Von Sonnenblumen und Rosen von __Grinsekatze__ (Masumi Sera X Shiho Miyano) ================================================================================ Kapitel 4: Engel und Teufel --------------------------- „Der Anrufer ist zurzeit leider nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal.“ Frustriert knalle ich den Hörer auf die Gabel, sodass ein Päckchen Notizzettel vom Schreibtisch herunter segelt. Wieso hat Masumi ihr Handy aus? Und Shuichi ist auch nicht zu erreichen. Aber ich muss um jeden Preis mit ihr reden. Meine Worte von Sonntag kann ich nicht so stehen lassen; das muss einfach geklärt werden.  Fest entschlossen ziehe ich Mantel und Schuhe an und mache mich auf den Weg zur Wohnung der Geschwister. Der Himmel ist wolkenverhangen und die alten Häuser in unserem Viertel wirken bedrohlich und abweisend auf mich, während ich schnellen Schrittes an der Straße entlang gehe. Mein Magen ist flau und in meinem Kopf scheint sich alles zu drehen. Es ist Abend, Masumi müsste längst von der Polizeischule zu Hause sein und mit Ran oder Sonoko ist sie auch nicht unterwegs, das habe ich bereits in Erfahrung gebracht. Die letzte Nacht habe ich keine Minute geschlafen, diese traurigen Augen im schmerzverzerrten Gesicht schienen mich aus der Dunkelheit heraus anzustarren und die kalte Stimme schnitt in mein Ohr wie eine Rasierklinge durch zarte Haut. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken und fast bin ich erleichtert, als ich die richtige Adresse erreiche. Es ist ein schickes Apartmenthaus mit einer Eingangstür aus Glas und vielen kleinen Zimmern mit Balkon zur Straße raus. Mit zittrigen Fingern drücke ich auf den Klingelknopf und höre den melodischen Klang durch das Haus schallen, während der Wind mir eine Haarsträhne ins Gesicht weht.  „Oh, hallo Shiho. Was machst du denn hier?“, kommt es mir entgegen, als die Tür aufschwingt und Shuichi lehnt lässig im Türrahmen. Er sieht mich lächelnd an und der wissende Ausdruck auf seinem Gesicht gibt mir das Gefühl, er könne meine Gedanken lesen. Ich räuspere mich und frage: „Ähm, ist Masumi da?“ und versuche einen entspannt-gleichgültigen Gesichtsausdruck aufzusetzen.  Der Mann mit den tiefgrünen Augen dreht sich langsam um und ruft den Namen seiner Schwester in den Gang hinein. „Da kommt sie ja schon geflogen“, sagt mein Gegenüber und wirft mir einen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermag. Mein Herz macht einen kleinen Satz, als ich Schritte auf dem Parkett höre, die sich in schnellem Tempo nähern und nach wenigen Sekunden sehe ich sie auch schon. Sie scheint zu schweben und ihre schwarzen Haare wippen fast schon fröhlich auf und ab, als sie den Flur entlanggeht.  Ohne mir in die Augen zu sehen, ergreift sie meine Hand und zieht mich hinter sich her. Sie murmelt ein paar Worte in Richtung ihres Bruders, der uns mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen zunickt und schon sind wir in ihrem Zimmer verschwunden. Es herrscht eine leichte Unordnung und diverse Bücher und Kleidungsstücke liegen wahllos auf dem Boden verteilt. Eine unangenehme Stille herrscht zwischen uns und ich habe das Gefühl, die Luft ist so angespannt, dass man sie schneiden könnte. Mit einem Schlag löst sich meine Zunge und ein Schwall aus Entschuldigungen und Anflehungen bricht aus mir heraus; ich kann gar nicht mehr aufhören zu reden. Ich will, dass sie mir verzeiht; ich merke, dass das mein sehnlichster Wunsch ist und spüre gleichzeitig ein loderndes Brennen in meiner Brust, wie ein kleines Feuer. Ich sehe sie eindringlich an und bemerke, wie ihre Gesichtszüge weich werden, sie lächelt sogar ein wenig.  Mein Redeschwall hört nicht auf und ich verstricke mich in Erklärungen, Rechtfertigungen, immer wieder gespickt mit den Wünschen nach Vergebung. Auf einmal macht sie einen Schritt auf mich zu, streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ohne Vorwarnung presst sie ihre warmen, weichen Lippen auf meine. Ich wehre mich nicht, spüre aber, wie Wut und ein anderes, undefinierbares Gefühl in mir aufsteigen. Ich halte hier eine große Rede und mache mich selbst zum Affen, damit sie mir verzeiht, und sie küsst mich einfach? Was soll das denn? Anstatt mich loszureißen, schließe ich die Augen, packe sie gleichzeitig und kralle mich mit beiden Händen in ihren Rücken. Der Stoff ihres T-Shirts fühlt sich weich an und ich kann ihre trainierte Muskulatur darunter deutlich spüren. Sie wirkt überrascht, lässt jedoch nicht los, sondern zieht mich umso enger zu sich hin und öffnet ihren Mund leicht; ihre Zunge schnellt spielerisch hervor und ich schmecke etwas Süßliches. Ob sie vorher Schokolade gegessen hat? Im nächsten Moment könnte ich mich selbst schlagen für diesen total bescheuerten Gedanken. Die Wut in mir glüht und ich spüre, wie mein ganzer Körper von einer heißen Welle durchspült wird. Ich weiß nicht einmal mehr, gegen was oder wen sich diese Wut richtet, mein Kopf ist auf einen Schlag wie leer gefegt. Ich will mich losreißen und sie anschreien, aber auch wieder nicht.  Ihr Kuss wird wilder und ich habe das Gefühl, dass mir die Sinne schwinden. Ich werde durchströmt von Emotionen, die ich nicht zuordnen kann und ihre Hände auf meinem Rücken fühlen sich an wie Brandeisen, die mich zu verbrennen drohen. Auf einmal drückt sie mich gegen die Wand und ich kann ihren Oberkörper dicht an mir spüren. Sie löst ihre Lippen von meinen und ein Hauch von Schokolade lässt mich außer Atem und mit aufgerissenen Augen zurück.  „Was tust du?!“, bricht es aus mir heraus und ich sehe sie herausfordernd und aufgebracht an. Da war es wieder. Dieses Funkeln in ihren Augen, genau wie letzte Woche in dem Klamottenladen. Sie schaut mich intensiv an, während sie meinem Gesicht wieder gefährlich nahe kommt und sagt leise: „Die Frage ist doch: Was machst du?“  Ich verschränke die Arme und antworte mit einem abschätzigen Unterton in der Stimme: „Ich war wütend, weil du gar nicht auf meine Entschuldigung reagiert hast.“ Schon in der nächsten Sekunde wird mir bewusst, wie lächerlich das klingt und ich versuche mich hinter einer ausdruckslosen Miene zu verstecken. Mein Blick fällt demonstrativ auf das andere Ende des Zimmers, in der ein Stapel Mangas achtlos in der Ecke liegt, während meine Gedanken Achterbahn fahren. Ich hatte sie nicht weggestoßen, nein ich hatte mich darauf eingelassen und war vollkommen versunken in diesem Strudel aus Leidenschaft und Hingabe. Aber warum? Ach, Schätzchen, bist du schwer von Begriff oder tust du nur so?, macht sich die Stimme in meinem Kopf über mich lustig. Jetzt macht mein eigenes Unterbewusstsein mich schon fertig, ist ja unglaublich.  Masumi hat meine Gefühlsregung, die mit Sicherheit deutlich auf meinem Gesicht abzulesen war, mit einem belustigten Grinsen verfolgt und sagt mit einem ironischen Unterton: „Sag bloß, es hat dir nicht gefallen?“, während sie so nah herankommt, dass sich unsere Nasenspitzen beinahe berühren. Ihre Augen blicken mich herausfordernd an und sie wirken wie ein dunkler, unergründlicher See in der Abenddämmerung. Ich kann ihren heißen Atem spüren und ohne darüber nachzudenken, überbrücke ich den letzten Abstand zwischen uns und senke meine Lippen auf ihre in einem hungrigen Kuss. Das heiße Gefühl in mir scheint mich vollkommen zu übermannen und es fühlt sich an, als ob meine Füße nachgeben. Ihre Berührungen haben jegliche Sanftheit verloren und ihre Finger fahren rau über meinen Nacken, sodass sich ein starkes Kribbeln in meinem ganzen Körper ausbreitet.  Ich schiebe sie durch das Zimmer, ohne meine Lippen von ihren zu lösen oder die Augen zu öffnen, bis wir das Fußende ihres Bettes erreichen. Keuchend reiße ich mich von ihr los und lasse mich auf die weiche Decke fallen; ich habe das Gefühl, meine Füße tragen mein Gewicht nicht mehr. Ihre Augen flackern, sie macht einen Schritt und im nächsten Augenblick liegt sie neben mir auf der zerknitterten Decke und betrachtet mich mit einem entrückten Lächeln. Wieder herrscht Stille zwischen uns, doch dieses Mal ist sie nicht angespannt, sondern glühend und aufgeregt. Ich bin froh, dass sie nichts sagt, weil ich damit beschäftigt bin, mein aufgewühltes Bewusstsein zu sortieren. Was ist hier eben passiert? Was waren diese Gefühle, die mich durchströmt haben und Dinge tun ließen, die ich mir vorher nicht im Traum hätte vorstellen können? Ich verdrehe die Augen und seufze laut auf. Es wird Zeit, die Sache erwachsen anzugehen. Schließlich ist dieses Mädchen nicht die erste Person, die ich küsse. Aber die letzte Person, die dich geküsst hast, hat ein Loch in einem Herzen hinterlassen, weißt du nicht mehr?, sagt die Stimme sanft, Und dann hast du beschlossen, es zu verschließen, damit dir nie wieder jemand wehtun kann.  Auf einen Schlag ist die Hitze verschwunden und ein kaltes, beißendes Gefühl breitet sich in mir aus. Ich spüre, wie meine Hände zittern und versuche es zu verbergen, doch Masumi bemerkt es und legt ihre Arme um mich. „Was ist los, Shiho? Bitte sag es mir, ich mache mir Sorgen.“ Ihre grauen Augen sehen mich fragend an und auf einmal bin ich den Tränen nahe, doch ich halte sie mit Gewalt zurück.  Ich atme ein paar Mal tief durch bevor ich antworte. „Ich weiß es nicht. Alles ist so verwirrend und anders und es macht mir Angst. Ich war fest davon überzeugt, dass ich ein Herz aus Eis habe, antrainiert in früheren, dunklen Zeiten. Aber jetzt auf einmal...“, ich stocke und komme mir so unfassbar schwach und naiv vor, dass es mir sofort peinlich ist und ich von ihr weg rücke.  „Du hast Angst, dass das Eis auf einmal schmelzen könnte, nicht wahr?“, höre ich Masumi leise sagen und sehe sie mit großen Augen an. Diese Konversation ist mir unangenehm und ich merke, wie ich mich über mich selber ärgere.  Mit ungeahnter Schnelligkeit springe ich aus dem Bett und laufe Richtung Tür. „Also wenn wir dann alles geklärt haben, kann ich ja wieder gehen. Ich will dir nicht deinen ganzen Abend rauben...“, rufe ich gehetzt, während ich im Gehen über ein Kleidungsstück stolpere und hektisch nach meinem Mantel greife, der achtlos auf einem Stuhl hängt. Sie scheint wie erstarrt, doch plötzlich kommt Leben in die einsame Figur auf dem Bett und im nächsten Moment steht sie vor der Tür und versperrt mir den Weg.  Bevor ich widersprechen kann, sagt sie energisch: „Du kannst nicht immer weglaufen, Shiho. Das hast du dein ganzes Leben lang gemacht, aber diese Zeiten sind vorbei. Gib dir selbst eine Chance! Gefühle sind keine Erfindung des Teufels, sondern eine Bereicherung des Lebens, weißt du?“ Ihre Augen leuchten und im blassen Licht der Dämmerung wirkt sie wie ein gefallener Engel, der mich eindringlich betrachtet und dabei hoffnungsvoll die Arme erhoben hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)