Amnesie von Ruki-chan_ ================================================================================ Kapitel 1: one -------------- Die Sonne schien und keine einzige Wolke bedeckte den Himmel. Ich hatte mir wirklich den besten Tag zum – „Aoi? Hey, noch anwesend?“, Kai fuchtelte wild mit der Hand vor meinem Gesicht, so dass ich zurück zuckte. „Weißt du, wo Uruha bleibt?“ Ich sah ihn erst perplex an, bevor ich auf die Tür des Cafés deutete, durch die gerade der Brünette stolzierte. Mit einem charmanten Lächeln ließ er sich neben mir nieder. Ja, sein Lächeln war wirklich wunderschön. „Oh, ihr habt schon ...?“, meinte Uruha, als er sah, wie unsere Bestellung gebracht wurde. „Wir wussten ja nicht, wann du kommst, deswegen …“, versuchte Kai sich zu rechtfertigen, doch Uruha winkte ab. „Kein Problem, ich geh’ mir mal was holen.“ Damit verschwand er zum Tresen. Ich sah ihm nach. Fiel das nur mir auf oder hatte Uruha sich heute besonders hübsch gemacht? Es war doch nur ein Frühstück unter uns Freunden, da musste man sich doch nicht so rausputzen, oder? Nicht, dass er mit Make-up nicht schön aussah, aber mir gefiel die Natürlichkeit eines Menschen viel mehr. Ich griff nach meiner Tasse und trank einige Schlucke Kaffee um wach zu werden. „Und du willst wirklich nichts essen?“ Reita sah mich skeptisch an und biss von seinem Brötchen ab. Ich schüttelte den Kopf. „Solange ich meinen Kaffee und meine Zigaretten habe, reicht mir das.“ „Dann brauchen wir uns also nicht mehr wundern, warum du morgens immer so schlechte Laune hast. Die hätte ich auch, wenn ich nichts im Magen hab’.“ Ich streckte Kai die Zunge raus und griff nach meinen Zigaretten, holte eine aus der Packung. „Du darfst hier nicht rauchen.“ Ich sah hoch in Rukis grinsendes Gesicht. Ach, Mist! Wir saßen ja nicht im Raucherbereich. Murrend steckte ich sie also zurück in die Schachtel, als Uruha sich auch schon wieder mit Kaffee und Toast neben mich setzte. „Und was habt ihr heute noch vor?“, fragte ich einfach in die Runde, damit keine unangenehme Stille entstand. „Ich muss an meiner Maschine arbeiten, die macht komische Geräusche, wenn ich aufs Gas trete.“ Reita schob seinen leeren Teller von sich und schien schon in Gedanken alle möglichen Theorien durchzugehen. „Kein Wunder, wenn du immer mit 180 durch die Straßen donnerst.“ Ruki schüttelte verständnislos den Kopf, doch Reita grinste nur. „Neidisch?“ „Ich werd’ meiner Mutter helfen“, unterbrach Kai schnell das Thema, bevor es wieder ausartete. Das hatten wir schon einmal. Ruki hatte mit Reita gewettet, wer schneller den Führerschein bekommen würde. Und obwohl Ruki genau wusste, dass er unter Druck keine Prüfung bestehen würde, hatte er angenommen … und ist durchgefallen. Beim zweiten Versuch bestand er schließlich auch, aber durfte er sich seitdem immer Kommentare von Reita anhören, sobald es um Autos und Motorräder ging. „Was macht ihr denn?“ Uruha sah interessiert zu Kai und biss von seinem Toast ab. „In ihrer Firma findet morgen eine große Feier statt und ich helfe ihr bei den Essensvorbereitungen.“ Sein Grinsen war mal wieder unschlagbar. „Du und kochen“, Reita rollte mit den Augen. „Ich helfe doch nur!“ „Es hat auch niemand etwas gesagt, Kai. Und es ist doch schön, wenn du ihr hilfst und es dir auch noch Spaß macht.“ Ich lehnte mich zurück und trank einen weiteren Schluck. „Und du?“ Ich sah zu Uruha, der immer noch an seinem Toast knabberte. „Ich? Hm, ich wollte wahrscheinlich in den neuen Laden, der heute aufmacht. Ähm, möchtest du vielleicht mitkommen …?“ Bildete ich mir das wieder nur ein oder wurde Uruha gerade ein wenig rot? … Sicher nur das Licht. „Tut mir leid, aber ich hab’ auch schon was vor.“ Ich lächelte entschuldigend. Die anderen sahen mich an. „Was willst du denn machen?“ „… Surfen.“ Reita stöhnte genervt. „Wie jedes Wochenende …“ Ich sah ihn an. „Ich war schon seit drei Wochen nicht mehr am Meer.“ „Darf ich mitkommen?“, hörte ich Uruha leise fragen und auch Ruki sah mich bittend an. „Eigentlich wollte ich allein gehen. Den Kopf frei kriegen. Wie wär’s, wenn ihr beide zusammen shoppen geht?“ Ruki nickte und auch Uruha schien einverstanden. Na, bitte. Problem gelöst. „Gut, ich muss dann los, Leute.“ Kai stand auf. „Ich auch.“ Reita erhob sich. „Wir bleiben doch noch ein bisschen, oder?“ Ruki sah zu Uruha, der nur wortlos nickte und sich den letzten Bissen von seinem Toast in den Mund steckte. Ich verabschiedete mich auch von den beiden und wuschelte Ruki durch die Haare. Er grinste, jeden anderen hätte er jetzt lautstark die Meinung gegeigt. Nur ich durfte das und das machte mich wirklich glücklich. Ich schloss die Augen und atmete tief die Meeresluft ein. Es war noch Vormittag und die Sonne schien knallend heiß vom Himmel, doch ich konnte niemanden außer mir sehen. Umso besser … ich mochte es nicht, wenn man mich beim Surfen beobachtete. Ich wollte lieber allein sein dabei und meinen Gedanken nachhängen … Eilig nahm ich das Surfbrett und ging auf das Meer zu. Ich hatte wirklich Glück. Heute herrschte hoher Wellengang. Ich legte mich auf das Brett und paddelte hinaus. Lange musste ich nicht auf eine gute Welle warten. Ich hockte mich hin, behielt das Gleichgewicht und ließ mich mitreißen. Ja, so liebte ich das. Die Welle wurde höher und ich spürte das Adrenalin durch meine Adern rasen. Dieses Gefühl von Freiheit durchflutete meinen Körper. Doch leider verschwand es wieder zu schnell, je näher ich dem Strand kam und die Kraft der Welle abnahm. Ich setzte mich auf das Brett und ließ mich die letzten Meter treiben, bis ich den Sand unter meinen Füßen spürte. Ja, das hatte ich vermisst. Reita konnte da noch so viel seiner Kommentare abgeben, ich liebte das Surfen und das würde sich auch nie ändern. Ich legte mich wieder auf das Brett und paddelte erneut hinaus. Kaum eine Minute später stand ich wieder und ließ mich nach vorn tragen. „Aoi!“ Ich sah hoch, zum Strand. Jemand sprang aufgeregt herum und wedelte verrückt mit den Armen. Die Sonne schien mir direkt ins Gesicht, sodass ich denjenigen nicht erkennen konnte. Aber so, wie er oder sie wild umher sprang, musste es wohl wirklich wichtig sein. Ohne auf die nächste Welle zu achten, surfte ich weiter. Großer Fehler. Die Welle war höher, als ich erwartet hatte und nur wenig später begrub sie mich unter sich und ich verlor das Gleichgewicht. Ich spürte einen dumpfen Schlag auf meinen Hinterkopf, als das Surfbrett dagegen knallte. Dann wurde alles schwarz … „-in! Nein! Mach’ die Augen auf!“ Ich blinzelte, konnte verschwommen ein Gesicht über mir erkennen. Es kam mir bekannt vor … „Aoi-chan. Bitte, du musst wach bleiben!“ Weinte er? Warum? Kannte er mich? „Ich liebe dich doch. Wir sind doch erst ein paar Wochen …“ Was? Ich kniff die Augen zusammen, als ein unglaublicher Schmerz meinen Körper durchzog. Mein Kopf brannte und mir wurde schwindlig. „Nein! Lass’ die Augen offen! Aoi! Hey!“ Ich schloss die Augen, ich war plötzlich so müde … Ein gleichmäßiges monotones Piepen weckte mich. Ich blinzelte einige Male, bevor ich meine Augen vollständig aufschlug. Wo war ich? Mein Kopf drehte sich nach links. Ein schmaler Schrank stand in der Ecke. Ich hob meine Hand, als ich ein unangenehmes Pochen an meiner Stirn und meinem Hinterkopf spürte. Doch etwas hinderte mich daran, meinen Arm vollständig zu heben. Ich sah an mir herab. An meinem Finger steckte eine Art Klammer, die an eine Maschine angeschlossen war. Da kam also dieses Piepen her. Das Pochen wurde stärker und ich fuhr mit der anderen Hand über meine Stirn. Doch statt meiner Haut spürte ich nur rauen Stoff. Erschrocken riss ich die Augen auf und wollte mich aufsetzen, als ich von zwei Händen wieder zurück gedrückt wurde. „Oh, wie schön. Sie sind wach“, ertönte eine freundliche Stimme und ich sah in das lächelnde Gesicht einer jungen Frau. „Bitte bleiben Sie noch liegen. Ich hole schnell einen Arzt.“ Ich hob fragend die Augenbrauen, aber die junge Frau lief schon eilig zur Tür. „Warte“, wollte ich rufen, doch meine Stimme war nur ein leises Krächzen. Ich sah mich um. Ein kleiner Raum mit weißen leeren Wänden. Nur an der Tür hing ein großer Plan. Von hier konnte ich allerdings nichts Genaueres erkennen. Neben dem Bett stand ein kleiner Tisch mit einer Blumenvase – ohne Blumen. Daneben lagen Unmengen an verschieden, farbigen Verpackungen. Tabletten? Wo war ich denn hier gelandet? In meinem Kopf herrschte noch eine große Leere. Ich war doch gestern mit Freunden unterwegs gewesen, wir sind ins Kino und danach in unsere Stammkneipe. Hatte ich vielleicht mit dem Alkohol etwas übertrieben? Aber es war doch nie so schlimm gewesen, dass ich ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Zumindest konnte ich mir vorstellen, dass es hier ein Krankenhaus war. „Guten Morgen“, eine tiefe Stimme ließ mich hochsehen. Ein junger Mann stand vor dem Bett und musterte mich aufmerksam. „Mein Name ist Kobayashi. Ich bin ihr behandelnder Arzt.“ Er hielt mir seine Hand entgegen, nach der ich vorsichtig griff. „Shiroyama Yuu“, antwortete ich mit meiner krächzenden Stimme. Sofort blätterte Kobayashi an seinem Klemmbrett und notierte sich eilig einiges. Ich fasste mir an den Hals. Ob ich nach etwas zu trinken fragen sollte? Auf dem Gang hörte man das leise Geräusch von herannahenden Schritten, bis sich die Tür öffnete und die junge Frau von eben mit einer großen Wasserflasche und einem Becher eintrat. Ich lächelte dankend, als sie mir den Becher entgegen hielt und ich ihn eilig leerte. „Das ist Frau Nakamura. Wenn Sie irgendwelche Fragen oder Probleme haben sollten, wenden Sie sich bitte an sie.“ Sie sah verlegen zur Seite und ich nickte nur. „Könnten Sie mir sagen, welches Jahr wir haben.“ Ich sah Kobayashi verwirrt an. Warum wollte er das wissen? „2007“, meinte ich. Er hob erstaunt die Augenbraue, bevor er sich wieder etwas notierte. „Und wie alt sind Sie?“ „21.“ Das hätte er auch auf meinem Ausweis nachsehen können. Den haben sie sich doch sicher angesehen, als ich hierher gebracht wurde. „Und woher kommen Sie?“ „Mie. Aber warum wollen Sie das alles wissen?“ Er steckte den Kugelschreiber an das Klemmbrett und sah mich ernst an. „Sie hatten einen Unfall.“ Meine Augen weiteten sich und ich spürte wieder das Pochen an meiner Stirn. „Ein … Unfall?“, flüsterte ich. „Sie haben sich beim Surfen den Kopf an ihrem Surfbrett angeschlagen. Sie können von Glück reden, dass gerade ein Freund von Ihnen vor Ort war und Sie vor dem Ertrinken gerettet hat. Allerdings … wir vermuten, der Schlag auf den Hinterkopf hat eine Amnesie ausgelöst. Genaueres werden wir erst durch die Tests erfahren.“ Ich sah Kobayashi lange an. Das konnte doch gar nicht wahr sein. Ein Unfall … beim Surfen? Ich konnte doch nicht einmal surfen! Fassungslos sah ich den Arzt an. „Ihre Reaktion ist völlig normal“, meinte er und sah auf sein Klemmbrett. „Draußen sitzen Ihre Freunde. Wenn Sie das möchten, kann ich sie reinlassen. Vielleicht können Sie dadurch schon grobe Erinnerungen zurückholen.“ Ich krallte mich in die Bettdecke und zuckte mit den Schultern. Ob Tadashi und die anderen mir wirklich helfen konnten? Wir kannten uns immerhin schon seit der Junior High. „Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen. Ich richte den anderen aus, dass Sie noch Ruhe benötigen.“ Kobayashi drehte sich und ging zur Tür. „Nein“, er blieb stehen, „lassen Sie sie rein.“ „Oh Gott, Aoi! Geht es dir gut? Wir haben uns solche Sorgen gemacht, vor allem Ich!“ Stürmisch wurde ich in eine innige Umarmung gezogen. Unsicher drückte ich den anderen von mir und betrachtete ihn. Die braunen Haare fielen ihm ein wenig ins Gesicht. Er lächelte mich an und ich konnte ein Grübchen an seiner rechten Wange erkennen. Er war wirklich hübsch. „Du bist nicht Tadashi. Wer bist du? Und wer ist Aoi?“ Für einen Moment entglitten ihm alle Gesichtszüge, ehe er traurig lächelte. „Du erinnerst dich also wirklich nicht mehr.“ Was hatten denn alle? Ich konnte mich sehr wohl an alles erinnern! Außer vielleicht was nach der Sauferei mit Tadashi gestern Abend passiert ist und wie ich ins Krankenhaus kam. „Ich bin Kai, eigentlich Yutaka Uke, aber bitte bleib’ bei Kai. Wir kennen uns schon fast vier Jahre und sind auch ziemlich gut befreundet.“ Wahrscheinlich hatte er meinen verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkt, denn er unterbrach sich selbst und lächelte aufmunternd. „Du glaubst mir nicht, oder?“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, irgendwie konnte ich ihm das alles nicht abnehmen, sie verarschten mich doch alle nur. „Ich kann dir nur sagen, was ich über dich weiß, damit du mir glaubst, dass ich dich wirklich kenne.“ Das war vielleicht gar keine so schlechte Idee. Als Fremder oder Bekannter könnte er höchstens noch meine Adresse kennen. Ich nickte und sah ihn erwartungsvoll an. „Du heißt Shiroyama Yuu, bist 26 Jahre alt –“ Ich schüttelte den Kopf und unterbrach ihn. „Ich bin 21.“ Kai sah mich an. „Du bist Anfang diesen Jahres 26 geworden. Wir haben 2012, du kannst unmöglich 21 sein.“ … 2012? Das ging doch gar nicht, das war nicht möglich. Kai nahm eine Zeitschrift vom Tisch und hielt sie mir hin. Ich sah auf das Datum oben rechts … 22. Juli 2012. Wie erstarrt blickte ich auf die vier Ziffern. Das war alles kein Witz oder blöder Scherz mehr. Ich hatte wirklich mein Gedächtnis und Erinnerungen verloren. Der letzten fünf Jahre. Ich hatte das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Panisch sah ich zu Kai. Er lächelte und griff nach meiner Hand. Und das allein reichte, mich zu beruhigen. Kai strahlte einfach eine innere Ruhe aus. Ich atmete tief durch. „Vier Jahre also?“ Er nickte und erzählte mir von gestern. Wir hatten alle zusammen gefrühstückt, bis ich mich auf zum Strand gemacht hatte, um zu surfen. Ich wollte allein sein, hatte ich gesagt. Ja, das passte zu mir. Ich mochte es nicht, Zuschauer zu haben. „Wenn dich einer von uns nicht gefunden hätte - … ich will gar nicht daran denken.“ Einer von uns? „Wer denn?“, fragte ich. „Na –“ „Hey, Kai. Wir wollten auch noch mal mit Aoi reden.“ Von hier konnte ich nicht sehen, wer an der Tür stand. „Ja, Reita. Ich bin schon fertig. Tschüss, Yuu.“ Kai erhob sich und verließ das Zimmer. Dafür setzte sich nun jemand anderes an mein Bett. Die blonden Haare waren iromäßig gestylt und er trug ein Band über der Nase. Wollte er damit etwas verstecken und gehörte das zu seinem Style? „Schon blöd, was passiert ist.“ Häh? Das war jetzt nicht sein Ernst, oder? Schien ihn ja wirklich sehr zu treffen.. „Du erinnerst dich wirklich nicht an mich?“ Ich schüttelte den Kopf. „Gut, dann … Suzuki Akira, oder auch Reita.“ „Reita … das … passt zu dir.“ „War ja auch deine Idee.“ Ich legte den Kopf schief. „Hm?“ „Du hast dir einen Namen für mich ausgedacht und ich einen für dich.“ „Aoi? Kai nannte mich so.“ Er nickte. „Ja, Aoi. Blau, wie der Himmel oder das Meer … du hast es wirklich geliebt, zu surfen. Verdammt! Hättest du nicht wenigstens gestern auf mich hören können? Manchmal bist du so stur.“ Ich lächelte verlegen. Reita war cool, ich mochte seine Art und … gut aussehen tat er auch. „Ich mag den Namen. Er ist schön“, meinte ich und Reita lächelte. „Das freut mich. Damals hast du mir nur die Zunge raus gesteckt, als ich dir den Vorschlag gemacht habe.“ War ich wirklich so kindisch gewesen? „Und du erinnerst dich an gar nichts mehr?“, fragte Reita mich noch einmal. „Nein, also … ich kann mich noch genau an das erinnern, was ich gestern – ähm, gestern vor fünf Jahren, gemacht habe.“ Reita nickte. „Schade, wir beide sind jede Woche mit meinem Motorrad am Strand entlang gefahren.“ „Beim Sonnenuntergang?“ „Du erinnerst dich?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich bin schon immer gern am Strand bei Sonnenuntergang gewesen.“ Reita sah auf seine Hände und lächelte. Es war wirklich schön, sich mit ihm zu unterhalten. Er redete nicht wie aufgezogen und hörte mir auch aufmerksam zu. Das mochte ich. „Ich werd’ dann mal. Beeil’ dich, hier raus zukommen. Es ist langweilig, ohne dich zu fahren.“ Er stand auf und richtete seine Sachen. „Ich vermisse dich“, flüsterte er. Hm? „Was?“, fragte ich, um sicher zu gehen, dass ich es auch richtig verstanden hatte. Reita winkte nur ab und drehte sich um. „Tschüss, Aoi.“ Er zog die Tür leise hinter sich zu. Was war das denn für ein Abgang? Und warum vermisste er mich oder hatte ich mir das doch nur wieder eingebildet? Ob er mich mochte? Klar, sonst hätte er sicher nicht so gelächelt, als ich meinte, mir gefalle der Name. Aoi. Ja, das klang wirklich schön. Ich hätte nicht erwartet, dass er ihn sich überlegt hatte. Auf den ersten Blick kam er ziemlich hart rüber, aber zum Ende hin, wurde er ziemlich … schüchtern? Ich hörte das leise Geräusch der sich öffnenden Tür. Noch jemand? Gespannt sah ich auf die Ecke, um die derjenige gleich treten musste – und es verschlug mir fast den Atem. Er war vielleicht einen halben Kopf kleiner als Reita, aber seine Haare waren fast genauso blond. Etwas heller noch. Er hob den Kopf, sah mich unsicher durch seine Ponyfransen an. Ich glaubte, mein Herz setzte kurz aus, als sein Blick meinen traf. Und anscheinend tat es das auch, denn die Maschine unterbrach einen Moment ihren gleichmäßigen Rhythmus, um in einem schnelleren fortzufahren. Er sah kurz auf das Gerät und lächelte leicht, ehe er sich neben das Bett setzte. „Hi“, flüstere er leise. „Hey.“ Ich sah ihn an. Er war unglaublich hübsch. Die blasse Haut, die blonden Haare und diese unschuldigen braunen Augen. Ein Rotschimmer legte sich auf seine Wangen und er sah auf den Boden, als ich ihn anlächelte. Er war schüchtern. Doch das passte zu ihm und ließ ihn noch niedlicher wirken. „Wie heißt du?“, fragte ich ihn, als er keine Anstalten machte, sich vorzustellen. „Matsumoto … Takanori“, kam es leise von ihm und er studierte weiterhin eingehend den Boden. „Hast du auch einen Spitznamen? So, wie Reita und Kai?“ Er nickte. „Ruki.“ Beinahe hätte ich ihn nicht verstanden, er sprach wirklich leise. „Und … wo kommst du her?“ „Eigentlich aus Kanagawa“, ist seine Stimme gerade fester geworden?, „… aber vor fünf Jahren bin ich hier her – nach Mie gezogen. Mit Reita und Uruha.“ Fünf Jahre?! Warum konnte ich mich dann nicht an ihn erinnern? „Aber wir kennen uns erst seit ungefähr drei Jahren.“ Das erklärte natürlich alles. „Ich bin so froh, dass du nicht ertrunken bist.“ Waren das Tränen in seinen Augen? „Ich auch, ich bin doch noch viel zu jung, um zu Sterben.“ Er lächelte gequält. „Ruki? Reita wartet auf dich“, kam es von Richtung Tür. Ruki gab ein leises ‚okay’ von sich und ging zur Tür, ohne mich noch einmal anzusehen. Dafür trat jemand anderes in das kleine Zimmer. Ich riss die Augen auf und auch mein Herz raste wie wild. Man musste schon fast Angst haben, dass die Maschine gleich kollabierte. Er trug eine weiße Hose, die seine langen Beine betonte und ein weißes Tanktop mit einer ebenfalls weißen Weste darüber. Es kam einen Engel gleich. Ich war sprachlos. Mit einem wunderschönen Lächeln setzte er sich auf den Bettrand. „Takashima Kouyou.“ Er zwinkerte. „Oder Uruha.“ Ich konnte meinen Blick nur schwer von seinen Oberschenkeln abwenden, um ihn in die Augen zu sehen. Die Maschine piepte immer noch in einem unglaublich schnellen Ton. Mir war das unangenehm, doch Uruha schien das wenig zu interessieren. „Du erinnerst dich an keinen von uns vier?“ Ich schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid …“, ich drehte den Kopf weg. „Hey …“, er legte zwei Finger an mein Kinn, was ein angenehmes Kribbeln verursachte, und drehte mein Gesicht wieder zu ihm. „Das muss dir kein bisschen leid tun. Niemand ist an diesem Unfall Schuld. Und mit unserer Hilfe holen wir deine Erinnerungen schon zurück, okay?“ Ich nickte. Er war der Erste, der mich so aufbaute und mir ein wenig Mut und Hoffnung gab. „Und dein Freund?“ Ich sah ihn fragend an. „Erinnerst du dich an deinen Freund?“ „F-Freund?“ „Ja, deine Beziehung. Deine große Liebe.“ Ich war in einer Beziehung? Warum hatte mir das denn niemand erzählt?! Oh, ich würde sicher ein schlechter Freund sein, der sich an keine schönen Erlebnisse mehr erinnerte. „Wer ist es?“, fragte ich eilig. Uruha schüttelte den Kopf. „Ich kann es dir nicht sagen. Du solltest auf dein Herz hören, es wird dir den richtigen Weg weisen. Das ist der beste Weg.“ Er stand auf und verabschiedete sich mit seinem wunderschönen Lächeln. „Ruh’ dich jetzt aus und schlaf’ etwas.“ Ich sah ihm perplex nach. Wer von den vieren war denn nun mein fester Freund? _________________________ das nächste kapitel kommt voraussichtlich ende oktober, da ich ab dienstag in japan bin. groan of diplosomia! Kapitel 2: two -------------- Schon fast einen Monat lag ich hier nun im Krankenhaus. Die anderen hatten mich beinahe jeden Tag besucht, vor allem Kai machte sich anscheinend viele Sorgen um mich. Er erkundigte sich ständig nach meinem Zustand, brachte mir jedes Mal frische Blumen mit. Meistes wurden sie jedoch abends von der Stationsschwester abgeräumt und nicht mehr zurückgebracht. Dabei suchte Kai immer die schönsten Sträuße aus. Ich freute mich, sobald die Tür zu dem kleinen Zimmer geöffnet wurde und ich seinen braunen Wuschelkopf erkannte. Doch sobald er sein Grinsen zeigte, machte mein Herz einen Salto und ich wurde unruhig. Meine Wangen begannen zu glühen, wenn ich seinen Blick auf mir spürte und ich konnte ihm nicht mehr lange in die Augen sehen. Ob er vielleicht mein Freund war? Es deutete einiges daraufhin. Er war der Einzige, der mich täglich besuchte. Ruki war seit dem einen Mal vor knapp vier Wochen nicht mehr aufgetaucht. Außerdem war Kai der Einzige, bei dem mein Körper so stark reagierte. Ich fühlte mich einfach wohl in seiner Nähe. „Herr Shiroyama?“ Ich sah zum Bettende, an dem Schwester Nakamura stand und mich aufmerksam musterte. „Kobayashi-san möchte mit Ihnen reden.“ Ich nickte nur und hievte mich aus dem Bett. Die Platzwunde an meinem Hinterkopf war größtenteils schon verheilt und die wenigen Schrammen an meinen Armen waren auch kaum noch zu erkennen. Schwester Nakamura hakte sich bei mir ein, um mir Halt zu geben. Dabei brauchte ich diesen schon gar nicht mehr und ich glaube, dass wusste sie auch … Aber ich hielt meinen Mund und so begleitete sie mich bis zu dem Büro von Kobayashi. Ich bedankte mich lächelnd bei ihr, als sie plötzlich mit roten Wangen ins Schwesternzimmer zurückeilte. Ich klopfte leise an, bis die Tür schwungvoll geöffnet wurde. „Yuu!“ Kobayashi grinste mir entgegen und bat mich mit einer einladenden Handbewegung hinein. Ja, ich hatte ihm erlaubt, mich beim Vornamen zu nennen. Ich ließ mich auf einen der beiden Ledersessel nieder, die vor seinem Schreibtisch standen und wartete, dass auch er sich setzte. Doch stattdessen zog er sich den Stuhl neben mir heran und sah zu mir. „Ich habe deine Unterlagen durchgesehen und habe gute Nachrichten. Wir können dich heute entlassen.“ Ich hatte schon damit gerechnet, aber es dann wirklich zu hören, war wie befreiend für mich. Ich hatte nichts gegen Krankenhäuser, trotzdem war ich nur ungern in einem. Vor allem wenn es für längere Zeit war. „Ich habe schon deine Freunde informiert, sie werden dich nachher abholen.“ Ein wohliges Kribbeln stieg in mir auf, als ich daran dachte, dass ich Kai heute wieder sehen würde – und dieses Mal sogar mit ihm mitgehen konnte. Ich lächelte glücklich. „Du scheinst dich ja wirklich über die Entlassung zu freuen.“ Beschämt sah ich zu Boden. Es sollte nicht aussehen, als wäre ich froh, hier rauszukommen. „Aber ich habe auch weniger schöne Nachrichten. Die Tests und Untersuchungen haben bestätigt, dass eine Amnesie vorliegt. Du kannst dich an die gesamten letzten fünf Jahre nicht erinnern.“ Ich betrachtete weiterhin den Boden, wollte Kobayashi jetzt nicht in die Augen sehen. Es war grausam, dass ich alle Erinnerungen verloren hatte. Ruki, Uruha, die Motorradfahrten mit Reita und Kai … „Es gibt allerdings auch etwas Positives.“ Ich hob den Kopf und sah ihn an. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass im Laufe der nächsten Wochen wenige Bruchteile von Erinnerungen wiederkommen werden.“ „Wirklich?“ Gab es vielleicht doch noch einen kleinen Hoffnungsschimmer? Kobayashi nickte. „Mit der Voraussetzung, dass du sie zulässt und nicht verdrängst.“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich würde sie sicher nicht verdrängen. Ich wollte doch wissen, was in den letzten fünf Jahren passiert war! „Das war eigentlich alles von meiner Seite aus. Ich habe nur eine Bitte. Wenn du merken solltest, dass sich dein Zustand wieder verschlechtert, sprich Kopfschmerzen, Schwindel oder Übelkeit, komm’ bitte sofort ins Krankenhaus. Mit einer Platzwunde ist nicht zu scherzen.“ Ich nickte. „Gut, dann würde ich dich jetzt wieder gehen lassen, damit du deine Sachen noch packen kannst, ehe deine Freunde kommen.“ Herzklopfen. Ich bedankte mich ein letztes Mal bei Kobayashi, bis ich schon fast zu meinem Zimmer zurück rannte. Ich wollte nur noch schnell meine Sachen packen und dann mit Kai und den anderen nach Hause fahren … Überrascht blieb ich im Türrahmen stehen und sah den drei Personen zu. Uruha packte die Sachen, die Kai ihm gab, ordentlich in eine Reisetasche. Reita saß unbeeindruckt auf dem Bett und beobachtete die beiden. Jemand fehlte … Ein leises Räuspern ließ mich herum fahren und ich blickte direkt in die großen braunen Augen Rukis. Er schob sich an mir vorbei und setzte sich neben Reita auf mein Bett. Mittlerweile hatten auch die anderen meine Anwesendheit bemerkt und sahen mich an. Kai kam als Erster auf mich zu und umarmte mich leicht. Sofort überschlug sich mein Herz, ich konnte mich nicht bewegen. So nah wie jetzt, war er mir noch nie gewesen. Wenn er mich besucht hatte, saß er immer neben meinem Bett. Manchmal streichelte er auch meine Hand oder meinen Arm, aber noch nie hatte er mich umarmt. Ich konnte sein Parfüm riechen … ich schloss die Augen und erwiderte die Umarmung. Mein Herz schlug so heftig, dass ich Angst hatte, Kai könnte es bemerken. Doch er sagte nichts und löste sich leider wieder viel zu schnell von mir. Ich blinzelte und sah zu Reita, der mich leicht anlächelte. Ja, ich freute mich schon darauf, endlich mal mit ihm am Strand entlang zu fahren. Jeden Abend hatte ich mir vorgestellt, wie es wohl war, sich an ihm festzuhalten und den Sonnenuntergang zu beobachten. Die Vorstellung gefiel mir und schenkte ihm ein Lächeln zurück. „Wir haben deine Sachen schon eingepackt, damit wir gleich los können … also, wenn du willst.“ Kai zeigte auf die beiden fertig gepackten Reistetaschen auf dem Bett. Alle sahen mich an. „Klar, können wir los.“ Kaum dass Uruha sich neben mich gesetzt und die Autotür geschlossen hatte, lenkte Kai auch schon den Wagen aus der engen Parklücke. „Aber an deine Wohnung kannst du dich noch erinnern, oder?“, fragte Uruha und zeigte mir wieder sein wunderschönes Lächeln. Schnell sah ich beiseite, als ein wohlbekanntes Kribbeln in meinem Bauch begann. Das hatte ich bis jetzt doch nur bei Kai gespürt, warum fing das nun auch bei Uruha an? „Wenn ich in den letzten fünf Jahren nicht umgezogen bin, dann eigentlich schon. Eine Appartementwohnung im sechsten Stock mit schöner Aussicht auf’s Meer.“ „Jep“, Uruha nickte. „Da vorne ist Starbucks. Kannst du dich daran erinnern?“, rief Ruki plötzlich neben mir und zeigte aus dem Fenster, bevor er mich erwartungsvoll ansah. Doch so sehr ich auch versuchte, mich an irgendeine Sache aus dem Café zu erinnern, es ging nicht. Ich verband nichts mit dem Geschäft, weshalb ich Ruki nur entschuldigend ansah und den Kopf schüttelte. Er nickte nur und sah wieder aus dem Fenster. Und dieses Mal war ich mir sicher, eine winzige Spur von Trauer in seinem Blick gesehen zu haben. Ich wollte mich gerade bei ihm entschuldigen, als Kai das Wort ergriff. „Jetzt lasst Aoi doch auch mal in Ruhe.“ Ich lächelte beschämt. Es war wirklich nett, wie sehr Kai sich für mich einsetzte. Jemand tippte mir gegen das Knie und ich sah auf. Reita hatte sich halb zu uns nach hinten gedreht und musterte mich. Ein wenig unwohl wurde mir schon bei seinem intensiven Blick. Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen anfingen und ich spielte nervös mit meinen Fingern. „Wie lange musst du den Verband noch tragen?“ Reitas dunkle Stimme verpasste mir eine Gänsehaut, dass ich erst einen Moment brauchte, um überhaupt zu bemerken, dass er mir eine Frage gestellt hatte. „Die Woche noch“, stotterte ich schnell zusammen und vermied es, ihn anzusehen. Ich hörte sein leises Lachen und konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie er sich wieder umdrehte. Der Wagen wurde langsamer, bevor Kai im Rückwärtsgang einparkte. Ruki schnallte sich ab und stieg aus, doch ehe ich ihm folgen konnte, griff Uruha nach meiner Hand und zog mich zu seiner Seite hinaus. Überrascht sah ich ihn an. Er lächelte nur unschuldig und deutete mit dem Kopf hinter mich. Ich drehte mich um und betrachtete das hohe Haus, dass vor mir steil in den Himmel ragte. Ja, daran konnte ich mich erinnern. Hier war ich direkt nach dem Auszug von zu Hause eingezogen. Von der Aussicht aus dem großen Panoramafenster im Wohnzimmer war ich sofort begeistert. Das leise Klappern eines Schlüsselbundes riss mich aus den Gedanken und ich sah zu Reita. „Dann lass’ mal sehen, wie gut du dich erinnerst.“ Grinsend nahm ich den glänzenden Schlüssel an mich und lief geradewegs auf den Hauseingang zu, deren Tür sich automatisch öffnete. Die anderen folgten mir lachend durch die Lobby zum Fahrstuhl. Ich bin noch nie gerne Treppen gestiegen, vor allem nicht, wenn meine Wohnung im sechsten Stock lag. Als wir auf den Fahrstuhl warteten, spürte ich wieder Reitas Blick auf mir. Doch bevor ich mich vergewissern konnte, ob es Reita gewesen war, legten sich zwei Hände auf meinen Hintern und schoben mich in den Fahrstuhl. Überrascht sog ich die Luft ein und sah über meine Schulter in Uruhas grinsendes Gesicht. Ich musste lachen und schubste ihn leicht von mir, ehe ich auf die leuchtende Taste mit der grünen Sechs drückte. Ich schloss die Augen, als der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte und lauschte der leisen, beruhigenden Musik. Jemand stellte sich neben mich und legte vorsichtig einen Arm um meine Hüfte. ‚Uruha’, dachte ich, doch als ich aufblickte, sah ich Ruki neben mir, der unsicher an dem Reißverschluss seiner Jacke spielte. Ich musste zugeben, er war wirklich hübsch. Ich legte meinen Arm ebenfalls um seine Hüfte und schmunzelte, als er lange auf meine Hand sah, als wüsste er nicht, wo sie plötzlich herkam. Mit einem leisen ‚Pling’ öffneten sich die Türen und sofort zog Ruki sich zurück und trat einen Schritt von mir weg. Mein Herz verkrampfte sich kurz, doch im nächsten Moment wurde ich schon von Uruha hinaus gezogen. Ich schüttelte den Kopf und schob die Frage, was da gerade mit Ruki passiert ist, erst einmal beiseite. Meine Wohnung lag am Ende des hellen Flures und so lief ich einfach los. Ich wollte wissen, ob alles noch so war, wie ich es in Erinnerung hatte oder ob ich mich doch neu in meiner alten Wohnung einleben musste. Mit zitternden Händen – warum war ich denn so nervös? – schloss ich die Tür mit dem goldenen Schriftzug ‚Shiroyama’ auf. Ich lächelte. Ja, es war alles gleich geblieben, zumindest was ich von hier sehen konnte. „Erinnerst du dich?“ Kai sah mich von der Seite an. Ich nickte und legte den Schlüssel auf den kleinen Schrank neben der Tür, lugte dann vorsichtig in alle Zimmer. „Ich fahr’ schnell runter und hol’ deine zweite Tasche.“ Kai lächelte, bevor er Ruki die kleine Tasche in die Hände drückte und wieder aus der Wohnung verschwand. „Wollen wir auspacken?“ Ruki stand neben mir und deutete auf das Schlafzimmer. Ich nickte und folgte ihm. Das Zimmer war hell. Kein Wunder, durch das große Panoramafenster kam auch viel Licht hinein. Ich ging langsam darauf zu und legte meine Hände und Stirn an das kühle Glas. Die Aussicht war noch immer so schön, wie vor fünf Jahren. Das Wohnhaus stand nur hundert Meter vom Strand entfernt und aus dem sechsten Stock war die Sicht einfach unbeschreiblich. „Geh’ nicht so nah ran. Du hast Höhenangst.“ Ich sah nach unten auf die stark befahrene Straße. Es ging geschätzte zwanzig Meter in die Tiefe. Erschrocken trat ich schnell einige Schritte und fiel auf das Bett. Ruki lachte und schüttelte mit dem Kopf. Das war das komplette Gegenteil zu dem Ruki im Fahrstuhl. Und wenn ich ehrlich war, gefiel mir der offene und lachende Ruki viel besser. „Ich hab’ noch nie verstanden, wieso du diese Wohnung trotz deiner Höhenangst genommen hast.“ Perplex sah ich ihn an, wie er die letzten Sachen in den Schrank räumte und die Tasche unter das Bett schob. Genau wie ich es tun würde. Woher wusste er das …? Ich sah wieder aus dem Fenster zum ruhigen Meer. „Schau’ doch mal. Bei Nacht ist die Aussicht wirklich –“ „… romantisch“, hörte ich seine Stimme nah an meinem Ohr und spürte seinen warmen Körper an meinem Rücken. Und plötzlich hatte ich das Gefühl, als würden sich tausende von kleinen Nadeln durch mein Herz bohren. Instinktiv legte ich meine Hand auf die Brust und drückte dagegen, um diesen unangenehmen Schmerz verschwinden zu lassen. „Wollt ihr auch was trinken?“ Und von einer Sekunde auf die andere saß Ruki auf der anderen Seite des Bettes. Fast schon so, als wollte er nicht, dass man uns zusammen sah. „Ich nehm’ nur Wasser“, meinte er leise. Reita sah zu mir. Ich versuchte das aufkommende Kribbeln unter Kontrolle zu halten. „Cola“, sagte ich schlicht. Ich stand auf und folgte Reita in die Küche, doch im Türrahmen zum Wohnzimmer blieb ich stehen und beobachtete Uruha, wie er unschlüssig vor meinem Bücherregal stand. Er schien mich nicht zu bemerken, bis ich mich leise räusperte. Wie ertappt zuckte er zusammen und sah mich an. „Echt beeindruckend wie viele Bücher du über das Meer hast. Es ist wirklich schade, dass du dich nicht an das Surfen erinnern kannst. Du warst wirklich gut.“ Er griff nach einem kleinen Bilderrahmen – als ob er den Platz, wo er stand schon auswendig kannte – und hielt ihn mir hin. Ich betrachtete das Bild. Es zeigte mich, wie ich auf einem weißen Surfbrett saß und in die Kamera grinste. „Du hast nie an Wettbewerben teilgenommen. Für dich war Surfen ein großer Traum und dafür wolltest du keinen Preis haben.“ Uruha lächelte, als Reita zu uns kam und mir ein Glas in die Hand drückte. „Hier ist die andere.“ Ruki kam aus dem Schlafzimmer und nahm Kai sofort die Tasche ab. „Hast du dich schon so größtenteils an alles hier gewöhnt?“ Ich nickte. „Da ja alles noch so steht wie vor fünf Jahren, ist es nicht ganz so schwer. Und mit eurer Hilfe werde ich das schon schaffen, oder?“ „Ist doch klar“, rief Kai und lächelte. „Aber wir werden dich jetzt erstmal in Ruhe lassen. Am Besten legst du dich hin und schläfst etwas. Du bist noch sehr blass.“ Ruki stand schon im Flur, als die anderen sich anzogen. Die Verabschiedung fiel recht unterschiedlich aus. Reita hob nur die Hand und lächelte, während Uruha mich einmal kräftig durchknuddelte und mir alles Gute wünschte. Dafür verwirrten mich Kai und Ruki umso mehr. Von Ruki bekam ich nur ein leises ‚Tschüss’ geflüstert, wobei ich nur wenig verstand, da er dabei wieder eingehend den Boden betrachtete. Und Kai … Kai legte eine Hand auf meine Schulter und sah mir tief in die Augen, dass ich schon spüren konnte, wie meine Wangen sich dunkelrot färbten. „Schlaf’ jetzt und wenn irgendwas sein sollte, ruf’ mich an, ja? Unsere Nummern liegen neben dem Telefon.“Seine Hand strich meinen Hals hinauf und legte sich auf meine Wange, streichelte sie. Mit großen Augen sah ich ihn an. Er lächelte und mein Herz spielte wieder verrückt. „Kai? Kommst du?“, hörte ich Reitas tiefe Stimme. „Sofort.“ Kai löste sich von mir und ich hörte nur noch, wie die Tür leise ins Schloss fiel. Ich hatte mich nicht hingelegt, wie Kai es mir gesagt hatte. Viel zu sehr interessierte es mich, ob ich in meiner Wohnung etwas fand, was meine Erinnerungen zurückholte. Ich durchsuchte Schränke, Schubladen, alles was sich öffnen ließ. Doch nichts wollte mir etwas sagen. Und jetzt saß ich fast schon eine halbe Stunde deprimiert auf der Couch und ließ mich vom laufenden Fernseher berieseln. Erst als mich zum dritten Mal ein Schauer überkam und sich eine Gänsehaut auf meinen Armen ausbreitete, erhob ich mich, um mir eine Jacke zu holen. Ich griff wie in Routine in den Schrank, bis mir auffiel, wie Ruki meine Sachen eingeräumt hatte. Alles lag genau an dem Platz, an den auch ich es gelegt hätte. Fast, als würde er das öfters machen … wahrscheinlich war er oft bei mir gewesen. Ich ging zurück ins Wohnzimmer, doch bevor ich mich hinsetzte, fiel mir die Schublade am Schrank, auf dem den der Fernseher stand, auf. Die hatte ich noch nicht durchsucht. Ich kniete mich hin und zog sie vollständig aus dem Schrank. Das erste, was mir ins Auge fiel, war ein Foto. Ich zog es heraus – und mein Herz setzte kurzzeitig aus. Das waren Kai und ich und … wir küssten uns. Ich blinzelte, doch das Bild blieb dasselbe. War … hatte … ist Kai doch mein Freund? Wie hypnotisiert ging ich in den Flur und wählte Kais Nummer, die auf dem Zettel stand. „Aoi? Alles in Ordnung? Ist etwas passiert?“ Ich musste lächeln. „Nein, nein. Alles okay … ich wollte dich nur fragen, ob … du morgen vielleicht .. etwas mit mir unternehmen möchtest.“ Es wurde kurz ruhig am anderen Ende der Leitung. „Gerne. Was willst du denn machen?“ „Das entscheiden wir spontan, okay?“ „Klar. Dann hol’ ich dich morgen so gegen zehn ab?“ „Ich freu’ mich schon.“ Kai lachte. „Ich mich auch. Bye.“ „Bye.“ Jetzt musste ich mir nur noch überlegen, wie ich rausbekam, ob Kai mein Freund war. Ihn direkt zu fragen, war mir dann doch schon etwas peinlich. _________________________ vielen dank für die reviews. und es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat! ich versuche das nächste kapitel schneller hochzuladen. Kapitel 3: three ---------------- Ich saß auf dem Bett und sah aus dem Fenster. Der Sonnenuntergang tauchte das Schlafzimmer in Rot- und Orangetöne. Ich lächelte. Es war wirklich eine gute Idee gewesen, die Wohnung zu nehmen. So eine Aussicht hatte man sicher nicht überall. Ich sah auf die Uhr. Kai würde gleich kommen. Nervös drehte ich das Foto, ehe ich es noch einmal betrachtete, was mein Herz verrückt spielen ließ. Man konnte vom Hintergrund nicht viel erkennen. Wer auch immer das Foto aufgenommen hatte, hatte uns sehr nah herangezoomt. Hoffentlich konnte Kai mir was dazu erzählen … Das Klingeln an der Wohnungstür ließ mich zusammenfahren und mein Herz schlug wie wild. Schnell lief ich in den Flur und öffnete die Tür, zog mir nebenbei meine Schuhe an. Als ich hochsah, hielt man mir eine Rose entgegen. Überrascht blinzelte ich. „D-Danke, Kai. Das wäre doch nicht nötig –“ Ich verstummte, als nicht Kai vor mir stand, sondern Reita. „Oh …“, flüsterte ich leise. Reita schien genauso überrascht zu sein und versuchte die Rose schnell und unauffällig hinter seinem Rücken zu verstecken. „Tut mir leid … ich dachte, du wärst … Kai.“ Reita sah nach unten und tippte mit dem Schuh auf den Boden. „Ihr … seid verabredet?“, er klang traurig und auch seine Stimme zitterte leicht. „Wir … wollten Essen gehen, ja.“ Reita nickte nur, hielt den Blick weiterhin gesenkt. „Ich dachte nur, wir könnten heute mal wieder fahren, aber … das hat sich ja erledigt.“ „Reita, ich –“ „Nein, ist doch okay. Wir hatten nichts ausgemacht. Dann vielleicht ein anderes Mal.“ Er lächelte, doch ich konnte sehen, dass er es nicht ehrlich meinte, aber bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte er sich schon umgedreht und war wieder verschwunden. Ich schloss die Tür und atmete durch. Mein Herz fühlte sich auf einmal so schwer an und ich hatte das Gefühl, ein großer Kloß machte sich in meinem Hals breit. Ich hatte Reita nicht abweisen wollen, aber ich war mit Kai verabredet. Es ging nicht anders. Die Rose. Warum hatte er mir eine mitgebracht? Reita sah nicht so aus, als wäre er der Typ, der auf Romantik stand. Und warum hatte er sie dann hinter sich versteckt? Ein leises Klopfen an die Wohnungstür. ‚Reita!’ Ich riss sie hektisch auf und sah in Kais erschrockenes Gesicht. „Aoi?! Ist alles okay?“ „Ich dachte, du wärst Reita?“ Kai schien verwirrt. „Er war gerade hier, aber das hat sich schon erledigt. Wollen wir los?“ „Gern.“ „Und wie fühlt es sich an, endlich wieder zu Hause zu sein?“, Kai sah mich an und schloss nebenbei sein Auto ab. Ich lächelte. „Definitiv besser, als im Krankenhaus. … D-Danke, dass du mich immer besucht hast.“ „Kein Thema. Das ist doch selbstverständlich. Immerhin bist du mein Freund.“ Ich stockte und blieb einen Moment stehen, ehe ich schnell weiterging. Jetzt nur nicht auffällig verhalten, ich hatte mich sicher wieder verhört. Sein … Freund? Nein, Kai meinte das sicher nicht, er hatte sich nur versprochen. „Aoi? Hey, hörst du mir zu?“ „Hm?“ „Ich hab’ dich gefragt, ob es deinem Kopf noch gut geht. Oder hast du wieder Kopfschmerzen gehabt?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, mir geht’s gut.“ Uns kam eine Gruppe junger und hübscher Mädchen entgegen, denen Kai jedoch keinen einzigen Blick schenkte. „Kobayashi hat dich gebeten, auf mich aufzupassen, oder?“ Kai wurde leicht rot, aber ich konnte mich durch die Farben des Sonnenuntergangs auch täuschen. „Nein! Also ja … ich meine, er hat mir nur die Aufgabe gegeben, ein wenig auf dich zu achten“, meinte er und fügte leise hinzu: „Aber das hätte ich auch so getan.“ Ich lachte. „Das ist nett von dir. Danke.“ „Hier.“ Ich betrachtete das Teueraussehende Restaurant und fühlte mich sofort unwohl. „Ich … kannst du dir das leisten?“, fragte ich vorsichtig. „Keine Sorge, es sieht teurer aus als es ist“, und damit hielt er mir die Tür auf. „Nach Ihnen“, sagte er grinsend. Drinnen nahm er mir die Jacke ab und brachte sie und seine eigene zur Garderobe. Ich fühlte mich fast so wie bei meinem ersten Date. Kai benahm sich wirklich wie ein Gentleman. Ich setzte mich und sah mich unauffällig um. „Gefällt’s dir?“ Erschrocken zuckte ich zusammen. „Ich .. ähm .. also, ist schon nett hier, ja.“ Oh man, was redete ich da wieder für einen Mist zusammen?! Kai lachte und erst jetzt fiel mir auf, wie hübsch er dabei eigentlich aussah. „Du bist nervös, oder?“ Ich nickte. „Brauchst du nicht sein. Es sind doch nur wir beide.“ Und genau da lag das Problem. Er machte mich unglaublich nervös. Meine Finger zitterten leicht, als ich die vom Kellner entgegen gehaltene Karte nahm. Ich hoffte nur, dass Kai es nicht mitbekam, doch der konzentrierte sich schon auf das Menüangebot. Ich überflog die Karte einmal, aber viel mehr beobachtete ich Kai. Wie er mit den Augen jede Speise genau ansah oder sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Mein Herz schlug schon wieder wie wild. „Hast du dich schon für etwas entschieden?“ Schnell sah ich wieder in die Karte und schüttelte leicht den Kopf. Die meisten Gerichte hauten mich ihren Preisen beinahe vom Stuhl. Das konnte ich Kai echt nicht antun! „Was darf ich Ihnen zu Trinken bringen?“ Hektisch blätterte ich in der Karte nach vorne zu den Getränken. „Eine Flasche Moet & Chandon.“ Meine Augen weiteten sich und ich sah Kai erschrocken an. „Spinnst du?!“, zischte ich leise, als der Kellner sich zum nächsten Tisch aufgemacht hatte. „Das ist unglaublich teuer!“ Aber Kai zuckte nur mit den Schultern und lächelte. „Für dich ist mir nichts zu teuer.“ Ich hielt den Atem an. … Was? Meine Wangen glühten und ich drehte beschämt den Kopf zur Seite. Ein kleiner silberner Eimer, gefüllt mit Eiswürfeln und der Flasche Moet & Chandon, wurde auf unseren Tisch gestellt. Kai bedankte sich lächelnd. „Und? Haben Sie schon gewählt?“ Der Kellner deutete auf die Karte. „Zweimal die Nummer 77.“ Schnell huschte der Bleistift über den kleinen Notizblock und notierte unsere Bestellung. „Was hast du genommen?“ „Keine Sorge, es wird dir schmecken, versprochen.“ Mir fiel das Foto wieder ein. Vorsichtig zog ich es aus meiner Hosentasche, hielt es unruhig in meiner zitternden Hand. Kai sah mich an. „Was hast du da?“ Ich legte es auf den Tisch und schob es zu ihm herüber. „Kannst … kannst du mir was dazu sagen?“ Er sah lange auf das Bild, ehe er sich zu erinnern schien und grinste. „Das war vor zwei Jahren beim Camping. Wir waren … Tag schwimmen … Reita … Alkohol …“ Kais Stimme wurde immer leiser und nur wenige Wortfetzen erreichten mich. Ich nahm kaum noch etwas um mich herum wahr, als ob alles hinter einem dichten Nebel verschwinden würde … „… Aoi!“ Ich drehte mich um und sah Reita mit einem großen Berg von Ästen auf mich zukommen. „Kannst du mir helfen?“, er ließ alles vor mir auf den Boden fallen. „Weißt du, wie man ein Feuer macht?“ Ich sah ihn skeptisch und mit hochgezogener Augenbraue an. „Wir haben auch Feuerzeuge und Streichhölzer bei.“ „Schon klar. Aber das ist doch lahm.“ Ich musste lachen. „Du kannst es gern mit Steine reiben und Hölzchen drehen versuchen. Viel Glück dabei.“ Mein Feuerzeug warf ich ihm trotzdem hin. Er streckte mir die Zunge raus, bevor er sich auf den Boden setzte und den Berg mit Ästen ansah. „Dadurch entsteht aber auch kein Feuer.“ Ruki stand neben mir und beobachtete Reita. „Dann macht doch euren Mist allein!“ Damit stand er auf und ging beleidigt zu Kais Van. Ruki verdrehte die Augen, nahm sich das Feuerzeug und zündete nacheinander die Äste an. Ich sah Reita nach, der einige Kisten aus dem Kofferraum stapelte. Bierkisten. Mit Mühe und viel Kraftaufwand zog er sie zu unseren Zelten. „Soll ich dir helfen?“, meinte ich, doch er winkte ab. „Ich mach’ das schon. Schau’ mal lieber nach Kai und Uruha. Die müssten noch unten am Wasser sein.“ Ich lief den kleinen Pfad zum Seeufer entlang und konnte schon vom Weiten Kais Jubelrufe hören. Sie spielten Fußball, was sonst? Ich schob ein Paar Äste beiseite und trat zwischen den Büschen hervor. Uruha hatte die Arme vor der Brust verschränkt und zog eine Schnute, als Kai entschuldigend die Hände hob. „Hey!“, rief ich, um auf mich aufmerksam zu machen. Die beiden sahen zu mir. Kai holte den Ball, während Uruha auf mich zugelaufen kam. Ich zog ihn in eine Umarmung und er schniefte einmal herzzerreißend. „Kai hat geschummelt.“ Ich lachte. Er konnte einfach nicht verlieren. Kai kam dazu und ich sah ihn an. Seine Haare waren völlig durcheinander, von der Stirn liefen ihm einige Schweißtropfen hinab. Ich musste hart schlucken, er sah im Moment einfach nur heiß aus. Verlegen wandte ich den Kopf ab, als meine Wangen zu glühen begannen. „Wir sollten langsam zurück gehen“, meinte er plötzlich, doch Uruha schüttelte den Kopf und hielt mich fest. „Uruha … lass’ ihn los.“ Er legte seinen Kopf in meine Schulterbeuge und ich bekam eine Gänsehaut. „Du riechst gut“, hauchte Uruha leise und ließ mich langsam los. Er sah mich an, seine Augen leuchteten. Ich lächelte nur, bevor wir Kai folgten, der schon vorgegangen war. Ruki hatte mittlerweile ein ordentliches Lagerfeuer entfacht und auch Reita hatte mit Bierkisten und wenigen Sitzkissen einige Sitzgelegenheiten entstehen lassen. Wir ließen uns im Kreis um das Feuer nieder, während Kai uns allen einen Stock in die Hand drückte. „Was ist das?“, Uruha betrachtete die klebrige Teigmasse am Stockende. „Stockbrot“, Kai grinste, was mein Herz zum Rasen brachte. „Du hältst es über das Feuer, bis es leicht bräunlich wird und dann kannst du es essen.“ Uruha zog skeptisch eine Augenbraue nach oben, ehe er den Stock über das Feuer hielt. Wir taten es ihm gleich. Die Sonne verschwand inzwischen schon fast hinter den Bäumen und das Feuer war auch beinahe erloschen. Wir lachten alle, die Stimmung war einfach genial – auch wenn es eher an den vielen Bierflaschen lag. „Ich glaub’, wir sollten uns langsam hinlegen, sonst kommen wir morgen gar nicht auf die Beine“, Reita erhob sich leicht schwankend und deutete auf die Zelte. Ruki nickte zustimmend und zog Uruha – schon halb eingeschlafen – hinter sich zu ihrem Zelt. Jemand tippte mir leicht auf die Schulter und ich sah in Kais dunkle Augen. Ich hielt die Luft an, sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. „Kommst du?“ Ich konnte seinen warmen Atem an meinen Lippen spüren. „Was ist mit … Reita ..?“, brachte ich abwesend hervor. „Keine Sorge. Ich schaff’ den Rest schon allein. Geht ihr ruhig schon schlafen.“ Kai lächelte: „Danke“, nahm meine Hand und zog mich zu unserem Zelt. „Weißt du wo die Taschenlampen sind?“ Ich wollte ihm gerade sagen, dass ich meine noch im Rucksack hätte, als ich plötzlich mit einem Ruck nach vorne gezogen wurde. Stolpernd und das Gleichgewicht verlierend, landete ich im Zelt. Ich hielt mir den Kopf und wollte mich aufstützen, bis ich Kais Stimme nah an meinem Ohr vernahm. „Ich hab’ hier eine.“ Kurz darauf leuchtete er mir direkt ins Gesicht. Ich kniff die Augen zusammen. „Sorry!“, er hielt sie in eine andere Richtung und ich blinzelte, bevor ich überrascht einatmete. Kai lag auf dem Rücken, mit den Ellbogen hochgestützt und ich saß auf ihm. Meine Wangen glühten, als ich mir der Lage erst bewusst wurde. So nah war ich ihm noch nie … Doch statt schleunigst von ihm runterzugehen, lehnte ich mich weiter vor, bis unsere Lippen sich fast berührten. Das war meine Chance … „Ich liebe dich“, hauchte ich leise, bevor ich ihn vorsichtig küsste und die Augen schloss. Ich rechnete damit, jede Sekunde von ihm weggedrückt zu werden, doch nichts passierte. Ich öffnete meine Augen und zog mich ein wenig zurück. Kai sah mich mit vom Alkohol verklärten Augen an, ehe er sich vorbeugte und seine Lippen auf meine legte. Wie erstarrt, versuchte ich Kais Handeln zu verstehen, als ein helles Blitzen durch das Zelt zuckte, gefolgt von einem leisen Lachen, das sich immer weiter zu entfernen schien … „.. oi! Aoi! Hey! Was ist los?“ Kai wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum. Ich zuckte zurück und sah mich um. Langsam drangen auch wieder die vielen Stimmen an mein Ohr. Wir saßen im Restaurant … Was war das gewesen? Kai sah mich besorgt an. „Ist alles okay?“ Ich atmete tief durch. „Ich erinnere mich.“ Kai runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ „Das Camping! Ich erinnere mich daran!“, meine Stimme wurde vor Aufregung lauter. „Ganz ruhig, Aoi! Was genau ist denn gerade passiert?“ „Ich weiß nicht genau. Als du angefangen hast zu erzählen, lief plötzlich alles wie ein Film vor mir ab, und …“ „Bruchstücke!“ Ich sah Kai an. „Hm?“ „Bruchstücke deiner Erinnerungen kommen wieder! Das ist großartig!“ Mein Herz schlug weder schneller, als ich Kais Lächeln sah. Er freute sich wirklich für mich „Ihre Bestellung.“ Ein Teller wurde jeweils vor mich und Kai gestellt. Ich musste grinsen. „Yakitori?“ Kai sah mich an. „Dein Lieblingsessen, oder? Ich dachte mir, dass du das sicher gerne essen wollen würdest.“ Da hatte er Recht. Mit dem Essen konnte man mich immer begeistern. Kai legte das Bild neben seinen Teller und schob es mir wieder zu. „Ich …“, begann ich leise, „wir haben … uns geküsst … weil …“ „Du warst in mich verliebt, Yuu.“ Ich senkte den Blick, bevor ich ihn wieder verwirrt ansah. „War …?“ Kai nickte. „Wir kannten uns schon eine Weile und ich denke, es war eher eine kleine Schwärmerei von deiner Seite aus.“ „Also sind wir nicht zusammen?“ Kai sah mich mit einem undefinierbaren Blick an, bevor er kopfschüttelnd lächelte. „Nein, wir waren und sind nicht zusammen.“ Dann wurde er plötzlich ernst. „Mein Herz gehört jemand anderem, nur … für ihn bin ich einfach nur ein Kumpel.“ Ich sah Kai an. Unglücklich verliebt, das wünschte man wirklich niemanden. „Weiß er, dass –“ „Aber egal“, unterbrach er mich einfach, „wir essen jetzt, bevor es kalt wird.“ Damit nahm er seine Stäbchen – und machte mir unmissverständlich klar, dass er nicht darüber reden wollte. Kai brachte mich noch bis zu meiner Wohnungstür. Wir redeten, doch mein Angebot, noch kurz mit reinzukommen, lehnte er lächelnd ab. „Es war sehr schön heute und ich freue mich, dass es dir langsam besser geht.“ Kai umarmte mich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange, bevor er ging. Ich schloss die Tür hinter mir und atmete tief durch. Kai war nicht mein Freund. Das grenzte die Sache jedoch nur geringfügig ein. Und ich fragte mich immer noch, was Reita heute mit der Rose vorgehabt hatte. Vielleicht könnte ich ihn morgen fragen? _________________________ sorry, es hat dieses mal wirklich unglaublich lange gedauert. aber ich bin momentan im krankenhaus und komme nur selten zum schreiben. ich hoffe, das kapitel hat euch trotzdem gefallen. ^^ Kapitel 4: four --------------- Nervös strich ich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah zum wiederholten Male prüfend in die Glasscheibe der Haustür. Obwohl ich nur knapp eine halbe Stunde Zeit gehabt hatte für das Styling konnte ich mich sehen lassen. Warum zur Hölle rief Reita denn auch so kurzzeitig an? Ein lautes Dröhnen von der Straße riss mich aus den Gedanken und ich musste lächeln. Das konnte nur Reita sein. Und ich hatte Recht, als nur wenige Sekunden später eine Suzuki am Straßenrand zum Stehen kam. Reita trug eine dunkle Hose und eine offene Lederjacke. „Hey“, sagte ich leise, als er plötzlich das Visier hochschob und mich ansah. Seine braunen Augen fixierten mich, dass ich unbewusst meinen Atem anhielt. Er setzte den Helm ab und legte ihn auf sein Motorrad, bevor er mich plötzlich in eine Umarmung zog. „Ich freue mich“, flüsterte er dunkel in mein Ohr, dass sich meine Nackenhärchen aufstellten. „Ich hab’ deinen Helm bei“, meinte er plötzlich und löste sich widerwillig von mir. Zumindest glaubte ich das. Er ging um die Maschine herum, klappte die Sitzbank hoch und holte einen hellblau schimmernden Helm heraus. Ich blinzelte. „Er ist … blau“, brachte ich stockend hervor. Reita nickte. „Du hast dich damals Hals über Kopf sofort in den verliebt. Niemand konnte dich von dem abbringen, weder ich noch der Verkäufer. Und immerhin ist Blau schließlich deine Farbe, oder?“ Ich nickte abwesend und nahm den Helm entgegen. Wenn man ihn näher betrachtete, konnte man erkennen, dass unterschiedliche Blautöne über die Fläche verliefen. Es sah aus wie die Wellen vom Meer. Sicher hatte mich der Helm deswegen sofort begeistert. „Wollen wir los?“ Reita hatte sich seinen Helm schon wieder aufgesetzt und sah in meine Richtung. Ob er mich genau ansah, konnte ich nicht erkennen, er hatte das Visier schon wieder nach unten geklappt. Ich sah meinen Helm noch ein letztes Mal an, bevor ich ihn ebenfalls aufsetzte und den Gurt festzog. Reita klopfte auf die Sitzbank hinter sich und ich ließ mich umständlich darauf nieder. Er klappte die Stütze hoch und trat leicht auf das Gaspedal. Ich hielt mich am hinteren Rand des Sitzes fest und hoffte, dass die Fahrt nicht allzu lange dauern würde. Denn richtigen Halt hatte ich nicht. Reita sah über seine Schulter zu mir. „Mach’ schon.“ Ich verstand nicht was er meinte, als er plötzlich nach meinen Händen griff und sie um sich legte. Ich spürte wie mein Gesicht warm wurde. Wenigstens konnte er das durch den Helm nicht sehen. Ich legte meine Arme und Hände fester um seinen Bauch und rutschte näher an ihn heran. „Klammeräffchen. Du brauchst keine Angst haben.“ Ich nickte und kniff die Augen zusammen, als wir langsam losfuhren. Der Wind rauschte schnell an uns vorbei, als Reita zur Hauptstraße abbog und ich hielt mich instinktiv noch mehr an ihm fest. Die dünne Jacke die ich trug, konnte den kühlen Fahrtwind kaum abhalten. Ich begann leicht zu zittern und rutschte noch näher an Reita heran. Die Wärme, die von ihm ausging, beruhigte mich und ich entspannte immer mehr. „Mach’ die Augen auf“, rief er lauter, damit ich ihn auch verstand. Aber … „Woher weißt du, dass meine Augen zu sind?“, rief ich zurück, meine Augen weiterhin geschlossen haltend. Er lachte kurz. „Ich kenne dich, Yuu.“ Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter, als er meinen richtigen Namen aussprach. Langsam öffnete ich meine Augen und sah vorsichtig zur Seite. Wir fuhren nur wenige Meter vom Strand entfernt entlang. Die Sonne stand schon hoch am Himmel und ließ das Meer wunderschön glitzern. „Wow“, flüsterte ich völlig beeindruckt von der Aussicht. Reita bog in eine kleine Seitenstraße ab und brachte sein Motorrad im Schatten einiger weniger Bäume zum Stehen. Von hier sah das Wasser noch viel schöner aus. Über uns konnte ich leise das Kreischen der Möwen hören. „Du kannst mich loslassen“, meinte Reita plötzlich und erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich immer noch an ihm festhielt. Sofort ließ ich ihn los. „S-Sorry.“ Ich schob das Visier hoch und stieg von der Maschine. Reita verstaute seinen Helm wieder unter der Sitzbank und streckte mir dann seine Hand entgegen. Irritiert sah ich ihn an. „Willst du deinen auflassen oder soll ich ihn auch einpacken?“ „Oh!“ Sofort griff ich nach dem Riemen und versuchte erfolglos diesen zu öffnen. Reita grinste und kam auf mich zu. „Ich helfe dir.“ Ich ließ meine Arme sinken und sah beiseite, als ich sein Parfüm riechen konnte. Unsicher sah ich wieder nach vorn in sein Gesicht. Die dunklen Augen fixierten den Gurt und seine Lippen waren zu schmalen Strichen verzogen. Mir fiel auf, dass er heute das Band nicht trug, das er im Krankenhaus umgehabt hatte. Und jetzt verstand ich erst Recht nicht, warum er es trug. Seine Nase war doch völlig normal. Nicht schief, keine Narbe oder Ähnliches … einfach perfekt für sein Gesicht. Seine Haare hingen ihm wild ins Gesicht. Er sollte wohl keinen Helm tragen, wenn seine Haare gestylt waren … Moment! Wie sah ich denn dann aus?! Ein Klicken riss mich aus den Gedanken. „Der Gurt hat ganz schön geklemmt. Wird wohl Zeit, dass wir ihn wieder öfter benutzen.“ Er lächelte und zog mir vorsichtig den Helm vom Kopf, ehe er ihn ebenfalls verstaute. Ich stand wie angewurzelt da. Warum schlug mein Herz auf einmal wie wild in meiner Brust? Reita hatte mich doch nur angelächelt! „Wollen wir dahin, wo wir immer hingegangen sind? Oder möchtest du gleich hier am Strand bleiben?“ Ich blinzelte kurz. Verdammt, Yuu, reiß’ dich zusammen! „Nein, ich … würde gerne dahin, wo wir immer waren.“ „Gut, dann komm’.“ Reita nahm einen Korb und ging vor. Ich folgte ihm schnell. Der Sand fühlte sich gut an. Die Sonne hatte ihn noch nicht glühend heiß gebrannt, sodass wir langsam laufen konnten. Unsere Schuhe hatten wir in dem Korb verstaut, den Reita mitgebracht hatte. Er ließ mich nicht hinein sehen, doch ich hatte vorhin eine Decke erkennen können. Ich musste lächeln, er hatte sich wohl Gedanken für heute gemacht. Und schon wieder spürte ich ein angenehmes Kribbeln in meinem Brustkorb. Ich sah unauffällig zu Reita hinüber, als er plötzlich stehen blieb. „Hm?“ Er stellte den Korb ab und zog seine eh schon offene Lederjacke aus. Ich wusste nicht, ob ich lieber wegsehen sollte oder … nein! Ich war doch kein schüchternes und verliebtes Schulmädchen! Reita schmiss die Jacke über seine Schulter, nahm den Korb und ging weiter. Ich sah ihm nach. Wegen dem Tanktop konnte man seine trainierten Arme sehen. „Aoi?“ Ich schreckte hoch. Reita stand einige Meter von mir entfernt uns sah mich verwirrt an. „Ist alles okay? Geht’s dir gut? Sollen wir lieber im Schatten laufen?“ Ich musste lächeln. Es war schon … echt lieb von ihm, wie er sich um mich kümmerte. Ich schüttelte den Kopf und ging auf ihn zu. „Nein, es ist alles Bestens.“ Wir liefen weiter, doch statt auf das Meer oder die Schiffe weit draußen zu achten, erwischte ich mich immer wieder dabei, wie ich zu Reita hinüber sah und ihn beobachtete. Mein Gesicht glühte sicher schon vor Scham, doch wenigstens konnte ich das auf die Wärme schieben. „Da vorne.“ Reita zeigte auf eine hohe Steinwand. Ich sah ihn an. Er lachte und rollte mit den Augen. „Von hier sieht es nichts sagend aus, aber pass’ auf, wenn wir da sind!“ Wir liefen den kleinen Sandweg an der Steinwand entlang und standen nur wenig später in einer kleinen Bucht, eingegrenzt von hohen Klippen. Das Wasser schimmerte hier kristallklar und durch die Sonne war es angenehm warm. „Reita … es ist wunderschön.“ Er blieb stehen und sah mich an. „… Ich weiß.“ Ich ging auf das Meer zu, soweit bis die Wellen das Wasser bis zu meinen Füßen trieben. Es war kühl auf meiner erwärmten Haut und tat verdammt noch mal echt gut. Ich drehte mich einmal im Kreis um die gesamte Umgebung auf mich wirken zu lassen, bis mir etwas ins Auge fiel. Die Steilwände der Klippen waren alle aus weißem Stein, doch dort, an der einen Stelle, waren sie dunkler. Ich trat näher um es genauer anzusehen. Der Stein war aufgeraut, als hätte man lange darüber geschabt und … ich ließ meine Finger über die Wand streichen. Jemand hatte etwas hineingeritzt. Ich legte meine Hände über die Stelle, damit die Sonne nicht blendete. Plötzlich legten sich zwei Hände auf meine Schultern und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich drehte mich um und sah in Reitas ebenso erschrockenes Gesicht, bevor er lächelte. „Wann bist du so schreckhaft geworden?“ Ich grinste nervös. „Seit wann schleichst du dich an mich heran?“ Ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen, welche leicht kribbelten. Er war mir so nah, so verdammt nah … „Aoi und Reita.“ „Huh?“ Ich sah ihn irritiert an. „Das hast du in die Wand gemeißelt.“ Ich drehte mich wieder zu der dunklen Fläche. Ich? Ich hatte das hinein geschrieben? „Zieh’ das aus.“ Reita zog leicht an meiner Jacke. Ich sah über meine Schulter zu ihm. „Warum?“ Er hob eine Augenbraue. „Weil dir erstens sicher bald warm wird und zweitens wir jetzt schwimmen gehen.“ Klar. Warum sonst? Reita zog mich zu der Decke, die ich vorhin schon im Korb hatte erspähen können und die nun ausgebreitet auf dem Sand lag. „Pack’ deine Sachen einfach in den Korb. Dann werden sie nicht sandig.“ Reita zog sich das Tanktop über den Kopf und schmiss es einfach auf die Decke. Er schob sich die Hose von den Hüften und völlig überrumpelt sah ich weg. Er wollte doch nicht … „Schämst du dich?“, hörte ich seine Stimme direkt an meinem Ohr. Erschrocken stolperte ich einen Schritt nach vorn und drehte mich schnell zu ihm. „W-Was ..?“, stotterte ich. „Ich habe dich gefragt, ob du dich schämst und du dich deshalb nicht vor mir ausziehen willst.“ Mein Gesicht glühte und ich sah nach unten. Reita trug schwarze Badeshorts. … Hatte ich wirklich gedacht, er will nackt ins Wasser gehen? Manchmal war ich einfach – „Aoi? Das ist nicht schlimm. Soll ich mich wegdrehen?“ Ich starrte ihn an, bevor ich realisierte, was er meinte. „N-Nein, schon okay! Ich bin nur einfach noch fasziniert von hier.“ Eilig zog ich mir meine Jacke und das Shirt aus und warf es in den Korb. Zum Glück hatte ich mir zu Hause schon die Badehose drunter gezogen, als Reita erwähnte, dass er zum Strand wollte. Meine Hose landete bei meinen anderen Sachen. „Gut, dann komm’ jetzt.“ Reita griff nach meiner Hand und rannte los in Richtung Meer. Ich stolperte schnell hinterher, um nicht auf dem unebenen Sand hinzufallen. Reita stoppte erst, als wir bis zur Hüfte im Wasser standen. Er sah mich an bis er plötzlich anfing zu grinsen. Das konnte nichts Gutes bedeuten und das bekam ich auch bewiesen, indem ohne großes Zögern ein großer Schwall Wasser auf mich zukam. Wie erstarrt stand ich da und sah zu Reita, der vor lauter Lachen kaum noch Luft bekam. Er wollte also Krieg? Dann bekommt er eben Krieg! Ich holte tief Luft und tauchte unter. Vorsichtig und unauffällig schwamm ich um ihn herum und tauchte leise wieder hinter ihm auf. Reita schien sich wohl langsam wieder beruhigt zu haben, denn er sah nun überrascht von links nach rechts ohne eine Spur von mir zu sehen. „Aoi? Wo bist d-!“, diesen Moment nutzte ich, um mich von hinten auf ihn zu stürzen und mit Schwung unter Wasser zu drücken. Wild drehten wir uns, um dem jeweils anderem überlegen zu sein, bis wir auftauchen mussten, um nach Luft zu schnappen. „Hast du mich erschreckt!“ Ich lachte und schon stürzte sich Reita auf mich und drückte nun mich unter Wasser. Völlig erschöpft und ausgepowert saßen wir eine knappe halbe Stunde später auf der Decke. Ich lächelte glücklich und sah auf das Meer hinaus, wo sich die Sonne im Wasser spiegelte. Ich schloss meine Augen und lauschte dem Rauschen der Wellen. Doch plötzlich kam mir alles so vertraut vor. Die Geräusche um mich herum, der salzige Geruch, der in der Luft lag. Eine warme Hand legte sich auf meine und ich öffnete die Augen. Reita fuhr sanft mit seinen Fingerspitzen über meinen Handrücken und sah mich schüchtern an. „Aoi“, begann er leise. „Ich … muss dir was gestehen.“ Sein Blick senkte sich kurz und er atmete tief durch. „Ich liebe dich.“ Ich sah ihn an und instinktiv zog ich meine Hand leicht zurück. Sofort zuckte Reita zurück und starrte mit großen Augen zu mir. „E-Es tut mir leid! Ich wollte dir nicht zu Nahe treten!“, brachte er schnell hervor und hob schützend die Hände. „Reita“, ich nahm seine Hände in meine und sah ihn liebevoll an. „Damit … damit habe ich wirklich nicht gerechnet und … ich finde es echt mutig von dir, mir das zu sagen.“ Er starrte auf meine Lippen und saß regungslos vor mir. „Aber … ich empfinde nur freundschaftliche Gefühle für dich. Tut mir leid, dass ich deine Gefühle nicht erwidern kann, mein Herz gehört schon jemand anderem.“ Reitas Hände begannen zu zittern und seine Augen glitzerten leicht. Er nickte nur und versuchte zu lächeln, gab aber schnell wieder auf, als es ihm nicht gelang. Ich spürte, wie etwas an meiner Nasenspitze kribbelte. Mit der Hand strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und öffnete die Augen. Reita lehnte über mir und hielt einen Grashalm in der Hand. „Na, endlich aufgewacht?“ Er grinste. Ich blinzelte einige Male und sah mich um. „Was …?“ „Alles okay?“ Reita wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht. Ich zuckte zurück. „Ich glaube, … ich hatte gerade eine Vision“, flüsterte ich. „Das ist toll, Aoi!“ Reita legte seine Hände auf meine Schultern. „Woran kannst du dich erinnern?“ „Du … hast mir gesagt, dass du mich liebst …“ Reita stockte, ehe seine Wangen einen leuchtenden Rot-Ton annahmen und er beschämt zur Seite sah. „Oh.“ Ich lächelte schief. „A-Aber das hatten wir ja schon geklärt“, meinte er schnell. Ich sah ihn an. „Du empfandest nicht dasselbe wie ich, also waren wir auch nicht zusammen.“ Ich nickte verstehen. Eine Beziehung wäre unter diesen Bedingungen auch einfach nicht möglich gewesen. „Außerdem … habe ich meine richtige Liebe gefunden.“ „Reita! Das ist do-“ „Er weiß es nur nicht.“ „… Meinst du Kai?“ Er starrte mich erschrocken an. „Woher …?“ Ich grinste. „Versuch’ es ruhig. Vertraue mir.“ Ich zwinkerte und Reita lächelte verstehend. „Wollen wir langsam wieder zurück? Es wird allmählich kalt …“ Reita brachte sein Motorrad am Straßenrand zum Stehen. Ich setzte meinen Helm ab und hielt ihn ihm entgegen, doch er schüttelte mit dem Kopf. „Wir werden das ab jetzt wieder öfters machen, also kannst du ihn gleich bei dir behalten.“ Ich lächelte. „Es war schön heute“, meinte ich und Reita grinste zustimmend. „Das fand ich auch.“ Er brachte mich noch bis zur Haustür, wo er mich zum Abschied umarmte. „Fahr’ vorsichtig.“ „Mache ich doch immer.“ Ich schloss die Tür auf und sah noch einmal über meine Schulter zu Reita. Er sah auf das leuchtende Display seines Handys, tippte eifrig darauf herum, ehe er es sich lächelnd ans Ohr hielt und sich gegen seine Maschine lehnte. Ich wünschte den beiden viel Glück. Ob ich meine Liebe auch noch finden würde? Kapitel 5: five --------------- Ich hoffte nicht zu früh zu sein. Immerhin wollte ich Ruki ja nicht aus dem Schlaf reißen. Ich ließ meinen Finger über die vielen weiß glänzenden Klingelknöpfe gleiten. Es war schon eine recht vornehme Gegend in der Ruki hier wohnte. Die Vorgärten bestanden alle aus kunstvoll geschnittenen Hecken und schön angelegten Blumenbeeten. Ich drückte den Knopf neben den fein säuberlich geschrieben Namen ‘Matsumoto‘. Eine Weile blieb es ruhig, bis es in der Sprechanlage leise knackte. „Hallo?“, fragte eine verschlafene Stimme. „Ruki? Ich bin’s, Aoi. Kann ich hochkommen?“ Es knisterte eine Weile, bevor Ruki endlich antwortete. „Aoi! Du bist hier?! Klar, komm‘ hoch! Ich mach‘ die Tür auf!“ Ein Summen ertönte und ich schob die gläserne Eingangstür auf. Ruki wohnte im zwölften Stock des Hochhauses. Im Fahrstuhl, der zu meinem Erstaunen größer war, als erwartet, betrachtete ich mich in den verspiegelten Wänden. Ich strich mein Hemd glatt und fuhr mir nochmal durch die Haare, bevor sich die Türen öffneten. Auf der Etage gab es nur zwei Wohnungen. Eine direkt gegenüber des Fahrstuhls, die andere am Ende des breiten Ganges. Ich sah auf das Klingelschild neben der Tür. Keine Name, dementsprechend wahrscheinlich unbewohnt. Ein Schlüssel wurde herumgedreht und die andere Tür öffnete sich. „Aoi.“ Ruki stand im Türrahmen und winkte mich zu sich. „Die Wohnung steht schon lange leer. Ich wohne hier.“ Ich lächelte und ging auf ihn zu. „Ich hab‘ dich geweckt, oder?“ Er trug nur einen schwarzen Bademantel, den er sich wahrscheinlich in Eile angezogen hatte. Zumindest sah es danach aus. „Keine Sorge, ich war schon wach. Und jetzt komm‘ rein. Es ist nicht gerade angenehm, nur mit Bademantel im Hausflur zu stehen.“ Er schob die Tür noch ein Stück weiter auf und machte eine einladende Geste mit der Hand. Ich lächelte entschuldigend und betrat seine Wohnung, als mir auch nur wenige Sekunden später, etwas um die Beine rannte. Überrascht sah ich nach unten und entdeckte einen kleinen Hund, der aufgeregt mit seinem Schwanz wedelte und sich anscheinend sehr freute, mich zu sehen. „Du hast einen Hund?“, fragte ich überflüssigerweise und nahm den Kleinen auf den Arm. „Chihuahua, oder?“ Ruki hatte die Tür hinter sich geschlossen und sah nun mich und den Hund an. Er nickte. „Ja, ich hab‘ ihn schon seit zwei Jahren.“ Dann ging er an mir vorbei. Ich sah auf die Hundemarke an dem Halsband. „Koron.“ Abrupt blieb Ruki stehen und sah mich mit großen Augen an. „Was hast du gesagt?“, fragte er flüsternd. „Ähm, Koron. Das steht hier auf seiner Marke. Ist das sein Name?“ Ruki sah mich weiterhin wortlos an, bevor er kurz nickte und sich schnell wieder umdrehte, beinahe schon fluchtartig in ein Zimmer verschwand. Hatte ich was falsch gemacht? Als Koron anfing, leise zu fiepen und in die Richtung sah, in der Ruki verschwunden war, setzte ich ihn wieder auf den Boden, und schon rannte er seinem Herrchen hinterher. Ich sah mich um. Die Wohnung war groß, wenn ich mich nicht täuschte, fast schon doppelt so groß wie meine. Ich wusste nicht, ob ich Ruki folgen oder lieber hier warten sollte. Vielleicht wenigstens meine Schuhe ausziehen, der weiße Teppich hier im Flur würde es mir danken. Eilig öffnete ich die Schnürsenkel und stellte die Schuhe an die Wand, als plötzlich Koron wieder zu mir gerannt kam und mich ansprang. Überrascht von dem plötzlichen ‘Angriff‘, verlor ich kurz das Gleichgewicht und stützte mich noch rechtzeitig an der Kommode neben mir ab, bevor ich doch Bekanntschaft mit dem Teppich machen würde. „Koron, was ist denn los?“ Ich sah zu dem kleinen Chihuahua, doch dieser bellte mich nur einmal kurz an und rannte dann wieder davon. Ich schüttelte lachend den Kopf. Vielleicht sollte ich mir auch einen Hund zulegen, schien zumindest sehr aufregend zu sein. Erst jetzt fiel mir auf, dass ein Bilderrahmen auf der Kommode umgekippt war. Ich griff danach und sah ihn mir an. Auf den Bild waren Ruki und ich zusehen, wie ich ihn Huckepack trug und wir beide in die Kamera lachten. Der Hintergrund sah nach einem Park aus. Ich lächelte und stellte den Bilderrahmen wieder zurück, als mir vier weitere auffielen. Ich hockte mich vor die Kommode und betrachtete den nächsten. Wieder waren Ruki und ich darauf. Dieses Mal hatte ich Ruki über meine Schulter geworfen und meine Hand lag auf seinem Hintern. Ich hatte ihm wohl auf den Hintern geschlagen, wenn man Rukis empörten Gesichtsausdruck so betrachtete. Auf dem dritten Bild lag ich entspannt und oberkörperfrei auf einer Decke, wahrscheinlich die Augen geschlossen, sonst hätte ich wohl Ruki bemerkt, wie er neben mir hockte und gerade dabei war, eine Flasche über mir ausschütten zu wollen. Er grinste in die Kamera. Das hatte sicher Ärger von mir gegeben oder zumindest eine genauso fiese Rache. Ich schob den Bilderrahmen beiseite und griff nach den letzten beiden. Das eine zeigte alle von uns. Kai und Reita hockten nebeneinander auf der Wiese. Reita hatte einen Arm über Kais Schulter gelegt, während Kais Arm um Reitas Hüfte lag. Kai zeigte sein Lächeln, das mir auch schon im Restaurant so gefallen hatte, während Reita auf seine coole Art der Kamera den Mittelfinger entgegen streckte. Ich verdrehte grinsend die Augen. Selbst da trug er dieses Band über der Nase. Doch bei genauerem Hinsehen fiel mir auf, dass Reita nicht direkt in die Kamera sah. Sein Blick ging in Richtung Kai. Ich kniff die Augen zusammen, um etwas genaueres zu erkennen… Doch, Reita sah eindeutig zu Kai. Also war da auch schon etwas zwischen den beiden gewesen, sie wussten es einfach nur nicht. Hinter ihnen standen Ruki und Uruha mit mir in der Mitte. Ruki lächelte beinahe schon unschuldig in die Kamera und machte mit beiden Händen das typische Peace-Zeichen. Mit den verwuschelten blonden Haaren, die ihm wild ins Gesicht hingen, sah er wirklich niedlich aus. Wie bei seinem ersten Besuch im Krankenhaus… Uruha hatte zwei Finger an meine Wange gelegt und war anscheinend gerade dabei gewesen, meinen Kopf in seine Richtung zu drehen. Sein Arm lag um meiner Hüfte, soweit ich das erkennen konnte und er lächelte mich an. Mein Blick war direkt auf die Kamera gerichtet und ich hatte eine Hand in meine Hüfte gestemmt, sodass meine Hand wohl auf Uruhas lag. Wir sahen alle glücklich aus, es war sicher ein wundervoller Tag gewesen. Ich sah auf das letzte Bild. Erneut waren es wieder nur Ruki und ich. Wir lagen beide auf einer Decke und Ruki hatte seinen Kopf auf meinen Bauch gelegt. Plötzlich wurde mir der Bilderrahmen aus der Hand gerissen. Ich zuckte erschrocken zusammen und sah Ruki neben mir stehen. Er zog die oberste Schublade auf und verstaute schnell alle Bilder darin. Verwirrt beobachtete ich sein Tun, ohne zu verstehen, warum er das tat. „Ruki...“, begann ich, doch wurde ich schnell von ihm unterbrochen. „So, du hast mich sicher nicht grundlos besucht, also… worauf hast du Lust?“ Er grinste mich an und schob mich Richtung Wohnungstür. Kaum dass wir das Hochhaus verlassen hatten, wollte Ruki schon die Straße überqueren. Schnell hielt ich ihn fest. „Jetzt warte doch mal.“ Er sah mich überrascht an, blieb jedoch stehen. „Ich hab‘ dir noch gar keinen Guten Morgen gewünscht“, grinste ich und zog ihn in eine Umarmung. Zögernd erwiderte Ruki diese. „Guten Morgen“, flüsterte ich leise, bevor Ruki sich auch schon wieder aus meiner Umarmung entwand. Etwas unschlüssig stand er vor mir. „Da es ja noch recht früh ist… was hältst du von einem Spaziergang im Park?“ Ruki zuckte nur mit den Schultern. „Du könntest Koron holen und dann gehen wir, ja?“ Er griff in seine Jackentasche, holte seinen Schlüssel heraus und lief zurück zum Eingang. „Ruki“, rief ich ihm hinterher. Er sah über seine Schulter zu mir. „Vergiss‘ nicht zu Lächeln, es ist ein schöner Tag.“ Koron lief brav neben Ruki, doch kaum dass wir den Park betraten, war er wie ausgewechselt. Ungeduldig zog er an der Leine und bellte aufgeregt. Ruki lächelte und löste die Leine von seinem Halsband. Wir blieben am Wegrand stehen und beobachteten, wie Koron eine große Runde über die Wiese rannte. „Setzen wir uns hin. Es kann dauern, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hat.“ Ruki zeigte auf die Bank neben uns. Ich setzte mich und beobachtete weiterhin den kleinen Chihuahua, wie er sich fröhlich im Gras wälzte. „Wie fühlst du dich?“, fragte Ruki plötzlich und sah mich an. „Ganz gut. Ich habe ab und zu noch Kopfschmerzen, aber dank der Tabletten aus dem Krankenhaus verschwinden die auch schnell wieder.“ Ich lächelte und schloss die Augen, atmete die frische Luft ein. „Und du? Wie geht es dir?“ Ruki sah überrascht aus. „Ich? Oh, ähm, gut. Ich bin froh, dass du den Unfall… überlebt hast. Der Arzt meinte, es wäre sehr knapp gewesen. Aber ich freue mich, dass es dir schon besser geht.“ Er sah wieder auf die Wiese, bevor er ruckartig aufstand. „Koron! Nein!“, rief er und lief los. Ich sah ihm überfordert hinterher und konnte am anderen Ende der Wiese erkennen, wie Koron wild in einem Blumenbeet buddelte. Ich lachte. Nachdem Ruki eine knappe halbe Stunde über die Wiese gerannt war und hoffnungslos versucht hatte, Koron einzufangen, ließ er sich atemlos neben mir auf die Bank fallen. „Bitte, hilf‘ mir“, brachte er mühsam hervor und stand wieder auf. Während Ruki wieder auf die offensive Art versuchte, ihn einzufangen, nahm ich mir einen kleinen Ast und wedelte damit herum. „Koron!“, rief ich und pfiff einige Male, um auf mich aufmerksam zu machen. Der Chihuahua sah in meine Richtung und als er den Ast entdeckte, rannte er auf mich zu. Erwartungsvoll blieb er vor mir sitzen und wartete gespannt darauf, dass ich warf. Koron war so fixiert auf den Ast, dass er nicht bemerkte, wie Ruki sich langsam von hinten anschlich und ihn schnell packte. Überrascht fiepte der Kleine auf, erkannte aber sein Herrchen und wedelte sofort erfreut mit dem Schwanz. „Danke“, keuchte Ruki und band die Leine wieder am Halsband fest. „Kein Problem“, lachte ich und sah auf die Uhr. „Was hältst du von Frühstück?“ Ruki schüttelte den Kopf. „Kein Frühstück, bitte. Aber bei einem Kaffee sag‘ ich nicht Nein.“ Er setzte Koron wieder auf den Boden und gemeinsam verließen wir den Park. Nachdem wir uns bei Starbucks beide einen Kaffee geholt hatten und Koron wieder in Rukis Wohnung gebracht hatten, entschieden wir uns, am Abend ins Kino zu gehen. Bis dahin wollten wir uns in der Stadt ein wenig umsehen. Ruki meinte, er brauche unbedingt ein paar neue Klamotten. Ich nickte nur, vielleicht fand ich auch etwas für mich. Doch das ich heute sicher nichts für mich finden würde, wurde mir schon im ersten Geschäft klar. Ruki nahm sich von beinahe jedem Kleiderständer etwas und verschwand mit einem riesigen Haufen in einer Kabine. Ich wollte die Zeit nutzen, um mich nach etwas Passendem für mich umzusehen, als Ruki plötzlich den Kopf aus der Kabine streckte und nach mir rief. „Wo willst du denn hin? Ich brauche eine zweite Meinung!“ Dann zeigte er auf den leeren Stuhl neben der Kabine und zog den Vorhang wieder zu. Ich seufzte und ließ mich auf den Stuhl fallen. Kaum zwei Minuten später zog Ruki den Vorhang schwungvoll auf und sah mich an. Er trug eine schwarze Jeans. Dazu eine schwarzes Shirt mit dem Aufdruck ‘What the fuck is wrong with you‘ und einen ebenso schwarzen Cardigan. Ich starrte ihn beinahe schon an. Mir fehlten die Worte. Er sah fantastisch aus! „Wow“, brachte ich nur heraus und beobachtete, wie er sich einmal im Kreis drehte. „Findest du? Ich weiß nicht… ist das nicht ein wenig zu eng?“ Er zog leicht an dem Oberteil. Ich runzelte die Stirn und stand auf, schob seine Hände beiseite. „Spinnst du? Da passt du mindestens noch ein zweites Mal rein.“ Ich zog ebenfalls an dem lockeren Stoff. „Keine Ahnung, was du siehst. Ich finde, du siehst großartig aus.“ Er lächelte verlegen und schob mich aus der Umkleide heraus. „Danke“, murmelte er noch, bevor er den Vorhang wieder zu zog. Eine gefühlte Ewigkeit später hatten wir endlich alle von Rukis ausgewählten Kleidungsstücken durch. Ich half ihm beim Tragen zur Kasse und legte alles auf die Theke. Während die freundliche Verkäuferin alle Stücke scannte und ich die immer größer werdende Summe betrachtete, fragte ich mich, ob Ruki das überhaupt bezahlen könnte. Doch dieser schien sich nicht um den hohen Preis zu kümmern. Er zog eine Karte aus seinem Portemonnaie und reichte sie der Verkäuferin. Ich fragte mich, was Ruki wohl beruflich tat, um sich das leisten zu können. Ich sollte ihn einfach -! „Aoi? Kommst du?“ Ruki hielt drei Tüten in der Hand und sah mich auffordernd an. Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken zu vertreiben und nahm Ruki zwei Tüten ab. „Möchte die kleine Diva noch woanders hin?“, neckte ich ihn und schubste ihn leicht. Er blies beleidigt die Wangen auf und zog eine Schnute. „Ich war schon seit knapp drei Wochen nicht mehr Shoppen. Das war wirklich notwendig.“ Ruki grinste. „Aber Nein, ich denke, ich habe jetzt..-“ Er blieb stehen und sah in ein Schaufenster. Ich folgte seinem Blick und betrachtete das Paar Schuhe, dass dort von einem Scheinwerfer angeleuchtet wurde. Schwarze Boots, verziert mit goldenen Nieten. Ich verdrehte die Augen. „Nun, geh‘ schon und probier‘ sie. Ich warte hier.“ Ruki lächelte mich mit leuchtenden Augen an und verschwand kaum eine Sekunde später in dem Geschäft. Freudestrahlend und mit zwei weiteren Tüten kam er nach nur zwanzig Minuten später wieder. „Was hast du denn so lange gemacht?“ Ich hatte mich zwischen den zwei Tüten auf den Boden gesetzt und sah nun leidend zu ihm hoch. Er hockte sich neben mich. „Ich wollte gerade mit den Schuhen zur Kasse, aber dann ist mir dieses eine Paar-“ „Schon okay“, unterbrach ich ihn, „ich kann es mir denken. Aber wir sollten uns beeilen, wenn du die Tüten noch vor dem Kino nach Hause bringen willst.“ Er nickte eifrig und zog mich auf die Beine. Und als wir uns auf den Weg zu ihm machten, nahm ich mir fest vor, mit ihm an dem nächsten Geschäft, das seine Aufmerksamkeit gewann, einfach vorbeizugehen. Was auch erfolgreich funktionierte. Und so standen wir eine knappe halbe Stunde später vor dem Kino. „Besondere Wünsche?“, wir sahen auf den großen Plan, der die laufenden Filme und deren Inhalt zeigte. Ich schüttelte den Kopf. „Bitte keinen Horrorfilm. Ansonsten bin ich mit allem einverstanden.“ Ruki nickte. „Gut, ich besorge die Karten und du holst das Popcorn, okay?“ Damit verschwand er an der Kasse. Ich hoffte, dass Ruki einen guten Film aussuchte, aber in der Hinsicht vertraute ich ihm. Mit zwei großen Popcorntüten beladen, wartete ich auf ihn. „Da lang.“ Jemand, ich war mir sicher, dass es Ruki war, griff an meine Hüfte und schob mich den Gang entlang. „Du könntest mir auch einfach eine Tüte abnehmen, dann könnten wir normal laufen“, grinste ich. „Nö. Du hast mich eingeladen, also trägst du das Popcorn auch wie ein Gentleman“, war seine Antwort und ich verkniff mir den Kommentar, dass ich ihn nicht eingeladen, sondern nur den Vorschlag gemacht hatte. Es war im Grunde auch egal, immerhin standen wir nun vor dem richtigen Kinosaal. Neben der Tür hing das Plakat des Films. „Eine Komödie?“, ich sah Ruki an. Er nickte. „Wir brauchen doch einen krönenden Abschluss des Tages. Ich hatte keine Lust auf einen Actionfilm und mit diesen langweiligen Lovestorys wollte ich dich auch nicht quälen. Also blieb nur noch das. Schlimm?“ Er sah mich unsicher an. Ich schüttelte den Kopf und lächelte. „Nein, völlig in Ordnung.“ Ruki hatte zwei Plätze in der Mitte des Saals gewählt, perfekter Blick auf die Leinwand. Und der Film war auch wirklich erste Klasse. Ich wusste doch, dass ich ihm vertrauen konnte. Nur leider konnte ich mich nicht so sehr auf den Film konzentrieren, wie ich es mir gewünscht hätte. Rukis herzliches Lachen ließ mein Herz ein wenig schneller schlagen. Es klang wunderschön und ich verstand nicht, warum er es nur so selten zeigte. Mir fiel auf, dass ich heute im Grunde überhaupt nichts herausgefunden hatte, ob Ruki mein Freund war – oder auch nicht. Ich sah auf seinen Arm, den er auf der Armlehne abgelegt hatte. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine und beobachtete aus dem Augenwinkel seine Reaktion. Ich rechnete damit, dass er sie erschrocken zurück zog, mich anschrie oder vielleicht doch mich anlächelte. Aber nichts. Er reagierte überhaupt nicht! Viel mehr schien er überhaupt nicht mitbekommen zu haben, dass meine Hand die seine berührte. Ruki war viel zu sehr auf den Film konzentriert. Ich hätte wahrscheinlich auch einfach gehen können, ohne dass er es bemerkt hätte. Leise seufzend lehnte ich mich zurück in den Sitz und versuchte mich die wenigstens den Rest des Films zu konzentrieren. Unmöglich bei diesem wunderschönen Lachen neben mir… „Der Film war genial, oder? Am besten war es doch, als der Typ wirklich vergessen hatte, seine Hose hochzuziehen!“ Ich nickte nur, immerhin hatte ich kaum eine Ahnung, was Ruki da erzählte. „Und? Wie hat er dir gefallen?“ Ich sah ihn an und grinste. „Du hast viel zu laut gelacht, als dass ich etwas hätte verstehen können.“ Er schmollte und schlug mir leicht gegen die Schulter. „Überhaupt nicht wahr!“, verteidigte er sich und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Ich sah hoch in den Himmel. „Schau‘ mal“, flüsterte ich leise. Es war schon dunkel, als wir das Kino verlassen hatten und heute hatten wir wohl wirklich einen Glückstag. Kaum eine Wolke verdeckte den Himmel und man hatte eine wunderschöne Sicht auf die leuchtenden Sterne. Ruki blieb neben mir stehen und sah ebenfalls nach oben. „Wow“, hauchte er und lächelte. „Das sieht wunderschön aus.“ Ich brachte Ruki bis vor die Haustür. Schweigend sahen wir uns an, bis Ruki die Arme ausbreitete und mich erwartungsvoll ansah. Ich lächelte und umarmte ihn. „Es war ein schöner Tag mit dir“, sagte ich leise und spürte, wie er nur nickte. Eine Weile standen wir nur da und umarmten uns, bis Ruki mich langsam von sich schob. Er sah mich an. Das seichte Licht der Straßenlaterne ließ sein Gesicht wunderschön aussehen. Ich beugte mich leicht zu ihm hinab und legte meine Lippen leicht auf seine. Ich sah, wie er erschrocken die Augen aufriss und schnell einen Schritt zurückging. Er murmelte etwas, dass annährend wie ein ‘Gute Nacht‘ klang und dann schloss er eilig die Tür auf und rannte die Treppe nach oben. Wie erstarrt sah ich ihn hinterher. Das hatte ich ja super hinbekommen! Wie kam ich denn auch auf die Idee, ihn zu küssen? Ich hätte wissen müssen, dass ihn das völlig überfordern würde. Damit hatte ich den ganzen Tag kaputt gemacht, oder? … Zumindest konnte ich nun Ruki auch ausschließen. Jetzt blieb nur noch Er. Kapitel 6: six -------------- Ich knurrte leise, als meine Klingel mich lautstark aus dem Schlaf riss. Ich nahm mein Kissen und drückte es auf meinen Kopf, um das laute Geräusch zu ignorieren, doch wer auch immer an der Tür war, er hatte nicht vor, einfach wieder zu gehen. Grummelnd krabbelte ich langsam aus dem Bett und griff nach meinem Bademantel, bevor ich zur Tür schlurfte. Mit einem Ruck riss ich die Tür auf und schrie los. „Was fällt Ihnen ein, mich an einem Sonntagmorgen so früh aus dem Bett zu klingeln?! Haben Sie überhaupt keine Manieren?! Ich könnte-“ „Aoi, beruhige dich! Solche Wutausbrüche am frühen Nachmittag sind doch nicht gut für das Herz.“ Ich hielt inne, als ich eine mir bekannte Stimme vernahm. Ich rieb mir die Augen und blinzelte einmal. „Uruha?!“ Oh Gott, ich hatte Uruha angeschrieen! „Ich…Uruha! Es tut mir leid! Ich wollte nicht- Ich wusste nicht-“ Uruha drückte sanft seinen Zeigefinger gegen meine Lippen und stoppte meinen Redeschwall. „Keine Sorge. Ich wusste nicht, dass du noch schläfst. Sonst hätte ich nicht so stürmisch geklingelt.“ Ich nickte nur, bis mir einfiel, dass er immer noch im Hausflur stand. „Oh, komm’ doch rein.“ Ich schob die Tür ein Stück weiter auf und trat beiseite. „Ich ziehe mich nur schnell um. Setz’ dich doch ins Wohnzimmer.“ Damit verschwand ich im Schlafzimmer. Vor meinem Schrank blieb ich stehen und sah mein Spiegelbild an… Ich hatte Uruha so die Tür geöffnet?! Meine Haare standen in alle nur erdenklichen Richtungen ab und die tiefen Augenringe ließen mich noch grauenvoller aussehen. Schnell öffnete ich den Schrank und griff nach einem einfachen Hemd und einer schwarzen Hose. Auf dem Weg zum Bad lief ich am Wohnzimmer vorbei. Uruha stand am Fenster und sah hinaus. Er trug eine kurze eng anliegende schwarze Hose, an der ein Hosenbein am Oberschenkel abgeschnitten war und so einen perfekten Blick auf die weiße Haut gab. Sein T-Shirt war an der linken Schulter ebenfalls ausgeschnitten. Er sah einfach umwerfend aus. „Du solltest dich umziehen, bevor du dich noch erkältest. Es ist über Nacht ziemlich kühl geworden.“ Seine Stimme riss mich aus den Gedanken und ich bemerkte, wie ich ihn immer noch anstarrte. Er sah über seine Schulter zu mir und lächelte. Sofort spürte ich, wie meine Wangen anfingen zu glühen und mit einem kurzen Gestammel aus ‚entschuldige’ und ‚bin gleich wieder da’ verschwand ich endlich im Bad. Ich spritze mir nur kurz etwas Wasser ins Gesicht und auch meine Zähne putzte ich im Rekordtempo. Ich wollte Uruha nicht noch länger warten lassen. Als ich mich endlich neben ihm auf das Sofa fallen ließ, atmete ich tief durch. „Warum bist du schon so früh hier?“, fragte ich ihn. „Früh? Es ist kurz nach 13 Uhr.“ Ich blinzelte und sah ihn erstaunt an, bevor ich zu meiner Uhr an der gegenüberliegenden Wand sah. Das konnte doch nicht sein. Ich hatte den gesamten Vormittag verschlafen? „Jetzt guck’ doch nicht so überrascht. Du hast dich sicher noch nicht vollständig erholt und deshalb braucht dein Körper so viel Ruhe wie möglich.“ Schon möglich… „Der Grund, warum ich hier bin, ich wollte dich einfach besuchen, nach dir sehen, ob alles in Ordnung ist.“ Und zum ersten Mal fiel mir auf, dass sein Lächeln dem von Kai Konkurrenz machen konnte. Seine Lippen hatten eine perfekte Form und glänzten leicht im Licht der Sonnenstrahlen, die durch das Fenster schienen. Wie würden sie sich wohl auf meinen anfühlen, wären sie so weich, wie sie aussehen und… „Aoi? Hey, noch anwesend?“ Uruha legte seine Hand an meine Wange, was mich erschrocken wegzucken ließ. Er lachte leise. „So schreckhaft? Wovon hast du denn geträumt?“ Ich zuckte nur unbeholfen mit den Schultern und lächelte nervös. Ich wusste selbst nicht, wo diese Gedanken hergekommen waren. "Du bist gestern mit Ruki unterwegs gewesen, oder? Erzähl mal." Ich hob eine Augenbraue. Wieso interessierte ihn das? "Wir waren shoppen. Na ja, um genau zu sein, war Ruki shoppen, ich brauchte-!" "Das ist ja wieder typisch!", unterbrach Uruha mich. "Er denkt immer nur an sich. Du hast sicher die ganze Zeit daneben gestanden und auf ihn gewartet, oder?" Ich nickte etwas unbeholfen. "Ja, schon. Aber wie gesagt, ich brauchte auch nichts Neues und so schlimm war es auch nicht-!" "Hat er seine Tüten wenigstens alleine getragen?" Ich legte meine Hand in meinen Nacken und lächelte. "Nein. Ich hab sie ihm abgenommen. Er war wirklich erschöpft und dann-!" Wieder unterbrach er mich. "Er ist so ein Egoist. Du hattest einen Unfall! Du darfst deinen Körper noch nicht allzu sehr belasten! Und dann lässt er dich einfach seine Tüten tragen! Unglaublich!" Ich war etwas irritiert von der ganzen Situation. "So schwer waren diese Tüten ja nicht und-!" "Darum geht es doch gar nicht! Er hat sie dich tragen lassen, obwohl er weiß, dass du erst vor ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden bist!" Irgendwie stimmte das schon. Aber in diesem Moment hatte ich nicht großartig darüber nachgedacht. Es hatte mir auch keine Schmerzen bereitet, also wird es es schon nicht allzu schlimm gewesen sein. "Aber so war er schon immer", fuhr Uruha fort und sah zum Fenster. "Er ist immer allein, hat kaum Freunde. Wir sind da wirklich eine große Ausnahme und auch mit uns geht er wirklich abweisend um. Als er in seine Wohnung eingezogen ist, haben wir ihm alle unsere Hilfe angeboten und was macht er? Er hat uns alle abgewiesen. Er meinte, er bräuchte unsere primitive Hilfe nicht. Kannst du das glauben? Ich dachte, wir wären seine Freunde, aber anscheinend bedeutet ihm so etwas nicht viel." Ich sah Uruha entsetzt an. Das war Ruki? Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Hatte ich mich so sehr in ihm getäuscht? Aber der gestrige Tag war doch wirklich schön gewesen und ich hatte mich kein bisschen abgewiesen gefühlt. Nun ja, außer am Abend als wir uns verabschiedet hatten. "Am Abend, als ich ihn nach Hause gebracht habe, da hat er sich etwas merkwürdig benommen. Aber vermutlich war das nur, weil-!" "Genau. Er weist jeden ab. Bei manchen dauert es länger, wenn er sie für seine Zwecke nutzen kann. Du warst für ihn vermutlich gut genug zum Tüten tragen." Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Vielleicht war es besser, wenn ich Uruha nicht auch noch von unserem Kinobesuch erzählte. "Bei uns war das ganz anders." Jetzt lächelte er und sah mich an. "Wir hatten immer so viel Spaß zusammen und ich habe dich nie ausgenutzt oder abgewiesen. Selbst als du den großen Streit mit deinen Eltern gehabt hast, bin ich die ganze Zeit bei dir geblieben und habe dich unterstützt. Ruki dagegen hat sich kein einziges Mal bei dir blicken lassen. Das er noch immer mit uns befreundet ist, kann ich mir kaum erklären." Ich sah auf meine Hände, die ich nervös knetete. Durch meine fehlenden Erinnerungen konnte ich nicht entscheiden, ob ich Uruha das alles glauben konnte. Es war so unwirklich. Aber wie sagte man? Stille Wasser sind tief. „Was hältst du davon, wenn wir einen Kuchen backen?“ Überrascht von diesem plötzlichen Themenwechsel sah ich Uruha an. „Ähm... sicher, aber ich denke nicht, dass ich alle Zutaten dafür hier habe. Wir müssten in den-“ „Nein, müssen wir nicht“, unterbrach Uruha mich und hielt eine große Plastiktüte hoch, „ich habe an alles gedacht. Und eine Schüssel und Kuchenform wirst du ja sicher haben.“ Schon war er aufgesprungen und in meiner Küche verschwunden. Ein paar Sekunden später stand er wieder im Türrahmen und sah mich auffordernd an. „Wenn du nachher auch was von dem Kuchen haben willst, musst du mir aber helfen.“ Er winkte mich mit der Hand zu sich und mit einem Lächeln auf den Lippen folgte ich ihm in die Küche. Uruha stellte die Tüte auf den Tisch und packte die Zutaten aus. Ich setzte mich und griff nach der Mehlpackung. "Hast du denn eine Idee, was für einen Kuchen wir backen sollen?" "Wie wär's mit einem mit Kirschen? Es gab welche im Angebot." Uruha schob mir eine Tüte zu, bevor er sich meinem Kühlschrank zuwandte. "Sie hatten wirklich welche?" Erstaunt öffnete ich die Tüte und steckte mir eine Kirsche in den Mund. "Hmm", ich leckte mir über die Lippen und wollte nach einer zweiten greifen, als Uruha mir auf die Hand schlug. "Hey, wir brauchen noch welche für den Kuchen!" Er grinste und schüttete die Kirschen in eine Schüssel. Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und beobachtete Uruha, wie er die Kirschen abwusch und schließlich eine weitere Schüssel aus meinem Küchenschrank nahm. Ich hob eine Augenbraue. Er hatte so selbstverständlich den Schrank geöffnet, als wüsste er genau, dass ich mein Geschirr dort aufbewahrte. War er oft hier? Vielleicht… könnte es sein, dass…? "Aoi? Hey, nicht wieder einschlafen." Uruha legte eine Hand auf meinen Kopf und streichelte durch meine Haare. "Wie geht es dir? Immer noch Kopfschmerzen?" Ich konnte seinen warmen Atem an meinem Hals spüren und schlagartig überkam mich eine Gänsehaut. Ich nickte nur und seufzte leise, als sich seine Hand in meinen Nacken legte. "Was hältst du davon, wenn ich dich nachher massiere?" Ich war überrascht, doch wie sollte ich so einem verlockenden Angebot denn widerstehen? "Das wäre echt toll. Das Liegen im Krankenhaus und jetzt das lange Schlafen tun meinem Rücken nicht sehr gut." Uruha nickte und begann dann damit, das Mehl mit ein paar Eiern und Milch in der Schüssel zu verrühren. "Warte", meinte ich und stand auf, um ihm das Rührgerät aus der Hand zu nehmen. "Ich soll dir doch helfen." Ich stellte das Gerät auf die höchste Stufe, was sich im nächsten Moment als ziemlich schlechte Idee entpuppte, denn das Mehl hatte sich noch nicht vollständig mit den Eiern und der Milch verbunden und flog jetzt in einer großen Wolke aus der Schüssel. Sofort zog Uruha den Stecker und legte ihn runter neben die Schüssel. "Alles okay, Aoi?" Ich hustete und blinzelte. Ich stand in einer weißen Mehlwolke und konnte Uruha kaum erkennen. Meine Hände wischte ich an meinem Shirt ab, ehe ich mir die Augen rieb. "Ich bin wohl kein guter Bäcker", meinte ich grinsend und hustete noch einmal. Uruha lachte und wischte mir mit einem Handtuch das Mehl und einige Teigklümpchen aus dem Gesicht. "Nein, aber das warst du noch nie. Na ja, zumindest hast du es auch noch nie geschafft, dich beim Backen so einzusauen!" Er zeigte auf meine Sachen. Meine schwarze Hose durfte sich wohl als erstes auf einen Waschgang in der Waschmaschine freuen. Meine Oberschenkel waren überzogen von dem Mehl. Bei meinem Hemd hatte ich wohl Glück gehabt. Durch den sowieso schon weißen Stoff fiel das Mehl kaum auf, doch auf meiner Brust klebte etwas Teig. Seufzend hob ich meine Hand und fuhr mir durch die Haare. "Aoi, warte!", Uruha wollte nach meiner Hand greifen, doch zu spät. Das Mehl von meiner Hand befand sich nun in meinen Haaren. Irritiert sah ich ihn an, ehe ich in Lachen ausbrach. "Weißt du", begann ich und nahm die Packung mit dem Mehl, "da die Küche sowieso schon dreckig ist und ich ebenfalls, macht das hier auch keinen Unterschied mehr!" Ich griff in die Packung und nahm eine Hand voll mit Mehl, um Uruha damit abzuwerfen. Er hob schützend die Arme, doch seine Sachen retten konnte er damit nicht. Ich lachte und bekam so nicht mit, wie Uruha sich nun seinerseits die Packung nahm und mich mit dem Mehl bewarf. So ging das eine ganze Weile, bis die Packung fast komplett leer war. Ich lehnte mich gegen die Theke und schnappte nach Luft. Soviel gelacht hatte ich schon lange nicht mehr... zumindest soweit ich mich erinnern konnte. "Wow. Du solltest wirklich duschen gehen." Uruha lehnte sich neben mich an die Theke und sah mich lächelnd an. "Was ist mit dem Kuchen? Wir haben doch noch nicht mal richtig angefangen", meinte ich und sah zu der Schüssel, in der noch immer der halbfertige Teig lag. "Keine Sorge. Du gehst duschen und ich kümmere mich um den Rest. Und danach werde ich duschen." Und bevor ich noch irgendetwas hätte einwerfen können, packte Uruha mich an den Schultern und schob mich in den Flur hinaus. "Jetzt geh, sonst bekommst du nachher nichts von dem Kuchen ab!", grinste er und schloss dann die Tür. Ich sah noch einen Moment lang die Tür an, bevor ich kopfschüttelnd ins Bad ging. Er hatte Recht. Im Bad zog ich vorsichtig meine Sachen aus, um das Mehl nicht noch unnötig zu verteilen und warf sie gleich in die Waschmaschine. Vor dem Spiegel blieb ich erschrocken stehen. Als ich mir vorhin die Haare zurück gestrichen hatte, musste ich wohl das ganze restliche Mehl von meiner Hand darin verteilt haben. Ich grinste. Es hatte wirklich verdammt Spaß gemacht und wenn ich so darüber nachdachte, hatte auch mein Herz viel schneller geschlagen, als ich Uruhas bezauberndes Lachen gehört hatte. Ich stieg in die Dusche und machte mich daran, dass Mehl aus meinen Haaren zu spülen. Mit frischen Sachen und noch feuchten Haaren öffnete ich die Küchentür, wo mir sofort ein wunderbarer Duft entgegenschlug. "Wow." Ich hockte mich vor den Ofen, wo der Kuchen langsam über den Rand schaute. "Das riecht ja unglaublich!", meinte ich begeistert und sah Uruha an, der an dem Küchentisch saß und mich anlächelte. "Das freut mich. Ich habe mir auch besonders Mühe gegeben. Immerhin soll er dir ja schmecken." Er stand auf und hockte sich neben mich. "Pass du auf, dass der Kuchen nicht anbrennt, ja? Ich werde dann auch duschen gehen." Damit stand er auf und verschwand aus der Küche. Ich hörte noch, wie er die Badtür hinter sich schloss, dann war es ruhig. Ich setzte mich auf den Stuhl, auf dem Uruha noch vor ein paar Sekunden gesessen hatte. Noch immer schwirrten mir seine Erzählungen über Ruki durch den Kopf. Das konnte doch nicht sein, oder? Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich mich so in ihm getäuscht hatte. Ich wusste nicht mehr, wie unsere Beziehung vor dem Unfall war. Aber die Fotos, die ich in Rukis Wohnung gesehen hatte, zeigten doch, dass er eben nicht abweisend gegenüber uns war, oder? Ich wusste nicht mehr, was ich für richtig oder falsch halten sollte. Dazu kamen wieder diese dröhnenden Kopfschmerzen, die mich schon seit der Entlassung aus dem Krankenhaus begleiteten. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände und seufzte. Und ich wusste noch immer nicht, mit wem ich eine Beziehung führte. Als ich mit Ruki im Kino gesessen hatte, war ich mir so sicher gewesen, dass er mein Freund war. Doch nachdem ich ihn geküsst und er mich völlig schockiert angesehen und sich ins Haus geflüchtet hatte, war ich mir überhaupt nicht mehr sicher. Aber Uruha... auch er brachte mein Herz zum Rasen und in seiner Gegenwart spürte ich dieses angenehme Kribbeln im Bauch. Ich sah hoch und mein Blick fiel auf die Uhr. Uruha war schon ziemlich lange im Bad und ich hatte kein Wasserrauschen mehr gehört. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit. Vielleicht war er ausgerutscht und hatte sich den Kopf angeschlagen?! Schnell stand ich auf und lief zum Bad. "Uruha-!" Ich hielt inne, als ich ihn unter der Dusche stehen sah. Schnell zog ich die Tür wieder zu und lehnte mich dagegen. Er hatte mich nicht bemerkt, aber ich hatte ihn gesehen. Die Duschwand bestand aus Glas und hatte nichts verborgen. Ich spürte, wie mein Herz heftig in meiner Brust klopfte und langsam öffnete ich die Tür wieder einen Spalt breit. Uruha verrieb das Shampoo auf seiner Brust und glitt dann langsam mit den Händen tiefer. Ich spürte, wie mein Blut in südliche Regionen schoss und unbewusst legte sich meine Hand auf meinen Schritt. Uruha drehte sich etwas, sodass ich nun seinen Rücken sehen konnte. Mir entkam ein Stöhnen und erschrocken wich ich von der Tür zurück. Erst jetzt bemerkte ich auch den unangenehmen Geruch. Ich hob eine Augenbraue und atmete den Geruch erneut ein. Verbrannt. Es roch verbrannt- der Kuchen! Sofort eilte ich in die Küche zurück und mir schlug der beißende Geruch entgegen. Ich öffnete den Ofen und griff nach der Kuchenform. Schreiend zog ich meine Hand zurück und fiel auf meinen Hintern. Ich presste sie gegen meine Brust und atmete zitternd. Ich hatte einfach so in den Ofen gegriffen. Natürlich hatte ich mir dabei die Hand verbrannt. "Scheiße!", zischte ich und drückte sie fester, um den Schmerz wenigstens etwas erträglicher zu machen. "Was ist denn los? Aoi, was hast du gemacht?" Uruhas Stimme ließ mich hochsehen und er nahm meine Hand, um sie sich anzusehen. "Es roch plötzlich verbrannt und ich habe nicht wirklich nachgedacht und wollte den Kuchen einfach rausnehmen. Na ja", ich lächelte nervös, weil mir das ganze ziemlich unangenehm war. Was musste Uruha jetzt von mir denken? "Du bist ein richtiger Tollpatsch. Komm mit. Wir müssen das kühlen!" Er zog mich auf die Beine und brachte mich ins Bad. Erst jetzt sah ich, dass er sich nur ein Handtuch um die Hüfte gewickelt hatte. Er stellte das Wasser auf kalt und hielt meine Hand darunter. Ich wollte sie sofort zurückziehen, als mich ein stechender Schmerz durchfuhr, doch Uruha hielt meine Hand weiter fest. "Ich weiß, dass es wehtut, Aoi. Aber das muss sein. Sonst bilden sich unangenehme Blasen und glaub mir: dagegen ist das hier ein Zuckerschlecken. So, und jetzt setz dich hin", meinte er, schaltete den Wasserhahn ab und drückte mich auf die Toilette, damit ich mich hinsetzte. "Ich glaube, der Verbandskasten ist-!" "Unter dem Waschbecken, ich weiß." Uruha hockte sich hin und kramte ihn hervor. "Streck deine Hand aus." Ich folgte seiner Anweisung und sah zu, wie er eine Salbe auf der geröteten Haut verteilte, ehe er vorsichtig einen Verband darum wickelte. Ich war erstaunt, wie behutsam er das alles tat und ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. "Du kannst ja schon wieder lachen", grinste er und stellte den Verbandskasten wieder in den Schrank. "Am Besten solltest du deine Hand vorerst nicht benutzen. Und auch der Verband sollte nicht nass werden. Schaffst du das? Oder soll ich heute hier bleiben?" "Ah, nein. Das brauchst du nicht. Vielen Dank! Aber was ist mit dem Kuchen?" Uruha lächelte. "Mach dir darüber keine Gedanken." Er stand auf und zog seine vom Mehl schmutzigen Sachen wieder an. Beschämt drehte ich mich um, als er das Handtuch zu Boden fallen ließ. "Ich kann dir auch Klamotten von mir leihen." Aber Uruha schüttelte nur den Kopf. "Das geht schon. Ich kann sie Zuhause waschen." Dann ging er zurück in die Küche. Ich folgte ihm und sah zu, wie er mit Handschuhen die Kuchenform aus dem Ofen holte und den schwarzen Klumpen betrachtete. "Ich schätze, den können wir nicht mehr essen." Uruha nahm seine Tasche, die er im Flur abgestellt hatte, und holte einen kleinen Pappkarton hervor, den er auf den Küchentisch stellte. "Was ist das?", fragte ich und setzte mich an den Tisch. Er öffnete den Karton. "Du hast einen Kuchen gekauft?" Ich schüttelte lachend den Kopf. "Du hast dir schon gedacht, dass wir das versauen werden, oder?" Ich stand auf und umarmte Uruha. "Ich hatte gehofft, dass wir es hinbekommen, aber für alle Fälle habe ich einen gekauft." Er legte seine Arme um mich und ich spürte wieder, wie mein Herz zu rasen anfing. Seine Nähe, seine Wärme, sein Duft. Das alles brachte mich völlig durcheinander. Ich löste unsere Umarmung etwas und sah ihn an. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt und spürte seinen Atem auf meinen Lippen. "Nun gut, es ist schon spät. Ich sollte mich dann auf den Weg machen. Und du solltest auch bald ins Bett gehen." Ich blinzelte irritiert, als er sich so plötzlich von mir löste. "Ja, ich-! Du hast Recht. Sonst verschlafe ich wieder den ganzen Vormittag." Uruha nickte und sah meine verbundene Hand noch einmal an, bevor er in den Flur ging und seine Sachen zusammensuchte. Ich lehnte mich gegen den Türrahmen und beobachtete, wie er sich anzog. "Also dann. Pass gut auf dich auf und denk daran, deine Tabletten zu nehmen." Er lächelte und legte seine Hand an meine Wange. "Wir sehen uns." Damit löste er sich gänzlich von mir und verließ meine Wohnung. Jetzt war ich mir sicher, dass Uruha mein Freund sein musste. Kapitel 7: seven ---------------- Es war warm um mich herum und ich ließ meine Augen für einen Moment länger geschlossen, als mich ein Gefühl der Glückseligkeit durchströmte. In der Ferne hörte ich ein leises Klingeln, wie das eines Glöckchens an einem Weihnachtsbaum. Langsam öffnete ich meine Augen und blinzelte ein paar Mal, um mich an die Helligkeit zu gewöhnen. Ich streckte meine Hand nach oben, um die blendende Sonne etwas abzuschirmen, doch es half nicht. Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Der Boden unter mir war angenehm warm und ich spürte einen kühlen Luftzug. Ich sah nach oben, doch befand sich dort nicht der blaue Himmel, wie ich es erwartet hatte, sondern eine weiße Decke. Irritiert hob ich eine Augenbraue und sah nach links. Eine weiße Wand. Mein Blick glitt nach rechts. Eine weiße Wand. Mit einem unguten Gefühl stand ich langsam auf und drehte mich einmal im Kreis, doch meine Umgebung veränderte sich nicht. Die weißen Wände und die Decke blieben an Ort und Stelle. Ich befand mich in einem Raum, ohne Tür und Fenster. Ein Gefühl der Panik stieg in mir auf und ich lief ohne weiter nachzudenken auf eine der Wände zu, um diese mit hastigen Bewegungen abzutasten. Es musste hier doch eine Tür geben! Irgendwie war ich schließlich auch hinein gekommen! Ich hielt inne, als ich ein leises Summen hörte. Erschrocken drehte ich mich herum, doch der Raum war noch immer leer. Was zur Hölle war hier los? Ich lief zu der gegenüberliegenden Wand und suchte dort nach einer versteckten Tür oder einem Fenster. Und das Summen wurde lauter. Nein, das war kein Summen, das war eine Stimme! Und sie rief nach jemand. Ich lehnte mich gegen die Wand und schloss meine Augen, um mich besser auf das Hören zu konzentrieren. Sie wurde mit jedem Mal lauter, doch noch war sie zu leise, um etwas zu verstehen. "...i!" Ich schüttelte den Kopf. Das brachte nichts! Ich widmete mich wieder der Wand. Wo war die Tür?! "...oi!" Ich hielt inne. Meine Hände lagen flach auf der Wand und erst jetzt bemerkte ich das Blut an ihnen. "Aoi!" Ich drehte mich nicht um, als hinter mir die Stimme nach mir rief, viel zu sehr schockierten mich der Anblick meiner Hände und das Blut, das an ihnen klebte. Wie in Trance drehte ich meine Hände herum, doch auch die Handrücken waren mit Blut verschmiert. Ich sah an mir herunter. Meine Kleidung war wie in rote Farbe getränkt, doch der unangenehme Geruch von Metall verriet mir, dass es keine Farbe war. Ich schrie auf, als sich zwei warme Hände auf meine Schultern legten und sich jemand gegen meinen Rücken drückte. Panisch drehte ich mich herum und sah dem Fremden in Gesicht. Überrascht taumelte ich einen Schritt zurück und stieß gegen die Wand. "U-Uruha!", flüsterte ich. Vor mir stand kein Fremder. Es war Uruha, der mich beruhigend anlächelte und wieder seine Hände auf meine Schultern legte, um mich an sich zu ziehen. Ich spürte, wie eine große Last von mir abfiel, als ich seinen Geruch einatmete. Uruha war hier. Ich war nicht mehr allein. Alles war gut. Ich hob meine Hände, um sie auf seinen Rücken zu legen, doch hielt ich inne. Das Blut war weg. Ich stieß Uruha etwas unsanft von mir, um meine Kleidung anzusehen. Strahlend weiß, kein einziger roter Fleck. "Aoi." Eine Hand legte sich unter mein Kinn und hob mein Gesicht an. Uruha lächelte und strich mit einem Finger über meine Lippen. Ein angenehmer Schauer rann mir über den Rücken. Ich sah, wie er sich langsam vorbeugte, bis ich seinen warmen Atem auf meinen Lippen spürte. Ruckartig riss ich meine Augen auf und saß aufrecht im Bett. Es dauerte einen Moment, ehe ich meine Umgebung wieder wahrnahm. Ich war Zuhause, in meinem Schlafzimmer. Das war nur ein Traum gewesen. Ich atmete erleichtert aus und ließ mich zurückfallen. Müde rieb ich mir die Augen und sah zu meinem Wecker. 15:38 Uhr. Ich hatte schon wieder den halben Tag verschlafen. Stöhnend schlug ich die Decke zurück und schwang meine Beine aus dem Bett. Ich blieb einen Moment auf der Bettkante sitzen und ließ mir den Traum noch einmal durch den Kopf gehen. Warum war Uruha darin vorgekommen? Und warum hatte er mich küssen wollen? Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und seufzte. Ich hätte mich eigentlich schon über den Kuss gefreut. Und auch wenn es nur ein Traum gewesen war, hätte ich schwören können, dass mir das Herz bis zum Hals geschlagen hat. Meine Mundwinkel hoben sich und ich musste lächeln bei der Erinnerung, wie Uruha mich umarmte hatte. Ich hatte mich sicher gefühlt in seinen Armen. Beschützt und auch geliebt. Seit wir vor zwei Tagen den Kuchen zusammen gebacken hatten, ging mir Uruha nicht mehr aus dem Kopf. Jede seiner Berührungen hatte ein leichtes Brennen auf meiner Haut verursacht. Ich sah auf meine rechte Hand, die noch immer in einen Verband gehüllt war. Ich zog den Klebestreifen ab, der den Verband zusammenhielt und wickelte ihn langsam ab. Man konnte genau sehen, wo ich das Blech berührt hatte. Die Stellen waren stark gerötet und brannten bei jeder kleinsten Berührung. Ich ging ins Bad, um noch einmal die Salbe auf meiner Hand zu schmieren. Sie kühlte angenehm und der Schmerz verblasste für einen kurzen Moment. Ich sah hoch in den Spiegel und betrachtete mein Gesicht. Ich war nicht mehr so blass wie kurz nach meiner Krankenhausentlassung und auch die Augenringe waren zurückgegangen. Aber bei dem vielen Schlaf, den ich in den letzten Tagen bekommen hatte, war das kein Wunder. Ich leckte mir über die Lippen und musste wieder an den Fast-Kuss von Uruha denken. Wie seine Augen mich angesehen hatten, wie sein Atem über meine Lippen gestrichen hatte. Mein Herz schlug schon wieder zwei Takte schneller. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, um mich wieder zu beruhigen. Ich musste zu Uruha. Ich musste es ihm sagen. "Aoi? Was machst du denn hier?" Uruha sah überrascht aus, als er mir die Tür öffnete. Ich lächelte und betrat seine Wohnung. Es war warm, angenehm bei den eiskalten Temperaturen draußen. "Ich hoffe, ich störe dich nicht." Uruha schüttelte den Kopf und nahm mir meine Jacke ab, um sie an die Garderobe zu hängen, die sich neben der Tür befand. Ich knetete nervös meine Hände und wich seinem Blick aus. "Ist etwas passiert? Brauchst du Hilfe?", fragte er und ich konnte die Besorgnis aus seiner Stimme heraushören. "Nein! Ich... ehm, würde gern mit dir reden." Uruha hob überrascht eine Augenbraue, bevor er mich ins Wohnzimmer brachte, wo wir uns auf die Couch setzten. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet. Die Möbel waren aus einem hellen Holz und ließen das Zimmer größer wirken. Auf dem kleinen Tisch vor der Couch stand ein Notebook und eine kleine Schale mit drei Äpfeln. "Worüber möchtest du reden?", riss mich Uruhas Stimme aus den Gedanken. Meine Hände zitterten und ich rieb sie über meine Oberschenkel. "Also", begann ich leise und schluckte, als sich ein Kloß in meinem Hals bildete. "Als ihr mich im Krankenhaus besucht habt, hast du mir erzählt, dass ich eine Beziehung mit jemand habe." "Richtig." "Und du wolltest, dass ich denjenigen selbst finde, indem ich auf mein Herz höre." "Genau." Ich schluckte erneut und bohrte meine Finger in mein Knie bis sich Uruhas Hände auf meine legten und er mich beruhigend anlächelte. "Ich glaube, dass ich den Richtigen gefunden habe", flüsterte ich heiser. Uruhas Hände streichelten weiter über meine und er hörte mir aufmerksam zu. Ich zog meine Hände zurück und legte sie an seine Wangen. "Ich glaube... nein, ich weiß, dass du mein Freund bist", hauchte ich leise und legte vorsichtig meine Lippen auf seine. Nur kurz, dann zog ich mich schnell wieder zurück. Vielleicht hatte ich mich auch in etwas verrannt? Hatte ich möglicherweise zu viel in sein Verhalten hinein interpretiert? Warum hatte ich auch wieder so vorschnell gehandelt?! Ich zuckte zusammen, als sich seine Hand unter mein Kinn legte und mein Gesicht näher zu sich heran zog. Wie in meinem Traum, schoss es mir kurz durch den Kopf, ehe jeder klare Gedanke mit einem Mal verschwand, als ich Uruhas weiche Lippen spürte. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf das heftige Schlagen in meiner Brust und das Rauschen in meinen Ohren. Erst als sich Uruha wieder von mir löste, blinzelte ich und sah ihn an. "Ich bin so froh, dass dein Herz sich an mich erinnert hat", flüsterte Uruha und ich konnte sehen, wie seine Augen leuchteten. "Ich liebe dich, Aoi!" Er legte seine Arme um mich und zog mich in eine liebevolle Umarmung. "Es war unglaublich schmerzvoll ohne dich und ohne die Gewissheit, ob du dich wirklich an uns erinnern würdest. Als der Arzt meinte, du hattest die gesamten letzten 5 Jahre vergessen, brach für mich eine Welt zusammen. Aber ich habe dich nie aufgegeben! Ich wusste, dass du es schaffen würdest!" Ich bemerkte, wie seine Atmung unregelmäßiger wurde und er beim Ausatmen heftig zusammenzuckte. Vorsichtig streichelte ich über seinen Rücken, ehe ich ihn von mir schob und sein Gesicht mit den Händen umfasste. "Ganz ruhig. Ich bin doch jetzt hier", flüsterte ich und wischte seine Tränen weg. "Es tut mir wirklich leid, dass du das alles durchmachen musstest wegen mir." Uruha schüttelte den Kopf. "Nein, bitte gib nicht dir die Schuld! Es war ein Unfall und du bist der Letzte, der etwas dafür kann." Er lächelte und küsste meine Wange. Ich nickte nur. Das dumpfe Gefühl in meiner Brust versuchte ich zu ignorieren. "Ich würde es gerne den anderen sagen." Wir saßen zusammen auf der Couch, ich zwischen Uruhas Beinen, mit dem Rücken an seine Brust gelehnt. Uruha hatte seine Hände auf meinem Bauch verschränkt und sein Kinn lag auf meiner Schulter. "Das mit uns, meine ich. Ich denke, die anderen würden sich auch über die Neuigkeit freuen, oder? Immerhin ist das doch ein großer Schritt in die richtige Richtung für mich, nicht?" Ich drehte mein Gesicht, um Uruha ansehen zu können. Er lächelte und zog seine Hände zurück. "Ich denke, das ist eine gute Idee. Ich werde die Anderen mal anrufen, vielleicht können wir uns heute Abend in unserem Stammcafé treffen." Er rutschte um mich herum und verschwand in einem anderen Zimmer. Vermutlich das Schlafzimmer. Ich legte eine Hand auf meine Brust. Das dumpfe Gefühl hatte mich die ganze Zeit nicht verlassen und langsam bereitete es mir Sorgen. Was sollte das bedeuten? Ob ich durch den Unfall nun vielleicht auch Probleme mit dem Herzen hatte? Es tat nicht weh, es war nur sehr unangenehm. Aber warum hatte ich das vorher noch nicht bemerkt? Bekam man so etwas erst Tage nach dem Unfall zu spüren? Müsste das nicht eigentlich sofort eintreten? "Aoi? Ist alles in Ordnung? Hast du Schmerzen?" Uruha saß plötzlich neben mir und hatte eine Hand auf meinen Rücken gelegt. Ich hob meinen Kopf und sah ihn an. "Nein, alles in Ordnung. Ich... Ich habe nur nachgedacht", lächelte ich. Ich wollte ihn nicht unnötig Sorgen bereiten. Uruha hob eine Augenbraue, und ich dachte im ersten Moment, er würde mir nicht glauben, doch er wechselte das Thema. "Ich habe gerade mit Kai und Reita gesprochen. Die beiden haben heute Abend noch nichts geplant. Sieht so aus, als ob wir unsere gute Neuigkeit heute verkünden können." Ich lächelte begeistert und wollte Uruha einen Kuss geben, doch... "Was ist mit Ruki?", fragte ich. Für einen Moment erstarrte sein Lächeln, doch so schnell war es auch wieder da. Vielleicht hatte ich mir das auch nur eingebildet? "Kai meinte, dass er Ruki anrufen würde. Keine Sorge, es werden alle da sein." Ich nickte und küsste ihn. "Danke." "Bist du nervös?" Uruha nahm meine Hand, als wir an der letzten Ampel standen. Nur noch über diese Straße, an drei Häusern vorbei, dann wären wir am Café. Ich nickte, bevor ich den Kopf schüttelte und dann mit den Schultern zuckte. "Ich weiß nicht. Für dich ist es immerhin das zweite Mal, dass wir unsere Beziehung bekannt machen. Für mich wieder das erste. Also, wenn du es genau wissen willst, mir schlägt das Herz bis zum Hals und ich habe das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen... Nein, ich bin nicht nervös." Ich versuchte zu grinsen, aber Uruhas Blick sagte mir, dass er den Witz nicht lustig fand und sich wohl schon wieder um mich sorgte. "Bitte guck' nicht so. Mir geht es gut. Ja, natürlich bin ich nervös, aber das ist doch ganz normal." Ich zuckte mit den Schultern und zog dann an seiner Hand, als die Ampel auf Grün sprang. "Sie sind unsere Freunde und sie wissen ja auch von unserer Beziehung. Es ist im Grunde keine neue Neuigkeit, eher eine alte neue." Ich streichelte mit dem Daumen über seinen Handrücken und zwinkerte ihm zu. "Wenn ich es erst einmal gesagt habe, wird wieder alles wie früher sein." Uruhas Gesichtsausdruck blieb noch einen Moment ausdruckslos, bevor sich ein wundervolles Grinsen auf seine Lippen legte. Das erleichterte mich wirklich ungemein. Das Café war wirklich sehr voll und ich war froh, dass Kai darauf bestanden hatte, einen Tisch zu reservieren, wie Uruha mir erzählt hatte. Ich ließ meinen Blick einmal durch das Café schweifen, und auch ein zweites und drittes Mal, doch ich konnte niemanden entdecken, der zu uns gehörte. "Sind wir zu früh?", meinte ich an Uruha gewandt, der hinter mir die Tür schloss und sich dann neben mich stellte. "Es gibt noch einen Raum da hinten, vielleicht sind sie da." Er nahm meine Hand wieder in seine und zog mich an den anderen Gästen vorbei. "Hier!", rief jemand, als wir um die Ecke bogen. Kai stand an einem Tisch und winkte uns zu. Ich lächelte und als wir näher kamen, konnte ich auch Reita und Ruki sehen, die mit am Tisch saßen. Reita zog an Kais Hemd, als wolle er ihm sagen, dass er sich endlich wieder setzen sollte, während Ruki seine Mütze bis tief in sein Gesicht gezogen hatte und sich hinter der Menükarte versteckte. "Hallo", begrüßte ich alle und wurde sogleich von Kai fest umarmt. Ich freute mich, die anderen alle zusammen wiederzusehen. "Wie geht es dir? Nimmst du auch deine Tabletten? Hast du Schmerzen? Schläfst du gut?" "Mensch, Kai! Jetzt lass ihn doch erst mal richtig ankommen!", unterbrach Reita ihn und zog einmal kräftig an seinem Hemd, sodass Kai sich hinsetzen musste. Ich konnte sehen, wie sich Reitas Hand auf Kais Oberschenkel legte, aber Uruha zog mich im selben Moment schon zur Seite, sodass ich mir nicht ganz sicher war. Ich setzte mich Ruki gegenüber und Uruha nahm neben mir Platz. Unter dem Tisch griff er nach meiner Hand und drückte sie leicht. "Also, wie geht es dir nun?" Kai sah mich aufmerksam an und musterte mein Gesicht. Ich winkte ab. "Mach dir keine Sorgen. Ich nehme jeden Tag meine Tabletten und schlafen tue ich auch gut. Vielleicht auch zu gut, ich habe heute schon wieder den halben Tag verschlafen." Reita lachte und Kai musste grinsen. "Das ist wirklich schön zu hören. Du siehst auch wirklich viel besser aus." Ich sah zu Ruki, der noch immer nichts gesagt hatte und weiter die Karte studierte. Ich wollte ihn gerade ansprechen, als Kai mir zuvor kam. "Was gibt es denn nun für gute Neuigkeiten?" Ich sah ihn und Reita an und schluckte. Schon wieder bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Meine Hand zitterte und ich drückte sie fest gegen meinen Oberschenkel. Dann atmete ich einmal tief durch. "Uruha und ich... wir sind jetzt wieder ein Paar." Es herrschte Stille. Im Hintergrund hörte ich das leise Gemurmel von den anderen Tischen, doch es war wie ein lautes Rauschen. Kai und Reita sahen sich an, bevor sie zu Ruki sahen, der die Karte auf den Tisch gelegt hatte und mich mit großen Augen anstarrte. Ich ließ den Kopf sinken. Hatte ich mich geirrt? Waren die anderen doch nicht begeistert von Uruhas und meine Beziehung? Würde ich sie nun alle verlieren? "Das ist großartig!", hörte ich auf einmal Rukis Stimme. Überrascht sah ich ihn an. Er hatte ein breites Grinsen im Gesicht, doch seine Augen sahen traurig aus. Aber vielleicht lag das auch an dem Braun. Braune Augen sahen schließlich immer traurig aus, oder? "Das heißt, du kannst dich wieder erinnern?", fragte er leise und sah dann schnell wieder in die Karte. "Nein, nicht wirklich. Aber mein Herz hat mir gesagt, dass... dass Uruha der Richtige ist." Ich hob unsere Hände hoch und legte sie auf den Tisch, damit die drei unsere ineinander verschränkten Finger sehen konnten. Kai war der Erste, der schließlich wieder die Stille unterbrach. "D-Das ist wirklich toll! Ich meine, dass heißt, dass du große Fortschritte machst, nicht?" Er stieß Reita in die Seite, was auch diesen aus seiner Starre erwachen ließ. "Ja, na dann sollten wir das wohl feiern, oder?" Er grinste und hob die Hand, um einen Kellner zu rufen. Ich wollte mir gerade ein Bier bestellen, als Kai sofort die Hand hob. "Oh nein, du trinkst nichts Alkoholisches heute! Immerhin nimmst du Schmerztabletten!" Ich verdrehte die Augen, lachte dann aber. Es war schön hier mit den anderen zusammen zu sitzen. Während Kai und Reita immer abwechselnd von ihrem Jobs erzählten, trank Ruki ein Bier nach dem anderen. Ab und zu sah er mich an und lachte, obwohl wir über nichts Lustiges gesprochen hatten. Ich machte mir Sorgen, doch jedes Mal, wenn ich Ruki ansprechen und ihn davon abhalten wollte, noch ein Bier zu bestellen, drückte Uruha meine Hand und schüttelte den Kopf. Ich solle ihn in Ruhe lassen, flüsterte er mir ins Ohr, so benehme er sich immer. Ich nickte und blieb leise. Und wieder spürte ich das dumpfe Gefühl in meiner Brust. Die Zeit verging schnell und kurz vor zehn machten Kai und Reita sich auf den Weg. Sie verabschiedeten sich und verließen das Café. "Möchtest du auch bald nach Hause?" Uruha hatte sich zu mir gelehnt und sah mich an. Ich lächelte und nickte. "Ich gehe vorher nochmal zur Toilette. Bin gleich zurück." Ich schob mich durch die eng zusammengestellten Tische und blieb dann überrascht stehen. Draußen standen Kai und Reita und... sie küssten sich. Ich musste lächeln. Sie hatten wohl endlich den Mut gefunden und sich ihre Liebe gestanden. Warum sie uns wohl nichts davon erzählten? Vielleicht brauchten sie selber noch eine Weile, um das Ganze zu realisieren. "Ruki? Wir wollen jetzt auch gehen. Sollen wir dich mitnehmen?" Uruha war gerade dabei seine Jacke anzuziehen, als ich mich zu Ruki drehte und ihn ansprach, doch er reagierte nicht. "Hey, Ruki? Sollen wir dich mitnehmen?" Ich legte meine Hand auf seine Schulter, was ihn zusammenzucken ließ. Er sah mich an und lächelte. "Aoi", flüsterte er, bevor sein Blick hinter mich glitt und er ein Stück zurück rutschte. "Nein, ich bleibe noch hier." Mir war nicht wohl dabei, ihn einfach hier sitzen zu lassen, doch Uruha zog mich an der Schulter zu sich. "Er ist alt genug, um das allein entscheiden zu können." Ja, er hatte Recht. Ich stand auf und folgte Uruha nach draußen. Das dumpfe Gefühl verstärkte sich. Ich hörte, wie die Tür hinter mir zu getreten wurde und laut ins Schloss fiel und ich ungeduldig gegen eine Wand gedrückt wurde. Ich stöhnte lauter in Uruhas Mund, als ich dessen Hände spürte, die an meinem Körper entlang glitten, hektisch an meinem Hemd zerrten, bis ein, zwei Knöpfe abrissen. Meine Finger krallten sich in Uruhas Haare, um ihn dichter an mich heran zu ziehen. Ihm entkam ein Stöhnen und dieser Laut schoss direkt zwischen meine Beine. Uruha und ich stolperten rückwärts in das Schlafzimmer und fielen auf mein Bett. Ich zerrte ihm das Shirt mit einem ungeduldigen Ruck über den Kopf und ließ meine Finger über die nackte Haut gleiten. Aufstöhnend drängte ich mich Uruhas Hand entgegen, als er sie in meine Hose schob. Ich biss in seine volle Unterlippe, weshalb Uruha zischend den Kopf hob und auf mich herabstarrte. Schon allein dieser Blick, so voller Gier, brachte mich fast um den Verstand. Seine Hand bewegte sich, fest und qualvoll langsam. Meine Erregung schwoll noch mehr an, als Uruhas Daumen über meine Eichel strich. Meine Hüften zuckte Uruhas Hand ungeduldig entgegen und ich hörte ein leises Lachen; heiser und atemlos. Und ich wollte mehr davon. Viel mehr. Meine Hände fuhren über Uruhas verschwitzte Haut zu seiner Hose. Ich fummelte gefühlte Stunden an seinem Gürtel herum, zitternd und ungeschickt, bis Uruha die Nerven verlor und ihn selbst öffnete. Ein, zwei Handgriffe später lagen seine Hose und Boxershorts endlich am Boden. Ich hob den Kopf und leckte über seine salzige Haut. Uruhas unbeherrschtes Stöhnen war dabei Musik in meinen Ohren. Eine Hand krallte sich in meine Haare. Ich keuchte noch einmal, als Uruha in meine Brustwarze biss. Kniend starrte er auf mich herab. Ich zischte vor Erregung und griff nun ebenfalls zu, ohne Uruha aus den Augen zu lassen. Ich wand mich unter ihm, verstärkte meinen eigenen Griff um seinen Penis und rieb ihn im gleichen Rhythmus, mit dem Uruha mich massierte. Die ganze Zeit sahen wir uns dabei an und ich wünschte mir, dass es ewig so weitergehen könnte. Ich wollte mehr von diesen gierigen Küssen. Mehr von der Lust, die mir heiß und kalt den Rücken hinab lief. Bis in meine Zehen spürte ich dieses Ziehen, das mich immer weiter zum Ende hintrieb. Bis ich es nicht mehr aushielt und dem Druck nachgab. Stöhnend stieß ich meine Hüften nach oben, Uruha entgegen, der atemlos lächelte, fester zu griff und seinen Daumen auf meine Eichel presste. Reflexartig drückte ich seinen Penis, hörte den überraschten Schrei und spürte, als er schließlich abspritzte. Uruhas dunkles Stöhnen im Ohr und seinen warmen Atem auf meinen Lippen, ließ ich mich endlich in diesen Orgasmus fallen, der kein Ende nehmen wollte. Uruha lag auf mir und klammerte sich, noch immer im Rausch des Orgasmus' gefangen, an mich. Sein warmer Atem glitt über meinen schweißnassen Hals und ich bekam eine leichte Gänsehaut. Ich ließ meine saubere Hand federleicht über seinen Rücken gleiten, spürte, wie sich die Muskeln unter meinen Fingerspitzen zusammenzogen. Ich lächelte und genoss diese ruhige Zweisamkeit. Ich streckte mich, griff nach einer Packung Taschentücher, die neben dem Bett lagen und wischte mir schweigend die Finger und den Bauch ab, bevor ich Uruha ebenfalls ein Tuch unter die Nase hielt. "Ich liebe dich, Aoi", flüsterte er und küsste mich stattdessen. Und ich liebte ihn. Doch das dumpfe Gefühl in meiner Brust blieb. Ich hörte noch, wie mein Handy in meiner Jackentasche leise klingelte, doch ich war einfach zu müde, um nachzusehen. Kapitel 8: eight ---------------- Erschrocken setzte ich mich in meinem Bett auf. Mein Herz schlug viel zu heftig in meiner Brust und ich fühlte, wie mir einige Schweißtropfen aus dem Nacken über den Rücken liefen. Ich hatte geträumt, doch als ich nun versuchte mir einige Szenen ins Gedächtnis zurückzuholen, verschwanden sie immer mehr. Gähnend rieb ich mir die Augen, ehe ich mich zurück auf die Matratze fallen ließ. Ich fuhr mir mit einer Hand durch die Haare und schob meinen Arm auf die andere Betthälfte – und drehte dann überrascht den Kopf zur Seite, als ich niemanden neben mir spürte. Wo war Uruha? Ich setzte mich wieder auf und schob die Bettdecke beiseite. War er schon gegangen? Aber warum? Ich stellte meine Füße auf den Boden und bemerkte dabei das Shirt, welches vor dem Bett auf dem Boden lag. Das gehörte doch Uruha… das hatte er gestern getragen. Dann war er doch noch nicht gegangen? Ich stand auf und jetzt hörte ich auch das leise Klappern von Geschirr und das Rauschen der laufenden Kaffeemaschine. Und nur wenig später wurde die Tür zu meinem Schlafzimmer leise geöffnet und Uruha stand im Türrahmen. Er sah mich überrascht an. „Oh? Du bist schon wach. Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?“, sagte er und lächelte. Ich schüttelte den Kopf und hob Uruhas Shirt vom Boden auf und zog es mir über. Ich hatte keine Lust mir etwas aus dem Schrank zu holen und anscheinend schien es Uruha auch zu gefallen, denn er grinste mich nur an und nickte dann Richtung Küche. „Ich habe Frühstück gemacht. Kommst du mit?“ Ich zog das Shirt nach unten und folgte ihm dann. In der Küche hielt ich kurz inne, als ich den reichlich gedeckten Tisch sah. Uruha musste noch Brötchen geholt haben und ich fragte mich einen Moment lang, wann er wohl aufgestanden sein musste. Daraufhin folgte ein zweiter Gedanke, dass ich morgens eigentlich gar kein Frühstück aß. Zumindest nicht in diesem Umfang. Eine große Tasse mit heißem Kaffee reichte mir. Wusste Uruha das nicht? Wir waren doch schon längere Zeit ein Paar, oder? Das dumpfe Gefühl in meiner Brust kehrte wieder zurück, aber ich ignorierte es. Vermutlich hatten wir bisher kaum zusammen gefrühstückt und er wusste das gar nicht und zur Feier, dass wir nun wieder in einer Beziehung waren, hatte er uns beiden ein Frühstück gemacht. „Ist alles in Ordnung, Aoi? Bist du noch müde?“, fragte Uruha und brachte mich so aus meinen Gedanken zurück. Ich lächelte und sah ihn beruhigend an. „Nein, alles okay. Ich freue mich nur über das Frühstück.“ Ich sollte endlich aufhören, zu viel in alles hinein zu interpretieren. Ich trank den letzten Schluck von meinem bereits abgekühlten Kaffee und reichte Uruha dann die Tasse. Er stand an der Spüle und wusch das benutzte Geschirr ab. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass ich normalerweise nur Kaffee trank und mich zum Essen gezwungen. Doch nach einem Brötchen hatte ich aufgegeben, mein Magen war es einfach nicht gewöhnt, morgens etwas zu essen. Ich beobachtete, wie Uruha das Geschirr abtrocknete und dann zurück in den Schrank stellte. Er tat das wie selbstverständlich. Vielleicht hatte er doch schon öfters bei mir gegessen? „Hast du schon Pläne für heute?“, fragte Uruha und sah über seine Schulter zu mir. Pläne? Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich dachte, wir könnten heute vielleicht einfach mal nichts tun? Ich war die ganze Woche unterwegs und gegen einen Tag Ruhe hätte ich nichts einzuwenden.“ Uruha nickte und stellte die letzte Tasse in den Schrank zurück. „Da habe ich auch nichts dagegen. Ich würde aber gern noch duschen gehen. Was hältst du davon, wenn wir uns danach zurück ins Bett verkrümeln?“ Das war eine geniale Idee! Ich stimmte ihm begeistert zu. Nachdem Uruha sich ins Bad zurückgezogen hatte, nahm ich meine Zigaretten, die auf dem kleinen Schrank im Flur lagen und ging auf den Balkon. Das Wohnzimmer war genau wie das Schlafzimmer zum Meer ausgerichtet, sodass ich auch von hier einen perfekten Blick hatte. Durch den Bau des Hauses lag mein Balkon windgeschützt, doch anhand der hohen Wellen konnte ich erahnen, dass es heute sehr stürmisch sein musste. Vereinzelt konnte ich einige Surfer sehen. Unweigerlich musste ich an den Unfall denken. Dass meine Amnesie durch einen Schlag auf dem Hinterkopf mit einem Surfbrett verursacht wurde, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Ich? Auf einem Surfbrett? Ich konnte ja nicht einmal Skateboard fahren, wie sollte ich dann auf einem Brett solche Welle beherrschen? Je mehr ich darüber nachdachte, desto unwirklicher kam mir alles vor. Meine Erinnerungen von ganzen 5 Jahren waren ausgelöscht worden. Und in diesen 5 Jahren hatte sich so viel ereignet. Ich hatte neue Freunde gefunden, anscheinend mein Talent zum Surfen entdeckt und war sogar in einer Beziehung gelandet. Und an nichts davon konnte ich mich erinnern. Ich zischte, als ein dumpfer Schmerz durch meinen Kopf zog. Ich sollte wohl aufhören, über diese Dinge nachzudenken. Ich zog eine Zigarette aus der Schachtel und setzte mich auf einen der Stühle, die auf dem Balkon standen. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht gehört hatte, wie Uruha aus dem Bad und zu mir auf den Balkon gekommen war. Er stand hinter mir und legte seine Hände auf meine Schultern. „Du solltest nicht so viel rauchen“, sagte er leise und deutete auf die drei ausgedrückten Zigaretten in dem Aschenbecher. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich mittlerweile wohl schon die vierte in der Hand hielt. „Hm, wenn ich nachdenke, bekomme ich nicht viel mit von dem was ich tue“, meinte ich und lächelte. „Du solltest nicht so viel nachdenken, und lieber wieder mit reinkommen. Da wartet ein warmes Bett auf uns, nicht wahr? Oder willst du lieber auch noch duschen?“ Ich drückte die angefangene Zigarette im Aschenbecher aus und stand auf. „Ja, ich gehe noch duschen. Du kannst das Bett ja schon mal anwärmen.“ Uruha lachte und folgte mir zurück ins Wohnzimmer und verschwand dann im Schlafzimmer. Ich ließ die Balkontür offen, damit noch ein bisschen von der salzigen Meeresluft hineinziehen konnte. Ich liebte den Geruch. Im Bad warf ich Uruhas Shirt in den Wäschekorb und stieg unter die Dusche. Das warme Wasser fühlte sich gut an und ich blieb einige Sekunden einfach nur unter dem Wasserstrahl stehen. Doch als ich nach dem Shampoo greifen wollte, fasste meine Hand ins Leere. Irritiert öffnete ich meine Augen und wischte meine Haare aus dem Gesicht. Wo war die Shampooflasche? Sie stand doch normalerweise immer hier in der Ablage. Ich drehte mich einmal um mich selbst, konnte sie aber nicht sehen. Hatte ich sie woanders hingestellt? Ich zog den Duschvorhang beiseite und entdeckte sie dann zwischen dem Rasierwasser und meinem Parfüm. Dort würde ich sie niemals ablegen. Uruha!, schoss es mir durch den Kopf. Er hatte vor mir geduscht und vermutlich das Shampoo falsch zurückgestellt. Aber sollte er nicht eigentlich wissen, wo ich meine Sachen normalerweise abstellte? Vielleicht sollte ich wohl nicht zu viel darüber nachdenken. Wir wohnten nicht zusammen und vermutlich hatte Uruha einfach noch nicht oft bei mir geduscht. Ich streckte mich und schnappte mir die Flasche, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, warum das dumpfe Gefühl in meiner Brust schon wieder zurückkehrte. Als ich ins Schlafzimmer kam, stand Uruha an dem großen Panoramafenster und sah verträumt nach draußen. „Wolltest du nicht das Bett anwärmen?“, fragte ich grinsend und setzte mich an das Fußende. Uruha drehte sich zu mir und lächelte. „Das habe ich schon, aber dann hat mich die Aussicht so gefesselt, dass ich mir das nochmal genauer ansehen musste.“ Er trat zu dem Schalter für die elektrische Jalousie und sah mich an. „Soll ich die runterlassen oder wollen wir die Sonne hereinlassen?“ Ich schüttelte den Kopf und ließ mich nach hinten auf die Matratze fallen. „Mach sie ruhig runter, aber lass unten ein bisschen offen, dann können wir die Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen. Ach, und wenn du schon stehst, könntest du mir vielleicht noch mein graues Shirt geben?“ Ich streckte mich und beobachtete ihn, wie er die Tür von meinem Schrank aufzog und einmal den Blick über die gesamte Auswahl gleiten ließ. Doch anders, als ich erwartet hatte, griff er nicht direkt zu, sondern sah beinahe schon hilflos jedes Fach durch. Da fiel mir wieder ein, wie Ruki damals nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus meinen Schrank wie selbstverständlich eingeräumt hatte und alles an dem Platz gelegen hatte, wie ich es wollte. Und Uruha sah aus, als würde er das erste Mal in meinen Schrank sehen. „Im obersten Fach, das zweite“, meinte ich dann, um ihm aus der misslichen Lage zu helfen. Er streckte sich und griff nach dem Shirt. „Warum legst du es auch immer woanders hin?“, beschwerte er sich und warf es mir zu, aber statt ihm zu widersprechen, dass es an demselben Platz wie immer lag, zuckte ich nur mit den Schultern und fing es auf. Er setzte sich neben mich und fuhr mir durch die noch feuchten Strähnen. „Warum föhnst du sie nicht? Du kannst dich erkälten, wenn du jetzt so schläfst.“ Er wollte das Handtuch nehmen, dass ich aus dem Bad mitgebracht hatte, aber ich schüttelte den Kopf. „Schon gut. Ich dachte, wir kuscheln etwas. Da wird mir schon warm genug, dass ich mich nicht erkälten werde.“ Ich zog mir das Shirt über und rutschte nach oben. Als ich mein Kissen zurechtrückte, legte sich Uruhas Arm über meine Hüfte und er zog mich an sich. Ich seufzte leise und schloss meine Augen. „Ich liebe dich“, flüsterte ich. Als ich das nächste Mal meine Augen öffnete, fühlte ich eine warme Hand auf meiner Brust und hörte das leise Klingeln meines Handys aus dem Flur. Vermutlich war es noch in meiner Jackentasche. Durch die heruntergelassene Jalousie konnte ich nicht erkennen, ob hell oder dunkel war und hatte auch keine Ahnung, wie spät es war. Ich gähnte und schob dann vorsichtig Uruhas Hand von mir. Er brummte leise, ließ seine Augen aber geschlossen. „Ich komme gleich wieder“, flüsterte ich, auch wenn ich nicht wusste, ob er mich überhaupt hörte. Ich schob mich aus dem Bett und schlich leise in den Flur, um mein Handy aus der Jacke zu holen. Wer rief mich denn jetzt an? Als das Display aufleuchtete, sprang mir zuerst die Uhrzeit entgegen. 17:32. Ich lächelte müde. Wir hatten den ganzen Tag verschlafen, aber dafür fühlte ich mich zum ersten Mal wieder richtig ausgeschlafen. Ich schaltete den Wecker aus, der mich an meine Tabletten erinnerte. Ich sollte wohl endlich mal meinen Klingelton wechseln, sonst würde ich immer meinen Wecker für einen Anruf halten. Nachdem ich den Sperrcode eingegeben hatte, leuchtete eine Erinnerung auf. Zwei verpasste Anrufe von Kai und eine Nachricht von Ruki. Ich hörte die Mailbox ab und musste bei Kais besorgter Stimme lachen. Er wollte wissen, wie es mir und Uruha ging. Im Hintergrund hörte ich Reitas Stimme, aber was genau er sagte, konnte ich nicht verstehen. Bevor ich die beiden zurückrufen wollte, öffnete ich Rukis Nachricht und las sie. Ich hatte schon oft von diesen Momenten gehört, in denen einem der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Doch noch nie hatte ich das selbst erlebt – bis zu diesem Augenblick, als ich Rukis Nachricht las. Es war nur ein einziger Satz und wirklich schlau wurde ich daraus auch nicht. Und doch schienen so viel Informationen darin zu stecken, dass ich für einige Sekunden keine Luft bekam.  > Wenn man Dinge nicht verändern kann, muss man sie beenden. < Wie ein Film spielte sich der gestrige Abend nochmal in meinem Kopf ab. Reitas und Kais überraschte Blicke, als ich ihnen von Uruhas und meiner Beziehung erzählte, Rukis entsetzter Gesichtsausdruck und dann sein merkwürdiges Verhalten den restlichen Abend. Hatte er nicht auch ein Bier nach dem anderen getrunken? Ich wusste nicht, ob das normal für ihn war, aber er war so still und völlig anders gewesen, als wie an dem Tag, den wir miteinander verbracht hatten. Er war wie ausgewechselt gewesen, beinahe so, als hätte er nichts mehr zu verlieren. Und jetzt diese merkwürdige und irgendwie auch bedrohliche Nachricht. Warum hatte ich nur auf Uruha gehört, und Ruki nicht nach Hause begleitet oder ihm zumindest ein Taxi gerufen? Ich hielt mein Handy fest in der Hand, als ich zurück ins Schlafzimmer lief und eilig meine Hose anzog. Dass ich dabei wie wild mit der Tür knallte und somit Uruha vermutlich weckte, interessierte mich nicht. Im Flur zog ich meine Schuhe an und rannte dann ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden aus meiner Wohnung. Im Fahrstuhl versuchte ich das erste Mal Ruki zu erreichen. Ich hatte das Gefühl, Minuten zu brauchen, um seine Nummer in meinem Telefonbuch mit zitternden Händen zu finden und umso mehr stieg der schmerzhafte Druck in meiner Brust, als ich die weibliche Stimme hörte, die mir verkündete, dass diese Nummer nicht länger erreichbar wäre. Ich rannte so schnell ich konnte aus dem Haus in den strömenden Regen hinein, welcher mich draußen erwartete. Der Himmel war mit schwarzen Wolken verhangen und in einiger Entfernung konnte ich das lautes Donnern eines herannahenden Gewitters hören. Das zweite Mal rief ich ihn an, als ich vor der gläsernen Eingangstür zum dem Hochhaus stand, in welchem Ruki wohnte. Noch immer konnte ich ihn nicht erreichen und mit ungutem Gefühl ließ ich meinen Finger jetzt mehrere Sekunden auf dem Klingelknopf liegen. War er nicht Zuhause? Aber bei diesem Wetter würde doch niemand freiwillig das Haus verlassen, oder? Ich war völlig durchnässt und meine Haare klebten mir an der Stirn, aber das war mir im Moment völlig egal. Ich wollte zu Ruki; ich musste zu ihm! Ich drückte noch ein paar Mal auf die Klingel, doch nichts tat sich. Kein Knacken in der Sprechanlage, kein Summen des Türöffners. Umso erleichterter war ich, als eine ältere Dame die Tür öffnete und mich irritiert ansah. Ich dankte ihr flüchtig und schob mich an ihr vorbei in das Haus und lief zum Fahrstuhl. Ungeduldig drückte ich mehrmals auf die Taste mit der roten Zwölf bis sich endlich die Türen schlossen und der Fahrstuhl sich in Bewegung setzte. Die Fahrt dauerte viel zu lang! Sekunden kamen mir vor wie Minuten, als ich endlich die Etage erreichte. Die Tür zu Rukis Wohnung war nur angelehnt, was mein schlechtes Gefühl nur verstärkte. Ich schob die Tür langsam auf und zuckte zusammen, als ich das klirrende Geräusch einer umfallenden Flasche hörte. Mein Blick richtete sich zu Boden und ich sog erschrocken die Luft ein, als ich die vielen Bierflaschen im Flur verteilt sah. Es war dunkel, die Jalousien heruntergelassen. „Ruki?“, rief ich, nachdem ich das Licht im Flur eingeschaltet hatte. „Ruki! Ich bin’s, Aoi! Geht es dir gut?“ Die Küche, das Bad und auch sein Schlafzimmer waren völlig verwüstet, als hätte jemand unter Zeitdruck nach etwas gesucht, doch von Ruki fehlte jede Spur. Ich lief in sein Wohnzimmer, wo ich schließlich Koron völlig verängstigt in seinem Körbchen fand. Ich hockte mich zu ihm und streichelte seinen zitternden Körper. „Hey, mein Kleiner. Wieso hast du denn solche Angst? Was ist hier bloß passiert?“ Unter meinen Füßen knisterte es leise. Ich hob einige Papierfetzen auf und betrachtete sie. Das waren Fotos oder zumindest das, was noch von ihnen übriggeblieben war. Hatte Ruki sie zerrissen? Ich sah mich um und entdeckte ein kleines Album unter dem Tisch. Ich zog es zu mir und blätterte einige Seiten um, bis ich Fotos fand, die Rukis Händen wohl entkommen waren. Sie zeigten ihn und mich an verschiedenen Orten. Im Kino, in einem Park und in einem Museum. Auf allen Fotos hielten wir Händen. Ich nahm das Foto, welches uns im Kino zeigte und betrachtete es ungläubig. Wir küssten uns und so wie ich meine Arm hielt, hatte ich das Foto dabei selbst geschossen. Was hatte das zu bedeuten? Ich schreckte hoch, als ich ein lautes Scheppern und dann ein Fluchen hörte. Koron fiepte leise. Das kam aus dem Hausflur. „Bleib hier, hörst du?“, sagte ich zu Koron und lief in den Flur zurück. Ich nahm mir Rukis Schlüssel, der auf der Kommode lag und zog dann die Tür hinter mir zu. Das dumpfe Knallen einer zugefallenen Tür hallte durch das Haus. Es kam von oben. Ich lief eilig die Treppe eine Etage höher. Hier gab es keine Wohnungen mehr, nur eine Tür die auf das Dach hinausführte. Ein Schild erinnerte daran, die Tür immer geschlossen zu halten und dass das Dach nur von beauftragten Personen betreten werden durfte. Mein Blick fiel auf die Flasche, welche neben der Tür lag und aus der noch ein paar Tropfen des bräunlichen Inhalts liefen. Ich schluckte. War Ruki bei diesem Wetter wirklich auf das Dach? Meine Hände zitterten, als ich den schweren Griff der Tür nach unten drückte und sie mit Mühe aufschob. Kaum hatte ich einen Schritt nach draußen gewagt, peitschte mir der starke Wind den Regen ins Gesicht. Ich wischte mir die Haare aus dem Gesicht und sah mich um. Wo war er? „Ruki!“, schrie ich und lief weiter auf das Dach hinaus. „Ruki!“ Dann konnte ich ihn sehen. Er saß am Rand des Dachs, die Arme um den Oberkörper geschlungen und den Blick nach unten in die Tiefe gerichtet. Mein Herz setzte einen Schlag aus bei dem Anblick. Er war viel zu nah! Bei dem heftigen Wind brauchte er nur einen falschen Schritt zu machen und- „Ruki!“, schrie ich so laut ich konnte und ging langsam auf ihn zu, damit er sich nicht erschreckte. Ich musste seinen Namen noch drei weitere Male rufen, bis er mich durch das laute Rauschen des Regens verstand. Sein Blick richtete sich auf mich, aber ich hatte den Eindruck, als könne er mich im ersten Moment nicht einordnen. „Aoi?“, hörte ich seine leise Stimme. Oder bildete ich mir das nur ein? Ich blieb einen guten Meter von ihm entfernt stehen, da er den Anschein machte, noch weiter an den Rand zu rutschen. Ich streckte meine Hand nach ihm aus. „Komm her. Wir sollten reingehen.“ Doch er schüttelte nur den Kopf. „Warum bist du hier?“, fragte er stattdessen. „Solltest du nicht bei Uruha sein und in seinen Armen liegen, wie zwei frisch Verliebte das tun?“ Ich ließ meinen Arm sinken und legte meine Hand auf meine Brust. Das dumpfe Gefühl. Es war viel stärker und kaum auszuhalten. „Es tut mir leid, dass ich deine Nachricht erst jetzt gelesen habe. Ich hätte dich gestern nicht einfach sitzen lassen sollen, aber Uruha meinte, dass du alt genug- ich hätte nicht auf ihn hören sollen, das tut mir leid!“ Ich trat einen Schritt auf ihn zu, doch er hob abwehrend die Hände. „Nein! Geh weg! Fass mich nicht an!“ Erschrocken hielt ich inne und sah ihn an. „Ruki, bitte! Komm, da weg. Das ist gefährlich. Du könntest- du könntest dich verletzen.“ Er hob den Kopf. „Du meinst, ich könnte runterfallen und sterben. Vielleicht habe ich das vor? Vielleicht bin ich aus genau diesem Grund hier oben.“ „Nein! Hör auf das zu sagen!“, unterbrach ich ihn und ballte meine Hände zu Fäusten. Ich wollte ihn packen und an mich ziehen, weg von dem Rand, der die ganze Situation noch viel schlimmer machte. Aber er ließ mich nicht, und ich war dazu verdammt hier stehen zu bleiben. „Ruki, bitte, ich-!“ „Woran genau kannst du dich erinnern?“ Ich verstand nicht, aber er musste meinen fragenden Blick gesehen haben, denn er schüttelte den Kopf. „Gestern meintest du, du könntest dich nicht genau an alles erinnern, aber du wüsstest, dass Uruha dein Freund ist. Woher?“ Dann hatte ich doch richtiggelegen, dass sein Verhalten gestern Abend seltsam gewesen ist. Lag es an der Beziehung mit Uruha? „Ich kann mich an nichts Genaues mit ihm erinnern. An keine Verabredungen, an keine gemeinsamen Abende, aber ich hatte diesen Traum. Da war dieser weiße Raum, und Uruha, und er hat mich geküsst und-“ Je mehr ich Ruki davon erzählte, desto idiotischer kam ich mir vor. War ich die Beziehung mit Uruha nur wegen eines lächerlichen Traums eingegangen? Aber in seiner Nähe hatte ich immer dieses starke Herzklopfen gehabt. Das hatte ich mir doch nicht eingebildet. Allerdings war da auch dieses dumpfe Gefühl in meiner Brust gewesen. „Du kannst dich an nichts erinnern, weil es nichts gibt, woran du dich erinnern könntest!“, unterbrach mich Rukis laute Stimme. Er hatte sich mir zugewendet, und stand nun mit dem Rücken zum Rand. Sein Blick war starr auf mich gerichtet. Was meinte er? Es gab nichts, woran ich mich erinnern könnte? „Du warst nie mit Uruha zusammen! Noch nie! Nicht einen einzigen Tag!“, rief er. „Wir waren ein Paar! Wir beide! Du und ich!“ Und mit einem Mal lösten sich das dumpfe Gefühl und der unangenehme Druck in meiner Brust auf. Ich sah Ruki wortlos an. Ich hörte den Regen jetzt viel deutlicher und auch das Donnern, welches immer näher kam, nahm ich bewusster war. „Aber wieso hast du nichts gesagt gestern?“ „Du sahst so glücklich aus, weil du dachtest, dass du endlich deinen Freund gefunden hattest und Uruha, er… Dein Unfall ist meine Schuld gewesen.“ Ich verstand nichts mehr. Der Unfall mit dem Surfbrett, der Grund, warum ich mein Gedächtnis verloren hatte, das sollte Rukis Schuld gewesen sein? „Wieso? Was genau ist passiert? Der Arzt meinte, ich hätte mein Gleichgewicht verloren und wäre dadurch von dem Brett gefallen.“ Ich konnte sehen, wie Rukis Schultern tiefer sanken, als wolle er sich kleiner machen, als er schon war. „Das stimmt. Aber ich bin der Grund, warum du dein Gleichgewicht überhaupt erst verloren hast. Es war wirklich windig an dem Tag und du wolltest unbedingt die Wellen ausnutzen. Uruha und ich wollten dich begleiten, aber du hast darauf bestanden, alleine zu gehen. Wie sonst eigentlich auch immer.“ Er machte einen Schritt nach vorne und stieg von dem Rand herunter, und allmählich fiel die Anspannung von mir ab. Jetzt befand er sich wenigstens nicht mehr in der Gefahr, womöglich vom Dach zu stürzen. „Ich war stattdessen mit Uruha einkaufen, aber ich konnte nicht aufhören, mir Sorgen zu machen. Sicher, du bist ein hervorragender Surfer, aber Unfälle passieren immer und… ich habe Uruha stehen lassen und bin zum Strand. Da waren noch andere mit ihren Brettern, aber nur du warst im Wasser. Es sah unglaublich aus, wie du…“ Er brach ab, als er lächelnd den Blick senkte. Vermutlich ging ihm der Moment noch einmal durch den Kopf. „Ich habe nach dir gerufen, und das war wohl der größte Fehler in meinem Leben, den ich je begangen habe. Du warst abgelenkt, hast die Welle hinter dir nicht kommen sehen und bist so gestürzt. Der Arzt meinte, das Brett wäre dir gegen den Kopf geknallt und hätte somit die Amnesie ausgelöst.“ Dann war er still und nur das stetige Rauschen des Regens um uns herum war zu hören. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Das waren einfach zu viele Informationen auf einmal. Mein Kopf schmerzte. Nur langsam verstand ich nun einige Zusammenhänge. „Dann ist nicht Uruha mein Freund, sondern du?“, wiederholte ich noch einmal, da mir das alles so unwirklich erschien. Ruki nickte. „Aber warum hast du mir das nicht damals im Krankenhaus gesagt? Okay, warte, ich verstehe. So kurz nach dem Unfall, und dann ohne Erinnerung hätte ich dir womöglich sowieso nicht geglaubt, aber warum nicht später? Als wir den Tag miteinander verbracht haben, zum Beispiel. Ich habe dich geküsst, aber du hast mich von dir gestoßen.“ Er ballte die Hände zu Fäusten und hob den Kopf. „Ich konnte nicht!“, rief er plötzlich, sodass ich ihn überrascht ansah. „Ich konnte einfach nicht! Nachdem du von dem Surfbrett gefallen warst, konnte ich nichts tun. Ich stand einfach da am Strand und rührte mich nicht. Wenn Uruha mir nicht gefolgt wäre und so schnell reagiert hätte, um dich aus dem Meer zu holen, wärst du ertrunken.“ Dann hatte Uruha mich gerettet? „Ich sollte mich schämen, hat er gesagt. Ich könnte nicht einmal meinen eigenen Freund retten und außerdem wäre ich auch noch schuld, dass es überhaupt erst soweit gekommen war. Uruha hat Recht. Es ist alles meine Schuld.“ Seine Stimme wurde wieder leiser und er wollte sich von mir abwenden. Ohne großartig weiter darüber nachzudenken, trat ich auf ihn zu und zog ihn fest an mich. Es war mir egal, ob er keine Umarmung wollte, aber ich brauchte sie. Ruki rührte sich nicht. Ich konnte spüren, dass sein ganzer Körper unter Anspannung stand. „Es ist mir egal“, meinte ich dann, was ihn erschauern ließ. „Es ist mir egal, ob der Unfall deine Schuld war oder ob ich mich nicht hätte einfach so ablenken lassen dürfen. Es ist mir auch egal, ob du einfach nur am Strand standest und dich nicht hattest rühren können. Ich werde dir nie einen Vorwurf machen, denn dazu habe ich kein Recht. Niemand hat das. Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte.“ Je weiter ich sprach, umso kleiner wurde Ruki in meinen Armen. Er sackte immer weiter zusammen. Ich ließ ihn langsam los, um sein Gesicht in meine Hände zu nehmen. Ich wusste nicht wieso, aber auf einmal war da dieses Verlangen ihn einfach zu küssen. Und anders als bei Uruha war da nicht dieses dumpfe Gefühl in meiner Brust. Sein Blick richtete sich auf meine Lippen, die ich zu einem sanften Lächeln verzog. „Ich kann mich noch immer nicht an unsere Beziehung erinnern, aber das bedeutet nicht, dass wir es nicht noch einmal versuchen können.“ Rukis zitternder Atem traf leicht gegen meine Lippen, als ich mich zu ihm beugte. Seine Augen schlossen sich wie von selbst, als ich meine Lippen sanft auf seine legte. Das Rauschen in meinen Ohren übertönte den Regen und mein Herz raste in meiner Brust. Das hier war ganz anders als der Kuss mit Uruha. Ich war noch nie so nervös gewesen wie in diesem Moment. Langsam schloss ich meine Augen, um mich noch mehr auf diese intensiven Gefühle zu konzentrieren, doch eine laute Stimme holte mich unsanft zurück. Ich ließ von Ruki ab und sah zu der Tür, die auf das Dach hinausführte. Uruha stand dort. Seine Haare klebten an seiner Stirn. Wie lange stand er schon dort? Hatte er alles beobachtet? Ruki schob meine Hände von seinem Gesicht und stellte sich neben mich. Seine Körperhaltung war jetzt völlig verändert. Er stand aufrecht, das Kinn herausfordernd nach oben gereckt. „Es ist vorbei, Uruha! Aoi weiß die Wahrheit! Ich habe ihm alles erzählt!“, rief er und ich konnte sehen, wie sich Uruhas Gesichtsausdruck veränderte. Seine Augen verloren an Glanz und seine Mimik war wie versteinert. Dann verzogen sich seine Lippen plötzlich zu einem spöttischen Lachen. Langsam kam er auf uns zu, seine Hände tief in den Jackentaschen vergraben. „Die Wahrheit also? Dass du an seinem tragischen Unfall Schuld bist und es nicht einmal geschafft hast ihn selbst zu retten?“ Uruha lachte. Er war auf einmal völlig anders, als ich ihn kennengelernt hatte. Er sprach völlig ruhig und doch wirkte seine ganze Art bedrohlich. Mein Körper spannte sich an, als er immer weiter auf uns zu kam. Auch Ruki schien diese Veränderung zu bemerken, denn seine Schultern sackten wieder herab. „Ja, das hat er!“, meinte ich nun selbst und sah Uruha fest in die Augen. „Ich weiß, dass er nach mir gerufen hat und ich somit die Kontrolle über mein Surfbrett verloren habe. Und ich weiß auch, dass er sich nicht rühren konnte, um mich zu retten. Aber ich mache ihm keine Vorwürfe. Ich weiß nicht, wie ich in dieser Situation reagiert hätte. Vielleicht hätte ich mich auch nicht bewegen können.“ Uruha blieb einen knappen Meter vor mir und Ruki stehen. Sein Blick war auf mich gerichtet. „Du verzeihst ihm einfach? Obwohl er Schuld an deiner Amnesie ist?“ Ich atmete tief durch und nickte dann. „Ja, das tue ich.“ Das waren wohl die Worte, die alles verändern würden. Uruha sah mich einige Sekunden ausdruckslos an, bevor er plötzlich zu lachen begann. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Die Situation wurde immer absurder. Ich trat einen Schritt auf ihn zu, um nach seinem Arm zu greifen, als sich sein Körper mit einem Mal anspannte und er seine Hand aus der Tasche zog. Ich konnte etwas Längliches darin entdecken. Rukis erschrockenes Aufschreien hörte ich nur leise, obwohl er direkt hinter mir stand. Und auch Uruhas entsetzter Blick sagte mir, dass etwas nicht stimmte. Ich riss die Augen auf, als ich mit einem Mal kaum noch Luft bekam. Ich schmeckte Blut in meinem Mund und als ich den Kopf senkte, sah ich Uruhas Hand an einem Griff liegen. Der Rest der Klinge steckte in meiner Brust. Ich sackte zusammen, als sich meine Beine wie taub anfühlten. Ich wollte husten, als sich immer mehr Blut in meinem Mund sammelte, doch mein Körper verweigerte jede Bewegung. Meine Sicht verschwamm langsam. Jemand beugte sich über mich und ich spürte warme Hände auf meinem Gesicht. Oder war mir einfach nur kalt? Ich hörte meinen Namen, mehrere Male, mal laut, dann wieder leiser. Ich war so müde und mein Körper fühlte sich an wie Blei. Das Atmen viel mir immer schwerer. Die Stimmen wurden lauter, aber ich konnte kein Wort verstehen. Langsam schloss ich meine Augen. Ich war so müde… Es regnete. Schon den ganzen Tag zogen sich die Regentropfen wie lange Fäden vom Himmel hinab. Ich klappte meinen Regenschirm zusammen und schüttelte ihn einige Male, bevor ich die Tür von dem kleinen Blumenladen aufzog. Die Verkäuferin lächelte, als sie mich erkannte und sah dann auf ihren kleinen Kalender, welcher hinter ihr an der Wand hing. „Ist denn schon wieder Freitag?“, fragte sie und ging nach hinten in ein Zimmer, um das kleine Blumengesteck zu holen, welches sie nun schon seit einem Jahr jeden Freitag für mich anfertigte. Ich nahm es ihr dankend ab, das Geld hatte ich schon auf den Tresen gelegt. Doch als sie es sah, schüttelte sie den Kopf. „Nein, heute ist der Tag, nicht wahr? Dann ist das auch ein Geschenk von mir.“ Sie nahm das Geld und steckte es in meine Jackentasche. Ich lächelte nur und bedankte mich nochmal bei ihr, ehe ich den Laden wieder verließ. Ich blieb noch ein paar Minuten draußen unter der Markise stehen, und beobachtete die vorbeifahrenden Autos. Der Himmel war verhangen von schwarzen Wolken, wie an dem Tag vor genau einem Jahr. Ich öffnete den Regenschirm und machte mich auf den Weg. Es war nicht weit zu Fuß, vielleicht zehn Minuten und doch brauchte ich jedes Mal mindestens das doppelte an Zeit. Sobald ich den hohen Zaun und die Steinmauer sah, blieb mir die Luft weg und ich musste stehen bleiben, um mich zu beruhigen. Ein Jahr. Es war ein Jahr her und doch fühlte es sich an, als wäre es gestern gewesen. Ich schob das eiserne Tor auf und betrat den Friedhof. Den Weg hatte ich mir schon seit meinem ersten Besuch verinnerlicht, ich würde ihn wohl auch mit geschlossenen Augen finden. Das Grab befand sich im südlichen Teil des Friedhofs. Es war das letzte in der zweiten Reihe. Meine Beine fühlten sich an wie Blei, als ich davor stehen blieb. Ich ließ den Kopf gesenkt, und sah auf das kleine Blumengesteck in meiner Hand. „Ich bin hier“, flüsterte ich leise und ging in die Hocke um auf gleicher Höhe zu dem Grabstein zu sein. Erst dann hob ich den Kopf und las die mir so vertraute Inschrift. „Ich habe dir wieder was mitgebracht.“ Ich legte das Gesteck auf das Grab und öffnete dann meine Tasche, um mein zweites Geschenk herauszuholen. Es war ein kleines Surfbrett, aus Glas gefertigt, damit es auch dem schlimmsten Gewitter standhalten konnte. Es war eine besondere Anfertigung von einem Freund. Ich hatte ihm kurz nach diesem Tag darum gebeten. Es hatte blaue Verzierungen in Form von Wellen auf der Oberseite. Darauf war sein Name eingraviert. „Ich denke, dass es dir gefallen würde, wenn du es sehen könntest.“ Ich legte meine Hand auf den nassen Stein und strich über die kalte Oberfläche. „Es ist jetzt ein Jahr her und es tut noch immer weh. Kai meinte, dass der Schmerz vergehen wird, aber das glaube ich nicht.“ Ich zog meine Hand zurück, als ich das leise Knirschen von Kies hörte. Eine Frau lief an mir vorbei. „Ich denke oft an den Tag zurück, an dem wir uns das erste Mal getroffen haben. Ich habe dich vom ersten Moment an gemocht, und ich denke, dass es dir genauso ging.“ Ich musste lächeln. „Du bist den ganzen Nachmittag nicht mehr von meiner Seite gewichen, weil du alles von mir wissen wolltest. Zugegeben, das war schon etwas seltsam, aber ich denke, es war genau dieses Interesse, dass mich…“ Ich rang nach Worten, als mir wieder einmal für einen Moment die Luft wegblieb. Ich legte meine Hand über meinen Mund, um nicht laut zu schluchzen. Meine Augen brannten, und ich hielt die Tränen nicht mehr zurück. Der Schmerz war einfach zu stark und die Sehnsucht nach ihm wurde mit jedem Tag unerträglicher. In manchen Nächten war es so schlimm, dass ich nicht ohne die Tabletten von meinem Arzt einschlafen konnte. Nach deinem Tod hatten sich Kai und Reita um alles Wichtige gekümmert. Als sie deine Wohnung aufgeräumt hatten, fanden sie ein Kästchen mit einer Kette. Der Anhänger war ein einfaches silbernes Plektrum gewesen, auf welchem dein und mein Name eingraviert waren. Aoi und Ruki Du wusstest von Anfang an, wie sehr ich das Gitarre spielen liebte und doch hatte ich nicht mit so einem Geschenk von dir gerechnet. Ich griff nach dem Anhänger und strich mit den Fingern darüber. Kai hatte ihn mir noch am selben Tag gegeben und seitdem trug ich die Kette jeden Tag. Ich legte sie nie ab. Denn es war das Einzige, was ich noch von dir besaß. Die Kette und die Erinnerungen, die mit jedem Tag mehr verblassten. Ich wusste nicht, wie lange ich hier hockte und mich dem Schmerz hingab. Doch als ich die Augen öffnete, hatte sich der Regen verzogen und langsam bahnte sich die Sonne ihren Weg durch die dichten Wolken. Und als die ersten Sonnenstrahlen auf den nassen Kies trafen und diesen zum Schimmern brachten, wusste ich, dass es besser werden würde. Denn auch wenn du nicht mehr an meiner Seite warst, würde ich dich auf immer in meinem Herzen tragen. Ich liebe dich, Aoi. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)