Rhythm of Life von 13thBlackCat (Das Leben ist ein Tanz) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Auf dem Weg zu meiner Wohnung in Innenstadtnähe genoss ich das Gefühl, mich ausgepowert zu haben. Der Hass auf diese Idioten war noch immer da, aber ich hatte nicht mehr das dringende Bedürfnis, jemandem Schmerzen zuzufügen. Als ich in die belebteren Gebiete der Stadt kam, warfen die Leute mir unsichere Blicke zu. Ich bot vermutlich keinen besonders gesellschaftskonformen Anblick, staubig, verschwitzt und zerkratzt wie ich war. Aber es war mir egal. Sollten die sich doch den Kopf über mein Leben zerbrechen, es zwang sie schließlich niemand dazu. Am Ufer des großen Flusses, der die Stadt tangierte, blieb ich einen Moment stehen und war versucht, mich in die Fluten zu stürzen, verwarf diesen Gedanken dann aber. Ich wollte meine Tasche solange nicht unbeaufsichtigt lassen. Für einen Tag war ich in meinem Entschluss, später einmal allein in die Wildnis von Kanada zu ziehen und fern der Zivilisation mein Leben zu führen, genug bestärkt worden. Ich wandte mich ab und ging weiter die Uferpromenade entlang, bog drei Straßen weiter nach rechts ab, folgte einer Abkürzung durch einige Gassen, die mich zu einer Querstraße führten, und hielt auf deren nördliches Ende zu.  Das Weiß der Fassade stach aus den eher dunklen Tönen der Nachbarhäuser heraus. Es war ein neues Haus, moderne Kastenform mit Einhöhlungen für die Fenster und die kleinen Loggien. Auf dem Flachdach konnte man im Sommer die letzten Strahlen der Abendsonne genießen und die stillen Wasser des Flusses aus der Ferne betrachten. Ich hatte nur einmal dort gestanden, und das war vor zwei Jahren bei der Wohnungsbesichtigung gewesen. Ansonsten interessierte mich dieser Romantikkram einen Dreck. Nur die Begeisterung meiner Eltern hatte ich ausgenutzt, um sie von dieser Wohnung, die nicht die günstigste in der Auswahl, aber mein absoluter Favorit war, zu überzeugen. Und es hatte geklappt. Aber nachdem sie den Mietvertrag unterschrieben hatten, da ich damals noch nicht volljährig gewesen war, hatte ich mich bald mit dem Problem der Finanzierung konfrontiert gesehen und einen Job suchen müssen. Doch wo bekam man als Sechzehnjährige schon einen gut bezahlten Job mit wenigen Stunden? Ich hatte Glück gehabt und einen gefunden. Oder besser: Ich hatte einen Arbeitgeber gefunden, der nicht das Bedürfnis hatte, noch mehr Steuern zu bezahlen, aber dringend eine weitere Angestellte brauchte. Seitdem arbeitete ich im Vollmond. Ich kramte meinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. Das Treppenhaus war angenehm kühl. Bevor ich die Treppe hochstieg, erinnerte ich mich daran, dass ich meinen Briefkasten schon seit fast zwei Wochen nicht mehr geleert hatte. Ich öffnete ihn und stieß einen Fluch aus, als mir mindestens zehn Briefe entgegen fielen, die von etlichen Zeitungen, Prospekten und tonnenweise Werbung hinaus gedrückt wurden. Der meiste restliche Inhalt folgte ihnen kurz darauf. Auch ein dicker Katalog eines Möbelhauses war dabei. Wo hatten die meine Adresse her?! Mit genervtem Blick sah ich auf den Berg zu meinen Füßen, schubste dann lustlos die restliche Post auch noch auf den Boden, knallte die Briefkastentür wieder zu und kniete mich hin, um den Stapel aufzuklauben. Die Arme voller Post und immer drei Stufen auf einmal nehmend kam ich schließlich im zweiten Stock an. Ich öffnete mit einiger Mühe die Tür. Auch meine Wohnung war von der schlimmsten Hitze verschont geblieben. Mit einem erleichterten Seufzen ließ ich meine Tasche direkt neben der Tür auf den Boden fallen, durchschritt – oder besser durchkletterte – den kleinen Flur und ging durch den rechten Türrahmen. Die Tür hatte ich nach meinem Einzug einfach ausgehängt, genauso wie die zu dem kleinen Schlafzimmer, das der Wohnküche gegenüberlag. Das Fenster im Schlafzimmer ging auf einen mehr oder weniger ruhigen Innenhof. Es gab Kinder in der Nachbarschaft. Wo genau, wusste ich nicht. Eigentlich wusste ich überhaupt nicht, wer meine Nachbarn waren. Im Treppenhaus war mir einmal eine ältere Frau begegnet und einmal zwei junge Männer. Aber einem Menschen sah man ja nicht an, ob er Mieter oder Besucher war. Und es interessierte mich zudem auch gar nicht. Die Wohnungen waren sehr gut lärmgeschützt. Ich hatte noch nie etwas aus den Nachbarwohnungen gehört und sie von mir anscheinend auch nicht, denn anderenfalls wäre mir die Hausverwaltung bei meinen nächtlichen Aktivitäten schon auf´s Dach gestiegen. Ich ging zu der kleinen Küchenzeile, schob den Geschirrberg mit dem Ellenbogen beiseite und verteilte die Post auf den Herdplatten. Das konnte warten. Ich öffnete den Kühlschrank und stellte, als ich den letzten Joghurt herausholte, stöhnend fest, dass ich den nächsten Einkauf nicht mehr aufschieben konnte. Im Besteckkasten fand ich keinen sauberen Löffel, weshalb ich kurzerhand einen zwischen zwei dreckigen Tellern hervorzog, ihn kurz unter warmes Wasser hielt und mich dann im Gehen auf den Joghurt stürzte. Das Verfallsdatum sagte mir, dass er seit fast einer Woche abgelaufen war, aber als ich ihn öffnete, war noch kein Schimmel zu sehen. Mindesthaltbarkeitsdatum, verbesserte ich mich in Gedanken. Ich leckte den Deckel ab und warf ihn dann achtlos auf den kleinen Couchtisch, wo er zwischen leeren Chipstüten und Alkoholflaschen verschwand. Gelegentliche Ausschweifungen. Ich ließ mich auf die Couch sinken, schaffte mir mit den Füßen etwas Platz auf dem flachen Tisch, indem ich die leeren Verpackungen auf den Boden verbannte, während meine Finger sich in die Ritze zwischen Sitzfläche und Rückenlehne schoben und nach kurzem Suchen die Fernbedienung fanden. Ich zappte durch die Programme. Nur Müll. Wie immer. Ein kurzer Blick zur Uhr zeigte mir, dass es Viertel Sieben war. Noch Zeit. Wie üblich überzeugte mich das Programm schnell davon, dass nur die Sportkanäle mich nicht zur Weißglut bringen würden. Auch wenn das hieß, dass ich mir Dressurreiten und Dartspielen antun musste. Nach wenigen Minuten ging ich, den leeren Becher auf den quadratischen Esstisch werfend, zur Küchenzeile zurück, öffnete einen der oberen Hängeschränke, förderte eine Fünf-Minuten-Terrine zutage und suchte nach einer freien Fläche auf der Arbeitsplatte, wo ich sie platzieren konnte. Vergeblich. Kurzerhand nahm ich den Berg an Post, trug ihn, unterwegs die Hälfte verlierend, zum Couchtisch und hatte nun wieder etwas Spielraum. Als nächstes grub ich den Wasserkocher aus, ging ins Bad, um ihn zu befüllen, weil an das Waschbecken in der Küche beim besten Willen kein Rankommen war, und machte ihn an. Während ich darauf wartete, dass das Wasser kochte, nahm ich mir zwei Briefe, die auf dem Herd liegen geblieben waren, und öffnete den ersten. Mitteilung an die Mieter. Ich überflog den Inhalt. Die Firma, die den Hausmeisterdienst machte, sollte gewechselt werden, weil die aktuelle ihren Aufgaben nur mäßig nachkam und daher der Innenhof ziemlich ungepflegt aussah. Ach ja? Wenn sie meinten. Ein lockerer Wurf über die Schulter. Der nächste enthielt meine Kontoauszüge. Zumindest war ich diesmal nicht im Minus. Der Brief landete bei dem anderen. Ich hörte das Klicken des Wasserkochers. Die Terrine balancierend ging ich zum Sofa, platzierte den heißen Becher auf dem Katalog des Möbelhauses und meine Füße daneben, griff mir eine Hand voll Post und schaute sie flüchtig durch. Nur Mist. Rechnung, Rechnung, Werbung, Reklame, Rechnung. Ich warf sie zurück auf den Tisch. Einige flogen weiter und landeten am Boden auf den dreckigen Klamotten, die ich dort vor ein paar Tagen hatte liegen lassen. Gelangweilt blickte ich wieder zum Fernseher. Nach fünf Minuten, während derer ich vergeblich versucht hatte, beim Reitsport abzuschalten, gab ich es auf und stieg auf den Videotext um. Der allerletzte Ausweg. Mäßig interessiert las ich mir durch, was es an Sportnachrichten gab. Zwei Boxer, die sich vor laufender Kamera geprügelt hatten. Ein weiterer entlassener Fußballtrainer. Die Ergebnisse der letzten Spiele der Handball-WM. Zwischendurch löffelte ich meine Terrine. Dann um dreiviertel sieben kam die Erlösung: Fußball. Nicht mein absoluter Favorit, aber um Längen besser als diese Pony-Show. Während des Spiels blätterte ich in einigen der Prospekte. Nichts Brauchbares. Halbzeit. Nachrichten. Spielende. Auswertung. Bei manchen Analyseversuchen musste ich unwillkürlich die Augen verdrehen. Mein Blick schweifte zur Uhr. Im nächsten Moment stürmte ich aus dem Zimmer. Scheiße! Auf dem Weg ins Bad riss ich mir die Sachen vom Körper, verteilte sie gleichmäßig in der ganzen Wohnung. Acht Minuten später stand ich triefnass vor meinem Kleiderschrank. Auf dem Parkettboden sammelte sich eine Pfütze. Ich hatte noch nicht einmal die Nerven gehabt, meine Haare kurz auszuwringen. Aus den geöffneten Türen starrte mich eine erbarmungslose Leere an. Der Penner da oben hasst mich wirklich. Ungeduldig durchwühlte ich den Haufen am Boden. Sachen, die ich rausgesucht und dann doch nicht angezogen hatte. Jetzt wusste ich auch wieder, weshalb. Pussy! Noch während ich die Klamotten raus kramte, baute sich in mir ein starker Widerstand auf. Ich würde bei jeder Anmache noch wütender reagieren als sonst schon und meine Mördermiene keine Minute vernachlässigen dürfen, um mein Outfit wenigstens irgendwie zu kompensieren. Die Jeans war weniger als knapp – sie reichte gerade einmal bis über den Hintern. Das Oberteil war immerhin ein T-Shirt, allerdings waren die Ärmel so kurz, dass sie kaum den blauen Fleck an meiner Schulter verdeckten, den ich von dem Kampf davongetragen hatte. Zudem war es verdammt eng und kurz, egal, wie sehr ich daran zog. Eine einzige Katastrophe. Billig zu haben, schoss es mir durch den Kopf, gleich darauf folgte ein Bild von Ino. Ich schnaubte wütend. Das Ergebnis meiner Unterwäschesuche führte mir schließlich das ganze Ausmaß des Wäschenotstandes vor Augen: Ich konnte nur Reizwäsche zutage fördern. Super. Und dann auch noch rot. Ich wusste nicht einmal mehr, wo ich das Zeug her hatte. Musste schon eine ganze Weile da liegen. Ich raffte die Sachen zusammen und sprintete zurück ins Bad, trocknete mich flüchtig ab, beschloss, dass meine Haare gut genug lagen um das Bürsten ausfallen zu lassen, zog widerwillig die Sachen an, vermied eine nähere Betrachtung meines Spiegelbildes, putzte mir noch im Schnelldurchlauf die Zähne, holte meine Tasche aus dem Schlafzimmer, die ich zum Glück am vergangenen Tag nach einer halbstündigen Suchaktion unter einem großen Berg Klamotten hervorgezogen hatte, packte das Nötigste ein, wobei ich mein Handy unbeachtet links liegen ließ und stürmte dann aus der Wohnung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)