Der Fluch der Meerjungfrau von irish_shamrock (Die Gier und ihre verheerenden Folgen) ================================================================================ Kapitel 11: Von Klippen, dem Vollmond und nahendem Ende ------------------------------------------------------- Der Fluch der Meerjungfrau ›Die Gier und ihre verheerenden Folgen‹ Kapitel Elf ≈ Vᴏɴ Kʟɪᴘᴘᴇɴ, ᴅᴇᴍ Vᴏʟʟᴍᴏɴᴅ ᴜɴᴅ ɴᴀʜᴇɴᴅᴇᴍ Eɴᴅᴇ ≈ Mühsam zählte ich die Stunden, bis der Vollmond aufgegangen war. Schob Minuten und Sekunden von einer Seite auf die andere. Folgte den Zeigern, die mein Schicksal festlegten. Unruhe erfasste mich, ließ mich frösteln und zugleich drohte ich schier zu verbrennen. War das, was geschehen war, nur ein Test? Ein Vorgeschmack? Eine Art Probe? Hatte ich mein Glück so sehr strapaziert, dass Fortuna auf Rache sann? Oder hatte mir die Gier wirklich ein Bein gestellt? War meine Jagd nach Reichtümern nun endgültig beendet? Sollte ich wirklich, wenn es uns nicht gelänge den Fluch zu brechen, ein Dasein in den Tiefen des Meeres fristen? Allein? Ohne Freunde? Und ohne jemals meinen Traum erfüllt zu haben? Ich hielt die Hände schützend über den Kopf zusammen, als die Tür zur Kombüse geöffnet wurde. Meine Kameraden hatten mir die Ruhe gegönnt, nach der ich verlangte. Dass ich Ansprüche geltend gemacht hatte, die mir nicht zustanden, rechnete ich ihnen hoch an. So viel war geschehen. So viel Kummer hatte ich ihnen bereitet und trat ihre Freundschaft mit Füßen. Ein grimmiges, verbittertes Lächeln legte sich auf meine Lippen, während ich an die Schwanzflosse dachte, mit der ich bis vor wenigen Stunden noch geschlagen war. Der Bann, noch immer auf mir liegend, hatte seine Wirkung noch immer nicht verloren. Wie vielen Seelen es wohl schon widerfahren war, das Schicksal einer Meerjungfrau annehmen zu müssen? War ich bisher die Erste und Einzige? Hatte mich unsere Reise absichtlich hierher geführt? War es vorbestimmt, oder hatte ich jene Fäden selbst zu einem Strang zusammengeknüpft, der zu fest verwoben war, um ihn zu zerreißen? War es mir vorherbestimmt, die Truhe zu finden? Oder hatte ich mich dem Gold mehr verschrieben, als meinem Herzen gut tat? Ein Luftzug riss mich aus meinen Gedanken. Vor mir erhob sich der Smutje. Von ihm ging eine Anspannung aus, die ich mit jeder Faser fühlen konnte. War es das? War er es? Sollte er es sein? Mein Blick traf erneut das polierte Holz der Tischplatte. Ich vermied es, ihn anzusehen. Er war bereit. Bereit sich dem zustellen, das uns erwartete. »Bist du soweit?«, fragte Sanji und endlich schaffte ich es, zu ihm aufzusehen. Er streckte die Hand nach mir aus, geduldig darauf wartend, dass ich sein Angebot annahm. Noch einmal atmete ich tief durch. Sog Luft in meine Lungen und bemerkte, dass solche Kleinigkeiten lebenswichtig waren. All die Dinge wie laufen, sprechen, atmen ... So selbstverständlich und doch, wenn man jenen Alltäglichkeiten beraubt wird, scheint das Leben auf den Kopf gestellt und aus den Fugen geraten. Die Bank unter mir kratzte über den Boden, als ich sie weiter nach hinten drückte. Ich erhob mich, langsam und sachte, ehe ich um den Tisch herum ging und Sanjis Hand ergriff. Das Meer, mein Reich, das mich verstoßen hatte, rauschte und brauste und beinahe schien es mir, als hätte ich mir den Zorn der See aufgeladen. Bald schon stünde der Mond in seiner hellen Pracht oben am Himmel. Die letzten, magentafarbenen Streifen flohen vor der nahenden Dunkelheit. Das Wechselspiel von Sonne und Mond hatte erneut begonnen. Doch wer hätte ahnen können, dass eine Nacht, so klar, romantisch gar, über Leben und Tod entschied? Fest hielten mich Sanjis Finger umklammert. Mein Herz, es schlug, es schlug so wild, dass ich glaubte, es wolle meiner Kehle entspringen. Zügig setzten wir unseren Weg fort. Immer wieder wandte ich mich zu unseren Freunden um. Freunde, die meine Familie waren. Wärme breitete sich in meinem Inneren aus. Ebenso hoben sich meine Mundwinkel gen Norden. Ich drohte, mich in den Gedanken zu verlieren, doch Sanjis energischer Gang zwang mich, mich wieder auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Niemand wusste, was uns dort erwartete, niemand konnte sagen, welchen Ausgang diese Nacht nehmen würde. »Was auch immer geschieht, Nami«, hob Sanji an und ich wagte es, zu ihm aufzusehen. »Ich bleibe bei dir.« Wieder überkam mich ein Gefühl, das mein Herz wärmte. War es das merkwürdige, zuversichtliche Funkeln in seinen Augen, oder das Lächeln in seinem Gesicht? Seine Stimme, die mir Stärke schenkte oder das Vertrauen, das er ausstrahlte? Ich intensivierte den Druck meiner Finger, wollte ihm so signalisieren, dass ich mich auf seine Worte verließ. Kurz hielt ich Sanji zurück. Der Smutje, überrascht von dem plötzlichen Ruck, wirkte für einen flüchtigen Moment verwirrt. Behutsam und vorsichtig strich ich mit der freien Hand über seine Wange. Ich behielt meiner Finger dort und schaffte es, dass er mir näher kam. Doch noch bevor sich unsere Lippen auch nur berührten, unterbrach ich jenes Vorhaben. »Danke«, wisperte ich und stieß ihn von mir. Tränen brannten in meinen Augen, liefen heiß und unbarmherzig meine glühenden Wangen hinab. Wieder war ich geflohen. Wieder war es mir gelungen, zu entkommen. Fahrig wischte ich mir die lästigen Perlen aus dem Gesicht. Ich rannte, geriet ins Wanken und stolperte weiter. Noch immer hörte ich meinen Namen. Er rief nach mir. Sanji, ich wandte mich ab. Ich wollte ihn nicht hören, wollte nicht, dass er in meinem Herzen nachklang wie ein Echo, dass sich an meiner Pein labte. Die Klippe, entsann ich mich atemlos und hielt inne. Wie ich hierher gefunden hatte, konnte ich nicht benennen. Meine Füße schienen mich wie von selbst geführt zu haben. Etwas, tief in mir, wallte und brüllte auf, doch vermochte ich nicht zu sagen, ob es menschlicher, oder dämonischer Natur war. Denn so bezaubernd die Vorstellung auch erschien, mit den Fischen zu schwimmen, man war einzig und allein an das Meer gebunden. Gefesselt und verankert im Herzen der See. Ich sah auf, spürte die Kälte, die der Wind mit sich brachte. Fröstelnd schlang ich die Arme um meinen Körper. Ich fror, zitterte so sehr, dass meine Zähne klappernd aufeinander schlugen. Mein Haar wurde von den Böen zerzaust, ebenso wehte und bauschte sich das weiße, so unschuldig wirkende Kleid, das ich trug, um mich herum. Es flatterte und ergab sich dem Spiel der salzigen Lüfte. Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen. Meine nackten Sohlen klatschten auf den kargen Stein, während der unnatürlich starke Hauch seine helle Freude an mir hatte. Wie eine Strohpuppe wurde ich in den Strömungen gebogen und es kostete mich Kraft und Mühe, mich nicht von dem Felsen hinabwehen zu lassen. Endlich, als ich am höchsten Punkt der Klippe angelangt war, wagte ich es, über den Rand zu spähen. Nur die wütende See peitschte unaufhörlich die Gicht an den Mauern empor, während der Wind eisig pfiff und jaulendes Klagelied von sich gab. Vielleicht weinte das Meer um seine Tochter? Oder aber es wartete nur darauf, mich für immer zu verschlingen. »Nami!« Ich wandte mich um. »Verschwinde!«, brüllte ich gegen den tosenden Wind an, der mir die Haare ins Gesicht wehte. »Nami«, wiederholte der Smutje und hastete auf mich zu. Ich wusste nicht, wie es mir gelang, doch als ich den Jungen auf mich zukommen sah, erfasst mich ein Gefühl, das mich zornig werden ließ. »Verschwinde!«, forderte ich abermals und streckte ihm meine flache Hand entgegen. Ich zielte auf seine Brust und sah nur noch, wie der Smutje durch die Luft gewirbelt wurde. Fort von mir. Ich erschrak. Ich wollte ihn nicht verletzen, ihm nicht wehtun. Nicht ihm, nicht Sanji. Wieder brannten Tränen in meinen Augen und ich wandte den Blick ab. Wäre er doch dort geblieben, wo er war! Noch ehe ich einen weiteren Gedanken fassen konnte, vernahm ich das kreischende Kichern der alten Hexe. Verwirrt und erschrocken blickte ich um mich, doch hier oben, auf der Klippe, konnte ich sie nicht ausmachen. Das fürchterlich Kreischen musste seinen Ursprung woanders haben. Ich sah zu Sanji, der noch immer verzweifelt versuchte, sich aufzuraffen. Doch je mehr er sich mühte, desto stürmischer wehte der Wind und drückte ihn nieder. »Komm, Mädchen!« Ich zuckte zusammen, als ich das Rufen der Alten vernahm. Ich sah sie nicht, doch hörte ich ihre Stimme, als stünde sie direkt vor mir. Die brausende See und der heulende Wind schienen ihren Worten nichts anzuhaben. »Komm zu mir, Mädchen!«, forderte die Hexe erneut. Zögernd wagte ich es, mich an den Klippenrand zu tasten. Und dort, auf einem kleinen Felsen, inmitten des tobenden Meeres, stand die winzige Gestalt. Die kleine Laterne und das Flämmchen im Innern erkannte ich sofort. »Nein, Nami, bitte!« Gebannt starrte ich in die Tiefe, doch etwas hielt mich zurück. »Nami, tu' es nicht, bitte!« Der eisige Hauch zerrte an mir, doch ich vernahm nur die drängenden Worte, die ich nicht hören wollte. Wenn ich dem Rufen der Hexe folgte, hätte alles ein Ende. Es wäre vorbei. Ich löste mich von dem flackernden Licht und blickte zum Himmel hinauf. Über mir erhob sich das finstere Firmament, das mit Sternen übersät schien und dort ... beinahe über mir, zog der helle, strahlende Vollmond auf. Wie eine Perle, so schön, so sanft, so anmutig. Er lockte mich, bat mich darum, ihm zu folgen. Mit ihm ins Meer hinabzutauchen, zu versinken. »Du musst nur springen« ... Doch es war nicht der Trabant, der zu mir sprach. Geisterhaft und von einer solchen Boshaftigkeit, dass mein Herz zu zerspringen drohte. Ich riss mich von dem Bild los, wandte mich um und hastete dem entgegen, der mir Schutz versprach. Sanji, noch immer gegen den Wind ankämpfend, wurde durch mein Handeln von den Füßen gerissen. Ich klammerte mich an ihn, wollte mich in ihm verkriechen, wollte, dass all dies ein Ende hatte. Der Smutje hielt mich fest in seinen Armen, während der Sturm um uns wütete. »Das Ende ist nah«, zischte die Hexe und verharrte in den tosenden Wellen, die gierig nach mir verlangten. »Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Spring! Spring und nimm ihn mit dir!« »Nein«, schrie ich mit erstickter Stimme. Ich weinte, weinte bittere Tränen, um mich, das Meer und den Jungen, der mich festhielt. »Sei nicht dumm, Kind. Komm!«, forderte die alte Frau und plötzlich löste ich mich aus der Umarmung des Smutjes. Ich hatte dem nichts entgegenzubringen. Mir war, als hinge ich an einem Faden, der mich mit sich zog. »Nein! Nicht noch einmal, nein!«, herrschte Sanji und hielt mich zurück. »Du bekommst sie nicht!« »Schweig! Unwürdiger Mensch! Deine Seele ist ebenso verkommen, wie die ihre. Gier war es, die sie leiden ließ. Ein Fehler, so verhängnisvoll. Gold und Silber vernebeln den Verstand und Liebe ... sie verdunkelt das Herz. Mögen deine Absichten auch noch so ehrenhaft sein, Jüngling, ihr Ende ist besiegelt. Sie gehört mir!« Mit jenen, letzten Worten brauste die See unter den knochigen Füßen des finsteren Wesens auf und hob es leichtfüßig bis zum Klippenrand empor. Das Haar der Greisin, erst schlohweiß, gewann mit jedem traurigen Schlagen des Herzens, an Schatten. Die fahle, faltige Haut glich nun nicht mehr der, eines alten, gebrechlichen Mütterchens, sondern schien glatt, geschmeidig und makellos. Doch die Augen der Gestalt, trotz äußerlicher Schönheit, blieben schwarze Perlen in einem Meer aus Vollkommenheit. »Sieh mich an!«, forderte die Hexe und ließ sich von der tobenden See auf den Rand der Klippe niedersetzen. »Sie mich an, Königssohn!« »Nein, Sanji, nein. Sieh sie nicht an!«, bettelte ich, denn ich war mir sicher, dass die Greisin, in dieser unbegreiflich faszinierenden Gestalt, schon viele Männer in den Tod geführt hatte. Sanji wich zurück. Er presste mich an seine Brust, während ich mich in den schützenden Lagen des Hemds verkroch. Er wandte den Blick ab, als weigere er sich, der Aufforderung Folge zu leisten. »Ich bin kein Prinz!«, fauchte der Smutje und kniff die Augen zusammen, während die Hexe immer näher schlich. »Oh doch«, drohte jene bezaubernde Magierin, deren Schönheit nur dazu diente, den Verstand zu umgarnen. »Jeder Junge, jeder Mann ist ein Nachkomme des edlen und eitlen Königs. Die Brut des Bösen.« Schützend hielt mich Sanji in seinen Armen. Er hielt mich fest, als wolle er nie mehr von mir lassen. Meine Finger krallten sich haltsuchend an ihm fest, während er der Hexe zu entkommen versuchte. Doch es half nichts. All der Wille, die Augen geschlossen zu halten, erlosch. Sanji hob den Blick, doch starrte er nicht in das Antlitz der wunderschönen Hexe, sondern er sah mir direkt in die Seele. »Sieh sie dir an! Sie hat kein Herz. Sie kennt nur Gier. Da ist nur Verlangen. Verlangen nach Schätzen, Juwelen, Geld und Gold. Und du ... du armseliger Narr! Du klammerst dich an den Gedanken, sie zu retten? Wie töricht. Wie dumm! So etwas wie Liebe gibt es nicht! Sie liebt dich nicht. Und du ... du liebst sie nicht. Du bist nur dem Gedanken erlegen, einem Trugbild, das dein Herz verdreht. Sie reizt dich, ist lieblich anzusehen, doch begreife, Jüngling, dass jene Gefühle nie erwidert werden.« Schrecken erfasste mich, als jenes Biest die Worte sprach, doch der Smutje ließ mich nicht aus den Augen. »Auch wenn sie mich nicht liebt, werde ich sie beschützen!«, knurrte er und zog mich noch enger an sich. »Selbst wenn sie mich nicht liebt, und ich ein dummer, blinder Narr bin, werde ich nicht von ihrer Seite weichen!« Seine Stimme durchfuhr meinen Körper, vibrierte in meinen Knochen. Seine Worte erreichten ihr Ziel. Und auch, wenn es noch so unpassend schien, die Situation nicht hätte auswegloser sein können, schlang ich meine Arme um seinen Hals und presste, in blinder, elender Verzweiflung, meine Lippen auf seinen Mund. Der Strom meiner Tränen wollte nicht schwinden, nicht versiegen. Der Sturm um uns tobte, während mein Leid in salzigen Perlen um uns tanzte und das dunkle Wesen immer näher Schritt. Zaghaft löste ich mich von dem Smutje, hielt noch immer die Lider geschlossen. Ich wollte ihn nicht ansehen. Wollte nicht, dass mich die Qual in Sanjis Augen dazu verdammte, mit Schuld geschlagen zu sein. Langsam ließ ich von ihm ab, bettete meine Hände auf seiner Brust und bemerkte das stetige Zucken seines wild schlagenden Herzens. Ich wich von ihm fort, erlag dem Versuch, ihn erneut von mir zu stoßen, so, wie es mir bisher immer gelungen war, doch er hielt mich auf. »Nicht noch einmal, Nami!«, drohte er und kämpfte gegen den heulenden Wind. »Du verlässt mich nicht schon wieder!« Kraftvoll riss er mich an sich, und noch eh ich begriff, was er tat, stemmte er sich auf. Trotz des tosenden Hauchs, der an uns zerrte, und der peitschenden See, die wütend und verlangend ihre Finger nach mir streckte, richtete sich der Smutje auf. »Verschwinde!«, brüllte er der finsteren Zauberin entgegen. »Du bekommst sie nicht!« »Dann sterbt ihr beide«, kreischte die Hexe und trat einen weiteren Schritt auf uns zu. Wie mühelos es ihr gelang, voran zu kommen, war mir nicht geheuer. »Bleib bei mir!« Wieder vernahm ich Sanjis Stimme. Es waren jene Worte, die mich aus den Tiefen der Dunkelheit befreit hatten. »Bleib bei mir!« Ich blickte zu ihm auf. So viel Leid und Kummer hatte ich verursacht. So viel Schaden angerichtet. Er war nur ein Mensch. Er war nicht willens und nicht stark genug, sich diesem Ungeheuer zu stellen und ich ... ich war es auch nicht. Beide würden wir untergehen. »Sanji«, entfloh es meinen Lippen, doch der Smutje fixierte das hübsche Fräulein, ohne, dass ich ihn von seinem Vorhaben abbringen konnte. Ich wollte nicht, dass er sie betrachtete, denn ich wusste, dass jene schwarze Magierin die Macht besaß, Herzen, wie seines, zu brechen. »Ja«, frohlockte die dunkle Schönheit, »sieh mich an!« Und Sanji tat es. Als er es wagte, einen Schritt auf sie zu zugehen, bemühte ich mich, ihn aufzuhalten. Mit all meiner mir noch verbliebenen Kraft klammerte ich mich an ihn. Doch er, er ließ plötzlich von mir ab. So schnell, so flink, dass ich fiel. Sanji trat der gefährlich verwirrenden Hexe entgegen. Nicht einen Blick schenkte er mir. Ich hatte verloren. Hatte mein Herz an ihn verloren und ihn gleich mit. »Sanji«, schrie ich gegen das Klagelied des Windes an, doch er hörte mich nicht mehr. Ich sah nur noch, wie er auf die bezaubernde Frau zu ging und die Hände nach ihr ausstreckte. Mit einem Lächeln, so voller Hass und Finsternis, schlang die Hexe ihre langen, bleichen Fänge um den Jungen. Hilflos und machtlos hing Sanji in ihren Armen. »Sieh ihn dir an, Mädchen!«, fauchte die Gestalt und jener Liebreiz in ihrem Gesicht schwand. »Er ist wie alle anderen. Du konntest den Prinzen nicht retten. Er gehört mir!« Das kreischende, hohe Lachen ließ mein Herz zersplittern. Ich eilte dem Jungen entgegen, doch die Hexe wehrte mich ab. So, wie ich den Smutje zuvor mit einer Kraft in Schach gehalten hatte, tat das dunkle Wesen es bei mir. Ich wurde von den Füßen gerissen, rappelte mich auf und fiel erneut. Ich kämpfte gegen den Sturm, den Regen und das Meer, das sich dunkel und drohend unter uns erhob. »Sanji«, keuchte ich, während sein schlaffer Körper in den Händen der Kreatur verweilte. »Siehst du, Mädchen?!« Ein Hauch von Mitleid und womöglichem Bedauern lag in den Worten der bösen Fee, als sie den Koch am Halse packte. »Sanji«, schrie ich in blinder Wut und ebenso blinder Verzweiflung. »Nein! Nein! Nicht! Tu' ihm nichts! Bitte!« »Seine Augen«, säuselte die Hexe. »So schön, so blau und doch so ... leblos. Leblos, wie es deine waren!« Ihre letzten Worte gingen mit einem erneuten, kreischenden Lachen einher. »Du willst versuchen, ihn zu retten? Nur zu, du dummes Ding. Doch seine Seele gehört mir!« Das diabolische Grinsen auf ihrem Gesicht brachte erneut das alte, verbitterte Mütterchen zum Vorschein, das ich einst traf. »Seine Seele, sie wird mich am Leben halten. Mir meine Schönheit und Anmut wiederbringen.« Ich stutzte und hielt in meinem Versuch, mich wieder vorwärts zu bewegen, inne. »Du raubst den Männern nicht nur den Verstand, sondern auch noch ihre Seelen?«, fauchte ich und sank erschöpft auf die Knie, während ich das Wesen weiterhin taxierte. Sie nahm Sanjis Gesicht in ihre Hände und zeigte mir das Ausmaß ihrer Macht. Die Wahrheit streckte mich nieder. Sanji, mein Sanji ... Sein Blick, seine Augen, leer und seelenlos. Ich erschrak. Hatte ich nicht schon einmal dieselben Worte vernommen? War es mir wie ihm ergangen? »Sanji«, schluchzte ich und schlug mir die Hände vors Gesicht. Bitterlich heulte ich auf. Klagte mit dem Wind und fiel erneut in mich zusammen. Mein Herz, es riss. Zersprang in viele tausend Stücke. Blutrot, glitzernd ... Wie in Trance nahm ich Notiz von dem, das mein Ende sein sollte. Doch etwas, das ich nicht erwartet hatte, geschah. Es geschah so schnell, dass ich kaum jene einzelnen Teile zusammenfügen konnte. Das dunkle Wesen, dessen Schönheit schier den Verstand kostete, stolperte. Nein, es wurde gestoßen. Doch von wem? Ich hob den Blick und bemerkte die Statur eines Mannes, der die Hexe über den Rand der Klippe zu drängen versuchte. Noch eh sich die Bilder zu einem Ganzen zusammensetzen ließen, erkannte ich Sanji. Er brüllte und stieß die Hexe weiter. Wieder erhob ich mich, und es gelang mir. Kein Wind, der mich hinderte. Ich sah mich um. Niemand war da. Niemand, der mir, uns, zu Hilfe kam. Wo waren meine Freunde? Hatten sie nicht versprechen müssen, in unserer Nähe zu sein? Nahmen sie unser Schicksal einfach als gegeben hin? Würden wir sterben? Würden sie um uns weinen? Ich würde weinen. Weinen um mich und um den Smutje, der sich gegen dieses finstere Subjekt zu behaupten versuchte. Was Sanji der Hexe entgegen zusetzen hatte, konnte ich nicht ausmachen. Ich hastete auf sie zu und bemerkte, dass die Krone auf meinem Kopf nicht mehr jene Tiara war, deren Druck ich zuvor verspürt hatte. Etwas leichter als sonst, erschien es mir. Zaghaft tastete ich nach dem Silber und zuckte zusammen, als ich einen kleinen Riss in dem vollkommenen Gebilde erkannte. Tief war der Schnitt nicht, doch er genügte, um sich in meine Haut zu fressen. Aus der Kuppe meines Fingers quoll Blut hervor. Ich hatte mich geschnitten. Die Krone bekam Risse. Hoffnung wallte in mir auf. Unbeholfen kam ich auf die Füße, doch da war nichts, das mich daran hindern würde, all den Schrecken zu beenden. Ich lief und rannte der Gestalt entgegen und noch ehe ich einen Blick auf Sanji werfen konnte, stieß ich die Hexe mit all meiner Kraft über den Klippenrand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)