Zum Inhalt der Seite

Die gefallenen Helden

Avengers Teil 1
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Dystopia

„Diese Stadt ist voller Angst. Ich rieche den Schweiß, der ihnen von der Stirn perlt und das Blut, was über ihre kalten Klingen auf den Boden tropft. Sie sind voller Sünden. Junge Frauen stehen an den Straßen und verkaufen ihre Körper, Jugendliche treffen sich zwischen Ratten und Dreck, um sich Heroin zu spritzen. Das ist ihr Adrenalin. Ihr Kick. Nur so sind sie dazu in der Lage rücksichtslos und gnadenlos auf die nächtlichen Straßen zu gehen, um Autos und Geschäfte anzuzünden und andere ihrer niederen Art niederzuschlagen. Dabei sind sie nur Kakerlaken, die ihre Stimme erheben wollen gegen den eigentlichen Feind. Nicht sie, die Mordenden, Vergewaltiger und Terroristen, sind die Kriminellen – Nein. Es gibt einen viel größeren und gefürchteteren Feind und die sitzen oben in ihren bequemen Sitzen und schauen zu wie die ganze Welt vor die Hunde geht. Das ganze Land ist eine Hölle. Und diese Stadt ist eine der tiefsten Höllenkreise. Hier ist der Hammerschlag der Regierung mit am stärksten gefallen, hier haben sie die Bevölkerung schon lange aufgegeben. Hier herrscht nur noch das Chaos.“
 

Im matten Licht der schmutzigen Straßenlaternen, die teilweise flimmerten, erkannte man feine Regentropfen, die die dunklen Straßen durchnässten und an den mit Graffiti besprühten Wänden herunterliefen. Eine dunkle Wolkendecke hatte sich vor den Mond und die Sterne geschoben. In weiter Ferne hörte man ein dröhnendes Donnern, das sich bedrohlich über die Stadt hob. Doch es war kein Gewitter, das sich dort heraufbeschwor.
 

Die Straßen waren in diesem Viertel wie leergefegt. Ein paar Straßenkatzen wühlten im Abfall, der aus einem umgekippten Mülleimer herausgefallen war, ein paar Meter weiter in einer Gasse lag ein betrunkener Obdachloser, eine Hand noch um den Hals der Whiskeyflasche gelegt, den Mund leicht geöffnet während er seinen Rausch ausschlief.
 

Nur die Schritte ein Paar Schuhe war zu hören. Dumpf erklangen sie über den nassen Asphalt, während der Regen auf den schwarzen Trenchcoat und den Bogarthut des Mannes prasselte. Die Tropfen rinnten über die Hutkrempe, liefen nach vorne spitz zu und fielen vor dem geneigten Gesicht zu Boden. Der junge Mann hatte seine Hände in den Taschen seines Trenchcoat verstaut, den Kragen des Mantels hochgestellt, sodass sein Nacken geschützt war.
 

Ihn zog es in die Richtung aus der das Donnern kam, während er leise vor sich hin murmelte. Der Blick seiner ungewöhnlichen Augen glitt langsam durch die unbelebte Straße. Als er den Obdachlosen erblickte, zeigte sich für einen Moment Verachtung in seinem Gesichtsausdruck. Doch schnell senkte er seinen Blick auf den Asphalt und ging seinen Weg weiter.
 

„Der Anblick dieser erbärmlichen Seelen widert mich an. Warum gibt man sich selbst so auf, verliert seinen Stolz, seine Würde und gibt das Kämpfen auf? Welchen Grund haben diese... Menschen sich so fallen zu lassen...“ Er murmelte diese Worte vor sich hin, schüttelte dabei verständnislos den Kopf.
 

Wade Wilson, dies war der Name des jungen Mannes. Seit zwei Jahren zog er nun schon alleine durch die Straßen dieser Stadt. Und die Einsamkeit machte sich bemerkbar. Er führte Selbstgespräche als wenn jemand seinen verbitterten Worten lauschen würde, doch war er keinesfalls ein niemand. Der Grund weshalb er hier keine Freunde oder gute Bekannte hatte, war einfach und banal. Die Stadt hatte Angst vor ihm. Sie kannten ihn alle. Wo er auftauchte sorgte er für Gerechtigkeit, dabei machte er keinen Unterschied, ob die Menschen, die er angriff, starben oder überlebten. Und genau dies machte ihn so beängstigend. Seine Unberechenbarkeit.
 

Das Grollen kam immer näher, nun mischten sich auch die Schreie und Stimmen unzähliger Menschen hinzu. Durch ein Megafon schallte eine männliche Stimme durch die Straßen, sie war so verzerrt und die Geräusche von Explosionen und Flammen, die hinauf in den Himmel loderten, waren so viel lauter, dass Wade die Stimme nicht verstand. Dabei war es die Stimme der Vernunft. Die Einzige, die keine Beleidigungen oder Parolen rief, die Einzige, die versuchte Ordnung in das Chaos zu bringen.
 

Wade war nun nicht einmal mehr einen Block entfernt. An einem der Blockhäuser, die mit ihren grauen Fassaden aneinander gequetscht standen, war eine Feuerleiter angebracht. Sie ging über mehrere Stockwerke und Balkone bis nach oben auf das flache Dach. Ohne zu zögern kletterte Wade die Leiter hinauf. Sie war nicht abgeschlossen oder abgesichert. Dies würde sich in diesem Viertel nicht ansatzweise lohnen. Es passierte einfach zu oft etwas.
 

Oben angelangt, sprang Wade über die Mauer zum nächsten Dach und ging bis an dessen Rand. Soweit, dass er den perfekten Blickt auf das Chaos erhielt, das sich auf der Hauptstraße abspielte. Auf seiner vernarbten Haut spürte er die Hitze des Feuers, welches sich auf der gegenüberliegenden Seite in einem Haus ausgebreitet hatte. Ein Feuerwehrauto stand davor, die Männer versuchten das Feuer in Zaum zu halten. Ein paar Meter weiter stand ein zweiter Wagen, doch die Feuerwehrmänner von diesem kümmerten sich nicht um das Haus, sondern hielten ihre Schläuche auf die tobende Menge gerichtet.
 

Es waren mehrere hundert Menschen, die hier maskiert und in schwarz gekleidet einen Aufstand ausübten. Sie kämpften gegen schwerbewaffnete Polizisten oder versuchten zu entkommen, was ihnen teilweise sogar gelang. Vor ein paar Stunden waren dies noch mehr Menschen gewesen, vor ein paar Stunden war dies noch eine relativ friedliche Demonstration gewesen, doch es hatte nicht lange gedauert und alles war eskaliert. Dies passierte immer.
 

Wade kniete sich an der Dachkante nieder und schaute dem Szenario stumm zu. Seine Augen waren überdeckt von einem kalten Schleier, aus seinem Gesicht waren keinerlei Emotionen zu lesen. Es gab keine Worte um zu beschreiben, was gerade in ihm vorging. Viel zu oft hatte er diese Aufstände nun schon beobachtet. Jedes Mal bekam er das Gefühl etwas dagegen unternehmen zu müssen, doch er wusste, er alleine könnte nichts ausrichten. Er würde dort unten in der Luft zerfetzt werden. Gegen eine solche Masse an Menschen, die aggressiv und brutal gegeneinander vorgingen und keine Gnade zeigten, hatte er bei Gott keine Chance.
 

Auf dem nassen Asphalt lagen bereits viele Menschen regungslos. Bewusstlos oder tot geschlagen oder überrannt. Und selbst wenn sie gerade bewusstlos waren, sie würden die Nacht vermutlich nicht überstehen. Sie würden sterben im Kampf für ihre Freiheit und Rechte, die ihnen genommen wurden.
 

Eine laute Explosion im Osten ließ Wade zusammenzucken. Schnell huschte sein Blick nach rechts, wo er die Straße hinunter erkannte, wie ein Auto quer durch die Luft geschleudert wurde. Es war am brennen. Vermutlich eine Autobombe, die soeben gezündet hatte. Obwohl Wade weit entfernt saß, konnte er erkennen, dass es alle Menschen rechtzeitig schafften dem Auto zu entkommen ehe es donnernd zu Boden fiel.
 

Beinahe schon desinteressiert, da Autobomben nicht ungewöhnlich waren, schon gar nicht bei einem Aufstand, schaute Wade wieder die Straße entlang. Da standen noch mehr Autos. Alle bereits demoliert oder am Brennen. Doch das Schlimmste an diesem Aufstand war nicht die Brutalität mit der die Polizei und die Demonstranten vorgingen, es waren auch nicht die demolierten Geschäfte und Autos von Unschuldigen und Nicht-Betroffenen, die für den Schaden später aufkommen mussten – Nein. Es war die Hoffnungslosigkeit und die Verzweiflung, die in den Herzen der Einzelnen wogen.
 

Die Polizisten und Feuerwehrmänner waren zu 90 Prozent genauso gegen den Staat wie die Menschen, die wegen ihrem Hass gegen die Regierung und ihre Handlungen die Aufstände machten. Sie wussten sich nicht mehr anders zu wehren als mit Gewalt, waren sich jedoch gleichzeitig darüber im Klaren, dass es absolut nichts bringen wird. Denn die Regierung schien sich von ihrer Bevölkerung abgesondert zu haben. Sie interessierten sich nicht mehr für die Stimmen der Menschen, die sie repräsentierten. Die Aufstände waren nur ein verzweifelter Hilfeschrei, der nicht gehört wurde. Höchstens von denen, die dazu verpflichtet waren den Aufständen Einhalt zu gebieten und die konnten nichts für die Demonstranten unternehmen.
 

„Dieses Konzept ist wie ein Teufelskreis“, murmelte Wade und erhob sich wieder. „Es gibt kein Entkommen, denn die Einzigen, die etwas unternehmen können, sind die, die uns in diese Lage gebracht haben. Doch irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, da die Bevölkerung die Überhand nehmen wird und Freiheit und Menschenrechte wieder eine geordnete Rolle spielen. Und wenn es so weit ist, werden die Politiker zu uns Mutanten kommen und nach Hilfe betteln und was werden wir tun?“

Ein Soldat namens Bucky

AN: Anführungszeichen wechseln in diesem Kapitel aus... Gründen. In Kapitel 2 auch, aber ab Kapitel 3 sind es dann nur noch die hier: »«
 


 

„Fzzh.“
 

Wie ein Zischen erklang das Seufzen von James Buchanan Barnes, von allen »Bucky« genannt, der sich versuchte aus seinem Bett zu quälen. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte. In seiner rechten Schulter pochte ein stechender Schmerz, seine Augen brannten und seine Beine fühlten sich weich und schwach an als er versuchte auf ihnen zu stehen. Mit einem schmerzvollen Ächzen stieß er sich von der Bettkante ab und kam schwankend zum Stehen. Wie lange hatte er geschlafen? Zwei Stunden? So fühlte es sich zumindest an!
 

Müde blickte er auf den digitalen Wecker, der neben seinem großen Bett auf einem Nachttisch stand. Tatsächlich waren es fast zehn Stunden gewesen. Bucky konnte es kaum glauben. Doch als er seinen Blick in Richtung Fenster glitten ließ, konnte er zwischen den Spalten des heruntergelassenen Rollladens erkennen, dass die Sonne draußen schien und die letzten Regenwolken der gestrigen Nacht vertrieb.
 

Die gestrige Nacht.
 

Mit einem Mal kamen Bilder vor seinem inneren Augen. Bilder von Menschen, die mit Schlagstöcken nieder geschlagen wurden. Das Feuer des Hauses in dem eine Frau gestanden hatte, brennend und schreiend. Die Stimme aus dem Megafon erklang dahinter dröhnend. Und er stand mitten drin, bewaffnet bis unter die Zähne hatte er versucht die Demonstranten mit seiner Einheit zurück zu drängen. Er hatte gezählt. Sechs Menschen hatte er bewusstlos vielleicht sogar tot geschlagen. Sechs.
 

Schleichend setzte sich Bucky in Bewegung. Sein Körper sagte ihm bei jedem Schritt, dass er sich bloß wieder hinlegen und nichts tun sollte. Dasselbe sagte ihm sein Geist, der nach der heftigen Nacht kaum noch Kraft hatte. Nur sein Kopf sagte ihm das Gegenteil.
 

Träge steuerte er bis in die Küche, die wie immer auf Hochglanz poliert war. Seine Apartment im 17. Stockwerk eines Hochhauses im Zentrum der Großstadt war im Allgemeinen immer gesäubert. Im besagten Raum angelangt schaltete er die Kaffeemaschine ein, nahm sich eine Tasse aus dem Schrank, der über der Spüle hing und stellte diese unter die Maschine, sodass das schwarze Getränk in den Behälter rauschte.
 

Mit einem Seufzen lehnte er sich gegen die Küchenzeile, ließ den Kopf nach hinten sacken, sodass er mit einem dumpfen Schlag auf den Schrank traf. Bucky schloss seine schmerzende Augen, das laute Rattern der Kaffeemaschine dröhnte in seinem Kopf. Kurz überlegte er, ob er eine Schmerztablette nehmen sollte, doch die vertrugen sich leider nicht mit seinen Antidepressiva.
 

Erneut glitt sein Blick auf die Uhr, diesmal die Wanduhr, die über dem kleinen Küchentisch hing. Es war 15 Uhr. In der gestrigen Nacht hatten sie es geschafft den Aufstand gegen drei Uhr morgens schließlich zu unterbinden. Es hatte eine weitere Stunde gedauert bis ihre Einheit endlich entlassen und sie durch eine Neue ersetzt wurde, die sich um die restlichen Verhaftungen kümmerten. Eigentlich hätte Bucky zur Untersuchung in ein Krankenhaus gemusst. Er war von einem der Demonstranten an der Schultern verletzt wurden, der Schmerz war dort am Größten. Doch Bucky war zu müde und kraftlos gewesen, als dass er noch Stundenlang in einem Krankenhaus hätte verbringen können. Er hatte einfach nur noch in sein Bett gewollt. Und da es in der Nacht so chaotisch gewesen war, hatte sich auch niemand darum geschert, wo die Polizisten hingegangen waren.
 

Die Kaffeemaschine stoppte, ließ noch die letzten Tropfen in die Tasse ein und schaltete sich dann automatisch auf Standby. Bucky nahm sich die heiße Tasse zur Hand, schüttete ein wenig Milch hinein, welche neben der Maschine stand und kramte nach einem Löffel in der Besteckschublade. Er setzte sich mit seinem Kaffee an den Küchentisch, auf dem sein Handy und seine Antidepressiva-Tabletten lagen, die er bereits seit Jahren nahm. Durch seinen Job und die unklaren Arbeitszeiten nahm er die Tabletten unregelmäßig, was ihre eigentliche Wirkung stark schwächte. Manchmal, wenn er mehrere Tage hintereinander nicht dazu kam die Tabletten zu nehmen und sie dann wieder nahm, wurden seine Depressionen für eine knappe Woche verstärkt. Doch dies waren typische Nebenwirkungen.
 

Bucky ließ den Kaffee abkühlen, während er nach seinem Handy langte. Bei der Bewegung stach es erneut schmerzhaft in seiner Schulter, weshalb er scharf die Luft zwischen den Zähnen einzog und für einen Moment in der Bewegung verharrte.
 

„Verdammte Schmerzen“, zischte er leise. Als sie wieder ein wenig abgeklungen waren, gerade noch aushaltbar, öffnete er bei seinem Handy die SMS-Funktion und begann eine Nachricht zu tippen.
 

Vermutlich hast du die Nachrichten schon gesehen. Hab die Nacht überstanden. Muss dich dringend sprechen. Komm so schnell du kannst in mein Apartment.

Bucky
 

Mit einem weiteren Klick hatte er die SMS versendet. Vermutlich müsse er nun ein bis zwei Stunden warten, dann würde der Empfänger seiner Nachricht an der Haustür klingeln.
 

Bucky trank seinen Kaffee aus und frühstückte ein trockenes Brot mit Belag, ging danach duschen, zog sich frische Klamotten an und nahm seine Dosis Antidepressiva. Gerade als er sich auf der Couch ausruhen wollte, da seine Muskeln durch die viele Bewegung wieder stark gereizt waren, ertönte sein Handy aus der Küche. Widerwillig murrend schlich Bucky aus dem Wohnzimmer in die Küche zurück und langte nach dem Gerät. Er nahm den einkommenden Anruf entgegen, welcher von einem seiner Kollegen und besten Freunde stammte.
 

„James Barnes“, meldete sich der Polizist, während er wieder zurück ins Wohnzimmer ging, um sich auf die Couch fallen zu lassen, wobei erneut ein Stechen durch seine Schulter zuckte. Für einen Moment schloss er gequält die Augen, unterdrückte einen Schmerzenslaut als er auch schon die Stimme auf der anderen Leitung hörte.
 

„Bucky, hier ist Maria“, sagte die jüngere Frau. „Warst du im Krankenhaus gewesen?“

„Nein, war ich nicht“, antwortete Bucky mit zusammen gepressten Zähnen, da seine Schulter noch schmerzte.

„Aber du hast dir gestern die Schulter verletzt, außerdem soll sich jeder von uns immer untersuchen lassen, das weißt du doch!“, klagte Maria.

„Ich weiß, ich weiß. Mach dir keine Sorgen, ich mach diesen Job schon seit Jahrzehnten. Ich weiß, was ich zu tun habe.“

„Natürlich...“, kam es von Maria mit sarkastischem Unterton. „Tabletten zu nehmen um deinen Körper zu puschen, da du eigentlich zu alt für den Job bist, ist genau das Richtige für dich. Da bin ich mir sicher.“

„Wir haben Arbeitskräftemangel. Ich kann nicht einfach mit meinem Job aufhören oder mir bei der Polizei einen im Büro suchen. Wir brauchen jeden Mann“, gab Bucky das Argument zurück, welches er immer zog, wenn ihm jemand sagte er sei zu alt. Natürlich wusste er, dass sie Recht hatten. In einigen Wochen würde er 43 Jahre alt werden. Dann wäre er bereits seit 17 Jahren im Dienst.

„Ganz wie du meinst“, seufzte Maria. „Ich wollte nur anrufen, um dir Bescheid zu geben, dass unserer Einheit nichts weiter passiert ist. Ein paar blaue Flecken, schwache Verletzungen, nur Black hat sich den Arm gebrochen.“

„Okay, danke für die Information“, sagte Bucky. „Das war ja mal ein verhältnismäßig friedlicher Aufstand.“ Maria konnte nur halbherzig über den versuchten Scherz lachen. Die beiden Polizisten unterhielten sich noch kurz über die Arbeit, als ihr Telefonat durch das Klingeln an der Tür unterbrochen wurde.
 

„Tut mir Leid, ich muss auflegen“, sagte Bucky. „Ich habe Besuch bekommen.“ Mit den Worten klickte er auf den roten Hörer und legte das Handy auf den niedrigen Couchtisch. Ächzend, da erneut Schmerzen durch seine Muskeln fuhren, stand er von der Couch auf und schritt zur Wohnungstür, die er öffnete.
 

Ein stummes Seufzen entfuhr ihm als er die Person sah, die dort vor ihm stand. Es war James Howlett, von allen Logan genannt, ein Mutant mit Selbstheilungskräften und unbekanntem Alter. Seine schwarzen Haare und die schmalen, ernsten Gesichtszüge verliehen ihm das Aussehen eines Wolfes. Eine Motorradjacke verdeckte den muskulösen Oberkörper, in einer Hand hielt er einen Motorradhelm und seine dunklen Augen blickten Bucky nicht weniger begeistert an, als der 42-Jährige ihn.
 

»Wenn du mich herbestellst, kann das nichts Gutes heißen«, murrte Logan. »Ich hoffe nur es ist wichtig, du weiß wie gefährlich das hier für uns beide ist.«

»Weiß ich«, nickte Bucky knapp und trat ein Stück zur Seite, sodass der Mutant eintreten konnte. Der Polizist schloss die Tür hinter ihm und beide steuerten wie automatisch ins Wohnzimmer, wo Logan sich auf dem Sessel nieder ließ, während sich Bucky ihm gegenüber auf die Couch quälte.
 

„Ich habe nicht viel Zeit“, sagte Logan angebunden. „Die Hunter sind wieder aktiver geworden. Sie suchen nach mir, nach dem ich die Sache in Baltimore erledigt habe.“ Für einen Moment schien er in Gedanken zu versinken und murrte schlecht gelaunt: „Ich habe fünfzehn Menschen das Leben gerettet und sie wollen mir die Todesstrafe anhängen, weil ich Selbstjustiz verübe... Die Welt ist schrecklich ironisch.“
 

Bucky konnte nicht sagen, was gerade in ihm vorging. Er kannte Logan nun schon eine ganze Weile. Früher einmal waren sie glücklich gewesen sich zu sehen, haben Missionen zusammen durchgeführt, sind mal einen gemeinsam trinken gegangen und nun sahen sie sich nur noch aus ernsten Beweggründen. Sie mussten ständig Angst haben von den Huntern gefunden und gefangen genommen zu werden, Bucky würden sie sofort wegen Verrates und Umgang mit einem Mutanten umbringen und, was sie mit Logan selbst machen würden, wollte er gar nicht erst wissen.
 

»Es tut mir Leid, aber das hier muss wirklich schnell gehen«, wiederholte Logan mit Nachdruck. »Ich muss in Bewegung bleiben, sonst finden sie mich.«

„Das verstehe ich“, seufzte Bucky. „Ich habe dich wegen zwei Sachen hergebeten.“ Logan zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. Seine Stirn legte sich in Falten, während er Buckys Worten lauschte.
 

„Gestern bei dem Aufstand habe ich für einen Moment einen deiner alten Freunde gesehen: Wade Er stand oben auf einem der Häuserdächer und hat zugeschaut, wie wir uns unten gegenseitig die Köpfe eingeschlagen haben. Er lässt sich in letzter Zeit immer öfter blicken. Entweder weiß er nicht, dass die Hunter wieder aktiv nach Mutanten suchen oder er fordert sie heraus. Das kann ich dir nicht genau sagen. Ich weiß nur, dass er sich in Gefahr begibt. Wenn es einen von euch auf dieser Welt gibt, den die Regierung um jeden Preis hinter Gitter oder am liebsten noch tot sehen wollen, dann ist das Wade.“
 

Logan rollte genervt mit den Augen. Schon früher hatte er sich wegen Wade grün und blau geärgert und ihm ständig hinterher rennen müssen, wie ein Vater seinem Kind. Und, obwohl Logan wie oft schon gedroht hatte, Wade nie mehr zu helfen, so tat er es doch immer wieder aufs Neue.
 

„Vielleicht solltest du mal mit ihm reden, dass er erst einmal unentdeckt bleibt“, fuhr Bucky fort. „Aber zuerst musst du etwas Anderes erledigen. Gestern vor dem Aufstand kam ein Bericht bei uns rein, den wir an die Hunter weiterleiten mussten. Es wurde in einem der Vorstädte von New York ein junger Mutant entdeckt, gerade mal 17 Jahre alt, sein Name ist Peter Parker, er weiß vermutlich nicht einmal selbst, dass er Mutant ist. Heute Abend gegen 19 Uhr werden die Hunter in sein Haus eindringen, ihn und seine Familie festnehmen, wenn nicht sogar sofort umbringen. Das kommt ganz auf ihre Laune an, wie du weißt.“

„Du willst, dass ich ihn rette“, erkannte Logan dumpf.

„Ja.“
 

Der Blick des Mutanten glitt auf die Tischplatte, fixierte dort keinen bestimmten Punkt. Logan schien zu überlegen. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, atmete danach tief durch. Bucky war sich darüber bewusst, dass es für Logan eine Gefahr darstellte in die Quere der Hunter zu kommen. Doch gleichzeitig wusste Bucky auch, dass sie keine Chance gegen ihn haben würden. Und Logan war sich darüber ebenfalls bewusst.
 

„Na gut“, sagte er. „Wenn ich dadurch einen Mutanten retten kann, soll es mir Recht sein. Nur, wo soll ich ihn hinbringen?“

„Wo wohl?“, erwiderte Bucky. „Dorthin, wo du auch Wade hin zwingen wirst, wenn du danach mit ihm sprichst.“

„Wo denn auch sonst“, seufzte Logan. „Gut, ich werde es machen.“ Mit diesen Worten erhob sich der Mann, auch Bucky stand auf, jedoch so ruckartig, dass er einen brennenden Schmerz durch seinen gesamten Körper zucken spürte und mit einem Keuchen zurück auf die Couch fiel.
 

„Ist alles klar?“, fragte Logan überflüssigerweise und ging einen Hauch besorgt zu seinem ehemaligen Arbeitskollegen. „Das muss gestern wohl echt hart gewesen sein bei dem Aufstand.“

„Wie immer“, presste Bucky unter Schmerzen hervor, während er für einen Moment die Augen schloss. „Ich komm schon klar, geh lieber wieder bevor die Nachbarn etwas mitbekommen.“

„Bitte mach dich nicht kaputt“, sagte Logan, ehe er missmutig zur Wohnzimmertür ging. »Es wäre schön dich noch ein wenig im Leben zu halten.«

„Ja“, nickte Bucky zustimmend, während er den Schritten des Mannes lauschte, wie sie durch die Wohnung hallten und schließlich das Apartment verließen. Die Tür schloss der Mutant leise um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Als seine Schritte ebenfalls im Treppenhaus erstarben, wurde Bucky von einer dröhnenden Stille eingehüllt.

Jenseits von Gut und Böse

AN: Ravens Charakter ist eher an ihren Charakter aus XMFC gelehnt.
 


 

Es war schon beinahe Abend. Die letzten Sonnenstrahlen hüllten die Straßen in ein warmes Licht und Peter Parker schlenderte zusammen mit einem seiner Schulkameraden durch den Vorort, in dem sie wohnten. Vögel zwitscherten in den Bäumen, in einem Vorgarten schnitt ein älterer Mann gemütlich seine Hecke und ein paar Kinder spielten auf der Straße Ball. Mit seinem Handy ließ Peter leise Musik spielen, eine seiner Lieblingsbands, während er sich mit der gleichaltrigen Gwen Stacy unterhielt.
 

„Hast du mitbekommen, dass alle in der Schule wieder über die Aufstände gesprochen haben?“, fragte Gwen gerade. „Ich weiß nicht, was der ihr Problem ist. Als ob es jetzt etwas so Besonderes wäre! Das passiert doch alle zehn Tage!“

„Ja, das stimmt“, pflichtete Peter unsicher bei. Er war nicht gerade selbstbewusst und schon gar nicht Gwen gegenüber. „Aber es ist trotzdem immer schlimm, wenn Menschen sterben. Ich kann gar nicht verstehen, warum die das machen. Wieso gehen Menschen auf die Straße und zünden Autos an? Das ist doch vollkommen sinnlos.“

„Natürlich ist es das!“, nickte Gwen schon beinahe aufgebracht. „Aber was soll's... Wir haben damit nichts zu tun.“

Beinahe hätte Peter diese Aussage erwidert, doch er beließ es dabei die Lippen fest aufeinander zu pressen. Das musste sie nun wirklich nicht wissen...
 

Die beiden Jugendlichen kamen schnell vom dem Thema wieder ab, unterhielten sich stattdessen über den bevorstehenden Abschlussball in einigen Wochen und Gwen ließ sich über ein paar ihrer Mitschülerinnen aus, die sie nicht leiden konnte. Nach einigen Minuten kamen sie schließlich vor Peters Haus an, wo sie zueinander gewandt stehen blieben. Dass die Straße wie ausgestorben war, Vorhänge der Häuser zugezogen und Türen abgeschlossen, fiel ihnen nicht einmal auf.
 

„Ich denke, wir sehen uns dann Montag in der Schule wieder“, sagte das Mädchen mit einem unsicheren Lächeln.

„Ja... ähm...“

Für einen Moment schien Peter um Worte zu ringen und den Mut aufbringen zu wollen, etwas zu sagen. Auf seiner Zunge lag die Frage 'Willst du dich nicht am Wochenende mit mir treffen?', doch er brachte es nicht über sich sie zu stellen. Gwen schaute ihn unterdessen mit großen Augen fast schon gespannt an, doch als Peter nur ein 'Tschüss' dahin nuschelte, verfiel ihr Gesichtsausdruck in Enttäuschung.

„Bis Montag dann“, murmelte sie ein wenig gedrückt, drehte sich auf dem Absatz um und ging die Straße weiter.
 

Verbittert über die Tatsache, dass er es mal wieder nicht geschafft hatte sich mit Gwen zu verabreden, blickte Peter dem Mädchen hinterher. Wie ihre zierliche Gestalt um die nächste Häuserecke schritt und ihre blonden, weichen Haare dabei auf und ab wippten. Kaum da sie weg war, schlug sich der 17-Jährige mit der flachen Hand vor die Stirn und gab einen unterdrückten Schrei von sich.
 

„Du dummer Idiot“, sagte er sich selbst zähneknirschend. „Was ist so schwer daran sie nach einem Date zu fragen?!“

Fluchend nahm er seinen Schlüssel hervor und ging bis an die Haustür, welche er sogleich aufschloss. Das Einfamilienhaus hatte nur eine Etage, die jedoch groß genug für drei Personen war.
 

Nun schlecht gelaunt warf Peter seine Tasche gleich im Eingangsbereich zu Boden, zog seine Schuhe aus und wollte durch den Flur in die Küche gehen. Doch als er sich umwandte und sein Blick in das sogleich angrenzende Wohnzimmer fiel, erblasste seine Gesichtsfarbe und er blickte mit weit geöffnetem Mund auf die vielen Menschen, die sich in dem Raum versammelt hatten.
 

Da saß seine Tante May auf der Couch, mit Tränen in den Augen und einer Verletzung an ihrer Wange, ihre Hände lagen auf dem Schoß und krallten in den Stoff ihres Kleides, während sie verzweifelt zu ihrem Neffen blickte. Um sie herum standen fünf groß gewachsene Männer, mit breiten Schultern und in schwarzen Kampfanzügen, wie man sie von der CIA kannte. Jeder von ihnen trug eine Waffe bei sich, bei deren Anblick sich in Peter alles drehte. Auf ihrer Brust war ein rotes 'H' in den Anzug genäht. Es stand für 'Hunter'.
 

»Peter«, brachte seine Tante weinerlich hervor. »Was hast du nur getan?«

»I-Ich -« Er konnte nichts sagen oder fragen, geschweige denn verstehen, was hier überhaupt los war, als die Tür zu ihrem Haus mit einem dröhnenden Donnern zu Boden fiel. Erschrocken zuckte Peter zurück, zwei der Hunter kamen sogleich aus dem Wohnzimmer gerannt.
 

Einer von ihnen packte Peter grob am Oberarm und drückte ihn mit Kraft gegen die Wand, der andere richtete seine Waffe auf die offene Tür und im nächsten Moment ertönte das laute Hämmern seiner Schüsse durch die gesamte Nachbarschaft.
 

Wie aus Reflex begann Peter zu schreien. Das laute Geräusch der Waffe schmerzte in seinen Ohren, er hörte auch seine Tante aus dem Wohnzimmer schreien und der Mann, der ihn an die Wand drückte, brüllte etwas durch die Gegend, das Peter nicht verstehen konnte. Er wollte sich die Ohren zu halten, konnte jedoch nur eine Hand gegen seinen Kopf drücken, da die andere noch immer von dem Mann festgehalten, beinahe zugedrückt wurde.
 

Nach gefühlten Ewigkeiten war das Magazin leer. Statt der Stille, die Peter erhoffte, als auch er mit dem Verstummen der Schüsse, aufhörte zu schreien, war nun ein lautes Piepen in seinem Ohr. Stimmen kamen von überall her, es ging alles so schnell und überforderte Peter so sehr, dass er gar nicht verstand, was überhaupt los war.
 

Er sah einen dritten Mann aus dem Wohnzimmer eilen, der Handschellen brachte, als plötzlich der Hunter, der geschossen hatte mit einem dumpfen Schlag zu Boden fiel. Im nächsten Moment erklang das Geräusch einer scharfen Klinge und etwas Silbernes blitzte vor Peter auf, ehe der Kerl, der ihn festhielt ebenfalls zu Boden ging, dabei ließ er den Jungen los und griff sich mit beiden Händen an die Kehle, aus der Blut tropfte. Die erstickende, röchelnde Laute, die er dabei von sich gab, konnte Peter kaum ertragen. Er hielt sich die Ohren zu und schloss aus Angst die Augen. Er verstand einfach nicht, was gerade los war, sank bloß an der Wand gelehnt in sich zusammen und hoffte darauf, dass er gerade nur einen schrecklichen Alptraum hatte.
 

Irgendwo hörte er in dem Chaos noch immer seine Tante kreischen und jammern, als sie schlagartig verstummte. Aus dem Wohnzimmer drangen für die nächsten paar Sekunden Kampfgeräusche, dann spürte Peter neben sich jemanden vorbei gehen und im nächsten Moment wurde er grob am Kinn gepackt. Die starke Hand zog sein Gesicht nach oben. Erschrocken öffnete er die Augen und blickte direkt in zwei dunkle, wilde Augen. Mehr konnte er in seiner derzeitigen Situation nicht erfassen. Er wehrte sich auch nicht, als diese Person ihn am Handgelenk packte und mit raus in den Vorgarten zog.
 

Ehe Peter einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde er über den Bordstein zu einem Auto geschleift. Die Person, die er als einen groß gebauten, starken Mann erkannte, riss eine der hinteren Autotüren auf und zerrte an Peters Handgelenk, doch der Junge wehrte sich gegen den Versuch ihn ins Auto zu sperren.
 

»Nein!«, rief er panisch aus. »Lassen Sie mich!«

Ein fester Schlag gegen seine Schläfe knockte Peter aus. Alles um ihn herum wurde schwarz und er spürte nur noch, wie der Mann ihn packte und auf die Hinterbank des Autos legte.
 


 

»Nein, nein, nein!«

Raven Darkholme, eine 27 Jahre junge Frau mit blauer Haut und roten, schulterlangen Haaren betrat das Krankenzimmer. Es war ein fensterloser Raum, der von künstlichem Licht erhellt wurde und der durch die ebenso hellen Wände und Boden größer wirkte, als er es eigentlich war. Zwei Betten standen hier mittig, direkt daneben zwei Nachttische, auf denen ärztliche Utensilien lagen. An den Wänden standen elektrische Geräte – wie zum Beispiel ein EKG – welche zum Untersuchen genutzt wurden.
 

Auf einem der Betten legte Logan gerade Peter ab. Zuvor war er mit dem bewusstlosen Jungen in die Nähe des Hauptquartiers gefahren. Glücklicherweise kannte er genug Strecken und Umwege, durch die die Hunter ihn nicht finden konnten und das Auto hatte er vorsichtshalber in einem nahegelegenen See versenkt. Peter hatte er danach zu Fuß ins Hauptquartier getragen. Raven schlug die Hände vor das erhitzte Gesicht und schüttelte den Kopf.
 

»Was machst du da, Logan?«, sagte sie in ihrer hellen Stimme und blickte den Jungen mit gelblichen Iriden an. »Wer ist das?«

»Peter Parker«, antwortete er. »Er ist ebenfalls ein Mutant, ich habe ihn gerade vor einigen Huntern gerettet. Er muss hier bleiben, da draußen werden sie ihn sofort finden.«

»Wir sind hier aber kein Heim für Mutanten«, klagte Raven. »Es ist auch für uns gefährlich ihn hier zu behalten!«

»Die Hunter werden das Hauptquartier niemals entdecken... Aber... wenn du diesen 17-Jährigen, unschuldigen Jungen, der nicht einmal weiß, dass er Mutant ist und gerade seine Mutter Folter und Tod überlassen hat, unbedingt auf die Straße setzen willst, dann -«

»Oh Logan!«, rief Raven vorwurfsvoll aus. Logan musste daraufhin leise lachen. »Du darfst nicht immer meine Mitleid ausnutzen. Na gut, er darf bleiben.«
 

Raven trat näher an das Bett heran und fühlte mit ihrer blauen Hand Peters Temperatur, danach legte sie die Finger an seine Halsschlagader. Sie legte den Kopf ein wenig schief, ein stummes Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie den schlafenden Jungen betrachtete.
 

»Er sieht freundlich aus«, stellte sie fest. »Ich denke, ich werde mich gut mit ihm verstehen.«

»Er hat gerade sehr viel erlebt«, sagte Logan ernst. »Kann gut sein, dass er einen Nervenzusammenbruch oder ähnliches haben wird. Kümmere dich gut um ihn... ich muss einen alten Freund von uns besuchen gehen.«

Mit den Worten verließ er das Krankenzimmer und Raven begann sich um die Verletzung an Peters Kopf zu kümmern, die er Logan selbst zu verdanken hatte.
 

Die junge Mutantin tupfte die Wunde mit einem in Desinfektionsmittel getränktem Tuch ab, bis sie nur noch ein sauberer, feiner Schnitt war, der bereits von einem bläulichen Rand umgeben wurde. Aus einem der weißen Schränke, die an der Wand standen, nahm sie sich Nadel und Faden und nähte den feinen Schnitt mit wenigen Stichen. Dann klebte sie ein Pflaster darüber und verstaute die Utensilien wieder. Sie öffnete den Nachttisch vom Krankenbett, in welchem ein etwas kleineres, weißes Kissen lag und schob dieses unter Peters Kopf. Der Junge hatte mit Sicherheit eine Gehirnerschütterung, doch dies konnte Raven erst feststellen, wenn er aufgewacht war.
 

Ein weiteres Mal überprüfte sie seinen Puls und seine Atmung, dann verließ sie das Krankenzimmer und schloss leise die Tür hinter sich. Ein schmaler Flur, der mit dunklem Parkett ausgelegt war, führte in den großen Wohnraum, in dem mehrere Couchs standen. In der einen Ecke zeigten sie zu einem steinernen Kamin, der seit Jahren nicht mehr benutzt wurde. Mittig stand ein großer Esszimmertisch, auf dem eine längliche, schwarze Decke und eine weiße, unbenutzte Kerze in einem silbernen, Drachenförmigen Halter als Dekoration dienten. Gleich rechts davon erstreckten sich zwei weitere Couchs, die in einem rechten Winkel zueinander standen und von denen aus man den großen Flachbildschirm, der an einen weißen Wand hing, betrachten konnte. Der Raum war ordentlich. Kein Buch, keine Zeitschrift oder sonstige Gegenstände lagen herum. Alles war an seinem Platz und wirkte beinahe schon verlassen.
 

Im Haus selbst, welches sich unter der Erde befand, weshalb es auch keine Fenster gab und alles von einem künstlichen, hellen Licht erleuchtet wurde, herrschte eine dröhnende Stille, die nur von Ravens Summen unterbrochen wurde. Sie summte eine Melodie, die sie einmal vor Jahren gehört und eigentlich gar nicht gemocht hatte, doch gerade bekam sie sie nicht mehr aus dem Kopf.
 

Raven schritt in eines der unzähligen Schlafzimmer. Die meisten waren bis auf wenige Möbel komplett leer geräumt. Die junge Frau jedoch betrat ein Zimmer, in welchem sich blaue Müllsäcke stapelten. Sie waren mit Klamotten gefüllt und auf jedem klebte ein weißer Streifen mit einem Namen versehen. Fast eine Stunde beschäftigte sich Raven damit Klamotten für den Jungen herauszusuchen, die ihm passen könnten, bis sie plötzlich eine unsichere Stimme aus dem Wohnraum hörte, die schüchtern »H-hallo?« rief.

Junger und alter Mutant

AN: Charles Charakter gleicht ebenfalls mehr dem Charles aus XMFC (wie auch sein Aussehen. Sorry, James McAvoy ist einer meiner Lieblingsschauspieler), das heißt, er ist nicht so weise, sondern eher noch jugendlich, ja fast noch lernbedürftig, aber keinesfalls auf den Kopf gefallen. Und Jeans Charakter habe ich ein wenig neu interpretiert. Sie gleicht mehr dem Phönix, ist sich jedoch ihrer Kräfte bewusst, hat keine multiple Persönlichkeit, und naja, ihr seht es dann ja selbst. ^^
 


 

Verwirrt und ängstlich blieb Peter im Wohnraum stehen. Ein unsicheres »H-Hallo?« kam über seine Lippen und im nächsten Moment ertönten Schritte auf dem Parkettboden. Der Blick des Jungen folgte den Geräuschen und er zuckte erschrocken zusammen, als von einem der Flure her eine blaue Frau kam. Ihr gelben Augen fixierten ihn, wie er mehrere Schritte zurückging, bis er die Wand in seinem Rücken spürte. Schützend hob er beide Hände hoch. Das schmerzende Pochen in seinem Kopf wurde nun durch seinen schneller werdenden Herzschlag unterstützt.
 

»Ganz ruhig, Peter«, sagte Raven in sanfter Stimme. Sie blieb auf mehreren Metern Abstand stehen und hob ihre Hände nach oben als Zeichen dafür, dass sie ihm nichts tun wollte. »Mein Name ist Raven Darkholme, du brauchst keine Angst vor mir zu haben.«

»W-wo bin ich?«, fragte Peter panisch. »U-und was ist mit deiner Haut?«

»Ich bin eine Mutantin und du befindest dich in Sicherheit«, antwortete Raven weiterhin mit freundlicher und beruhigender Stimme. »Wir sind hier in einem alten Kriegsbunker, der so hergerichtet wurde, dass man hier wohnen kann.«

»Warum bin ich hier?!«

»Wegen den Huntern, sie wollten dich töten.«

»Was?« Peter blickte sie verstört an, fasste nun mit beiden Händen an seinen schmerzenden Kopf und schüttelte diesen. »Das kann nicht sein. Ich hab nichts mit irgendwelchen Mutanten zu tun, ich bin doch nicht -«

»Du bist ein Mutant«, unterbrach Raven ihn.
 

Hilflos starrte Peter sie an, unfähig dazu ihre Worte zu realisieren und seine chaotischen Gedanken zusammenzufassen. Nur schwerfällig erinnerte er sich an das, was nur wenige Stunden zuvor geschehen war. Es kam ihm vor wie ein Traum, so unrealistisch, dass er glaubte immer noch träumen zu müssen. Verwirrt sackte er an den Wand zusammen, zog die Knie an seinen Körper heran und presste weiterhin beide Handflächen gegen seinen Kopf. Er vergrub das Gesicht in seinen Knien.
 

Vorsichtig ging Raven ein paar Schritte vor, langsam und bedacht, um den Jungen nicht zu erschrecken oder weiter zu verunsichern. Ungefähr einen Meter vor ihm, blieb sie schließlich stehen, kniete sich auf den Boden und musterte ihn mit ihren ungewöhnlichen Augen.
 

»Peter, ein sehr guter Freund von mir, Logan, hat dir das Leben gerettet und dich hierher gebracht. Wir wohnen hier zu Viert. Vier Mutanten und du darfst gerne bei uns bleiben, wenn du möchtest. Hier bist du sicher, hier findet dich niemand«, erklärte Raven leise. »Wir können deine Sachen nicht bei dir abholen, weil die Hunter mit Sicherheit die gesamte Umgebung nach dir absuchen werden, deswegen können wir dir vorerst Klamotten von uns leihen. Wir haben genug, glaub mir. Und wir haben auch genug Zimmer. Du darfst dir eins aussuchen und das richten wir Zwei dann gemeinsam her. Okay?«

»Ich versteh gar nichts«, schüttelte Peter den Kopf und blickte nun doch auf. »Was ist denn mit meiner Tante?«

»Deine Tante?«, fragte Raven. »Logan hat nur von deiner Mutter erzählt.«

»Nein, nein, das war meine Tante«, erwiderte Peter. »Ich kann mit ihr doch einfach umziehen und ich muss wissen, wie es ihr geht.«
 

Raven atmete einmal tief durch, ehe sie sich vorsichtig neben den Jungen setzte. Mitleid zeichnete sich bereits auf ihre Gesichtszüge, ehe sie sagte: »Weißt du, was das Problem ist, wenn man ein Mutant ist?«

»Von den Huntern gejagt zu werden?«, fragte Peter scharfzüngig.

»Das größte Problem ist, dass man es nicht bestimmen kann.« Raven tat so, als hätte sie die Bemerkung des Jugendlichen überhört. »Du wirst als Mutant geboren und irgendwann, wenn du noch ein Kind bist oder bereits als Jugendlicher, entwickeln sich deine Fähigkeiten plötzlich. Du hast keine Macht darüber. Selbst, wenn du Mutanten aus der Tiefe deines Herzens hasst, kannst du als solcher enden und dann jagen dich die Hunter, auch wenn du immer auf ihrer Seite gewesen warst. Und die Hunter jagen nicht nur dich. Sie töten jeden, der im guten Kontakt mit Mutanten steht.«
 

Bei den Worten blickte Peter sie wie paralysiert an. Langsam realisierte sich die Bedeutung dieses Satzes in seinem Kopf. Sein Mund ging geschockt auf, er wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Laut über die Lippen.
 

»Selbst, wenn deine Tante nun sagt, sie würde dich verstoßen und nie wieder etwas mit dir zu tun haben wollen, wird ihr das jetzt nicht mehr helfen«, fuhr Raven fort, den Blick starr auf einen der Stühle gerichtet, die am Esszimmertisch standen. Sie wollte den Gesichtsausdruck von Peter gar nicht sehen.

»Heißt das, die werden sie...« Peter musste einmal hart schlucken bevor er das Wort »umbringen« hervorbrachte. Als Antwort nickte Raven bloß.
 

Aus dem Augenwinkel erkannte sie, wie er den Kopf erneut auf seine Knie fallen ließ und die Arme zitternd um seine Beine schlang. Gefühlte Ewigkeiten lang herrschte dröhnende Stille zwischen den beiden, bis Raven merkte, dass der Junge damit kämpfte nicht zu weinen. Vielleicht wollte er nur nicht vor ihr weinen.
 

»Soll ich dich alleine lassen?«, fragte Raven leise. Die Antwort war ein kaum merkliches Nicken. Sofort stand die junge Frau auf, verließ den Wohnraum und packte sich die Klamotten, die sie herausgesucht hatte. Sie brachte sie in das größte noch freie Zimmer, welches in eine feine Staubdecke gehüllt war und verstaute sie dort in einem niedrigen Schubladenschrank.
 

Im Flur, über welchen man alle Schlafzimmer und auch den Wohnraum erreichen konnte, holte sie sich den Staubsauger aus einem kleinen Abstellraum. Während sie ihn in das zukünftige Zimmer von Peter schleifte, hörte sie den Jungen aus dem Wohnraum leise weinen. Mitleidig blickte sie den Flur herunter, doch sie blieb nicht stehen.
 

Nur wenige Sekunden später übertönte das laute Rauschen des Staubsaugers Peters Schluchzen, wofür Raven sehr dankbar war. Gedanklich versuchte sie sich ebenfalls von der Tatsache abzulenken, dass ein zerbrochener Jugendlicher im Wohnzimmer saß. Sie überlegte welchen alten Freund Logan denn besuchen gehen wollte, doch eigentlich war die Antwort offensichtlich. Er suchte mit Sicherheit Wade Wilson.
 

Zitternd schalteten sich die Straßenlaternen an. Schwarze Wolken, die in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren, hatten sich vor die Sterne und den Mond gezogen und Wade vermutete, dass es mal wieder zu regnen beginnen würde. Dies war um diese Jahreszeit herum nicht ungewöhnlich. Besonders nachmittags und nachts tröpfelte der Regen vom Himmel herunter und morgens überzog die Häuserdächer eine hauchdünne Nebelschwade.
 

In einer Hand hielt Wade einen Beutel mit gestohlenen Lebensmittel, mit der anderen zog er die Feuerwehrleiter herunter, über welche er wie immer in seine heruntergekommene Wohnung kletterte. Das Haus, in dem er lebte, war bis auf ihn selbst unbewohnt. Es gab keine Stromversorgung, da es offiziell gesehen, leerstehend war. Dies war eines der vielen Lose, die man als Mutant zog.
 

Nässe zog sich durch die Wände, in den Ecken und Kanten bildete sich bereits seit Jahren schwarzer Schimmel, der die Luft verpestete. Unter seinen Füßen knirschte der morsche Holzboden, den Wade vom Wohnzimmer aus entlang schritt. Er legte Mantel und Hut über der Couch ab und wollte die Lebensmittel in die Küche bringen, doch als er diese betrat, blieb er im Türrahmen schlagartig stehen. Ein genervtes Seufzen entfuhr ihm, als er James 'Logan' Howlett an der Küchenzeile lehnend erkannte.
 

»Dich zu sehen bedeutet nie etwas Gutes«, stellte Wade fest. Geräuschvoll warf er den Beutel auf den Küchentisch, der bedrohlich quietsche. Lässig zog sich Wade einen der beiden Stühle heran und ließ sich auf diesem nieder. Die metallenen Füße sanken unter seinem Gewicht leicht zusammen. Lange würde die Einrichtung auch nicht mehr mithalten.
 

»Eigentlich bin ich auf Befehl von Bucky hier«, sagte Logan, der die Arme vor seiner Brust verschränkt hatte.

»Bucky?« Wade fuhr sich mit der Zunge über seine rissigen Lippen. Sein gesamtes Gesicht, wie auch jeder andere Zentimeter seines Körper, war mit Narben übersät. Kleine, weiße Narben, die von Zeit zu Zeit verblassten, wie auch tiefe Risse, in welche man mit der Fingerspitze hinein tasten konnte. Früher hatte Wade immer eine schwarze Maske über die untere Hälfte seines Gesichtes getragen, doch mittlerweile war er so vereinsamt, dass es niemanden mehr gab, den er mit seinem Aussehen einschüchtern könnte.
 

»Du führst immer noch Befehle für jemanden aus, für den du bereits seit zwei Jahren nicht mehr arbeitest und, der dich genau genommen eigentlich fangen und einsperren sollte?«, fragte Wade neckisch.

»Ich habe ihm viel zu verdanken und er hält trotz des Anti-Mutanten-Gesetzes zu uns. Aber, wenn du es so genau haben willst, dann nenne es eben Gefallen«, murrte Logan. »Ich bin nicht hier, weil ich hier sein möchte. Es wäre besser, wenn du mich nicht provozieren würdest, Wilson.«

»Und warum bist du hier?« Wade lehnte sich vor. »Soll ich ein paar Schwerverbrecher abschlachten gehen. Bekomme ich einen Auftrag oder macht sich Bucky einfach nur Sorgen?«

»Ehrlich gesagt, macht er sich nur Sorgen.«
 

Kurz lachte Wade auf, doch als er sah wie ernst Logan ihn anblickte, stutzte er einige Sekunden lang, ehe er realisierte, dass er diese Aussage ernst meinte.

»Hä, was?«

Logan atmete tief durch. Jahrelang war er Wade ständig hinterher gerannt, er wurde zu seinem Betreuer degradiert und hatte eigentlich gehofft, diese Zeit hinter sich zu haben. So schwer fiel es ihm nun auch, die folgenden Worte über seine Lippen zu bringen: »Bucky würde dich gerne in Sicherheit wissen und der Rest von uns eigentlich auch. Würdest du mir also den Gefallen tun und einfach mit ins Hauptquartier kommen?«
 

Wade starrte Logan mit offenem Mund an. Langsam schloss er seine Lippen, leckte dabei nachdenklich über die Innenseite seiner Zähne und sagte schließlich: »Du meinst das echt Ernst? Welchen Grund habe ich jetzt mitzukommen? Im Hauptquartier passiert nie was. Sehe ich so aus, als würde ich monatelang da rum sitzen, in der Hoffnung, dass mal was Spannendes passiert? Mir ist es da viel zu langweilig.«

Mit den Worten lehnte er sich im Stuhl wieder zurück, griff mit einer Hand in den Beutel hinein und zog eine Bierflasche hervor.

»Ich würde dir ja auch eine anbieten, aber ich hab nur fünf gestohlen.«

»Glaub mir, ich weiß, dass es langweilig im Hauptquartier ist«, sagte Logan, doch ehe er fortfahren konnte, wurde er von seinem Gegenüber unterbrochen: »So langweilig ist es dir da bestimmt nicht, schließlich versuchst du immer noch Jean rum zu kriegen, oder?«
 

Ein freches Grinsen bildete sich dabei auf seinen Lippen, welches Logan nicht ansatzweise teilen konnte. Seine ernsten Gesichtszüge verzogen sich nur noch mehr ins schlecht gelaunte.
 

»Vergiss das endlich, ehrlich mal«, fuhr Wade ungehalten fort. »Sie ist emotional tot, eiskalt, der einzige, der ihr noch irgendwas bedeutet ist Charles und der ist für sie wie ein Bruder. Sie ist nicht zum Lieben gemacht, klar?«

»Ich bin nicht hier, um über Liebe zu sprechen«, knurrte Logan. »Kommst du nun mit, ja oder nein?«

»Nein.«

»Dann eben nicht. Ich werde derjenige sein, der lachen wird, wenn sie dich einfangen.« Damit stieß sich Logan von der Küchenzeile ab und wollte ohne weitere Worte zu verlieren die Wohnung wieder verlassen, doch er blieb noch einmal kurz stehen, als Wade ihm hinterher rief: »Die fangen mich niemals ein und, wenn doch, befreie ich mich und dann komme ich zu euch ins Hauptquartier, weil du Recht hattest. Versprochen, Mann!«
 

Das Schlafzimmer sah verlassen aus, karg und kalt. Peter saß auf dem Bett und starrte die geschlossene Holztür an, während seine Finger zitternd auf seinem Schoß lagen. Er fühlte sich nicht ansatzweise wohl und er verstand die Welt nicht mehr. Alles, was an dem heutigen Tag passiert war, konnte unmöglich die Wahrheit sein. Er war kein Mutant, das wusste er ganz sicher. In den Zeitungen stand, Mutanten würden ihre Fähigkeiten im Durchschnitt im Alter zwischen zwölf und vierzehn Jahre entdecken und er war sich ziemlich sicher, dass da nie etwas Seltsames gewesen war.
 

Peter versuchte sich auf diese zwei Jahre seiner Kindheit zu konzentrieren, doch es fiel ihm schwer an etwas anderes zu denken, als an seine Tante May. Die blaue Frau – Peter war so durcheinander, dass er nicht einmal mehr ihren Namen abrufen konnte – hatte ihm gesagt, seine Tante würde ganz sicher getötet werden, doch das konnte er so nicht akzeptieren. Erst vor einem halben Jahr war sein Onkel in der Stadt erschossen wurden, seine Eltern starben als er noch ein Kleinkind war, jetzt konnten sie ihm nicht noch die Tante nehmen. Das war einfach nicht fair!
 

Mit einem Schlucken schloss Peter die Augen, die unter den Lidern sofort schmerzhaft brannten. Seine Wangen waren erhitzt vom Weinen und sein Körper fühlte sich seltsam schwach an. Kopfschmerzen bereiteten ihm ebenfalls Ärger, doch nur, weil er so verwirrt war. Das alles ergab für ihn keinen Sinn. Er konnte kein Mutant sein... oder?
 

Vielleicht war es doch seltsam, dass er damals als 13-Jähriger von jetzt auf gleich nicht mehr einer der langsamsten, sondern der Schnellste der Klasse gewesen war. Vielleicht sollte er doch ernsthafter darüber nachdenken, warum er schlagartig so gut klettern konnte und problemlos das Seil empor hangelte, ohne dabei die Muskeln zu überbeanspruchen. Vielleicht war er doch etwas stärker, etwas schneller, etwas besser als all seine Mitschüler, aber in seinen Augen war dies keine Mutation. Es war zu einfach.
 

Es gab Mutanten, die Feuer bändigten, Gedanken lasen oder sonstige unglaubliche Fähigkeiten hatten. Gab es denn auch Mutanten mit solchen einfachen Kräften? Die einfach nur ein bisschen besser waren als Menschen?
 

»Du hast jeden Grund verwirrt zu sein, Peter Parker.«
 

Erschrocken fuhr Peter hoch, als eine weibliche Stimme in seine Gedanken drang. Sie klang scharf und klar in seinem Kopf, schnitt in seine Gedankengänge wie ein Messer und es war unangenehm. Wie erstarrt saß der Jugendliche nun im Raum und griff sich vorsichtig mit den Händen an seinen Kopf, als könnte er die Stimme erfassen.
 

»Komm zu uns nach unten in die Arbeitsräume. Ich leite dir den Weg.«
 

Nein. Er wollte sich nicht mit neuen Lappalien auseinander setzen, neue Dinge über sich und sein Leben erfahren, die er vorher nicht gewusst hatte oder sich so etwas wie 'Alles wird wieder gut' anhören müssen, doch so sehr er sich auch wehrte, sein Körper schritt zur Zimmertür, öffnete diese und ging durch das Haus, als wenn er es bereits kennen würde.
 

Es war ein schreckliches Gefühl nicht Herr über seinen eigenen Körper zu sein, Peter kämpfte verzweifelt dagegen an, fremd geleitet zu werden, doch es war ein vergebener Kampf. Und ebenso anstrengend, weshalb der Junge kläglich aufgab, gerade als er eine hölzerne Treppe herunter schritt, die ihn sogleich in eine Art Labor leitete.
 

Hier spürte er die fremde Kraft aus seinen Gedanken dringen, während er verwirrt und neugierig zugleich den Raum betrachtete. Auf einer Erhöhung, die von einem silbernen Geländer eingegrenzt wurde, stand ein Mann mit braunen, etwas längeren Haaren, die von einem seltsam aussehenden Helm an seinen Kopf gedrückt wurden. Dieser Helm war über unterschiedliche Kabel mit einer länglichen Machine verbunden vor der die blaue Mutantin stand.
 

Als Peter den Blick ihrer gelben Augen erwiderte, erinnerte er sich auch wieder an ihren Namen: Raven. Sie lächelte ihm sanft zu, doch das Mitleid in ihren Augen war nicht zu übersehen. Peter versuchte das Lächeln zu erwidern, was ihm jedoch nicht ansatzweise gelang. Stattdessen schaute er auf zu dem Mann, der mit der seltsamen Machine verbunden war.
 

Mit seinen blauen, großen Augen und dem glatt rasierten Gesicht sah er relativ jung aus, doch der Ausdruck in seinen Augen und seine elegant wirkenden Klamotten ließen ihn viel erwachsener erscheinen. Hinter ihm trat nun eine weitere Frau vor, die ein paar Zentimeter größer war als Raven. Sie hatte langes, feuerrotes Haar und ein schmales Gesicht aus welchem ihm zwei bernsteinfarbene, kühle Augen entgegen blickten.
 

»Tut mir Leid für diese Unannehmlichkeit«, sagte sie eisern. Aus irgendeinem Grund hatte Peter Respekt vor ihr. Es lag nicht an der Tatsache, dass sie seinen Körper gelenkt hatte, sondern mehr an der Atmosphäre, die sie ausstrahlte. Sie war so kühl, schön anzusehen und gleichzeitig hatte man das Gefühl nichts Falsches sagen zu dürfen. Es war seltsam, wie alles an diesem Tag.
 

»Mein Name ist Jean Grey und dies ist mein Bruder Charles Xavier.« Jean deutete auf den Mann mit dem Helm, der Peter freundlich zunickte. Kurz wollte Peter fragen, warum die beiden denn unterschiedliche Nachnamen hatten, wenn sie doch Geschwister waren, doch er beließ es bei einem Schweigen.
 

»Du interessiert dich für Wissenschaften und bist ziemlich gut in Physik und Technik.« Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung, weshalb Peter die rothaarige Frau verdutzt anblickte.

»Woher -«

»Ich bin Telepath«, antwortete Jean sogleich. »Genau wie mein Bruder und Raven ist Gestaltwandlerin. Deine Mutation ist noch nicht sehr ausgeprägt, doch es sollte nicht mehr lange dauern. Unruhen in Körper und Geist beschleunigen oftmals die Fähigkeitenentwicklung und heben die natürlichen Blockaden schneller auf. Ich möchte dir ein wenig Arbeit zur Ablenkung geben. Dies hier ist Cerebro.«

Sie deutete auf die Machine an der Charles angeschlossen war.

»Cerebro funktioniert nicht. Charles wird dir alles zu der Machine erklären, vielleicht kannst du sie reparieren. Ich möchte ein wenig meine Ruhe haben.«
 

Kaum, da sie diese Worte ausgesprochen hatte, verließ sie das Labor durch eine der Türen und Peter blieb verwundert zurück. Er suchte Augenkontakt mit Raven, die bloß mit den Schultern zuckte.

»Es klingt immer wie ein Befehl, wenn sie einem etwas Gutes tun möchte. Du musst natürlich nicht helfen, wenn du nicht möchtest. Das ist alleine deine Entscheidung. Sie denkt nur, dass es dich vielleicht etwas ablenken könnte.«
 

Charles entfernte den Helm und schritt die Erhöhung herunter, sodass er schließlich vor Peter stand, der ein wenig größer war als der Telepath.

»Ich denke auch, dass es dir gut tun würde«, sagte er. »Das ist keine Arbeit, die an einem Tag gemacht ist, es wird dich für Wochen ablenken.«

»Für Wochen?«, wiederholte Peter murmelnd. Wie lange sollte er denn hier bleiben? Sollte er jetzt einfach hier einziehen, ohne persönliche Wertgegenstände oder ähnliches, zu irgendwelchen fremden Leuten, die ihm versuchten weiß zu machen, ein Mutant zu sein?
 

»Vielleicht hast du doch erst mal Klärungsbedarf«, stellte Charles fest und setzte sich auf die Erhöhung, den Rücken an das Geländer gelehnt. »Ich beantworte dir jede Frage, die du beantwortet haben möchtest.«

Peter hatte viele Fragen. Deswegen ließ er sich auch gleich im Schneidersitz auf den Boden plumpsen und Raven, die anscheinend merkte, dass dies etwas länger dauern wird, verschwand, um etwas zum Essen zuzubereiten.

Die Avengers - Initiative

Wochen waren vergangen.

Der, wie Peter schnell bemerkte, immer schlecht gelaunte Logan hatte ihm den Gefallen getan zu Peters altem Haus zurückzukehren und einige Wertsachen einzupacken. Peter selbst durfte nicht mitgehen, da er zu schwach und hilflos war, wie Logan es ausgedrückt hatte. Über die Bemerkung war der Junge immer noch ein wenig beleidigt und er mochte Logans pessimistische Art nicht, wie er es jedes Mal aufs Neue schaffte mit nur wenigen Worten die Stimmung auf den Nullpunkt zu bringen, und dies war bei Peter momentan besonders einfach. Trotzdem war er ihm zu Dank verpflichtet. Schließlich hatte Logan ihm das Leben gerettet, weshalb Peter sich bemühte so gut wie möglich mit ihm zurecht zu kommen.
 

Am besten verstand er sich mit Charles. Sie konnten sich stundenlang über Technologie und Biologie unterhalten und natürlich war ihr Hauptthema die Mutation. Bis heute war nicht bekannt, wie genau es möglich war, dass Menschen mit besonderen Fähigkeiten geboren wurden und es war ebenfalls nicht klar, wann genau diese Art der Evolution begonnen hatte. Zumindest gingen Charles und Peter davon aus, dass es sich um Evolution handelte. Gendefekte, Missbildungen oder Krankheiten schlossen sie von vorne herein aus. Es machte Spaß sich mit Charles zu unterhalten, sie waren in Intellekt und Charakter auf einer Wellenlänge und der Altersunterschied von neun Jahren machte ihnen dabei überhaupt nichts aus.
 

Auch mit Raven kam Peter sehr gut klar. Manchmal hatte er das Gefühl, sie hatte ein wenig die Rolle der großen Schwester in dieser kleinen, seltsamen Familie übernommen. Selbst Logan gegenüber. Ziemlich oft ermahnte sie ihn, wenn er mal wieder ein Bier zu viel getrunken hatte, dann nahm sie ihm den Alkohol weg und hielt ihm am nächsten Tag, sobald er wieder klar denken konnte, eine Standpauke. Ihr neuestes und – laut Charles – stärkstes Argument gegen Logans Trinkgewohnheiten war Peter selbst geworden.
 

»Wir haben nun ein Kind hier wohnen und er ist sehr verwirrt und verletzt, du solltest seinen Aufenthalt hier nicht noch weiter verschlimmern!«, plärrte sie einen Abend und fuchtelte dabei mit den leeren Bierflaschen in ihren Händen herum. Empört wollte Peter einwerfen, dass er kein Kind mehr war, doch die Diskussion war schneller beendet wie er erwartet hatte, denn Logan verließ bloß grummelnd die Küche.
 

Die einzige, zu der er auf keiner Ebene Draht fand, geschweige denn versuchte einen zu finden, war Jean Grey. In den letzten Wochen hatte er sie nicht einmal außerhalb der Labore gesehen. Peter kannte nur den Raum mit Cerebro, er wusste nicht wie groß der Rest der Arbeitsräume war und fragte sich oft, ob es dort vielleicht eine zweite Wohnung gab. Er hatte viele Fragen über die mysteriöse Mutantin, doch traute er sich nicht sie Charles zu stellen, auch wenn dieser, als ihr 'Bruder', sie mit Sicherheit beantworten konnte.
 

Auch hatte er Charles nicht gefragt, ob Jean und er nun wirklich Geschwister waren. Er wusste ebenfalls nicht, wie sie alle zusammen gekommen waren und, wie sie diesen Ort hier überhaupt gefunden hatten. Jedes Mal, wenn ihm die Fragen mal wieder auf seiner Zunge brannten, hinderte ihn etwas daran sie zu stellen. Sie sind zu persönlich, sagte er sich jedes Mal selbst, sie stellen auch keine Fragen über deine Vergangenheit und Familie.
 

Und bei diesem Gedanken spürte er ein schmerzhaftes Stechen in seiner Brust und er erwiderte auf seinen eigenen Gedankengang hin: Welche Familie?
 

Tatsächlich lenkte ihn die Arbeit an Cerebro ab. Er verbrachte seine Zeit mit nichts anderem. Nur abends schaute er jedes Mal Fernsehen, begierig darauf zu erfahren, ob etwas über ihn und seine Tante in den Nachrichten kam, doch es schien als wäre dies nicht sonderlich erwähnenswert. Ihm fiel außerdem nun mehr denn je auf, dass über die Hunter nie etwas in den Nachrichten kam, als würden sie nicht existieren. Auf gewisse Weise wirkten sie dadurch sogar bedrohlicher. Wie dunkle Schatten, die sich von hinten an schlichen und einen überraschten, wenn man es am wenigsten erwartete.
 

»Sollen wir heute Abend noch mal an Cerebro rum schrauben?«

Peter blickte von seinem bequemen Platz auf der Couch zu Charles auf, der im Türrahmen stand. Leise summte der Fernseher an der Wand, während ein Sprecher das Wetter verkündete, welches Peter seit seiner Ankunft nicht mehr gesehen hatte. Manchmal wünschte er sich unbedingt wieder frische Luft schnappen zu gehen, doch jedes Mal wurde er von Raven daran erinnert, wie wenig Chancen er gegen die Hunter hatte. Er durfte erst raus, wenn sich seine Fähigkeiten endlich entfalteten und er sie kontrollieren konnte.
 

»Wieder am Nachdenken?« Es war mehr eine Feststellung von Charles, bei der er sich neben den Jugendlichen nieder ließ und sie nun gemeinsam den Fernseher anstarrten, ohne wirklich dessen Laute aufzunehmen.

»Ich hab immer noch so viele Fragen«, murmelte Peter.

»Dann stell sie doch endlich, du wirst nicht zu persönlich.«
 

Peter seufzte und ließ seinen Blick sinken. Für einige Sekunden überlegte er sich gut, wie er nun anfangen sollte. Er hatte nicht nur Fragen, er sehnte sich auch danach, sich einfach mal auszusprechen. Loszuwerden, wie er sich fühlte, über was er sich Gedanken machte. Er wollte über seine Tante erzählen, die nach dem Tod ihres Ehemannes für Peter so stark gewesen war und nun für ihn einstehen musste. Er wollte über Gwen erzählen, deren Anwesenheit er ersehnte und, die er, trotz allem, was geschehen war, nicht aus seinem Kopf bekam...
 

»So viel Chaos«, riss ihn Charles aus seinen Gedanken. »Du musst deinen Kopf ordnen, es tut nicht gut so durcheinander zu sein.«

»So einfach ist das aber nicht.« Peter rieb sich mit beiden Händen über sein Gesicht. »Ich bin so verwirrt – wie zum Beispiel, warum bringen die nichts in den Nachrichten? Habe ich das irgendwie verpasst? Niemand weiß, wo ich mich aufhalte. Was wird denn den Angehören von Mutanten erzählt, wenn diese plötzlich verschwinden?«

»Freunde und Angehörige von Mutanten werden fast alle getötet«, antwortete Charles. »Diese, die überleben, sind die, die stark genug bewiesen haben, dass sie Mutanten hassen und es ihnen egal ist, dass alle anderen umgebracht werden. Solche, die illoyal sind überleben... Zumindest, wenn die Hunter gut gelaunt sind.«

»Aber das können sie doch nicht überall machen!«, entfuhr es Peter ungläubig. »Es gibt viel mehr Mutanten auf der Welt, als die meisten Leute glauben, das hast du selbst gesagt!«

»Peter...« Charles seufzte. Es schien als wären sie an einem Punkt im Gespräch angelangt, über welchen er nur schwer reden konnte. »Ich glaube deine Tante war eine gute Frau, die, wenn sie gewusst hätte, dass du ein Mutant bist, versucht hätte dich zu schützen und zu verstecken, aber nicht jeder reagiert so. Es gibt viele Eltern, die ihre Kinder verstoßen. Für die Hunter ist dies ein Grund diese Eltern am Leben zu lassen. Sie dürfen sie nicht töten, wenn sie den Mutanten keine Beihilfe geleistet haben.«

»Aber meine Tante wusste nicht einmal, dass ich ein Mutant bin!«, rief Peter aus.

»Nein, aber was glaubst du, was sie mit ihr getan haben. Du wurdest von einem Mutanten gerettet, den die Hunter nur zu gut kennen und sie wissen, wie schwer er zu finden ist. Sie werden deine Tante mitgenommen und sie verhört haben und, wenn sie keine hilfreichen Antworten bekommen, machen sie kurzen Prozess.«
 

Kurz schwirrte in Peter der unangenehme Gedanke, die Hunter könnten seine Tante für Informationen sogar gefoltert haben, doch er blockte ihn sofort. Krampfhaft versuchte er nicht daran zu denken und lenkte das Thema schnell von Tante May ab.
 

»Was meinst du, die Hunter kennen Logan nur zu gut? Ist er ihnen schon öfter in die Quere gekommen? Vielleicht, als er euch gerettet hat?«, fragte Peter nun neugierig und nachdenklich zugleich. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt und er musterte Charles, der stumm lachte.

»Nein, Logan hat uns nicht gerettet. Komm mit, ich zeig dir etwas.« Er erhob sich von der Couch und Peter tat es ihm gleich. Zusammen schritten sie in den Flur mit den Schlafzimmer, wo sie das von Charles betrat. Peter hatte bisher nur einmal kurz herein gelugt und ihm war sofort der dunkle Vorhang aufgefallen, der auf der einen Seite eine gesamte Wand verdeckte. Ansonsten unterschied sich das Zimmer nicht besonders von dem, welches Peter bezog.
 

Sie blieben vor dem Vorhang stehen, den Charles nun zu beiden Seiten aufriss und Peter klappte die Kinnlade herunter.

Über die gesamte Wand verteilt, klebten Zeitungsausschnitte und selbst geschossene Fotos, hier und da waren Sticker angebracht und relativ mittig hing ein schwarzer Kleidungsfetzen, auf welchem ein weißes 'A' eingenäht war. Gleich daneben klebte die Schlagzeile 'AVENGERS INITIATIVE: GENIAL ODER GEFÄHRLICH?!'.
 

»Daran erinnere ich mich!«, stellte Peter sogleich fest und deutete auf die schwarzen Buchstaben. »Ich muss damals jung gewesen sein, noch ein Kind, aber ich erinnere mich, dass meine Tante und mein Onkel wie wild darüber diskutiert haben. Auch unsere Lehrer an der Schule und überhaupt hat jeder davon gesprochen und andere Kinder in meinem Alter meinten, diese Avengers seien Superhelden. Das ging wochenlang so und dann hat es einfach wieder aufgehört und man hat nie wieder etwas über die gebracht.«

»Weil wir eigentlich eine geheime Organisation waren«, sagte Charles und Peter blickte ihn überrascht an. »Und du warst elf, als dieser Artikel entstanden war.«

»Was heißt 'wir'? Du warst Teil der Avengers – Warte – Ihr war alle vier Teil der Avengers?!«

»Richtig.« Charles nickte und tippte auf eines der Fotos, welches nicht weit vom Stofffetzen klebte. Darauf zu erkennen, war eine Gruppierungen von Frauen und Männern, die teilweise freudig, teilweise schlecht gelaunt, in die Kamera blickten. »Es gibt nur ein Foto auf dem wir alle gemeinsam zu sehen sind. Das haben wir beim letzten Weihnachtsfest gemacht... das letzte Mal als wir alle zusammen waren.«
 

Trauer drang durch Charles Stimme und für einen Moment verfiel er in nachdenklichem Schweigen. In seinen Augen glänzte Sehnsucht, Trauer, jedoch auch dieses Gefühl, welches man hatte, wenn man sich an gute Zeiten erinnerte. Nun war es an Peter Mitleid zu empfinden. Irgendetwas musste passiert sein, dass sie nur noch zu Viert hier waren. Auf dem Foto waren es sicherlich -
 

»Neunzehn«, beendete Charles seinen Gedanken. »Wir waren fünfzehn Mutanten und vier menschliche Soldaten.«

»Was ist passiert?«, fragte Peter und hoffte dabei nicht zu neugierig oder aufdringlich zu klingen. Er merkte, dass dies anscheinend ein persönliches und mit vielen Emotionen verbundenes Thema für Charles war.
 

»Das hier ist passiert.« Nun deutete der Telepath auf eine Schlagzeile, die lautete: 'ANTI-MUTANTEN-GESETZ ENDGÜLTIG ERLASSEN!' »Vier Jahre lang haben wir im Auftrag von Shield gehandelt und gearbeitet und es war eine gute Zeit, auch wenn wir vielen Kriegen, Kämpfen und Missionen entgegen treten mussten. Es war eine gute Zeit, weil wir eine Gemeinschaft waren, eine Familie, die füreinander da gewesen war. Wir fühlten uns durch unsere Fähigkeiten nicht fehl am Platz, wir nutzten sie für das Richtige, mussten dabei manchmal sogar gegen Mitglieder der Regierung arbeiten und irgendwann haben wir gemerkt, dass alles nicht mehr ganz stimmte. Und nach einiger Zeit kam das Anti-Mutanten-Gesetz und aus ehemaligen Soldaten mit denen wir gekämpft haben, wurden Hunter.«

»Auch aus den vier Soldaten, die Avengers waren?«

»Nein, zwei von ihnen wurden getötet, weil sie sich freiwillig gestellt hatten. Und die anderen beiden durften als Polizisten hier in New York anfangen. Sie haben so getan als wollten sie nichts mehr mit uns zu tun haben, doch wir haben immer noch Kontakt mit einem von ihnen. Der andere wurde bei einem der Aufstände ermordet.«
 

Charles erzählte dies lockerer als Peter es erwartet hatte. Entweder, weil er gut damit klar kam, oder, und was Peter viel eher vermutete, weil er gelernt hatte, damit umzugehen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtete er die zugeklebte Wand und verharrte auf einzelnen Fotos und Zeitungsbeiträgen.
 

'Ist Anthony E. Stark heimlich ein Verfechter der Mutanten?' hieß es in einem Artikel. Daneben klebte ein Foto von einem älteren Mann mit schwarzen Haaren und Bart, der lächelnd ein Glas Sekt empor hielt und dabei eine Hand, um einen weniger glücklich aussehenden Mann mit blonden Haaren und stechend blauen Augen gelegt hatte.
 

'Bruce Banner, besser bekannt als Hulk, einer der gefährlichsten Mutanten aller Zeiten, endlich getötet' lautete die nächste Überschrift. Darunter lächelte unsicher ein Mann mit einer Brille in der Hand, den man anscheinend zu dem Foto hatte zwingen müssen. Vom Hulk hatte Peter ebenfalls Geschichten gehört, doch natürlich hatte er keine von ihnen geglaubt. Die Kinder auf seiner Schule erzählten sich, er wäre ein grünes, riesiges Monster, das alles in seinen Händen zerfetzen und sogar fliegen könnte. So stark konnte er dann wohl nicht gewesen sein, wenn er getötet wurden war.
 

'Gefährliche Gestalt in Ghettos gesichtet: Handelt es sich um Deadpool?' Unter der Überschrift hatte jemand für die Zeitung eine düstere Zeichnung von einem Mann mit Mantel und Hut angefertigt, unter dem zwei rote Augen bedrohlich hervor blitzten. Charles hatte ein Foto von einem betrunkenen Mann mit vernarbten Gesicht daneben geheftet.
 

»Schau dir das nicht zu lange an«, seufzte Charles schließlich. »Ich versuche mich immer zu beschäftigen, da wir ja nie raus kommen, doch nachdem ich hiermit fertig war, habe ich einen Vorhang davor gehängt, um es nicht sehen zu müssen. Es ist zu traurig.«

»Und nur ihr vier... oder fünf habt überlebt?«, fragte Peter, der seinen Blick weiterhin wandern ließ. Alles, was er sah waren Fotos von Freunden, die gemeinsam feierten und lachten, gemischt mit Artikeln, die behaupteten, dass diese sympathisch wirkende Menschen, gemeingefährliche Killer waren.
 

»Nein, acht haben überlebt. Neun, wenn du Tony dazu zählst.« Dabei tippte er auf den älteren Mann, den Peter schon einmal gesehen hatte. Auch sagte ihm der Name Stark etwas, er schien wichtig zu sein, doch Peter konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, woher er ihn kannte.
 

»Tony Stark hat eine Zeitlang Waffen hergestellt, doch da warst du noch jünger. Relativ am Anfang der Avengers hat er seine Meinung bezüglich der Waffenindustrie geändert und ist auf erneuerbare Energie umgestiegen. Seitdem lässt er nicht mehr viel von sich hören«, erklärte Charles knapp.

»Klar, der Stark Tower mitten in New York!« Peter schlug sich vor die Stirn. »Wie hab ich das vergessen können? Und, was ist mit den anderen drei Mutanten, die überlebt haben?«

»Versuchen ein normales Leben zu führen, verstecken sich irgendwo in der Stadt, weil sie es hier nicht aushalten oder sind ständig auf Reise«, erklärte Charles. »Meiner Meinung nach ist das zu gefährlich für sie, aber die haben alle ihren eigenen Kopf.«
 

Nun kehrte für einige Momente Stille zwischen ihnen ein. Als Peter die Schlagzeile 'ERNEUT HUNDERTE VON MUTANTEN ERMORDET' las, seufzte er traurig und ließ den Kopf sinken. Er hatte nie wirklich über dieses Anti-Mutanten-Gesetz nachgedacht, da es ihn bisher auch nicht betroffen hatte. Zu Lebzeiten hatte sich sein Onkel ständig über die Regierung beschwert, dass sie machen würden, was sie wollen und der Staat langsam aber sicher zu einer Diktatur wurde. Peter dachte immer, er würde maßlos übertreiben, doch nun wurde ihm klar, dass dies nicht der Fall war.
 

»Die Mehrheit war gegen das Gesetz, oder?«, fragte er.

»Ja, sie haben es einfach durchgezogen«, antwortete Charles gedrückt. »Ich kann mich noch gut erinnern, wie sie ständig darüber diskutiert haben. Wochenlang zog sich die Entscheidung hin und unsere Gemeinschaft zerbrach an dem Druck, der dadurch auf ihr lastete. Und dann haben sie das Gesetz erlassen und alles ging zu Bruch.«

Er seufzte hörbar und machte sich daran die Vorhänge wieder zu zuziehen.

»Komm, lassen wir die Erinnerungen Erinnerungen sein und weiter an Cerebro arbeiten.«

Nicht so stark, wie du aussiehst

Morgens um zwei Uhr wurde Wade von Geräuschen im Haus geweckt. Noch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, sprang er von der modrigen Decke auf, zog sich seine schwarze Maske und eine Schussweste über und legte die Gurte samt Schwertern und Pistolen an. Im Treppenhaus hörte er die Schuhpaare mehrerer Menschen die Treppe hinauf poltern und im nächsten Moment erklang das laute Krachen der Wohnungstür, die eingetreten wurde.
 

Wade ließ sich nur ungern einen Kampf entgehen, doch hatte er es im Gefühl, dass die Einbrecher Hunter waren und die besaßen eine Waffe, vor der selbst er Angst hatte. Also öffnete er schnell das Fenster in seinem Schlafzimmer und kletterte auf das Sims. Einige Meter unter ihm erkannte er die großen, metallenen Mülleimer, auf welche er sich nun schmerzhaft fallen ließ.
 

Er stieß einen Schmerzenslaut aus, ehe er auf den Boden sprang und hoch zum Fenster blickte. Ein Hunter streckte seinen vermummten Kopf zum Fenster raus, doch bevor er seine Waffe auf Wade richten konnte, hatte dieser eine Pistole gezückt und ihm gezielt ins Gesicht geschossen. Dann rannte der Mutant auch schon die Gasse entlang.
 

Hinter ihm hörte er Stimmen und Fußgetrampel, während er sich durch die vielen Verwinkelungen und Gassen des Viertels quetschte. Schließlich hatte er die Hunter abgehängt. Ihre Geräusche bestanden nun aus dumpfem Lärm, der Häuserblocks entfernt war. Wade, der seit langem nicht mehr so viel rennen musste, atmete schwer ein und aus, bitterlich merkend, dass er ein wenig aus der Übung war und setzte seinen Weg auf einer breiteren Straße vor.
 

Vor einigen Minuten noch dachte er, wenn er das nächste Mal Logan sehen würde, würde er ihm verschmitzt grinsend unter die Nase reiben, dass er es geschafft hatte unentdeckt zu bleiben. Nun musste er in Schande ins Hauptquartier einkehren, schließlich hatte er Logan versprochen hin zu kommen, sobald er Ärger bekam. Das blöde, selbstgefällige Grinsen konnte er sich bereits bildlich vorstellen.
 

Um einiges verstimmt schritt Wade die Straßen entlang, zog die Aufmerksamkeit von ein paar Jugendlichen auf sich, die sofort die Köpfe zusammensteckten und anfingen zu tuscheln. Wade hörte nur, dass das Wort 'Deadpool' fiel und ein zufriedenes Grinsen bildete sich auf seinen Lippen. Nach einigen Minuten wurde dem Mutanten die Situation unbehaglich.
 

Kein Hunter weit und breit, keine Sirenen, keine Streifenwagen... seit wann gaben diese Idioten so schnell auf? An der Sache musste doch etwas faul sein. Wade blieb nun mitten auf der Straße stehen und schaute sich suchend um. Vielleicht folgten sie ihm heimlich, um zu erfahren, wo sich das Hauptquartier befand. Falls es wirklich so war, musste er versuchen sie irgendwie in die Irre zu führen.
 

Wade erblickte eine der vielen Seitenstraßen und entschloss sich dazu quer durch das Viertel zu rennen, durch Gärten, Sackgassen, wenn es sogar sein musste, durch Wohnungen, Hauptsache, er konnte sicher sein, dass ihm niemand folgte. Doch leider konnte Wade nicht einmal drei Schritte machen, als er ein kaum vernehmbares Geräusch hörte. Es war leises Sausen und gerade noch rechtzeitig erkannte Wade aus dem Augenwinkel etwas Silbernes in der Dunkelheit aufblitzen.
 

Er machte einen Satz zur Seite und klirrend fiel eine präparierte Spritze zu Boden. Schon im nächsten Moment wurde er von sämtlichen Seiten von ihnen angegriffen. Nur mühevoll konnte er ihnen ausweichen. Sie waren klein, für normale Augen kaum erkennbar und besonders in der Dunkelheit war es schwer einzuschätzen, wo sie landen sollten. Die Hunter hatten ihn in eine Falle gebracht, sie wollten ihn nie direkt an der Wohnung einfangen, sondern haben auf ihn gelauert, um nun aus der Entfernung mit dem Anti-Mutanten-Gift anzugreifen.
 

Schließlich schaffte es Wade mit einer eleganten Bewegung auszuweichen und die Straße herunter zu rasen. Er wollte gerade in eine der Seitenstraßen einbiegen, als er ein kurzes Stechen in seinem Hals spürte. Wie automatisch fasste er sich an die Stelle und blieb erschrocken stehen. Er zog eine Spritze aus seiner Haut heraus und betrachtete mit aufgerissenen Augen die leere Hülse. Das Mittel war in seinem Körper!
 

Noch ehe er dies realisieren konnte, spürte er plötzlich ein seltsames Kribbeln in jeder Pore seines Körpers. Seine Beine knickten ein, nur schwerfällig konnte er sich noch auf den Knien halten. Er spürte wie sein Herz immer schneller schlug, seine Finger begannen zu zittern und schließlich musste er sich auf den Boden legen und begann unkontrolliert zu zucken.
 

Durch seine benebelten Augen erkannte er, wie sich die Hunter um ihn sammelten und im nächsten Moment schlug ihn einer von ihnen mit seiner Waffe bewusstlos.
 

Verschlafen saß Peter am Esstisch und löffelte ein paar Cornflakes, während Raven als blonde Frau verwandelt von der Eingangstür her, herein rauschte. Sie stellte zwei große Plastiktüten, gefüllt mit Essen und Trinken, auf der Tischplatte ab und verwandelte sich wieder zurück in ihre normale Gestalt. Einmal alle zwei Wochen ging sie einkaufen, jedes Mal nahm sie die Gestalt einer anderen Person an, um kein Aufsehen zu erregen.
 

»Es war eine gute Entscheidung gewesen mal morgens einkaufen zu gehen. Es war kaum etwas los!«, verkündete sie zufrieden, dann fiel ihr Blick auf den eingeschalteten Fernseher und sie zog Logan, der auf der Couch saß, mit einer Salami einen über den Kopf. Empört blickte er auf.
 

»Was sollte das denn?!«

Peter unterdrückte ein Lachen und beugte sich tiefer über seine Cornflakes.

»Wir haben nicht mal 12 Uhr und schon ist dieser blöde Fernseher eingeschaltet«, zischte Raven. »Kannst du dich nicht anderweitig beschäftigen?«

Gerade machte Logan den Mund auf, um eine Antwort zu geben, als der Fernseher seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Statt dem mittäglichen Schrott-TV, war eine Nachrichtensprecherin zu sehen, die mit ernster Miene verkündete: »Wir unterbrechen Ihr Programm mit einer Eilmeldung: New York City kann aufatmen. Der berüchtigte Deadpool, bürgerlicher Name Wade Wilson, wurde endlich von den Huntern gestellt und gefangen genommen. Näheres zu dem Verfahren wurde noch nicht preisgegeben. Wir hoffen Ihnen in den Abendnachrichten mehr mitteilen zu können.«
 

Wie erstarrt blickten Raven und Logan auf den Bildschirm. Während die Frau gesprochen hatte, war neben ihr eine Zeichnung eingeblendet wurden, die Peter bereits gesehen hatte. Dieser Wade Wilson war ein ehemaliger Avenger. Gespannt schaute er nun zwischen den beiden Mutanten hin und her, deren Münder aufgeklappt waren. Sie regten sich erst, als Charles außer Atem in den Wohnraum gerannt kam und mit den Händen fuchtelnd auf den Fernseher deutete.
 

»Wade!«, rief er aus. »Habt ihr das mitbekommen?!«

»Ja«, antworteten Logan und Raven wie aus einem Mund.

»Das ist unmöglich«, setzte Raven hinzu. »Doch nicht Wade. Wie können die ihn gefangen genommen haben? Er hat Selbstheilungskräfte, das Mittel wirkt bei Leuten mit Selbstheilungskräften nicht und überhaupt ist er doch viel zu stark. Ein Kampf gegen ihn ist wie Selbstmord!«

Logan schien anderer Meinung zu sein.

»Wade war alleine und sie haben mit Sicherheit sämtliche Einheiten zu ihm geschickt. So jemanden wie Wade überfallt man nicht mal einfach so, sie müssen das geplant haben.«

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Raven. »Sollen wir ihm versuchen zu helfen?«

»Zu gefährlich«, schüttelte Charles den Kopf.

»Also willst du ihm einfach seinem Schicksal überlassen?«

»Natürlich nicht«, erwiderte Logan nun. »Ich statte Bucky einen Besuch ab und frag ihn mal, was er herausfinden kann.«
 

Und mit den Worten stand er von der Couch auf, packte sich seine Lederjacke vom Kleiderständer im Flur und verschwand aus dem Hauptquartier. Raven eilte unterdessen in ihr Zimmer und kam mit einem Handy in der Hand zurück.
 

»Ich muss Natasha kontaktieren«, sagte sie bestimmt. »Wenn sie Wade einfangen konnten, ist sie zu hundert Prozent ebenfalls in Gefahr. Dasselbe gilt für Kurt, kannst du versuchen ihn zu erreichen? Du weißt ja, dass er kein Handy hat.«

»Cerebro funktioniert immer noch nicht«, seufzte Charles. »Aber Kurt ist ständig auf Achse. Er reist quer durch die Welt, ich denke nicht, dass er in allzu großer Gefahr ist.«
 

Peter hatte seine Cornflakes vollkommen vergessen und beobachtete das Szenario mit leicht geöffnetem Mund. Sofort rasten ihm unendlich viele Fragen durch den Kopf. Er suchte Blickkontakt mit Charles, um ihm dies zu verdeutlichen, doch er war zu sehr damit beschäftigt Raven gebannt anzuschauen, wie sie versuchte Natasha zu erreichen. Und wie es aussah, funktionierte es nicht.
 

»Sie geht nicht ran«, fluchte sie. »Ich schreib ihr eine SMS.«

»Können die Hunter eure Handys nicht abrufen oder so was?«, fragte Peter verwundert. Überrascht blickte Charles ihn an, als hätte er vergessen, dass Peter auch im Raum war.

»Nein, keine Sorge«, antwortete er schnell, versuchte dann möglichst beruhigend zu klingen. »Und sie können uns hier auch nicht finden. Du bist hier sicher, versprochen.«
 

Obwohl Charles ihm versprochen hatte, dass ihm nichts passieren konnte, fühlte sich Peter unwohl. Selbst Logan war vollkommen aus dem Häuschen gewesen wegen diesem gefangen genommenen Wade. Natürlich war es schlimm, schließlich kannten sie ihn alle und er schien ein Freund von ihnen zu sein, aber aus irgendeinem Grund überraschte es sie, dass er gefangen genommen wurde. Peter traute sich nicht nachzufragen, ob Wade denn so stark sei, sondern verbrachte die nächsten Tage schweigend bei Cerebro, ohne sich dabei wirklich auf die Machine zu konzentrieren.
 

Logan hatte sich mit diesem Bucky getroffen, doch er hatte ihnen jetzt erst Informationen geben können. Wade war in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht wurden. Die Hunter hatten ihn mit irgendeinem Mittel abgeschossen, erst schien es gewirkt zu haben, doch als sie ihm das Todesurteil verhängt hatten, hatte sich der Körper doch dagegen gewehrt. Nun saß Wade im stärksten bewachten Gefängnis des Landes in einer Einzelzelle und sollte dort nie wieder raus kommen.
 

Am vierten Tag nach Wades Gefangennahme saßen sie zusammen schweigend beim Abendessen, nur Jean fehlte mal wieder. Peter war sich nicht einmal sicher, ob sie von dem Chaos, das momentan herrschte, wusste oder, ob sie sich überhaupt dafür interessierte. Stumm pickte Peter in seinen Nudeln rum, dasselbe machte Charles, der die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen hatte und Logan starrte mies gelaunter denn je auf die Tischplatte. Ravens Blick huschte immer wieder zu ihrem Handy, welches gleich neben ihrem Teller lag. Sie erwartete noch immer eine Antwort von ihrer Freundin Natasha.
 

Und gerade als Peter die Stille peinlich wurde, begann das Telefon zu vibrieren und Raven packte es mit einem freudigen Aufschrei. Mit einem Mal war sie auf den Beinen und nahm den Anruf entgegen. Nun waren alle Blicke ihr zugewandt.
 

»Natasha? Natasha, Gott sei Dank meldest du dich mal! Hast du das mit Wade mitbekommen? - Ja, ich weiß, uns wundert das auch! Wo bist du? Bist du in Ordnung? - Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis sie auch versuchen dich zu holen … Sei dir da mal nicht so sicher … Ist das dein Ernst?« Das Gespräch schien nicht so verlaufen, wie es sich Raven gewünscht hatte. Ihre Miene verzog sich immer mehr ins Besorgte und sie fasste sich beinahe verzweifelt mit der freien Hand an ihre Stirn.

»Aber Natasha, wenn sie Wade – Natürlich will ich nicht bestreiten, dass du gut bist! Ich finde die Idee wirklich nicht gut … Aber Natasha!« Nun trat für längere Zeit Stille ein, in der Natasha Raven anscheinend etwas erklärte und schließlich gab die blaue Mutantin geschlagen nach.

»Na schön«, seufzte sie wehmütig und äußerst widerwillig. »Na gut. Melde dich falls du doch Hilfe brauchst... Ja... Tschau.«
 

Raven legte auf und ließ sich niedergeschlagen zurück auf ihren Stuhl fallen. Für einen Moment herrschte erneut eine drückende Stille, dann deutete Raven streng auf den Teller mit Nudeln, der vor Peter stand und sagte: »An dir ist fast nichts dran, Peter. Du isst auf!«
 

In dieser Nacht konnte Peter nicht gut schlafen. Aus irgendeinem Grund musste er ständig an seine Tante denken und schmerzhaft wurde ihm zum ersten Mal seit Wochen wirklich bewusst, wie sehr er sie vermisste. Und es war alleine seine Schuld, dass sie in die Fänge dieser Hunter geraten war. Zum ersten Mal wünschte er sich wirklich und aus den Tiefen seines Herzens kein Mutant zu sein. Peter lag lange wach, dachte nach und musste Tränen zurück halten. Stumm starrte er auf das leuchtende Ziffernblatt seines Weckers, wie sich der Sekundenzeiger quälend langsam vorschob. Eine Stunde war er nun schon wach, zwei Stunden, drei Stunden, beinahe vier Stunden. Schließlich überwältigte ihn die Müdigkeit und er fiel in einen unruhigen, kaum erholsamen Schlaf.

Hochsicherheitsgefangener Wade Wilson

Es war laut.
 

Das Rütteln an Eisenstangen schallte durch alle Gänge wieder, vermischte sich mit dem Brüllen und Rufen der Insassen, die lauter wurden, wenn die Gruppe von fünf Männern an ihnen vorbei kam. Zwei Wärter schritten vorne weg, zwei gingen dahinter und in ihrer Mitte hielten sie Wade Wilson an den Armen fest. Seine Hände waren mit Schellen gefesselt. Beinahe gelangweilt ging er zwischen den Wärtern und jedes Mal, wenn jemand der Insassen besonders laut brüllte, rollte er mit den Augen.
 

»Ich bring den Scheißkerl um, sobald wir uns auf dem Hof sehen!«, schrie einer von ihnen.

»Du bist ein toter Mann, Wilson!«, kam es aus einer anderen Zelle.

»Können Sie denen sagen, die sollen sich nicht zu große Hoffnungen machen?«, fragte Wade schließlich die Wärter. »Sie wissen doch, ich kann nicht sterben.«

»Wie wär's, wenn du einfach die Klappe hältst?«, sagte der Wärter rechts von ihm genervt.
 

Nach einem Gang quer durch das Gefängnis, kamen sie schließlich bei den Hochsicherheitszellen an. Sie befanden sich in einem abgesonderten Raum und sobald die schwere Eisentür hinter ihnen ins Schloss fiel, verstummten jäh die Stimmen und Geräusche der anderen Insassen. Exakt sechs Zellen gab es in diesem Raum. Sie waren klein und so hergerichtet, dass in jeder Zelle nur ein Gefangener Platz hatte. Wade bekam die Handschellen entfernt und wurde in die erste Zelle gesperrt, danach verließen ihn die Wärter wieder. Für einen kurzen Moment dröhnten erneut die Geräusche von außen, nun hörte Wade ebenfalls, wie die Aufseher versuchten für Ruhe zu sorgen, dann wurde er in eine erdrückende Stille gehüllt.
 

Außer ihm gab es keine weiteren Hochsicherheitsgefangenen. Wade umfasste mit seinen Fingern die Eisenstäbe, drückte sein Gesicht an sie heran und blickte sich im Raum um, doch er sah nichts, was er in irgendeiner Weise als Waffe nutzen könnte. Auch sah er keine Möglichkeit das elektronische Schloss zu knacken mit welchem diese Zellen abgeschlossen waren. Diesmal saß er wirklich in der Falle.
 

Seufzend ließ sich Wade auf dem schmalen Bett nieder, welches aus einer eiserner Liege und ein paar Laken bestand.
 

»Lange werde ich nicht hier bleiben«, sagte er sich selbst. »Ich bin noch aus jeder Scheiße irgendwie wieder raus gekommen, aber...« Er verzog missmutig das Gesicht. »Ich hab jetzt schon kein Bock auf Logans Reaktion.«
 

Tatsächlich kam Wade nicht so schnell heraus, wie er es gerne gehabt hätte. Nach der zweiten Woche, die er alleine und mit sich selbst sprechend in der kleinen Zelle verbracht hatte (das Essen wurde den Hochsicherheitsgefangenen gebracht) saß er auf dem Boden, die Arme durch die Stangen gestreckt und machte mit seinem Mund Furzgeräusche. Danach machte er eine nervtötende Alarmanlage nach und schließlich seufzte er mit solcher Wehmut, dass man dachte, er würde jeden Moment tot umfallen.
 

»Ich brauch frische Luft«, säuselte er in die Stille hinein. »Ich brauch Auslauf... Haben die überhaupt die Erlaubnis mich niemals in den Hof zu lassen?«

Er zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen, als würde er versuchen sich an etwas zurück zu erinnern, dann beantwortete er seine eigens gestellte Frage mit »Keine Ahnung.«
 

Gelangweilt hing er noch eine ganze Weile so herum, bis die eiserne Tür aufschwang und der Wärter mit dem täglichen Fraß vorbei kam. Fraß konnte man dieses Essen wirklich nur bezeichnen, doch da Wade seit zwei Jahren ohnehin nichts besseres zwischen die Zähne bekommen hatte, machte er sich nicht viel daraus.
 

»Ey, sagen Sie mal, gibt’s hier auch mal ne Möglichkeit, bisschen draußen rum zulaufen?«, fragte Wade. »Im Hof oder so?«

»Vergiss es.«

»Irgendwo hab ich mal gehört Hochsicherheitsgefangene dürfen auch in den Hof in der Pause, nur eben besonders bewacht.«

»Nur leider, kennt dich jeder der Insassen hier«, sagte der Wärter als würde er einem kleinen Kind etwas erklären. »Ungefähr zwanzig Prozent dieser Leute, haben es alleine dir zu verdanken, überhaupt im Gefängnis zu sitzen und die anderen achtzig Prozent kennen dich von all den Geschichten und Gerüchten, die man über dich verbreitet oder sind dir um ein Haar entkommen oder du hast irgendwelche Freunde von ihnen umgebracht. Abgesehen davon, kennt jeder die Geschichte von dir und dem SWAT – Team, das du innerhalb weniger Sekunden, ohne einen Kratzer ab zu bekommen, zu Nichte gemacht hast. Also: Nein, du kommst hier nie wieder raus.«
 

Mit dem Worten stellte er ihm das Essen vor die Zelle. Die Wärter gaben es ihm nicht einmal rein, Wade musste immer ziemlich umständlich um die Stäbe herum essen.
 

»Wissen Sie was?«, hielt Wade den Aufseher mit einem selbstgefälligen Grinsen zurück. Er wollte gerade die Tür öffnen. »Ich würde es nicht Geschichten nennen, sondern Legenden.«

»Mein Gott«, seufzte der Wärter. »Wie kann ein Profikiller nur so eine große Klappe haben...«
 

Abgesehen von den blöden Kommentaren den Wärtern gegenüber, hatte Wade nicht viel, womit er sich ablenken konnte. Somit zogen sich die Sekunden hin wie Minuten und die Minuten wie Stunden und jeder Tag kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er merkte, dass er diesmal wirklich in der Klemme steckte.
 

Viele Kilometer entfernt, in einem kleinen Dorf auf dem Land, war die Welt weit weniger beklemmend und gefährlich. Zumindest schien sie es zu sein. Ein goldener Schleier hatte sich über die Baumwipfeln des Waldes gelegt und die purpurroten Dächer waren in ein dämmriges Licht getaucht. Hier und da stießen feine Rauchwolken aus den Schornsteinen hervor. Auch, wenn die Sonne schien, zeigte sich die Kälte des bald kommenden Winters deutlich.
 

In einen dünnen Mantel gehüllt, den Mund hinter einem gestreiften Schal versteckt, stolzierte Natasha Romanoff in High Heels die ausgestorbenen Straßen entlang. Ihre bernsteinfarbenen Augen blickten sich mit jedem Meter, den sie mehr zurück legte, zunehmend überrascht und aufmerksam zugleich um. Es war ungewöhnlich, dass es in der Abenddämmerung bereits so leer war. Normalerweise waren die Gärten noch bis spät in die Nacht mit gut gelaunten Familien gefüllt und Kinder liefen Ball spielend und unbedacht über den Asphalt. Ob irgendwas geschehen war?
 

Natasha musste jeden Tag aus dem Dorf heraus mit dem Bus in die nächstgelegene Stadt fahren und dort in einem Restaurant als Kellnerin arbeiten. Abends kehrte sie dann in ihr kleines Haus zurück, welches sie sich mit ihrem derzeitigen Freund Clint Barton teilte. Einem ganz normalen Menschen, der nicht wusste, dass sie eine Mutantin war. Anfangs war es schwer gewesen ihn davon zu überzeugen in eines der Dörfer zu ziehen, da sie beide in der Stadt arbeiteten, doch schließlich hatte Natasha ihren Dickkopf durchsetzen können.
 

Während dem Gehen wippten ihre gelockten, roten Haare auf und ab und ihre Augen huschten weitergehend aufmerksam über die Häuser. Rollläden waren heruntergezogen, Türen verschlossen, Gärten verlassen. Es war als hätte jemand die Apokalypse angekündigt. Und als Natasha in ihre Straße einbog und mit offenem Mund vor ihrem eigenen Haus stehen blieb, wusste sie auch endlich, was los war.
 

Die Tür war aus den Angeln geschlagen und lag zersplittert im gefliesten Flur. Direkt gegenüber befanden sich Einschusslöcher in der Wand, das Wohnzimmer war völlig auf den Kopf gestellt wurden und zu Nastashas Entsetzen zog sich eine feine Linie frischen Blutes über den Boden. Natasha überlegte nicht lange. Wie vom Blitz getroffen stürzte sie ins gemeinsame Schlafzimmer, öffnete ihren Kleiderschrank und kramte in den Untiefen ihrer Klamotten nach einer kleinen Kosmetiktasche. Aus dieser zog sie ein Set aus Chemie-Utensilien heraus und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
 

Mit der Pipette nahm sie eine Probe des Blutes und ließ es in eine Petrischale tröpfeln, die sie danach säuberlich verschloss. Sie verstaute die Probe in ihrer Jackentasche und langte zugleich nach ihrem Handy. Bereits wenige Sekunden später hatte sie auf der anderen Leitung ihre alte Freundin Raven Darkholme.
 

»Bei uns wurde eingebrochen, Hunter, ganz sicher«, sagte Natasha ohne vorher zu grüßen. »Ich fürchte sie haben meinen Freund mitgenommen. Logan soll mich am Dorfeingang abholen. Ihr wisst, wo ich wohne. Und er soll sich beeilen. Die waren nämlich sicherlich nicht hinter Clint her.«
 

Natasha brauchte nur wenige Minuten bis zum Dorfeingang. Sie versteckte sich hinter einem riesigen Reklameschild, welches von Efeu und anderem Gestrüpp überwuchert war und wartete ungeduldig auf Logan. Sie versuchte möglichst wenig daran zu denken, dass das Blut im Wohnzimmer höchstwahrscheinlich von Clint stammte und, dass die Hunter ihn gefangen genommen hatten. Selten hatte sie sich so um einen Menschen gesorgt, wie gerade um ihren Freund. Konnte es möglich sein, dass sie doch in ihn verliebt war?
 

In ihren Augen war Liebe etwas für Kleinkinder. Sie fühlte sich von Clint angezogen, weil er attraktiv war, gutaussehend, hatte eine Vorliebe für Kampfsport, ebenso wie Natasha, und hielt genauso wenig vom Jammern und Klagen, wie sie selbst. Doch konnte es möglich sein, dass da doch mehr war? Richtige Liebe?
 

Jetzt, wo sie so darüber nachdachte, spürte sie ein schmerzhaften Stechen in der Brust bei dem Gedanken daran, ihn verlieren zu müssen. Sie konnte ihn auf keinen Fall dem Tod überlassen.
 

Fast eine Stunde saß sie dort im Gras, bis sie das laute Dröhnen eines Motorrads hörte. Natasha musste nicht nachsehen, um zu wissen, dass dies Logan war und kam hinter der Reklametafel hervor. Mittlerweile hatte sich Dunkelheit über das Land gezogen und das grelle Licht der Maschine blendete die junge Frau. Logan wurde langsamer und hielt gleich neben ihr an.
 

»Alles klar bei dir?«, fragte er und stieg vom Motorrad ab. Er trug keinen Helm, dies tat er nie, doch für Natasha hatte er einen mitgenommen. Er klappte das Leder hoch und holte unter dem Sitz einen schwarzen Schutzhelm hervor, den Natasha während dem Sprechen überzog.

»Abgesehen von der Tatsache, dass mein Freund entführt wurde, geht es mir super«, antwortete sie sarkastisch. Sie setzte sich hinter Logan aufs Motorrad und schlang ihre Arme um seine Hüfte. Laut rauschte der Motor auf und schon machten sie eine Wendung und fuhren den langen Weg zurück in Richtung Hauptquartier.
 

»Was, wenn die Hunter uns folgen?«, rief Natasha durch den Lärm des Motorrads und Windes.

»Jean hat mir versichert, dass sie alles unter Kontrolle hat.«

»Sie hilft?«, fragte Natasha laut und mit Verwunderung in der Stimme. »Normalerweise hält sie sich doch aus allem raus.«

»Sie sagt es würde sich etwas zusammenbrauen und sie wolle passive Hilfe beisteuern«, brüllte Logan. »Solange sie niemanden verletzt, geht Hilfe wohl in Ordnung.«

»Ich werde diese Frau nie verstehen!«, stellte Natasha fest.
 

Den Rest der Fahrt wechselten die beiden keine weiteren Sätze miteinander. Erst als das Motorrad langsamer wurde und an einem Schuppen mitten im Nirgendwo anhielt, hob Natasha wieder ihre Stimme.

»Mein Gott, sieht es hier verlassen aus.«

Auch, wenn es ihr nicht anzusehen war, doch der Anblick dieser Gegend versetzte sie in leichtes Entsetzen. Als sie das letzte Mal vor zwei Jahren hier gewesen war, hatte der Schuppen noch wie neu ausgesehen, das Gras war saftig grün gewesen und die Bäume hatten sich sanft im Wind gewogen. Doch, wie wenn die Natur gemerkt hatte, dass alles auseinander gefallen war, war das Gras trocken und die Bäume bestanden nur noch aus grauen Ästen an denen wenige Blätter geknickt hingen. Unkraut hatte sich seinen Weg die Holzwände des Schuppen hoch gekämpft und das Dach schien bereits mehrfach von einem starken Wind auseinander gerissen wurden zu sein, Logan hatte es mühselig mit ein wenig Folie und ein paar schweren Steinen abgedeckt.
 

Er schob sein Motorrad in den Schuppen und schloss die Türen mit einem alten Schlüssel ab. Natasha nahm ihren Helm ab und trug ihn nun in der Hand, während die beiden zu ihrem zwei Kilometer Marsch zum Hauptquartier ansetzten. Der Eingang, eine eiserne Tür in einen erdigen Hügel eingelassen, so mit Unkraut und Gestrüpp verwachsen, dass man kaum glauben konnte, dass die Tür überhaupt aufging, befand sich abgeschieden von sämtlichen Dörfern oder Städten.
 

Mittlerweile war es tiefste Nacht und Natasha warf noch einen letzten Blick auf den Sternen übersäten Himmel, ehe sie hinter Logan ins Hauptquartier kletterte.
 

Erleichtert fiel Raven der Frau um den Hals, die soeben hinter Logan ins Wohnzimmer gekommen war. Peter saß bereits in Schlafsachen gekleidet auf der Couch und schaute unauffällig über die Lehne hinweg zu, wie Raven das Gesicht der rothaarigen, äußerst gut aussehenden Frau zwischen ihre Hände nahm und unentwegt »Gott sei Dank« wisperte.
 

»Hey.« Logan stupste Peter gegen den Kopf. Der Junge versuchte möglichst unschuldig drein zu schauen und hoffte, dass Logan nicht mitbekommen hatte, dass Raven ihm bereits vor zwei Stunden gesagt hatte, er solle ins Bett gehen, doch leider wurde Peter enttäuscht.

»Komm schon, geh endlich schlafen.« Logan nickte in Richtung des Schlafzimmerflures, während Raven mit dem Neuankömmling in Richtung Labore verschwand. Die Rothaarige hatte eine Petrischale hervor genommen, in der sich eine rote Flüssigkeit befand. Vielleicht Blut?
 

»Ich kann nicht schlafen«, sagte Peter. »Ich mag endlich wissen, was hier überhaupt los ist. Wer ist die Frau? Gehörte sie auch früher zu den Avengers?«

»Charles kann dir alles erklären, aber nicht heute. Geh endlich ins Bett und versuch wenigstens etwas zu schlafen, das hier ist ein paar Nummern zu groß für dich.« Mit den Worten wollte Logan den beiden Frauen folgen, doch Peter blieb vehement auf der Couch sitzen und murmelte trotzig: »Das ist nicht zu groß für mich.«

»Natürlich ist es das!«, erwiderte Logan nun hörbar gereizt. »Wir haben es hier mit Huntern zu tun. Je weniger du weißt, desto geschützter bist du.«

»Weißt du, bevor ich hier her kam, hatte ich überhaupt keine Ahnung«, sagte Peter, der säuerlich das Gesicht verzogen hatte. »Und da hätten mich die Hunter beinahe umgebracht. Und, sie haben meine Tante ermordet. Sag mir also nicht, dass ich geschützt wäre. Warum willst du mich aus allem raushalten? Angeblich sollen körperliche und geistige Belastungen die Fähigkeitenentwicklung beschleunigen und ich soll so schnell wie möglich komplett mutieren, aber aus irgendeinem Grund wollen mich trotzdem alle aus allem raus halten und mir mit meinen Fähigkeiten überhaupt nicht weiterhelfen«, rief Peter wütend aus. »Ich versteh überhaupt nicht, was ich hier soll! Soll ich solange warten, bis uns die Hunter finden und mich umbringen oder soll ich hier alt werden oder verzweifeln, bis ich Selbstmord begehe?! Was mache ich überhaupt hier?!«
 

Logan, der den Mund aufgeklappt hatte, doch keine Worte fand, die er Peter entgegen bringen konnte, machte einen Schritt vor, als der Junge abrupt aufstand und aus dem Wohnzimmer in den Flur stürmte. Stumm schloss Logan seinen Mund, hörte wie die Tür von Peters Zimmer donnernd zugeschlagen wurde und fuhr sich mit einer Hand nachdenklich durch die Haare.
 

Er war wirklich kein Meister großer Worte. Das war er noch nie gewesen. Sich mit den Gefühlen anderer auseinander zu setzen, war keine Stärke von ihm und er konnte sich nur schwer in Peter hinein versetzen, doch trotzdem lagen auf seiner Zunge Worte, die er ihm sagen wollte. Und auch, wenn er wusste, dass das Leben von Natashas Freund in Gefahr war und es berechtigte Annahmen dafür gab, dass jemand den Huntern verriet, wo sich die alten Avengers aufhielten, entschied er sich dafür dem 17-Jährigen zu seinem Zimmer zu folgen.

Elternersatz und Agenteneinsatz

Sachte klopfte Logan an die Tür.

Keine Antwort.

Etwas fester schlug er mit der Faust gegen das Holz, nun kam ein trotziges »Geh weg!« von drinnen.
 

»Peter, ich möchte mit dir reden«, seufzte Logan. »Ob du es willst oder nicht, ich komm jetzt rein.«

Er öffnete die Tür und betrat mit vorsichtigen Schritten das Zimmer. Obwohl Peter nicht viele persönliche Sachen besaß, hatte er es trotzdem irgendwie geschafft Unordnung in den Raum zu bringen. Ein, seit seiner Ankunft im Hauptquartier, unbenutztes Skateboard lag neben einem vollen Papierkorb. Ein paar Bücher waren auf dem Boden verteilt und Logan musste auf Zehenspitzen gehen, um auf keine Stifte oder Klamotten zu treten. Schließlich schaffte er es zu dem Bett, auf dem Peter an die Wand gelehnt saß. Die Beine an seinen Körper heran gezogen und mit schlecht gelaunter Miene auf die Bettdecke stierend.
 

Logan rutschte neben den Jungen, ließ seinen Kopf mit einem dumpfen Schlag gegen die Wand fallen und überlegte sich seine Worte noch einmal genau.
 

»Weißt du, Peter, wir hatten einen guten Freund damals bei den Avengers«, begann er zu erzählen und Peter lauschte ihm neugierig, achtete dabei jedoch darauf weiterhin schlecht gelaunt auszusehen. »Sein Name war Bruce Banner und, wenn er wütend wurde oder in Gefahr geriet, verwandelte er sich in ein riesiges, alles zerstörendes Monster, den Hulk. Nichts konnte ihn aufhalten und es war unmöglich gewesen ihn zu töten. Kugeln prallten einfach von ihm ab, extreme Hitze oder Kälte schadeten ihm nicht im geringsten, doch trotzdem schafften es die Hunter ihn umzubringen.«
 

Nun blickte Peter ihn doch neugierig an und fragte gespannt: »Wie?«

»Anti-Mutanten-Gift«, antwortete Logan verächtlich. »Du hast es sicherlich durch die Medien als 'das Heilmittel' präsentiert bekommen, als Mutanten noch frei auf den Straßen herum laufen durften. Schau mich nicht so überrascht an, ich weiß, dass die Regierung behauptet hat, das Mittel würde nicht mehr hergestellt werden. Sie benutzen es als Waffe gegen uns, weil sie wissen, dass sie gegen unsere Fähigkeiten größtenteils keine Chance haben. Ein Spion hatte sich damals bei uns eingeschlichen, noch bevor das Anti-Mutanten-Gesetz durchgezogen wurden war und, als der passende Zeitpunkt kam, verabreichte er Bruce eine Überdosis. Vollkommen unvorbereitet, war es für eine Verwandlung zu spät und Bruce wurde als normaler Mensch umgebracht.«
 

Betretenes Schweigen trat zwischen den beiden ein. Obwohl Peter nun wusste, worauf Logan hinaus wollte, ließ er den Mann mit ruhiger Stimme fortfahren: »Bruce war damals 37 Jahre alt und er war der als unbesiegbar geltende Hulk. Und du bist 17 und deine Fähigkeiten sind nicht entwickelt. Verstehst du jetzt, warum wir versuchen dich zu beschützen?«

»Okay...«, murmelte Peter nun um einiges verständnisvoller. »Aber trotzdem... ich kann doch nicht ewig einfach nur hier rum sitzen... was ist wenn... Ja, was ist wenn ich eines Tages doch in die Quere der Hunter komme? Unbeabsichtigt, ungeplant. Was mach ich dann?«
 

Beinahe bettelnd schaute Peter Logan an, die braunen Augen schienen sich auf übergroße Welpenaugen zu weiten und Logan zog eine Augenbraue hoch. Für einen Moment überlegte er, dann seufzte er nachgebend.
 

»Na gut. Ich werde mich erkundigen, was wir wegen Natasha und Wade machen und sobald ich Zeit habe, trainiere ich dich.«

»Danke!« Peter strahlte über beide Gesichtshälften, während Logan wieder vom Bett aufstand und so behutsam wie zuvor das Zimmer verließ. Das Gefühl endlich zu wissen, dass es auch mal voran ging, war toll. Vielleicht hätte sich Peter weniger gefreut, wenn er gewusst hätte, was noch alles auf ihn zukam...
 

Natasha wurde aschfahl und sackte beinahe auf ihrem Stuhl zusammen, als Charles ihr mit bedrückter Miene bestätigte, dass das Blut aus ihrem Wohnzimmer tatsächlich Clint gehörte. Er hatte es unter die Lupe genommen, die Proben einem Computer zum Untersuchen gegeben, der noch jeden Fetzen eines Menschen analysieren und zuordnen konnte. Nun standen oder saßen Charles, Raven und Natasha zusammen im Untersuchungslabor und überlegten, jeder für sich, wie es weiter gehen sollte. Erst als Logan hinzustieß, hob Natasha ihre Stimme. Sie klang stärker und mutiger, als es ihr blasses Gesicht glauben ließ.
 

»Ich werde Clint nicht kampflos aufgeben«, stieß sie aus. »Ob ihr mir helft oder nicht, ich werde zu Bucky gehen und ihn darum bitten, herauszufinden, wo sie Clint hingebracht haben und, dann werde ich ihn befreien.«

»Wenn es bis dahin nicht schon zu spät ist«, warf Logan ein, woraufhin Natasha aufsprang und ihn mit knirschenden Zähnen anstarrte. Ihren Todesblick kannten die ehemaligen Avengers nur zu gut.

»Ich werde nicht warten, bis es wirklich zu spät ist«, zischte sie.

»Aber du darfst das nicht alleine machen«, sagte Raven. »Ich helfe dir.«
 

Überrascht wurde sie von drei Seiten angeschaut. Raven war zwar eine ehemalige Shield-Agentin und mehr als geübt in Waffen- wie auch Nahkampf, doch hatte sie seit zwei Jahren keinen Kampf mehr bestritten und predigte ständig wie gefährlich es außerhalb des Hauptquartieres war.
 

»Und, wenn wir schon mal dabei sind«, setzte Raven noch einen drauf. »Wade können wir nicht einfach so dem Gefängnis überlassen. Ich weiß, er ist nervig und bringt sich ständig selbst in Gefahr, doch er ist einer von uns und wir schulden ihm was.«

»Ich schulde dem gar nichts«, knurrte Logan, doch beim Blick der beiden Frauen, gab er widerwillig nach. »Na schön... Charles kommt mit mir.«

»Was?«
 

Erschrocken blinzelnd blickte der Telepath ihn an.

»Auf Jean kann ich nicht zählen, oder? Also kommst du mit«, sagte Logan bestimmend.

»Ehm... okay.« Charles zuckte nun gelassener die Schultern. Er hatte nie wirklich kämpfen müssen. Ein Kampf gegen ihn, bestand daraus fremd geleitet aufzugeben und sich in der nächsten Besenkammer zu verstecken, bis alles vorbei war. »Wir müssen das nur ausreichend planen.«

»Ich hab schon einen Plan«, sagte Logan und machte eine Handgeste, mit der er Charles aufforderte ihm zu folgen. Die beiden Männer betraten einen der vielen Räume, die es hier unten gab, während die Frauen wieder hoch in die eigentliche Wohnung gingen.
 

Logan aktivierte mit wenigen Handklicks einen Computer, der nur aus Bildschirmen zu bestehen schien. Bläulich schimmernde Schirme, in deren Ecke ein silbernes Wasserzeichen mit der Aufschrift 'Stark Industries' glänzte. Mehr als anschalten, konnte Logan jedoch nicht. Er war nicht sonderlich gewandt mit Technik, doch Charles, der natürlich bereits wusste, worauf sein Freund hinaus wollte, stellte sich seinerseits vor den Computer und suchte Bilder vom Gefängnis heraus.
 

In den gespeicherten Archiven der Polizei, zu welchen sie sich durch ein wenig Hilfe vor Jahren unbemerkten Zugriff verschaffen hatten, entdeckten sie einen Umriss des Hochsicherheitsgefängnissen. Sie studierten die Karte umgehend, wo und wie sie am besten eindringen konnten und, wo sich Wade befand. Logans Plan schien einfach, doch hatte er einige Lücken, die sie in den nächsten Stunden ausbügelten.
 

Unterdessen verließ Raven zum ersten Mal seit zwei Jahren das Haus. Ungefragt nahm sie sich Logans Motorrad, verwandelte sich in eine Brünette mit rotem Schmollmund und engen Lederklamotten, und fuhr in Richtung Stadt los. Ein selten erlebtes Glücksgefühl strömte dabei durch ihren Körper. Zuerst war sie noch unsicher gewesen, nach so langer Zeit wieder Motorrad zu fahren, doch kaum hörte sie den Wind durch den Helm in ihren Ohren rauschen und sah durch ihre Augen, auch in der Dunkelheit, die Weite der Welt, ohne eingrenzende, fensterlose Wände, fühlte sie sich besser denn je.
 

Schneller als erlaubt fuhr sie unbedenklich die verlassene Landstraße entlang. Wie konnte sie Peter nur verbieten raus in die wunderbare Natur zu gehen? Es schickte sich nicht, einen Jugendlichen in einem Bunker festzuhalten. Sobald sie Clint und Wade befreit hatten, würde sie ihm erlauben ein wenig draußen zu spazieren. Die Hunter würden ihn schon nicht bekommen.
 

Nach fast einer Stunde gelangte Raven schließlich in die Stadt. Obwohl es auf Mitternacht zuging, waren viele Autos und Fußgänger unterwegs, hauptsächlich junge Leute in knappen Klamotten gekleidet und am ganzen Leib frierend. Doch Hauptsache, sie sahen gut für die Nacht und sämtliche Clubs aus, die sie abklapperten.
 

Raven konnte sich erinnern, niemals in einem Club gewesen zu sein. Sie wurde schon als Kind von Shield aufgenommen und zu einer Agentin trainiert, ebenso wie Natasha. Wären sie nur einmal abgehauen, um sich zu betrinken und mit irgendwelchen Kerlen etwas anzufangen, hätten sie den größten Ärger erlebt.
 

Ein wenig in Erinnerungen schwelgend fuhr Raven quer durch die Stadt, bis sie vor dem Polizeirevier hielt. Es war ein schäbiges Haus. Seit zwei Jahren unterstützte der Staat die städtische Polizei nicht mehr. All ihr Geld ging in die Verteidigung und Vernichtung von Mutanten und die Polizei, die hauptsächlich für normale Menschen zuständig war, wurde völlig vernachlässigt.
 

So bestand ihr Revier aus einem grauen Haus, an dessen Betonwände jemand mit roter Graffiti das Anarchie-zeichen gesprüht hatte. Eines der Fenster war eingeschlagen und mit einer schwarzen Folie von innen verdeckt und die Tür wies zahlreiche Kratzer und Versuche, sie aufzubrechen auf. Verständnislos schüttelte Raven den Kopf, dann ließ sie mehrfach den Motor laut aufheulen.
 

Bereits vor dem Anti-Mutanten-Gesetz hatten sie sich auf unterschiedliche Zeichen geeinigt, die sie nutzen sollten, falls es Probleme gab. Sodass niemand, der nichts von den Zeichen wusste, etwas ahnte oder sich einer von ihnen in Gefahr begeben musste. Im Polizeirevier hätte sich Raven nämlich ausweisen müssen und, da sie ihren Ausweis, der klar und deutlich besagte, dass sie eine Mutantin war, natürlich nicht mitgenommen hatte, wäre dies sicher heikel geendet.
 

Doch zu ihrem Glück war Bucky da und kam auch gleich in hitziger Panik aus dem Revier gestürzt.
 

»Verdammt noch mal!«, zischte er.

»Ich bin's«, sagte Raven. »Mystique.«

»Was machst du denn hier?! Ich hab Logan gesagt, ihr sollt lieber mal auf Abstand gehen. Ein paar der Jungs werden schon skeptisch«, sagte Bucky sichtlich und hörbar sauer und deutete mit einem Kopfnicken auf das Revier hinter sich.

»Ich muss wissen, wo sie menschliche Gefangene hinbringen, die aufgrund von Kontakten zu Mutanten gefangen genommen wurden«, legte Raven ihr Anliegen dar. »Immer noch in das alte Trayer-Gefängnis am Stadtrand?«

»Nein, das wurde vor einem Jahr lahm gelegt«, antwortete Bucky und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen. »Ich frag einfach nicht, was ihr vor habt... Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, aber Hochsicherheitsgefangene bringen sie ins Panterville.«

»Was macht dich so sicher, dass wir einen Hochsicherheitsgefangenen suchen?«

»Jeder, der mit euch irgendetwas zu tun hat, ist ein Hochsicherheitsgefangener und, wenn es ein fünf-jähriges Kind wäre«, seufzte Bucky.

»Überprüfe es trotzdem mal. Sein Name ist Clint Barton, wurde vor ein paar Stunden gefangen genommen, in einem Dorf circa zwei Stunden von der Stadt entfernt. Ich warte am Silverstone auf dich.«
 

Und schon war Raven davon gerauscht und Bucky blieb mit schlecht gelaunter Miene zurück. Er wandte sich um, schritt zurück ins Revier und musste feststellen, dass die wenigen anwesenden Kollegen direkt hinter der Tür gestanden und gelauscht hatten. Finsteren Blickes zog Bucky eine Augenbraue hoch und die Vier verstreuten sich murmelnd hinter ihre alten Schreibtische.
 

»Haben eh nicht wirklich was verstanden«, hörte er den einen nuscheln.

»Solange wir keinen Ärger bekommen«, zischelte der andere.
 

Vielleicht war es Glück im Unglück, dass jeder von ihnen eine ebenso schwarze Weste hatte, wie die meisten dieser Stadt. Bucky war einer der wenigen Polizisten, die sich nicht mit Falschgeldern Drogen kauften oder mit der Mafia dealten, doch er wusste von jedem seiner Leute, dass sie es machten – abgesehen von Maria Hill, die sich momentan im Einsatz befand.
 

Ihre Angst davor im Gefängnis zu landen, war zu groß, als dass sie anfangen würden über Buckys Bekanntschaften zu spekulieren. So konnte er sich ungestört an seinen Computer setzen und in den Daten nach Clint Barton suchen, danach machte er sich bewaffnet, doch ohne Uniform, auf den Weg zum Silverstone, dem größten Brunnen im Stadtpark.
 

Charles hatte die Stirn in Falten gelegt, kaute auf seiner Unterlippe herum und betrachtete zweifelnd den Gefängnisplan.
 

»Und du bist dir ganz sicher, dass du nur die Handlungen eines Menschen kontrollieren kannst?«, fragte Logan zum wiederholtesten Male, während mit einer schwarzen Schussweste in der Hand zurück in den Arbeitsraum kam. Als Antwort nickte Charles kaum merklich und murmelte: »Höchstens zwei.« Dann hörte er auf seine Unterlippe zu zerbeißen und fügte hinzu: »Wenn Cerebro funktionieren würde, wäre es natürlich kein Problem alle im Gefängnis zu kontrollieren.«

»Wir haben aber kein Cerebro«, stellte Logan fest und warf Charles die Schussweste zu. »Und hör auf dir so viele Gedanken zu machen. Mein Plan wird funktionieren. Wir müssen nur den alten Jet zum Laufen bringen.«

Black Box

»Ach und Bucky.« Raven, die sich bereits wieder auf das Motorrad gesetzt hatte und sich den Helm überzog, blickte hinüber zum Polizisten, der noch einmal missmutig stehen blieb. »Wie wäre es, wenn du einfach mal dein Handy an unser Netz anschließt? Dann könnten wir dir SMS schreiben und dich anrufen, ohne Gefahr zu laufen, entdeckt zu werden.«

»Vergiss es!«, entfuhr es Bucky sogleich. »Dann hab ich doch niemals Ruhe von euch! Und jetzt tut mir den Gefallen und lasst euch für die nächsten Monate nicht mehr bei mir blicken!«
 

Obwohl Raven wusste, dass Bucky diese Aussage todernst meinte, konnte sie nicht umhin stumm zu lächeln. Aus irgendeinem Grund empfand sie die Tatsache, wie er verzweifelt versuchte den Kontakt abzubrechen und es einfach nicht schaffte, gerade ziemlich amüsant.
 

»Danke für deine Hilfe!«, rief sie noch, dann fuhr sie auch schon los.
 

Clint befand sich tatsächlich in Panterville und sie würde mit Natasha sogleich aufbrechen. Je schneller sie handelten, desto höher war die Möglichkeit, dass sie ihn vor seiner Ermordung retten konnten.
 

KLATSCH.

Ein weiteres Mal zog ein brennender Schmerz durch Clints Wange, doch er hielt weiterhin die Lippen fest verschlossen. Rebellisch blickte er zu dem Hunter auf, der maskiert und in schwerer Uniform vor ihm stand. Links und rechts von ihm stand jeweils ein weiterer Hunter und über einen Lautsprecher erklang die Stimme eines fremden Mannes. Zweifellos saß dieser hinter der präparierten Glasscheibe, die sich hinter den Huntern befand. Ansonsten bestanden die Wände des kleinen Raumes aus grauem Beton, auf der einen Seite war eine eiserne Tür eingelassen.
 

»Wir treiben hier keine Späße. Das ist die letzte Möglichkeit für dich zu reden, dann werden wir zu härteren Mitteln greifen«, schallte die Stimme des Mannes durch den Raum. Clint blickte bloß stumm und ohne den Anflug jeglicher Angst zu dem Hunter hoch. Er war ein Meister darin, seine wahren Gefühle zu verbergen und auch, wenn er enttäuscht von Natasha war, nie etwas von ihrer Mutation erzählt zu haben, dachte er nicht im Traum daran sie zu verraten. Mal ganz abgesehen davon, dass er nicht einmal wusste, wo sie sich momentan befand.
 

»Loyal ist er, das muss man ihm lassen«, erklang eine weitere Stimme hinter der Glasscheibe. Anscheinend hatten sie vergessen den Verstärker auszuschalten.

»Es hilft nichts... oh, verdammt...« Eine kurze Pause trat ein, dann vernahm Clint erneut die Stimme des Mannes: »Wir machen mit Wasser weiter.«
 

Zwei der Hunter verließen gleichzeitig den Raum und blieben für ein paar Minuten weg. In dieser Zeit führte sich Clint seine Situation und Ausgangsmöglichkeiten vor Augen. Hier saß er nun, an einen unbequemen, eisernen Stuhl gefesselt. Die Seile schnitten schmerzhaft in seine Hand- und Fußgelenke hinein. Sein graues Shirt klebte vor Schweiß und Blut am Körper. Im Haus hatten ihm die Hunter ordentlich zugesetzt, bevor sie ihn mitgenommen hatten, er konnte zahlreiche Aufrisse an Oberkörper und Rücken vorweisen. Hinzu kam noch das blaue Auge und die blutige Lippe und seine weiteren Aussichten waren nicht weniger mies. Ob sie ihn umbringen würden, wenn er gar nichts sagte?
 

Mit schweren Schritten kamen die beiden Hunter zurück. Sie trugen einen großen Behälter herein, der schwer zu sein schien. Ein dumpfer Schlag ließ verlauten, dass sie ihn auf dem Boden abgestellt hatten. Sie schlossen die Tür wieder und begannen Clint vom Stuhl zu entfesseln. Grob zogen sie ihn hoch, fesselten seine Hände wieder auf seinem Rücken und stießen ihn zu dem Behälter vor, den Clint als einen Art großen Eimer ausmachte, in dem sich literweise schmutziges Wasser befand.
 

Ein Tritt in die Kniekehlen und Clint stürzte mit einem schmerzhaften Keuchen gleich vor dem Eimer in die Knie. Er konnte sich bereits vorstellen, was sie vorhatten und, als einer von ihnen von hinten seinen Kopf packte, war er sich ganz sicher und atmete noch rechtzeitig tief ein, ehe sie ihn mit dem Gesicht ins Wasser tauchten.
 

Die Hand drückte seine Kopf unentwegt nach unten, ein Knie war in seinen Rücken gedrückt, damit er sich nicht wehrte, doch durch seinen geneigten Kopf ergab dies eine äußerst schmerzhafte Haltung. Als er bereits Luft aus seiner Lunge stieß und Blasen um ihn herum aufstiegen, zogen sie ihn wieder heraus. Schnell und schwer schnappte er nach Luft und bereitete sich darauf vor, gleich noch einmal untergetaucht zu werden.
 

Doch im Bruchteil einer Sekunde schlug einer der Hunter ihm so kräftig in die Magengrube, dass ihm sämtliche Luft aus den Lungen entwich und, ehe er sich auch nur ansatzweise erholen konnte, drückten sie ihn erneut unter Wasser. Und diesmal bekam Clint es mit der Panik zu tun.
 

Sofort drang Wasser in seine Lunge ein. Ein schmerzhafter Druck breitete sich in seinem Brustkorb aus, aus seinem Mund erklangen erstickte Schreie und er versuchte sich verzweifelt gegen die Hunter zu wehren, doch es war ein Akt der Unmöglichkeit. Nach gefühlten Ewigkeiten, als Clint schon glaubte ertrinken zu müssen und ihm langsam schwarz vor Augen wurde, zogen sie ihn schließlich heraus.
 

Wasser spuckend und hustend fiel Clint rücklings zu Boden. Schwer atmend und der Ohnmacht nahe, hörte er die Stimme des Mannes gedämpft in seine Ohren dringen. Es dauerte, bis er die Worte wirklich verstand.
 

»Wenn du nicht bald redest, wird das Ganze hier noch übler werden. Das hier ist noch gar nichts.«

»Fick dich!«, entfuhr es Clint krächzend. »Zeigt doch mal eure Gesichter, ihr Feiglinge!«

»Euch ehemalige Soldaten bekommt man nicht so leicht klein, was«, murmelte die Stimme und langsam klang sie wieder normal. Immer noch schwer nach Luft schnappend, drehte Clint die, durch das Wasser schmerzenden, Augen nach oben zu den Huntern, die im Dreieck um ihn herum standen. Ihre maskierten Gesichter waren ihm zugewandt, doch hinter der abgedunkelten Fliegerbrille waren keine Augen, kein Ausdruck zu erkennen. Sie sahen bedrohlich aus, doch dies würde Clint ihnen niemals deutlich machen.
 

»Ein Aufenthalt in der Black Box wird dich sicherlich gesprächiger machen«, sagte die Stimme und schon wurde Clint von den Hunter hochgezogen und aus dem kleinen Raum geschweift. Verzweifelt versuchte sich Clint zu wehren. Bei den Wörter 'Black Box' hatten sich seine Augen vor Schreck geweitet. Er wusste, dass dies die schlimmste Art weißer Folter war, die es nur geben konnte, doch für ihn gab es kein Entkommen mehr.
 

Gewaltsam schleiften und stießen die drei Hunter Clint durch den langen, kahlen Gang, bis sie schließlich durch eine weitere eiserne Tür in einen großen Raum anlangten. Der Raum war komplett leer, bis auf eine einzige schwarze Box, gerade groß genug, dass ein erwachsener Mann darin geduckt sitzen konnte, die mittig im Zimmer stand.
 

Mühevoll schafften es die Hunter Clint in die Box zu schieben. Er wehrte sich mit allem, was er hatte, trat mit seinen Füßen gegen die geschonten Schienbeine der drei Maskierten, zerrte sich durch heftige Bewegungen aus ihren Griffen und warf sich schließlich auf den Boden, in der Hoffnung, sie wären nicht stark genug, um ihn zu heben, doch es half alles nichts.
 

Nach wenigen Minuten saß Clint schließlich zusammengezogen in der Box, die Tür ging zu und jäh umfasste in eine Dunkelheit, wie er sie noch nie erlebt hatte. Es war so düster, dass sich seine Augen selbst nach Minuten nicht daran gewöhnen konnten und in der dröhnende Stille, die auf seine Ohren drückten, konnte er nur seine schnappende Atmung hören. Clint versuchte die Luft anzuhalten, um einer Panikattacke zu entkommen, doch sein Herz schlug ihm mit jeder Sekunde schneller gegen die Brust und plötzlich hatte er das Gefühl, als würden die Wände auf ihn zu kommen.
 

Reflexartig machte sich Clint noch kleiner. Schweiß und Wasser perlten von seiner Stirn ab, er wollte die Fesseln unter seinen Beinen entlang schieben, sodass die Hände nicht mehr hinter seinem Rücken, sondern vor ihm gefesselt waren, doch er traute sich nicht sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.
 

'Du bildest dir das nur ein', versuchte er sich gedanklich beruhigende Worte zuzusprechen. 'Du beginnst du halluzinieren, die Wände bewegen sich nicht.'

Doch Clint krümmte sich so sehr zusammen, dass er Krämpfe bekam. Sein Atem ging immer schneller, bis er das Gefühl hatte keine Luft mehr zu bekommen. Sie blieb ihm im Hals stecken und sein Herz pochte nun so kräftig, das er es in seinem Kopf hören konnte. Die Wände kamen immer näher, der Raum wurde immer enger, immer dunkler und er würde jede Sekunde ersticken. Dessen war er sich beinahe bewusst, wenn nicht irgendeine leise, fast verstorbene Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte, dass er halluzinierte und dies nun einmal die Wirkung der Black Box war.
 

Ewigkeiten zogen sich quälend dahin. Sämtliches Zeitgefühl war ihm verloren gegangen. Zusammen gekrümmt lehnte Clint seitlich in einer der Ecken, die Stirn gegen den Kunststoff gepresst und jedes Mal, wenn er erneut einer Panikattacke nahe war oder zu Halluzinieren begann, schlug er kräftig mit dem Kopf gegen die Wand, sodass ihn der Schmerz einigermaßen ablenkte. Doch ganz schaffte er es nicht. Als er schließlich anfing die Stimme von Natasha in seinem Kopf zu hören, dachte er den Verstand vollkommen zu verlieren.
 

»Clint... Clint... Hey, Barton!«

Mit einem Schlag öffnete Clint die Lider und blinzelte Natasha entgegen, die in Top und Hotpants gekleidet neben ihm auf dem Bett lag. Ein beruhigendes Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie ihm mit den Fingerspitzen über die Brust fuhr.

»Du hast im Schlaf geschrien«, teilte sie mit. »Ich wusste ja gar nicht, dass du so ein Weichei bist.«

Clint musste lachen, auch wenn ihm der Schock seines Alptraumes noch in den Knochen steckte.

»Kriegstrauma oder wie man das nennt«, murmelte er. »Wird wieder. Ich bin erst seit einem Jahr zurück.«

»Ich weiß«, sagte Natasha. »Und ein Glück für dich, dass du mich direkt kennen gelernt hast.«

»Stimmt... was würde ich nur ohne dich machen?«
 

Gleißendes Licht strömte plötzlich durch die Fenster herein und Clint schloss geblendet die Augen. Als er sie wieder öffnete, fand er sich in einem engen Raum wieder und vor sich sah er unklar das maskierte Gesicht eines Mannes. Im nächsten Moment zerrten ihn zwei kräftige Arme aus der Box heraus. Clint war am ganzen Leib am Zittern und es war ihm unmöglich sich auf den Beinen zu halten. Sie waren weich wie Gummi und seine Knie knickten ihm sofort weg.
 

Clint lag ausgestreckt auf dem harten Boden, die Hände noch immer hinter dem Rücken gefesselt. Er spürte seine Finger schon nicht mehr, so sehr schnitten die Seile in seine Gelenke ein. Verschwommen nahm er die Hunter wahr, die um ihn herum standen und ein wenig Platz für einen weiteren, unmaskierten Mann machten. Alles, was Clint erkannte waren kurze schwarze Haare, durch die sich bereits graue Strähnen zogen, ein Drei-Tage-Bart zierte sein alt wirkendes Gesicht. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt stand er mit einem aufgesetzten Lächeln vor ihm.
 

»Jetzt hast du mich also auch gesehen«, sagte er, doch seine Stimme klang seltsam weit entfernt. »Wir bringen dich erst mal zurück in deine Zelle. Der Erfahrung nach, sind Opfer der Black Box direkt nach ihrem Aufenthalt in dieser, nicht besonders gesprächig. Sie bringen einfach keine Worte über ihre Lippen, also, fragen wir dich einfach in einer Stunde noch mal nach deiner kriminellen Freundin und dann, wirst du uns hoffentlich Antworten liefern können. Das oder...« Sein Blick glitt zur offenstehenden Black Box und Clint wusste, dass sie ihn wieder darein stecken würden.
 

Eine Stunde später hatte sich Clint kaum von der weißen Folter erholt. Seine Finger zitterten noch immer und er merkte, wie er sich ständig in seiner Zelle zusammen krümmte, als ob er keinen Platz hätte. Es fühlt sich an, als wären gerade mal Sekunden verstrichen, da wurde die Tür auch schon wieder geöffnet und zwei Hunter kamen herein.
 

Seine, für den Zellenaufenthalt entfesselten, Hände wurden mit Handschellen auf seinen Rücken gebunden. Als der Hunter die wunden Stellen an seinen Gelenken berührte, spürte Clint einen brennenden Schmerz an eben jenen Stellen, doch er verzog keine Miene. Erneut kroch Panik in ihm hoch, sein Herz begann wie wild zu pulsieren, er wollte auf keinen Fall wieder in diese Black Box. Er würde ihnen einfach die Wahrheit sagen. Dass er keine Ahnung hatte, wo sich Natasha befand und, dass er nicht einmal wusste, dass sie überhaupt eine Mutantin war. Doch, dass würden sie ihm vermutlich nicht glauben. Abgesehen davon, wusste er jetzt schon, würde er sich später schlecht fühlen, dass er es nicht geschafft hatte, den Mund zu halten.
 

Die Hunter bugsierten ihn aus der Zelle heraus. Zwei weitere maskierten Männer schlossen sich ihnen nun an. Zwei gingen vor ihm, zwei hinter ihm, die Hände an seinen Armen, damit er sich auch ja nicht wehrte. Doch sie waren kaum ein paar Schritte auf dem langen, verlassenen Gang marschiert, da passierte etwas höchst ungewöhnliches.
 

Clint spürte wie sich die Griffe um seine Arme plötzlich lösten und hörte einen erstickten Schrei direkt an seinem Ohr. Erschrocken wirbelte herum und sah gerade noch, wie einer der beiden Hunter dem anderen mit seiner Schusswaffe einen kräftigen Schlag gegen den Kopf gab. Sofort wurde Clint von den vorderen beiden an die Wand gedrückt und sie gingen auf den angreifenden Hunter los, doch dieser schien ihnen überlegen zu sein.
 

Er zog einem von ihnen mit einer eleganten, und vollkommen männlich untypischen, Bewegung die Beine weg, sodass er zu Boden stürzte. Der Zweite wollte ihn mit seiner Waffe in die Brust schießen, doch der Angreifer packte seine Hände und drückte sie gerade noch nach oben, sodass er mehrfach in die Decke schoss. Dröhnend erklangen die Schüsse und hinterließen ein lautes Piepsen in Clints Ohren. Er stand dort nur mit offenem Mund, ging ab und an wenige Schritte zurück und sah verwirrt zu, wie dieser Hunter seine drei Kollegen mit Kampftechniken, die er noch nie zuvor gesehen hatte, außer Gefecht setzte.
 

Schließlich waren zwei von ihnen bewusstlos und der Dritte war mehrere Meter den Gang runter geflüchtet. Seine Waffe hatte er schon verloren. Innerhalb dieses Gebäudes trug jeder Hunter bloß eine Waffe zur Bedrohung der Gefangenen, niemand hatte jemals damit gerechnet, dass einer von ihnen plötzlich einen Aussetzer oder etwas Ähnliches bekam.
 

Der angreifende Hunter stieß sich vom Boden ab, sprang hoch in die Luft und machte in dieser eine elegante Umdrehung. Und während dieser Umdrehung, löste sich seine schwarze Kleidung auf. Sein Körper wurde schmaler und seine Haut färbte sich von den Fingerspitzen an in ein klares Blau. Als der vermeintliche Hunter seine Umdrehung vollendet hatte, traf er den paralysierten vermeintlichen Kollegen mit einer solchen Wucht gegen die Brust, dass dieser rücklings zu Boden fiel und schwer nach Luft schnappen musste.
 

Clint starrte nun, unfähig dazu sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, auf eine blaue Frau mit roten Haaren und gelblichen Augen, die in knappen schwarzen Klamotten gekleidet war und eine Pistole aus ihrem Gürtel zückte. Mit dieser schoss sie dem Hunter nun direkt auf die Fliegerbrille. Glas splitterte in sämtliche Himmelsrichtungen und der Hunter war sofort tot.
 

»Natasha hat nicht gelogen, du siehst echt gut aus, obwohl du so fertig bist. Sie haben dich sicher gefoltert?« Die Frau blickte ihn nun mit besorgter, wie auch mitleidiger Miene an und Clint konnte gar nichts mehr über seine Lippen bringen. Hatte sie gerade 'Natasha' gesagt?

»Ich sollte mich vielleicht vorstellen«, sagte die Frau. »Ich heiße Raven und bin eine alte Freundin von Natasha. Und ich bin hier, um dir dein Leben zu retten. Wir sollten sofort abhauen, raus ist immer schwieriger als rein und ich will das hier so schnell wie möglich durchziehen.«
 

Und damit verwandelte sie sich wieder in einen Hunter.

Einbruch zum Ausbruch

Sie waren schneller aus Panterville draußen, wie Clint es realisieren konnte. Ohne Fragen zu stellen, war er Raven gefolgt, die ihn 'auf Geheiß von Doktor Camdon' bis an einen Hinterausgang schleuste, wo über den grauen Gang verteilt bewusstlose, oder auch tote, Hunter herum lagen. Und am Ausgang selbst stand Natasha, in engen, schwarzen Klamotten gekleidet, einen Gürtel mit zahlreichen Waffen um ihre Hüfte gebunden und einem unendlich erleichterten Gesichtsausdruck.
 

Sie zückte eine schwere Pistole, packte den ungläubig blinzelnden Clint an der Schultern und wirbelte ihn herum, sodass sie die Kette zerschießen konnte. Clint zuckte bloß ein wenig erschrocken zusammen, woraufhin Natasha grinste: »Barton, du kleiner Feigling.« Doch Clint erwiderte ihr Grinsen nicht, woraufhin es ihr sogleich von den Lippen verblasste. Sie betrachtete ihren Freund, nahm sein verwundetes Gesicht zwischen ihre Finger und fragte dann leise: »Was haben sie dir nur angetan?«
 

»Was hast DU mir angetan?«, entgegnete Clint. »Warum hast du mir nie etwas gesagt? Wir hätten so eine Situation umgehen können, wenn du mir nur erzählt hättest, dass du eine Mutantin bist.«

»Aber ich -«

»Ihr könnt das später besprechen!« Raven hatte sich wieder in ihre normale Form zurück verwandelt. »Wir müssen so schnell wie möglich abhauen, bevor die uns kriegen. Außerdem brauchen die Jungs den Jet!«
 

Clint verstand nur die Hälfte von dieser Aussage, folgte den beiden Frauen jedoch bedingungslos durch den Hintereingang nach draußen. Lärm drang durch die Fenster im oberen Stockwerk, anscheinend merkten die Hunter langsam, was geschehen war. Natasha zückte einen wenige Zentimeter langen Stab und drückte auf den Knopf mittig von diesem. Ein mechanischen Surren ertönte darauf hin und im nächsten Moment schien Natasha in der Luft nach oben zu steigen. Es hörte sich an als würde sie über Metall schreiten und dann verschwand sie nach und nach im Nichts.
 

Mit aufgeklapptem Mund starrte Clint an die Stelle, an der Natasha verschwunden war, dann hörte er ihre Stimme gedämpft rufen »Wo bleibt ihr denn?!«

Raven ging nun ebenfalls die Luft nach oben, packte dabei Clint am Handgelenk und schleifte ihn mit. Etwas widerspenstig folgte er ihr und merkte schnell, dass tatsächlich eine Metallplane in der Luft stand und als sie über diese geschritten waren, fand er sich schlagartig im Innenraum eines großen Jets wieder.
 

»Was zum -«

Laut surrend ging die Plane wieder zu. Raven setzte sich als Copilotin neben Natasha, die beiden trugen Headsets, betätigten mehrere Knöpfe und Schalter und hoben schließlich mit dem Jet nach oben ab. Der vollkommen verwirrte Clint ließ sich bloß schweigend auf einem der zahlreichen Sitze nieder, die an den Wänden zu beiden Seiten befestigt waren, schnallte sich an und sprach den gesamten Flug über gar nichts mehr.
 

Als sich die stählerne Decke zum zweiten Mal in dieser Nacht öffnete, schloss Charles die Augen und sog tief die frische Luft ein, die herein geblasen wurde. Langsam setzte der Jet nach unten ab und erst als er mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden landete, deaktivierte Raven den Modus, der das Fluggerät unsichtbar machte. Die Decke schloss sich wieder, von außen fügte sie sich nun perfekt in die Natur ein, bewachsen mit Gras und kleinen Pflanzen, konnte sie niemand erkennen.
 

Im matten Licht der Lampen stand nun ein dunkelgrauer Jet füllend im größten Raum, den der unterirdische Bunker zu bieten hatte. Er wurde alleine zur Nutzung als 'Flugplatz' erbaut und bestand aus demselben Metall, aus welchem auch der Jet selbst geschaffen wurde. Charles, der wie Raven seit zwei Jahren nicht mehr aus dem Haus gekommen war, genoss für wenige Sekunden noch das Gefühl, welches die frische Luft ihm bereitet hatte. Mehr denn je wollte er endlich wieder raus.
 

Mit einem Surren ging die Plane auf und Natasha und Raven kamen heraus, im Schlepptau mit Clint, der gar nicht gut aussah. Verletzungen übersäten seinen Körper, sein Gesicht war blass, die Klamotten sahen verschmutzt aus und seine Augen waren rot geschwollen, doch Charles war sich sicher, dass der Mann nicht geweint hatte. Für einen Moment erhaschte Charles Gedankenfetzen, welche in Clints Kopf umher schwirrten. Sie waren durcheinander, chaotisch, er verstand die Welt nicht mehr, doch Charles konnte daraus lesen, dass er mit der Black Box gefoltert wurden war.
 

»Er braucht Ruhe«, sagte Charles zu Raven, ehe sie den Mund aufmachen konnte.

»Das weiß ich doch«, nickte sie. Ohne weitere Worte zu verlieren, nahmen Natasha und sie Clint in ihre Mitte und führten ihn durch eine schmale Tür in die Labore hinunter. Dort mussten sie sich einmal durch schlängeln, kamen schließlich an Cerebro vorbei und würden nur wenige Treppenstufen später in der Wohnung sein.
 

»Dann sind wir ja endlich dran«, ertönte Logans Stimme, der am anderen Ende des Raumes gewartet hatte. Er schritt die Plane hoch und Charles, der in einer Schussweste gekleidet war, folgte ihm.
 

Ein drittes Mal ging die Decke auf, nun mussten Charles und Logan den Jet lenken, und dies konnten sie nicht annähernd so gut, wie die beiden Frauen. Vor einigen Jahren war Logan mal dazu gezwungen gewesen, den Jet zu fliegen, obwohl er davon damals keinerlei Ahnung hatte. Schmunzelnd erinnerte sich Charles an diesen Tag.
 

Nach einem recht holprigen Start – Wenigstens hatten sie daran gedacht den Unsichtbarkeitsmodus zu aktivieren – flogen sie in Richtung des Gefängnisses. Charles' Blick huschte auf das Display des Jets, unter welchem in grünen Buchstaben die Uhrzeit schimmerte. Fast vier Uhr morgens.
 

»Gibt doch keine schönere Zeit für einen Gefängnisausbruch, was?«, fragte Logan und, zum ersten Mal seit über zwei Jahren, sah Charles in matt grinsen.
 

In der Dunkelheit zogen bunte Lichter unter ihnen vorbei. Es dauerte nur wenige Minuten mit dem Jet und die hohen Mauern des Hochsicherheitsgefängnisses ragten in der Nacht hervor. Scheinwerferlicht rotierte unablässig, in immer derselben Schneise durch den Himmel und über den Boden, Stacheldrahtzaun kräuselte sich auf den Mauern und jedes Fenster, war mehrfach mit schweren Eisenstangen abgesichert. Charles bezweifelte, dass die Gefangenen überhaupt nach draußen schauen konnte.
 

Die dunklen Gestalten einiger Wärter huschten über die freiliegenden Wege, die die Backsteintürme der Gefängnisse miteinander verbanden. Es sah aus wie ein sehr altes Gefängnis, vermutlich existierte es bereits Jahrhunderte lang. Behutsam suchten sich die beiden Männer einen Weg, wie sie am Scheinwerferlicht unbemerkt vorbei kamen. Zwar würde sie niemand erkennen können, doch es war zu gefährlich, wenn das Licht plötzlich nicht mehr bis in den Himmel reichte, sondern auf halben Weg einfach stehen blieb.
 

So flogen sie weit nach oben, bis die Lampen nicht mehr als kleine Punkte waren und die ersten Regenwolken den Jet in graue Masse tauchten. Dann flogen sie einige Meter vor, bis sie genau über den Türmen der Gefängnisse standen und ließen sich langsam herabsinken. Die Lichter waren nach draußen gerichtet, niemand erwartete einen diagonalen Angriff, weshalb die beiden weit nach unten fliegen konnten.
 

Schließlich blieben sie nur wenige Meter über einem der großen Türme stehen, sodass sie sich beim Öffnen der Plane bloß ein kurzes Stück nach unten fallen lassen mussten, um auf dem Stein zu stehen. Charles legte das Headset ab und blickte kurz aus dem Fenster heraus. Er sah, dass einer der Wärter stehen geblieben war und mit zusammengezogenen Augenbrauen genau die Stelle betrachte, an der sie soeben schwebten.
 

»Ich glaube, ein paar von denen haben uns gehört«, murmelte Charles.

»Und? Sehen können sie uns doch nicht!«, knurrte Logan. »Mach schon deine Telepathenshow, damit wir endlich anfangen können.« Er schnallte sich die Schwerter von Wade auf den Rücken, stellte sich an den Knopf, mit welchem die Plane aufging und wartete. Auch Charles wartete. Solange bis der Wärter den Kopf schüttelte und weiter patrouillierte, dann legte er zwei Finger an seine Schläfe, schloss die Augen und suchte im Gefängnis nach einem passenden Opfer.
 

In seinem Kopf erschien die Umgebung nun wie eine graue Masse, durchbrochen von weißen Schatten, die vor sich hin flüsterten.

»Es war nicht meine Schuld-« - »Sie hatte es verdient zu sterben!« - »Wie hatte ich das nur tun können?« - »Sie war ein Kind, nur acht Jahre...« Die Gedanken der Gefangenen... »Ob die mich kurz raus lassen, wenn ich ihnen sage ich hab Durchfall?« Wades Gedanken... »Wann kommt endlich die Frühschicht?!« Gedankenfetzen eines Wärters. Sofort drang Charles in diesen Schatten ein, für einen Moment erschien vor seinem inneren Auge ein Wirrwarr aus bunten Farben und in seinem Ohr klangen Stimmen, Schreie, Rufe, dann sah er sich immer Inneren des Gefängnisses wieder.
 

Im Hinterkopf hörte er das panische Schreien des Wärters, dessen Gedanken und Handlungen er nun kontrollierte. Der Wärter wehrte sich, doch gegen Charles' Fähigkeiten hatte er keine Chance. Er befiel ihm in den Raum zu gehen, von welchem aus sie sämtliche Techniken des Gefängnisses steuerten. Sofort ging der Wärter los, vorbei an Zellen in welchen die Gefangenen entweder schliefen oder dösend in ihren Betten saßen, runter in den Gang, in welchem die Wärter eigene Räume hatten, zum Essen, Ausruhen und Entspannen, hin zu einer unscheinbaren Tür, hinter welcher sich die Macht über das Gefängnis befand.
 

Niemand war hier. Nur ein Haufen Schalter und Verkabelungen für Strom und Wasser.

»Öffne alle Gefängniszellen.«, befahl Charles.

»Nein!«, kam die gedankliche Antwort zurück, doch der Körper des Mannes machte etwas anderes. Einen Schritt vor und schon war seine Hand an einem kleinen, gläsernen Kasten, neben dem ein Tastenfeld angebracht war. Geschwind gab er das Passwort ein, woraufhin der Glaskasten aufsprang und er den sich dahinter befindenden Hebel betätigte.
 

Ein ohrenbetäubender Alarm ging los und Charles konnte Logan in der Ferne sagen hören: »Aha, Showtime, wie Wade sagen würde.«

Charles ließ den verzweifelten Wärter wieder den Raum verlassen und setzte ihm in den Kopf jeden außer Gefecht zu setzen, der dem Raum zu nahe kam, dann kehrte er in seinen eigenen Kopf zurück und öffnete die Augen.
 

Logan hatte bereits die Plane herunter gefahren und nickte Charles zu, dass es nun soweit war. Zusammen sprangen sie auf den Turm herunter und suchten sich ihren Weg ins Gefängnis hinein.
 

Wade war schon am Eindösen gewesen, als der größte Lärm los ging, den er seit seinem letzten Kriegseinsatz erlebt hatte. Er war so schnell auf den Beinen, dass er für einen Moment vergaß, wo er überhaupt war und blickte sich zerstreut um. Die Tür zu seiner Zelle stand offen, ebenso wie die Tür zu den Hochsicherheitszellen allgemein. In seinen Ohren klang ein nerven zerfetzender Alarm. Er musste ein paar Sekunden nachdenken, ehe er sich aus dieser Situation einen Reim machen konnte.
 

Entweder gab es wirklich einen Notfall und das Gefängnis musste so schnell wie möglich evakuiert werden oder, jemand hatte ohne Erlaubnis sämtliche Zellen geöffnete. Irgendwie hoffte Wade beides, Hauptsache, er konnte abhauen.
 

Eilends lief er aus dem Hochsicherheitsbereich raus und krachte, kaum da er einen Schritt nach draußen gemacht hatte, fast mit einem Wärter zusammen, der ihm nun panisch seine geladene Waffe gegen die Brust drückte.

»Zurück in deine Zelle!«, schrie er laut. Wade hob nur eine Augenbraue hoch.

»Denkst du wirklich das ist eine gute Idee?«, fragte er. »Ich hab seit Wochen keinen Spaß mehr gehabt, weißt du...« Ehe der Wärter reagieren konnte, hatte Wade ihn mit ein paar gezielten Schlägen, die Waffe abgenommen und ihm mit dieser in den schutzlosen Hals geschossen. Blut spritzte daraus hervor, verteilte sich auf dem hellen Boden, wie auch Wades Fingern, die er nun mit einem leichten Grinsen im Gesicht betrachtete.
 

»Ah, das tut gut.« Sein Blick huschte auf den Wärter, der mit starren, leblosen Augen da lag, die Hände und Beine seltsam verkrampft. Dann schaute er auf und erblickte ein selten gesehenes Chaos – Und das musste schon etwas heißen. Wärter und Gefangene kämpften gegeneinander in jedem Gang, Wärter mit Waffen und Gefangene mit roher Gewalt. Ein lauter Schrei erklang und Wade sah, wie jemand von einem der oberen Stockwerke durch die freie Fläche in der Mitte des Turmes fiel. An seinen Seiten befanden sich die Zellen, dann kam ein breiter Gang, der auf der anderen Seite mit einem Geländer gesichert war. Und hinter diesem Geländer kam der zwanzig Meter tiefe Fall.
 

Die Gefangenen wussten sich am besten zu wehren, indem sie die Wärter in die Tiefe stießen, doch es waren erbitterte Kämpfe, die hier geführt wurden. Wade konnte nicht umhin breit zu grinsen, als er all das Chaos sah und rieb sich voller Vorfreude die Hände.
 

»Das wird ein Fest...« Und schon stürzte er sich ins Getümmel, wobei er gegen Wärter, die versuchten ihn aufzuhalten und zurück in seine Zelle zu bringen und Gefangene, die ihn einfach alle am liebsten zusammenschlagen und umbringen würden, gleichermaßen kämpfte. Und nicht einer von ihnen hatte die geringste Chance, als er mit gezielten Schlägen ihre Kniescheiben auskugelte; sie vor Schmerz schreiend zu Boden gingen, weil er ihnen die Handgelenke brach oder die Schusswaffen eines Wärter nahm und damit dem nächstbesten Gefangenen den Kopf spaltete. Und es machte Wade unglaublich viel Spaß.
 

Indessen stürzte Charles einen langen Gang entlang, in welchem sich die Psychologieräume und Gummigefängnisse befanden. Seine Füße hallten auf dem weißen Boden wieder, in der Ferne hörte er die tosenden Geräusche, hinter sich, wie auch vor sich. Logan war widerwillig am Jet zurück geblieben, um zu verhindern, dass jemand das Dach des Turmes betrat. Seiner Meinung nach war dies vollkommen überflüssig, doch glücklicherweise hatte Charles ihn doch dazu überreden können. Natürlich war es nicht zwangsläufig notwendig – Charles wollte nur verhindern, dass noch mehr Leute in diesem Gefängnis starben oder schwer verletzt wurden, als sie es ohnehin schon wegen Wade taten.
 

Er sah nun die doppelseitige Tür zum Turm, in welchem sich Wade befand, nur noch wenige Meter, als beide Flügel aufschlugen und Charles abrupt stehen blieb. Fünf schwerbewaffnete Wärter, eingehüllt in sämtlicher Schutzkleidung, die sie aufzubieten hatten, standen nun nicht minder erschrocken vor ihm. Fast gleichzeitig jedoch luden sie ihre Waffen geschickt und zielten synchron auf Charles.
 

»Hände nach oben!«, brüllte einer von ihnen. Auf Geheiß hob Charles die Hände hoch, misste er jedoch nicht zwei seiner Finger gegen seine Schläfe zu drücken und zu sagen: »Waffen runter.«

Sofort ließen sie ihre Waffen fallen.

»Schließt euch in einer Gummizelle ein.«

Ohne Widerwillen befolgten sie seinen Befehl und Charles setzte seinen Weg fort.
 

Geschickt packte Wade das Handgelenk des Gefangenen, der ihm gerade eine verpassen wollte, griff ihm mit der anderen Hand an die Schultern und wirbelte ihn einmal herum. Mit dem Fuß stieß er ihm in die Kniekehle, sodass sein Bein weg knickte, den Arm hielt er fest, riss ihn nach unten, stemmte das Knie nach oben und ein Knacken ertönte wie ein Schuss. Der Gefangene schrie wie am Spieß, während sein Unterarmknochen am Ellenbogen heraussprang und sich deutlich von innen ins Fleisch bohrte. Wade konnte es genau erkennen.
 

Er ließ den Mann los, der sich nun stöhnend zusammen rollte. Weiterhin blutdurstig blickte Wade auf, in das Gesicht einiger verängstigt wirkender Gefangener, die nun schnell abhauten.
 

»Ihr kleinen Feiglinge!«, rief Wade ihnen triumphierend hinterher. Er wollte ihnen nach laufen, stieß jedoch fast mit jemandem zusammen. Aus Reflex packte er den Hals des Kleinere und drückte die Kehle zu, erst dann schaute er sich die Person genauer an und erkannte geschockt zwei blaue, große Augen, die nur zu einem Mann gehören konnten. Augenblicklich ließ Wade den röchelnden Charles, der schon seine Finger zu seiner Schläfen führen wollte.
 

Hustend griff sich Charles an den Hals und Wade fasste sich entsetzt an den Kopf.

»Scheiße, Mann, scheiße«, fluchte er. »Das tut mir so leid, ich hab nicht nachgedacht, ich hab dich nicht angeschaut. Ich hab dich nicht hier erwartet. Es tut mir leid!«

»Nicht erwartet?«, krächzte Charles. »Wie denkst du, sind die ganzen Zellen aufgegangen?«

»Du bist hier, um mich zu retten?«, fragte Wade erstaunt.

»Natürlich!«, antwortete Charles. »Und Wolverine auch.«

Nun verfinsterte sich der Blick des Flüchtlings.

»Juhu, Wolverine ist da«, sagte er sarkastisch und hielt die Hände auf halber Höhe hoch, als würde er vortäuschen sich zu freuen.
 

Pistolenschüsse, die dröhnend in ihren Ohren erklangen, ließ Charles aufschrecken und Wade schützend einen Arm um seine Brust legen, obwohl dies aufgrund der Schussweste, vollkommen überflüssig war. In der Nähe begannen die Wärter nun ungehalten auf die Gefangenen zu schießen, die dazu bereit waren jeden umzubringen, der ihnen die Freiheit verwehrte. Sie schienen sich sicher sein fliehen zu können.
 

»Wir sollten verschwinden«, ermahnte Charles und ohne weitere Einwände folgte Wade ihm, den weißen Gang zurück, in welchem die schwer bewaffneten Sicherheitskräfte in einer Gummizellen saßen und Däumchen drehten, und in den anderen Turm hinein, in welchem sich weitere schwer bewaffnete Wärter befanden. Doch diese schossen nicht, sondern prügelten die Gefangenen zurück in ihre Zellen. Hier wurde das Chaos nach und nach geordnet und, als sie Wade und Charles sahen, griffen sie sofort an.
 

Ehe Wade mit einem angriffslustigen Grinsen in Position gehen konnte, hatte Charles auch schon zwei Finger an seiner Schläfe und die Wärter hielten augenblicklich an.

»Ihr interessiert euch nicht für uns«, redete Charles ihnen in den Kopf. »Kümmert euch um die anderen Gefangenen und sagt allen, die es hören wollen, dass wir nichts rechtswidriges getan haben.«
 

Die Wärter wandten sich um und taten wie ihnen befohlen wurde. Wade schien darüber enttäuscht zu sein.
 

»Ich kam gerade erst richtig in Fahrt«, bedauerte er. »Lass mich doch wenigstens noch ein paar töten?«

»Nein«, sagte Charles scharf und führte den Weg fort. Durch das Treppenhaus, welches man durch eine Tür zwischen den Zellen betreten konnte, sämtliche Treppen rauf, bis sie durch eine Art Falltür – Einer Öffnung in der Decke, die man jedoch mit der normalen Treppe erreichen konnte – auf die Zinnen gelangte. Und dort wartete Logan mit finsterer Miene.
 

»Kamst wohl nicht zum Zug«, grinste Wade. »Schon bitter, du hattest bestimmt Lust gehabt deine Krallen aufzufahren und -«

Logan fuhr die Krallen auf seiner rechten Hand aus. Sie blitzten im Mondlicht, als er mit der linken Wade am Shirt ergriff, ihn an sich heran zog und ihm die Krallen beinahe in den Hals drückte.
 

»Du bist der größte Idiot aller Zeiten und du wirst mit uns mitkommen, ins Hauptquartier, und keinen Ärger mehr anstellen. Nochmal werde ich dich sicherlich nicht hier raus holen«, knurrte er bedrohlich.

»Ich hab dir versprochen ich komm ins Hauptquartier, wenn sie mich fangen«, grinste Wade, der in keinster Weise beeindruckt geschweige denn verängstigt war. »Ich muss sagen, ich bin froh, dass du wütend bist. Wenn du dich über mich lustig machen würdest, wäre das unerträglich. Und warum hab ich dir das jetzt erzählt? Jetzt weißt du es ja!«

Wade seufzte schwer, während Logan wieder von ihm abließ und die Krallen einfuhr.

»Ich mach mich nicht über dich lustig«, sagte er. »Die Hunter haben dich einfach gefangen, du musst genau erzählen, was geschehen ist. Ich kann's eigentlich kaum glauben, dass sie dich fangen konnten.«

»Ich auch nicht«, stimmte Wade zu. »Wie konnten sie mich nur fangen?«

»Die Frage, die wir uns eher stellen sollten«, wandte nun Charles ein. »Ist, wer den Huntern verrät, wo sich die ehemaligen Avengers aufhalten.«

Peters Training beginnt

Zwar hatte Peter nicht lange geschlafen, doch trotzdem fühlte er sich hellwach, als er am frühen Morgen die Augen aufschlug. Sein Blick fiel sofort auf das Ziffernblatt seines Weckers, der ihm anzeigte, dass es gerade mal 6:23 Uhr war. Er wandte sich noch einmal im Bett um, rollte sich mehr in die warme Decke ein und schloss die Augen, doch er konnte keine Sekunde länger schlafen. Eigentlich wunderte es ihn, dass er überhaupt geschlafen hatte.
 

Die Augen zwar geschlossen, doch mit spitzen Ohren, horchte er, ob vielleicht schon jemand wach war und er fragen konnte, was denn nun in der Nacht geschehen war. Im Schlaf hatte er Stimmen an seinem Zimmer vorbeirauschen gehört, doch er war sich nicht sicher, ob er nur geträumt hatte oder sie tatsächlich da gewesen waren.
 

Einige Minuten lang lag Peter wach, dann konnte er sich nicht länger im Bett halten und schlug die Decke weg. Unbedacht durchquerte er das unordentliche Zimmer, öffnete die Tür und betrat den Flur auf welchem bereits dämmriges Licht brannte. Es wirkte als würde das Licht der Morgensonne die unterirdischen Gänge erfüllen, doch natürlich war es künstlich. Was würde Peter nur alles dafür geben, um die Sonne wieder zu sehen...
 

Stumm schlich er sich in den Wohnraum, aus welchem leise die Geräusche des Fernsehers drangen. Vorsichtig lugte Peter um die Ecke und stutzte, als er einen ihm völlig fremden Mann dort sitzen sah. Obwohl... völlig fremd traf nicht ganz zu. Peter hatte ihn bereits auf Charles' Wand gesehen und, wenn ihn gerade nicht alles täuschte, war dies Wade Wilson.
 

Es war nicht schwer den Mann zu erkennen, der langsam aber sicher auf die 30 zu ging. Seine Narben waren unverkennbar, besonders die, die auf der einen Seite seinen Mund nach hinten verlängerte, sodass man immer unfreiwillig ein gutes Stück seines Gebisses sah, welches soeben ein paar Cornflakes zerkaute, ließ Peter das Gesicht verziehen. Milch tropfte aus diesem Loch hervor, welche sich Wade mit dem Handrücken wegwischte, dann blickte er zu dem Jugendlichen auf, nicht minder überrascht.
 

»Wer bist du denn?«, fragte er grob.

»Peter Parker«, antwortete der 17-Jährige schnell als hätte er Angst Wade könnte ihm etwas antun. Im selben Moment, als Peter seinen Tonfall bemerkte, schämte er sich. Sicherlich musste Wade jeden Tag mit solchen Vorurteilen kämpfen und er ließ sich von seinen Narben einschüchtern. Ja, Peter fand sie sogar ekelhaft und das machte ihn wütend. Wütend auf sich selbst.

»Okay...«, machte Wade langsam. »Und was tust du hier?«

»Oh, ich – Logan hat mich vor den Huntern gerettet und seit dem wohne ich hier«, erklärte Peter und konnte den ängstlichen Tonfall nicht ablegen. Wade schien diesen zu bemerken. Ein langes Grinsen bildete sich auf seinen Lippen.
 

»Vor mir brauchst du keine Angst zu haben«, sagte er. »Solange du nicht vorhast mich umzubringen, wobei du das eh nicht könntest, ich bin unsterblich verstehst du? Oh ja, die Narben kommen daher, weil ich nur Schnellheilungskräfte besitze. Ich bin nicht so ein toller Kerl, wie Logan -« Der Sarkasmus war kaum zu überhören. »Dem heilen Wunden sofort und es bleiben keine Narben zurück, perfekte Haut sozusagen. Aber meine Wunden heilen nur so weit, wie sie wirklich heilen würden. Wenn ich für den Rest meines Lebens im Normalfall Narben hätte, behalte ich sie auch. Verstehst du? Aber okay, so viel zu mir. Logan hat dich vor den Huntern gerettet? Hätte mir ja auch mal sagen können, dass hier jetzt so ein süßer Kerl rum läuft, dann wäre ich doch direkt mitgekommen.«
 

»Wade!« Ravens scharfe Stimme ertönte hinter Peter, der vollkommen überrumpelt wirkte. Sie trat an den Tisch zu dem vernarbten Mutanten und funkelte ihn säuerlich an. »Mach ihm nicht gleich Angst. Ihr Beiden müsst miteinander auskommen, klar?«

»Hey, ich hab nichts Schlimmes gesagt«, empörte sich Wade. »Hab ich was Schlimmes gesagt, Peter?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, sagte er wieder zu Raven: »Siehst du, ich hab nichts Schlimmes gesagt!«

»Du bist eine fürchterliche Labertasche«, seufzte Raven. Sie packte Peter am Handgelenk und lotste ihn in die Küche, wo sie ihn auf einen Stuhl drückte und begann etwas zum Frühstücken zuzubereiten.
 

»Ich hab keinen Hunger«, sagte Peter noch, doch die Frau ließ sich nicht aufhalten. Sie begann mehrere Brote zu schmieren und erklärte dabei mit angespannter Stimme: »Es ist in der Nacht einiges passiert, Peter. Wir waren in beiden Missionen erfolgreich -«

»Beide Missionen?«, wiederholte Peter verwundert. »Ich weiß überhaupt nicht, was gestern los war!«

Und so begann Raven angebunden zu erzählen. Als sie fertig war, hatte sie ebenfalls die Brote belegt und stellte den Teller Peter vor die Nase, der sie mit leicht geöffnetem Mund anblickte.
 

»Wie hast du gegen die Hunter kämpfen können?«, fragte er neugierig.

»Ich beherrsche mehrere Kampfsportarten, die ich zu einer eigenen entwickelt habe«, antwortete Raven, die noch immer angespannt und mittlerweile sogar genervt war. Anscheinend wollte sie Peter etwas ganz anderes erzählen, doch der Junge wollte unbedingt jedes Detail der beiden Missionen wissen.

»Ich habe keine Zeit dir das alles zu erzählen! Hör zu, wir haben heute früh noch miteinander gesprochen und sind uns darauf einig geworden, dass irgendjemand den Huntern verrät, wo sich die ehemaligen Avengers aufhalten. Uns sind das zu viele Zufälle auf einmal. Das bedeutet jedoch auch, dass wir hier nicht mehr sicher sind. Es kann nämlich durchaus sein, dass dieser jemand sich darüber bewusst ist, dass das Hauptquartier existiert.«

»Moment, heißt das, wir müssen abhauen?!«, keuchte Peter und ließ das Brot fallen, welches er gerade zu seinem Mund führen wollte.

»Nein, nicht ganz.« Raven ließ sich mit einem Seufzen neben ihm nieder und faltete die Hände ineinander. »Vielleicht bin ich auch etwas voreilig. Logan meinte schon ich soll nicht gleich den Teufel an die Wand malen, eigentlich möchte ich damit nur sagen, dass du jetzt auf Hochtouren trainieren wirst.«

»Klar!« Peter strahlte über beide Gesichtshälften. »Darauf warte ich schon seit Wochen!« Doch etwas in Ravens ernstem Blick ließ sein Grinsen verblassen. Sie setzte einen Ausdruck auf, als müsste sie ihm etwas Unangenehmes mitteilen, gemischt mit einem mitleidigem Lächeln, dann sagte sie vorsichtig: »Auf das Training, das wir dir unterziehen werden, solltest du dich nicht unbedingt freuen...«

»Hab ich was von Training gehört?«
 

Ehe Peter etwas zu Raven erwidern konnte, erklang eine raue Stimme von der Tür her. Beide wandten sich um und sahen Wade mit verschränkten Armen am Türrahmen lehnen. Ein schiefes Grinsen bildete sich auf seinem Gesicht.

»Ich bin dabei!«
 

Raven hatte nicht übertrieben. Peter fand sogar, so stellte er nach nur zehn Minuten mies gelaunt fest, dass sie maßlos untertrieben hatte. Erst war er sehr beeindruckt von dem Trainingsraum gewesen, der sich auf derselben Etage befand, wie die Labore. Es war so ein hoher Raum, dass Peter kaum glauben konnte, dass er sich komplett unter der Erde befand. Das Licht hier war heller als im Rest des Unterschlupfs und die Wände waren von einem so strahlenden Weiß, dass sich Peter beim Eintreten die Hand vor Augen halten musste, um nicht zu stark geblendet zu werden.
 

Auf dem Boden hatte Logan bereits zusammen mit Charles einige Matten verteilt, zwei Seile baumelten von der hohen Decke und die Männer bauten gerade ein Gerüst auf, an welchem man Boxsäcke aufhängen konnte. Verwirrt stellte Peter fest, dass sie jede Trainingsstation zwei Mal aufbauten, doch ehe er den Mund aufmachen und fragen konnte, übernahm Raven dies für ihn.
 

»Zwei?«, fragte sie und deutete auf die am Boden liegende Boxsäcke. »Jungs, woher wollt ihr denn wissen, dass Clint auch mittrainieren will?«

»Ihm bleibt kaum eine andere Wahl«, warf Wade ein, der dicht hinter Peter stand. »Aber von mir aus, kann er auch raus laufen und sich gleich umbringen lassen. Meiner Meinung nach -«

»ERSTENS«, unterbrach ihn Raven hörbar genervt. »Habe ich nicht dich gefragt und zweitens geht es hier auch nicht um deine Meinung! Wir wissen nun mal nicht, ob er dazu bereits ist hier zu bleiben. Schließlich hat Natasha ihm einiges verschwiegen, mich würde es nicht wundern, wenn er sauer auf sie ist und nach dem was passiert ist, auch nichts mehr mit ihr zu tun haben möchte.«
 

Peter sparte sich die Frage, wer Clint und Natasha waren, sondern setzte sich auf eine der blauen Matten, doch er hatte keine Sekunde gesessen, da sagte Logan – wie üblich schlecht gelaunt: »Vergiss es, aufstehen und Runden laufen, bis ich sage, dass es reicht.«
 

Schwer seufzend stand Peter auf und begann, wie ihm geheißen, Runden zu laufen. Dabei ertönte immer wieder Logans Stimme laut durch die Halle, wenn er ihm zurief er solle schneller laufen, rückwärts laufen, seitwärts laufen, sprinten oder schlagartig stehen bleiben und dann wieder laufen. Nach bereits zehn Minuten lief ihm der Schweiß von der Stirn, denn Logan verlangte ein Tempo von ihm, dass sie im normalen Sportunterricht niemals hätten halten müssen und sobald Peter Anzeichen von Erschöpfung zeigte, drohte ihm Logan mit Liegestütze. Dies war dann auch der Moment, als der Jugendliche sich grummelnd dachte, dass Raven maßlos untertrieben hätte.
 

Zu Peters Unglück setzte sich Wade an den Rand, feuerte ihn lauthals an und jedes Mal, wenn der Junge an ihm vorbei lief, musste er sich Bemerkungen anhören wie »Und ich dachte Logan könnte mies gelaunt schauen!« Als Charles mit Aufbauen fertig war, verließen er und Raven sich miteinander unterhaltend die Halle. Immer, wenn Peter an ihnen vorbei gelaufen war, hatte er kurze Ausschnitte aus ihrem Gespräch auffangen können, doch er konnte sich daraus nicht viel zusammen reimen. Nur, dass Clint anscheinend dazu bereit war, Natasha zu verzeihen, wie Charles es bei ihm gefühlt hatte.
 

Es kam ihm vor wie Stunden, bis Logan endlich rief: »Okay, genug aufgewärmt!« und Peter ließ sich mit einem Ächzen auf den Boden fallen. Schwer atmend wischte er sich mit dem Handrücken über die Schweiß nasse Stirn, seine Beine fühlten sich an wie Pudding, ein seltsames Kribbeln durchzog dabei seine Waden. Ein schmerzhaftes Stechen in seiner Seite zeigte ihm, dass er falsch geatmet hatte und mit jedem Zug Luft, den er einnahm, wurde das Stechen für einige Sekunden stärker, bis es wieder verblasste.
 

»Hey.«

Peter, der die Augen geschlossen hatte, öffnete sie nun erschrocken, als er Logans Stimme direkt über sich hörte. Der Mann stand mit verschränkten Armen neben ihn und blickte ihn von oben herab mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Du machst doch nicht etwa jetzt schon schlapp?«, fragte er. »Los, aufstehen und Liegestütze machen!«

»Aber du hast gesagt, ich muss keine machen, wenn ich schnell genug laufe!«, keuchte Peter erbost.

»Da hab ich wohl gelogen.«
 

Während Peter von Logan durch den Fleischwolf gedreht wurde, erwachte Clint in einem weichen Bett. Er hatte bis in den späten Vormittag geschlafen, so erschöpft war er von der letzten Nacht. Nun lag er einige Sekunden lang mit offenen Augen da und ließ seinen Kopf arbeiten, der nur schwer begreifen konnte, was geschehen war. Gerade fühlte er sich ein wenig, wie damals nach seinem ersten Tag im Krieg. Die unschuldigen Frauen und Kinder, die sie auf Befehl hatten erschießen müssen, blitzten unwillkürlich vor seinem inneren Auge auf.
 

»Wie geht es dir?« Natashas Stimme klang sanft in Clints Ohren, doch gerade wollte er einfach nur alleine sein und erfassen, was in den letzten 24 Stunden geschehen war. Es kam ihm noch so unwirklich vor. Schwer seufzte Clint und drehte sich in seinem Bett, sodass er Natasha entgegen blickte, die verhalten auf dem Boden saß.
 

»Es tut mir Leid«, wisperte sie. »Ich hätte es dir erzählen sollen... doch ich hatte Angst, du würdest mich verstoßen und ich wollte genau das hier verhindern... dass du in Gefahr kommst.«

»Wieso hätte ich dich verstoßen sollen?«, fragte Clint und klang dabei unbewusst vorwurfsvoll. »Glaubst du wirklich ich würde jemanden schlecht behandeln nur, weil er ein Mutant ist?«
 

Anscheinend wusste Natasha darauf keine Antwort, doch Clint konnte erkennen, wie ihre Mundwinkel zuckten, als würde sie verhindern wollen erleichtert zu lächeln.

»Du schuldest mir eine Erklärung«, sagte Clint schließlich. Ohne Wiederworte begann Natasha zu erklären und dabei fing sie ganz bei Null an.
 

Logan hatte Peter nach fast drei Stunden fertig gemacht und verließ zufrieden die Halle. Schweißgebadet lag der Junge auf den Matratzen, jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte und sein Brustkorb hob und senkte sich unter lautem Keuchen. Schadenfreudig grinsend saß Wade neben ihm.
 

»Weißt du, was ich mir gedacht habe?«, sagte er. »Es gibt ja Mutanten, die simple Mutationen haben, sozusagen die Vorläufer zu uns mit den Mutationen, die auch was bringen. Zum Beispiel hab ich mal einen Jungen getroffen, der bloß eine blaue Zunge hatte, mehr nicht. Ich finde, du siehst auch aus, wie jemand, der nur ne blaue Zunge hat.«

Peter blickte ihn von der Seite her genervt an, erwiderte jedoch nichts.

»Wenn es so ist«, und Wade grinste breiter. »Dann wird dich Logan zu Tode trainieren, dann musst du dich nämlich auf deinen Körper verlassen und nicht deine Fähigkeiten. Das fände ich absolut lustig!«
 

'Damit bist du aber auch der Einzige', dachte sich Peter säuerlich, doch in seinem Inneren hatte sich etwas bei Wades Worten verkrampft. Was, wenn er Recht hatte?

Hawkeye und Spiderman

In den nächsten drei Wochen trainierte Peter unablässig, wobei ihm bereits nach dem dritten Tag Clint Gesellschaft leistete. Nach langem Unterhalten mit Natasha, hatte er ihr schließlich verzeihen können und ihr groß erklärt, nicht mal im Alptraum mit ihr Schluss machen zu können. Diese Aussage wurde des nachts noch besiegelt, sodass Wade am nächsten Tag forderte, das nächste Mal sollen sie es in Natashas Zimmer machen, welches sich im Gegensatz zu Clints, nicht gleich neben seinem befand.
 

Das Training selbst brachte Peter bloß Muskelkater und Logan setzte ihm neue, noch höhere Maßstäbe, als Clint hinzustieß. Dass dieser ein voll trainierter Exsoldat war, der als Kampftrainer arbeitete, und bloß noch ein wenig Wiederholung bedarf, schien Logan egal zu sein. Er ließ beide gegen Boxsäcke schlagen, wobei Peter seinen nur um wenige Millimeter bewegte; ließ sie am Seil hochklettern, von welchem Peter nach zwei Metern hart in die Tiefe fiel; jagte sie durch Zirkeltraining, welches Peter die meiste Kraft und Ausdauer raubte und schließlich beendete er jeden Abend mit den Worten »Du musst noch viel lernen, Junge.«
 

Das alles war so deprimierend und lief überhaupt nicht nach Peters Vorstellungen, dass er Angst hatte, Wade könne tatsächlich Recht haben. Nicht nur einmal erwischte sich der Jugendliche dabei, wie er im Badezimmer vor dem Spiegel stand und seine Zunge eingehend betrachtete. Liebend gerne hätte er jemanden gehabt, bei dem er sich beschweren könnte, doch alle schienen der Auffassung zu sein, dass Logan der perfekte Trainer für ihn wäre.
 

»Es muss eben alles sehr schnell gehen«, erklärte Charles mitleidig, als sie vormittags gemeinsam an Cerebro saßen. »Wenn du erst mal trainiert bist, wirst du Logan dankbar sein.«

»Sicher«, hüstelte Peter sarkastisch. Unter ständigem Ziehen seiner überbeanspruchten Muskeln zog er sich die Brille an und machte sich über die elektrischen Verkabelungen her, welche aus den silbernen Pfeilern der Gerätschaft heraushingen, doch kaum hatte er sich diesen zugewandt, stutzte Peter.
 

Die Farben und Formen waren seltsam verschwommen und für einen Moment glaubte er, seine Brille doch nicht angezogen zu haben, doch er spürte sie klar auf seiner Nase sitzen. Verdutzt nahm Peter sie ab. Nun sah er alles vollkommen klar. Mehrmals hob er die Brille vor seine Augen und senkte sie wieder, doch so absurd es auch schien, Peter besaß keine Sehschwäche mehr.
 

»Wie zum -«

»Vielleicht ist das deine Mutation«, sagte Charles, der wie immer bereits wusste, was los war. Manchmal fragte Peter sich, ob er durchgehend die Gedanken anderer Menschen las, ohne es abstellen zu können.

»Wie? Eine Mutation, die meine Sehschwäche heilt? Das wäre echt bescheuert!«, stellte Peter fest und war darüber beinahe schon sauer. Da wäre ja eine blaue Zunge cooler gewesen!

»Nun ja.« Charles musste leise lachen. »Ich dachte eher an Selbstheilungskräfte oder so etwas. Fähigkeiten, mit welchem man Krankheiten, Missbildungen und Verletzungen auskurieren kann, sind nicht gerade selten.«

»Müsste dann nicht auch mein Muskelkater weggehen?«, warf Peter ein.

»Ich denke schon.« Nun runzelte der Mann nachdenklich die Stirn. Für einige Sekunden versank er in Gedanken, dann blickte er überrascht an Peter vorbei. Der Junge folgte seinem Blick und stutzte leicht als er Jean erkannte.
 

Er hatte die Frau seit einigen Wochen nicht mehr gesehen und beinahe vergessen gehabt, dass sie hier ebenfalls noch lebte. Wie immer war ihre Erscheinung beeindruckend und Ehrfurcht bringend zugleich, die langen, roten Haare wallten um ihre blasse Haut und ihre kalten Augen hatten einen seltsamen Ausdruck angenommen. Als würde irgendetwas Großartiges bevor stehen.
 

»Ein Mutant, der deiner würdig ist«, flüsterte sie und schaute dabei in die Ferne. Es wirkte als würde sie in eine völlig andere Welt blicken, ein angesetztes Lächeln umspielte nun ihre Lippen.

»Ist alles okay bei dir?«, fragte Charles vorsichtig.

»Bestens«, antwortete Jean und schaute nun die beiden am Boden sitzenden an, dann fixierte sie Peter, der sich augenblicklich unwohl fühlte. »Es ist noch nicht alles.«
 

Und mit den Worten kehrte sie wieder um und verschwand in die Weiten der unteren Etage.

Peter schaute Charles erwartungsvoll an, doch dieser konnte sich ihr Verhalten ebenso wenig erklären wie der Jugendliche selbst.
 

»Ich dachte du kannst Gedanken lesen!«, empörte er sich.

»Nicht ihre«, erwiderte Charles. »Sie beherrscht ebenfalls Telepathie, sie kann sich selbst heilen, sie kann Energien erzeugen, absorbieren, explosionsartig loslassen, übertragen und gänzlich vernichten, sie kann in die Zukunft und Vergangenheit blicken, und – sagen wir einfach – sie ist uns in allem überlegen und selbst, wenn ich wollte, könnte ich niemals ihre Gedanken lesen. Ich denke nur... vielleicht... sie hat so ausgeschaut, wie sie immer ausschaut, wenn sie einen klaren Blick in die Zukunft hat.«

»Du denkst, sie hat eben in die Zukunft geschaut?«, fragte Peter beeindruckt.

»Ja... ach, Peter, das ist eine Nummer zu Hoch für uns Beide, wir sollten lieber hiermit weiter machen.« Und er deutete mit einem Kopfnicken auf Cerebro.
 

Die beiden arbeiteten noch eine knappe Stunde am Gerät, dann gingen sie zum Mittagessen, welches Natasha und Raven mit widerwilliger Hilfe von Clint angefertigt hatten. Aus irgendeinem Grund überkam Peter ein unmenschlicher Hunger als er den dampfenden Nudelauflauf dort stehen sah. Überrascht beobachteten die Erwachsenen wie der Jugendliche den halben Auflauf alleine aß, die Gabel weglegte, enttäuscht in die leere Glasschlüssel starrte und verkündete, dass er immer noch Hunger habe.
 

»Du frisst uns die Haare vom Kopf!«, rief Wade säuerlich aus, der dank Peters Fressattacke nicht annähernd so viel hatte essen können, wie er es sonst immer tat. »Außerdem trainiert es sich mit vollem Magen nicht gut!«

»Da hat er Recht«, pflichtete Logan bei. »Zieh dir Trainingssachen an, du auch Clint, wir fangen in zwanzig Minuten an.«
 

Clint und Peter erhoben sich beinahe gleichzeitig und verließen den Wohnraum. Peter konnte noch hören, wie Charles zu den anderen leise murmelte: »Ich muss euch erzählen, was eben Jean passiert ist.«, doch wunderlicher weise war seine Neugierde nach dem, was die anderen dazu zu sagen hatten, nicht größer als seine seltsame Lust auf das Training.
 

Wie immer mussten sich Clint und Peter einlaufen, diesmal lief der Jugendliche viel schneller und selbst nachdem Logan zwischendurch Liegestütze und Sprints forderte, hüpfte Peter hoch motiviert durch die Gegend. Er war wie ausgewechselt, doch als sie Situps machen mussten, änderte sich dieses Verhalten schnell. Es war seltsam, denn von einem Moment auf dem nächsten brach in Peter eine Welle von Hitze aus, sie stieg ihm sogleich in den Kopf und drückte schmerzhaft gegen die Schädeldecke. Mit einem dumpfen Schlag ließ er sich gänzlich auf den Boden fallen und blickte erschrocken an die Decke. Seine Fingerspitzen zitterten leicht und seine Stirn wurde so heiß, dass er dachte, er würde kochen.
 

»Nicht aufhören, du bist endlich mal gut dabei«, sagte Logan, der einige Meter abseits an den Boxsäcken trainierte. Als Peter nicht reagierte, stoppte er und blickte mit leichter Besorgnis zu dem Jungen hin. Auch Clint hörte auf mit seinen Situps und wandte sich Peter zu, der nur Zentimeter von ihm entfernt lag.
 

»Was ist denn los?«, fragte er.

»Weiß nicht«, brachte Peter hervor. »Irgendwie geht’s mir grad echt schlecht. Mir ist übertrieben heiß.«

Clint rutschte ein Stück näher und legte die Hand auf die Stirn des Jugendlichen, fast im selben Augenblick weiteten sich seine Augen und ihm entfuhr es entgeistert: »Du kochst ja auch!«

»Wie? Fieber?« Logan schien vollkommen von der Rolle. »Vorhin war er doch noch topfit, wie kann er plötzlich Fieber haben?!«

»Vielleicht... ähm... mutiert er oder so?«, spekulierte Clint.

»Mit Sicherheit, aber solche heftigen Symptome habe ich noch nie erlebt.« Für einen Augenblick musterte Logan den am Boden liegenden Peter mit zusammengezogenen Augenbrauen, dann sagte er in seiner gewohnt brummigen Stimme: »Leg dich schlafen, ich trainiere mit Clint alleine weiter.«
 

Sofort erhob sich Peter, wobei er für einen Moment vor Schwindel schwankte, dann verließ er eiligst die Trainingshalle. Clint machte sich wieder an die Aufwärmübungen, doch nur wenige Sekunden später stieß ihn Logan unsanft mit dem Fuß in die Seite, als Aufforderung, dass er aufstehen soll.
 

»Du warst Soldat bei dir Armee?«, fragte er, kaum da Clint auf beiden Füßen stand.

»Dritte Division«, antwortete er mit einem stolzen Nicken. »War für kurze Zeit in Deutschland stationiert und hatte Einsätze in unterschiedlichen Gebieten in Irak und Libyen.«

»Hast du nie versucht aufzusteigen?« Während er fragte, schritt Logan quer durch die Halle zu einer Tür, die zu einer Art Lagerraum führte – Clint folgte ihm.

»Nein, ich habe meinen Wehrdienst abgeleistet und hatte schon die Entscheidung getroffen meinen Beruf als Soldat endgültig anzutreten, als ich Natasha kennen lernte, da habe ich mich dann für etwas Friedlicheres entschieden«, erklärte er, als die beiden den Lagerraum betraten.
 

Logan knipste das Licht an, welches den fensterlosen Raum nun erhellte und den Blick freigab auf ein Waffenarsenal, welches Clint trotz seiner Dienste in der Army noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Für einige Sekunden blieb er wie versteinert stehen und ließ seinen Blick mit leicht geöffnetem Mund schweifen. Von Maschinengewehren über Schusspistolen, welche Logan soeben aus einem weißen Schrank herausnahm, bis hin zu Granaten, die wie Obst in einer großen Schale lagen, gab es einfach alles. In einer silbern umrandeten Vitrine blitzte sogar ein schwarzer, großer Bogen.
 

»Du hattest die Entscheidung zwischen Liebe und Krieg und hast dich für Liebe entschieden«, stellte Logan fest, während er die Pistolen lud. »Charles würde jetzt vermutlich sagen, dass das weise von dir gewesen war, aber ich sage dir, dass du dich das nächste Mal für den Krieg entscheiden solltest.«

»Warum?« Clint klappte den Mund wieder zu und wirkte nun leicht verärgert. »War es etwa falsch gewesen mit Natasha zusammen zu kommen?«

»Das habe ich nicht gesagt«, widersprach Logan. »Aber in Zukunft könnte dich das dein Leben kosten. Das wirst du noch verstehen.«
 

Er reichte ihm zwei Schusswaffen, die Clint mit verzogenem Gesicht entgegen nahm. Es verärgerte ihn, dass Logan ihn scheinbar behandelte wie ein kleines Kind, das bloß prahlte und keine Ahnung vom Krieg hatte, doch er zog es vor zu schweigen. Stattdessen folgte er ihm zurück in die Trainingshalle und von dort aus zu einem separaten Raum, der länglich war. Am anderen Ende waren vier Zielscheiben aufgestellt in welchen sich bereits Einschusslöcher befanden. Dazwischen erhob sich eine niedrige Betonmauer, zweifelsohne zum Auflegen der Arme, wenn man zum ersten Mal das Schießen lernte, doch da Clint bereits geübt war, versuchte er es nach dem Anlegen von Ohrenschützern gleich ohne Stütze.
 

Seine Hände zitterten kein bisschen, er hielt seine Arme stramm und gespannt und verfehlte die Mitte nur um Millimeter.

»Nicht schlecht«, stellte Logan anerkennend fest, der sich ebenfalls Ohrenschützer angelegt hatte und sie nun gleichsam mit Clint wieder abnahm, damit sie sich gegenseitig verstehen konnte. »Geh mal vor die Mauer und ein wenig näher ran, vielleicht triffst du dann die Mitte.«
 

Obwohl Clint wusste, dass dies nicht zutreffen würde, tat er wie ihm geheißen und schoss vor der Mauer erneut auf die Zielscheiben und wie er es bereits vorausgeahnt hatte, verfehlte er nun die Mitte um Zentimeter. Kaum war er fertig, nahm er die Schützer wieder ab und blickte Logan auffordernd an, als würde er darauf warten, dass er ihn verspottete, doch der Mann hatte die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen und musterte Clint mit hohem Interesse.
 

»Du schießt besser auf Distanz?«, fragte er.

»Ja, ich kann besser in die Distanz schauen, bin aber nicht weitsichtig. Ist sozusagen eine angeborene Gabe«, erklärte Clint ohne dabei überheblich zu klingen. Für einige weitere Momente verfiel Logan in Schweigen, dann blickte er Clint durchdringend an und fragte: »Hast du dich schon mal am Bogenschießen versucht?«
 

Peter hatte eine unruhige, fiebrige Nacht. In schwarz gehüllte Männer rannten durch leblose Gänge, deine Tante schrie verzweifelt um Hilfe, Gwen wurde die Kehle durchgeschnitten, dann erhob sich plötzlich sein Onkel aus dem Boden vor ihm mit toten Augen und sagte mit dröhnender Stimme: »Du hast dir geschworen sie zu schützen! Sie sollte nicht so früh zu mir kommen! Du hast versagt!« Peter wollte schreien, doch er brachte kein Laut über seine Lippen, er hörte die Stimme von Raven, die in seinem Hinterkopf erklang, beruhigend und einfühlsam. »Es war nicht deine Schuld«, flüsterte sie. »Das sind die Hunter, dagegen kommst du nicht an, du bist zu schwach.«

Ihre letzten Worte wurden nun in einem Chor von tausenden Stimmen wiederholt, doch nicht als Entschuldigungen für den Tod seiner Tante, sondern als Demütigung und Verhöhnung. Immer und immer wieder-
 

»Peter!«
 

Erschrocken riss der Junge die Augen auf und wollte sich schlagartig aufsetzen, doch stattdessen drückte er sich mit so viel Kraft vom Bett ab, dass er sich im nächsten Moment, alle Vieren ausgestreckt, an der Decke wiederfand. Verwirrt blickte er auf seine Fingerspitzen, die an der Decke zu kleben schienen, ebenso wie seine Fußballen. Verschwitzt und mit aufgerissenem Mund blickte er herunter zu Wade, der gleich neben seinem Bett stand, und nicht minder erschrocken aussah. Obwohl er die untere Hälfte seines Gesichts mit einer schwarzen Maske verdeckt hatte, konnte Peter doch klar in seinen Augen erkennen, was gerade in ihm vorging. Dann hellte sich die Miene des Mannes auf, Peter konnte sich das Grinsen unter der Maske lebhaft vorstellen, als er sagte: »Das war der Hammer!«
 

Im nächsten Moment fiel Peter mit einem lauten Schlag zurück ins Bett und blickte weiterhin entsetzt an die Decke. Der Schock von diesem Aufwachen und das Grauen von seinem Alptraum, welches ihm noch in den Knochen steckte, lähmte ihn für einige Minuten. Wade hingegen schien hellauf begeistert.
 

»Weißt du wie das grade aussah?«, plapperte er, während er aufgeregt durch sein Zimmer lief. »Total krass, Mann! Das musst du dringend später noch mal machen. Du kannst an Decken stehen, vielleicht kannst du sogar lang laufen. So ne Mutation hab ich noch nie gesehen! Und ich dachte ehrlich ich hätte schon ALLES gesehen! Du sahst aus wie eine... wie eine Spinne!«

Ein Sturm zieht auf

Die Entdeckung von Peters Fähigkeiten brachte Schwung ins Hauptquartier. Alle – ausgenommen von Jean - waren in der Trainingshalle versammelt, um zuzuschauen, wie der Jugendliche an der Decke auf allen Vieren entlang krabbelte, Boxsäcke mit Leichtigkeit beinahe aus ihren Angeln schlug und sich ans Seil hing, weil er es mehrere Meter über dem Boden »bequemer« fand.
 

Der Schock seines Alptraumes saß Peter immer noch in den Knochen, doch er wollte es nicht zugeben. Wade hatte anscheinend nicht bemerkt, dass er sehr schlecht geträumt hatte oder aber er hielt es nicht für allzu wichtig. Stattdessen diskutierte er lauthals mit Logan darüber, ob Wade es erlaubt sein sollte Peter Kampfsport beizubringen oder nicht.
 

»Du weißt, dass ich der Beste von uns bin!«, sagte Wade selbstgefällig unter seiner schwarzen Halbmaske. »Alles, was du kannst ist zuschlagen, aber Peter sollte richtige Kampftechniken lernen.«

»Du kannst dem Jungen deine Kampfart nicht zumuten«, erwiderte Logan bedrohlich. »Du kämpfst auf vollem Risiko und dir ist es vollkommen egal, wie sehr du verletzt wirst oder, ob du einen tödlichen Schlag versetzt bekommst. Peter jedoch kann sterben!«
 

Ehe Wade erneut den Mund aufmachen konnte, fuhr Natasha dazwischen, die sich in ihren schwarzen Kampfanzug geworfen hatte. Neben ihr stand Raven in lockeren Trainingssachen, die Arme vor ihrer Brust verschränkt.

»Falls es euch nichts ausmacht, werden wir das mit dem Trainieren von hier an übernehmen«, sagte Natasha mit einem Ton, bei dem man merkte, dass den Männern gar keine andere Wahl blieb. »Schließlich sind Raven und ich hier die einzigen, die wirkliche Kampftechniken beherrschen.«

»Das stimmt«, pflichtete Charles bei, der geistesabwesend Peter beobachtete, wie er das Seil hoch und wieder runter kletterte, ungeachtete darauf, was unter ihm geschah.

»Na schön...« Logan blickte nun Clint an, dessen Kopf ständig in Richtung der Nebenräume zuckte. In einem von ihnen lag dieser wunderbare, große, schwarze Bogen, der perfekt in seine Griffe passte. Mit dem er Pfeile aller Art abschießen konnte, den er Stundenlang studiert und doch noch keine Ahnung von dem hatte, was er leisten konnte. Anscheinend bemerkte Logan das gierige Verlangen, welches sich in Clints Augen zeigte.
 

»Ich schätze du gehst alleine trainieren«, stellte er an ihn gewandt fest. Clint nickte als Antwort bloß knapp. Als Logan sich daraufhin wieder Wade zu wandte, sah Clint dies wie eine Art Entlassung an und schritt quer durch den Raum in Richtung seines Bogens.
 

Charles hatte die Arme verschränkt und beobachtete Raven und Natasha, die nun Peter vom Seil herunter riefen.

»Ich kann ihm beibringen skrupellos zu sein«, versuchte Wade es erneut, doch nicht sonderlich gut, denn Logans Augen verengten sich sogleich zu zwei schmalen, schwarzen Schlitzen. »Die Hunter haben kein Erbarmen, aber er ist 17 und unerfahren. Ich kann ihm beibringen gnadenlos zu sein. Er wird das brauchen!«

»Das kannst du ihm nicht beibringen«, erwiderte Logan rau. »Und nur, weil wir so viel Blut an den Händen kleben haben, muss es dem Jungen nicht auch so ergehen.«

»Du wirst ja richtig sentimental«, grinste Wade. »Als Kurt damals mit seinen 18 Jahren zu uns gestoßen ist, warst du nicht so sensibel. Du warst einer derjenige, die am lautesten geschrien haben, dass er den Avengers beitreten soll. Obwohl du wusstest, dies würde auch bedeuten, dass der Kleine in den Krieg ziehen muss.«

»Man lernt mit der Zeit«, zischte Logan und für einen Moment konnte man Reue über sein Gesicht blitzen sehen. »Wir überlassen das Ganze einfach Natasha und Raven, die wissen, was sie tun müssen.«

»Na schön, dann gehe ich eben zu Clint.« Und trotzig folgte Wade dem Mann in die Nebenräume. Logan schüttelte genervt den Kopf und verließ die Trainingshalle.
 

Indessen war Peter endlich herunter gekommen und stand erwartungsvoll vor Natasha und Raven. Die Rothaarige übernahm nun das Wort.

»Wir fangen einfach an. Wenn ich dir einen Schlag versetzen möchte -« Natasha tat so als würde sie Peter einen Schlag ins Gesicht versetzen, um ihm zur erklären, wie er sich dagegen verteidigen konnte. Doch kaum war ihre Faust nach vorne geschnellt, hatte der Junge wie aus Reflex einen Satz zur Seite gemacht und gleichzeitig mit einer Hand den Angriff zur Seite abgewehrt. Genau auf die Weise, wie Natasha es ihm gerade erklären wollte.
 

Überrascht blickten alle Peter an, der nicht minder verdutzt wirkte. Er ließ ihren Arm wieder los und räusperte sich laut.

»Ehm... tut mir leid... irgendwie, ich weiß nicht... ist so über mich gekommen...«
 

Natasha und Raven tauschten Blicke.

»Nun gut, dann versuche ich es noch ein paar mal.« Mehrmals hintereinander schlug Natasha nun auf den Jungen ein. Er wehrte jeden Angriff an, wich aus und schließlich packte er Natasha an Schulter und Oberarm und wollte sie zu Boden werfen. Die Frau reagierte schneller. Mit einem Mal hing sie mit den Beinen um seinen Hals, drehte sich blitzschnell daran und riss Peter zu Boden, während sie elegant neben ihm landete. Diese Attacke war ihre Spezialität. Nur deswegen wurde sie in Shield von den anderen Agenten Black Widow genannt. Obwohl Peter keuchend auf dem Boden lag, waren Raven und Natasha von ihm beeindruckt.
 

»Scheint als wenn du nicht nur Wände hochklettern könntest«, stellte Raven fest. »Ich denke gegen Leute, die nicht so trainiert sind wie wir, hast du realistische Chancen.«

Und entsprechend seiner Fähigkeiten wurde das Training hochgeschraubt, sodass Peter sich sogar manchmal überbeansprucht fühlte.
 

Indessen versuchte Clint einen nervigen Wade bestmöglich auszuhalten. Pfeil aus dem Köcher ziehen, in die Sehne legen, den Bogen spannen und auf das Ziel abschießen. Konzentrieren. Den plappernden, sich aufregenden Wade ignorieren.
 

»Ich bin nun mal der Beste von uns was das Kämpfen angeht«, beklagte er sich, lag dabei rücklings einige Meter hinter Clint auf einer schwarzen Bank und blickte zur Decke. »Na schön, ich gehe wirklich auf Risiko, aber hast du gesehen, wie Peter drauf ist? Wenn er die Fähigkeiten ordentlich trainiert, könnte er einer der besten von uns werden.« Dann schaute er zu Clint und fügte hinzu: »Ich habe nie geglaubt, dass der noch mal zu was gut sein würde.«

»Der Bogen?«, fragte Clint, jedoch hauptsächlich um höflich zu sein. Er schoss einen weiteren Pfeil ab, der die letzte der fünf aufgestellten Zielscheiben im dritten Innenring traf und schritt dann quer durch den Raum, um sich die Pfeile zurückzuholen.

»Ja, genau der«, sagte Wade. »Ist ein bisschen altertümlich, finde ich. Macht schon was her mit dem Teil, besonders mit den unterschiedlichen Pfeilarten, aber ich fand ihn immer zu altmodisch.«

»Ich finde ihn super«, sagte Clint und machte sich erneut daran seine Pfeile zu verschießen.
 

Das Training zog sich über Monate hinweg, zwischendurch hatten Charles und Raven Geburtstag, doch beide Male wurde ihnen nur gratuliert und dann ging jeder Tag so wie die vielen Tage zuvor. Peter fand dies furchtbar, was er Charles zwei Wochen vor Weihnachten zu Herzen legte.
 

»So ist das hier nun mal«, zuckte Charles mit den Schultern, während die beiden mit Cerebro beschäftigt waren. Zusammen waren sie weit voran geschritten und es fehlte nicht mehr viel bis die Maschine endlich funktionierte. »Uns bleibt nicht viel für Festlichkeiten.«

»Und wie sieht bei euch Weihnachten aus?«, fragte Peter, der in einem Gewirr aus Kabeln saß und versuchte sie richtig miteinander zu verschließen.

»Weihnachten? Traditionell betrinkt sich Logan, Raven versucht so etwas wie ein Weihnachtsessen auf die Beine zu stellen, an dem im Endeffekt nur ich teilnehme, weil sie sich über Logan aufregt und sich in ihrem Zimmer einsperrt und Jean verbringt die Weihnachtstage wie alle anderen Tage auch, hier unten in den Laboren«, erklärte Charles und auf Peters überraschten und entsetzten Blick hin, fügte er hinzu: »So war es zumindest letztes Jahr.«

»Dieses Jahr wird anders«, bestimmte Peter.

»Ich weiß nicht...«

»Wir sind mehr Leute und, wenn wir uns anstrengen, kann es anders werden«, sagte Peter und befreite sich aus dem Kabelsalat. »Ich geh sofort zu Raven und sag's ihr. Zusammen können wir ein schönes Fest auf die Beine stellen, bestimmt!«
 

Und mit neuem Eifer verschwand Peter über den Flur. Charles blieb zurück, mit einem stummen Lächeln auf den Lippen, und arbeitete weiter an der Maschine. Einige Minuten lang konzentrierte er sich nur darauf, dann spürte er plötzlich eine Berührung auf seinem Kopf. Es gab nur eine Person, die sich an ihn heran schleichen konnte, ohne, dass er deren Gedanken zuvor spürte. Ein Gefühl als würde sein Körper zersplittern durchfuhr ihn, dann wurde Charles auch schon von Jean aus dem Hauptquartier teleportiert.
 

Schwer atmend brach Charles zusammen, rieb sich mit den Händen über den Brustkorb, der sich zuvor noch angefühlt hatte wie Brei. Mit Jean zu teleportieren war die reinste Tortur. Als würden einem sämtliche Eingeweide entnommen und dann wieder eingefügt. Alles drehte sich vor Charles' Augen, weshalb er sie schloss. Es brauchte eine Weile bis sich sein Kreislauf beruhigte und er die Augen wieder öffnen konnte und, was er sah, ließ ihn erstarren.
 

Er saß auf einer bronzenen Ebene, die Wand vor ihm bestand aus Glasfenstern, sodass er auf eine Art Wüstenlandschaft hinaus blicken konnte. Bestehend aus Steinen und Sand, rötlich und braun, und seltsam fremd. Jean stand ein paar Meter neben ihm, ihren Bruder beobachtend.
 

»Sind wir auf dem Mars?«, fragte Charles schließlich und schaute zu seiner Schwester. Sie nickte. Ein erstickendes »Warum?« war alles, was der Telepath noch rausbekam. Überwältigt vom Anblick stand er auf und schritt an den Fenstern entlang. Er klopfte gegen das massive Glas und blickte sich näher um. Auch die andere Wand bestand aus Glasfenstern. Er befand sich auf einem langen Flur zu dessen beiden Seiten sich bronzene Türen befanden. Diese öffneten sich anscheinend mechanisch, denn sie hatten keine Türklinke. Charles schritt hin und her, während Jean langsam anfing zu sprechen als würde sie jedes Wort behutsam auswählen.
 

»Ich habe die letzte Zeit damit verbracht dies hier zu schaffen«, sagte sie. »Seit Peter in unseren Reihen aufgenommen wurde.«

»Warum?«, fragte Charles erneut.

»Etwas kommt auf uns zu. Was ich sehe ist gespickt mit Licht und Dunkelheit, ein ewiges Spiel zwischen Gut und Böse. Etwas wird passieren. Ein Sturm zieht auf und ich weiß nicht, wie er ausgehen wird. Ich befürchte, du wirst in Gefahr geraten.«

»Ich? Kannst du das so genau sagen?« Nun blieb Charles vor Jean stehen, welche Mühe hatte die richtigen Worte zu finden.
 

»Einige der Dinge, die ich sehe, sind klar. Wie ich damals wusste, dass wir den Bogen und die Pfeile behalten sollen, weil jemand kommen wird, der sie benutzen kann, so weiß ich um die Schicksale einiger unserer Freunde Bescheid. Nicht detailliert. Sie erscheinen mir in positiv und negativ, wie Gefühle, bedrückend, traurig, erfreulich. Peters ist positiv, Wades ist negativ. Bei den anderen bin ich mir unsicher. Dein Schicksal erscheint mir seltsam, mal ist es so, mal ist es so. Doch ich möchte, dass ich weiß, dass es dir gut geht. Wenn es also geschieht, wenn der Sturm aufgezogen ist, dann möchte ich dich hierher bringen, damit ich dich in Sicherheit weiß.«
 

Charles ließ die Worte sacken, dann sagte er: »Und Wade? Wenn du bei ihm so genau weiß, dass etwas Schlimmes passiert, wieso versteckst du ihn dann nicht auch hier oben? Warte, lass mich raten: Man soll sich nicht ins Schicksal einmischen. Das predigst du doch ständig. Deswegen hilfst du doch nie.«

»Ich helfe nur, wenn ich niemandem damit schade«, erwiderte Jean mit ruhiger Stimme, während Charles aufgebracht wirkte.

»Schadet es etwa jemandem, wenn Wade hier her kommt?!«

»Das Haus ist ausgestattet mit funktionierendem Wasser und Strom, du hast ein großes Bett und einen Whirpool im Badezimmer«, sagte Jean als hätte sie ihren Bruder nicht gehört. »Dir wird es hier sehr gut gehen.«

»Ich will mich hier nicht verstecken!«, erwiderte Charles. »Du hättest mich vorher fragen können, ob du das alles hier bauen willst – Wie hast du das überhaupt hinbekommen?«

»Man sollte nie die Macht der Vorstellung unterschätzen«, antwortete Jean. Daraus konnte sich Charles nicht wirklich einen Reim machen. Für einen Moment runzelte er nachdenklich die Stirn, doch mit einem Kopfschütteln kam er zu der Besinnung, dass kein normaler Menschen Jean jemals verstehen könnte.
 

»Ist egal«, sagte er. »Ich will mich auf jeden Fall nicht auf dem Mars verstecken, egal, was auf uns zukommen wird. Schlimmer als momentan, kann es nicht werden. Bitte teleportiere mich zurück.«

Natürlich könnte Jean Charles einfach hier oben behalten. Der Mann hätte keine Chance sich dagegen zu wehren, doch sie würde ihn niemals gegen seinen Willen irgendwo festhalten. Sie berührte ihn an der Stirn und schon wurde er zurück teleportiert, während Jean in ihrem selbst gebauten Haus stehen blieb. Den Blick mit einer Spur von Traurigkeit auf die überwältigende Landschaft geheftet.
 

Clint fiel rückwärts mit dem Stuhl um, Peter schrie erschrocken auf und Raven schlug beide Hände vor die Augen, als die Küche plötzlich in blendendes, blaues Licht gehüllt wurde. Eine Druckwelle brach aus dem dunklen Lichtstrahl hervor, der in der Luft zu schweben schien und warf nun auch Peter und Raven zu Boden. Türen von Küchenschränken schwangen auf, Teller zersprangen auf dem Boden und Obst flog durch die Gegend, bis nach wenigen Sekunden das Licht verglimmte und Charles wieder schwer atmend auf dem Boden zusammen brach.
 

Fluchend rappelte sich Clint auf und Raven, die einen Apfel über bekommen hatte, sprang wütend auf die Beine.

»Das gibt’s doch nicht!«, rief sie. »Jean, verdammte scheiße! Sie soll endlich mal lernen so wie Kurt zu teleportieren! Sie demoliert ständig alles!«

Sie ging zu Charles herüber, griff ihm unter die Beine und half ihm auf einen der Stühle, die umgefallen waren und Clint nun wieder aufstellte. Peter hatte es an die Küchenzeile geschleudert. Nicht einmal mit seinen Fähigkeiten war er auf die Druckwelle vorbereitet und er spürte ein schmerzhaftes Stechen in seinem Rückgrat.
 

»Was zur Hölle war das?«, fragte er, während er sich den Rücken rieb.

»Jean hat Charles teleportiert«, antwortete Raven knapp. Ehe jemand fragen konnte, warum und von woher, ertönte Wades Stimme aus dem Wohnraum: »Das hat sich nach viel Lärm angehört. Ich hoffe ihr prügelt euch doch nicht.«
 

Er erschien am Türrahmen und erblickte das Chaos.

»Okay. War das Jean oder täusche ich mich gerade?«, fragte er indem Moment indem Natasha und Logan an seine Seite traten. Sie hatten den Lärm ebenfalls gehört.

»Jean hat mir gesagt, dass was auf uns zu kommt«, erklärte Charles. »Sie hat gesagt... und das klingt jetzt sehr dramatisch, aber... sie hat gemeint, ein Sturm würde aufziehen.«

Von Göttern und Nachtkriechern

Es war ein wenig mehr als eine Woche nach Jeans dramatischer Vorhersage, da traf der Außenminister zur Beratung im weißen Haus ein. Von allen amtierenden, wichtigen Politikern hatte Außenminister Coy momentan wohl die meiste Arbeit. Die Probleme im Land waren nicht zu unterschätzen, doch die Spannungen zwischen Amerika und Russland erreichten langsam ihren Höhepunkt. Erst heute Morgen hielt Russlands Präsident eine öffentliche Rede, in welcher er Amerika zu Staatsfeind Nummer 1 erklärte. 'Ein Übereinkommen mit solch einer Macht', so hatte der gebürtige Russe gesagt, 'ist dieser Tage wie auch in Zukunft undenkbar.' Und nur Minuten später erzählte er der Welt ab heute aufzurüsten.
 

Minister Coy reagierte sofort und vereinbarte ein Treffen mit Präsident Kelly, der seine Macht vor vier Jahren ergriffen hat und bereits wiedergewählt wurden war. Er kam mit der Idee des Anti-Mutanten-Gesetzes, welches in den Mündern der Politiker als das 'Friedensabkommen' verherrlicht wird, und schaffte es vom Senator bis zum Präsidenten der vereinigten Staaten. Seine Wiederwahl war alles andere als gerecht gewesen. Vor einer Woche war er dem Demokraten vorgezogen wurden und dies sorgte für Empörung im ganzen Land. Schon immer waren die USA gespalten in Republikaner und Demokraten, doch dieses eine Mal waren sie sich alle einig: Kelly darf kein Präsident mehr sein!
 

Die Wahl war ein einziger Skandal und jeder wusste, dass die Statistiken gefälscht waren. Aber was sollen sie machen? Was können einfache Bürger schon gegen den mächtigsten Mann der Welt ausrichten? Dabei fühlte es sich in der Innen- wie auch Außenpolitik an als würde Kelly nichts unternehmen. Abgesehen von Gesetzen durchführen, die keinem gefallen und welche der Kongress mit größtem Widerwillen absegnete, verbrachte Kelly seine Amtszeit damit von der Bildfläche zu verschwinden und nur dann aufzutauchen, wenn er mehrmals darum gebeten wurde.
 

So konnte Minister Coy nur hoffen, dass der Präsident zum Treffen erscheinen würde. Vielleicht hatte er Glück und Kelly befand sich im weißen Haus, doch kaum war Coy ins geräumige, edle Büro geleitet wurden, wusste er, dass seine Hoffnung vergebens war.

»Präsident Kelly ist im Moment nicht zu haben«, sagte die asiatische Sekretärin mit ihren schwarzen, langen Haaren, die zu einem strengen Zopf zusammengebunden waren. »Sobald er da ist, werde ich ihm Bescheid sagen. Wollen Sie solange warten, Minister Coy?«

»Habe ich eine andere Wahl?«, seufzte der alte Mann. Weiße Haare, eine kahle kreisrunde Stelle am Kopf und tiefe Falten waren Beweis seines hohen Alters. Er war ein kleiner, fülliger Mann, der schon lange in der Politik war. Doch seit er denken konnte, war ihm nie ein schlechterer Politiker wie der amtierende Präsident unter die Augen getreten.
 

Die Sekretärin nickte knapp und verließ das Büro wieder. Dumpf fiel die Tür hinter ihr zu und Minister Coy ließ sich auf einem der sesselartigen Stühle nieder. Kelly wird es ihm wohl nicht übel nehmen, wenn er sich ungefragt hinsetzte. Schließlich ließ er ihn überhaupt erst warten. Und das in solch einer Krise. Coy würde es nicht einmal wundern, wenn der Präsident von der Rede nichts wusste. Was für schwere Zeiten sie doch durchmachen mussten...
 

In einem anderen Bereich des weißen Hauses bog einer der schwer bewaffneten Wachen um die Ecke und erkannte am Ende des Ganges einen Mann stehen. Er trug einen Hut, der tief ins Gesicht gezogen war, einen Mantel und einen Schal, die ihn komplett einpackten und dunkelblaue Schuhe. So sah niemand aus, der die Befugnis hatte ins weiße Haus zu gehen. Die Wache hob ihre Pistole und zielte damit auf den Kopf des Mannes.
 

»Keine Bewegung! Weisen Sie sich aus!«, befahl er. Doch der Eindringling regte sich nicht. Hinter seinem Rücken geschah eine Bewegung und dann sah die Wache die dreieckförmige, blaue Spitze eines Schwanzes unter dem Mantel erscheinen. Fast im selben Augenblick fiel der Wache auf, dass der Mann keine Schuhe trug. Stattdessen hatte er blaue Füße. Ein Mutant!
 

»Eindringling!«, brüllte die Wache in sein Headset, damit jeder seiner Kollegen es hören konnte. Nur eine Millisekunde später stand der Mutant plötzlich vor ihm und überwältigte ihn in Sekundenschnelle. Im Weißen Haus sprang eine ohrenbetäubende Alarmanlage an und Wachen wurden ins Büro gesendet, um den überrumpelten Außenminister zu beschützen. Die Hunter wurden alarmiert und der blaue Mutant arbeitete sich mithilfe von Teleportation und feinsten Kampftechniken quer durch das weiße Haus.
 

Keine Wache kam auch nur dazu zu schießen. Er war so schnell, dass die Überwachungskameras nur schwarze Rauchwolken auffingen, die die überforderten Polizisten ausschalteten. Durch die Schnelligkeit verlor der Mutant seinen Hut und gab dunkelblaue, zottelige Haare preis, die frech auf seine Stirn fielen. Darunter erstrahlten zwei durchdringend gelbe Augen und weiße, spitze Zähne, die sich in die Kehle eines der Wachen bohrten.
 

Unterdessen klopfte die asiatische Sekretärin voller Panik gegen die Bürotür, in welcher zehn Wachen bereit standen jeden Eindringling nieder zu schießen.

»Bitte, lasst mich rein!«, schrie sie. »Ich will noch nicht sterben! Ich hab doch eine Tochter!«

»Um Himmels Willen, lasst sie doch rein«, sagte Coy, der die junge Frau gut leiden konnte, weil sie ihm in seiner Wartezeit oftmals warmen Tee und Kuchen brachte. Widerwillig öffnete einer der Wachen die Tür und die Asiatin quetschte sich durch den Spalt hinein. Schnell wurden die Türen wieder verriegelt und die Wachen gingen zurück in ihre Ausgangsposition. Gerade in dem Moment in dem der Lärm schreiender Menschen und einseitiger Kämpfe verstummte und ein dumpfer Schlag vor der Tür ertönte. Für Minuten kehrte Stille ein.
 

»Sie sollten etwas wissen«, durchbrach die Sekretärin schließlich das Schweigen. »Ich habe gar keine Tochter. Das habe ich nur gesagt, um Ihr Mitleid zu erregen, damit Sie mich rein lassen.«

»Das spielt doch jetzt keine Rolle«, sagte Coy, dem der Schweiß ausgebrochen war.

»Oh doch, das spielt eine sehr wichtige Rolle«, widersprach die Frau. Ihre Panik von zuvor war wie zerflossen. Von ihrer Freundlichkeit, die der Außenminister in den letzten vier Jahren genossen hatte, war nichts mehr zu sehen. »Regel Nummer Eins, Minister Coy: Vertrauen Sie niemandem.«

»Wovon bitte reden Sie?«

»Ich bin Ihnen als Yuriko Omaya bekannt, doch ich bevorzuge es Lady Deathstrike genannt zu werden.« Untermalend zu diesen Worten fuhren lange, scharfe Krallen aus ihren Fingerspitzen hervor. Sie stellte sich in Kampfposition und ehe die Wachen auch nur realisieren konnten, was gerade geschah, erschien eine schwarze Rauchwolke im Büro, in welcher der blaue Mutant stand.
 

»Und sein Name ist Nightcrawler«, stellte Yuriko den Mutanten vor und schon griffen sie gemeinsam die Wachen an. Es dauerte nur wenige Sekunden und sie lagen am Boden. Bewusstlos durch Nightcrawler oder tot durch Lady Deathstrike. Minister Coy war bis ans andere Ende des Büros geflüchtet und drückte sich dort nun gegen die Wand. Er suchte nach einem Knopf, einem Hebel, irgendeiner Einrichtung des Präsidenten zu einem geheimen Fluchtort, doch er wurde nicht fündig. Die beiden Mutanten gingen gemächlich zu ihm hin. Yuriko fuhr die Krallen wieder ein, packte den ängstlichen Coy an der Schulter und griff nach der Hand von Nightcrawler. Und dieser teleportiere sie fort aus dem weißen Haus.
 

Hunderte von Kilometer entfernt, doch nur den Bruchteil einer Sekunde später, tauchten sie in der Kanalisation wieder auf. Einem ausgemachten Ort. Die Rohre waren mehrere Meter breit und hoch. Ein Bürgersteig schlängelte sich entlang der Seiten und in der Mitte floss ein Fluss, bestehend aus Abwässern. Ein widerlicher Geruch lag in der Luft. Coy verzog angeekelt das Gesicht, während Lady Deathstrike ihn vor sich her schob.
 

»Wohin bringen Sie mich?«, fragte Coy unter Husten.

»Nirgendwohin«, antwortete eine männliche Stimme, ehe Yuriko etwas sagen konnte. Ruckartig blieb sie stehen und drückte dabei Coy gegen die schmutzige Rohrenwand. Ihr katzenartiger Blick war in die Ferne geheftet, wo nach und nach aus den Schatten ein großer, breitschultriger Mann auftauchte. Seine Erscheinung war gewaltig und für die meisten furchteinflößend, ebenso wie der metallene Hammer in seinen Händen, doch Yuriko, die ihrerseits eine starke Mutantin war, verzog nur das Gesicht.
 

»Thor«, erkannte sie den Mann. »Welche Ehre, sollte ich sagen. Bitte verrate mir doch, warum du mich in meiner Arbeit störst.«

»Ich kann nicht zulassen, dass du diesen Mann mitnimmst, Yuriko«, sagte Thor. Beim Klang ihres bürgerlichen Namens verzog Yuriko abermals das Gesicht, doch Thor reagierte darauf nicht.

»Tatsächlich?«, fauchte Yuriko. »Du verschwindest von der Bildfläche, lässt uns alle im Stich, lässt deinen eigenen Bruder im Stich und nun tauchst du einfach so wieder auf und willst das Kommando übernehmen? Loki hat dich schon längst verstoßen, Thor!«

»Das weiß ich«, sagte Thor mit einem Hauch Bitterkeit in der Stimme. »Ich handele auch nicht im Sinne der Bruderschaft. Ich vertrete eure Meinung nicht mehr, sondern handele aus eigenen Beweggründen.«
 

Yuriko lachte schallend auf.

»Eigene Beweggründe?«, spottete sie. »Du redest doch nicht etwa von dieser Menschenfrau, die du kennen gelernt hast? Komm zur Besinnung, Thor! Du weißt es gibt nur eine Wahrheit und die liegt in den Händen deines Bruders.«

»Ich bin da anderer Meinung«, widersprach Thor. Sein Blick blieb kurz auf dem blauen Mutanten haften, dann begann er langsam den Hammer in seiner Hand zu drehen. »Zwinge mich nicht dazu ihn zu werfen.«

»Du bist stark, Thor. Nahezu unbesiegbar«, sagte Yuriko. »Aber denk daran, dass ich unsterblich bin. Bring ihn fort!«, rief sie danach Nightcrawler zu und stieß Coy zu ihm hin.
 

Es waren nur Millisekunden in welcher die blaue Hand noch nicht den Arm des Außenministers ergriffen hatte, da schoss der Hammer vor, geradewegs an Yuriko vorbei, die ihre Krallen erst ausfuhr und traf Nightcrawler in die Magengrube. Es schleuderte ihn hoch, beinahe in den Fluss hinein, doch im letzten Moment teleportierte er sich auf den Bürgersteig und brach dort unter Husten und Keuchen zusammen. Der Schlag hatte ihm sämtliche Luft aus den Lungen gepresst und er musste damit ringen, sich nicht zu übergeben.
 

Auf Kommando flog der Hammer zurück in Thors Hand und nun griff er Yuriko an. Sie konnte dem ersten Schlag ausweichen und schaffte es ihn mit den Krallen am Oberarm zu verletzen. Doch es waren nur oberflächliche Schnitte, denn Thors Haut funktionierte wie in Panzer. Mit der freien Hand packte er Yuriko um den Hals und hob sie mühelos empor. Sie begann seinen Arm mit ihren Krallen zu bearbeiten, doch der Schmerz machte Thor nichts aus.
 

»Du kannst mich nicht besiegen«, sagte er. »Zwing mich nicht dazu dich zu töten.«

Damit schleuderte er sie zur Seite. Yuriko stieß sich am Rohr hart den Kopf und fiel bewusstlos zu Boden. Thor ging zum verängstigten Coy und Nightcrawler herüber, der immer noch mit sich kämpfte. Mit sich selbst kämpfend holte Thor aus und verpasste dem Mutanten einen Schlag gegen den Kopf, sodass er ebenfalls bewusstlos wurde.
 

»Ich fürchte, wir müssen zu Fuß hier raus«, teilte er Coy mit, in der Hoffnung freundlich zu klingen, doch der Außenminister war vor Verwirrung und Angst wie erstarrt. Thor musste nicht nur Nightcrawler, sondern auch den Minister aus der Kanalisation heraus tragen.
 


 

Als die Abendnachrichten im Fernsehen kamen, konnte Wade kaum seinen Augen und Ohren trauen. Aus der Küche erklang Ravens Stimme, die hastig mit Logan stritt, der sich Bier kaufen gehen wollte und es nicht einsah, wie alle anderen auch, im Hauptquartier zu bleiben nachdem Jean ihnen die Unglücksnachricht gebracht hatte. Charles und Peter steckten bei Cerebro, Natasha beteiligte sich an der Diskussion zwischen Raven und Logan mit kühlen Kommentaren, Clint aß am Esszimmertisch Cornflakes und Jean hatte sich seit ihrer Nachricht nicht mehr blicken lassen.
 

Clint hielt inne, den Löffel noch im Mund, um dem Nachrichtensprecher zu lauschen, der einen Angriff auf den Außenminister verkündete. Dieser Angriff habe sich im weißen Haus zugetragen, die Sekretärin entpuppte sich als Mutantin und Komplizin des Attentäters, der als Kurt Wagner identifiziert wurde. Ein Foto von dem Mutanten wurde eingeblendet und Wade keuchte: »Niemals!«
 

»Was ist denn?«, fragte Clint verwirrt. »Kennst du den Kerl?«

»Ja!« Wade reckte sich und brüllte in Richtung Küche: »Das müsst ihr euch ansehen!«

»Nicht jetzt, Wade!«, fauchte Raven lauthals zurück.

»Nein, das müsst ihr euch wirklich ansehen!«, rief Wade. »Kurt ist im Fernsehen!«
 

Sofort waren Raven, Logan und Natasha im Wohnraum und bekamen gerade noch mit, wie der Nachrichtensprecher verkündete, dass es ein Belohnungsgeld für diejenige gab, die die beiden gesuchten Mutanten aushändigen konnten. Wade musste den drei erklären, was geschehen war und sie glaubten ihm kein Wort.
 

»Das ist unmöglich«, sagte Natasha bestimmend. »Kurt? Niemals.«

»Aber sie haben es gesagt«, erwiderte Wade. »Ist doch so, oder Clint?«

Nun waren alle Blicke auf Clint gerichtet, er bestätigte Wades Aussage mit einem Nicken.

»Aber Kurt... er würde keiner Fliege etwas zu leide tun«, sagte Raven. »Wie könnte er denn den Außenminister angreifen, den einzigen Mann in dieser Politik, der zu etwas zu gebrauchen ist?«

»Und wie könnte er all die Wachen ausknocken«, fügte Wade hinzu. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich. Aber es war definitiv sein Bild.«

»Da muss eine Verwechslung vorliegen«, schüttelte Logan den Kopf. »Und wenn, und auch wenn nicht, wir müssen ihn endlich finden und ebenfalls hierher bringen.«
 

Kaum da er diesen Satz zu Ende gesprochen hatte, kamen wie auf Kommando Charles und Peter in den Wohnraum gerannt, jauchzend und jubelnd, dass die anderen sie verwirrt anschauten.

»Wir haben's geschafft!«, reckte Peter beide Arme in die Luft.

»Eher gesagt hat Peter es geschafft«, strahlte Charles. »Er war unglaublich. Er hat den Fehler entdeckt, weshalb Cerebro all die Jahre nicht funktioniert hat und hat nur wenige Stunden gedauert, um ihn zu beheben. Das ist -« Charles stockte. Das Lächeln auf seinen Lippen verblasste und er starrte seine Mitbewohner entgeistert an.
 

»Was ist mit Kurt passiert?«, fragte er geschockt. Peter, der gar nichts verstand, hörte ebenfalls auf zu grinsen und blickte Charles verwirrt an. Ein weiteres Mal erklärte Wade, was er in den Nachrichten gesehen hatte und auch Charles konnte und wollte es nicht glauben.
 

»Aber wenn Cerebro jetzt funktioniert, kannst du ihn sofort suchen gehen«, sagte Logan und ging voran zu den Laboren. Die anderen folgten ihm ohne Erwiderungen.

Cerebro

Cerebro sah nicht sehr stabil aus. Als Charles die Metallplatte bestieg, knarzte die Maschine ein wenig und Natasha verzog missbilligend den Mund. Peter entging diese Geste nicht und sprach während er die Maschine hoch fuhr.

»Es sieht nicht sehr eindrucksvoll aus, ich weiß. Aber es funktioniert, ganz sicher!«

Charles zog sich den Helm über die Haare, presste ihn fest an seinen Kopf und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Flink huschten Peters Finger über die Knöpfe und Tasten und schließlich blickte er auf und fragte: »Bereit?«

»Leg los!«, nickte Charles.

Langsam legte Peter einen Hebel um und es hörte sich an als würde in der Ferne ein Flugzeug starten. Ein beständiges Summen, das immer lauter wurde, parallel dazu schienen weiße Lichter die, mit dem Helm verbundenen Kabel, hoch zu wandern und schließlich in Charles' Kopf einzudringen. Mit einem Schlag verstummte das Summen und Charles riss erschrocken Augen und Mund auf, umklammerte blitzartig das Geländer.
 

Sein Blick schien in anderen Dimensionen zu wandern. Er atmete schwer und die ausgeübte Kraft von Cerebro bereitete ihm sichtliche Schwierigkeiten, doch niemand entging sein Gesichtsausdruck, der voller Freude und Überraschen war. Als wäre er ein Fünfjähriger, der an Heiligabend die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum erblickte.
 

Raven hatte erschrocken beide Hände auf den Mund geschlagen und war hin und hergerissen zwischen Erstaunen und Entsetzen, sodass sie nicht einmal merkte, wie nervös Peter wurde. Jetzt, wo Charles unter der Haube steckte, wusste er gar nicht, wann er Cerebro wieder abschalten sollte. Ob Charles dazu in der Lage war mit ihnen zu kommunizieren? Scheinbar hatte Logan sich in diesem Moment dieselbe Frage gestellt, denn er fragte: »Kannst du mich hören, Charles?«
 

Einige Sekunden lang kam keine Antwort zurück, dann sagte Charles außer Atem: »Das ist unglaublich!«

»Heißt das, du kannst uns hören?«, fragte Logan ein weiteres Mal.

»Wenn ihr es nur spüren könntet!«, sagte Charles begeistert.

»Denk dran, dass du Kurt finden sollst«, warf Wade ein. Ein Ausdruck von Überraschen huschte über Charles' Gesicht. Anscheinend hatte er in der Aufregung ganz vergessen, warum sie überhaupt Cerebro ausprobieren wollten. So verfiel er nun in eine tiefe Konzentration und die anderen warteten.
 

»Wir hätten auch mal Jean fragen können, ob sie uns hilft«, murmelte Clint nach einer Weile.

»Kannst du vergessen«, schüttelte Wade den Kopf. »Die würde uns nicht helfen, solange nicht Charles derjenige welche wäre, der verschwunden ist.«

»Warum ausgerechnet Charles?«, fragte Clint. »Ist sie in ihn verliebt, oder?«

»Nein, er ist wie ihr kleiner Bruder, nur sind die beiden nicht verwandt«, erklärte Natasha und Peter, der sich über die Beziehung zwischen Jean und Charles bereits seit Monaten Gedanken machte, spitzte die Ohren.
 

»Also kennen sie sich schon lange?«, fragte Clint weiter. »Wieso hat sich Jean eigentlich niemals mir vorgestellt? Kann sie mich vielleicht nicht leiden, weil ich ein Mensch bin?«

»Ob Mensch oder Mutant, macht in ihren Augen keinen Unterschied«, erwiderte Natasha. »Sie ist so mächtig, dass man sie nicht ansatzweise mit irgendeinem anderen Wesen dieser Welt vergleichen könnte. Für sie ist es unmöglich sich mit uns zu identifizieren. Vermutlich sind wir ihr auch nicht annähernd wichtig.«

»Aber Charles schon?«

»Ja«, sagte Natasha. »Sie sind gemeinsam im gleichen Waisenhaus aufgewachsen, weißt du.«
 

Clint schien diese Information nicht sehr zu schockieren, doch Peter traf es wie ein Schlag. In einem Waisenhaus aufgewachsen. Dann müssen Charles' Eltern sehr früh gestorben sein oder sie hatten ihn einfach verlassen, so wie es Peters Eltern mit ihm gemacht hatten. Wenigstens hatte er noch Verwandte, die sich um ihn gekümmert haben. Doch in einem Waisenhaus. Die Vorstellung war für Peter furchtbar!
 

»Hab ihn!«, rief Charles und lenkte so aller Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Hab ihn! Schalte die Maschine aus!«

Sofort fuhr Peter alles nach und nach herunter. Als auch das letzte Lämpchen nicht mehr leuchtete, nahm Charles den Helm vom Kopf und kam mit wackeligen Beinen vom Podest herunter. Logan und Wade griffen ihm unter die Arme und halfen ihm bis zum nächsten Stuhl. Charles zitterte am ganzen Körper. Er rieb sich mit den Fingern über die Schläfen und schien sich nicht ganz einig zu sein, welche Emotionen er zeigen sollte. Er lachte, doch Tränen standen in seinen Augen und ein Ausdruck von Verzweiflung malte sich auf seinem Gesicht ab. Alle waren besorgt, nur Peter sah diese Reaktion als völlig normal an.
 

»Er musste gerade in viele Köpfe von unterschiedlichen Menschen überall auf der Welt blicken und hat ihre Emotionen durchlebt als wären es seine. Das war eine Achterbahnfahrt der Gefühle«, erklärte er sachlich.

»Oh ja«, stimmte Charles zu, der so langsam wieder seine eigenen Emotionen zurück fand und so das Lächeln auf seinen Lippen verlor. »Es war unglaublich so vielen Menschen so nahe sein zu können, aber was ich gespürt habe, war nicht immer gut.«

»Mich wundert es, wenn da überhaupt irgendwas gut war«, sagte Logan grummelnd. »Und nun sag schon, wo ist Kurt?«

»In einer Kirche am Stadtrand«, antwortete Charles. »Er ist völlig durcheinander. Ich habe Scham gespürt, Verzweiflung und Angst. Er möchte gerne zu uns kommen, aber irgendetwas hindert ihn daran, ich habe nur nicht begreifen können, was.«

»Was auch immer es ist, ich werde es umbringen!«, sagte Wade. »Wer begleitet mich?«
 

Bevor irgendjemand etwas sagen konnte, streckte Peter eine Hand in die Höhe und rief: »Ich!«

Nun wandten sich sämtliche Blicke ihm zu.

»Das halte ich für keine gute Idee«, sagte Raven sogleich. »Du bist noch nicht soweit.«

»Der Meinung bin ich nicht«, widersprach Wade. »Erstens wäre er nicht alleine, zweitens hat er gute Reflexe und drittens hängt er schon seit Monaten hier rum. Er sollte mal wieder an die frische Luft kommen.«

»Auch wenn er nicht alleine ist, kann ihm etwas passieren. Wir haben ja gesehen, dass die Hunter dazu in der Lage sind auch dich einzufangen«, zischte Raven. »Er sollte hier bleiben.«

»Ich denke er ist alt genug das selbst zu entscheiden«, sagte Wade.

»Er ist zu unerfahren, um es selbst zu entscheiden«, warf Raven ein. Bevor ihre Diskussion in einen Streit ausarten konnte, schalteten sich Natasha und Charles dazwischen.
 

»Ich bin auf Wades Seite«, sagte Natasha fast zeitgleich mit Charles, der jedoch verlauten ließ, dass er Ravens Meinung teilte. Nun blickte Natasha die Lippen spitzend Charles an und Clint, der diesen Blick nur zu gut kannte und wusste, dass darauf nichts Gutes folgen konnte, warf hektisch ein: »Warum sollte der Junge denn nicht mal aus dem Haus kommen? Ich persönlich fände es auch toll mal wieder frische Luft schnappen zu können.«

»Du willst mitgehen?«, fragte Natasha.

»Ja, warum denn nicht?«

»Dann steht das Team also fest«, klatschte Wade in die Hände. »Clint, Natasha, Peter und ich begeben uns an diese Kirche. Das wird ein schönes Doppeldate.«

»Ich fürchte Charles müsste schon mitkommen«, sagte Natasha. »Oder denkst du, du findest diese Kirche alleine? Zu fünft sind wir außerdem zu viele. Wade, Peter und Charles sollten zusammen gehen. Hast du etwas dagegen?« Sie wandte sich direkt an Raven, die missbilligend die Lippen verzog. Als sie keine Antwort gab, meinte Logan: »Ihr solltet gehen, aber nehmt ein Headset mit falls es Probleme gibt. Wie weit ist es bis zur Kirche?«

»Vier Stunden zu Fuß«, antwortete Charles. »Kurt bringt uns dann zurück.«

»Gut.«
 

Die Aussicht auf einen vier Stunden Fußmarsch an der frischen Luft erfreute Peter ungemein. Von Raven wurde er in eine warme Lederjacke gepackt, die eigentlich Logan gehörte und Peter dementsprechend viel zu groß war. Außerdem zwang sie ihn eine Wollmütze über den Kopf zu streifen. Erst als er ausreichend warm angezogen war, ließ Raven ihn mit Charles, Wade und drei Taschenlampen das Hauptquartier verlassen. Clint blickte ihnen sehnsüchtig hinterher und warf einen flüchtigen Blick zu Natasha. Ein Betteln, ob sie nicht auch für ein paar Minuten den Unterschlupf verlassen könnten, doch sie blieb hartnäckig.
 

Kaum hatten sie das Hauptquartier verlassen, streckte Peter die Hände aus und atmete die kühle Luft ein, die sanft in seinen Lungen brannte. Es war ein unglaublich tolles Gefühl, wie die Kälte in seine Haut kroch. Früher hatte er es gehasst, doch nach Monaten unter der Erde, war es das schönste Gefühl dieser Welt. Genussvoll schloss Peter die Augen, da bekam er von Wade einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst.
 

»Wenn du jetzt noch 'Ich bin der König der Welt' schreist, muss ich dir glaube ich richtig eine verpassen«, sagte Wade und trotz seiner Maske konnte Peter das Grinsen erkennen.
 

Es musste wohl über Nacht geregnet haben, denn die Straßen und Felder waren durchnässt. Nach nur wenigen Schritten spürte Peter die Nässe und Kälte durch seine Schuhsohlen kriechen, doch es machte ihm nichts aus. Er folgte Charles und Wade einen breiten Trampelpfad entlang, der schlammig war und viele Pfützen bereit hielt und als sie an dessen Ende auf die asphaltierte Landstraße gelangten, waren sie bis zu den Waden durchnässt.
 

»Das gibt sicher eine Erkältung«, murmelte Charles missmutig.

»Für euch vielleicht, ihr kleinen Memmen!«, sagte Wade und ging den Beiden voraus. Sie schritten neben der Landstraße entlang und Peter genoss es wieder draußen zu sein. Während Charles nach einiger Zeit die Entscheidung zu Fuß zu gehen bereute, federte Peter erfreut neben ihm einher.
 

»Darf ich eigentlich auch mal in die Stadt, wenn ich richtig gut mit meinen Fähigkeiten umgehen kann?«, fragte er nach einiger Zeit.

»Bist du verrückt?«, entgegnete Charles. »In Städten sind die Sicherheitsvorkehrungen gegen Mutanten um einiges höher als draußen auf dem Land. Jede Sekunde in New York könnte deine Letzte sein. Vergiss es.«

»Aber -«

»Und überhaupt, was willst du denn dort?«, fragte Charles mit gerunzelter Stirn. »Du kannst die Großstadt doch gar nicht leiden.«
 

Peter bekam rote Ohren und daran war nicht die Kälte Schuld. Noch bevor Charles aus seinen Gedanken die Antwort erfassen konnte, ließ sich Wade mit einem Grinsen zurückfallen, sodass er auf der anderen Seite neben Peter ging und säuselte grinsend: »Da gibt’s jemanden, den du wiedersehen möchtest oder? Ein Mädchen oder einen Jungen?«

»Ein Mädchen!«, antwortete Peter empört und seine Ohren nahmen die Farbe von reifen Tomaten an.

»Hey, es ist nichts Schlimmes daran in einen Kerl verliebt zu sein, okay? Obwohl, du bist 17, da geht so was ja nicht«, scherzte Wade und bekam dafür einen bösen Blick eingefangen.

»Peter«, sagte nun Charles mit einfühlsamer Stimme und Wade, der mit gefühlvollen Gesprächen nichts anfangen konnte, legte wieder einen Zahn zu. »Hör zu, du würdest sie nur in Gefahr bringen, wenn du sie triffst. Am besten ist es, du vergisst sie einfach. Eine Beziehung zwischen Mensch und Mutant hat keine Zukunft.«

Als Peter keine Reaktion auf die Aussage zeigte, hakte Charles mit einem »Verstanden?« nach und der Junge sagte widerwillig: »Ja, verstanden.«
 

Über Headset war Wade mit Logan verbunden und niemand wusste genau, warum ausgerechnet die Beiden den Kontakt halten sollten. Jedes Mal, wenn sich Logan mit der Frage »Alles klar bei euch?« meldete, endete es in einer wilden Diskussion in denen vulgäre Ausdrücke fielen, die Peter noch nie zuvor gehört hatte. Und er hatte in der Highschool so einiges gehört. Wades teils belustigter, teils erzürnter Stimme lauschend, ließ Peter den Blick gen Himmel streifen. Es war eine klare Nacht, ein Sternenzelt erstreckte sich wie eine große Decke über sie und der Mond hüllte die Bäume und Sträucher am Wegrand in silberne Schemen. Wie schön die Nacht doch sein konnte. Peter hatte es nie zu schätzen gewusst.
 

Mit den Taschenlampen leuchteten sie sich ihren Weg und die Nacht wurde zunehmend kälter. Langsam begann Peter richtig zu frösteln, seine Zehe waren taub, seine Finger trotz Handschuhe fühlten sich erfroren an. Hoffentlich waren sie bald da. Wenn es doch nur nicht so kalt wäre.
 

»Ich hab doch schon genug vom Spaziergang«, sagte Peter nach der Zeit und Charles musste lachen. Dem Jugendlichen fiel auf, dass er Charles nicht häufig lachen sah. Genau genommen hatte er immer das Gefühl er wäre innerlich ein wenig zerrissen. Vielleicht nicht nur ein wenig. Und jetzt da er von der Sache mit dem Waisenhaus wusste, war er sich ganz sicher, dass es Charles nicht gut ging. Schwere Kindheit, schwere Jugend, dann kamen vier Jahre Gemeinschaft und Familie und dann das Anti-Mutanten-Gesetz, wodurch ihm seine Familie unter den Händen weggestorben war. Nein, Peter war sich sehr sicher, dass es Charles sehr schlecht ging. Und da stellte sich Peter eine neue Frage: Hatte Charles schon einmal eine Beziehung gehabt? Er würde gerne fragen. Die Beiden verstanden sich so gut, man möchte meinen sie könnten über alles miteinander reden, doch mal wieder traute sich Peter nicht eine so persönliche Frage zu stellen. Schließlich sprach nichts dagegen, dass er eine Freundin während seiner Zeit bei den Avengers hatte und sie von den Huntern umgebracht wurden war. Und daran wollte er sicher nicht erinnert werden.
 

So am grübeln verschwieg sich Peter eine ganze Weile, bis Charles endlich sagte: »Da ist sie.«

Ich habe gesündigt

Tut mir Leid, dass es mit dem Kapitel solange gedauert hat. Ich befinde mich momentan in den Abitur-Arbeiten und habe leider nicht so viel Zeit zum Schreiben. Ich versuche trotzdem so oft wie möglich ein Kapitel hochzuladen! Vom ersten Teil werden auch nicht mehr allzu viele Kapitel online kommen!
 

______
 

Von der Landstraße entfernte sich ein Trampelpfad, zu achtzig Prozent bestehend aus Pfützen. Schon aus der Ferne konnte man die Kirche sehen, welche sich aus der Wiese empor hob. Sie sah baufällig aus, große Teile des Daches fehlten, die bunten Farben der Fenster waren verschmutzt. Einige Scheiben waren eingeschlagen und die doppelseitigen Türen aus dunklem Ebenholz hingen aus den Angeln. Zögerlich blieb Peter vor der gewaltigen Baute stehen.
 

»Ist das sicher?«, fragte er, zur Antwort zuckten Wade und Charles gleichzeitig mit den Schultern und betraten ohne viel Federlesen die Kirche. Unsicher folgte Peter ihnen. Ihre Schritte hallten auf dem steinernen Boden wieder. Holzbalken spannten sich über ihnen an der Decke entlang, gaben viel Platz für Verstecke. Einige Taube flatterten zwischen den Balken entlang. Die Kirche an sich schien nur aus einem großen Raum zu bestehen, in welchem sich nichts mehr befand. Keine Bänke, kein Altar, nichts, nur ein hölzernes Kreuz an der Stirnseite, in welcher Jesus gekreuzigt hing. Halb schwarz, halb weiß durch die abgeblätterte Farbe und mit einem zerbrochenen Dornenkranz auf dem Kopf.
 

»Kurt?«, rief Charles laut. Peter war sich ziemlich sicher, dass der Mann nicht hier war. Er würde sich wohl kaum zwischen den Balken verstecken.

»Kurt, wir wissen, dass du hier bist«, rief Charles. »Es ist okay, du kannst raus kommen. Wir wollen dich zurück ins Hauptquartier bringen. Es ist für dich einfach nicht mehr sicher in der Außenwelt.«

Keine Antwort.
 

»Sicher, dass er hier ist?«, fragte Peter.

»Ja, natürlich«, antwortete Charles.

»Okay Kurt, soll ich bis Drei zählen?«, war nun Wade an der Reihe. »Du weißt, dass wir dich so oder so hier rausbekommen und wenn du dich fort teleportierst, dann finden wir dich trotzdem wieder und dann trete ich dir ordentlich in den -«

»Wade!«, mahnte Charles, dann wandte er sich wieder dem nicht vorhandenen Kurt zu: »Er meinte, wenn du dich fort teleportierst, begeben wir uns wieder in die Gefahr von den Huntern gefangen genommen zu werden, um dich zu suchen.«
 

Eigentlich hatte Peter nicht erwartet, dass es klappen würde, in dem man versucht Kurt ein schlechtes Gewissen einzureden, doch zu seiner Überraschung, tauchten in einer dunklen Ecke zwischen den Balken zwei große, gelbe Augen auf. Ähnlich wie die von Raven. Dazu gehörte ein schmales Gesicht blauer Hautfarbe und verwuschelte, dunkle Haare. Kurt trug abgetragene, alte Klamotten, verschmutzt und löchrig. Sicher musste er darin furchtbar frieren.
 

»Bringt euch nicht meinetwegen in Gefahr«, sagte Kurt flehentlich und im nächsten Moment war er mit einem leisen Knall in schwarzem Rauch verschwunden. Ein paar Meter entfernt tauchte er beinahe im selben Moment wieder auf. Nun konnte Peter erkennen, dass er keine Schuhe trug und, dass seine Finger in spitzen, schmalen Nägeln endeten.

»Geht wieder nach Hause und lasst mich in Ruhe. Ich habe das nicht verdient!«
 

Und schon teleportierte er sich in eine andere Ecke der Kirche. Leise murmelte Charles: »Er macht das immer, wenn er nervös ist.«

»Red' keinen Unsinn«, rief Wade. »Du kommst jetzt mit zurück ins Hauptquartier, bevor ich dich zwingen muss.«

»Aber ich habe gesündigt«, sagte Kurt und klang dabei als stünde er kurz vor dem Weinen.

»Gesündigt«, spottete Wade und verdrehte die Augen. Durch alles, was Peter so in den letzten Wochen über ihn erfahren hatte, wunderte es ihn nicht, dass Wade diese Aussage verspottete. Er hatte sicher schon so viele Menschen in seinem Leben umgebracht, dass er die Anzahl nicht einmal mehr einschätzen konnte. Vielleicht war das der Grund, warum Wade so wenige Stunden Schlaf brauchte...
 

»Was hast du denn getan?«, fragte Charles. Sein Blick huschte Kurt hinterher, der sich nun noch schneller quer durch die Kirche teleportierte. Dabei blieb er jedoch stets in den Dachbalken. Anscheinend hatte er Angst den Dreien zu nahe zu kommen.

»Furchtbares. Ihr werdet mich hassen!«, klagte Kurt. »Aber es tut mir Leid, ich wollte es nicht, mir blieb keine andere Wahl. Ich hab mich dagegen gewehrt, aber der Zepter verstärkt seine Macht. Es ist unmöglich sich seinem Bann zu entziehen. Und er wird mich wieder finden. Und weiter versuchen mich dazu zu zwingen ihm alles zu verraten.«

»Wer er?«, fragte Wade verwirrt. »Der Zepter?«

»Nein, derjenige, dem der Zepter gehört«, widersprach Charles, der die Stirn nachdenklich gerunzelt hatte. »Hat dieser jemand einen Namen?«

»Ich darf ihn nicht verraten. Er wird mich umbringen«, sagte Kurt und nun stoppte er in seinem nervösen Hin und Her. Für einen Moment glaubte Peter er wäre aus der Kirche verschwunden, denn er konnte ihn nicht mehr sehen, doch dann hörte er ganz leise ein klägliches Weinen aus einer dunklen Ecke der Balken. Die drei am Boden stehenden warfen sich missmutige Blicke zu. Peter erschrak ein wenig über den wütenden Ausdruck in Wades Augen.
 

»Charles, mach schon. Ich will wissen, wer dieser Kerl ist und ihn kalt machen«, zischte Wade. »Kurt würde keiner Fliege etwas zu leide tun, wie kann jemand -« Er stoppte mitten im Satz und polterte dann: »Halt die Klappe, Logan!«

»Ich kontrolliere nicht gerne die Gedanken von anderen Menschen und schon gar nicht von Freunden«, erwiderte Charles. »Ich denke, wir bekommen ihn da auch anders herunter...« Für einige Sekunden verharrte sein Blick auf Peter, dann begann er zu lächeln und rief: »Mal was anderes, Kurt, wusstest du, dass wir seit einigen Monaten einen neuen Mitbewohner haben?«
 

Tatsächlich hörte Kurt auf zu weinen und seine gelben Lampenaugen erleuchteten durch die Dunkelheit. Sie waren direkt auf Peter gerichtet.

»Er wohnt bei euch?«, fragte Kurt mit erstickter Stimme.

»Ja, Logan hat ihn vor den Huntern gerettet und zu uns gebracht. Er heißt Peter Parker.«

»Und er ist ein Spiderman«, fügte Wade mit einem frechen Grinsen hinzu. »Das ist verdammt cool, du müsstest ihm mal beim Training zu schauen. Ihr könntet zusammen trainieren, das würde euch beiden sicher viel bringen.«
 

Peter war über Wades Feinfühligkeit – so konnte man es im Wades Fall nur bezeichnen – sichtlich verwundert. Ihm war schon vorher aufgefallen, dass Wade zwar ein gnadenloser Killer sein konnte, doch im Grunde ebenfalls ein Herz besaß. Und in diesem Herz – so verschlossen, kalt und verbittert es auch der Allgemeinheit gegenüber stand – hatte er einige Menschen oder besser gesagt Mutanten eingeschlossen. Ein Lächeln zuckte über Peters Lippen bei dem Gedanken an die Frage, ob Logan ebenfalls zu diesen Personen gehörte. Irgendwo vielleicht schon, aber das würde Wade niemals zugeben.
 

»Ich sollte ihn nicht kennen lernen«, erwiderte Kurt. »Dann bringe ich ihn ja auch noch in Gefahr!«

»Jetzt mach doch nicht gleich so eine Drama daraus – Charles!« Wade wandte sich wieder dem Telepathen zu und sah nun genervt aus. »Mach endlich oder ich hol ihn darunter!«

»Kurt, es tut mir schrecklich leid«, seufzte Charles, berührte mit den Fingerspitzen seine Schläfe und nur eine Sekunde später stand Kurt direkt vor ihnen.
 

Nun konnte Peter Narben auf seiner Haut erkennen. Beim zweiten Mal hinsehen waren es jedoch Tattoos, eingebrannt in die blaue Haut, feine Linien, Kreise, Kreuze, Worte auf Latein. Kurt streckte beide Arme aus und Charles und Wade umgriffen seine Hände.
 

»Los, Peter, du musst ihn auch berühren«, sagte Charles. Teleportieren. Jetzt würde Peter also erfahren, wie sich das anfühlt. Hoffentlich nicht zu schlimm... Peter umfasste Kurts Handgelenk und schon hatte er das Gefühl in tausend Stücke zerrissen zu werden. Für Millisekunden verlor er den Boden unter seinen Füßen, dann schlug er so hart auf Fließen auf, dass er zur Seite umfiel. Vielleicht war er körperlich anwesend, doch er hatte keinerlei Gefühl in seinen Nerven. Nach und nach schienen seine Innereien ebenfalls anzukommen und erst nach ein paar Sekunden bemerkte Peter, dass er nicht einmal mehr atmete. Keuchend und hustend wurden ihm seine Umgebung und sein eigener Körper klarer. Er blieb flach auf dem Boden liegen, da er Angst hatte sich übergeben zu müssen, wenn er sich nun bewegte.
 

Schritte schallten über die Fließen, jemand kniete sich neben ihn und dann sah er auf in Ravens Gesicht.

»Glückwunsch, Peter«, lächelte sie. »Die meisten kotzen beim ersten Mal.«

Peter wollte darauf einen bissigen Kommentar geben, aber er brachte nicht mehr als ein würgendes Husten hervor. Sie half ihm beim Aufstehen und er ließ sich mit zitternden Knien am Küchentisch nieder. Charles und Wade schienen von dem Teleportieren nicht ansatzweise beeindruckt. Ihre Blicke galten Kurt, der sich in der hintersten Ecke der Küche herumdrückte und das Gesicht in den Händen vergrub.
 

Außer Raven war noch Logan in der Küche, der das Headset aus den Ohren nahm, über welches er mit Wade verbunden war. Wo die anderen waren, wusste Peter nicht. Sie alle schauten nun Kurt an, der den Kopf schüttelte und zitterte als wäre etwas sehr schreckliches geschehen.
 

»Also Kurt«, sagte Charles nun so ruhig wie möglich. »Wer ist dieser jemand mit dem Zepter von dem du gesprochen hast?«

»Dir kann hier nichts passieren, Kurt«, fügte Raven hinzu. »Wir beschützen dich doch.«

»Es ist Loki«, brachte Kurt hervor und blickte sie mit hervorquellenden, gelben Augen an. »Er hat den Zepter, der den Willen eines jeden kontrolliert und er hat Fähigkeiten wie ein Gott. Und ich habe ihm verraten, wo Wade war und, wo Natasha mit ihrem Freund wohnt -« Er brach ab und vergrub wieder das Gesicht in seinen Händen.

»Er hat deinen Willen kontrolliert«, sagte Charles, während sich die anderen vielsagende Blicke zuwarfen. Darum also die ganzen Angriffe in letzter Zeit... »Du wolltest sie nicht verraten.«

»Aber das ändert nichts daran«, schluchzte Kurt nun. »Dass ich mir nicht sicher bin, ob ich ihm verraten habe, wo sich das Versteck befindet!«
 

Es ging alles ziemlich schnell.

Erst kam die Panik, dann der Streit, dann normale Diskussionen, dann wurden Entscheidungen gefällt. Und das alles, so kam es Peter vor, innerhalb von wenigen Sekunden. Er wusste nicht wirklich, was sie nun vorhatten, aber er musste seine Tasche schnell packen. Nicht einmal Zeit zum Jacke ausziehen blieb ihm, da wurde er auch schon wieder aus dem Versteck bugsiert. Irgendwo in dem Chaos waren ihm die roten Flammenhaare von Jean aufgefallen und ihre sonst so verschleierten, kalten Augen sahen ganz erregt aus. Ständig faselte sie etwas von einer nahen Zukunft und davon, dass sie dachte, es wäre mehr Zeit geblieben. Schließlich stand Peter draußen in der nassen Kälte, gemeinsam mit Logan und Raven, die sich in eine wunderhübsche, blonde, junge Frau verwandelte. Ihre Gesichtszüge glichen ohne Zweifel der blauen Raven und Peter fragte sich, ob dies vielleicht ihr Aussehen wäre, wäre Raven einfach nur ein Mensch.
 

»Fahr vorsichtig«, sagte Logan und übergab Raven widerwillig die Schlüssel zu seinem Motorrad. »Du kennst den Weg?«

»Natürlich. Auch wenn ich lange nicht mehr dort gewesen war!«, sagte Raven, packte Peter am Arm und zog ihn mit sich in Richtung des Schuppens, in dem Logans Motorrad untergebracht war.
 

»Wo genau wollen wir jetzt hin?«, fragte Peter verstört.

»Ich muss dich woanders in Sicherheit bringen, solange bis wir wissen mit was wir es genau zu tun haben und worauf wir uns vorbereiten müssen«, antwortete Raven. Sie erreichten den Schuppen schnell. Sie schloss die Türen auf und verstaute Peters Tasche unter dem Motorradsitz, dann drückte sie ihm einen der Helme in die Hand, die auf den Regalen lagen und stülpte sich selbst einen über den Kopf.

»Wo ist denn woanders?«, fragte Peter weiter. »Ich hab keine Lust schon wieder irgendwo hingebracht und festgehalten zu werden, weil ich zu schwach für die Außenwelt bin.«

»Es tut mir leid, aber als Mutant hast du nun einmal nicht so viele Freiheiten«, seufzte Raven. »Aber keine Sorge, ich denke dir wird es dort weitaus besser gefallen wie hier bei uns.«
 

Sie schob das Motorrad auf die Straße und die beiden setzten sich auf. Peter schlang seine Arme um Ravens Bauch und schon fuhren sie los in Richtung Stadt. Die Lichter der Hochhäuser erstrahlten bereits von weitem in der Dunkelheit. Sie fuhren ins Zentrum, überall fuhren Taxi und Autos durch welche sich Raven einfach durch schlängelte. Menschen waren auf den Straßen unterwegs. Es war laut, was Peter gar nicht mehr gewöhnt war. Doch gerade fühlte er sich wieder wie dieser 17-Jährige Junge, der einfach nur ein Teil von einem Ganzen war. Nie etwas besonderes. Einfach da. Aber er wusste, dass es nicht mehr so war. Jetzt war er ein Mutant, von der Gesellschaft geächtet, von den Huntern gejagt und von einer Gestaltwandlerin irgendwo in Sicherheit gebracht von einem anderen Mutant, der aus irgendeinem Grund den Tod der ehemaligen Avengers wollte.
 

Seltsam, wie schnell sich das Leben verändern konnte.

Peter musste wieder an Gwen denken und in ihm kam die seltsame Hoffnung auf, er könnte rein zufällig einen Blick auf sie erhaschen, wie sie mit Freunden durch die Stadt schlenderte. Nur, um endlich zu wissen, ob sie noch lebte oder, ob die Hunter wussten, dass sie mit Peter etwas zu tun hatte. Er hatte Angst, dass ihr dasselbe zugestoßen war wie seiner Tante May.
 

Quer durchs Zentrum fuhr Raven schließlich in ein Parkhaus und dort in die Etage, welche unter der Erde lag. Von den Wänden hallte das Geräusch des Motors wieder. Sie blieben vor einer eisernen Garagentür stehen, die bereits am rosten war. Rechts an der Wand, gleich neben der Tür, befand sich ein weißer Kasten, der ebenfalls uralt sah und rostete. Umso erstaunte war Peter als Raven diesen Kasten öffnete und ein hochtechnisierter Computer zum Vorschein kam. Mit einer blauen Fläche auf welche Raven ihre Hand presste. Es dauerte ein paar Sekunden, dann erkannte der Computer sie mit einem Piepsen und öffnete die Garagentür. Raven schloss den Kasten wieder, setzte sich aufs Motorrad und fuhr weiter.
 

Die Tür schloss sich automatisch hinter ihnen. Ein langer, dunkler Tunnel erstreckte sich vor ihnen, der nur spärlich vom Licht des Motorrades erhellt war. Minutenlang fuhren sie nur über die unebene Straße, bis sie abrupt abbremsten. Sie waren am Ende des Tunnels angekommen in einem quadratischen Raum aus grauem Beton, in dem sich absolut nichts befand.
 

»Warte«, sagte Peter empört. »Soll ich etwa für ne Weile hier bleiben?!«

»Nein«, sagte Raven. »Wir sind noch nicht fertig. Komm, steig ab.«
 

Sie schritten vom Motorrad weg zu einem Stück wand, welches sich heller vom Rest der Farbe abhob. Raven presste beide Handflächen auf die Fläche und sie gab nach. Ein kleines Stück sackte sie nach hinten und fuhr dann mit einem Sausen zur Seite. Peter klappte der Mund auf als er dahinter einen Aufzug erkannte. Er hatte absolut keine Ahnung, wohin diese Reise gehen würde. Neugierig stieg er mit Raven ein. Es gab nur zwei Knöpfe. Raven klickte den unteren. Die Tür schloss sich und sie fuhren ratternd nach oben. Der Aufzug wackelte ein wenig.
 

»Er wurde lange nicht mehr benutzt«, sagte Raven. »Aber er sollte uns schon halten.«

Peter fand dies nicht sonderlich ermutigend, doch der Aufzug brachte sie sicher nach oben bis er endlich anhielt und sich die Türen öffneten. Erneut klappte Peter die Kinnlade herunter. Sie befanden sich mit Sicherheit viele, viele Meter über der Stadt in einem hohen Stockwerk in einer Wohnung wie sie Peter noch nie zuvor gesehen hatte. Neben einer langen, weißen Couch und einem riesigen Flachbildschirm befanden sich mehrere bläulich, schimmernde Bildschirme, die Peter aus dem Hauptquartier kannte. Eine Theke stand dem ganzen gegenüber mit Vitrinen voller Alkoholflaschen und dies alles direkt vor einer Fensterwand, durch die man einen Überblick über die ganze Stadt hatte. Nun glaubte Peter zu wissen, wo er war, doch er wusste es erst zu hundert Prozent als sich eine männliche Computerstimme einschaltete und sagte: »Willkommen im Stark Tower.«



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (25)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Witch23
2013-01-21T18:03:34+00:00 21.01.2013 19:03
Hey Das Leben was man Lebt geht vor. Und schreiben so schön es manchmal ist ist solange damit kein Geld verdient wird oder es für Job, Schule oder Studium benötigt wird ist eben "nur" ein Hobby.

Und solange es weitergeht ist Wartezeit noch das kleinere übel.

So nun zu anderem. Zu Wade weis ich eigentlich gar nichts. Ich habe davon gehört und ein paar Comics mit ihm gesehen, das war es aber auch schon.

Derzeit bin ich auf die weitere Entwicklung der Geschichte arg gespannt. Vor allem weil Peter jetzt in "Sicherheit" gebracht wurde und zwar zu Antony Stark/Ironman.

Und danke für die Erklärung das bei dir alle Mutanten sind. Für mich ist immer auch wichtig zu wissen wie stark und wo die großen Abweichungen sind, damit ich in meiner Vorstellung nicht zu sehr mit bekanntem Vergleiche. Aber da du schon einiges verändert hast, ist das auch schon nicht mehr so relevant. nur was bei dir wie funktioniert ist noch von Interesse.

Ich bin mal gespannt.
Antwort von:  SukiChii
21.01.2013 19:30
Danke für den Review und das Verständnis. (:
In Teil 2 wird noch viel zu den Mutanten erklärt werden. Dass es z.B. Jean geben kann, eine Mutantin, die so viel stärker ist als alle anderen. Loki und Thor gehören ebenfalls zu diesem Schlag Mutanten, die beinahe schon wie 'Götter' auf Erden sind!
Ich finde es gut, dass du Sicherheit gleich mal in Anführungszeichen gesetzt hast. :D Peter ist jetzt nämlich nirgends mehr sicher!
LG
Von:  Black_Polaris
2013-01-12T21:15:33+00:00 12.01.2013 22:15
ich liebe diese ff einfach der wahnsinn wieviel liebe da drin steckt
Antwort von:  SukiChii
21.01.2013 12:12
Danke, danke, danke für die lieben Kommentare! :D
Von:  Witch23
2012-12-28T18:40:17+00:00 28.12.2012 19:40
So vorerst letzter teil. Ich habe im laufe der Kapitel einige Fehler gelesen und auch überlesen, vor allem weil Animexx es einem nicht gerade einfach macht diese kurz aufzuzeigen. Es sind auch nicht unbedingt schwerwiegende Fehler, aber häufig wurden an stelle von worden. Zumindest so oft das ich es mir ohne Probleme merken konnte. ^_^°
Die Geschichte ist recht interessant aber auch verworren und mit dem ganzen mageren wissen was ich eh über das Marvel Universum habe wird es wohl nochmal um einiges verworrener.
evtl lösen sich einige meiner Fragen im laufe der zeit, abwarten ^_~
Und warten muss ich ja jetzt eh eine weile XD
Antwort von:  SukiChii
21.01.2013 12:09
Tut mir Leid, dass es solange mit dem Kapitelschreiben dauert, habe momentan viel mit Lernen zu tun. :)
Danke erst mal für die ganzen Kommentare. War ne Weile nicht mehr auf animexx online, aber ich kann dir jede offene Frage beantworten. :D
Erst einmal zu Raven: Sie ist eine Gestaltwandlerin. Bei anderen Mutanten besteht die Gefahr, dass sie über Videokamera etc. an ihrem Aussehen erkannt werden, aber versuch das mal mit jemanden, der ständig ein neues Aussehen annimmt. Sie könnte als unschuldiges 16-Jähriges Mädchen einkaufen gehen, das würde doch niemandem auffallen. :)
Bei Charles im Gefängnisausbruch meinte ich, dass er nur zwei Personen aus der Entfernung vom Jet aus kontrollieren kann. Wenn er direkt vor den Leuten steht, ist das wieder etwas anderes, dann muss er sich nicht so sehr konzentrieren. Ich sollte mich wirklich besser ausdrücken. :D Auch dass sie dann so weit draußen waren - Um Wade zu retten, blieb ihnen wohl nichts anderes übrig.
In meiner Geschichte sind alle normale Mutanten, ansonsten würde das mit dem Anti-Mutanten-Gesetz nicht hinhauen, aber die Geschichte von Thor und Loki (Und auch weshalb sie ausgerechnet die Namen haben) wird noch erklärt werden. Das möchte ich dir aber nicht schon verraten, dass kommt erst in Teil 3 xD
Mein Wade ist ein wenig anders, das muss ich leider zugeben...ja, er ist von Peters Fähigkeiten begeistert. Er ist in meiner Geschichte leider ein wenig OoC geworden. Er ist ein so komplizierter Charakter, aber ich habe auch schon Comics gesehen in denen er sehr ernst und nachdenklich sein konnte.
Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, dass ich die Zeit des kalten Kriegs gewählt habe :D Meine Geschichte sollte eher in einem eigenen Universum spielen, völlig unabhängig von dem, was bei uns auf der Welt geschieht.
Anyway~ danke für die vielen Kommentare. :D
LG Suki
Von:  Witch23
2012-12-28T18:25:41+00:00 28.12.2012 19:25
Ok du hast die zeit des kalten Krieges gewählt.
Und wenn du jetzt sagst das Tor auch zu den Mutanten gehört will ich dzu dem Hammer eine glaubhafte Erklärung. Weil das hört sich für mich dann echt seltsam an. Vor allem bei dem Namen.
Von:  Witch23
2012-12-28T18:08:37+00:00 28.12.2012 19:08
Ich liebe den Spinnensinn ^_^ wenn der nicht da wäre das wäre unschön ^_^°
Aber Janes vorhersage hört sich unschön an...
Von:  Witch23
2012-12-28T17:53:41+00:00 28.12.2012 18:53
Wade begeistert zu sehen ist nicht unbedingt leicht solange es nicht ums Kämpfen und Töten geht oder?
Von:  Witch23
2012-12-28T17:42:12+00:00 28.12.2012 18:42
Wade ist irgendwie gruselig komisch und ich bin Froh ihm nicht begegnen zu müssen ^_^°
Von:  Witch23
2012-12-28T17:30:46+00:00 28.12.2012 18:30
Wie der Gefängnisausbruch vonstatten ging war echt ganz schön realistisch, nur das Charls plötzlich fünf statt der maximal zwei Leute kontrollieren konnte hat leicht irritiert.
Bin mal interessiert daran wie das ganze weitergeht.
Von:  Witch23
2012-12-28T17:12:40+00:00 28.12.2012 18:12
Wow damit habe ich nu nicht gerechnet, also mit Raven hier als Hunter. Clint hat nu aber eine menge zu verdauen.
Von:  Witch23
2012-12-28T16:53:39+00:00 28.12.2012 17:53
An ein paar stellen wirkt deine Geschichte etwas undicht. Als Raven unterwegs war zum einkaufen musste sie ja auch irgendwohin gehen. und Plötzlich sind sie recht weit draußen.


Zurück