Herz erneut rasend in meiner Brust, gleichzeitig verfluchte ich mich. Dass ich so für Alec empfand, trotz der kurzen Zeit, die ich ihn erst kannte, mehr schlecht als recht, ehrlich gesagt, machte mich wahnsinnig. Wahnsinnig glücklich und verrückt. Ich stand auf, als Aryn die Würfelbecher und die Würfel zusammenräumte und auf den Stammplatz auf die Ecke der Fensterbank stellte. Mir war der Weg zur Tür indessen unglaublich endlos erschienen, bis ich schließlich vor ihr stoppte und sie öffnete - und direkt in Alecs blaue Augen starrte, die mich - wieder einmal - in ihren Bann schlugen. Sie funkelten mich amüsiert an, da ich einfach nur vor ihm stand und ihn anstarrte. "Darf ich dann auch reinkommen?", fragte er mich belustigt und lächelte leicht. Endlich aus meinen Gedanken gerissen, trat ich beiseite und ließ ihn in Aryns Haus, nicht ohne ihm hinterher zu sehen, als er auf Aryn zuging, die nun ebenfalls gekommen war, um ihn zu begrüßen. Er umarmte sie kurz und flüsterte ihr irgendetwas ins Ohr, wobei Aryns Lächeln verblasste und sie für einen Moment betrübt aussah, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Ich konnte nur vermuten, dass es irgendetwas mit mir zu tun hatte. "Noch keine Kekse fertig?" Aryn stemmte die Hände in die Hüften und blieb auf dem Weg zur Küche stehen, ihre Stimme war gespielt empört, als sie erwiderte: "Göttliche Kekse brauchen ihre Zeit und viele Helfer. Meinst du wir bedienen dich einfach so?" Ich lächelte und schüttelte den Kopf, schlängelte mich an beiden vorbei, zumindest versuchte ich es, denn meine beste Freundin packte mich und stellte mich vor sich, die Arme von hinten um mich geschlungen. Alec zog die Augenbrauen hoch und wollte wissen: "Auch Engel können keine Wunder vollbringen, was?" Ich schnaubte, schnappte dann aber fassungslos nach Luft, da Aryn hinter mir entgegnete: "Jinx ist dein Engel, nicht ich." Sie grinste breit, ließ mich los und zwinkerte ihm kurz zu, ehe sie weiter Richtung Küche marschierte. Ich verzog eine Miene und starrte Aryn nachdenklich hinterher, lächelnd über ihren Witz, doch gleichzeitig auch unsicher. Ein Seufzen entfuhr mir, nachdem ich beschlossen hatte, die ganze Situation hinzunehmen und so wehrte ich mich auch nicht, als Alec seine Arme um meine Hüfte schlang, seinen Kopf auf meiner Schulter ruhend, sodass sein warmer Atem über mein Ohr strich, währenddessen er murmelte: "Also Engelchen, welche Kekse hältst du für mich bereit?" "Noch gar keine. Du musst schon helfen.", grinste ich und löste mich sanft aus seinem Griff, ließ seine Hand jedoch nicht los, sondern zog ihn weiter in die Küche, wo Aryn bereits wartete, um mir eine Handvoll Mehl ins Gesicht zu pusten. Ich protestierte, wohl keine gute Idee, da mir der feine Staub in die Luftröhre flog und ich erst einmal durch einen Hustenanfall ausgeschaltet war. Alec reichte mir meine Teetasse, deren Inhalt mittlerweile kalt war, und verteidigte sich gegen meine beste Freundin.Mein Husten wurde durch ein Lachen abgelöst, wodurch Alec einen Moment perplex war und sich zu mir umdrehte. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, ein einzigartiges Lächeln, das ich öfter an ihm sehen wollte, weil es echt war und nicht dieses verschmitzte, was er immer zur Schau stellte. Meine beste Freundin nutzte den Augenblick jedoch aus und strubbelte ihm von hinten eine handvoll Mehl in die Haare. Alec drehte sich nicht zu ihr um, verzog jedoch eine Miene und hob die Hände. "Schon gut, schon gut, ich geb ja auf. Wo kann ich helfen?" Eine Stunde und eine Aufräumaktion, die dank Alec schnell erledigt war, saßen wir an dem großen Küchentisch und sahen den Plätzchen im Ofen zu, die schon die typische Farbe American Cookies angenommen hatten. Ich saß neben Alec und wurde das Gefühl nicht los, von ihm beobachtet zu werden. Aryn lächelte die ganze Zeit schon so merkwürdig, trank jedoch schweigend ihren neu aufgebrühten Tee, während ich auf einen verzichtet hatte. Ich hatte Alec und mir lieber einen Kaffee gemacht, nachdem sich herausgestellt hatte, dass er ein fast genauso großer Koffeein-Junkie war wie ich, seitdem hatte meine beste Freundin mit ihrem Lächeln nicht aufgehört. Wenn auch in mir ein unordbares Chaos herrschte und in fast jedem Schulfach kläglich versagte, so war ich in Mathematik jedoch ganz gut. Gut genug um eins und eins zusammenzuzählen und zu bemerken, dass Aryn Verkluppungsversuche hegte und ich nicht vollständig abgeneigt war, sie zu erfüllen. Na ja, ich war nicht vollständig abgeneigt, kam einer Zustimmung ganz nahe, dennoch reichte es für mich nicht. Nicht nachdem ich all das Blut hatte sehen müssen. Es ließ sich von meinen Händen waschen. Nicht von meiner Seele. Ich drehte mich zu Alec um und erwiderte seinen Blick. Hatte ich also Recht behalten. "Aryn schmier dir dieses Grinsen aus dem Gesicht und du, Alec....ach verdammt, beobachte meinetwegen....", begann ich ärgerlich und mittlerweile ohne Geduld mehr, endete aber jedoch fassungslos. Denn das was ich hatte sagen wollen, blieb mir im Halse stecken, als ich die Verwüstung, die der Schnee draußen angerichtet hatte, bemerkte. Oh, verdammt, das war ÜBERHAUPT GANZ UND GAR NICHT GUT!!! "Die schöne Landschaft vor dem Fenster? Also ich weiß nicht, die blockierten Straßen und der hüfthohe Schnee ist nicht so meins.", erwiderte Alec ruhig und lächelte belustigt. Aryn seufzte und erhob sich, um aus der Küche zu gehen, nicht ohne über ihre Schulter zu rufen: "Alec, du wirst hier wohl übernachten müssen. Ich hol dir eine Matratze und Decken. Du Schnucki, du kannst natürlich bei mir im Bett schlafen." Ein Augenzwinkern und weg war sie. Und ließ mich mit Alec, meiner personifizierten Ursache all des Chaos, allein. Alec konnte nicht hier schlafen. Nicht bei...ruhig. Ich durfte nicht, ich wiederhole Gehirn, ich darf nicht die Nerven verlieren. Gefühle hatte ich für eine sehr lange Zeit nicht mehr gespürt, hatte sie tief im Schnee begraben, in der Hoffnung, dass sie nie wieder ausgescharrt werden würden. Ich war keine starke Persönlichkeit wie Aryn oder Alec, die beide noch scheinbar unberührt durch das leben liefen, emotional und unerschütterlich. Ich war schwach und hatte Angst vor Schmerzen, flüchtete lieber vor ihnen. Mit einem Seufzen schloss ich die Augen und verbannte die unliebsamen Gedanken, bevor ich aufstand und Alec ansah, der sich bereits von dem Schneetreiben wieder mir zugewandt hatte. Mit erschöpfter Stimme sagte ich zu ihm: "Ich zeig dir das Badezimmer und bring dir später ein paar Klamotten vorbei. Kekse gibt's danach." Bereitwillig folgte Alec mir durch Aryns Haus, schweigend. Doch es war eine angenehme Art des Schweigens, einvernehmlich und leicht, nicht drückend und belastend, darüber war ich froh. So hing jeder seinen eigenen Gedanken nach, meine schweiften - wie so oft in letzter Zeit - zu ihm. Dass ich Gefühle für ihn hatte, war mittlerweile unleugbar geworden, ich führte mich ja schon beinahe wie ein hysterischer Teenager auf. Unklar war nur, wie es weitergehen sollte. Eine Frage, die sich auf mein ganzes Leben erstreckte. Ein Leben voller Gefühle. Was wollte ich? Vor der Badezimmertür gab ich ihm ein Zeichen und verschwand eben in den Vorraum, um ihm im Schrank zwei Handtücher zu suchen, die ich ihm in die Hand drückte und ihn mit den Worten: "Shampoo und Duschgel findest du im ersten Regal des kleinen Schranks." verließ. Die Kekse warteten und drohten, zu verbrennen und das musste ich bei Gott verhindern. Einen Moment fühlte ich mich glücklich. Mit den alltäglichen Problemen und Sorgen normaler 17-Jähriger konfrontiert, dem Gefühl, verliebt zu sein, und mit einer sehr guten Freundin gesegnet, mit der ich hätte alles Leid der Welt ertragen hätte können. Es brauchte nicht das Leid der Welt. Der Tod hat vollkommen gereicht. Ich kam gerade noch rechtzeitig, um die Kekse aus dem Backofen zu retten. Aber ich konnte nicht sagen, ob Alec auch noch rechtzeitig gekommen war. Ich wusste es nicht. Aryn tauchte nun ebenfalls hinter mir auf - der köstliche Keksgeruch musste sie hergelockt haben - und stibitzte sich direkt einen. Genüsslich verspeiste sie den noch warmen Keks, während ich die übrigen in eine Dose schüttete und den Backofen ausschaltete. Meine beste Freundin sah mir eine Weile zu, ehe sie schließlich das Schweigen brach: "Er ist pünktlich gekommen." Ich wusste, was Aryn eigentlich meinte. Sie scherte sich einen feuchten Kehricht um Pünktlichkeit bei einem Menschen - zumal sie selbst häufig zu spät zu irgendwelchen Verabredungen kam - und normalerweise waren ihr andere Menschen ebenfalls nicht sehr wichtig. An der Schule hatte sie einen Ruf aufgebaut, der es ihr erlaubte, so zu sein, wie sie eben war. "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.", war alles was ich erwiderte. "Vertraust du mir?" Ich schnaubte und verdrehte die Augen, doch ihr war es anscheinend ernst, denn sie verzog keine Miene. Mit einem Seufzen antwortete ich nach einigen Sekunden Schweigen: "Ja." Damals als ich Jiffa hinterhergelaufen war, auf das dünne Eis und eingebrochen war, ich hatte keine Angst gehabt, denn ich wusste, dass Aryn kommen und mich herausziehen würde. Als ich mit zehn Jahren Klippenspringen ausprobiert hatte, hatte ich keine Angst gefühlt, weil ich wusste, dass Aryn noch vor dem Notarzt da sein und mich retten würde. Und nachdem meine Eltern mich das erste Mal mit acht Jahren rausgeworfen hatten, weinte ich nicht, da ich wusste, Aryn würde mich auffangen. Nie in meinem Leben hatte ich an ihr gezweifelt. Sie lächelte, das Lächeln, das schon immer mir gegolten hatte und nie einer anderen Person, als sie sagte: "Spring." Mit einem kurzen Grinsen, das mir eher schlecht als recht gelang, ging ich aus der Küche, um in Aryns Zimmer nach ein paar meiner Sachen zu suchen, die ich seit meinem ersten Rausschmiss immer bei ihr deponiert hatte. Sicher war sicher. Ich suchte nach meiner alten, schwarzen Jogginghose, die ich prompt fand und nach einem nicht figurbetonten Oberteil ohne Ausschnitt oder extravaganten Kleinigkeiten, sondern schlicht gehalten. Das gestaltete sich ein wenig schwieriger, aber unmöglich war es nicht. Acht Minuten später stand ich im Vorraum des Badezimmers und wollte Alec den Stapel vor der Tür ablegen, als dieser die Tür öffnete und hinaustrat. Ich hielt den Atem an. Er hatte sich nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen, sein Oberkörper war frei und seine Haare noch nass. Seine unglaublich blauen Augen besaßen so eine Intensität, dass ich mich nicht bewegen konnte. Er hatte anscheinend nicht mit mir gerechnet - zumindest nicht direkt vor der Tür des Badezimmers -, denn seine Augen weiteten sich leicht, bis er schließlich schief lächelte und mir die Klamotten abnahm. Dennoch rührte ich mich nicht, wenn auch jetzt wegen einem vollkommen anderen Grund. Die roten Striemen auf seinen Unter- und Oberarmen. Ich senkte den Blick. Natürlich hatte ich es gewusst. Und dennoch war es wie ein Schlag ins Gesicht, immer wieder erfahren zu müssen, dass wir beide anders waren, anders und verloren. Weil wir uns selbst bereits aufgegeben hatten. Ohne ein Wort drehte ich mich um und rannte förmlich in Aryns Zimmer, wo ich mich auf das Doppelbett warf und in den schwarzen Nachthimmel starrte. Ich bemerkte die Tränen erst, als sie leise neben mir auf die Decke tropften, lautlos und leicht, doch tonnenschwer auf meiner Seele. Wieder stellte ich fest, dass ich machtlos gegen meine Vergangenheit war. Hoffnungslos Verlorene, die trotzdem noch immer suchten. 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