Jeden Tag eine gute Tat von Couscous (12. Türchen) ================================================================================ Kapitel 1: Jeden Tag eine gute Tat ---------------------------------- Sanft legte sich der Schnee auf die Dächer der Häuser, die Bäume und das kleine Reh, das friedlich am Waldrand graste. Als es aufgehört hatte zu schneien, hatte man einen wunderschönen Ausblick auf die idyllische Schneelandschaft. Doch urplötzlich wurde die Idylle gestört, durch ein Schütteln, fast wie bei einem Erdbeben. Missmutig warf Lucy die Schneekugel in eine Ecke. Sie war es leid, den Kunstschnee darin fallen zu sehen. Wieso konnte man nicht auch die Welt einfach schütteln, damit es endlich schneite? Aber wenn der Schnee nicht zu Lucy kam, ... Plötzlich hörte sie Schritte. Schritte, die die Treppe hinaufkamen. Ohne lange nachzudenken, machte Lucy ihre Nachttischlampe aus und warf sich ihre Decke über den Kopf. Keinesfalls durften ihre Eltern merken, dass sie noch wach war, denn dann würde sie ihren Plan nicht in die Tat umsetzen können. Sie schloss die Augen und atmete langsam und tief ein und aus. Wie die Helden in den Büchern, die sie so liebte und die immer spannendes Zeug erlebten. Dennoch konnte sie es nicht verhindern, dass ihr Herz ein wenig schneller klopfte, als ihr Vater (oder war es ihre Mutter?) den Kopf zur Tür hineinstreckte. Doch nach einigen Sekunden schloss sich die Tür leise wieder und Lucy hörte ihre Mutter: „Alles gut, sie schläft tief und fest” sagen. Es folgte einiges Geraschel und Geflüster aus dem Badezimmer, dann nochmal tapsende Schritte auf dem Flur und schließlich Stille. Lucy erinnerte sich dunkel daran, dass Molly einmal gesagt hatte, der Mensch brauche im Durchschnitt sieben Minuten zum Einschlafen. Also zählte Lucy gedanklich langsam bis 420, dann hielt sie inne, lauschte und zählte noch einmal. Schließlich schlug sie ihre warme Decke zurück und schwang sich aus dem Bett, allerdings nicht ohne vorher ihre Nachttischlampe anzuschalten. Sie hüpfte voller Vorfreude zu ihrer Schatztruhe und öffnete sie vorsichtig. Sie griff hinein und zog ihr Engelskostüm für das jährliche Krippenspiel der Weasley-Familie heraus. Nicht dass ihre Familie besonders christlich wäre, aber Victoire hatte ihrerzeit unbedingt ihr schauspielerisches Talent unter Beweis stellen müssen und deshalb diese Tradition eingeführt. Genug Leute waren sie ja. Jetzt lief es Jahr für Jahr gleich ab. Je älter man war, desto größere Rollen bekam man, bis man schließlich Maria bzw. Josef spielen durfte. Lucy war dieses Jahr von einem Hirten zu einem Engel aufgestiegen und Molly durfte sogar schon einen der Heiligen Drei Könige spielen. Stolz zog Lucy ihr Kostüm über den Pyjama, da es ohne doch arg kalt war. Sie würde heute Nacht ihrer Familie eine ganz besondere Freude bereiten. In Gedanken sah sie bereits die ungläubigen, aber gleichzeitig unheimlich fröhlichen Gesichter ihre Familie vor sich. Sie kicherte leise, als sie sich unter ihr Bett beugte und einen großen Eimer Zauberschnee hervorzog. Zum Glück stellte Onkel George keine Fragen, wenn man ihn um etwas bat. Voller Vorfreude überquerte Lucy den Flur und öffnete leise die gegenüberliegende Tür. Mollys Zimmer. Hier musste sie keine Angst haben, über herumliegende Gegenstände zu fallen, denn ihre Schwester sorgte stets dafür, dass ihr Zimmer aufgeräumt war. Lucy verspürte wieder den Drang zu kichern, als sie sich irgendwie ein wenig unheilvoll über ihrer nichts ahnenden Schwester aufbaute, wollte jedoch diese auf gar keinen Fall aufwecken. Dann wäre ihre kleine Überraschung erstens zerstört und zweitens keine Überraschung mehr. Also biss sie sich fest auf die Lippe, um ihren Kicherdrang zu unterdrücken. Es gelang. Lucy griff mit ihrer linken Hand in den Eimer und warf den Zauberschnee hoch in die Luft, so dass er sanft auf ihre Schwester hinunterrieselte. Molly spürte nichts. Beruhigt wiederholte Lucy diese Prozedur ein paar Mal, bis sie das Gefühl hatte, genügend geleistet zu haben. Auf dem Weg nach draußen streute sie noch ein paar Mal ein paar Handvoll hinter sich, um auch dem Zimmer einen Gefallen zu tun. Leise schloss sie die Tür. Jetzt war das Zimmer ihrer Eltern dran, dort musste sie ganz vorsichtig sein. Ihr Vater hatte einen sehr leichten Schlaf. Ganz unbewusst sorgte sie dafür, dass ihre Füße sich ein wenig vom Boden hoben. Lucy wunderte sich nicht, sie war schließlich eine Hexe. Eine weiße Spur hinter sich herziehend schwebte sie zum Elternschlafzimmer. Vorsichtig lauschte sie an der Tür, hörte aber rein gar nichts. Sie wertete das als gutes Zeichen und drückte die Klinke herab. Ihre Mutter schlief näher bei der Tür, auf dem Rücken wie Molly, nur trug sie eine Schlafmaske, die Lucy ihr zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Darauf hatte sie in mühevoller Kleinarbeit und unter Mollys geduldiger Anweisungen ihre Familie gestickt. Es waren zwar nur Strichmännchen geworden, aber Lucy war trotzdem zufrieden mit ihrer Arbeit gewesen. Diesmal blies sie den Schnee von ihrer Hand, ganz sachte und leise. Beobachtete wie die weißen Flocken, sich hin und her wiegend, auf ihrer Mutter niederließen. Zufrieden mit ihrem Werk schwebte sie auf die andere Seite des Bettes, auf der ihr Vater lag. als sie dort begann, entdeckte sie eine Schneeflocke, die schnurstracks auf die Nasenspitze ihres Vaters zuhielt. Lucy kniff die Augen zusammen und wartete darauf, dass er niesen musste und aufwachte. Doch nichts geschah. Lucy öffnete ein Auge und atmete erleichtert auf. Der Schwebezauber hörte auf zu wirken und Lucy, einen Moment lang unkonzentriert, landete lauter, als beabsichtigt auf den Holzdielen. Jetzt war es zu spät. Percy Weasley schreckte aus seinem hochsensiblen Schlaf, den er sich leider in seiner Jugendzeit mit Fred und George hatte angewöhnen müssen und erblickte als erstes seine jüngste Tochter im Engelskostüm. Diese kniff die Augen zusammen und wartete auf das Donnerwetter. Das immer noch nicht kam. Vielleicht lag es daran, dass es mitten in der Nacht war oder vielleicht wollte Percy auch einfach nur die Geschichte dahinter hören. „Lucy”, sagte er mit einem sorgenvollen Blick auf seine Frau, „in die Küche. Ich komme sofort. Dann sagst du mir, was in aller Welt, du hier zu suchen hast.” Lucy nickte schuldbewusst, schlich sich an ihrer Mutter vorbei zur Tür und hinunter in die Küche. Etwas traurig, dass sie ihre Aktion nicht hatte, zu Ende führen können. Geduldig wartete sie am Küchentisch, bis ihr Vater in Morgenmantel und mit Brille auf der Nase zu ihr kam. Er ignorierte sie zuerst, trat stattdessen an den Herd und setzte Wasser auf, um sich augenscheinlich einen Tee zu kochen. Lucy beobachtete ihn mit großen Augen, wartete auf irgendwelche Kommentare seinerseits. Als er sich jedoch nur dem Vorratsschrank zuwandte, platzte sie heraus: „Es sollte eine Überraschung werden.” Ihr Vater warf ihr einen skeptischen Blick zu, bevor er weiter stöberte. „Indem du unser Zimmer mit Zauberschnee vollstreust?” „Ja”, antwortete Lucy trotzig, „es gibt ja keinen echten Schnee dieses Jahr.” Percy seufzte. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn es Mitte Dezember noch nicht schneit. Nicht in diesen Breiten. Das Klima ist maritim beeinflusst...” Lucy spürte, wie ihre Augen langsam zufielen, als ihr Vater weiter ausholte und von der Wärmekapazität des Meeres sprach. „Hey, nicht einschlafen, die Befragung ist noch nicht beendet.” Eine Tasse heißer Tee wurde vor ihr abgestellt und Percy setzte sich seiner Tochter gegenüber. „Ich will aber, dass es schneit. Jetzt sofort.” Noch ein Seufzer. „Was soll das alberne Kostüm?” „Ich bin ein Schneeengel!”, verkündete Lucy stolz. Ihr Vater hob eine Augenbraue und blies auf seinen Tee, um ihn abzukühlen. Auch Lucy nahm ihren und wärmte ihre Hände. „Die bringen Schnee”, erklärte sie trotzig, „das habe ich von zwei Muggeln im Supermarkt gehört, als ich mit Mum einkaufen war. Sie sagten, dass sie sich wünschen würden, dass ihre Kinder Schneeengel machen könnten, aber es gebe ja keinen Schnee.” Er starrte sie ungläubig an. Dann lachte er. Ein kleines, zurückhaltendes Lachen zwar, aber ein Lachen. Lucy sah ihn erstaunt an, sie hatte ihren Vater zuvor kaum lachen sehen. Er wuschelte ihr durchs Haar und prustete in seinen Tee. Lucy wusste nicht, was so lustig war, aber sie war froh, dass er nicht mehr wütend war. Erleichtert nahm sie einen großen Schluck von dem Lakritztee. „Man kann nicht immer alles haben, Lucy”, sagte Percy nachdenklich. „Du hast immer gesagt, wenn unsere Wünsche nicht von selbst wahr werden, sollen wir sie wahr machen. Also, habe ich eigentlich nur deinen Rat befolgt”, argumentierte Lucy und setzte damit ihren Vater Schachmatt. Der erinnerte sich dunkel daran, dies seinen Töchtern mal erzählt zu haben, und grundsätzlich stimmte das ja, aber... „Nicht so, Lucy. Das gibt nur Unordnung. Außerdem solltest du längst schlafen.” Jetzt war es Lucy, die verlegen aussah. Sie ließ den Kopf hängen, doch Percy wusste, dass sie immer noch davon überzeugt war, richtig gehandelt zu haben. „Du gehst jetzt hoch, trinkst deine Tee aus und gehst schlafen. Morgen räumst du auf”, ordnete er an und sah ihr hinterher, wie sie seinem erstem Befehl nachkam. Wahrscheinlich würde er ihr morgen helfen, aber das musste sie jetzt nicht unbedingt wissen. Schließlich stand auch er auf und sprach einen Zauber, der seinen Becher abwaschen und anschließend trocknen würde. Gerade als er die Treppe nach oben steigen wollte, hielt ihn etwas davon ab, das er aus den Augenwinkeln wahrnahm. Er drehte sich um und entdeckte eine einsame Schneeflocke, die langsam vor dem großen Küchenfenster vorbeisegelte. Ganz allmählich gesellten sich mehr Schneeflocken dazu, bis man es wirklich als Schneefall bezeichnen konnte. Er lächelte. Morgen könnte er Lucy zeigen, was ein Schneeengel wirklich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)