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Opposites attract

von

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Prolog

Mit einem 'Klack' stellte ich mein leeres Glas zurück auf den Tisch vor mir. „Noch eins!“, verlangte ich und hob meinen Blick ein wenig. Das meine Stimme mittlerweile leicht lallend klang und ich lauter sprach, als es eigentlich nötig gewesen wäre, bemerkte ich gar nicht.

„Ich weiß nicht ob das eine so gute Idee ist.“, gab mein blauhaariger Kumpel zu bedenken.

Anstatt einer Antwort warf ich ihm einen genervten Blick zu.

Zweifelnd blickte er abwechselnd mich, das Glas und die Sakeflasche an. „Du weißt doch, das es keinen Sinn macht Sorgen in Alkohol ertränken zu wollen. Sie sind gute Schwimmer.“

Ich murrte etwas Unverständliches. „Ist doch egal...!“ Mit einem resignierten Seufzer gab Kaito schließlich klein bei und schenkte mir noch ein Glas ein. „Das ist jetzt aber das Letzte.“

Mit der rechten Hand griff ich nach meinem Glas. Es wirkte leicht verschwommen. Merkwürdig eigentlich... Nachdem auch das letzte bisschen Alkohol den Weg in meine Kehle gefunden hatte, ließ ich den Kopf auf meine verschränkten Arme, auf die Tischplatte sinken.

„Und jetzt erzähl mir endlich was los ist.“, harkte der Blauhaarige nach.

Ach ja richtig, eigentlich hatte ich ihn nicht besucht um mich mal wieder zu betrinken, sondern weil ich mit ihm über das neue Schulprojekt hatte reden wollen.

„Dieses dumme neue Projekt!“, begann ich. Mein Kumpel legte den Kopf schief. „Es ist ein wenig nervig, das stimmt schon. Aber ist das ein Grund so eine miese Laune zu haben?“

Er kannte mich und wusste, das ich wegen Schulprojekten eigentlich nie so eine Welle schob.

„Es ist nicht das Projekt an sich.“, begann ich. Meine Hand umfasste wie von selbst die Sakeflasche, aber er nahm sie mir mit sanfter Gewalt wieder ab und stellte sie ins Küchenregal. „Ich will nicht gleich noch den Krankenwagen rufen müssen.“, tadelte er mich.

„Frau Tachikawa hat es darauf angelegt mir das Leben zur Hölle zu machen!“, entrüstete ich mich dann. Kaito setzte sich nun ebenfalls wieder an den Tisch. „In wie fern denn das?“ Nun wirkte er ehrlich irritiert.

„Stimmt ja, du kannst das nicht wissen weil du in die Nachbarklasse gehst.“ Diese Tatsache hatte ich für einen Moment ganz vergessen. Wenigstens hatte die Nachbarklasse kein nerviges Projekt zu erledigen. „Sie hat mich mit der ätzendsten Person der ganzen Schule zusammen in eine Gruppe gesteckt.“ Und auch das wäre noch zu verkraften gewesen, hätten die Gruppen aus mehr als zwei Leuten bestanden.

„Wen genau meinst du?“ Nun funkelte ich den ruhigen Blauhaarigen gereizt an. Wir gingen schließlich zur selben Schule und waren gute Freunde. Sollte er da nicht eigentlich wissen, wen ich mochte und wen nicht?

„Na mit wem schon? Unsere Meistercheerleaderin höchst persönlich.“

Für einen Moment starrte mein Gesprächspartner mich nur überrascht an, dann murrte er ein :“Na das werden stressige zwei Wochen.“ Ob er nun meinte das ich Stress haben würde, oder er selber, da er unter meinen Launen leiden würde, war unklar.

Nun lehnte er sich ein wenig über den Tisch und sah mich ernst an. „Egal wie nervig Barbie auch sein mag, reiß dich bloß zusammen, Meiko.“

„Ich weiß! Aber ich bin mir ziemlich sicher, sie wird alles tun, um mich zu provozieren.“

„Dann versuch eben für dieses dumme Projekt dein Temperament irgendwie im Zaum zu halten.“

„Darauf wäre ich jetzt von selbst nicht gekommen.“, meine Stimme triefte vor Ironie.

„Wenn dir noch einmal die Hand ausrutschen sollte, werfen sie dich von der Schule.“, mahnte er mich.

Auch das war nichts Neues. Und genau darin bestand das Problem. Ich besaß eine Menge Temperament und hatte, obwohl es alles andere als mädchenhaft war, schon mehr als einmal auf dem Schulhof eine Prügelei angefangen.

Eigentlich schlug ich keine anderen Mädchen, bloß waren meine Projektpartnerin und ich Erzfeindinnen und sie würde alles tun, um mir eins auszuwischen. Und was lag da näher als die Vermutung, das sie mich während des Projekts solange provozieren würde, bis ich etwas Dummes tat, was wiederrum für die Schule der letzte noch fehlende Grund wäre mich zu schmeißen?

Ich erhob mich von meinem Sitzplatz und stellte fest, das ich wohl doch ein wenig mehr getrunken hatte, als es gut war.

„Sag mal, wie viel Uhr haben wir eigentlich?“ Auf meine Frage hin warf Kaito einen Blick auf seine Armbanduhr. „Schon 12. Wir haben morgen um 8 Uhr Schule, meinst du nicht, du solltest langsam mal nach Hause?“

Was? 12 Uhr? Verdammt! Ich war wirklich eine Meisterin darin von einem Problem zum nächsten zu stolpern. „Meine Mutter killt mich, wenn sie den Sake riecht!“ Der Blauhaarige verdrehte die Augen. „Ich hab dir doch gesagt du sollst nicht so viel trinken.“

„Kann ich heute nicht hier bleiben?“, bat ich. „Geez, ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist.“, gab er zu bedenken.

„Ach komm schon! Dein Sofa ist bequem und es erspart mir einiges an Ärger.“

„Aber du brauchst morgens immer so ewig im Bad.“ Ein letzter Widerstand seitens meines besten Freundes.

„Dann musst du halt früher aufstehen.“ Mit einem Grinsen strich ich mir eine der braunen Strähnen aus dem Gesicht.

Kaito klappte das Sofa hoch um eine Decke und ein Kopfkissen aus dem Bettkasten der Schlafcouch zu holen. „Manchmal habe ich das Gefühl, du nutzt meine Gutmütigkeit schamlos aus, Meiko.“

„Ach, das bildest du dir ein.“
 

Am nächsten Morgen erreichten wir den Schulhof etwa eine Viertelstunde vor dem Klingeln. Der Rest unserer Gruppe war auch schon da. Zum einen wären da die Zwillinge Len und Rin, welche eine Klasse unter uns waren, deren Klassenkameradin Gumi und Gakupo, welcher mit Kaito in eine Klasse ging.

Die Anderen waren genau wie ich zwar alle ein wenig eigen, aber im Großen und Ganzen waren wir alle recht normal, sportbegeistert und hielten vor allem nicht viel von Tussis.

„Was zieht ihr denn für Gesichter?“, begrüßte der Lilahaarige uns mit einem schiefen Lächeln.

„Oh Alkohol du böser Geist...“, begann Kaito, doch mein Todesblick ließ ihn verstummen.

Mein Blick fiel auf die drei Jüngeren, welche heute anstelle ihrer Schultaschen ganz gewöhnliche Rucksäcke dabei hatten. „Nach Schulkram sieht mir das aber nicht aus. Wo wollt ihr denn hin?“, wollte ich wissen.

„Unsere Klasse fährt doch gleich los um dieses Museum zu besichtigen.“, erinnerte Gumi mich. Ach stimmt ja. Wie gut die Unterstufe es doch hatte...

„Und weißt du was das Beste daran ist?“ Grinsend blickte Rin mich an. „Na sag schon.“

„Ich denke mal das der Besuch im Schokoladenmuseum alle mal besser ist als 2 Stunden Mathe und Physik.“, strahlte sie.

„Denkt dran uns was mit zu bringen.“, lenkten wir Älteren sofort ein. Die Gruppe lachte. Für den Moment war die Stimmung gut, doch das sollte sich schneller ändern, als wir dachten.

Als erster bemerkte es Len und wurde schlagartig wieder ernst.

„Ärger im Anmarsch,Leute.“, machte er nun auch uns darauf aufmerksam.

Ich drehte mich um und blickte genau in das Antlitz meiner Erzfeindin.

„Guten Morgen die Freaks!“, begrüßte sie uns übertrieben freundlich und strich sich eine der langen, hellblonden Strähnen aus dem Gesicht. Bei dieser Bewegung klirrten ihre X Armreifen, die ihr dabei den Arm hochrutschten.

Eine Gruppe von weiteren Tussis, die für mich fast alle gleich aussahen, hatte sich hinter ihr gruppiert.

„Was willst du denn hier?“, knurrte ich alles andere als begeistert.

Das Mädchen, das etwa einen halben Kopf kleiner war als ich selbst, machte einen Schritt auf mich zu. Nach wie vor hatte sie dieses übertrieben freundliche Lächeln aufgesetzt. „Ich kann doch einfach mal Hallo sagen kommen, nicht wahr?“ Natürlich war mir klar, das da noch mehr dahinter war. Ich machte eine Handbewegung, als wollte ich ein Huhn verscheuchen. „Na das hast du ja jetzt.“ „Also, was willst du wirklich?“, harkte ich noch einmal nach.

Ihr Lächeln schwand. „Nun, mir ist zu Ohren gekommen das du nicht wirklich gut in Englisch bist.“

Einen kurzen Moment herrschte Stille. „Denk nicht mal dran mich bei diesem Projekt reinzureißen.“, sagte sie dann gerade so laut, das ich es verstehen konnte.

„Was bildest du dir ein...!“, zischte ich und spürte die miese Laune langsam aber sicher wieder in mir aufsteigen.

Ich spürte wie sich eine Hand auf meine Schulter legte. Kaito warf mir einen mahnenden Blick zu. Ruhig bleiben.

„Lass uns gehen, Lily. Du weißt doch wie brutal die ist.“, mischte sich eine der Tussen ein.

Die Blonde zuckte nur mit den Schultern und wandte sich zu dem Mädchen, welches sie eben angesprochen hatte. „Mh, vielleicht hast du recht.“

Als die Gruppe sich entfernte, hörte ich sie gerade noch sagen. „Jeder hier weiß zwar, das sie von der Schule fliegt, wenn sie noch einmal was anstellt, aber das sollte man lieber nicht provozieren.“

Allgemeines Gegacker folgte.

„Oh man, das kann ja heiter werden.“, hörte ich Gakupo hinter mir sagen. „Das kannst du laut sagen.“, murrte ich. „Lass dich von der bloß nicht aus der Fassung bringen.“, mischte Rin sich ein.

„Ich denke, genau darauf wird sie hinarbeiten.“, ergänzte Len.

Das Schuljahr hatte eben erst angefangen, versprach aber jetzt schon stressig zu werden.

Noch war mir unklar, wie ich die Zusammenarbeit mit der Blonden während des Projekts überstehen sollte...doch dazu später mehr.

Das Chaos beginnt

Meine gute Laune war verflogen, als die Cheerleadergruppe wieder abgezogen war. Leider klingelte es kurze Zeit später auch schon, sodass wir unsere Klassenräume aufsuchen mussten.

Die erste Stunde stand Politik auf dem Programm. Wie immer kam der Lehrer überpünktlich in die Klasse gedackelt und begann auch gleich mit dem Unterricht.

Besonders spannend war das heutige Thema nicht, doch ich trug dennoch hier und da etwas zum Unterricht bei.

Da ich einen Platz am Fenster hatte, konnte ich sehen, wie unten auf dem Schulhof ein Reisebus hielt. Wie gern ich mich doch zur Unterstufe gesellt hätte und ebenfalls ins Schokomuseum gefahren wäre. Egal, da konnte man nichts machen. Meine Aufmerksamkeit wurde von einem Stapel Arbeitsblätter beansprucht, welcher gerade durch die Reihen gereicht wurde.

Eine Studie zum Fernsehverhalten von Erwachsenen und Jugendlichen. Arg! Wie 'spannend'!

Irgendwie überstand ich die Politikstunde zum Glück und nutzte die Fünfminutenpause dazu, einen Schluck Wasser zu trinken.

Neben mir kramte meine Sitznachbarin die Bücher für die nächste Stunde raus. Mathe.

„Hatten wir irgendwas auf?“, wollte ich wissen. Angesprochene strich sich eine der langen, rosanen Strähnen zurück, bevor sie antwortete. „Seite 124, Nummer 6 und 7, warum?“ „Wie viel war das?“

Mit einem Seufzen schob Luka mir ihr Heft rüber. „Wenn du dich beeilst, kannst du's noch abschreiben.“ Ein schiefes Grinsen legte sich auf meine Lippen. „Arigatou!“ Sie zog nur eine leichte Grimasse. „Wenn du dich nicht ab und an mal etwas reinhängst, dann sehe ich für die nächste Arbeit schwarz.“ Während ich die Mathehausaufhaben abschrieb, verdrehte nun ich die Augen. „Ja, Mama~“ Die Rosahaarige lachte leise. Zu ihrer rechten Seite hängte sich Miku, ebenfalls mit Stift und Heft bewaffnet, über den Tisch. „Hey! Ich will auch was sehen!“

Meine Laune besserte sich wieder. Der Großteil meiner Klassenkameraden war wirklich nett, und mit den beiden Mädels war ich bisher immer gut ausgekommen.

Der Matheunterricht war heute auch gar nicht so furchtbar, wie ursprünglich gedacht. Die Stunde verging sogar überraschend schnell.

Als ich die Klasse verließ, sah ich, wie Barbie und ihre Gruppe rüber sahen und irgendwas tuschelten. Glücklicherweise warteten vor der Tür schon Kaito und Gakupo. Ich verwarf meine Gedanken wieder und gesellte mich lieber zu den Jungs.

„Wir mussten eben nen unangekündigten Physiktest schreiben.“, murrte der Lilahaarige und zog ein Gesicht.

Ich zuckte nur mit den Schultern und setzte ein Lächeln auf. „War's denn so schlimm? Also mein Tag war bisher ganz erträglich.“

Zusammen begaben wir uns auf den Schulhof, wo wir uns auf eine Bank setzten. Da Rin, Len und Gumi heute nicht da waren, ging dies sogar ohne Gequetsche.

„Was meint ihr, ob unsere Sportlehrer unsere Klassen gleich wieder gegeneinander spielen lassen?“, fragend blickte Kaito in die Runde.

„Keine Ahnung, cool wär's aber. Wir haben einfach viel zu viele Mädchen in der Klasse!“, gab ich meine Meinung kund. Die Jungs lachten. „Du bist doch selbst eins, schon vergessen?“

„Es macht aber mehr Spaß mit euren Leuten Fußball oder Basketball zu spielen.“

Das unsere beiden Klassen gleichzeitig Sport hatten, war oft ein sehr glücklicher Zufall. Manchmal beschlossen die Sportlehrer spontan die Gruppen zu mischen, was von den meisten Schülern ebenfalls gern gesehen wurde.

Nach einem Frühstück und ein wenig Plaudern klingelte es dann auch schon wieder. So trödelten wir also rüber zur Sporthalle. Auf halbem Weg schlossen sich unserer kleinen Gruppe noch Miku und Luka an, die gerade aus der Pausenhalle gekommen waren.

Wie schon gehofft, mischten unsere Sportlehrer die Klassen wieder, sodass wir zwischen Basketball und Tanzen auswählen konnten. Schneller als die meisten gucken konnten, stand ich auch schon bei der Basketballtruppe. Zwar bestand diese fast nur aus Jungs, doch für ein Mädchen war ich nicht gerade klein und es war bekannt, das ich nicht plötzlich anfangen würde zu quieken, mir seie ein Nagel abgebrochen oder ähnlichen Unsinn.
 

Bis auf den kleinen Zwischenfall vor Schulbeginn war der Tag bisher doch überraschend gut gelaufen. Doch wie sollte es auch anders, natürlich würde sich dies in der letzten Stunde ändern.

Englisch stand auf dem Programm. Frau Tachikawa wollte das Projekt genauer mit uns besprechen.

Damit wir direkt erste Notizen anfertigen und uns absprechen konnten, verlangte sie erst einmal, das die Gruppen sich auch zusammensetzten.

Reichte es denn nicht, das ich Blondi die nächsten zwei Wochen oft genug nach der Schule sehen würde?

Da der Platz neben mir frei wurde, musste Lily rüber zu mir wandern, was ihr gar nicht zu passen schien. Kaum hatte sie sich gesetzt, da warfen wir uns gegenseitig auch schon wieder Giftblicke zu.

Die Lehrerin reichte uns einen Zettel, auf dem das genaue Thema unseres Projekts stand.

Wir sollten doch tatsächlich ein Referat über Jack the Ripper auf Englisch halten.

„Warum glaube ich, das meine Note unter dir leiden wird?“ Die Blonde warf mir einen wenig begeisterten Blick zu.

„Warum glaube ich, das meine Nerven unter dir zu leiden haben werden? Meine Nase tut es bereits.“, konterte ich. Meiner Projektpartnerin entgleisten die Gesichtszüge. Ich wusste, wie viel Wert sie auf ihr Aussehen und alles was damit zu tun hatte, legte. „Bitte?!“, schnappte sie.

„Na dein Parfum! Die Vanille vertreibt schon den Sauerstoff.“, grinste ich sie an.

„Unverschämtheit!“, entrüstete sie sich. Wenn Blicke töten könnten, hätte ich spätestens jetzt die Welt der Lebenden verlassen.

„Immerhin habe ich Stil.“ Sie warf mir einen hochnäsigen Blick zu. „Ganz im Gegensatz zu nem halben Kerl wie dir.“ Sie spielte auf mein meist sehr unmädchenhaftes Verhalten an.

„Halber Kerl, sagst du?“ Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Na du benimmst dich doch ständig wie einer!“

„Na wenn du meinst.“ Ihre Worte hatten mich auf eine Idee gebracht. Ich wusste, wie ich Barbie noch ein wenig ärgern konnte. Wie um ihre Worte zu bestätigen, ließ ich meine Hand unter dem Tisch zu ihrem Bein wandern und strich ihren Oberschenkel entlang.

Zum zweiten Mal in fünf Minuten entgleisten ihre Gesichtszüge. „Du...!“ Scheinbar fand Lily gerade kein passendes Wort. Stattdessen knuffte sie mich recht fest gegen den Oberarm.

„Uch!“ Ich verzog leicht das Gesicht.

Wir waren so mit Streiten beschäftigt, das wir die Lehrerin nicht bemerkt hatten. Frau Tachikawa schlug vor uns mit einem Buch auf den Tisch, sodass wir ihr sofort alle Aufmerksamkeit schenkten und erst einmal blinzelten. „Meiko! Lily! Ich könnte schwören Arbeiten sieht anders aus!!“, blaffte die Lehrerin uns an. „Im Beruf könnt ihr euch auch nicht mehr aussuchen, mit wem ihr zusammenarbeiten wollt und mit wem nicht! Also lernt es lieber bei Zeiten!“

„Gomen.“, murrte die Blondine neben mir und starrte den Tisch an. Das sie zur Abwechslung auch mal Ärger bekam, war ihr wohl neu.

Mich schockte der Wutanfall der Lehrerin nicht mehr im Geringsten. Zu oft keifte mich eine Lehrkraft an, ich solle doch endlich aufpassen oder aufhören meine Sitznachbarn zuzuquatschen.

Als Frau Tachikawa sich wieder von unserem Tisch entfernt hatte, warf meine Projektpartnerin mir einen bösen Blick zu. „Da ist der Beweis! Du bringst einen nur in Schwierigkeiten!“

Ich zuckte nur mit den Schultern. Dann bemerkte ich noch etwas Anderes. Auf ihren sonst so blassen Wangen lag ein ziemlicher Rotschimmer. Sie kochte förmlich vor Wut.

„Du bist ja ganz rot.“, stellte ich amüsiert fest. Mein Grinsen wurde noch eine Spur breiter. „Lily-chan, sag bloß du mochtest das eben.“ Und erneut boxte sie mir gegen den Oberarm. Gleiche Stelle – Au! Das würde nen blauen Flecken geben.

„Mach das noch mal und du bist sowas von tot.“, zischte sie mir zu. „Da bin ich aber gespannt.“

Irgendwie hatte ich Gefallen an unserem Streit gefunden. Es machte Spaß sie zu provozieren, auch wenn mein Oberarm jetzt schmerzte.

Endlich klingelte es und alle verließen fluchtartig den Klassenraum. Scheinbar hatte die Parallelklasse nicht so viel Glück wie wir, zeitig den Raum verlassen zu können.

Ich würde gleich mal rüber wandern und auf meine Kumpel warten. Immerhin wohnten wir im selben Viertel und konnten folglich noch ein gutes Stück des Heimwegs zusammen zurücklegen.

„Wann nehmen wir jetzt das Projekt in Angriff?“ Überrascht drehte ich mich um. Lily warf mir einen abwartenden Blick zu. Scheinbar wollte sie nicht länger als nötig hier auf dem Flur rumstehen.

„Ist mir schnuppe. Je schneller wir damit fertig sind, desto besser, richtig?“

„Da stimme ich dir ausnahmsweise einmal zu.“ Sie überlegte kurz. „Heute um 17 Uhr fangen wir an.“, sagte sie dann bestimmt. „Du weißt wo ich wohne.“

Nun, das wusste ich nicht direkt. Aber auf der Telefonliste der Klasse, standen auch alle Adressen.

„Na meinetwegen.“ Somit gingen wir für's erste unsere eigenen Wege. Bis 17 Uhr war es schließlich noch eine ganze Weile hin.

Im Treppenhaus passte ich meine Freunde ab und lief zu ihnen. Gemeinsam machten wir uns auf den Heimweg, während sie mich schon jetzt wegen heute Nachmittag bemitleideten.

eine heile Welt?

Als ich die Haustür aufschloss, hörte ich das Surren des Staubsaugers. Ein Geräusch, das ich hasste wie die Pest. Nicht das ich etwas gegen Sauberkeit gehabt hätte, aber dieses permanent gleichbleibende, nervtötende Surren machte mich meist ganz wahnsinnig.

Wenigstens wusste ich so schon mal, das meine Mutter bereits wieder zuhause war. „Ich bin wieder da!“, rief ich gegen den Lärm des Staubsaugers an.

Meine Mutter hatte mich gehört und sie schaltete diese Höllenmaschine glücklicherweise mal kurz aus. „Ah, schön das du wieder da bist, Schätzchen.“

Sofort verzog ich das Gesicht. Wieso noch gleich neigten Mütter immer dazu einem peinliche Spitznamen zu verpassen. „Mom!“, rief ich vorwurfsvoll. Angesprochene lachte nur und strich sich ganz nebenbei eine lange, braune Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Wie war dein Tag?“, wollte sie dann wissen. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Och eigentlich ganz okay.“ Ich öffnete die Tür meines Zimmers und warf meine Schultasche und mein Sportzeug hinein.

„Meiko!“ Tadelnd blickte meine Mutter mich an. „Kannst du nicht ein mal deine Sachen, wie ein ganz normaler Mensch, in deinem Zimmer ablegen?“

Ich verdrehte die Augen und beschloss lieber das Thema zu wechseln. „Was gibt’s heute zu essen?“

Sie schüttelte nur leicht grinsend den Kopf. „Dieses Kind...“

Gemeinsam begaben wir uns in die Küche, wo ein Teller mit bereits fertigen Pfannkuchen stand.

Die Pfannkuchen von meiner Mutter waren immer absolute spitze. Genau das, was ich vor einer so stressigen Projektarbeit brauchte.

„Hab ich dir schon erzählt, das ich nachher rüber zu Lily gehe?“ Nun blickte Mom mich eher verwirrt an. „Hast du beim Sportunterricht heute einen Basketball abbekommen, oder wie kommt's? Ich dachte ihr hasst euch?“

Nachdem ich einen Bissen Pfannkuchen heruntergeschluckt hatte, antwortete ich :“Ne, wegen diesem Projekt von dem ich dir neulich erzählt habe.“

Sie nickte. Scheinbar setzte ihr Erinnerungsvermögen wieder ein, wie ich es immer nannte.

„Lass dich von ihr nicht Ärgern, ja?“ Perplex starrte ich sie an. „Mom! Ich bin doch kein kleines Kind mehr!“ Sie lachte.

Dann wurde meine Mutter wieder ernst. „Aber jetzt mal im Ernst, stell bitte keine Dummheiten an. Die nächste Klassenkonferenz würde die Letzte an dieser Schule sein.“

Ich murrte. „Ich weiß. Ich werd schon nichts anstellen.“ Nun seufzte sie. „Das hast du das letzte Mal auch gesagt, bevor dein Lehrer mich angerufen hast, weil du einem älteren Schüler auf dem Pausenhof beinahe die Nase gebrochen hättest, Meiko.“

„Das war Notwehr!“, widersprach ich. „Ich hab selbst keine Ahnung, wie ich neulich in diese Prügelei geraten bin!“

„Na zumindest hast du kräftigt ausgeteilt.“

„Mom, bitte...“, murrte ich genervt.
 

Nach dem Essen duschte ich noch schnell und zog mich um. Glücklicherweise hatte ich für eine Frau relativ kurze Haare, die schnell wieder trockneten und meist ganz von selbst so lagen, wie sie sollten.

Mittlerweile war es 16 Uhr. Ich kramte Schreibkram zusammen, verfrachtete diesen in eine Tasche und steckte auch das Arbeitsblatt aus der Schule dazu.

Kurz schaltete ich meinen Laptop an und suchte, wo zur Hölle nun der Feuerbachweg in unserer Stadt war. Na da würde ich ja eine ganze Weile unterwegs sein.

Ich krallte mir meine Umhängetasche, schlüpfte in meine Inliner und machte mich auf den Weg.

Der Weg bis zur Schule war mir natürlich wohl bekannt, doch meine Projektpartnerin wohnte genau in der entgegengesetzten Richtung zu meinem Haus. Schon bald fand ich mich in einem mir unbekannten Teil der Stadt wieder. Ein Villenviertel. Ja, hier wohnte das Geld. Da es hier nichts außer teuren Häusern und Anwesen gab, trieb ich mich für gewöhnlich eher nicht in dieser Gegend rum.

Ich schaffte es zwei mal mich zu verlaufen, bis ich den Feuerbachweg endlich gefunden hatte. Nach der Hausnummer musste ich dafür zum Glück nicht lange suchen.

Das Haus, in dem die Blonde wohnte, war schwer zu übersehen. Eine große, teuer aussehende Villa mit zwei Etagen, mindestens zwei Garagen und einem riesigen Vorgarten. Der Rasen vor dem Haus war akkurat gemäht und aus den Buchsbäumen waren hübsche Figuren geschnitten worden.

Wow...ich war ernsthaft beeindruckt. So arrogant wie sie immer war, hatte ich schon damit gerechnet das Lily in einem großen Haus lebte, doch hatte ich nicht mit einem solchen Anwesen gerechnet.

Einfach aufs Grundstück laufen konnte man nicht, da ein gigantischer Zaun mit aufwendigen Verzierungen den Durchgang versperrte. Also klingelte ich und wartete erst einmal ab.

Wenn ich mir dieses Haus so ansah, dann würde es mich nicht wundern, wenn gleich auch noch ein Butler wie ein Pinguin raus zum Tor gewatschelt kam.

Doch dem war überraschenderweise nicht so. Die Haustür wurde einen Spalt weit geöffnet und meine Klassenkameradin höchst persönlich sah nach, wer da vor dem Tor stand. Vermutlich hatte sie schon damit gerechnet, das ich es sein würde.

Sie verließ das Haus und schritt den langen Weg bis zum Tor entlang. „Du bist zehn Minuten zu spät.“, begrüßte sie mich und warf mir einen unfreundlichen Blick zu.

„Ich hab mich zwei Mal verlaufen. In dem Viertel sieht aber auch fast alles gleich aus!“, verteidigte ich mich. „So einfältig das sie nicht mals Straßennamen lesen kann.“, entgegnete Lily grinsend.

Endlich hatte sie den passenden Schlüssel gefunden und schloss das Tor auf, sodass ich das Grundstück betreten konnte. Da ich derzeit auf Inlinern stand, war ich einen guten Kopf größer als sie.

„Sag das noch mal und ich geb dir einfältig!“

Überraschenderweise schien sie das nicht aus der Ruhe zu bringen. „Das bestätigt meine Annahme nur noch.“, entgegnete sie. „Verletzt du mich, fliegst du von der Schule und hörst von meinem Anwalt.“

„Als wenn ich mir an dir die Finger schmutzig machen würde.“, knurrte ich. Was für eine Begrüßung. Aber wirklich etwas anderes hatte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet.

An der Haustür angekommen, zog ich die Inliner aus und schlüpfte in die Gästepantoffeln, die schon bereit standen. Wie peinlich! Die Teile waren quietsch pink!

„Dann lass uns mal mit dem Projekt anfangen.“, streute Lily ein. Ich folgte und blickte mich dabei im Haus um. Die Einrichtung sah sauteuer aus, an einigen Wänden hingen Ölgemälde und auf dem Boden konnte ich nicht einen Staubkrümel entdecken.

Plötzlich beanspruchte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Ein kleiner weißer Mopp kam laut kläffend auf mich zugestürmt. Von den Geräuschen her, handelte es sich bei dem plüschigen Etwas wohl um einen Hund. Damit das arme Vieh etwas sehen konnte, hatte man ihm die Haare mit einem rosanen Schleifchen aus dem Gesicht gebunden.

Der größenwahnsinnige Malteser stürzte sich knurrend auf mein Bein und verbiss sich im weiten Schlag meiner Hose.

„Was zum??“, brachte ich ein wenig verdattert heraus. Ernst nehmen konnte ich den kleinen Hund nicht gerade.

„Hildegard nein! Lass sie los!“, schimpfte meine Klassenkameradin ihr peinliches Haustier.

Jetzt konnte ich nicht mehr. Was für ein Name. „Oh man, Hildegard!“, prustete ich und brach in schallendes Gelächter aus. Das Tier hatte inzwischen damit aufgehört in meine Jeans zu beißen.

„Das ist der Hund von meiner Mutter.“, erklärte die Hausbesitzerin peinlich berührt.

Sie schob den Malteser in ein anderes Zimmer und schloss die Tür, ehe der Hund wieder hinauslaufen konnte.

Der Weg führte uns nun eine Treppe hoch. Auf der zweiten Etage angekommen öffnete Lily schließlich eine weitere Tür. Ich folgte ihr und sah mich um. Scheinbar ihr Zimmer.

Wie der Rest des Hauses war auch dieser Raum riesig. In einer Ecke hing ein riesiger Spiegel, davor ein Schränkchen auf dem allerlei Schminkzeug und Schmuck stand. An einer anderen Wand war ein großer Flachbildfernsehr angebracht worden.

Des weiteren besaß sie zwei Kleiderschränke, ein Sideboard, einen großen aber aufgeräumten Schreibtisch, auf dem ein neu aussehender PC stand und in einem Regal entdeckte ich einige Schulbücher.

Das Bett maß mindestens 140cm, die Bettwäsche besaß ein kitschiges Blümchenmuster. Hier und da lagen einige Brückenteppiche.

Auch in diesem Raum war es sehr aufgeräumt. Ein krasses Gegenstück zu meinem eigenen kleinen, chaotischen Zimmer.

Natürlich verbot mein Stolz es mir, mich zu dem ganzen Luxus hier zu äußern.

„Am besten wir suchen im Internet nach ein paar Informationen.“, schlug ich vor. Doch anstatt ihren Computer einzuschalten, begann Lily damit das Bücherregal zu durchwühlen.

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Was genau machst du da?“

„Sorry, wir müssen heute ein paar Bücher zu rate ziehen. Die Sicherung ist vorhin rausgeflogen.“

„Unten brannte doch eben noch Licht.“, wunderte ich mich. „Die Sicherung von meinem Zimmer.“, erklärte die Blonde nun.

„Dann geh doch in den Keller und schalte sie einfach wieder ein. Oder hat Madame etwa Angst, sie könnte vielleicht von ein paar Spinnen überfallen werden?“ Auf meine Lippen legte sich ein Grinsen.

„Ich hab mir den Sicherungskasten noch nie genauer angeguckt. Keine Ahnung wie das gehen soll.“, gab sie überraschenderweise zu. „Kein Ding, ich kann das eben reparieren. Bei uns passiert das auch ständig.“, bot ich an. Mit dem Computer zu arbeiten würde doch viel schneller gehen. Genau aus dem Grund, bot ich auch meine Hilfe mit dem Sicherungskasten an. Ich hatte keine Lust meine Informationen mühsam aus Büchern zu holen.

„Kommt gar nicht in Frage! Du sprengst uns noch das Haus in die Luft!“ Leicht entsetzt blickte die Hausbesitzerin mich an. „Außerdem hat mein Vater den Kellerschlüssel.“

Etwas an der Sache war merkwürdig. Blondi versuchte zwar dauernd neue Erklärungen zu finden, aber mein gesunder Menschenverstand sagte mir, das ich ihr keinen Glauben schenken sollte.

Dennoch ließ ich es erstmal gut sein. Das hier war schließlich nicht mein Haus.

So setzten wir uns also zusammen und begannen damit einige Geschichtsbücher nach Jack the Ripper zu durchstöbern. Die Informationen die wir fanden, schrieben wir erst einmal auf.

Bei der ganzen Arbeit stritten wir uns nur halbherzig, da wir sonst vermutlich dauernd aus der Zeile gerutscht wären.

Wir hatten gut eine Seite geschrieben, da klopfte es an der Zimmertür. Die Blonde sah auf. „Ja?“

Die Tür öffnete sich und eine Frau, die ich auf anfang 40 schätzte, betrat das Zimmer. Sie war schlank, etwa 170cm groß und hatte kurzes, blondes Haar. Die Ähnlichkeit zu meiner Klassenkameradin war nicht zu übersehen. Scheinbar ihr Mutter. Der Anzug, den die Frau trug, sah genau so teuer aus,wie das ganze Haus und verriet, das sie vermutlich gerade von der Arbeit gekommen war.

„Hallo Mom.“, begrüßte Lily ihre Mutter. Diese nickte ihr kurz zu und warf stattdessen mir ein Lächeln zu. Jetzt war ich ernsthaft irritiert. Meine Mutter behandelte mich doch wesentlich freundlicher.

„Guten Tag.“, begrüßte sie mich freundlich. „Du musst Meiko sein, richtig?“ Ich nickte. „Freut mich Sie kennen zu lernen.“, sagte ich schließlich. Und obwohl die Mutter meiner Klassenkameradin sich mir gegenüber freundlich verhielt, war sie mir von Anfang an unsympathisch. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, das dieses freundliche Verhalten nur gespielt war.

Nun wandte sie sich zumindest an ihre Tochter. „Hast du deinem Gast schon etwas Zutrinken angeboten?“ Etwas perplex blickte die Blonde ihre Mutter an und schüttelte dann den Kopf. „Ähm...nein?“ Schon wieder veränderte sich etwas im Blick der Erwachsenen. „Wie oft habe ich dir

jetzt schon gesagt, das so etwas unhöflich ist?!“, wetterte sie los. Ich blinzelte und fühlte mich, wie im falschen Film. Meiner eigentlich verhassten Klassenkameradin war die Situation sichtlich unangenehm. „Aber sie hat doch selbst einen Mund. Meiko wird schon sagen, wenn sie Durst hat.“, verteidigte Lily sich. Bevor das jetzt ewig so weiter ging, beschloss auch ich mich mal einzumischen.

„Ist schon gut, wirklich. Ich hätte mich schon gemeldet, wenn ich irgendwas brauche.“

Das schien ihr wohl etwas den Wind aus den Segeln genommen zu haben. „Dann ist ja gut.“

Kurz herrschte eine unangenehme Stille. „Trotzdem möchte ich dich nicht noch einmal an so etwas erinnern müssen.“ Die Tonlage, in der sie da mit ihrer Tochter sprach, war eisig.

Als die Tür wieder ins Schloss gefallen war, wirkte die Blonde merkwürdig still. Unweigerlich fragte ich mich, ob die Person da neben mir wirklich meine arrogante, zickige Klassenkameradin war.

„Geht das bei euch immer so ab?“, wollte ich wissen.

„Geht dich nichts an.“ Ihre Stimme klang kühl. „Und du bist dir wirklich sicher, das die Sicherung vorhin einfach so rausgeflogen ist?“, harkte ich nach.

„Ja doch!“ Lily stand auf, packte mich am Arm und zog auch mich auf die Füße. Ich sah die Kleinere fragend an.

„Lass uns morgen weiterarbeiten, ja? Ich denke es ist besser wenn du jetzt gehst.“

Auch wenn sie sonst alles daran setzte mir das Leben zur Hölle zu machen, so merkwürdig wie sich die Cheerleaderin auf einmal verhielt, machte ich mir wirklich meine Gedanken, ob alles in Ordnung mit ihr war.

„Stimmungsschwankungen?“, versuchte ich sie zu reizen, damit sie sich wieder 'normal' verhielt.

„Geh jetzt!“, sie schob mich in Richtung Zimmertür. Hätte ich nicht gewollt, sie hätte mich keinen Zentimeter vom Fleck bewegen können, doch ich ließ sie einfach mal.

„Aber Morgen kommst du rüber zu mir. Ich habe keine Lust schon wieder durch die halbe Stadt zu rennen.“, verlangte ich.

Wir hatten morgen nur 4 Stunden Unterricht, was eigentlich sehr wenig war.

„16 Uhr, okay? Ich hab noch Training.“, antwortete sie. Oh man, wie konnte man nur freiwillig Cheerleader werden und dann auch noch das Schulteam anführen? Dinge die ich wohl nie verstehen würde.

„Fein. Und stell dich schon mal auf Treppenlaufen ein, der Aufzug ist nämlich kaputt.“

Lily zog eine Augenbraue hoch. „In welchem Stock wohnst du?“, erkundigte sie sich. Man konnte ihr ansehen, das sie nichts Gutes ahnte.

„Im 5ten. Das solltest selbst du noch irgendwie schaffen.“

„Ich bin doch kein Krüppel!“, beschwerte sie sich, was mich zum lachen brachte.
 

Als ich wieder auf dem Nachhauseweg war, dachte ich noch ein wenig über den heutigen Nachmittag nach. Wie gut ich es doch hatte, eine freundliche Mutter zu haben. Die Eltern meiner Freunde waren genauso nett. Es war richtig ungewohnt einer so eisigen Person über den Weg zu laufen. Nach wie vor verstand ich nicht, wie sie eine Fremde freundlicher behandeln konnte, als ihre eigene Tochter.

Mein Handy piepte. Ich kramte es aus der Tasche und nahm den Anruf entgegen. Am anderen Ende der Leitung war Gakupo, der wissen wollte, ob ich nicht Lust hätte auch noch in die Bar zu kommen. Welche Bar genau musste er nun wirklich nicht extra erklären, immerhin waren er, Kaito und ich mindestens einmal pro Woche dort.

Und natürlich hatte ich Lust. Ich verwarf meine Gedanken, bog in eine andere Straße ein und beschloss mich zu meinen Freunden in die Bar zu gesellen.

Von Mathetests, Unordnung und anderen Katastrophen

Am nächsten Morgen riss mich der Wecker unsanft aus dem Reich der Träume. Arg, dieses nervige Piepsen! Da half es auch nichts sich die Decke noch ein Stück weiter über den Kopf zu ziehen.

Entnervt setzte ich mich schließlich im Bett auf und stellte den Wecker aus. Es war 6:30 Uhr. Wenn der Unterricht um 8 Uhr begann, dann sollte die Zeit reichen.

Ich gähnte und streckte mich. Vielleicht wäre ich ausgeruhter, wäre ich gestern Abend nicht so lange in der Bar geblieben. Doch auch wenn ich müde war, so war ich mir sicher, das es mir besser ging als den Jungs. Ich schaffte es regelmäßig sie unter den Tisch zu trinken. Zwar hatten wir gestern kein Wetttrinken veranstaltet, dennoch würden sie erheblich mehr Kopfschmerzen haben als ich.

Ich stand auf, bahnte mir einen Weg durch das Chaos, welches in meinem Zimmer herrschte und stellte erst einmal laut das Radio an, um richtig wach zu werden.

Meine Mutter hatte um diese Uhrzeit schon das Haus verlassen, da sie noch mit dem Zug in eine andere Stadt fahren musste, wo ihre Arbeitsstelle lag.

Somit hatte ich morgens die Wohnung für mich allein, was sehr praktisch war. Nach einer Dusche und einem Frühstück ging es mir dann doch schon gleich viel besser.

Ich zog mich noch rasch um und suchte dann meine Schulbücher zusammen, die ich überall auf dem Boden verstreut hatte. In meinem Zimmer war es so oder so eine Kunst nirgendwo drauf zu treten. Überall lagen Bücher, Hefte, Zeitschriften, vereinzelte Klamotten und sämtlicher anderer Kram. Meine Mutter regte das tierisch auf, aber solange ich regelmäßig staubsaugte und putzte, ließ sie mir mein Chaos.

Im Radio lief gerade ein Song den ich mochte und ich sang gut gelaunt mit. Viele dachten ich seie nur sehr sportlich, doch mein wahres Talent war das Singen.

Ich war noch dabei das Chaos auf dem Fußboden nach meinem Mathebuch zu durchwühlen, da klingelte es an der Haustür. Also lief ich in die Diele, spähte durch den Spion der Tür und öffnete diese dann.

„Du bist aber heute früh dran.“, begrüßte ich Kaito, welcher mich freundlicherweise abholen kam.

Auf dem Schulweg würden sich uns dann vermutlich gleich auch noch Rin und Len anschließen.

„Dir auch einen guten Morgen.“

Ich kratzte mich leicht verlegen am Hinterkopf. „Ich bin noch nicht ganz fertig. Mein Mathebuch ist nicht auffindbar. Aber komm doch rein.“

Somit betrat er die kleine Wohnung, ging direkt durch in mein Zimmer und blieb erstmal kopfschüttelnd stehen. „Meine Güte. Hier sieht's ja aus, als wenn eine Bombe eingeschlagen hätte.“

„Ich weiß. Ich müsste mal wieder aufräumen.“, gab ich zu. Der Blauhaarige warf mir ein schiefes Lächeln zu. „Das sagst du jetzt schon seit gut zwei Wochen.“

„Als wenn dich das Chaos hier noch sonderlich überraschen würde. Hilf mir lieber mein Mathebuch zu finden!“, wies ich ihn an.

Kopfschüttelnd machte er sich an die Arbeit. Irgendwann grub ich das Buch erfolgreich unter meinem Schlafanzugoberteil wieder aus.

Ich schnappte mir noch schnell meine Bento-Box und den Haustürschlüssel und schälte mich in Schuhe und Jacke, dann verließen wir meine Wohnung.

Wie nicht anders zu erwarten war, kreuzten nach etwa 100 Metern auch die blonden Geschwister unseren Weg. Somit gingen wir zu viert weiter. Wo der Lilahaarige geblieben war, war unklar. Ich vermutete, das er noch Kopfschmerzen vom Barbesuch gestern Abend hatte.

Auf den Schulweg erzählten Len und Rin uns von ihrem Ausflug gestern, wobei letzt Genannte das Wort meist an sich riss.

Die erste Doppelstunde heute war BWL. Überraschenderweise verstand ich das neue Thema auf Anhieb und es fiel mir ausgesprochen leicht. Auch die Pause verlief ohne Zwischenfälle. Da unsere Gruppe nun wieder vollständig war,hatten wir uns wie üblich mit sechs Leuten auf eine Bank gequetscht, frühstückten, quatschten und lachten.

Auch die Geschichtsstunde ging irgendwie vorbei. Zuletzt kam Mathe an die Reihe. Die Schüler waren gedanklich schon im Wochenende, was unseren Lehrer so aufregte, das er uns einen unangekündigten Test schreiben ließ. Ein allgemeines Stöhnen ging durch die Reihen.

Wie üblich mogelte ich mich durchs Leben, indem ich heimlich rüber zu meiner Sitznachbarin schielte. Ich war mir relativ sicher, das die Ergebnisse, die ich von ihr abschrieb schon richtig sein würden. Ohne sonderlich viel dafür tun zu müssen war die Rosahaarige verdammt gut in Mathe und Englisch. Im Gegensatz dafür schob ich ihr meist meine BWL- und Informatikhausaufgaben zu.

Die Tests wurden noch in der Stunde korrigiert, sodass sie am Ende der Stunde wieder zurückgegeben werden konnten. Eine 2, wie nett. Bei so einer Note würde ich mich sicher nicht beklagen.
 

Nach der Schule überredete mich Gumi noch mit ins Einkaufscenter zu kommen. Sie wollte nach einer neuen, stylischen Brille ausschau halten. Nicht das sie ihre Brillen je auf der Nase getragen hätte, sie setzte sie sich meist auf den Kopf, was schon ein richtiges Markenzeichen von ihr geworden war.

„In der Stadt hat gestern ein neues Piercing- und Tattoostudio aufgemacht.“, erzählte sie mir.

„Ich finde Tattoos ja irgendwie schon cool, aber meine Mutter erlaubt es mir nicht!“, beschwerte die Grünhaarige sich dann.

„Du und ein Tattoo? Das kann ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen.“ Jetzt zog sie ein Schmollgesicht. Doch eben so schnell hatte sie sich wieder beruhigt.

„Du hast's gut, bist fast 18. Wetten deine Mom würde es dir erlauben?“ Ich zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber vermutlich hast du recht. Naja, abgesehen davon das ich nicht zwingend ein Tattoo brauche.“ Grinsend blickte ich die Jüngere an.

„Sag mal, wie läuft eigentlich das Projekt?“, wollte sie dann wissen.

„Besonders viel haben wir noch nicht geschafft. Aber es wird schon werden.“

„Und deine Nerven haben das bisher ernsthaft ausgehalten?“ Sie mochte die Blondine genau so wenig wie ich.

Auf diese Frage hin konnte ich ein Kichern nicht unterdrücken. „Barbie ist natürlich zickig wie eh und je, aber ob du es glaubst oder nicht, es ist amüsant.“

Jetzt erzählte ich ihr von dem Luxushaus, dem riesigen Garten und vor allem von Hildegard, dem Killerköter. Wie ich gestern Abend noch festgestellt hatte, sah man meiner Jeans seine Attacke nicht mals an.

Nun war es Gumi die sich kaputtlachte. Mit einem so peinlichen Haustier hatte sie wohl nicht gerechnet.

Aber jetzt, wo ich so darüber nachdachte, fiel mir auf, das meine Projektpartnerin den ganzen Tag über merkwürdig still gewesen war. Sie hatte heute nicht einen Versuch unternommen mir auf die Nerven zu fallen und hatte nach dem wir den Mathetest wiederbekommen hatten, kreidebleich den Raum verlassen.

Vermutlich würde sie zum Ausgleich für diesen ruhigen Vormittag heute Nachmittag nur doppelt unausstehlich sein, dachte ich mir.
 

Nach wie vor war der Aufzug in meinem Haus kaputt. Mich wunderte diese Tatsache gar nicht mehr, schließlich war das Teil fast jeden Monat ein Fall für die zuständige Aufzugsfirma.

Da ich fast bis 15 Uhr mit Gumi in der Stadt gewesen war, war ich auch nicht dazu gekommen aufzuräumen. Mein Zimmer sah fast noch schlimmer aus als heute morgen, denn nun türmten sich auch noch Hausaufgaben und Einkäufe auf Bett und Boden, doch nach wie vor fand ich Plätze, wo ich mich setzen konnte. Vielleicht würde ich morgen früh mal ein wenig für Ordnung sorgen. Schließlich war morgen Samstag und ich musste nicht zur Schule.

Überpünktlich um viertel vor Vier klingelte es. Vor der Tür stand meine Klassenkameradin, die von den vielen Treppen noch ganz außer Atem war. Ich öffnete ihr also die Tür und ließ sie herein.

Der kleine Flur sah noch ganz normal aus. „Unten im Treppenflur sitzt ein Penner! Ist das etwa normal hier?“,wollte sie direkt wissen. „Nein, eigentlich nicht.“, antwortete ich. „Aber solange er nicht hier vor der Tür aufkreuzt, soll es mir egal sein.“

Ungläubig starrte Lily mich an. Scheinbar konnte sie nicht verstehen, wie ich bei sowas so ruhig bleiben konnte.

Wir gingen in mein Zimmer, wo die Blonde erst einmal schockiert stehen blieb und sich umsah.

„Mein Gott Meiko, was ist denn hier passiert?!“, wollte sie wissen.

„Ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen.“, war die einfache Antwort. Meine Projektpartnerin konnte es immer noch nicht fassen. Umständlich bahnte sie sich einen Weg durchs Chaos, bis sie meinen Bürostuhl erreicht hatte.

„Hier sind ja selbst die Putzteufel chancenlos.“, stellte sie fest und warf der Unordnung argwöhnische Blicke zu. „Kennst du den Spruch 'Nur ein Genie beherrscht das Chaos'?“, wollte ich wissen.

Die Blonde lachte. Auf ihren Lippen hatte sich ein arrogantes Grinsen breit gemacht. „Du und ein Genie?“, brachte sie sichtlich amüsiert heraus. „Der war gut!“ Ihren Lachflash quittierte ich mit einer Grimasse.

„Lass uns mit dem Projekt weitermachen, Barbie.“, erinnerte ich sie dann. Lily hielt inne. „Wie hast du mich gerade genannt?!“, fauchte sie mich an.

„Na Barbie.“, antwortete diesmal ich mit einem Grinsen. „Ich finde die Ähnlichkeiten zwischen dir und dieser Plastikpuppe sind schon vorhanden.“

Ein wütendes Funkeln traf mich. „Pass auf was du sagst!“

Als wir uns endlich dazu entschlossen hatten mit dem Streiten aufzuhören und weiterzuarbeiten, schaltete ich den Laptop ein. Während ich die Informationen aus den Texten filterte und aufschrieb, übersetzte Lily sie ins Englische.

Durch Zufall sah ich zu ihr rüber, als sie eine Seite in ihrem Collegeblock umblätterte. Zum Vorschein kam der Mathetest, den wir heute geschrieben hatten. Scheinbar hatte meine Projektpartnerin ihn vorhin einfach in den Block geschoben.

„Hey, zeig mal her.“ Noch bevor sie reagieren konnte, hatte ich das Blatt geschnappt und zu mir rüber gezogen.

„Hey, gib das sofort wieder her!“ Sie griff nach dem Zettel, aber ich wollte vorher noch einen Blick darauf riskieren und zog somit die Hand weg.

„Her damit!“War das jetzt Wut oder Verzweiflung in ihrer Stimme? Da ich längere Arme hatte, kam sie im Sitzen nicht an das Blatt. Doch die Blondine wollte wohl unbedingt verhindern das ich Gelegenheit hatte den Test eingehender zu betrachten.

Irgendwie war die Situation ziemlich amüsant, wie ich fand. Es war so einfach sie zu reizen.

„Ich will doch nur sehen was ne Tussi wie du wohl für ne Note geschrieben hat.“, brachte ich kichernd heraus und verhinderte erneut, das sie den Mathetest zu fassen bekam.

Da wir wegen der Projektarbeit nebeneinander auf dem Bett gesessen hatten, kniete sie sich jetzt hin, angelte nach dem Test, verlor das Gleichgewicht und riss mich gleich mit.

Dank der Matratze war die Landung weich. Dennoch waren wir für einen Moment wie erstarrt.

Ich, weil ich einen Lachflash erlitt und Lily...nun sie war mit dem Gesicht wirklich weich gelandet und wohl in eine Art Schockstarre verfallen.

„Was für ein stürmisches Mädchen!“ Immer noch lachend und planiert gab ich ihr mit der freien Hand einen leichten Klaps auf den Hintern. Das schien sie zurück in die Realität gebracht zu haben.

„MEIKO!“, kreischte sie mich halb taub und rollte sich freundlicherweise von mir runter. Natürlich nicht ohne mir vorher ihren Mathetest abgenommen zu haben. So ein Mist aber auch, jetzt hatte ich doch keinen Blick auf die Note werfen können.

„Du bist echt unmöglich, weißt du das?!“, fügte sie bissig hinzu. „Und du bist...etwa so rot wie eine überreife Tomate, wenn's dich interessiert.“, gab ich nach wie vor amüsiert zurück.

Ein paar bissige Kommentare später hatten wir uns wieder zusammengerauft und arbeiteten am Jack the Ripper Projekt weiter.

Als meine Mutter Abends von der Arbeit kam, hatten wir schon mal die Grundinformationen über den Serienmörder rausgesucht und ins Englische übersetzt.

„Ich bin wieder da!“, rief sie durch den Flur. Kurze Zeit später wurde die Zimmertür geöffnet.

Meine Mutter trug noch ihre Jacke und hielt eine Zeitung in der Hand, die sie gleich vermutlich auf dem Wohnzimmertisch platzieren würde.

„Hi!“, rief ich, während von der Blonden ein wesentlich höflicheres „Hallo.“, kam.

Mom lächelte meine Klassenkameradin freundlich an und musterte sie kurz. „Du musst Lily sein, richtig? Meine Tochter hat mir schon einiges von dir erzählt.“

„Vermutlich nur das 'Beste'?“, wollte sie etwas unsicher wissen.

„Ach quatsch, Meiko neigt manchmal dazu zu übertreiben.“

„Mom!“, fuhr ich dazwischen.

„Ihr habt sicher Hunger Mädels, oder?“, wollte meine Mutter dann wissen. „Ich wollte nämlich gleich was kochen.“

„Klingt super.“, freute ich mich, denn dazu etwas Vernünftiges zu essen, hatte ich heute noch keine Zeit gehabt. „Du kannst auch gern zum Essen bleiben.“, bot sie meiner Projektpartnerin an.

„Ähm, ich weiß nicht...“

„Das geht schon in Ordnung.“, versicherte meine Mutter noch mal.

Was ich von dieser Idee hielt, danach wurde ich gar nicht gefragt. Aber wenn ich jetzt etwas anderes sagte, hing mit Sicherheit der Haussegen schief.

Na fein, sollte Barbie eben zum Essen bleiben. Das Wichtigste war erstmal, das es überhaupt etwas Warmes zu essen gab. Da meine Kochversuche bisher immer furchtbar fehlgeschlagen waren, wartete ich mit dem Essen meist, bis meine Mutter von der Arbeit zurückkam. Manchmal war sie ja auch schon zurück, wenn ich von der Schule kam, das hing immer ganz davon ab, was für eine Schicht sie den Tag hatte.
 

Nach dem Essen verabschiedete sich Lily dann auch wieder. Vor meiner Mutter war sie erstaunlich höflich gewesen und erst recht langsam aufgetaut. Das lag vermutlich daran, das sie so einen herzlichen Umgang von Zuhause aus nicht gewöhnt war.

Just in dem Moment als sie die Haustür öffnete um die Wohnung zu verlassen, kam Rin die Treppen hochgelaufen. Schon von Weitem winkte sie und hielt irgendetwas in der Hand.

Um ein Haar hätte sie die Ältere Blonde über den Haufen gerannt, die gerade noch ausweichen konnte.

„Ich hab meinem Bruder endlich mal das neueste Tekken abluchsen können!“, rief sie begeistert. „Lass uns ne Runde zocken!“

Ja, warum eigentlich nicht nicht? Ich hatte den Abend über eh nichts mehr zu tun. „Klar, komm rein.“

„Ihr seit doch alles Freaks!“, rief Lily uns noch zu, doch merkwürdiger Weise hatte ich das Gefühl, das es diesmal gar nicht so bissig gemeint war wie sonst immer.

überraschender Besuch

Ich gähnte, streckte mich, rieb mir kurz die Augen und spähte dann unter der Bettdecke hervor. Wie schön es doch war ausschlafen zu können!

Nachdem ich noch etwa zehn Minuten untätig liegen geblieben war, beschloss ich langsam mal aufzustehen. Ich öffnete das Fenster und blickte mich dann in meinem Zimmer um. Ja, heute sollte ich definitiv mal aufräumen.

Meine Mutter würde das Wochenende über bei ihrer älteren Schwester verbringen, was für mich nichts anderes als sturmfrei bedeutete.

Noch komplett zerstruppt und immer noch verschlafen aussehend verließ ich den Raum um in der Küche vorbei zu sehen. Im Wohnzimmer war meine Mutter gerade dabei die letzten Sachen in ihren Koffer zu packen. Sie lachte als sie mich sah. „Oje, wie siehst du denn aus?“

Ich zuckte nur leicht die Schultern und setzte ein Lächeln auf. „Keine Ahnung. So wie ich immer aussehe, wenn ich gerade wach geworden bin?“ „Stimmt auch wieder.“

Dann blickte sie auf die Uhr, welche über dem Fernseher hing. „Ich muss langsam mal los, sonst verpasse ich den Bus.“, erklärte sie.

„Okay, dann wünsch ich dir viel Spaß.“ Sie drückte mich noch kurz, was ich mit einem Murren quittierte, dann ging sie mit ihrem Koffer rüber zur Tür.

„Ach Mama?“ Nun blieb meine Mutter stehen und sah mich an. „Ist es okay, wenn i-“ Weiter kam ich gar nicht. „Das weißt du doch. Lad deine Freunde ruhig ein. Aber lasst um Himmels Willen das Haus heil.“ Woher wissen Mütter eigentlich immer, was man gerade denkt oder fragen wollte?

„Und wenn die Jüngeren auch herkommen, dann gib ihnen bloß keinen Alkohol.“

Ich verdrehte die Augen. Als wenn Len, Rin und Gumi sich hier ins Koma saufen würden.
 

Nachdem meine Mutter das Haus verlassen hatte, begann ich damit mein Zimmer aufzuräumen.

Nachdem ich alle Sachen vom Boden aufgesammelt, in den Schränken verstaut und staubgewischt hatte, hatte ich allerdings keine Lust mehr. Immer wenn es ans Putzen ging, sank meine Motivation erstaunlich schnell. Ich zwang mich noch schnell mit dem Staubsauger durch mein Zimmer zu jagen, dann war meiner Meinung nach das Chaos behoben.

Da ich mich langweilte, beschloss ich ein wenig joggen zu gehen. Bewegung konnte ja nie schaden.

Ganz in der Nähe von meinem Haus gab es einen See, um den man hervorragend laufen konnte.

Nachdem ich einige Runden gedreht hatte, machte sich mein Magen bemerkbar. Wie viel Uhr es wohl war?

Ich kramte mein Handy aus der Tasche meines Trainingsanzugs. Genau 13 Uhr. Mist, und wir hatten nichts gescheites mehr Zuhause.

Ich überlegte wo ich jetzt am besten etwas Zuessen herbekäme. Ganz in Gedanken entfernte ich mich wieder von dem See und merkte erst, wohin meine Füße mich trugen, als ich schon fast vor der Haustür meines besten Freundes stand. Na fein, wenn ich jetzt schon mal hier war, dann konnte ich auch gleich mal klingeln.

Kurze Zeit später öffnete sein Vater mir die Haustür. „Ah, meine zukünftige Schwiegertochter! Komm doch rein!“, begrüßte er mich.

„Ach komm schon, du weißt doch, das wir nur Freunde sind.“, grinste ich ihn schief an und betrat die Wohnung. „Ich seh euch trotzdem schon irgendwann vor dem Altar stehen.“

„Dad!“, rief der Blauhaarige peinlich berührt. Scheinbar wollte er nachsehen, wer gerade zu Besuch gekommen war. Ich war es schon gewohnt das sein Vater dauernd mit solchen Sprüchen kam und störte mich schon längst nicht mehr daran.

„Ich dachte, ich komme euch mal spontan besuchen.“, begrüßte ich den Blauhaarigen nun.

„Hast du heute nicht sturmfrei?“, wollte Kaito wissen, während er mich aus der Diele schob. Scheinbar wollte er verhindern, das sein Vater auf weitere Verrücktheiten kam.

„Ja hab ich. Aber Zuhause fällt mir die Decke auf den Kopf.“, murrte ich.

„Wohl eher das Inventar deines Zimmers.“, neckte er mich.

In seinem Zimmer angekommen ließ ich mich auf's Sofa fallen. „Hey! Ich hab aufgeräumt!“, entrüstete ich mich.

Kaito zog eine Augenbraue hoch. „Du hast WAS?? Das will ich sehen.“

Nun zog ich ein gespieltes Schmollgesicht. „Du tust ja gerade so, als wenn das n Weltwunder wäre.“

„Bei ner Chaotin wie dir ist es das auch.“, gab er grinsend zu. Für diese Äußerung angelte ich nach seinem Schal, bekam ein Stück davon zu fassen und zog daran, sodass er kurzzeitig keine Luft bekam.

„Pass auf was du sagst!“

Dann war ich aber wieder ernst. „Wenn du mir nicht glauben willst, dann komm doch heute Abend einfach vorbei. Und bring die Anderen mit.“

Als der Blauhaarige den Schal wieder etwas von seinem Hals gelockert hatte, antwortete er :“Klar, wieso auch nicht. Ob die Jüngeren kommen können weiß ich nicht, aber Gakupo bekommen wir bestimmt überredet.“

„Ich schreib ihm gleich mal ne SMS.“, schlug ich vor. Gesagt getan. Die Nachricht war schnell verschickt.

„Essen ist fertig“, erklang dann Yukis Stimme. Kaitos Mutter hatte den Kopf zur Tür reingesteckt und warf uns ein Lächeln zu. Ich begrüßte sie kurz und nahm die Einladung gern an, hätte ich mich Zuhause vermutlich von Brot ernähren müssen.

Bis zum späten Nachmittag blieben wir noch bei ihm Zuhause, dann beschlossen wir langsam mal einkaufen zu gehen und uns danach rüber zu meiner Wohnung zu begeben.

Auf dem Weg kamen wir noch an dem Haus vorbei, in dem Gakupo wohnte. Kurzerhand betätigte ich die Klingel und so setzten wir nun zu dritt unseren Weg fort.

Das ich fast immer nur in Gesellschaft von Jungs war, störte mich nicht sonderlich. Ganz im Gegenteil – die zickten weniger rum und hatten die gleichen Interessen wie ich. Manchmal saßen wir einfach nur stundenlang vor dem Fernseher und zockten.
 

Als wir noch ein paar Chips und Alkohol für den Abend eingekauft hatten, gingen wir rüber zu meiner Wohnung. Wie gut das ich heute sturmfrei hatte. Das bedeutete, heute würde sich niemand beschweren, wenn der Fernseher noch bis spät in die Nacht lief.

Langsam wurde es dunkel. Ich räumte die Einkäufe in einen der Küchenschränke, während die Jungs in mein Zimmer gegangen waren und sich dort umsahen, als wären sie heute das erste mal hier.

„Wow ich glaub's nicht. Man kann hier tatsächlich wieder treten.“, staunte der Lilahaarige.

„Mal sehen wie lange das so bleibt.“,zweifelte Kaito.

„Ihr tut ja gerade so, als wenn ein freier Fußboden in meinem Zimmer ein Wunder wäre.“, mischte ich mich ein als ich aus der Küche zurück war.
 

Der Abend verlief genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wir waren alle gut drauf, quasselten und lachten viel, guckten einige Horrorfilme und killten nebenbei noch Chips und Sake.

Eigentlich war ich davon ausgegangen, das der Abend auch genau so gut weitergehen sollte, doch dem sollte wohl nicht so sein...

„Und wenn ich es euch doch sage! Sie hat meine Einladung zusammen ins Kino zu gehen tatsächlich abgelehnt!“, erzählte ein schon recht angetrunkener Lilahaariger uns gerade.

„Wundert mich nicht wirklich.“, mischte Kaito sich ein. „Oder hast du je mitbekommen, das Luka mit nem Typen aus der Schule ausgegangen wäre?“

„Stimmt auch wieder. Die Einzige, mit der ich sie immer sehe ist Miku.“, überlegte Gakupo jetzt.

Nun blickten die beiden mich abwartend an. „He? Was denn?“, verteidigend hob ich die Hände.

„Nur weil wir zufällig in die gleiche Klasse gehen, heißt das nicht, das ich mehr weiß. Keine Ahnung ob die beiden nur Freundinnen sind.“ Was an dieser Geschichte nun dran war, das interessierte mich auch nicht wirklich. Erneut griff ich nach meinem Sakeglas. Eine Flasche hatten wir noch und die schrie förmlich danach geöffnet zu werden.

Die Stimmung war heiter und die Themen wechselten dauernd. Kaito hatte gerade einen Witz gemacht über den ich mich kaputtlachte, als Gakupo plötzlich inne hielt und zur Tür sah.

„Hat's gerade geklingelt?“, wollte er wissen.

Ich wurde wieder ernst. „Um die Uhrzeit?“ Vielleicht hatte er sich auch verhört. Besser ich ging einfach mal nachsehen. Gerade wollte ich von meinem Platz vor dem Fernseher aufstehen, da erhob Kaito sich auch schon. „Lass mal. Das könnte sonst wer sein. Ist sicherer wenn ich zur Tür gehe.“

Ich zuckte mit den Schultern. Dann sollte eben er zur Tür gehen. Wahrscheinlich war es eh nur unsere Nachbarin, die sich mal wieder ausgesperrt hatte oder so.

„Spul mal die Werbung vor, ich komm nicht an die Fernbedienung,“, bat Gakupo mich.

Als ich auf die Vorspultaste drücken wollte, stellte ich fest, das die Beschriftung der Tasten arg verschwommen aussah. Das war so komisch, das ich unweigerlich darüber lachen musste.

Oh man, vielleicht hatte ich schon wieder mehr getrunken, als es gut für mich war.

„Meiko!“, hörte ich Kaito von der Diele aus rufen. „Ich glaube da ist Besuch für dich!“

Besuch? Um die Uhrzeit? Ich wusste ehrlich gesagt nicht, wer um diese Uhrzeit noch vor der Tür stehen sollte. Len, Rin und Gumi konnten es nicht sein, denn die hätte Kaito ganz einfach in die Wohnung gelassen. Außerdem waren die drei um diese Uhrzeit sicher nicht mehr draußen unterwegs. Es war kurz vor zwölf und draußen regnete es in Strömen. Und irgendeine zwielichtige Gestalt...nein, dann hätte der Blauhaarige mich nicht zur Tür gerufen.

Ich warf Gakupo einen verwirrten Blick zu, stand dann aber auf und stellte fest, das ich beim Laufen interessante Bögen ging. Eindeutig zu viel Alkohol. Das würde morgen sicher einen furchtbaren Kater geben.

So tappte ich also aus dem Zimmer, durch die Diele und schließlich zur Haustür. Kaito trat zur Seite, sodass ich einen Blick auf den Besucher werfen konnte.

Der Blauhaarige warf mir einen irritierten Blick zu und ich sah auch nicht gerade geistreicher drein.

Um ein Haar hätte ich sie nicht erkannt.

Vor der Haustür stand eine zierliche Frau, vom Regen durchnässt und vor Kälte zitternd. Das lange, blonde Haar hing in wirren Strähnen herab, ihre Haut wirkte noch blasser als sonst.

Zwei tiefblaue Augen blickten mich in purer Verzweiflung an. Sie waren gerötet und die Wimperntusche hatte sich einen Weg über ihre Wangen gebahnt. Was mir allerdings sofort ins Auge sprang war ihre Unterlippe, die auf einer Seite eine blutige Kitsche hatte.

Vor mir stand doch tatsächlich meine arrogante Projektpartnerin höchst persönlich. Nur das sie gerade einen mehr als erbärmlichen Anblick bot.

Ich machte den Mund auf um etwas zu sagen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Durch meinen Kopf sausten 1000 Fragen.

„Darf ich reinkommen?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein leises Wispern.

„Lily..., was um alles in der Welt ist denn mit dir passiert?“, war das erste was mir einfiel.

Und da stand ich nun in der Diele und hielt hilflos die am Boden zerstörte Blondine in den Armen.

Kaito schloss hinter uns die Haustür, während Gakupo erst skeptisch aus meinem Zimmer lugte und dann ebenfalls die Diele betrat.

Ich hatte das Gefühl schlagartig wieder nüchtern zu sein. Es kam nun wirklich nicht oft vor, doch die Gesamtsituation überforderte mich derzeit komplett.

„Hat dir jemand was getan? Soll ich die Polizei rufen?“, schlug der Lilahaarige vor, doch Angesprochene schüttelte nur den Kopf und vergrub das Gesicht noch tiefer in meinem Shirt.

Ich wusste mir nicht anders zu helfen als sie noch etwas näher zu mir zu ziehen. Über ihre Schulter hinweg warf ich einen hilfesuchenden Blick zu Kaito, der Stimme der Vernunft unserer Gruppe.

Kurz schien der Blauhaarige zu überlegen, dann legte er Lily und mir einen Arm um und schob uns aus der Diele in Richtung meines Zimmers, wo immer noch der Fernseher lief.

„Jetzt beruhig dich erst mal wieder und dann erzählst du uns, was passiert ist.“, schlug er vor.

Tsuyoshi

Drei fragende Blicke sahen zu der Blonden rüber. Keiner von uns wusste wirklich, was er gerade denken sollte. Lily schien ja ganz offensichtlich ein riesiges Problem zu haben, so aufgelöst wie sie war. Weder die Jungs noch ich konnten uns allerdings erklären, warum sie ausgerechnet zu mir gelaufen war. Wir waren alles andere als gute Freunde, und das war noch nett ausgedrückt.

Die Projektarbeit war auch eher ein Muss und angefreundet hatten wir uns dadurch auch nicht wirklich.

Langsam aber sicher beruhigte die Blondine sich wieder. Ich hielt sie nach wie vor im Arm, da ich beim besten Willen nicht wusste, was ich sonst tun sollte.

„Erzählst du uns was passiert ist?“, wollte ich dann wissen. Auch Kaito und Gakupo blickten neugierig zu ihr rüber. „Was ist mit deiner Lippe passiert?“, mischte sich auch der Lilahaarige ein.

Angesprochene schwieg einen Moment und atmete tief ein, bevor sie zu reden begann.

„Sagt euch der Name Tsuyoshi was?“, wollte sie wissen.

Fast zeitgleich nickten wir. Es war schwer von diesem Typen nichts gehört zu haben. Tsuyoshi ging ebenfalls in unsere Schule, allerdings in die c)-Klasse. Er hatte ein Kreuz wie ein Schrank, war ziemlich groß und muskulös, ein Mädchenschwarm und besaß dazu noch einen äußerst miesen Charakter. Allein beim Gedanken an diesen Typen lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.

„Dein Freund, richtig?“ Das war mehr eine Feststellung als eine Frage meinerseits.

„Ex-Freund.“, korrigierte Lily mich. Ich zog eine Augenbraue hoch. In der Schule waren die beiden das absolute Traumpaar.

„Er wohnt nur zwei Häuserblöcke von hier entfernt.“, begann sie zu erzählen. „Ihr müsst wissen, das unsere Beziehung seit einiger Zeit ziemlich kriselt.“

Gakupo hatte sich inzwischen auf den Boden vor dem Bett gesetzt, während Kaito meinen Bürostuhl rüber gezogen hatte.

Ich hatte die Blonde inzwischen wieder losgelassen und sah schweigend zu ihr rüber. Mittlerweile konnte ich mir denken, wie die Geschichte weiter ging.

„Ich hatte es eigentlich schon seit einer Weile vor, aber heute Abend habe ich dann endlich den Mut gefasst, mit ihm Schluss zu machen.“

Und wieder schwieg sie kurzzeitig. Ich bemerkte, das ihre Hände leicht zitterten. Jetzt kam wohl der unangenehme Teil der Geschichte.

„Nun ja...er hatte getrunken und ist komplett ausgerastet, als ich unserer Beziehung ein Ende bereitet habe. Er hat mich angeschrieen und ich natürlich zurück, was die Situation auch nicht unbedingt gebessert hat.“

Lily schluckte schwer. Sie war sich nicht ganz sicher, ob sie weiter erzählen wollte.

„Und was ist dann passiert?“, hakte Kaito mit ruhiger Stimme nach.

„Ich wollte gehen, er hat mir gedroht das ich nicht mal daran denken sollte, aber natürlich habe ich nicht auf ihn gehört.“

Wieder sammelten sich Tränen in ihren Augenwinkel. „Und da hat er mich doch tatsächlich geschlagen! Er war so betrunken und so wütend! Ich bin abgehauen und er ist mir hinterher. Keine Ahnung wie ich es geschafft habe ihn abzuhängen, aber ich wusste wirklich nicht, wo ich sonst hin sollte. Außer Tsuyoshi bist du die Einzige, die in diesem Viertel wohnt, die ich kenne, Meiko.“

Kurzzeitig herrschte Schweigen im Raum. Ich sah rüber zu Kaito und Gakupo, welche nicht minder geschockt aussahen. Tsuyoshi war gefährlich und das wussten wir alle.

„Willst du nicht doch lieber die Polizei anrufen?“, erkundigte der Blauhaarige sich. Die Blondine schüttelte nur hektisch den Kopf. „Nein, keine Polizei! Das macht das ganze auch nicht besser!“

„Die können dir helfen.“, versuchte er es erneut, doch sie blieb stur.

„Und was ist mit deinen Eltern? Sollten die nicht wissen, was passiert ist?“

Lily seufzte nur. „Die schlafen vermutlich schon. Die reißen mir eher den Kopf ab, wenn ich die jetzt aus dem Bett schelle.“

„Zurück auf die Straße kannst du jetzt jedenfalls nicht. Wenn dieser Irre da immer noch rumläuft, wäre das alles andere als gut.“, stellte Gakupo entschieden fest.

Die Cheerleaderin schwieg betreten.

„Du kannst hierbleiben, wenn du willst.“, hörte ich meine eigene Stimme sagen.

Sie blickte mich überrascht an. Scheinbar hatte die Kleinere mit dem Angebot nicht gerechnet.

„Wirklich? Aber-“ „Kein Aber, oder denkst du, ich würde dich allen ernstes wegschicken, wo da draußen vermutlich dein stark angetrunkener Ex rumläuft, der gar nicht gut auf dich zu sprechen ist?“

Wir waren wirklich alles andere als Freundinnen, aber irgendwie tat sie mir leid. So fertig wie jetzt, hatte ich die Blonde noch nie gesehen. In diesem Zustand konnte ich sie wirklich unmöglich wegschicken. Vermutlich wäre Lily eher zu einer ihrer Freundinnen geflüchtet, wenn sie die Wahl gehabt hätte, doch in diesem Stadtviertel schien niemand zu wohnen, den sie sonst noch kannte.

Ich zupfte an dem Ärmel ihres T-Shirts. „Du bist noch komplett durchweicht vom Regen. Ich leg dir was zum umziehen raus.“

Mit diesen Worten stand ich auf und ging rüber zu meinem Kleiderschrank. Vermutlich würden meine Sachen ihr zu groß sein, aber besser Schlabberlook als zu eng.

Die Blondine blickte mich verständnislos an. „Warum bist du so nett zu mir?“, wollte sie dann wissen.

Über diese Frage musste nun wiederrum Kaito lachen. „Ach weißt du, Meiko tut zwar immer so unfreundlich, aber eigentlich ist sie gar nicht so schlimm.“

„Außerdem hatte sie heute schon ihren Sake und müsste demnach was besser gelaunt sein.“, mischte nun auch Gakupo sich ein.

„Sagt mal wie redet ihr eigentlich von mir?!“, keifte ich die Jungs in Grund und Boden, die daraufhin kurzzeitig erstarrten. Lily blickte sich das ganze Schauspiel irritiert an, dann legte sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen.

Endlich hatte ich Klamotten gefunden, die der zierlichen Blonden halbwegs passen dürften.

„Hier, es trifft vermutlich nicht Madams Modegeschmack, aber wenigstens ist es trocken.“

Sie nahm mir das rote Top und die schwarze Schlaghose ab und ließ sich kurz erklären, wo das Bad war.

„Danke dir.“ Meine Klassenkameradin warf mir ein mattes Lächeln zu und verschwand in Richtung Badezimmer um sich umzuziehen.

„Was für ein Überraschungsbesuch.“, schüttelte Gakupo den Kopf. Kaito zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht, irgendwie tut Barbie mir leid.“ An dieser Stelle war vielleicht zu erwähnen, das Barbie der Spitzname war, den wir ganz automatisch benutzten, wenn wir über Lily redeten.

„Glaubst du die fühlt sich besser, wenn wir ihr auch n bisschen Sake anbieten?“, fragend sah ich die Jungs an. Der Blauhaarige seufzte. „Meiko...“

„Eine Flasche haben wir immerhin noch.“, stellte ich fest. Eine ganze Flasche und eine, in der noch ein kleiner Rest war um genau zu sein.

„Solange du nicht am Ende noch nen Krankenwagen rufen musst.“, äußerte der Lilahaarige sich.

„Nicht jeder ist so trinkfest wie gewisse Personen hier in diesem Raum.“, fügte er noch hinzu.
 

Als die Zimmertür erneut geöffnet würde und die Blonde in ihrem neuen Outfit den Raum betrat, blickten wir auf. Das Oberteil passte ja noch halbwegs, auch wenn sie es nicht ganz ausfüllte, doch die Hose war viel zu lang. Durch den weiten Schlag waren ihre Füße quasi ganz verschwunden.

Sie hatte sich das Gesicht gewaschen und das Blut von ihrer Lippe getupft, dennoch sah sie noch genau so fertig aus wie eben.

Lily schien sich nicht ganz wohl in ihrer Haut zu fühlen, immerhin war sie gerade von denen mit offenen Armen aufgenommen worden, die sie immer als Freaks abgestempelt hatte.

„Jetzt steh da nicht so rum. Setz dich zu uns!“, rief ich ihr zu. Zwar hätten wir viel bequemer auf dem Bett gesessen, doch irgendwie hatten die Jungs und ich es uns auf dem Boden bequem gemacht. Wohl eine Angewohnheit von uns, da die Sakeflaschen auf dem Fußboden besser stehen blieben als auf einer Matratze.

Als meine Projektpartnerin sich zu uns gesetzt hatte, schenkte der Lilahaarige die nächste Runde Sake ein. Die Flasche sollte heute Abend noch dran glauben müssen.

Kaito hielt Lily ebenfalls ein Glas hin. Kurzzeitig starrte sie dieses an, überlegte, seufzte schließlich ein :“Ach, wieso nicht.“, und nahm es ihm ab.

Ich schielte zu ihr rüber, als sie einen Schluck Alkohol nahm und das Gesicht verzog. „Was denn? Etwa nur Cocktails gewöhnt?“, stichelte ich. „Die schmecken wenigstens!“

Ich grinste sie an. „Ach, das üben wir aber noch.“ Mit diesen Worten führte ich mein eigenes Glas an die Lippen und nahm einen großen Schluck. Diesmal beobachtete sie mich aus den Augenwinkeln und nahm nun entschlossen den nächsten Schluck. Unsere Rivalität war eben nach wie vor vorhanden. So ging das weiter, bis unsere Gläser leer waren und der Lilahaarige uns erst einmal neuen Sake einschenken musste.

„Veranstalte lieber kein Wetttrinken mit Meiko. Die hat bisher noch so ziemlich jeden unter den Tisch getrunken.“, warnte Kaito die zierliche Blonde.

Auch die Jungs schütteten sich noch etwas ein, bevor sie nichts mehr abbekamen.

Nur 20 Minuten später war die Stimmung wesentlich besser. Oder besser gesagt : ich wollte die Flasche noch leer machen, was Kaito zu verhindern versuchte, Gakupo amüsierte unser kleiner Streit ziemlich und Lily war einfach keinen Alkohol gewöhnt. Sie sah aus als würde sie jeden Moment im Sitzen einschlafen.

„Jetzt lass endlich die Flasche los!“, beschwerte ich mich. „Du hast langsam genug getrunken.“

Während ich den Flaschenhals gepackt hatte und daran zog, hielt der Blauhaarige den unteren Teil der Flasche gefasst und zog daran. Das er auch immer so überbesorgt sein musste.

Der Schluck würde mich jetzt auch nicht mehr umbringen. Mit einem Ruck schaffte er es, mir die Flasche zu entwenden. Durch den plötzlichen Schwung kippte ich vorne über und landete mit der Nase genau auf einem Kissen vor ihn.

„Trinkt alle Männer unter den Tisch, aber keine Kraft in den Armen.“, lachte Gakupo mich aus.

Ich warf erst ihm, dann Kaito einen Todesblick zu und erhob mich wieder vom Boden.

„Ihr seid sowas von tot!“, entrüstete ich mich.

Kaito hob beschwichtigend die Hände. „Es ist schon spät. Sollten wir nicht vielleicht langsam mal schlafen gehen?“ Der Alkohol hatte uns alle ein wenig müde gemacht. Somit hatte niemand etwas dagegen einzuwenden.

Unsere Besucherin, die das Wetttrinken gegen mich verloren hatte, hatte es sogar geschafft noch an Ort und Stelle einzuschlafen. Naja, vielleicht war es auch besser so. Immerhin lenkte sie das von ihrem brutalen Ex ab.

„Ich geh schon mal ins Bad.“, beschloss ich, erhob mich vom Boden und wankte rüber ins andere Zimmer.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. Meine Freunde hatten bereits sämtliche überflüssigen Decken auf die Erde verfrachtet um nicht auf dem Boden liegen zu müssen. Einer von den beiden hatte sich wohl auch ein Herz gefasst und die Blonde vom Fußboden hoch auf mein Bett gelegt.

Wie konnte man nur von so wenig Sake dermaßen weg sein? Ich schüttelte nur leicht den Kopf.

Dann stand ich vor dem nächsten Problem. Wo sollte ich schlafen? Ich konnte mich ganz einfach unten zu den Jungs auf den Boden legen oder aber mir noch irgendwie einen Platz im Bett verschaffen.

Da es sich hierbei immerhin noch um mein Bett handelte, entschied ich mich für letzteres, auch wenn mir klar war, das Lily mich morgen vermutlich dafür umbringen würde. Egal. Ich war müde und wollte einfach nur schlafen.

Als auch Kaito und Gakupo unter den, auf dem Fußboden verteilten, Decken verschwunden waren, knipste ich das Licht aus. Es dauerte nicht lange und im Zimmer war es totenstill.

ein ruhiger Tag

Den Rest der Nacht über passierte nichts weltbewegendes mehr. Am nächsten Morgen schliefen wir alle bis etwa 8:30 Uhr, doch dann sollte die Ruhe ein jähes Ende finden.

„MEIKO!“, kreischte mich eine grelle Stimme aus dem Reich der Träume. Mal eine ganz neue Art geweckt zu werden, aber eine, auf die ich getrost verzichten konnten. Ich hatte gestern Abend eindeutig zu viel Alkohol getrunken und dementsprechende Kopfschmerzen. Bis eben hatte ich diese Tatsache noch ausblenden können, da ich tief und fest geschlafen hatte, doch bei diesem Kreisch dröhnte mein Kopf.

„Nnnnh...lass mich, es ist Sonntag, Mama..“, murrte ich nur und vergrub den Kopf tiefer in meinem weichen, warmen Kissen. Ich wollte weiter schlafen und dachte nicht mals daran die Augen aufzumachen. Die Kopfschmerzen waren einfach zu groß. Vielleicht würde ich gegen Mittag langsam mal aufstehen, aber es war bestimmt noch früh. Ich hatte keinen Nerv auf die Uhr zu sehen.

Aus dem Weiterschlafen wurde allerdings nichts. Ein zweites Mal diese viel zu laute Stimme.

„Runter von mir! Sofort! Was für eine Unverschämtheit!“

Meine Kopfschmerzen wurden nur noch schlimmer. Wieso zur Hölle zappelte mein Kissen? Und wer schlug um diese Uhrzeit so einen Lärm? Vom Fußboden kam ebenfalls ein Murren. Vermutlich war ich nicht die Einzige, die bei dem Krach aufgewacht war. Mies gelaunt und etwas verwirrt öffnete ich die Augen.

Moment mal..das,was ich da im Arm hielt, war kein Kissen! Ich musste es irgendwie geschafft haben im Schlaf immer mehr nach unten zu rutschen. Zumindest hatte ich beide Arme um die zierliche Blondine geschlungen und ihren Bauch als Kissen benutzt. Ups...

Ich ließ sie los und setzte mich auf. Mein Kopf pochte aus Protest.

„Gomen Lily.“ Auf einen Streit am frühen Morgen war ich nun wirklich nicht aus. Zum einen, weil ich noch nicht ganz wach war, zum anderen, weil mein Schädel mir das sicher sehr verübelt hätte.

„Also das ist doch...!“, verstimmt funkelte sie mich an.

„Könnt ihr bitte mal damit aufhören euch anzuzicken, Mädels?“, kam ein schwacher Protest vom Fußboden. Auch der Lilahaarige hielt sich den Kopf.

„Sie hat doch angefangen!“, beschwerte ich mich und zeigte auf die Blonde.

„Sie hat mich belästigt!“, entrüstete diese sich jetzt und zeigte wiederrum auf mich. Wirklich kein besonders erwachsenes Verhalten, was wir da an den Tag legten.

„Wie soll ich dich belästigen, während ich schlafe?!“, regte ich mich auf.

„Oh bitte, hört auf jetzt.“, mischte sich Kaito ein. Er sah ebenfalls aus als hätte er Kopfschmerzen. Der Blauhaarige erhob sich vom Boden und streckte sich. Mit einem leichten Lächeln nahm er meine Hand und zog mich vom Bett hoch. „Ich denke wir könnten alle gut einen Kaffee vertragen.“, sagte er dann. „Zeig mir doch noch mal wie das mit diesen komischen Pads und der Kaffeemaschine funktioniert. Du weißt doch, ich habe Zuhause noch so ein Uralt-Modell.“

Vermutlich war das nur ein Vorwand um mich und Lily kurzzeitig räumlich zu trennen, sodass wir aufhörten uns zu streiten. Ich wusste nicht, ob ich das jetzt gut oder schlecht finden sollte. Derzeit pochte mein Kopf einfach viel zu sehr, als das ich darüber nachdenken wollte. Somit tappte ich also hinterher in die Küche um die Kaffeemaschine zu starten.

Kurze Zeit später hielten wir jeder eine Tasse in der Hand. Etwas essen wollte irgendwie niemand.

Jetzt, wo die Lage sich wieder beruhigt hatte, herrschte eine unangenehme Stille im Raum.

Während ich nach wie vor müde war, waren die beiden Jungs ganz in Gedanken versunken und Lily starrte deprimiert ihren Kaffee an. Es war nicht schwer zu erraten, woran sie gerade dachte.
 

Nachdem wir alle im Bad waren und soweit wieder Alltags tauglich aussahen, verabschiedete Gakupo sich wieder. Er musste noch einige Hausaufgaben erledigen, bevor morgen die Schule wieder los ging.

Zurück blieben Kaito, Lily und ich.

„Und du willst wirklich nicht die Polizei einschalten?“, wollte der Blauhaarige noch mal wissen.

Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein, was würde das groß bringen? Ich will einfach nur Gras über die Sache wachsen lassen.“, erklärte sie

„Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist. Ich meine, er hat dich geschlagen! Wer sagt dir, das er dich jetzt in Ruhe lässt?“

„Ich hoffe es einfach!“ In ihren tiefblauen Augen stand die pure Verzweiflung. „Spätestens wenn er ne Neue hat, müsste er mich eigentlich zufrieden lassen.“

„Traust du dich denn allein nach Hause?“, wollte ich wissen. Sie nickte. „Er weiß ja nicht, das ich noch hier in der Ecke bin und fast vor deinem Haus ist die Bushaltestelle.“

Gestern Abend waren keine Busse mehr gefahren, aber heute sollten sie eigentlich wieder ganz normal unterwegs sein.

Kaito war kurzzeitig in der Küche verschwunden um sich etwas zu Trinken zu holen und ich brachte Lily noch zur Tür.

„Noch mal danke für alles.“

„Ach, ist doch kein Ding.“

Kurzzeitig schien sie zu überlegen, bevor sie erneut etwas sagte. „Sag mal Meiko, ist das Zuhause bei dir eigentlich immer so?“

Ich legte den Kopf schief. „Eh? Was meinst du?“

„Na dieses herzliche Verhältnis. Du scheinst deinen Freunden blind zu vertrauen und deine Mutter war letztens auch so nett.“

Ich dachte nicht weiter nach und musste über diese Frage lachen. „Klar! Ich meine, ist doch ganz normal.“

Die Kleinere sah traurig aus. „Du hast keine Ahnung wie gut du es hast.“, sagte sie noch, bevor sie sich zum Gehen wandte. Erst war ich über ihre Worte verwirrt, dann machte es Klick. Nicht jeder hatte das Glück sich so gut mit seinen Eltern zu verstehen und so gute Freunde zu haben.

Schon wieder ertappte ich mich dabei, das meine Klassenkameradin mir ziemlich leid tat. Ihre Freunde wirkten immer so...oberflächlich und ihre Eltern, naja, dazu muss ich an dieser Stelle erst gar nichts sagen.

„Hey, warte mal!“, rief ich ihr nach. Die Blonde blieb stehen und sah leicht fragend zu mir.

„Vergiss das Projekt morgen nicht. Dieses Mal wieder bei dir?“

Lily nickte. „Ist okay, komm einfach nach der Schule mit.“

Als sie den Hausflur verlassen hatte, stand ich immer noch verwirrt an der Wohnungstür. Direkt nach der Schule mitkommen? Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.

„Willst du nicht langsam mal wieder die Türe zumachen?“, riss mich Kaitos Stimme aus den Gedanken. Mit einem Glas Wasser in der Hand, stand er hinter mir in der Diele.

Mit einem Seufzen schloss ich die Tür, ging durch die Diele und streckte mich dabei. Meine Kopfschmerzen waren wieder etwas besser geworden.

„Und jetzt?“, wollte ich wissen. Für den Moment wusste ich nicht wirklich etwas mit mir anzufangen.

Kaito zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht in den Park? Ich möchte wetten die anderen sind um diese Uhrzeit auch da.“

„Ja, wieso eigentlich nicht?“

Wir schlüpften also in Schuhe und Jacke und verließen das Haus. Bis zum Park war es nicht besonders weit. Inzwischen war nicht mehr zu verleugnen, das es Herbst geworden war. Überall lagen bunte Blätter herum und der Wind war deutlich kälter geworden.

An den Regen von gestern Nacht erinnerten noch einige Pfützen auf dem Asphalt. Während wir spazieren gingen, redeten wir über Gott und die Welt.

Es dauerte nicht lange und wir hatten die Parkanlage erreicht. Anstatt zu dem See abzubiegen, um den ich ab und an ganz gern mal joggte, gingen wir nach Links. Der Weg führte zu einer Skaterbahn. Und wie erwartet entdeckte ich schon von Weitem einen grünen Schopf.

„Richtig geraten.“, grinste ich den Blauhaarigen an.

Irgendwie hatten unsere drei jüngeren Freunde es geschafft auch ohne Skateboard oder Inliner die Rampe hochzuklettern. Als wir den Platz erreicht hatten, entdeckte Rin uns als erste.

Die aufgedrehte Blonde lief die Rampe runter und bekam dabei so viel Schwung drauf, das Kaito und ich sie festhalten mussten um Schlimmeres zu vermeiden.

„Was macht ihr denn hier?“, begrüßte sie uns grinsend.

„Ach, wir haben uns schon gedacht, das ihr wieder mal hier sein würdet.“

Kurze Zeit später saßen wir alle zusammen oben auf der Rampe. Kaito erzählte von gestern Abend, woraufhin Len, Rin und Gumi uns erstmal genauer darüber ausquetschten. Sie konnten scheinbar nicht ganz glauben, das Barbie höchst persönlich vor der Tür gestanden hatte.

Langsam aber sicher begann ich damit die Stimmen der anderen einfach zu überhören. Meine Gedanken drifteten ab. Ich dachte darüber nach, warum in alles in der Welt Lily die Polizei nicht einschalten wollte und ob ihre Eltern sie Zuhause wieder stressten.

„Hey, Erde an Meiko!“, riss Gumis Stimme mich aus den Gedanken. Um ihre Worte zu unterstreichen hatte sie mich leicht gegen den Arm geknufft.

Genau auf den blauen Fleck. Wieso bevorzugten eigentlich alle genau diese Stelle an meinem Oberarm um mich zu knuffen?!

„Du bist so still heute, stimmt irgendwas nicht?“

Ich blinzelte. „Ach quatsch, alles in Ordnung.“

Die Grünhaarige sah mich zweifelnd an. „Sicher?“

Ich seufzte. „Wenn ich es dir doch sage!“

Um das Thema zu wechseln erhob ich mich von meinem Platz, lief die Skaterrampe herunter und rüber zu Lens Skateboard, welches im Gras lag.

„Ich borge es mir mir mal kurz.“ Angesprochener nickte. „Geht klar.“, rief er mir zu.

Daraufhin funkelte ich herausfordernd rüber zu Gumi, welche immer noch leicht besorgt aussah. Ich fand, das ihr so ein Gesichtsausdruck nicht stand, war sie doch sonst auch nie so ernst.

„Hey, wer zuerst unten am See ist! Ich wette du holst mich nie ein!“

Und schon wechselte ihr Gesichtsausdruck von besorgt zu einem Grinsen. „Pah! Das werden wir ja noch sehen!“ So gefiel sie mir schon wieder deutlich besser.

Während Gumi die Rampe runter lief, stieg ich auf das Skateboard und sauste los. Lange würde es nicht dauern und sie würde mit ihrem Eigenen die Verfolgung aufnehmen.

„Was für Kindsköpfe.“, hörte ich Kaito amüsiert feststellen. Len lachte.

„Wartet auf mich Leute!“ Hinter uns war auch Rin die Skaterrampe runter gesaust und rannte hinter Gumi und mir her.

Während ich auf dem Skateboard die Straße entlang jagte, musste ich unweigerlich lachen. Es war etwas Tolles so gute Freunde zu haben. Für den Moment war alles genau so, wie es sein sollte.

Doch Dinge ändern sich schneller, als man denkt...

die Ruhe vor dem Sturm

„Verdammt, beeil dich! Wir kommen zu spät!“

„Ich weiß! Los schnell, solange die Ampel noch grün ist!“

So schnell wir konnten, rasten Gumi und ich auf Inlinern die Straße entlang. Wir waren eigentlich viel zu schnell, doch bisher hatten noch alle Passanten an die Seite springen können. Auch Laternenmasten und Fahrrädern hatten wir bisher noch ausweichen können.

Es war Montag Morgen und in knappen vier Minuten würde der Unterricht beginnen. Ich hatte die Grünhaarige freundlicherweise abgeholt, doch auf halbem Weg hatte sie gemerkt, das sie ihren Kunstblock vergessen hatte. So waren wir also noch einmal umgedreht und jetzt ziemlich spät dran.

„Pass auf, das Auto!“, rief ich ihr zu, als wir gerade eine gut befahrene Straße erreicht hatten.

Ich selbst konnte nur noch bremsen, weil ich mich an einer Laterne festgehalten hatte. Die Grünhaarige bekam die Stange eines Parkverbotsschilds zu fassen, drehte einen Kreis darum und kam ebenfalls zum Stehen.

Kaum waren die Autos vorbeigefahren, jagten wir auch schon weiter. Es war eigentlich nicht die feine Art mit Inlinern das Schulgelände zu betreten, aber immer noch besser als zu spät zur ersten Stunde zu kommen.

„Wir sehen uns dann in der Pause!“, rief Gumi mir zu, als wir das Schulgelände erreicht hatten.

„Dann bis nachher!“

Hier trennten sich unsere Wege.

Pünktlich mit dem Klingeln erreichte ich die Pausenhalle. Hoffentlich hatte der Lehrer Verspätung!

Wieso mich niemand anhielt, weil ich auf Inlinern durchs Schulgebäude lief, war mir selbst schleierhaft, doch ich wollte mich mal nicht beschweren.

Als ich den Flur erreicht hatte, auf dem sich mein Klassenraum befand, sah ich gerade meine Mitschüler in den Raum wandern.

Mit einem letzten Sprint schaffte ich es den Anschluss nicht zu verpassen und schlüpfte noch mit in den Raum.

„Man, war das knapp.“ Mit einem Seufzen ließ ich mich auf meinen Platz fallen. Meine Sitznachbarin warf erst mir, dann meinen Füßen einen irritierten Blick zu. Ich würde die Inliner erst in der 5-Minutenpause wechseln können.

Im Geschichts- und Politikunterricht, in den ersten beiden Stunden, passierte nichts außergewöhnliches.

Als es dann zur Pause klingelte und ich den Klassenraum verließ, warteten vor der Tür schon die anderen auf mich. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg auf den Pausenhof.

„Gleich erstmal Sport.“, stellte ich fest und zog ein Gesicht. Kaito zog eine Augenbraue hoch. „Was ist denn mit dir los? Heute mal keinen Bock?“

Ich warf einen Blick zu Gumi und diese grinste. „Ach weißt du, wir sind heute schon zur Schule gesprintet.“, antwortete sie an meiner Stelle.

Während wir uns unterhielten und unsere Bento-Boxen plünderten, gesellten sich noch Luka und Miku zu uns. Die beiden verbrachten zwar nicht jede Pause bei uns, doch ab und an sahen sie auch mal vorbei.

„Wisst ihr schon das Neueste?“, wollte die Türkishaarige gut gelaunt wissen.

„Na erzähl.“, verlangte Rin und sah die Ältere neugierig an.

„Diesen Freitag wird irgendwas an den Wasserleitungen der Schule repariert. Und drei mal dürft ihr raten, alle Klassen haben Schulfrei.“

Wir Mädchen konnten einen Freudenschrei nicht unterdrücken und auch die Jungs grinsten gut gelaunt. Schulfrei war immer gut!

„Wie weit bist du eigentlich mit dem Projekt?“, wollte die Rosahaarige nun von mir wissen. Sie wusste nur zu gut, wie wenig ich mich mit meiner Projektpartnerin verstand.

„Ach, wir liegen eigentlich ganz gut in der Zeit. Aber wenn's bis Mittwoch fertig sein soll, müssen wir noch einiges machen.“ Eigentlich wollten wir noch weiter quatschen, doch die Klingel riss uns unsanft in die 'Realität' zurück.

Da die Klassen während der Sportstunde heute nicht gemischt wurden, musste ich mit meinen Mitschülerinnen , und den wenigen Schülern der Klasse, Brennball spielen. Irgendwie war dieses Spiel langweilig, wenn entweder niemand beherzt warf oder lief.

Es kam nicht oft vor, aber heute zählte selbst ich die Minuten, bis die Doppelstunde endlich vorbei war.

Als es dann später zurück in die Umkleiden ging, sah ich mich nach Lily um. Ich wollte sie eh noch gefragt haben, ob Tsuyoshi noch mal ärger gemacht hatte, oder sie jetzt in Ruhe ließ. Wir waren zwar nach wie vor keine Freunde, aber nach dem Auftritt von Samstag Abend interessierte es mich schon, ob alles in Ordnung war oder nicht.

Da ich sie in der Umkleide nicht entdecken konnte, ging ich mal davon aus, das sie drüben im Duschraum war.

Und richtig geraten, als ich den Raum betrat, entdeckte ich sie vor einem Waschbecken. Die Blonde blickte in einen der Spiegel und war gerade damit beschäftigt die Kitsche an ihrer Lippe zu überschminken. Es sah ganz so aus als wollte sie nicht, das jemand darauf aufmerksam wurde.

Ich stellte mich vor ein anderes Waschbecken, wusch mir das Gesicht und sah beiläufig zu ihr rüber.

„Hat er dich noch mal belästigt?“, wollte ich dann wissen. Die Cheerleaderin blickte zu mir rüber.

Erst schien sie etwas erstaunt, dann seufzte sie. „Nein, hat er nicht. Er ist heute zum Glück gar nicht zur Schule gekommen.“

„Na dann geht’s ja.“ Ich strich mir einige der braunen Strähnen aus dem Gesicht. Trotz des Sportunterrichts waren meine Haare nicht zerstruppt. Im Gegenteil, sie saßen irgendwie immer noch genau so, wie sie sollten.

„Ich hoffe nur, das er mich von jetzt an einfach in Ruhe lässt.“, meinte die zierliche Blondine dann.

Sie hatte einen Kamm gezückt und bürstete damit ihre Haare. Wie sie es schaffte, das diese fast dauerhaft glänzten wie flüssiges Gold, war mir nicht ganz klar.

„Und was ist, wenn nicht? Du hast doch selbst gesehen wie brutal er ist.“, hakte ich nach.

„Dann werd ich mir wohl was einfallen lassen müssen.“ Sie zuckte ratlos mit den Schultern.

„Hey Lily! Hat sie dir irgendwas getan?“, ertönte die Stimme von einer ihrer nervigen Freundinnen von der Tür.

„Was bildest du kleine Schlampe dir eigentlich ein?!“, gereizt funkelte ich die Tussi an, die sich gerade zu uns in den Duschraum gesellt hatte. Als ich einen Schritt auf das Mädchen zumachte, wich sie zurück.

„Lass gut sein, Shizuka. Meiko und ich haben nur geredet.“, mischte Lily sich ein. Die Schwarzhaarige warf erst der Blonden, dann mir einen verwirrten Blick zu.

„Da siehst du's.“, murrte ich, warf dem Mädchen noch einen Todesblick zu und verließ den Duschraum um langsam mal wieder in Richtung Pausenhof zu gehen.
 

Auch Deutsch und Englisch überlebte ich noch irgendwie. Dann klingelte es endlich. Schule aus!

Ich stopfte den ganzen Schulkram in meine Tasche und verließ dann den Klassenraum. Beinah hätte ich mich jetzt auf den Heimweg gemacht, aber Moment... heute nach der Schule ging es doch gar nicht nachhause.

An der Glastür des Korridors stand meine Projektpartnerin und wartete auf mich. Es war irgendwie ein merkwürdiges Gefühl zu ihr zu gehen, als würden wir uns schon ewig kennen. Ganz generell wunderte es mich, das sie mich heute noch gar nicht angekeift hatte.

„Können wir dann?“,wollte sie wissen. Ich nickte. „Klar. Oder wartest du noch auf jemanden?“

Gemeinsam verließen wir das Schulgelände, wobei uns viele verwirrte Blicke trafen. Woher hätten andere Schüler auch wissen sollen, das wir nur an diesem Projekt weiterarbeiten wollten.

Vor dem Schultor holte Lily erstmal ihr Fahrrad und stellte ihre Schultasche in das Körbchen daran ab. „Du bist mit dem Fahrrad hier? Wie praktisch!“, stellte ich fest. Die Blonde hatte sich wohl darauf eingestellt ihr Rad den Heimweg schieben zu müssen und warf mir nun einen irritierten Blick zu.

„Ich hab nicht vor dich auf dem Gepäckträger mitzunehmen.“, stellte sie fest.

Ich musste unweigerlich lachen. „Quatsch, was redest du da für nen Blödsinn!“

Ich kramte die Inliner aus meiner Sporttasche und schlüpfte hinein. „So geht’s doch viel schneller.“

„Wieso nimmst du Inliner mit zur Schule?“, wollte die Cheerleaderin überrascht wissen. Sie stieg auf ihr Rad und fuhr los. Ich lief neben ihr her, was dank der Rollen unter meinen Füßen nicht sonderlich anstrengend war.

„Weil ich schon geahnt habe, das ich nen Sprint hinlegen müsste, wenn ich Gumi vor der Schule noch abhole. Das passiert irgendwie dauernd.“, gab ich grinsend Auskunft.

„Du bist echt verrückt, weißt du das?“

„Wieso denn das jetzt?“ Nun zog ich eine Augenbraue hoch.

„Wieso um alles in der Welt holst du morgens jemanden ab, wegen dem du zu spät zur Schule kommen könntest?“

„Na weil Freunde das eben so machen. Es ist mir egal, ob ich jetzt Ärger kriege oder nicht. Hauptsache man kann vor der Schule noch etwas quatschen.“

Die Blauäugige warf mir einen langen Blick zu und fuhr dann etwas schneller weiter. Ich fragte mich, was ich wohl jetzt schon wieder falsch gemacht hatte.
 

Als wir ihr Haus endlich erreicht hatten, stellten wir fest, das ihre Eltern noch gar nicht da waren. Heute schienen wohl beide Spätschicht zu haben. Ich war eigentlich ganz froh darüber, mochte ich zumindest ihre Mutter schon mal überhaupt nicht. Wie ihr Vater so war, konnte ich nicht sagen, doch ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, das der wesentlich freundlicher war.

Kaum war die Haustür aufgeschlossen, da kam Hildegard uns schon entgegen gestürmt. Diesmal attackierte der pelzige Hund mich allerdings nicht. Nein, im Gegenteil – er begrüßte mich freudig.

„Verrücktes Tier.“, stellte ich kopfschüttelnd fest, während ich mich runter beugte um den Hund zu streicheln.

„Ich werd uns erstmal was Zuessen machen.“, schlug Lily vor.

„Du kannst kochen?“

Jetzt warf sie mir einen verstörten Blick zu. „Ja sicher. Ich meine, welche Frau kann das nicht?“

Mir war die ganze Sache leicht peinlich, da die Blonde es für so selbstverständlich hielt, das jeder kochen konnte.

„Ausnahmen gibt’s immer.“, stellte ich schulterzuckend fest. Allem Anschein nach, schien sie diese Aussage nicht auf mich zu beziehen. So begaben wir uns also die Küche.

Ich sah mich aufmerksam um. Wow, die Einrichtung hatte bestimmt ein halbes Vermögen gekostet. Die Schränke waren so hoch, das selbst ich Schwierigkeiten damit haben würde, sie zu erreichen.

Die ganze Küche war sehr aufgeräumt. Nirgendwo stand auch nur ein Glas herum.

Ich sah meiner Klassenkameradin zu, wie sie damit begann einige Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu kramen. Sie band sich eine Schürze um und begann damit Kochtöpfe und anderen Kram aus einem weiteren Schrank zu suchen.

Dann hielt sie inne und warf einen Blick zu mir rüber. „Kommst du an den Reis? Er ist ganz oben in dem Schrank da darüben.“

Ein leichtes Grinsen legte sich auf meine Lippen. „Mal sehen.“

Ich öffnete die Schranktür, suchte kurz nach der Reisschachtel, streckte mich und bekam sie dann zu fassen.

„Sag mal, wie schaffst du es sonst, die Grundnahrungsmittel zu erreichen?“, neckte ich sie.

„Dad hat die Schachtel gestern ausversehen ganz oben in den Schrank gestellt.“ Sie verdrehte die Augen.
 

Nachdem wir gegessen hatten, gingen wir hoch in ihr Zimmer um mit dem Projekt weiter zu machen. Alle erforderlichen Notizen hatten wir dabei und begannen nun damit, alles auf ein großes Plakat zu schreiben.

Noch einige ausgedruckte Bilder dazu und die Pappe sah richtig ansehnlich aus. Wir fertigten noch kleine Karteikarten an, damit wir den Vortrag schließlich halten konnten. Damit wäre der Großteil der Arbeit eigentlich geschafft. Jetzt mussten wir nur noch den Inhalt der Karten auswendig lernen, aber dazu war morgen auch noch Zeit. In Gedanken beschloss ich schon mal, das Kaito mich diesen Mist morgen so lange abfragen sollte, bis die Informationen über Jack the Ripper auch wirklich in meinem Gedächtnis hängen geblieben waren.

Wenn Mittwoch die Präsentation war, dann lagen wir wirklich gut in der Zeit.

„Wow, scheint ganz so, als hättest du die Zusammenarbeit mit mir lebend überstanden.“, scherzte ich und sah die Blonde an.

„Ja, scheint so.“ Auch sie hatte ein schiefes Grinsen aufgesetzt, doch es wirkte nicht echt.

Ich legte fragend den Kopf schief. „Alles in Ordnung mit dir?“, wollte ich wissen.

„Äh...ja.“ Lily schien noch etwas sagen zu wollen, doch sie zögerte.

„Weißt du, ich habe gedacht die Projektarbeit würde sich wesentlich schlimmer gestalten.“, fügte sie dann hinzu. Ich hatte keine Ahnung warum sie plötzlich so unsicher wirkte, aber dummerweise sorgte mich dieses ungewöhnliche Verhalten.

„Hab ich auch gedacht. Aber eigentlich war dieser Jack the Ripper Kram sogar ganz lustig.“

Wir saßen auf dem Boden ihres Zimmers, vor uns das Plakat und um uns herum ein Meer von Stiften.

Meine Projektpartnerin starrte das Plakat an. Sie sah unschlüssig aus, peinlich darum bemüht mich nicht anzusehen. Eine leichte Röte hatte sich auf ihren Wangen gebildet.

Ich weiß nicht genau wie ich plötzlich darauf kam, doch ich fand, das sie ziemlich knuffig aussah, so wie sie da saß.

„Uhm...Meiko..“, begann sie.

„Jetzt sag schon! Man sieht dir an, das irgendwas ist.“ Mit einem schiefen Grinsen blickte ich zu der Blondine neben mir.

„Jetzt wo das Projekt beendet ist, sind wir ja nicht mehr verpflichtet zusammen rumzuhängen,...aber ich ähm..wollte fragen, ob wir uns nicht trotzdem mal treffen können?“

Diese Frage zu stellen, hatte sie wohl einiges an Überwindung gekostet. Immerhin hatten wir bis vor kurzem beide noch beteuert, das wir uns nicht leiden konnten.

Einen Moment starrte ich die Kleinere perplex an. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Mit allem, aber nicht damit. Doch neulich hatte ich ja selbst gesehen, das Barbie sehr wohl auch eine menschliche, verletzliche Seite besaß. Und um ehrlich zu sein, hätte ich schon gerne einmal einen Blick hinter ihre Fassade geworfen.

Auf meine Lippen hatte sich ein breites Lächeln gestohlen. „Klar, wieso nicht? Wenn du deinen Nerven das weiterhin zutraust?“

Erst wirkte sie überrascht, dann hellte sich ihre Mimik deutlich auf. „Ich denk ein wenig Stress schadet meinen Nerven schon nicht.“

Ich wurde wieder etwas ernster. „Aber sag mal, wie um alles in der Welt kommt dieser plötzliche Meinungsumschwung?“

Und erneut hatte ich sie in Verlegenheit gebracht, doch jetzt antwortete Lily mir deutlich schneller.

„Du scheinst deinen Freunden wirklich blind zu vertrauen und sie dir. Ich weiß nicht wie ich's erklären soll, aber selbst Samstag Abend habt ihr mich ganz einfach mit offenen Armen empfangen.“, startete sie einen ersten Erklärungsversuch.

Kurz überlegte ich, dann hatte ich eine Idee. „Freitag ist doch Schulfrei, wenn du willst können wir da ja was zusammen unternehmen.“, schlug ich vor.

„Ich habe gehört hier in der Stadt soll ein neues Schwimmbad aufgemacht haben. Wie wäre es damit?“, ergänzte die Blonde.

Damit war es abgemacht. Freitag würden wir mal bei dem neuen Schwimmbad vorbeischauen.

Als ich mich gegen Abend verabschiedete, kam ich mir zwar nach wie vor wie im falschen Film vor, war aber recht gut gelaunt.

Wie sehr man sich doch in einer Person täuschen konnte. Vielleicht war Lily ja doch nicht so oberflächlich, wie ich anfangs gedacht hatte. Nun, das würde ich bald herausfinden.

Auch wenn wir im Begriff waren das Kriegsbeil zu begraben, so würde ich mich bald noch ganz anderen Problemen gegenüber sehen. Probleme, auf die ich gern verzichtet hätte, Dinge die mein ganzes Leben auf den Kopf stellen würden und die Freundschaften auf eine harte Probe stellen würden. Nun, doch dazu später mehr.
 


 

~
 

*Sooo, endlich geschafft, das nächste Kapitel ist fertig!

Auch wenn die eben erwähnten Probleme natürlich nicht alle im nächsten Kapitel auf Meiko niederhageln werden, ich denke langsam wird die Story ihren aktionreicheren Teil erreichen und die Dinge, die ich noch geplant habe, kommen langsam ins Rollen.

ein Scherbenmeer namens Freundschaft

„Was ist heute los mit dir? Du bist so unkonzentriert?“

Es war Dienstag Nachmittag, die Schule war für heute überstanden und die Präsentation des Projekts war schon wieder etwas näher gerückt.

Der Blauhaarige warf mir einen besorgten Blick zu. In der Hand hielt er meine Karteikarten, die ich für den Vortrag morgen benutzen wollte. Kaito hatte sich glücklicherweise dazu bereit erklärt mit mir noch ein wenig für das Projekt morgen zu lernen. Eigentlich ging es nur darum, das ich den Inhalt der Karteikarten endlich behielt und auch auf Englisch wiedergeben konnte.

Doch es war wie verhext, ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Immer wieder versank ich in meinen Gedanken und seine Stimme rückte in den Hintergrund.

„Ach, ich weiß auch nicht. Ich kann mich irgendwie nicht konzentrieren.“, antwortete ich murrend.

Ich musste das Referat bis morgen gut halten können, das war mir sehr wohl bewusst. Außerdem wusste ich, das nicht nur ich die Note für den Vortrag bekommen würde.

„Woran liegt's? Kopfschmerzen?“, hakte er nach. Ich schüttelte nur den Kopf. Mir ging es gut, nur das ich mich eben nicht konzentrieren konnte.

„Nein nein, mir geht’s gut.“ Ich warf dem Blauhaarigen ein schiefes Lächeln zu.

„Aber man sieht dir an, das du irgendwas hast, Mei-chan.“ Wir saßen nebeneinander auf dem Sofa in seinem Zimmer, weshalb es ein Leichtes für ihn war mich zu sich zu ziehen.

Ich verdrehte nur kurz die Augen. Dieser Spitzname verfolgte mich jetzt schon seit dem Kindergarten und ich mochte ihn nicht besonders. Irgendwie passte mein Name und ein Chan nicht zusammen.

Dennoch lehnte ich mich an seine Schulter, seufzte und sah zur gegenüberliegenden Wand. Er meinte es ja nur gut.

„Ich hab dir doch von gestern Nachmittag erzählt, richtig?“, begann ich.

„Hat es irgendwas mit Barbie zu tun?“

„Wir haben doch eben auf dem Nachhauseweg Tsuyoshi gesehen. Er sah schon wieder so besoffen und aggressiv aus.“

Ich strich mir eine der braunen Strähnen aus dem Gesicht. „Und er war auf dem Weg Richtung Schule.“ Dienstags nach der Schule fand in der Sporthalle noch das Cheerleadertraining statt. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl als ich diesen Brutalo in Richtung Schulgelände gehen sah. Einerseits wusste ich, das das Lilys Problem war und nicht meins, aber trotz allem machte ich mir Sorgen. Seit sie letzten Samstag so aufgelöst vor meiner Tür aufgetaucht war, war es wie verflucht. Wir hatten uns vorher nie besonders verstanden und jetzt zerbrach ich mir schon den Kopf über anderer Leute Probleme.

Während ich eigentlich für Englisch lernen sollte, malte ich mir die schlimmsten Geschichten aus und wurde noch ganz verrückt hier herum zu sitzen.

„Scheint als hättet ihr euer Kriegsbeil wohl wirklich begraben.“ Mit einem leichten Lächeln sah er zu mir runter und streichelte beruhigen über meinen Oberarm. „Aber ich denke nicht, das er ihr etwas tut. Überleg mal, der Trainer ist bei der Gruppe, ihre Freundinnen sind da und zu dieser Uhrzeit ist die Straße auch noch gut belebt. Morgen wirst du feststellen, das du dir deinen hübschen Kopf ganz umsonst zerbrochen hast.“

Und plötzlich war es da, dieses merkwürdige Gefühl das etwas nicht stimmte. Meine Alarmglocken schrillten, doch ich wusste nicht warum. Ich lag in den Armen meines besten Kumpels, der sich alle Mühe gab mich wieder etwas aufzumuntern. Woher kam also plötzlich dieses Unwohlsein?

Da ich dieses Gefühl als kompletten Quatsch abstempelte, schob ich es schnell wieder bei Seite und dachte nicht weiter darüber nach.

Ich schloss die Augen und genoss es, einfach mal einen Moment faul chillen zu können. „Mmmh, vermutlich hast du Recht.“, antwortete ich dann.

„Und dann wirst du feststellen, das du lieber ein wenig mehr für dein Referat gelernt hättest.“, neckte Kaito mich.

Ich kam nicht dazu etwas darauf zu antworten, da just in diesem Moment die Tür geöffnet wurde.

Der Vater des Blauhaarigen war gerade von der Arbeit gekommen und hatte mal nach uns sehen wollen.

Er blieb stehen, als er zwei Schritte in den Raum gegangen war und grinste uns wissend an.

„Oh, störe ich gerade?“

„Was für ne Frage Dad!“, vorwurfsvoll über die Frage blickte Kaito seinen Vater an.

„Wir haben gerade was für mein Referat in Englisch gelernt.“, erklärte ich.

„Ah, für Englisch gelernt..?“, wiederholte sein Vater, warf uns einem Blick zu und zog eine Augenbraue hoch.

„Okay und gerade chillen wir etwas.“, räumte ich mit einem schiefen Grinsen ein. Ich wusste ja wie er drauf war und hatte mich schon längst mit den ständigen Sprüchen und Anspielungen abgefunden. Viele glaubten eben nicht, das ein Junge und ein Mädchen einfach nur beste Freunde sein konnten und dabei nicht den Hauch eines Hintergedankens hatten.

„Dann will ich euch mal nicht beim Lernen stören.“ Immer noch grinsend verließ er den Raum wieder.

Ich setzte mich wieder normal hin und schnappte mir die Karteikarten.

„So, jetzt aber weiter im Text.“, verlangte ich. „Frag mich doch noch mal ab. Ich muss das morgen können.“

So lernten wir noch eine Dreiviertelstunde und endlich konnte ich behaupten, den Text auf den Karten auswendig runterbeten zu können. Das Referat konnte also kommen.

„Na endlich.“, freute ich mich und stand vom Sofa auf. Vom langen Sitzen war ich ganz eingerostet und streckte mich erstmal.

„Also wenn du's morgen nicht hinbekommst, dann weiß ich's nicht.“ Auch der Blauhaarige war aufgestanden.

„Sag mal, hast du noch was vor? Wenn nicht, dann komm doch mit ins Kino. Heute läuft n Horrorfilm in 3D, den ich mir eigentlich ansehen wollte.“, wollte er dann wissen.

Kurz überlegte ich, dann nickte ich begeistert. Ich liebte die meisten Horrorfilme, hatte jetzt eh nichts mehr zu tun und sah folglich keinen Grund der dagegen gesprochen hätte.

„Wann ist denn die nächste Vorstellung?“, wollte ich wissen. Kaito blickte auf die Uhr bevor er antwortete. „In etwa einer Stunde wieder. Wenn wir gleich losgehen, kommen wir genau richtig beim Kino an.“

Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Wir schlüpften also in Winterjacke und Schuhe, denn mittlerweile war es wirklich kalt geworden, und verließen dann die Wohnung.

An der Haustür angekommen, stellten wir fest, das es in Strömen regnete. Somit lief der Blauhaarige noch mal hoch auf die zweite Etage um einen Regenschirm zu holen.

Mit einem Schirm bewaffnet, ließ sich der Weg zum Kino eigentlich ganz gut aushalten. Zwar ärgerte es mich, das der Schirm so verdammt klein war, doch irgendwie kamen wir trocken beim Kino an.

Der Hinweg war irgendwie merkwürdig gewesen. Zwar redeten wir wie sonst auch, doch benahm der Blauhaarige sich seltsam. Andere hätten es vielleicht nicht bemerkt, doch ich fand, das er seltsam nervös wirkte.

Sein merkwürdiges Verhalten irritierte mich, doch ich beschloss noch nicht weiter nachzuhaken. Wenn er gleich immer noch so komisch drauf war, würde ich es allerdings.

Der Film war ziemlich gut gemacht. Immer wieder beinhaltete er Schockeffekte, da man dank der 3D-Brille oft das Gefühl hatte, das da gerade ein Fleischermesser, eine Pistolenkugel und sonstiger Kram auf einen zugeflogen kam.

Doch auch der beste Film konnte einen nicht wirklich begeistern, wenn man sich Sorgen um seine Freunde macht. Hoffentlich hatte Tsuyoshi heute nicht wirklich die Sporthalle aufgesucht und wieso benahm Kaito sich so merkwürdig?

Die Hand auf meiner verstörte mich ein wenig, doch als ich fragend in seine Richtung sah, sah er gespannt dem Film zu. Scheinbar ein Versehen. Der Blauhaarige war ganz von dem Kinofilm gefesselt.

Als der Mörder tot und der Film zuende war, wurde die Leinwand wieder dunkel und das Licht im Raum ging an. Wir erhoben uns von unseren Plätzen, streckten uns und verließen in einer Menschenmenge den Saal.

„Das die Opfer auch immer gleich dumm sein müssen. Ich meine, wer ist so blöd sich erst von seiner Gruppe zu trennen und dann auch noch seine Waffe fallen zu lassen?“, plauderte ich drauf los, während wir die Treppen des Kinos hinuntergingen.

„Tja, das scheint wohl ein Muss zu sein. Genau so wie die Tatsache, das man auf den Bösewicht einschlagen kann wie man will, und er erstaunlich resistent gegen alles ist.“, stimmte Kaito mir zu.

„Die Effekte waren echt cool. Teilweise habe ich mich echt erschrocken.“

Ich hatte gar nicht so genau darauf geachtet, wohin wir eigentlich gegangen waren, während wir uns unterhielten. Doch als ich die Umgebung musterte, bemerkte ich, das der Blauhaarige in die falsche Richtung lief.

„Wo willst du eigentlich hin? Nachhause geht’s in die entgegengesetzte Richtung.“, stellte ich fest.

Mittlerweile hatten wir einen Spielplatz erreicht, der um diese Uhrzeit natürlich schon wie ausgestorben war.

Inzwischen war es stockfinster. Nur die Straßenlaternen spendeten ein wenig Licht. Wie gut, das es aufgehört hatte zu regnen.

Mein Kumpel betrat den Spielplatz und setzte sich auf die Tischtennisplatte, welche überdacht und folglich trocken war. Ich folgte ihm irritiert und setzte mich neben ihn. Die Steinplatte war unangenehm kalt.

„Ich muss mit dir reden, Meiko.“, begann er ungewohnt zögerlich.

Ich kuschelte mich mehr in meine Jacke, denn mir war kalt. „Ich hab schon gemerkt das du die ganze Zeit über so merkwürdig drauf bist. Was ist es?“

Aufmerksam sah ich ihn an. Hatte ich mich vorhin also doch nicht getäuscht. Wenn der Blauhaarige mit jemandem über seine Probleme sprach, dann musste es wohl etwas ernstes sein. Natürlich wusste er, das ich ihm jederzeit helfen würde.

Da war sie wieder. Noch bevor er zu Reden begann, schrie diese Stimme in meinem Kopf, das mir das Thema ganz und gar nicht gefallen würde.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie ich anfangen soll.“, unschlüssig blickte mein Kumpel mich an.

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Na schieß schon los, sonst kann ich dir nicht helfen.“

Er seufzte, bevor er dann zu reden begann. „Wir kennen uns jetzt bestimmt schon eine halbe Ewigkeit. Seit dem Kindergarten, wenn ich mich recht erinnere. Ich weiß sogar noch, wie wir uns damals immer um die Lego-Ritter gestritten haben.“

Jetzt war ich verwirrt. Wieso erzählte er mir das? „Ja, du warst damals ne ziemliche Heulsuse für nen Jungen.“, grinste ich ihn an.

„Und du schon immer ein ziemlich ungewöhnliches Mädchen.“

Mit einem hilflosen Lächeln blickte mein Kumpel mich an. In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken. Mein Herz begann zu rasen, ich spürte Panik in mir aufsteigen.

„Weißt du, ich mag dich. Sehr sogar, auch wenn ich mich nie getraut habe, es dir zu sagen.“

Ich spürte, wie er meine Hände in seine nahm. Doch das alles rauschte an mir vorbei. Jedes Wort traf mich wie ein Fausthieb. Natürlich mochte ich ihn auch, aber doch nur rein freundschaftlich!

Ich war wie gelähmt. Das war doch jetzt nur ein schlechter Traum! Vor mir saß mein bester Freund, von dem ich immer geglaubt hatte, das er genau das gleiche auch über mich dachte. Wir waren beste Freunde, mehr nicht!

„Seit wann?“, hörte ich meine eigene Stimme fragen. Ich fand, das sie merkwürdig fremd klang.

„Schon so lange.“ Die Bedeutung seiner Worte rauschte an mir vorbei. Nein! Bitte lass gleich den Wecker klingeln und mich aufwachen.

Er kam meinem Gesicht immer näher, ich hatte immer noch das Gefühl in einem Alptraum der besonders miesen Sorte zu sein. Ich spürte seine Lippen auf meinen, Schockstarre...ich konnte das einfach nicht glauben. In diesem Moment zersprang meine kleine Welt in tausend kleine Scherben.

Ich hatte Angst meinen Freund zu verlieren, wusste das nichts mehr so wie vorher sein würde. Diese Erkenntnis war schmerzhafter als ein Schlag ins Gesicht.

Etwas Nasses lief meine Wangen runter. Tränen. Wann hatte ich das letzte Mal geweint?

Endlich kam wieder Leben in meinen Körper. Ich konnte mich aus der Starre befreien. Ehe ich noch recht merkte, was ich eigentlich tat, hatte ich ausgeholt und ihm eine Ohrfeige verpasst.

„Idiot! Warum hast du...?!“, hörte ich mich selbst schreien. Meine Stimme klang schrill, ungewöhnlich mädchenhaft.

Kaito starrte mich an, er sah so verletzt aus. Es brach mir einfach das Herz, aber ich fühlte mich so überrumpelt und empfand wirklich nur Freundschaft für ihn.

Meine Füße machten sich selbstständig, brachten mich dazu fluchtartig den Spielplatz zu verlassen und die nächste Straße entlang zu rennen.

Ich war so geschockt und verzweifelt über sein Geständnis, das sich mein logisches Denken abgeschaltet hatte. Komplett verheult lief ich die Straße entlang.

Wohin wollte ich jetzt eigentlich? Ob Gakupo mir zuhören würde? Sicherlich. Aber Kaito und er waren ebenfalls sehr gute Freunde, sodass mich plötzlich der Verdacht beschlich, das der Lilahaarige mehr wissen könnte als ich es bis eben getan hatte.

Okay, wohin dann? Zu Len und Rin? Nein, die waren einfach noch zu jung um das zu verstehen.

Zu Gumi? Auch nicht gut, da diese heute bei den Geschwistern übernachten wollte.

Nachhause? Ebenfalls nicht gut, da ich mich nicht allein in meinem Zimmer vergraben wollte.

Während meine Gedanken sich überschlugen, überließ ich es einfach meinen Füßen, wo sie mich hintragen würden.

von kleinen Überraschungen und Zombies

Auf meinem Weg durch die Stadt beruhigte ich mich wieder halbwegs. Oder besser gesagt : meine Augen waren nicht mehr so gerötet und langsam aber sicher begann ich auch wieder meine Umgebung etwas bewusster wahrzunehmen.

Doch dies änderte nichts an der Tatsache, das ich noch genau so geschockt und verzweifelt war wie eben. Ich hatte wirklich gedacht, wir würden beide nur Freundschaft für einander empfinden. Und umso schockierender war sein Geständnis eben gewesen.

Noch bevor ich mir weiter den Kopf darüber zerbrechen konnte, was ich jetzt bloß tun sollte, hatte ich ein mir bekanntes Haus erreicht.

Es war zwar schon verdammt spät...aber sie würde es mir wohl nicht übel nehmen. Meine Füße hatten mich ganz automatisch zu genau der richtigen Person gebracht. Wenn man einen guten Rat brauchte, dann war man bei meiner ruhigen Klassenkameradin immer an der richtigen Adresse.

Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Klingelschilder. Wenn ich mich recht erinnerte, dann wohnte sie auf der zweiten Etage.

Da dieses Haus verdammt viele Klingelschilder besaß, dauerte es einen Moment bis ich über den Richtigen Nachnamen stolperte. Ich drückte die Klingel neben der ich den Nachnamen Megurine entdeckt hatte und wartete ab.

Ja, es war schon ein wenig unverschämt um diese Uhrzeit noch irgendwo zu klingeln, aber ich brauchte unbedingt jemanden zum Reden.

Nach einer Weile ertönte ein Surren und ich konnte die Haustür öffnen. Dummerweise war das Licht im Treppenflur kaputt, sodass ich im Dunkeln durch den Hausflur musste.

Endlich hatte ich die Wohnungstür erreicht und klopfte leicht dagegen, um mich bemerkbar zu machen. Das sie die Tür mitten in der Nacht nicht einfach schon mal offen stehen ließ, konnte ich ihr nicht verübeln. Da konnte ja plötzlich sonst wer stehen.

Die Tür, welche mit einer Türkette gesichert war, wurde erst einen Spalt weit geöffnet, sodass die Wohnungsbesitzerin sehen konnte, wer genau da nun eigentlich vor der Tür stand. Mit einem 'Klick' wurde die Türkette entfernt und die Türe ganz geöffnet.

„Meiko? Was um alles in der Welt machst du denn um diese Uhrzeit hier?“

Ich blickte in das Antlitz einer sehr verschlafen wirkenden Miku. Irritiert blickte ich die Türkishaarige an, dann das Klingelschild. Moment...falsche Person in der falschen Wohnung.

„Miku? Du hier?“, wollte nun ich wissen.

„Sieht wohl ganz danach aus, oder?“ Sie kicherte leise und trat von der Tür weg, sodass ich die Wohnung betreten konnte.

Die Jüngere, die ausnahmsweise mal offene Haare trug, führte mich ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Die Wohnung sah noch genau so gemütlich aus, wie ich sie in Erinnerung hatte.

„Ich nehme an du wolltest mit Luka sprechen?“, wollte sie wissen. Ich nickte nur. „Tut mir leid, wir haben eigentlich schon geschlafen und sie hat die Klingel überhört. Da war ich dann mal so frei nachzusehen wer vor der Tür steht.“

„Sorry das ich um diese Uhrzeit noch hier aufkreuze, aber ich brauche unbedingt jemanden zum reden.“, entschuldigte ich mich.

„Du sieht ziemlich fertig aus. Was ist passiert?“, erkundigte Miku sich. Da ich mich mit ihr genau so gut verstand wie mit der Rosahaarigen, hatte ich keine Probleme damit es ihr zu erzählen.
 

„Oh man, du tust mir echt leid.“, bemitleidete die Türkishaarige mich, als ich die Story zuende erzählt hatte. „Und ich habe es die ganze Zeit über nicht gemerkt.“, murmelte ich niedergeschlagen.

„Vermutlich weil ihr euch schon so lange kennt, mh?“

„Damit könntest du wohl recht haben. Und jetzt weiß ich nicht was ich tun soll. Ich will ihn nicht als Freund verlieren, aber ich bin mir ziemlich sicher das jetzt nichts mehr so sein wird wie früher.“

Unser Gespräch wurde unterbrochen, als die Tür zum Schlafzimmer geöffnet wurde.

„Schatz, führst du Selbstgespräche? Komm wieder ins Bett.“ Eine mehr als verschlafen wirkende Luka blickte ins Wohnzimmer. Als sie mich bemerkte, wirkte sie schlagartig wacher.

„Meiko?! Was machst du denn hier?“, wollte sie verwirrt wissen.

„Ich-“, doch weiter kam ich nicht, denn Miku übernahm das Reden einfach.

„Kaito hat ihr eben seine Gefühle für sie gestanden, die sie allerdings nicht erwidert und jetzt hat sie Angst das sie ihn als Freund verlieren könnte.“, erklärte das zierliche Mädchen die Geschichte in Kurzform.

Besser hätte ich mein Problem wohl nicht zusammenfassen können, doch ich blickte gerade eher irritiert zwischen meinen Klassenkameradinnen hin und her. Wie ganz normale Freundinnen wirkten die beiden mir nicht gerade.

In der Zwischenzeit hatte die Rosahaarige das Zimmer durchquert und setzte sich zu uns aufs Sofa.

„Oh Mei-chan, das klingt aber gar nicht gut.“, bemitleidete sie mich.

„Wie hast du denn reagiert?“, wollte sie dann wissen.

Ich seufzte. „Naja, in meinem Schock habe ich zugeschlagen und bin abgehauen.“ Ich war alles andere als stolz darauf, das ich meinem Kumpel vorhin eine Ohrfeige verpasst hatte, doch rückgängig machen konnte ich es nicht mehr.

„Hast du ne Idee, was du jetzt machen willst?“, wollte Miku wissen. Ich schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt nicht wirklich.“

„Du solltest unbedingt mit ihm darüber reden.“, stellte Luka entschieden fest.

„Aber wie? Ich habe Angst, das ich ihn am Ende noch mehr verletze oder er mich.“

„Aber wenn du nichts tust, dann wird alles nur noch schlimmer. Er hat sich ein Herz gefasst endlich mit dir zu reden und nun solltest du dir ein Herz fassen und versuchen die Situation wieder gerade zu biegen.“

„Leichter gesagt als getan.“, murrte ich. „Du hast ja keine Ahnung wie es ist, wenn dir plötzlich jemand seine Gefühle gesteht und dich dann auch noch küsst.“

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin begannen die beiden anderen Mädchen zu kichern. Während die Türkishaarige mir auf dem Kopf rumpattete ergriff Luka erneut das Wort.

„Ach weißt du, so unbekannt wie du tust, ist mir die Situation gar nicht. Nur das sie anders ausgegangen ist.“ Sie warf mir ein Lächeln zu.

„Da ist was Wahres dran. Lu-chan hat mir nämlich keine verplättet.“, ergänzte Miku.

Und schon wieder sah ich zwischen den beiden hin und her. Mein Gesichtsausdruck musste wohl alles andere als geistreich ausgesehen haben, denn sie schienen sich darüber zu amüsieren.

„Also seit ihr wirklich...?“, hakte ich noch mal nach.

„Schon ne ganze Weile. Aber häng's in der Schule bitte nicht an die große Glocke.“ Langsam wurde die Türkishaarige wieder etwas ernster.

„So, jetzt aber zurück zum Thema.“, streute Luka ein. Ich sah sie aufmerksam an.

„Wenn du vielleicht auch nicht direkt morgen mit ihm reden willst, aber Hauptsache du redest in naher Zukunft mit ihm. Wenn ihr gute Freunde seid, dann sollte eure Freundschaft auch das aushalten.“

Nach dem Gespräch fühlte ich mich wieder ein wenig besser. Zwar noch immer alles andere als gut, aber wenigstens ein klein wenig aufgemuntert.

„Danke Leute, wenn ich euch nicht hätte.“ Ich warf ihnen ein mattes Lächeln zu.

„Vielleicht solltest du versuchen noch ein wenig zu schlafen. Morgen sind schließlich die Referate dran.“, streute die Stimme der Vernunft dann ein.

Ich sah auf die Uhr. Mittlerweile war es zwei Uhr morgens. „Oh verdammt! So spät schon!“

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin gähnte Miku hinter vorgehaltener Hand.

Ich stand vom Sofa auf. „Dann will ich mal besser nach Hause. Tut mir echt leid euch aus dem Bett geklingelt zu haben.“

„Ach, das macht doch nichts.“, beteuerte die Rosahaarige.

„Und du willst um diese Uhrzeit noch durch die halbe Stadt?“, wollte Miku wissen. „Also wir haben ne Schlafcouch.“

„Das ist echt nett. Aber meine Schulsachen sind doch bei mir Zuhause. Lily dreht mir morgen den Hals um, wenn ich das Referat nicht dabei habe.“

Ich stellte mir schon lebhaft vor, wie die Blonde mal wieder ausrasten würde. Etwas, auf das man wirklich gut verzichten konnte.

„Mh, auch wieder wahr.“, stimmte Miku mir zu und grinste.
 

Am nächsten Morgen quälte ich mich komplett übermüdet aus dem Bett. Ich hatte versucht zu schlafen, doch das hatte natürlich nicht geklappt. Die ganze Zeit über hatte ich mir den Kopf über den vergangenen Abend zerbrochen.

Wie sollte ich bloß mit dem Blauhaarigen reden? Ich wollte Kaito schließlich als Kumpel nicht verlieren. Es war doch zum Haare raufen!

Als ich ins Badezimmer tappte, stellte ich fest, das ich dunkle Ringe unter den Augen hatte. Meine Haare standen zu allen Seiten ab, was mir ein bizarres Aussehen verlieh.

„Ich seh aus wie ein Zombie!“, murrte ich mies gelaunt.

Auch nachdem ich mein Gesicht gewaschen und einen Kaffee getrunken hatte, sah ich nicht viel besser aus.

Zwar dachte ich daran das Referat einzupacken, doch ließ ich dafür dummerweise mein Frühstück in der Küche liegen. Da ich vermeiden wollte von den anderen über mein furchtbares Aussehen ausgefragt zu werden, ging ich extra schon etwas früher aus dem Haus.

Zwar würden meine Freunde früher oder später eh erfahren was genau vorgefallen war, doch wollte ich nicht am frühen Morgen schon wieder darüber sprechen.

Ich kam mir vor, als ob ich ein äußerst bescheuertes Versteckspiel spielen würde, doch ich wollte wenigstens den Schulweg noch ein wenig Zeit für mich haben.

Gerade ging ich an einer Haltestelle vorbei, an der gerade ein Bus hielt, da hörte ich eine bekannte Stimme. „Lasst mich endlich mal durch ihr idiotischen Kids!“ Dieses Rumgekeife kam mir bekannt vor. Ich blieb stehen und sah zum Bus.

Irgendwie schaffte die Blonde es sich aus dem total überfüllten Bus einen Weg ins Freie zu bahnen. Sie blieb einen Moment stehen und grummelte etwas unverständliches.

„Lily? Wieso bist du an der Schule vorbeigefahren?“, begrüßte ich sie.

Sie sah zu mir rüber und verzog das Gesicht. „Diese dummen Kinder haben die Tür versperrt und ich bin zwei Haltestellen weiter gefahren, als ich es eigentlich wollte.“, murrte sie.

„Ah, das erklärt einiges.“

Dann schien sie etwas zu bemerken, denn sie sah mich geschockt an. „Du lieber Himmel, Meiko! Wie siehst du denn aus?“ Das sie die Augenringe meinte, konnte ich mir schon denken.

„So wie man eben aussieht, wenn man nicht geschlafen hat.“

Sie schüttelte nur den Kopf. „So willst du jetzt aber nicht wirklich zur Schule, oder?“

Ich zuckte die Schultern. „Doch, eigentlich schon. Was dagegen?“

„Ich halte doch nicht mit nem halben Zombie ein Referat! Das ist doch peinlich.“

Ich begann zu köcheln und wollte gerade etwas passendes Antworten, da merkte ich, das sie mich nur ärgern wollte.

Ehe ich noch recht wusste was los war, hatte sie mich schon rüber zu den Sitzen der Bushaltestelle gezogen. „Setz dich.“, forderte sie mich auf. „Ich will mal sehen, ob man dich noch retten kann.“

Ich setzte mich zwar, ahnte aber nichts Gutes. „Du hast jetzt aber nicht vor mir dieses Zeug ins Gesicht zu klatschen?“, hakte ich zweifelnd nach. „Oh doch, das habe ich. Und dieses Zeug nennt man Make-Up.“

Und schon kramte sie in ihrer Tasche und hielt kurze Zeit später ein Schminktäschchen in der Hand.

Damit konnte die Prozedur beginnen. Lily schien sichtlich Spaß daran zu haben mich ein wenig zu schminken und ich ließ es einfach über mich ergehen. Nur...wieso eigentlich?

Ihre Hände fühlten sich warm und weich auf meiner Haut an. Normalerweise ließ ich andere Personen eher ungern in meinem Gesicht rumwerken, aber komischerweise empfand ich ihre Berührungen sogar als angenehm. Diese plötzliche Erkenntnis verwirrte mich, hatten wir doch erst neulich beschlossen das Kriegsbeil endlich zu begraben.

Nachdem ich auch noch um eine Puderschicht, Lidschatten und Lipgloss reicher war, hielt sie mir einen Schminkspiegel hin. „So fertig. Ich würde sagen du siehst etwas lebendiger aus.“, grinste sie mich an.

Ich blickte mein Spiegelbild an und war erstaunt, wie viel etwas Schminke doch bewirken konnte.

„Wow, ich sehe ja echt nicht mehr Scheintod aus.“, freute ich mich.

Sie packte das Schminkzeug zurück in ihre Tasche und wir beschlossen den restlichen Schulweg gemeinsam weiter zu gehen.

„Sag mal, wieso hast du mir eben eigentlich geholfen?“, erkundigte ich mich dann. Ich erkannte die Blonde kaum wieder. Noch vor ein paar Tagen so unausstehlich und jetzt so handzahm.

„Ach weißt du, mich hat's schon immer interessiert, wie du wohl geschminkt aussehen würdest.“

„Jetzt weißt du's. Und? Deine Meinung?“

Ich erwartete eine weitere Stichelei, doch stattdessen nahmen ihre Wangen einen Rosaschimmer an.

„Solltest du öfter mal tun.“, sagte sie dann.

Ich merkte, das auch mein Gesicht sich irgendwie warm anfühlte.

„Aber ich kann das nicht.“, gab ich dann zu bedenken.

Lily zuckte nur mit den Schultern. „Dann zeig ich's dir halt.“

Für ein paar Sekunden herrschte unangenehmes Schweigen. Wir waren beide damit beschäftigt genauestes den Asphalt zu mustern.

Ich beschloss besser das Thema zu wechseln.

„Und? Für's Referat gelernt?“ Die Cheerleaderin strich sich eine lange Strähne aus dem Gesicht.

„Klar! Und ich hoffe für dich du auch?“

„Na sicher.“ Dummerweise musste ich jetzt wieder daran denken, mit wem ich für das Referat gelernt hatte.

Zum Glück erreichten wir gerade das Schulgelände, sodass mir nicht viel Zeit blieb um Trübsal zu blasen.

Etwa zwanzig Meter vom Schultor entfernt standen Len und Rin. Letzt Genannte hatte mich entdeckt, winkte mir gut gelaunt zu und lief uns entgegen.

Na scheinbar hatte die Schminkaktion doch länger gedauert als gedacht, denn sonst wäre ich vor den Zwillingen in der Schule angekommen.

„Morgen!“, rief sie und umarmte mich im nächsten Moment auch schon stürmisch. „Morgen Rin-chan.“, begrüßte ich sie.

Dann bemerkte Lens Schwester etwas. „Hey! Wieso darf DIE dich schminken und ich nicht?!“

Um ihre Worte zu unterstreichen, zeigte sie mit dem Finger auf Lily, die etwas näher bei uns stand, als Rin gedacht hatte.

„Nimm sofort den Finger aus meinem Ausschnitt, du kleines Biest!“, keifte die Cheerleaderin die Jüngere in Grund und Boden.

Zwar entfernte Rin ihre Hand besser ganz schnell, doch wendete sie sich schon wieder an mich.

„Und wieso gehst du mit dieser Tussi zur Schule?“

„Ich bin keine Tussi! Und tu nicht so, als wäre ich nicht da!“

Es dauerte keine zwei Sekunden und die beiden Blonden standen sich gegenüber und stritten sich heftig.

„Geez, Rin das ist peinlich.“, murrte Len und gesellte sich lieber zu mir. Das Geschwister vom Charakter her so unterschiedlich sein konnten.

Ich konnte nicht anders und musste über diesen Zickenterror einfach nur grinsen. Gott, wie süß sie doch aussah, wenn sie sich aufregte.

„Meeeeiko!“, krähte mich eine Stimme aus den Gedanken. Gumi war bis eben wohl in der Cafeteria gewesen und kam nun, mit einem belegten Baguette bewaffnet, zurück auf den Schulhof gelaufen.

Wenigstens die Jüngeren waren noch ganz normal. Nur würde ich die drei gleich mal einweihen müssen was los war und warum ich mich im Moment nicht rüber zu Kaito gesellen wollte.

Doch das musste bis zur Pause warten, denn es klingelte. Nachdem ich Gumi begrüßt hatte, packte ich meine Klassenkameradin am Arm und zog sie ganz nebenbei von Rin weg, damit wir heute noch die Klasse erreichten. Len zog seine Schwester in die entgegengesetzte Richtung weg. Ihm war der ganze Aufruhr sichtlich unangenehm.

Ein paar Schritte lang hatte ich das Gefühl einen wildgewordenen Terrier am Arm hängen zu haben, doch glücklicherweise beruhigte die Blonde sich von ganz allein wieder.

„Diese kleine Göre!“, entrüstete sie sich, ließ sich aber weiter mitschleifen.

„Ach, das gibt sich bestimmt wieder.“ Ratlos zuckte ich mit den Schultern.

Erst als uns einige Klassenkameraden vor der Tür komisch anstarrten, merkte ich, das ich immer noch ihren Arm festhielt. „Oh.“ Ich ließ meine Projektpartnerin besser schnell wieder los.

Fast zeitgleich mit dem Lehrer erreichten wir den Klassenraum. Das Referat konnte kommen.

Funkenflug

Kaum hatte der Englischunterricht begonnen, da mussten auch schon die ersten Gruppen ihre Referate vortragen. Wieso tat Frau Tachikawa uns das nur schon so früh am Morgen an?

Wir waren zumindest die zweite Gruppe, die vortragen musste.

Ich war komplett übermüdet und hatte gerade genug andere Sorgen, doch ich riss mich zusammen. Diese Note war für zwei Leute und wir hatten hart an diesem Referat gearbeitet.

Als wir nun vor der Klasse standen, sahen Lily und ich uns kurz an, nickten uns zu und begannen dann mit dem Referat.

Jack the Rippers Geschichte auf Englisch zu erzählen war gar nicht so einfach, wie ich fand. Doch die endlosen Internetrecherchen und das Üben gestern hatten einiges gebracht.

Zwar war Lilys Englisch besser als meins, doch wir ergänzten uns ganz gut. Die Vokabeln um die verschiedenen Morde originalgetreu nachzuerzählen hatte ich, den Horrorfilmen sei dank.

Die Klasse war ruhig und hörte uns aufmerksam zu.

Nach zehn Minuten hatten wir erzählt, was es zu erzählen gab und konnten uns wieder setzen.

Unsere Englischlehrerin war ziemlich überrascht, das wir so gut zusammengearbeitet hatten. Sie hatte wohl damit gerechnet, das wir das Referat mehr schlecht als recht und mit blauen Augen halten würden, doch den Gefallen taten wir ihr nicht.

Das Frau Tachikawa uns am Ende noch einen Gefallen mit der Gruppenbildung getan hatte, damit rechnete sie ja nicht.

Auch die anderen Schüler und Schülerinnen hielten noch ihre Referate, dann hatten wir die Doppelstunde überstanden.

„Wow, das ist ja echt gut gelaufen.“, freute meine blonde Projektpartnerin sich. „Da sagst du was. Mit ner 2+ habe ich nun wirklich nicht gerechnet.“, gab ich zu.

Als ich den Raum verließ, blieb ich einen Moment lang unschlüssig stehen. Ich musste unbedingt mit Kaito reden, aber ich hatte keine Ahnung wie. Ich wollte ihn nicht noch mehr verletzen und hatte Angst, das er wegen die Abfuhr gestern eventuell sauer sein könnte.

Ewig konnte ich das Problem nicht vor mir herschieben, war mir unsere Freundschaft doch sehr wichtig, doch irgendwie fühlte ich mich nicht in der Lage diese Pause zu ihm rüber zu gehen.

Vor der Klasse wartete noch niemand meiner Freunde. Scheinbar war ich heute die Erste, die in die Pause konnte.

Dank dem eben wieder angesprochenen Problem, war ich mir nicht ganz sicher, zu welcher Klasse ich jetzt gehen sollte. Wenn die ganze Gruppe vollständig war, dann würde ich zwangsläufig mit dem Problem konfrontiert sein. Aber ewig wegrennen konnte ich auch nicht! Das...war eigentlich nicht meine Art. Normalerweise war ich sehr direkt und sagte das, was ich gerade dachte. Doch hier ging es um ein viel sensibleres Thema und meine sonst so große Klappe war hier fehl am Platz.

Wann hatte ich mich das letzte Mal so hilflos gefühlt? Es war nur ein Gespräch, aber gleichzeitig stand unsere Freundschaft auf dem Spiel. Ein falsches Wort würde alles nur noch viel schlimmer machen. Und wenn ich so darüber nachdachte, dann wollte ich dieses Gespräch plötzlich noch viel weniger. Mir war unsere Freundschaft so wichtig! Was aber, wenn ich durch ein dummes Wort alles nur noch verschlimmerte?

Meine Rettung kam zum Glück gerade aus dem Klassenraum.

„Und? Hast du schon mit ihm geredet?“, wollte Miku von mir wissen.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, bis jetzt noch nicht. Nächste Pause oder Morgen.“

„Ach Mei-chan, schieb es nicht zu lange auf. Das macht alles nur noch schlimmer.“, riet Luka mir und schob mich etwas zur Seite, da ich genau vor der Tür zum Pausenhof stand.

„Ich müsste wenigstens wissen, wie ich anfangen soll.“, murrte ich und folgte den beiden einfach mal.

Da es draußen recht kalt war, liefen Luka, Miku und ich rüber zur Pausenhalle. Eine Windböe fegte über den Schulhof hinweg und zerzauste dem Pärchen die Haare. Nur meine Frisur war wie üblich unkaputtbar. Schnell öffneten wir die Tür zur Pausenhalle und setzten uns an einen Tisch.

„Manchmal ist eine Aussprache vielleicht unangenehm, aber sie wird eure Freundschaft retten.“, predigte die Rosahaarige.

„Ich geh uns mal was zu essen holen.“ Miku war von ihrem Platz aufgestanden und lief rüber zur Küchenecke, wo in den Pausen immer Baguettes und sonstiger Kram verkauft wurden.

Als sie mit dem Essen zurück zum Tisch kam, zog die Türkishaarige ein Gesicht.

„Wir haben heute Hofdienst.“, stellte sie grummelnd fest.

„Im Müll rumstochern? Wollen die uns eigentlich verarschen?!“, entrüstete ich mich.

„Ich könnte schwören aus dem Alter sind wir raus.“, murrte Luka.

So saßen wir die Pause über da und unterhielten uns. Erst gegen Ende der Pause tippte mir plötzlich jemand an die Schulter. Als ich mich umdrehte, erblickte ich meine grünhaarige Freundin.

Ich erwartete, das Gumi jeden Moment ausrasten würde, weil ich die Pause über nicht zu den anderen gegangen war, doch sie zog überraschenderweise ein ernstes Gesicht.

„Ich hab gehört was passiert ist.“, erklärte sie mir setzte sich zu uns.

Sie blickte mich mitfühlend an und langsam bekam ich ein schlechtes Gewissen, nicht schon früher etwas gesagt zu haben. „Das war gestern ein ziemlicher Schock, sage ich dir.“

„Kann ich mir vorstellen. Auch wenn ich ehrlicher Weise damit gerechnet habe, das es eines Tages mal so weit kommen würde.“

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Du wusstest von seinen Gefühlen mir gegenüber?“ Jetzt war ich platt, wusste für einen Moment nicht, was ich denken sollte.

Gumi sah mich entschuldigend an. „Nein, nicht direkt gewusst. Aber wenn wir euch so angesehen haben, dann haben wir uns sowas schon gedacht. Nur das wir dachten...das du vielleicht auch genauso...-“, druckste sie rum. Der Grünhaarigen war anzusehen, das sie sich nicht wohl in ihrer Haut fühlte.

„Wer sind 'WIR'?“, harkte ich scharf nach.

„Na Rin, Len, Gakupo und ich. Also die ganze Gruppe.“

Und schon wieder wusste ich einen Moment lang nicht, was ich denken sollte. Nur weil Kaito und ich uns schon so ewig kannten und demnach sehr vertraut miteinander umgingen, bedeutete das doch noch lange nicht, das...

Doch eine Sache wurmte mich noch mehr. Wenn die ganze Gruppe es gemerkt hatten, wieso dann ausgerechnet ich nicht??

„Und ich war die Einzige die von all dem nichts mitbekommen hat.“, murrte ich nachdenklich.

„Und was hast du jetzt vor?“, wollte sie wissen. „Nun, ich werde wohl mit ihm reden und einiges klarstellen müssen. Er ist ein guter Freund, aber mehr nicht.“

„Solltest du wirklich besser. Er ist ziemlich fertig.“, erzählte Gumi mir.

„Von wem weißt du's denn jetzt eigentlich?“, wollte ich dann wissen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, das der Blauhaarige der ganzen Gruppe die Story einfach so erzählt hatte.

„Von Gakupo.“, erklärte sie. „Kaito hat gestern Abend noch mit ihm geredet und er hat es uns dann heute gesteckt, als wir uns gewundert haben, wo du bleibst und warum die Stimmung so schlecht ist.“

Gerne hätte ich noch weiter mit ihr geredet, doch da klingelte es auch schon wieder. Während die Grünhaarige sich erst einmal verabschiedete und wieder zurück in ihre Klasse ging, versammelte ein Teil meiner Klasse sich vor der Pausenhalle.

Eine Hälfte würde den Hofdienst diese Pause übernehmen, die andere Hälfte in der nächsten Pause.

Die Tussengruppe wanderte kichernd die Treppe hoch. Scheinbar wollten diese ätzenden Personen sich entweder ganz vor der Arbeit drücken oder sie waren ganz einfach für nächste Pause eingeteilt.

Bloß wunderte ich mich, wo ihre Anführerin steckte. Irgendwie machte sich ein komisches Gefühl in meiner Magengegend breit. Ähnlich warnend wie gestern, doch auf irgend eine Art und Weise dennoch anders.
 

„Jetzt schlaf nicht ein, Hofdienst ist angesagt.“ Mit einem Grinsen wedelte die Türkishaarige mir mit einem Eimer vor dem Gesicht rum, den sie nur mit zwei spitzen Fingern hielt. Es war deutlich zu sehen, das sie den Eimer als nicht besonders hygienisch eingestuft hatte.

Auch ich wich etwas vor dem Teil zurück. „Iiih“ Hau mir bloß nicht den dreckigen Eimer ins Gesicht!“, beschwerte ich mich. Ich war eigentlich nicht sonderlich empfindlich, was Dreck anging, doch einen Mülleimer im Gesicht brauchte ich nun wirklich nicht.

„Komm Schatz, lass uns am besten vor dem Schultor saubermachen. Da sind wir am schnellsten fertig,“, rief die Rosahaarige ihrer Freundin zu, als gerade niemand außer uns in Hörweite war.

Miku winkte mir noch gut gelaunt zu und verließ dann mit Luka die Pausenhalle.

Ich bequemte mich rüber zu den restlichen Hofdienstutensilien um ebenfalls gerüstet zu sein.
 

Mit einer Zange und einem Eimer bewaffnet machte ich mich auf den Weg. Bananenschalen, leere Schachteln und sonstiger Müll wurde aufgehoben und in den Eimer gesteckt. Wie gut das ich dafür die Zange benutzen konnte.

Zwar hätte ich mich auch zu den anderen gesellen können, verstand ich mich mit einem Großteil der Klasse doch sehr gut, aber ich zog es vor allein meine Runde zu drehen um Zeit zum nachdenken zu haben. Wieder mal zerbrach ich mir den Kopf über das Gespräch, welches mir noch bevor stand.

Gerade war ich dabei eine Flasche aus einem Busch zu rupfen, da hörte ich ganz in der Nähe einen Streit losgehen. Merkwürdig...wer außer meinen Klassenkameraden war denn jetzt noch auf dem Schulhof?

„Ich habe gesagt du kommst jetzt mit, weil wir reden!“ Die Stimme klang hart und eisig.

„Nein! Lass mich los! Es gibt nichts mehr zu reden!“ Die aufsteigende Panik war schwer zu überhören.

„Halt die Klappe und mach nicht so nen Wind!“

Ein dumpfes 'Klonk' war zu hören, fast so, als seie einer dieser Plastikeimer, wie wir sie für den Hofdienst benutzen, zu Boden gefallen. Ich hielt inne. Mein ungutes Gefühl verstärkte sich noch. Der Streit hörte sich ganz und gar nicht gut an. Wieder schrillten in meinem Kopf die Alarmglocken, diesmal allerdings, weil es nach Ärger roch.

Unser Schulhof war genau genommen in einen kleinen und einen großen Hof aufgeteilt.

Der große Hof war der 'Haupthof', der Kleine wurde eher von den Rauchern genutzt. Die beiden Schulhöfe verband ein schmaler Weg, von dem links und rechts einige Büsche und Bäume standen und der sehr schlecht einsehbar war.

Ich selbst befand mich derzeit kurz vor dem Weg um Müll aus den Büschen zu zupfen.

„Hör auf hier so rumzuzicken, du blödes Weib!“, ging der Streit weiter.

„Lass mich los! Du tust mir weh!“

Die Stimme kannte ich doch! Und genau mit so einer Situation hatte ich schon seit Samstagabend gerechnet!

Ohne viel nachzudenken stellte ich meinen Eimer ab. Schnell kämpfte ich mir einen Weg, einfach mitten durch die dicht an dicht stehenden Büsche, und betrat den Weg.

Etwa sechs Meter von mir entfernt standen Tsuyoshi und Lily. Erst Genannter zerrte am Arm der zierlichen Blondine rum und schien immer wütender zu werden, während meine Klassenkameradin langsam Panik bekam und sich losreißen wollte.

„Ich hab dir gesagt es ist aus! Kapier das endlich!“, schrie sie ihn an.

Obwohl ich genau mit dieser Szene gerechnet hatte, starrte ich einen Moment lang fassungslos auf das Bild was sich mir da bot. Ich spürte, wie die Wut in mir aufstieg. Ich hatte es schon immer schwer gehabt mein Temperament unter Kontrolle zu halten und in diesem Moment wusste ich, das ich es diesmal nicht schaffen würde ruhig zu bleiben.

„Hey! Lass sie sofort los!“, machte ich auf mich aufmerksam. Beide Köpfe wirbelten herum.

Überrascht hob Tsuyoshi eine Augenbraue. „Oh, die kleine Schulschlägerin.“, stellte er belustigt fest. „Ich geb dir nen Tipp. Zieh Leine, das ist gesünder!“, fügte er hinzu.

Beim Sprechen hatte er den Arm der Blonden losgelassen. Diese nutzte ihre Chance und flüchtete hinter mich.

Tsuyoshi war gute zwei Köpfe größer als ich und ziemlich muskulös. Ich wusste, das ich gegen ihn nicht den Hauch einer Chance haben würde. Außerdem würde man mich von der Schule schmeißen, wenn ich mich noch ein Mal mit jemandem prügelte.

Aber was sollte ich tun? Einfach abhauen? Das wäre sicherlich gesünder gewesen, doch aus irgend einem Grund hatte ich eine verdammte Wut auf den Kerl.

Wie konnte er meine Klassenkameradin einfach so grob behandeln?! Es war nicht schwer zu erkennen, das sie Angst hatte. Angst wegen diesem Ekel. Und genau diese Tatsache ließ mich kochen.

„Ich warne dich! Fass sie nie wieder an, kapiert?!“, hörte ich meine eigene Stimme im festen Tonfall sagen.

„Bist du lebensmüde, Kleine?“ Tsuyoshi machte zwei Schritte auf mich zu und baute sich drohend vor mir auf.

„Ich hab keine Angst!“ Das war eine glatte Lüge, denn mir war das Herz in die Hose gerutscht, doch er schien es mir zu glauben. Ich wusste, das diese Sache böse für mich enden würde.

Tsuyoshi war dafür bekannt alles andere als freundlich zu sein, aber ich war zu sauer um abzuhauen. Außerdem spürte ich diesen flehenden Blick im Rücken, der mich dazu brachte zu bleiben.

„Dann komm doch...!“, zischte ich und ging meinerseits auf ihn zu.

Und das tat er auch. Ehe ich reagieren konnte, hatte er mich an den Haaren gepackt und riss daran.

Es schmerzte, doch war es eigentlich nur ein Zug gewesen um mich in Schlagweite zu ziehen.

Ich sah den Fausthieb jedoch kommen und blockte mit dem Ellbogen ab.

„Aufhören! Bitte!“, hörte ich Lily am Rande kreischen. Doch um jetzt einen Rückzieher zu machen, war es zu spät.

Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, kratzte, trat und biss. Teilweise erwischte ich ihn sogar recht heftig, schaffte es einmal sogar meine Nägel tief in seinen Arm zu bohren und sie so runter zu ziehen, das er mit den Kratzern noch einige Wochen lang Spaß haben dürfte.

„Du kleine Schlampe!“, schrie Tsuyoshi wütend. Etwas Blut lief seinen Arm herab. Leider ließ er meine Haare deswegen trotzdem nicht los, im Gegenteil. Er riss erneut daran, sodass ich nach vorne taumelte. Dieses Mal schaffte ich es nicht mehr dem folgenden Schlag auszuweichen oder ihn auch nur abzublocken. Seine Faust traf mich mit voller Wucht in der Magengegend.

Es schmerzte höllisch. Eigentlich wollte ich aufschreien, doch mehr als ein ersticktes 'Urg!' brachte ich nicht zustande.

Endlich ließ er meine Haare los. Meine Beine gaben nach und ich fand mich im nächsten Moment auch schon gekrümmt auf dem Boden kniend wieder.

Verdammt, es tat weh! Ich konnte mich einfach nicht aufrichten, auch wenn ich es wollte.

Wenn Tsuyoshi das ausnutzte um noch einen Schlag hinterher zu setzen, ich würde mich vermutlich

auf der Krankenstation wiederfinden.

„Es reicht doch! Tu ihr nicht weh! Bitte!“ Die Stimme der Blondine klang schrill und hysterisch, doch ich nahm sie nur am Rande wahr.

Schritte näherten sich uns im rasanten Tempo.

„Du Dreckskerl! Was fällt dir ein!“, hörte ich eine bekannte, mehr als nur wütende Stimme schreien.

„Dich mache ich fertig!“, eine andere.

Eine Faust traf das Ekel seitlich am Kopf. Der Schlag traf genau Tsuyoshis Ohr, sodass er benommen taumelte.

Gakupo packte meinen Gegner am Kragen, riss ihn zu sich herum um schlug ihm dann mit voller Wucht ins Gesicht.

Lilys gewalttätiger Ex taumelte noch stärker, sah aber ganz schnell zu, das er Abstand zwischen sich und seinen neuen Gegner brachte. Das er nicht einfach umkippte war ein kleines Wunder, welches ich nicht verstand.

„Sag mal schämst du dich nicht ein Mädchen anzugreifen?!“

„Wenn du einen Gegner suchst, dann leg dich mit uns an, aber lass Meiko in Ruhe!“

Nur ein paar Sekunden nach dem Lilahaarigen hatte auch Kaito den Kampfplatz erreicht. Zwar war der Blauhaarige eher ruhig, doch einen solchen Hass in seinen Augen hatte ich noch nie gesehen. Ich war überzeugt davon, das er Tsuyoshi ebenfalls angegriffen hätte, wäre Gakupo ihm nicht zuvor gekommen.

Meine Freunde schäumten vor Wut und der Gegner hielt angeschlagen und irritiert inne. „Zwei gegen einen. Überleg dir das.“, knurrte der Blauhaarige ihn an.

„Drei gegen einen.“, korrigierte ich, kämpfte mich mühsam wieder auf die Füße und stellte fest, das ich auf jeden Fall meine Freunde unterstützen würde.

„Mädchen, du steckst bis zum Hals in Schwierigkeiten. Wart nur ab!“, murrte Tsuyoshi und trat wohl oder übel den Rückzug an. Wir ließen ihn ziehen.

„Wenn du ihr auch nur ein Haar krümmst, hast du die Schwierigkeiten am Hals!“, rief Gakupo ihm nach.

Als der Typ verschwunden war, wich die Anspannung aus meinem Körper. Ich seufzte hörbar.

„Genau im richtigen Moment. Danke Leute.“ Mit einem aufrichtigen Lächeln blickte ich die beiden Jungs an.

Die Blonde, welche neben mir stand, zitterte nach wie vor am ganzen Leib. Sie hatte wohl nicht erwartet ihren Ex so bald wieder zu sehen. Ich konnte nicht anders und zog das verstörte Mädchen zu mir in den Arm, sie drückte sich an mich. Ein merkwürdiges Gefühl...aber es fühlte sich gut an.

„Oh Gott, geht’s dir gut?“, wollte sie sofort wissen.

Obwohl es mir schon mal besser gegangen war, nickte ich tapfer. „Ist schon gut, sowas halte ich aus.“

„Es tut mir so leid.“ Vermutlich, das sie mich erst in diese Situation gebracht hatte.

Ich schüttelte leicht den Kopf und strich ihr übers Haar.

„Du musst dich nicht entschuldigen.“

„Hat er dir was getan?“, wollte ich dann wissen. Lily schüttelte den Kopf. „Nein, zum Glück nicht.“

Sie sah zu den Jungs. „Ihr habt uns echt gerettet. Danke.“

Ich sah wieder rüber zu den beiden. „Sagt mal, wo kommt ihr eigentlich her? Die Stunde hat doch schon längst angefangen.“, wollte ich dann wissen.

Kaito deutete auf einen Tisch, der mitten auf dem Weg lag. „Wir sollten den eigentlich gerade rüber ins andere Gebäude bringen.“, erklärte er. „Aber dann haben wir euch gesehen.“

Ich nickte. Das erklärte schon mal wo meine Freunde so schnell hergekommen waren. So was nannte man wohl wirklich perfektes Timing

Ich blickte rüber zu dem Blauhaarigen und wurde wieder wesentlich ernster.

„Wir müssen unbedingt reden.“, begann ich. Eigentlich hatte ich erwartet das er sowas wie 'nächste Pause' oder 'unter vier Augen' sagen würde, doch stattdessen nickte er nur. Scheinbar schien es ihn nicht zu stören, das Gakupo und Lily anwesend waren.

„Ist schon gut.“, sagte er nun. „Eigentlich hätte ich es besser wissen sollen und hätte dich vor allem nicht so überrumpeln dürfen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, mir tut es leid. Ich hätte nicht einfach abhauen dürfen und dir erst recht keine Ohrfeige verpassen dürfen.“

„Vielleicht hat mich das wieder klar denken lassen.“ Er kratzte sich leicht verlegen am Hinterkopf.

„Du bist mein bester Freund und ich möchte das sich daran nichts ändert. Ich hatte einfach Angst.“, gab ich zu. Auch mich störte es nicht wirklich, das hier noch zwei Leute standen. Während Gakupo wusste, was wir da redeten, blickte Lily eher verwirrt drein – egal.

„Schwamm drüber, ja?“, meinte Kaito schließlich. Glücklich darüber zog ich ihn in eine kurze Umarmung, was mein Magen sofort wieder mit neuen Schmerzen quittierte.

Der Blauhaarige hatte mein leises Wimmern nicht überhört und hielt mich vorsichtshalber fest.

„Alles in Ordnung mit dir, Meiko?“, hakte er nach.

„Ja geht schon. Es tut nur weh.“, räumte ich ein. Scheinbar hatte Tsuyoshi mich doch schlimmer erwischt, als ich anfangs gedacht hatte. Jetzt, wo mein Körper aber langsam wieder zur Ruhe kam, waren die Schmerzen kaum zu ignorieren.

Die Blonde fühlte sich sichtbar unwohl in ihrer Haut, denn sie gab sich die Schuld daran.

„Soll ich dich zur Krankenstation bringen?“, wollte sie wissen und machte den Eindruck, als wolle sie jeden Moment im Erdboden versinken.

„Hey, mach dir keinen Kopf, du kannst nichts dafür. Wenn Meiko meint sich mit jemandem prügeln zu müssen, dann hält sie keiner davon ab.“, versuchte Gakupo sie zu beruhigen.

„Nein, besser nicht zur Krankenstation.“, lehnte ich ihr Angebot ab. „Es darf auf gar keinen Fall rauskommen, das ich mich mit deinem Ex geprügelt habe.“

Ich wusste, ich würde der Schule verwiesen, wenn jemand diesen Vorfall an die große Glocke hängen würde. Das Tsuyoshi nichts sagen würde war klar, aber ein anderer durfte es auch auf keinen Fall.

„Hey keine Angst, du fliegst schon nicht. Immerhin ist dieses Ekel auf dich losgegangen und du hast nur versucht Lily und dich selbst zu schützen. Außerdem hast du drei Zeugen.“, versuchte Kaito mich zu beruhigen. Wie auf ein Zeichen hin nickten Lily und Gakupo.

Meine anderen Klassenkameraden hatten den Vorfall nicht mitbekommen, da der Zwischenweg vom Schulhof aus nur sehr schwer zu sehen war und sie vermutlich schon längst zurück in der Klasse waren.

„Ich will trotzdem zurück ins Klassenzimmer. Sind ja nur noch vier Stunden.“, entschied ich.

Obwohl ich beteuerte das es mir einigermaßen gut ging, bestand die Cheerleaderin darauf mich zu stützen. Sie sagte, sie wolle es nicht schuld sein, wenn ich mich nachher noch im Treppenhaus auf die Nase legen würde.

Gakupo hatte inzwischen den Tisch eingesammelt, den Kaito und er vorhin hatten fallen lassen.

Der Blauhaarige warf einen Blick in meine Richtung und irgendetwas in seinem Blick sagte mir, das er schon wieder mehr wusste als ich. Und eben dieses stille 'ich weiß was los ist' ärgerte mich.

„Gut, aber sag bloß bescheid, wenn es dir schlechter gehen sollte.“, mahnte er mich.

„Ja, Papa~!“ Ich verdrehte die Augen, auch wenn ich wusste das er es nur gut meinte.

„Wir sehen uns dann in der nächsten Pause.“, verabschiedeten die beiden Jungs sich dann.

Obwohl es mir nicht gut ging, lächelte ich. Es war schön zu wissen, was für gute Freunde ich doch hatte und das wir uns immer aufeinander verlassen konnten.

Und das Eis zwischen mir und Lily taute ebenfalls überraschend schnell.

Gemeinsam begaben wir Mädels uns dann wieder ins Gebäude und liefen bis zur zweiten Etage, wo unser Klassenraum war. Die anderen waren schon längst wieder vom Hofdienst zurück.

Kurz bevor wir die Klasse erreicht hatten, blieb die Blonde plötzlich stehen.

„Was ist?“, wollte ich wissen.

„Ich verstehe zwar nach wie vor nicht warum du das für mich getan hast, aber vielen Dank. Du hast ja keine Ahnung was für eine Angst ich vorhin hatte.“, gestand sie.

„Das brauchst du nicht. Ich lasse nicht zu das er dir noch einmal weh tut.“, hörte ich meine eigene Stimme plötzlich sagen. Oh man, fast wie in so einem kitschigen Film. Mir war meine Wortwahl peinlich und ich fragte mich, wie um alles in der Welt ich jetzt darauf gekommen war.

Ohne Vorwarnung umarmte die Blonde mich und vergrub ihr Gesicht in meinem Shirt. Auf ihren Lippen hatte sich ein glückliches Lächeln breit gemacht.

Ihre Wangen erinnerten mich derzeit stark an eine überreife Tomate und ich spürte, wie die Hitze augenblicklich auch in mir aufstieg.

Restlos verwirrt schloss ich sie in die Arme und lehnte mein Kinn leicht auf ihren Kopf.

Bis vor kurzem waren wir noch Erzfeindinnen gewesen und jetzt, nach einer knappen Woche, empfand ich ihr gegenüber eine so starke Freundschaft, das es mir schon fast unheimlich war.

Hätten Rin oder Gumi mich plötzlich so umarmt, ich hätte sie vermutlich nach kurzer Zeit weggeschoben, wieso aber ließ ich diese Nähe bei Lily zu? Es fühlte sich so falsch und so richtig zugleich an.

Mir kam es vor wie eine halbe Ewigkeit, doch dann suchten wir wieder etwas Abstand und blickten nun beide recht verlegen drein.

„Uhm...ja..“, stammelte die sonst so zickige Cheerleaderin.

„Ähm...lass uns in die Klasse gehen.“, schlug ich nicht weniger verwirrt vor.

Und genau das taten wir dann auch. Zwar bekamen wir Ärger von der Lehrerin, doch damit konnte ich leben.

Während Frau Sato eine Matheaufgabe an die Tafel schrieb, schielte ich heimlich rüber zu der Blondine. Ja, es war wirklich merkwürdig wie schnell sich Dinge ändern konnten. Plötzlich wünschte ich mir, das sie bald genau so zu meinen guten Freunden zählen würde wie der Rest meiner Gruppe.

Stadtbad

„Oh, wie ich Mathe doch hasse! Erklär mir das!“, frustriert ließ die Blonde sich auf ihr Bett fallen und warf mir einen Blick zu. Auf dem Boden und überall auf dem Bett waren Schulhefte verteilt.

„Du bist gut, ich bin selbst keine Leuchte in Mathe.“, räumte ich ein und versuchte eine weitere meiner BWL-Aufgaben zu lösen.

„Aber du musst das können, schließlich bist du eine Klasse über mir.“, beharrte sie.

Ich verdrehte die Augen. „Heißt aber nicht, das ich dieses Thema je verstanden hätte.“ In Mathe war ich noch nie gut gewesen und würde es wohl auch nie sein. Gott sei dank konnte ich in der Schule die meisten meiner Aufgaben bei meiner Sitznachbarin abschreiben und hatte bei den Klausuren mehr Glück als Verstand.

„Das ist doch total bizarr! Wie soll ich zwei komplett verschiedene Aufgaben gleichsetzen, wenn die komplett andere Zahlen haben!“, regte sich Rin auf.

„Du musst das X ausrechnen, dann ergibt's nen Sinn.“ Ich blätterte eine Seite in meinem Buch um, um endlich den richtigen Paragraphen im Handelsregister zu finden, den ich brauchte, um die Aufgabe lösen zu können.

„Also ich finde das ehrlich gesagt gar nicht so schwer.“, meldete sich Len zu Wort und wedelte kurz mit dem Mathebuch, damit wir wussten, was er meinte.

„Dann erklär schon!“, im Bruchteil einer Sekunde war seine Schwester von ihrem Platz aufgesprungen und rüber zum Schreibtisch gelaufen.

Es war Donnerstag Nachmittag und ich war nach der Schule mit zu den Geschwistern gegangen. Bevor wir in die Stadt oder irgendwo anders hin konnten, mussten wir allerdings erstmal unsere Hausaufgaben schaffen. Und da wir morgen frei hatten, hatten die Lehrer uns extra viel aufgegeben.

Erst hatte ich geglaubt nur die Oberstufe hätte es so schlimm erwischt, aber nein, auch die niedrigeren Klassen wussten vor Hausaufgaben nicht mehr, wo ihnen der Kopf stand.

Wieder tappte jemand durchs Zimmer und ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.

„Sag mal was machst du da? Das sieht aus wie ein komisches Häuschen mit Wörtern darin.“

Ich seufzte resigniert und legte meine BWL-Hausaufgaben zur Seite.

„Ich muss ne Bilanz aufstellen,“ erklärte ich halbherzig. Die Jüngere scherte es nicht wirklich, das ich zur Abwechslung mal versuchte zu Arbeiten.

Ihr Bruder hatte es nach eineinhalb Stunden endlich geschafft seine Hausaufgaben zu beenden und stand auf. „Also ich geh was raus.“, meinte er und streckte sich.

„Du willst nicht mit shoppen kommen?“, gespielt überrascht zog ich eine Augenbraue hoch. Len zog nur eine Grimasse. „Bloß nicht, lass mal.“, winkte er ab und sah merkwürdig schnell zu, das er das Zimmer verließ.

Rin und ich sahen uns an und mussten lachen.

„Jetzt mal ernsthaft, was wolltest du eigentlich in den Arcaden?“, wollte ich dann wissen, während ich den letzten Satz niederschrieb.

„Keine Ahnung. N neues Spiel? Klamotten?“ Angesprochene zuckte nur mit den Schultern.
 

Es gab für mich wirklich interessantere Dinge als shoppen zu gehen. Zumindest was Kleidung betraf, wusste ich sehr genau was ich wollte und suchte auch gezielt danach. Die Blondine war da leider um einiges mädchenhafter und schliff Gumi oder mich gern in sämtliche Modeläden.

Aber heute hatte es auch etwas Gutes mal wieder durch die Stadt geschleift zu werden. Ich hatte mich schließlich für morgen mit Lily zum Schwimmen verabredet und da brauchte ich noch einen Bikini.

Als ich Rin damit beauftragte ebenfalls nach schönen Bikinis Ausschau zu halten,war diese sofort begeistert. Kurze Zeit später fanden wir uns in der Bademodenabteilung eines Kaufhauses wieder.

„Sag mal, wie kommt's, das du freiwillig schwimmen gehst? Als Gumi und ich dich das letzte mal mitnehmen wollten, haben wir fast ne halbe Stunde gebraucht dich zu überreden.“, wollte sie dann wissen.

Erst wollte ich spontan auf ihre Frage antworten, dann hielt ich inne. Die beiden Blonden verstanden sich nicht unbedingt gut und neulich am Schultor war die Jüngere ja sogar wegen der Schminksache eifersüchtig gewesen. Was dies betraf, war sie eben noch ziemlich kindisch, wie ich immer wieder feststellte.

„Das war damals halt nicht mein Tag.“, versuchte ich mich irgendwie raus zu reden.

Mein Blick streifte aufmerksam durch die Bademodenabteilung. Peinliche Blümchenmuster wollte ich auf keinen Fall tragen. Irgendwie gab es heute fast nichts Gescheites.

Schließlich fischte ich einen schlichten schwarzen und einen , ebenfalls einfarbigen, roten Bikini von einem Stand.

„Du willst mir jetzt aber nicht ernsthaft erzählen, das du allein schwimmen gehst?“, hakte Rin nach.

Ich konnte nur schwer ein genervtes Seufzen unterdrücken. Wieso gab sie einfach keine Ruhe?

„Das habe ich auch nie behauptet.“ Inzwischen hatten wir die Umkleiden erreicht. Ich drückte der Blondine meine Tasche in die Hand, verschwand in einer der Umkleiden und zog den Vorhang zu.

„Jetzt mach nicht so n Geheimnis draus!“, hörte ich die Stimme der Jüngeren, von der anderen Seite des Vorhangs. „Ich bin morgen mit Lily verabredet.“, gab ich es auf und zog mich um.

„Mit der Tussi?! Meiko, was hat man dir in den Tee gekippt?“ Rins Stimme klang ziemlich überrascht.

Ich seufzte. „Ich hab dir doch gesagt, das sie gar nicht so schlimm ist.“

„Das hab ich neulich am Schultor gemerkt.“, protestierte die Jüngere. „Ihr kriegt euch schon noch wieder ein.“, meinte ich. Halbwegs ordentlich legte ich meine Klamotten auf den Hocker, der in der Umkleide stand. Ich betrachtete mich im Spiegel. Wow, Tsuyoshis Attacke hatte überraschender Weise keinen blauen Fleck verursacht. Dies wunderte mich zwar, aber ich war ganz froh darüber. Grün und blau im Schwimmbad rumlaufen wollte ich nicht.

Zwar hatte ich gegen dieses Ekel nichts mehr weiter unternommen, doch war ich mir recht sicher, das der Typ nach der Prügelei mit meinen Freunden erstmal genug hatte und so schnell keinen Ärger mehr machen würde.

Als ich Bikini Nummer 1 angezogen hatte, zog ich ein Stück des Vorhangs wieder auf, um eine Beratung zu bekommen. Allerdings waren wir beide der Meinung, das schwarz nicht meine Farbe war.

Kurzzeitig herrschte Stille, dann hatte die Blonde sich überraschender Weise schon wieder beruhigt. Eigentlich untypisch für Lens aufbrausende Schwester.

„Und in welches Schwimmbad?“, hörte ich sie fragen, als ich den nächsten Bikini anprobierte.

„Ach, in dieses Neue.“, antwortete ich sehr spontan und dachte gar nicht über mögliche Folgen meiner Antwort nach.

Ich warf einen Blick in den Spiegel und war auf Anhieb begeistert. Rot war ganz eindeutig meine Farbe. „Also ich denke, ich habe gefunden was ich suche.“, meinte ich eher zu mir selbst und die Jüngere riskierte einen Blick in die Umkleide.

„Hey, der sieht echt gut aus!“, stimmte sie mir sofort zu. „Rot ist wirklich deine Farbe.“ Sie lächelte.

Ich zog mich wieder um und wunderte mich, warum zur Hölle sie sich nicht wie erwartet aufgeregt hatte. Irgendwas musste das Mädchen doch planen, das sah ich ihr an...

Nachdem ich um einen Bikini reicher war und Rin sich noch zwei neue T-Shirts gekauft hatte, verließen wir den Laden wieder und sahen noch bei einem Spieleladen vorbei. Schon eher meine Welt. Von Technik verstand ich eindeutig mehr als von Mode und neue Spiele konnten nie schaden.

Allerdings fanden wir die Spiele für die Playstation 3 alle ein wenig überteuert und so verließen wir den Laden irgendwann wieder.
 

Als ich Abends zurück nachhause kam, war ich ziemlich erledigt. Erst der Schultag, dann die vielen Hausaufgaben und schließlich die Shoppingtour, ich wollte mich nur noch aufs Bett fallen lassen.

Doch meine Mutter vereitelte diesen Plan, denn sie rief mich ins Wohnzimmer.

„Ah, endlich bist du wieder da.“, begrüßte sie mich. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ich hab dir doch gesagt, das ich heute nach der Schule noch mit zu Rin und Len gehe.“

Sie setzte ein leichtes Lächeln auf. „Aber das weiß ich doch Schätzchen. Du müsstest dich nur mal kurz nützlich machen und mir dieses Bild über dem Fernseher aufhängen.“ Mit diesen Worten zeigte sie auf eine große Leinwand, welche an die Wand gelehnt im Wohnzimmer stand. Das Motiv war ein Sandstrand mit einem Sonnenuntergang darauf. Zwar etwas kitschig, aber die ruhigen Farben passten gut in unser Wohnzimmer.

„Sag das doch gleich.“, grinste ich und ließ mir einen Nagel und einen Hammer geben.

Meine Mutter war recht klein und hatte keine Lust gehabt extra den Fernsehertisch zur Seite zu schieben, nur um eine Leiter genau vor die Wand stellen zu können. Zwar hatten wir genau die gleiche Haarfarbe und ähnelten uns vom Gesicht auch ziemlich, doch war ich vom Wesen her eher auf meinen Vater gekommen und war dank ihm auch recht groß für eine Frau.

Schnell war das Bild aufgehängt und ich legte den Hammer zurück auf den Tisch.

„Hängt doch gerade, oder?“ Mom musterte die Leinwand genau, nickte dann aber zufrieden. „Ja, ich denke schon.“

„Haben wir noch was zuessen da?“, wollte ich dann wissen.

Sie lachte. „Ganz meine Tochter, denkt immer nur ans futtern.“

„Hey! Ich beweg mich ja auch viel und setze nichts an.“, beschwerte ich mich gespielt beleidigt.

Nach einem Abendbrot und dem Aufräumen der Küche verzog ich mich in mein Zimmer.

Als ich einen Blick zur Uhr warf, stellte ich fest, das es schon ziemlich spät war. Ob ich noch etwas fern sah?

Wobei...meine Gedanken wanderten zu morgen. Ich freute mich merkwürdigerweise schon ziemlich aufs Schwimmen und wollte nicht komplett verpennt am vereinbarten Treffpunkt aufkreuzen.

Meine Gedanken wanderten zurück zu dem Tag, als wir unser Plakat für das Projekt endlich beendet hatten und die Blonde mich zögernd gefragt hatte, ob wir uns nicht auch so treffen könnten.

Ich spürte ein leichtes Kribbeln in der Magengegend und seufzte. Freute ich mich jetzt schon so sehr aufs Schwimmen? Oder hatte ich einfach nur zu viel gegessen und deswegen war mir jetzt so komisch?
 

Am nächsten Tag riss mich der Wecker aus dem Reich der Träume. Verschlafen blinzelte ich. Wie spät war es denn? Als ich den Wecker zum Schweigen gebracht hatte und einen Blick darauf riskierte, stellte ich fest, das es Punkt 8 Uhr war.

Ich stand auf und streckte mich. Da meine Mutter heute wieder Frühschicht hatte, hatte ich die Wohnung für mich allein.

Ich begab mich in die Küche, gönnte mir heute aber nur ein sehr kleines Frühstück, damit mir nachher beim Schwimmen nicht noch schlecht wurde. Anschließend ging ich ins Bad, machte mich soweit zurecht und packte anschließend meine Tasche.

Viel später hätte ich nicht aufstehen dürfen, denn als ich schließlich fertig war, war es auch schon an der Zeit das Haus zu verlassen.

Merkwürdig gut gelaunt lief ich runter zur Bushaltestelle. Warum ich zu dieser Uhrzeit schon so gut gelaunt war konnte ich mir nicht erklären, aber ich grübelte auch nicht weiter darüber.

Nach zwei Minuten des Wartens kam dann auch endlich der Bus, mit dem ich bis kurz vor's Schwimmbad fahren konnte. Da es Freitag Vormittag war, war der Bus nicht besonders voll und ich bekam noch einen Sitzplatz. Die Fahrt dauerte etwa 15 Minuten, doch der Busfahrer fuhr wie der letzte Henker und ich war ganz froh darüber, nicht stehen zu müssen.

Als ich schließlich die Haltestelle erreicht hatte, die treffender Weise auch noch 'Stadtbad' hieß, stieg ich aus.

Von hier aus war es nicht mehr weit bis zu unserem Treffpunkt. Wir hatten es für das Beste erachtet uns genau vor den Türen des Schwimmbads zu treffen, da es so schwieriger war aneinander vorbei zu laufen.

Kaum bog ich um die nächste Ecke, da sah ich meine Klassenkameradin auch schon vor dem Gebäude stehen. Überpünktlich, wie ich feststellte.

„Morgen!“, grüßte ich sie und warf ihr ein Lächeln zu. Scheinbar hatte ich sie aus den Gedanken gerissen, denn Lily schrak kurz zusammen, sah dann aber zu mir rüber und lächelte ebenfalls.

„Wow, du bist pünktlich“, stellte sie fest. „Was ne Begrüßung.“, murrte ich gespielt beleidigt. Unser Lächeln verwandelte sich je zu einem Grinsen. Von der früheren Feindseligkeit war nicht mehr all zu viel zu merken, wie ich fand.

„Bist du schon lange hier?“, wollte ich dann wissen.

Angesprochene schüttelte leicht den Kopf. „Nein, ich bin auch gerade erst angekommen.“

„Na dann ist ja gut.“

Gemeinsam betraten wir das Gebäude und sofort schlug uns warme Luft und Chlorgeruch entgegen. Typisch Schwimmbad. Da es Herbst war, war das Bad zu dieser Zeit recht leer und so mussten wir auch nicht lange an der Kasse anstehen.

Mit zwei Karten bewaffnet, passierten wir die Schranke am Eingang, welche uns zu den Umkleiden und Spinden führte.

„Das Renovieren hat sich wirklich gelohnt. Sieht ziemlich edel aus.“, stellte die Blonde erfreut fest.

„Zumindest der Eingangsbereich ist kaum noch wieder zu erkennen.“, stimmte ich ihr zu. Das Bad an sich hatten wir ja noch nicht gesehen und konnten es somit nicht beurteilen.

Schließlich waren zwei Spinde gefunden, deren Schlüsselarmbänder noch sehr neu aussahen. Wir schnappten uns also die Armbänder und begaben uns zu den Umkleiden, die fast genau daneben waren.

„Ich denke mal, wir warten vor dem Duschraum, ja?“ Dagegen hatte sie nichts einzuwenden.

Wie immer hatte ich mich recht schnell umgezogen, schlüpfte in meinen neuen Bikini, hängte meine Klamotten auf den Kleiderbügel und brachte diesen dann zu meinem Spind.

Vor dem Duschraum musste ich etwa fünf Minuten auf die Cheerleaderin warten und begann mich langsam zu fragen, wie man nur so lange brauchen konnte um das Outfit zu wechseln.

Schließlich besaß dann aber auch die Blonde die Güte endlich mal aufzutauchen.

„Ah, also doch nicht eingeschlafen.“, neckte ich sie. Lily verdrehte die Augen. „Ich hetzte mich eben nicht gern.“

So betraten wir nun also den Duschraum, indem sich derzeit außer uns nur noch eine alte Frau befand. Ich störte mich nicht wirklich an der Oma, suchte mir eine Dusche aus und tippte auf den Schalter. Eine Fehlentscheidung, denn das Wasser, welches nun auf mich niederprasselte, war eiskalt.

Mit einem unschönen Fluch rettete ich mich zur Seite. Meine Klassenkameradin fing an zu kichern. Irgendwie hörte sich das verdammt süß an....aber halt!

„Mach dich nicht über mich lustig!“, meckerte ich, was ihre Lachattacke nur noch verstärkte.

Ich drehte mich zu ihr um und wusste nicht, ob ich ihr jetzt einen wütenden Blick zuwerfen, oder sie fasziniert anstarren sollte.

„Du kannst die Temperatur der Dusche einstellen, Meiko.“, grinste Lily mich an. Dann drehte die Blonde sich zu ihrer Dusche um und demonstrierte dies auch gleich.

Wie peinlich! Wieso hatte ich so etwas Alltägliches übersehen?

„Wer den Schaden hat.“, murrte ich nur, stellte meine Dusche ebenfalls auf eine menschliche Temperatur ein und ließ das , nun lauwarme, Wasser über mich laufen.

Kurzzeitig herrschte Stille, aber das Schweigen war nicht unangenehm. Die alte Oma war inzwischen aus dem Duschraum verschwunden, wie ich feststellte.

Gerade wollte ich die Blonde fragen, ob wir nicht langsam mal rüber ins eigentliche Bad gehen sollten, da stellte ich fest, das sie mich anstarrte.

Ich zog verwirrt eine Augenbraue hoch. Eh? Scheinbar schien sie nicht zu merken, das ich ihren Blick bemerkt hatte, denn sie sah nicht weg.

Kurzzeitig blieb mein Blick nun auch an der Cheerleaderin hängen. Sie war sehr zierlich gebaut, ihr Haar hing in nassen Strähnen über ihre Schultern und ihre Haut sah seidig weich aus. Nur...wurde ich das merkwürdige Gefühl nicht los, das sie mit dem Bikinioberteil etwas geschummelt hatte.

Zwar war ich vom Charakter her wesentlich jungenhafter als sie, doch vom Körperbau hatte ich eindeutig die weiblichere Figur.

Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich unsere Blicke. Um die peinliche Situation zu überspielen, warf ich ihr ein freches Grinsen zu. „Na, eifersüchtig?“

Es war sehr interessant zu beobachten, wie die Kleinere innerhalb eines Augenblickes ihre Gesichtsfarbe von normal zu knallrot wechseln konnte.

„Wa-was?!“, hakte sie ein wenig aus der Bahn geworfen nach. Nun war ich es, die lachte.

„Na du sahst mir so aus.“

„Quatsch!“, fuhr sie mich an. Ja, so kannte ich Lily schon eher. Mit weiterhin krebsrotem Gesicht fügte sie ein :“Immerhin kriege ich so schnell keine Rückenschmerzen.“, hinzu.

„Komm, lass uns rüber ins Bad gehen.“, beschloss ich die peinliche Situation aufzulösen.

Gesagt getan – wir verließen die Duschen und begaben uns gespannt ins frisch renovierte Bad.

Und wirklich, das Renovieren hatte sich absolut gelohnt. Unser altes Stadtbad war kaum noch wieder zu erkennen. Das Bad war schon immer sehr groß gewesen, doch sämtliche Becken waren erneuert worden und alles machte einen viel neueren und besseren Eindruck.

Stumm einigten wir uns darauf erstmal das ganz normale Schwimmerbecken zu betreten.

Lily entschied sich dafür die Leiter hinunter ins Wasser zu steigen. Ich machte mir diese Mühe gar nicht erst und rutschte vom Rand aus ins Wasser. Die Temperatur war angenehm. Nicht so kalt als das man gefroren hätte, aber auch nicht so warm, als das man sich vorkam wie ein Krebs – genau richtig eben.

„Eins würde mich ja schon interessieren.“ Mit einem herausfordernden Grinsen blickte die Blonde mich an. Ich machte mich schon mal auf alles gefasst. „Na, und was?“

„Ich weiß vom Sportunterricht her das du mich im Sprinten schlägst, aber schaffst du das auch im Wasser?“

Ihr Grinsen wurde noch eine Spur breiter und schon war sie losgeschwommen.

„Warte, ich krieg dich schon!“, nahm ich die Herausforderung an und schwamm ebenfalls los.

Eins musste ich der zierlichen Blonden lassen : sie war schnell. Ich hatte meine liebe Mühe sie einzuholen. Als ich es endlich geschafft hatte und dachte, das Wettschwimmen so gut wie gewonnen zu haben, legte sie noch einen Zahn zu, zog wieder an mir vorbei und erreichte als Erste den anderen Beckenrand.

Ich war ehrlich beeindruckt. Normalerweise schafften es nur die Wenigsten mich überhaupt in einer Sportart zu schlagen, erst recht keine anderen Mädchen.

„Gar nicht mal übel.“, gab ich zu. „Aber mal sehen ob du das noch mal schaffst.“ Diesmal war ich es, die zuerst losschwamm. Meine Klassenkameradin folgte mir sogleich.

Nach einigen Bahnen und ungefährem Gleichstand beschlossen wir es gut sein zu lassen und uns erstmal das restliche Schwimmbad anzusehen. Ein wenig außer Atem zogen wir uns an der Leiter aus dem Wasser.

Voll war es hier derzeit wirklich nicht. Nur eine Handvoll anderer Schwimmer war derzeit anwesend, was in einem so großen Bad nicht wirklich auffiel.

„Sieh mal, in dem Becken dahinten haben die sogar Massageliegen.“, freute die Blonde sich und lief los.

Kaum hatten wir diese allerdings erreicht und es uns darauf bequem gemacht, gingen sie auch schon aus. Dafür begann die Mitte des Schwimmbeckens zu sprudeln.

„War ja klar.“, stellte ich nur fest und zog ein belustigtes Gesicht. Die Teile hatten es eben an sich, immer dann auszugehen, wenn sich jemand darauf legte.

„Ach, die gehen gleich sicher wieder an.“, vermutete Lily. So blieben wir also auf unseren Plätzen, warteten und redeten dabei über Gott und die Welt.

Es war schon verblüffend, wie gut ich mich plötzlich mit der zickigen Cheerleaderin verstand. Zwar wunderte ich mich ein wenig darüber, wieso sie fast mit auf meine Liege gerutscht war, doch hinterfragte ich die Aktion nicht.

„Ah, da seit ihr!“, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme rufen. Und schon sprangen zwei Personen neben unseren Liegen ins Wasser. Einen Moment später tauchten Rin und Gumi wieder auf.

„Ihr hier?“, wollte ich verwundert wissen, während Lily sich das Wasser aus dem Gesicht wischte.

„Klaro!“, rief die jüngere Blondine aus. „Wenn du dich schon mit äußerst fragwürdigen Personen triffst, dann wollten wir wenigstens dabei sein.“

„Es war Rins Idee, aber ich fand die Idee eigentlich ganz gut.“, äußerte sich Gumi und grinste uns an.

„Fragwürdig?! Ich geb dir gleich fragwürdige Person!“, keifte meine Klassenkameradin Rin an und sprang von ihrer Liege auf. Einen Moment später stritten die beiden sich schon wieder.

Gumi und ich blickten uns an und seufzten genervt.

„Vielleicht hören die auf, wenn wir sie rüber zu der neuen Rutsche schleifen?“, schlug die Grünhaarige vor.

„Einen Versuch ist es wert.“ Mit einem skeptischen Blick musterte ich die beiden streitenden Blondinen.

„Leeeeute!“, murrte die Grünhaarige genervt und versuchte die Aufmerksamkeit der beiden Streitenden zu erlangen. Dies gelang überraschender Weise auch.

„Wie wäre es, wenn ihr das lasst und wir rüber zu der neuen Rutsche gehen?“, half ich ihr.

Die beiden warfen sich noch einen bösen Blick zu, ließen sich dann aber von uns aus dem Wasser ziehen.

Kurze Zeit später standen wir dann vor der Wasserrutsche und waren...sprachlos. Allein die Treppen bis zur Rutsche hochzulaufen hatte eine halbe Ewigkeit gedauert. Nun standen wir genau vor dem Eingang einer sehr dunklen, aber vor allem sehr sehr steilen Röhrenrutsche.

Skeptisch lasen wir uns erstmal die Warnhinweise durch. Selbst die beiden Jüngeren waren auf einmal sehr still geworden.

Rin warf Gumi einen Blick zu. „Ich will da nicht alleine runter.“, stellte die sonst so aufgedrehte Blonde fest. „Glaubst du ich?“, auch meiner taffen, grünhaarigen Freundin war das Herz in die Hose gerutscht.

Dennoch entschieden sie sich dafür den Anfang zu machen. Sie rutschten einfach gemeinsam ins Ungewisse und das einzige was wir noch von ihnen mitbekamen, war ein Kreischen.

Irgendwann leuchtete ein kleines Lämpchen oberhalb der Wasserrutsche grün – die nächsten konnten sich also auf den Weg machen.

„Du hast...nichts dagegen, wenn wir da auch zusammen runterrutschen?“, erkundigte sich Lily, die kreidebleich aussah.

„Die beiden anderen scheinen's auch überlebt zu haben, so schlimm kann es also nicht sein. Aber von mir aus.“

Und der erste Eindruck hatte nicht getäuscht – es ging wirklich steil bergab. Das wirklich gruselige war jedoch die Tatsache, das eine äußert grelle Stimme mich halb taub kreischte und ich das Gefühl nicht los wurde, das sich da gerade lange Fingernägel in meinen Arm gruben.

Schneller als erwartet war der Höllentrip jedoch vorbei und wir landeten mit einem Platsch im Wasser. „Um Gottes Willen! Da kriegt mich keiner mehr rein.“, stellte die Blonde fest und strich sich einige nasse Strähnen aus dem Gesicht.

„Das war zu heftig.“, stimmte Rin ihr überraschender Weise zu. Ich rieb meinen schmerzenden Arm.

Gemeinsam schwammen wir zum Beckenrand um uns erstmal ein wenig zu erholen.

Doch nach den anfänglichen Schwierigkeiten, wendete der Tag sich doch noch zum Besten und wir genossen unsere Zeit im Schwimmbad. Die Rutsche ließen wir besser in Ruhe, denn nur Gumi und mir schien dieses Höllenteil nicht wirklich etwas auszumachen.

In Gedanken freute ich mich, das ich mich langsam wirklich mit der schönen Cheerleaderin anfreundete und das auch das Misstrauen meiner anderen Freunde ihr gegenüber langsam nachließ.

Doch eine leise Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, das dieses Problem jetzt vielleicht aus der Welt war und auch Tsuyoshi uns vermutlich in Ruhe lassen würde, doch bald schon etwas Neues passieren würde.

auf dünnem Eis

Inzwischen waren fast zwei Monate vergangen. Mittlerweile war es November und es war noch mehr abgekühlt. Überraschenderweise hatte ich es geschafft rechtzeitig fertig zu werden und hatte sogar noch die Gelegenheit dazu gehabt, mir ein zweites Frühstück zu machen und es in die Schultasche zu stecken.

Gerade als ich in Stiefel, Schal und Mantel geschlüpft war, klingelte es auch schon. Meine Freunde besaßen ein perfektes Timing. Ich öffnete die Tür und begrüßte die beiden Jungs erst einmal.

Obwohl Kaito und Gakupo ebenfalls sehr warm angezogen waren, sahen sie ziemlich erfroren aus.

„Ihr seht ja so aus, als wärt ihr gerade aus der Tiefkühltruhe gekrochen.“, grinste ich sie an.

„Viel wärmer ist es heute auch nicht.“, versicherte der Lilahaarige mir.

„Vielleicht solltest du besser noch Handschuhe mitnehmen.“, riet mir Kaito. Zwar war ich nicht so kälteempfindlich, doch wenn selbst der Eisliebhaber es draußen für zu kalt befand, dann tat ich wohl besser daran seinen Rat zu befolgen.

Warm angezogen und mit meiner Schultasche bewaffnet, verließ ich die Wohnung. Gemeinsam bahnten wir uns einen Weg durchs Treppenhaus. Der Aufzug war wie üblich kaputt, sodass wir mal wieder laufen mussten.

„Noch zwei Wochen, dann öffnet endlich der Weihnachtsmarkt.“, streute Gakupo ein. Er verließ als erstes den Hausflur und ging plötzlich merkwürdig langsam. Auch Kaito tappte plötzlich viel vorsichtiger über den Asphalt. „Ihr glaubt gar nicht, wie sehr ich mich schon auf die Glühweinbude freue!“, tat ich meine Meinung kund.

Ich dachte nicht darüber nach warum meine Freunde so langsam den Weg entlang schlichen, sondern ging stattdessen im ganz normalen Tempo weiter.

Zwei Sekunden später war ich klüger. Nach vier Schritten rutschten meine Füße weg. Der Boden war spiegelglatt! Mit einem erschrockenen Aufschrei griff ich nach den beiden anderen um einen Sturz noch irgendwie zu vermeiden. Zwar riss ich die Jungs bei der Aktion fast auch zu Boden, doch irgendwie überstanden alle drei die Aktion unbeschadet.

„Wir hätten dir vielleicht sagen sollen, das wir Glatteis haben.“, entschuldigte der Lilahaarige sich.

Und wirklich. Der Boden sah nur nass aus, doch in Wirklichkeit war er mit einer leichten Eisschicht überzogen. „Das fällt euch aber früh ein, Jungs!“, schimpfte ich, hatte mich zwei Sekunden später aber auch schon wieder beruhigt.

Den Rest des Schulwegs über legte sich niemand mehr auf die Nase. Wir schlichen mehr als das wir gingen, quatschten aber dennoch unbekümmert und hatten trotz des Glatteises gute Laune.

Ich war so froh, das der Blauhaarige und ich nach wie vor Freunde waren und er meine Entscheidung akzeptiert hatte. Manchmal spürte ich zwar seinen Blick auf mir haften, doch im Grunde war alles wieder so wie früher.

Im Schulgebäude angekommen trennten sich unsere Wege. Ich lief zu meinem Klassenraum, erreichte diesen allerdings zehn Minuten zu spät. Doch heute bekam ich keinen Ärger für meine Verspätung. Die halbe Klasse war leer. Das Glatteis hatte nicht nur mir zu schaffen gemacht.

Ich setzte mich also auf meinen Platz, räumte meine Bücher und Hefte auf den Tisch und ließ meinen Blick dann unauffällig durch die Klasse gleiten.

Viele der verhassten Tussis waren erst gar nicht erschienen, meine Sitznachbarin und deren Freundin waren anwesend und auch die blonde Cheerleaderin hatte es irgendwie zur Schule geschafft. Ich freute mich, als ich sie sah. Unsere Blicke trafen sich und wir warfen uns ein Lächeln zu, konnten wir uns mitten im Unterricht doch schlecht begrüßen.

In den zwei Monaten, die inzwischen vergangen waren, hatten wir das Kriegsbeil wohl entgültig begraben. Anfangs hatte Lilys Clique zwar noch die Nase gerümpft, doch inzwischen hatten wohl auch die Tussis akzeptiert, das wir uns angefreundet hatten.

In den Pausen stand die schöne Blondine mal bei uns, mal bei ihren anderen Freundinnen, doch in unserer Freizeit trafen wir uns mittlerweile oft. Meine Freunde hatten ihr Misstrauen ihr gegenüber auch so ziemlich abgelegt und begannen eine Freundschaft zu ihr aufzubauen. Wie schnell Zeiten sich doch änderten. Und wie falsch man Personen doch einschätzen konnte.

Als die ersten beiden Stunden endlich geschafft waren, verließ ich den Raum und wartete vor der Tür noch kurz auf die anderen.

„Und ich hab schon gedacht du kommst heute nicht mehr.“, kommentierte Lily meine Verspätung von vorhin.

„Ich wäre pünktlich gewesen, wäre kein Glatteis gewesen.“, entschuldigte ich mich.

„Hör mir auf mit Glatteis!“, mischte Miku sich ein, die nach uns den Klassenraum verlassen hatte.

„Ich hab's heute morgen nämlich auch erst gemerkt, als ich mich auf dem Boden wieder gefunden habe.“, fügte sie dann hinzu.

„Aber zum Glück ist alles noch dran.“, neckte Luka sie und pattete die Kleinere auf den Kopf.

„Wir gehen tatsächlich raus?“ Ungläubig blickte die Blonde mich an, als ich die Tür zum Pausenhof öffnete. „Klar, die anderen warten schließlich auf der Bank.“ Die Bank in der Ecke des Schulhofs war nach wie vor unser Stammplatz geblieben.

„Wenn's mir zu kalt wird, gehe ich aber rein zu den anderen.“, stellte sie sofort klar.

Kaum hatten wir den Schulhof betreten, da war auch schon wieder schleichen angesagt. Niemand hatte großes Interesse nähere Bekanntschaft mit dem Boden zu machen.

Die Cheerleaderin hakte sich bei mir ein, da ihre Schuhe nur ein sehr flaches Profil hatten. Ich sagte nichts dagegen.

Als sie mir gegenüber langsam wirklich aufgetaut war, hatte sich herausgestellt, das sie ein weitaus anhänglicheres Wesen besaß, als man meinen sollte. Zwar immer noch verdammt zickig und launisch, aber anhänglich. Erst war ich überrascht gewesen, doch dann hatte ich es darauf geschoben, das ihre Familie so kalt war. Außerdem hatte ich nichts gegen ihre Nähe, ich empfand es sogar als angenehm.

Ich fühlte wieder diese angenehme Wärme in mir aufsteigen, was irgendwie immer passierte, wenn sie zu mir rückte oder nach meinem Arm griff. Dieses merkwürdige, aber angenehme Gefühl hatte ich bei meinen anderen Freunden nicht. Ich schob es einfach darauf, das ich sie noch nicht so lange kannte und es einfach noch ungewohnt war, das wir uns nicht mehr anzickten.

Schließlich hatten wir die Bank erreicht, auf der die anderen schon saßen. Schnell sicherte ich mir den letzten Platz auf der eh schon hoffnungslos überfüllten Bank. Lily setzte sich auf die hölzerne Armlehne neben mir. Ich fühlte mich ein wenig zwischen ihr und Kaito eingequetscht, was bei diesem kühlen Winter aber alles andere als schlimm war.

Auch Miku und Luka hatten sich zu uns gesellt, fanden aber keinen Platz mehr.

„Und dann hat er sich heute morgen auf die Nase gelegt.“, erzählte Rin gerade und zeigte kichernd auf ihren Bruder. „Hey, mach dich nicht lustig über mich!“, beschwerte Len sich.

„Oh, dank Meiko hätten wir drei heute auch fast den Boden geküsst.“, streute Gakupo ein und Kaito nickte.

„Wenn ihr zwei Deppen auch vergesst zu erwähnen, das Glatteis ist!“, keifte ich sie in Grund und Boden. Die beiden Jungs waren kurzzeitig erstarrt, während alle anderen lachten.

„Ob ihr's glaubt oder nicht, ich habe es irgendwie pünktlich und unbeschadet zur Schule geschafft.“, verkündete Lily stolz.

„Meine Schuhe haben ein gutes Profil. Ich bin auch nicht ausgerutscht.“, meinte nun Gumi und streckte einen ihrer Stiefel hoch. Die Grünhaarige sah heute mal wieder ziemlich schrill aus.

„Meine Knie tun jetzt noch weh!“, jammerte Miku. Luka trat fröstelnd von einem Fuß auf den anderen.

„Hoffentlich taut es bald wieder.“, murrte Len. „Ein mal Erdkunde am frühen Morgen hat mir gereicht.“

„Dir ist kalt, oder?“ Unsere Blicke blieben allesamt an Gakupo hängen, als dieser mit diesem Kommentar einen Arm um die Rosahaarige schlang und sie zu sich auf die Bank zog.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu. Wann wollte er endlich verstehen, das er chancenlos war?

Luka blieb für eine Sekunde überrumpelt auf seinem Schoß sitzen und wollte dann etwas sagen, doch das nahm Miku ihr ab. Der Blick, der sonst immer freundlichen Türkishaarigen schien den Lilahaarigen zu erdolchen. Sie griff nach dem Arm ihrer Freundin und zog sie wieder hoch.

„Dann gehen wir jetzt lieber in die Pausenhalle. Ein freier Platz an der Heizung ist mit Sicherheit besser.“ Der drohende Unterton in ihrer Stimme war keinem entgangen.

„Wir sehen uns dann in der Sporthalle.“ Die Rosahaarige warf Lily und mir einen leicht verlegenen Blick zu und ließ sich von ihrer Freundin mitschleifen.

Kaum waren die beiden außer Hörweite, blickte ich den Lilahaarigen an und erlitt einen Lachflash.

„Du bist so ein Idiot! Sie wird in 100 Jahren noch nichts von dir wollen.“, amüsierte ich mich.

„Ich versteh das nicht. Wie kann sie nur so stur sein?“, jammerte Angesprochener frustriert.

Das Gesicht, das er dabei zog, war einfach göttlich. Auch die anderen wirkten amüsiert.

Dann schien Gakupo etwas eingefallen sein. „Hey Meiko, die grinst so komisch! Du weißt doch irgendwas!“, stellte er dann fest.

„Oh ja, damit könntest du wohl recht haben.“ Ich konnte immer noch nicht aufhören zu kichern.

„Na dann sag es mir!“

„Also eins weiß ich mit Sicherheit : du bist der blindeste Idiot den ich kenne!“ Ich wusste, das ich das ruhig sagen konnte und das er es mir nicht übel nehmen würde. Meine Freunde kannten meine Art von Humor und waren teilweise nicht anders.

Alle grinsten oder kicherten amüsiert, nur die Blondine neben mir seufzte leise.

„Also mir tut er leid. Unerwiderte Liebe kann so schmerzhaft sein.“, meinte sie dann.

Ich warf ihr einen fragenden Blick zu. Dann sprang Gumi plötzlich von ihrem Platz von der Lehne der Bank auf. „Ach was redest du da? Wir haben Mrs. Oberzicke doch alle lieb.“, rief sie mit einem Grinsen aus, lief um die Bank und jumpte sie dann grinsend an.

Ein allgemeines Kreischen ging durch die Gruppe, als Lily und Gumi quer über den anderen landeten.

„Sofort runter von mir, Blag!“, fauchte die Blonde die Grünhaarige an. „Sofort runter von mir, Tussi!“, meckerte wiederrum Rin. Die beiden Blonden stritten sich nach wie vor ab und an mal.

Kaito, Gakupo, Len und ich nahmen es mit Humor das man uns soeben planiert hatte.

„Gruppenkuscheln!“, rief ich lachend aus.

„Ne lass mal, das ist doch peinlich!“, widersprach Len entsetzt.

Kurze Zeit später hatten sich alle wieder eingekriegt und wir saßen wieder wie ganz normale Menschen auf unserer Bank. Es blieb gerade noch Zeit für ein Frühstück, dann klingelte es auch schon.
 

Die Pause endete leider viel zu schnell. Als nächstes war wie jeden Montag Sport angesagt. Da ich mich heute noch nicht wirklich hatte bewegen können, war ich ganz dankbar endlich die Sporthalle zu betreten. Aber erst einmal ging es in die Umkleide.

Da unsere Klasse wegen dem Glatteis heute nur zur Hälfte in der Schule erschienen war, war es in der Umkleidekabine angenehm leer. Insgesamt mussten wir uns den Raum nur zu siebt teilen.

So stellten wir also unsere Schultaschen auf den Bänken ab und begannen uns umzuziehen.

„Ich hab vorhin gedacht du stürzt dich jeden Moment auf ihn.“, meinte ich, als ich in Unterwäsche durch die Umkleide lief und mich zu der Türkishaarigen gesellte.

„Ach quatsch, als ob ich sowas tun würde.“, grinste diese mich mit einer Unschuldsmiene an.

Miku hatte sich auf die Bank gesetzt und war gerade dabei ihre schwarze Strumpfhose auszuziehen.

Plötzlich verzog sie merklich das Gesicht. „Au! Ich hab doch gewusst das ich mir vorhin die Knie aufgeschlagen habe!“, jammerte sie los. Ich zog eine Augenbraue hoch. Das sie das Glatteis heute morgen genauer studiert hatte, hatte sie ja schon erzählt.

„Lass mal sehen was du angestellt hast.“ Ihre rosahaarige Freundin kniete sich vor sie und zog langsam die Strumpfhose vom Knie der Jüngeren. Während Miku ihre Knie gar nicht erst genauer studieren wollte, entspannte Luka sich sichtlich und setzte ein sanftes Lächeln auf.

„Ist nur ein Kratzer an deinem rechten Knie.“, meinte sie dann.

„Schlimm genug!“, jammerte die Türkishaarige. Ich fragte mich gerade wirklich, was aus der gruseligen Person geworden war, die Gakupo in der Pause noch fast mit Blicken erdolcht hatte.

Ein Kleidungsstück traf mich am Kopf und blieb so unglücklich hängen, das meine Augen einen Moment lang verdeckt waren.

„Willst du dich nicht langsam mal weiter umziehen, Meiko?“ Lily stand mit verschränkten Armen hinter mir. Scheinbar hatte sie das Hemd nach mir geworfen.

Ich pflückte mir das Kleidungsstück vom Kopf und drehte mich zu ihr um. „Hetz mich doch nicht, Mama.“, neckte ich sie. Die Blonde verdrehte die Augen. Ich bemerkte, das sie es vermied mich direkt anzusehen. Ein leichter Rotschimmer lag auf ihren Wangen.

„Ich bin jünger als du, wenn ich dich dran erinnern darf!“, protestierte sie dann ebenfalls grinsend.

Da sie eh schon mein Sportshirt nach mir geworfen hatte, schlüpfte ich gleich hinein und kramte auch die dazu passende Hose aus der Sporttasche.

Schnell noch die Schuhe angezogen, dann war ich soweit fertig. Inzwischen hatten auch Miku und Luka sich umgezogen. Zu viert verließen wir die Umkleide und tappten in die Sporthalle. Meine anderen drei Klassenkameradinnen hatten bereits vor uns die Umkleide verlassen.

Da heute nur so wenig Leute anwesend waren, wurden die Nachbarklassen mal wieder zusammengelegt. Ich konnte einen Jubelschrei nicht unterdrücken, waren in der Nachbarklasse doch eher die sportbegabten Schüler.

Der Lehrer zählte uns durch und teilte uns in Gruppen ein. Heute war ein Volleyballturnier angesagt. Nicht gerade meine liebste Sportart, aber ich würde mir trotzdem Mühe geben.

Das erste Spiel war einfach zu gewinnen. Die gegnerische Mannschaft war einfach viel schwächer.

Nach einer kurzen Pause betrat mein Team erneut das Spielfeld.

„Mal sehen ob du besser Volleyball spielst als du schwimmst.“, grinste Lily mich von der anderen Seite des Netzes an. Sie war mit Haku und einigen Mitschülern der Nachbarklasse in einem Team gelandet. „Das garantiere ich dir.“, war die selbstsichere Antwort meinerseits.

Der Lehrer pfiff und das Spiel begann. Unsere Gruppen waren etwa gleich gut. Der Punktestand war fast gleich, was schlecht war, da der Lehrer entschieden hatte je fünf Minuten zu spielen.

Die letzte Minute brach an und alle gaben ihr bestes um noch irgendwie einen Gewinner zu ermitteln. Der Ball rauschte ziemlich schräg auf mich zu. Ich stand in der fordern Reihe und in einer denkbar ungünstigen Position um das Teil noch zu erwischen.

Dennoch machte ich einen raschen Ausfallschritt nach rechts und schlug den Ball übers Netz.

Plötzlich überschlugen sich die Ereignisse. Da ich den Ball nur noch eben so erwischt hatte und ziemlich viel Kraft in den Schlag gelegt hatte, pfeilte er nun schräg übers Netz. Leider so schnell, das die blonde Cheerleaderin dem Ball nicht mehr ausweichen konnte. Er erzielte dummerweise auch noch einen Volltreffer und sie fand sich auf dem Boden kniend wieder.

Einen Moment war ich in Schockstarre gefallen. Ich bekam nur am Rande mit, das der Lehrer das Spiel sofort unterbrach.

Haku hatte sich inzwischen neben die Blonde gekniet. „Alles in Ordnung mit dir Lily?“, wollte die Silberhaarige besorgt wissen.

Ich riss mich aus der Schockstarre und schlüpfte unter dem Volleyballnetz durch. Auch ich kniete mich neben sie auf den Boden. „Oh Gott, das war keine Absicht!“, entschuldigte ich mich sofort. Ich hatte ja selbst nicht geahnt, das der Ball so vom Kurs abkommen würde.

„Geht's dir gut?“, wollte ich dann wissen.

Mittlerweile hatte sich auch noch die Klasse um uns geschart. Die Blonde hielt sich den Kopf.

„Mir ist schwindelig.“, stellte sie dann fest. Vermutlich hatte sie auch Kopfschmerzen, doch das war so offensichtlich, das sie es nicht extra erwähnte.

Haku half der zierlichen Blonden aufzustehen, dann warf sie mir einen bösen Blick zu. „Wo rohe Kräfte sinnlos walten. Jetzt mal ehrlich, du kannst doch nicht so spielen, als befänden sich auf der anderen Spielfeldhälfte nur Jungs, Meiko!“

Ich fühlte mich mies. Natürlich war das eben nur ein dummer Unfall gewesen, das irgendwie hatte Haku auch wieder recht. Hätte ich etwas rücksichtsvoller gespielt, hätte ich Lily nicht aus den Latschen gehauen. Vor Tsuyoshi damals hatte ich sie beschützen können und jetzt war ich selbst nicht besser.

„Das war wirklich keine Absicht!“, beteuerte ich noch mal.

„Lass dich besser ins Krankenzimmer bringen.“, ordnete der Lehrer an. Angesprochene nickte nur leicht. „Kommst du mit?“, wollte Lily dann wissen und sah mich an. Fast ganz automatisch nickte ich, auch wenn ich mich wunderte, das ausgerechnet ich mitkommen sollte. Immerhin war ich schuld an der ganzen Sache.

Ich stützte sie also und gemeinsam verließen wir die Sporthalle. Mein schlechtes Gewissen nahm mit jedem Schritt zu. Hätte der Ball nicht irgend jemanden treffen können, der es besser hätte verkraften können? Aber doch nicht meine Klassenkameradin! Sie war so zierlich und hatte Zuhause schon genug Probleme.

„Geht's?“, wollte ich besorgt wissen. „Ich wollte dich wirklich nicht treffen.“, beteuerte ich erneut.

„Du hast n ziemlichen Punch drauf.“, meinte die Blonde und warf mir ein mattes Lächeln zu.

Das Krankenzimmer befand sich im Keller der Sporthalle, also noch ein ganz schöner Weg.

Kaum hatten wir die Sporthalle verlassen, da ging Lily auch schon wesentlich langsamer neben mir her. „Warte mal kurz. Mir ist total schwindelig.“, stellte sie fest.

Mein schlechtes Gewissen verstärkte sich noch mehr. Sie war die Letzte, der ich in irgend einer Art und Weise schaden wollte!

„Leg deine Arme um meinen Hals.“, ordnete ich an. Irritiert blickte die Blondine mich an, tat aber was ich sagte. Kurzerhand hob ich sie einfach hoch. So war es wesentlich sicherer.

„Hey! Was machst du?!“, protestierte sie sofort. „Ich trag dich lieber, bevor du noch umkippst.“, stellte ich fest.

„Ich hab den Ball nur gegen den Kopf bekommen. Meinen Füßen fehlt nichts!“

„Hör auf zu meckern, ich seh doch, das es dir nicht gut geht. Und das ist auch noch meine Schuld“

Lily schüttelte leicht den Kopf. „Das war ein dummer Unfall, sonst nichts.“

Mit diesen Worten lehnte sie den Kopf leicht gegen mich und hörte endlich auf zu zappeln, sodass ich sie zum Krankenzimmer tragen konnte.

Ich bemerkte das ihr Gesicht schon wieder einer überreifen Tomate glich. Merkwürdig. Wieso passierte das in letzter Zeit dauernd?

Ich fragte mich, ob ich noch eine normale Gesichtsfarbe hatte, denn ich wurde das Gefühl nicht los, das meine Wangen glühten.

Ich drückte das zierliche Mädchen etwas enger an mich, als ich durchs Treppenhaus ging. Eine Bruchlandung hinzulegen wollte ich auf jeden Fall vermeiden.

Die Blonde schwieg. Sie lehnte immer noch an mir und ließ sich zum Krankenraum tragen. Nach wie vor lag ein Rotschimmer auf ihren Wangen. Täuschte ich mich oder sah sie irgendwie zufrieden aus?

Aber das war eigentlich quatsch. Wenn man Kopfschmerzen hatte, konnte man nicht zufrieden sein.

Ich seufzte leise und stupste die Tür zum Krankenraum mit dem Fuß auf.

Mehr als eine Liege, ein Schrank, ein Telefon und ein Hocker standen hier nicht. Vorsichtig setzte ich sie auf der Liege ab. Gerade wollte ich mich auf den kleinen Hocker setzen, das spürte ich, wie sich ein Arm um meine Taille schlang und mich ebenfalls auf die Liege zog.

Wie bestellt und nicht abgeholt saßen wir nun nebeneinander. Für einen Moment herrschte unangenehmes Schweigen. Dann lehnte die Blonde sich einfach an mich. Ich blickte sie verwirrt an.

„Darf ich? Ist irgendwie bequemer so.“

Ich hatte das Gefühl, als würden meine Gefühle Ping-Pong spielen. Einerseits fühlte ich mich nicht wohl in meiner Haut, da ich mit der Situation überfordert war, andererseits fühlte sich ihre Nähe so gut an. Dann war da noch das schlechte Gewissen, das ich sie mit einem Ball fast KO geschlagen hätte, gleichzeitig hatte ich aber auch Herzrasen, weil sie so offensichtlich meine Nähe suchte. Arg! Was zum Henker war los mit mir??! Plötzlich rauschte ein einzelner Gedanke in meinen Sinn : Das war nicht normal. Meine Gefühle waren nicht normal. Falsch. Verboten!

Mein Blick wanderte in Zeitlupe rüber zu Lily, welche sich gemütlich an mich gelehnt hatte. Ich zögerte, legte dann aber einen Arm um sie. Ein einfacher Test. Ich wollte mir selbst beweisen, das ich weiße Mäuse sah. Die Blondine schien das nicht zu stören, im Gegenteil, sie rückte näher zu mir.

Ich war mit der Gesamtsitiation überfordert. Einerseits wollte ich aufspringen und fluchtartig den Raum verlassen, andererseits wollte ich bleiben. Die Stimme in meinem Kopf schrie fast schon, das das falsch war. Aber was genau konnte an einem so schönen Gefühl falsch sein? Ich kannte die Antwort. Wir waren beides Frauen.

Dann holte die Realität mich zum Glück wieder ein. Auf was für dumme Gedanken ich kam. Ich war einfach nur überbesorgt, weil ich sie eben fast KO geschlagen hätte und war froh, das sie mir nicht böse war, das war alles. Ja, diese Erklärung ergab Sinn.

Dennoch, ein merkwürdiges Gefühl blieb. Ich wusste zwar nicht genau wie ich jetzt darauf kam, aber plötzlich hatte ich das Verlangen nach der Schule noch einmal mit einer bestimmten Person zu reden.

Was ist 'normal'?

Ich hörte, wie jemand die Treppe herunterschritt. Die Schritte näherten sich dem Krankenzimmer. Einerseits war ich froh von dieser verwirrenden Situation erlöst zu werden, andererseits wäre ich gern genau so sitzen geblieben. Aber wer immer da auch auf dem Weg zu uns war, was sollte er denken, wenn er uns so sah?

Schnell war ich von der Liege aufgestanden und hatte mich auf den kleinen Hocker gesetzt.

Lily warf mir einen Blick zu, der einerseits fragend, andererseits aber auch irgendwie enttäuscht aussah. Im Gegensatz zu mir schien es sie nicht zu stören, das hier jeden Moment jemand den Raum betreten würde. Ich wusste nicht genau was plötzlich über mich kam, aber ich hatte das Gefühl mich irgendwie verteidigen zu müssen. So funkelte ich also zurück. Worte waren wohl nicht nötig.

Just in dem Moment ging die Tür auf und der Sportlehrer betrat den Raum.

„Wie fühlst du dich?“, wollte er von der zierlichen Blondine wissen. Diese zuckte nur leicht mit den Schultern. „Ich habe noch Kopfschmerzen, aber es geht wieder.“

Der Lehrer nickte. „Dann ist ja gut.“ Nun warf er mir einen Blick zu. „Ich weiß ja, dass das nur ein Versehen war, aber sei bitte in Zukunft vorsichtiger.“, mahnte er mich.

Im Hintergrund ertönte die Klingel. Die Sportstunden waren überstanden und der Rest der Klasse würde vermutlich gerade zu den Umkleiden stürmen.

„Lass uns besser auch rüber gehen, Meiko.“, meinte Lily und stand von der Liege auf. Ich warf ihr im ersten Moment einen skeptischen Blick zu, doch sie taumelte nicht mehr und somit entspannte ich mich wieder.

„Ist wohl besser.“ Und damit verließen wir den Krankenraum und gingen zur Umkleide. Ich war immer noch durcheinander, was den Vorfall eben betraf und hatte es daher ungewöhnlich eilig mich anzuziehen. Am liebsten wollte ich ganz schnell raus zu den anderen.

Ich wusste nicht woher es kam, aber plötzlich war es da – das Gefühl von Unwohlsein und Unsicherheit in der Nähe der Blondine. Sie hatte mir nichts getan oder so, doch im Unterbewusstsein war mir klar, das da etwas war, was besser nicht sein sollte. Und genau dieses Wissen, das ich zu dieser Zeit selbst noch nicht ganz in Worte fassen konnte, beunruhigte mich.

Gerade schlüpfte ich in meine Jacke, da gesellte Miku sich rüber zu Lily. „Alles in Ordnung mit dir? Das vorhin sah echt ungesund aus.“, erkundigte sie sich.

Ich nutzte den Moment um rüber zu Luka zu huschen. Sie blickte mich fragend an, sagte aber nichts. „Kann ich nach der Schule mal mit dir reden?“, wollte ich wissen. Angesprochene nickte.

„Natürlich kannst du. Worum geht’s denn?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nach der Schule, nicht hier.“

Der Blick der Rosahaarigen wurde eine Spur besorgter. „Du weißt das ich mir Sorgen um dich mache, wenn du mir nicht sagst was du hast, Meiko?“, hakte sie nach. Ich seufzte.

„Es ist ja nichts Schlimmes. Aber nicht vor allen Leuten, ja?“ Ich wurde das Gefühl nicht los, das ihre azurblauen, intelligenten Augen in mir lesen konnten, wie in einem offenen Buch.

„Dann komm nach der Schule einfach mit, ja?“, bot sie mir an. Ein Angebot, welches ich gern annahm. Zwar hätte ich genau so gut mit Miku über dieses Thema reden können, doch Luka war einfach eine Spur ruhiger als die Türkishaarige und ich kannte sie schon seit der Grundschule.
 

Pünktlich nach der letzten Stunde trafen wir uns also vor dem Schultor. Meine anderen Freunde hatte ich abgewimmelt und gesagt, das ich heute noch mit zu Luka gehen würde. Nur mit den Jungs hatte ich mich für den Abend in der Bar verabredet.

Da immer noch eine Schicht Glatteis den Boden überzog, schlichen wir den Weg entlang. Bis zur Bushaltestelle kam Miku noch mit uns mit. Dann trennten sich unsere Wege. Die Türkishaarige musste ihrer Mutter noch beim Einkaufen helfen, hatte aber versprochen spätestens Abends wieder bei ihrer Freundin zu sein.

„Wir sehen uns dann später, ja?“, verabschiedete sie sich, als der Bus die Haltestelle erreichte. „Und nicht auf dumme Gedanken kommen, ja?“ Mit einem Zwinkern stellte die Türkishaarige sich auf die Zehenspitzen und küsste ihre Freundin.

Kurzzeitig kam ich mir etwas merkwürdig vor. Zwar wusste ich, das die beiden ein Paar waren, doch sah man es auf der Straße nicht oft, das sich zwei Frauen auf diese Art küssten. Für die beiden schien das ganz normal zu sein, für andere Leute eher ein Hingucker.

Gleichzeitig erinnerte es mich irgendwie auch wieder an mein Problem, über das ich mit der Rosahaarigen reden wollte. Als der Bus schließlich losgefahren war, setzten wir unseren Weg fort.

Auf dem Weg bis zu ihrem Haus redeten wir über Gott und die Welt. Ich wäre mir auch ein wenig dumm vorgekommen, ein solches Thema auf der Straße anzuschneiden.

Als wir das Hochhaus schließlich erreicht hatten, konnten wir endlich wieder normal gehen. Wegen dem Glatteis hatten wir wesentlich länger für den Weg gebraucht als es üblich war.

Ich war ziemlich froh darüber, als wir ihre Wohnung dann endlich betreten hatten. Draußen war es saukalt, hier drinnen angenehm warm. Wir schälten uns aus unseren Stiefeln und Mänteln und begaben uns in die Küche.

Wie selbstverständlich ging Luka davon aus, das ich wohl mitessen wollte, wogegen ich absolut nichts hatte. Im Gegensatz zu mir, konnte sie nämlich ziemlich gut kochen.

„Und jetzt rück endlich raus mit der Sprache. Was bedrückt dich so Meiko?“, wollte sie dann wissen.

Ich half ihr dabei das Geschirr zum Tisch zu tragen. „Das ist jetzt vielleicht etwas schwer zu erklären.“, begann ich. „Genau genommen weiß ich nicht recht, ob ich mir etwas einbilde oder nicht.“ Sie hörte mir aufmerksam zu und zog eine Augenbraue hoch. Die ruhige Rosahaarige schwieg, was ein Zeichen für mich war einfach weiter zu erzählen.

„Das ist jetzt vielleicht eine sehr persönliche Frage, aber ich weiß nicht mit wem ich sonst darüber reden soll.“ Erneut zögerte ich. „Ich reiß dir schon nicht den Kopf ab, keine Sorge Mei-chan.“

Während unser Mittagessen auf dem Herd kochte, hatten wir uns an den Tisch gesetzt.

„Wie seid Miku und du eigentlich damals zusammengekommen? Ich meine, wie hast du gemerkt, das du dich in ein anderes Mädchen verliebt hast?“ Luka blickte mich für einen Moment irritiert an, dann legte sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen. „Ach, da drückt der Schuh.“, stellte sie dann fest. „Es ist wegen Lily, oder?“, wollte sie dann wissen. „Woher weißt du das?“, war meine irritierte Gegenfrage. Nun lachte Angesprochene leise. „Das ist ziemlich offensichtlich, weißt du. Die Kleine klebt an dir wie eine Klette.“ „Oh.“, war das einzige, was mir dazu einfiel.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich nur Freundschaft für sie empfinde.“, gab ich dann zu. „Also erzähl mir bitte, wie es damals bei euch war.“

Kurz stand Luka auf um zu verhindern das das Essen anbrannte, dann setzte sie sich wieder zu mir und begann zu erzählen.

„Kannst du dich noch an unsere Grundschulzeiten erinnern? Ich war damals noch so schüchtern und immer allein. Du warst die Einzige die überhaupt mit mir geredet hat. In der weiterführenden Schule hat sich daran anfangs nicht all zu viel geändert. Zwar war ich nicht mehr so schüchtern und ein Großteil der Jungs war hinter mir her, aber das hieß noch lange nicht, das ich Anschluss gefunden hätte. Im achten Schuljahr haben wir dann eine neue Mitschülerin bekommen, weißt du noch?“

Ich nickte. „Ja, in der achten Klasse ist Miku dann auf unsere Schule gewechselt.“

„Von da an änderte sich alles. Endlich hatte ich noch jemanden gefunden der mich mochte und akzeptierte wie ich eben bin. Bis zum Ende der Achten waren wir dann unzertrennliche Freundinnen geworden, wie du sicher noch weißt. Aber irgendetwas war anders. Unsere anderen Klassenkameradinnen interessierten sich für Jungs und hatten größtenteils auch Freunde. Ich meine, ich hätte mir jederzeit auch jemanden angeln können, aber irgendwie wollte ich das nicht.“

Ich hörte ihr aufmerksam zu. Scheinbar würde nun der für mich interessante Teil der Geschichte kommen.

„In den Sommerferien damals haben wir uns dann fast jeden Tag gesehen und etwas an unserer Freundschaft veränderte sich. Jede Berührung, ob versehentlich oder gewollt, verursachte plötzlich dieses Kribbeln in der Magengegend. Immer wenn wir uns nicht sehen konnten, waren wir mies gelaunt und telefonierten dann oftmals stundenlang.“

Erneut stand meine Klassenkameradin auf um das Essen umzurühren. Ich vermutete, das wir essen konnten, wenn sie ihre Story erzählt hatte.

„Irgendwann war mir dann klar, das ich Miku gegenüber mehr als nur Freundschaft empfand, aber du kennst mich. In manchen Situationen bin ich noch genau so schüchtern wie früher. Ich habe mich nie getraut es ihr zu sagen, da ich Angst vor ihrer Antwort hatte. Aber das war eigentlich ziemlich dämlich. Kurz bevor die Schule dann wieder los ging, hat Miku sich dann ein Herz gefasst und die Dinge in die Hand genommen.“

Ich staunte. „Das heißt ihr seit jetzt schon seit dem neunten Schuljahr zusammen?“ Sie nickte.

„Ist ne lange Zeit, ich weiß.“

Dann wechselte ihr Blick von verträumt zu ernst. „So, jetzt wo du meine Story kennst, bin ich aber dran mit Fragen stellen.“ Ich wusste, das ich ihr jetzt wohl Antworten schuldig war, hatte sie mir eben auch freiwillig die ganze Story erzählt. Außerdem sprach absolut nichts dagegen Luka gegenüber mit offenen Karten zu spielen. Manchmal hatte ich das Gefühl, das die vernünftige Rosahaarige im Geiste schon wesentlich älter war als ich selbst. Immer wenn ich einen guten Rat brauchte, konnte sie mir meist weiterhelfen.

„Wie kommst du plötzlich auf die Idee, das du in Lily verliebt sein könntest, Mei-chan?“, wollte sie dann wissen.

Ich seufzte und überlegte, wie ich das jetzt am besten erklären sollte. „Ich weiß, anfangs haben wir uns ja gehasst.“, begann ich. Luka konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken. „Das ist wohl keinem entgangen.“, antwortete sie.

„Aber seit dem Projekt hat sich einiges geändert. Seit dem unschönen Vorfall mit ihrem Ex damals,versuche ich auf Teufel komm raus zu verhindern das ihr noch jemand weh tun könnte. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe, bin aber gleichzeitig auch genau darüber verunsichert. Selbst wenn sie sich nur bei mir einharkt ist das etwas ganz anderes, als bei meinen anderen Freunden.“

„Oh Liebes, da hat es dich ja ganz schön erwischt.“, stellte meine Gesprächspartnerin fest.

Inzwischen war unser Mittagessen fertig und wir begannen damit zu essen.

„Meinst du? Ich meine, was macht dich da so sicher?“, wollte ich wissen. „Ach, was du mir da beschreibst kommt mir irgendwie bekannt vor. Außerdem sieht man es dir an, wenn du in ihrer Nähe bist.“

Die Bestätigung meines Verdachts traf mich wie ein Schlag. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich davon zu halten hatte. Ich, verliebt in ein anderes Mädchen. War das jetzt gut oder schlecht?

„Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun?“, wollte ich dann vorsichtig wissen. „Komm erstmal wieder zur Ruhe.“, lächelte Luka mich an. Scheinbar war es unübersehbar wie verwirrt ich derzeit war. „Aber du solltest es ihr sagen. Ich denke sie wartet drauf.“

„Gott, ich denke das muss ich jetzt selbst erstmal verkraften.“

Nach dem Essen half ich ihr noch beim Abwaschen und nutzte die Zeit um sie, nach anfänglichem Zögern, noch einiges mehr zu fragen. Schließlich wollte ich mich nicht bis auf die Knochen blamieren. Teilweise brachte ich die Rosahaarige ganz schön in Verlegenheit, doch sie gab sich Mühe mir Rede und Antwort zu stehen. Vielleicht hätte ich über einige Dinge lieber mit Miku reden sollen, die eindeutig die Impulsivere der beiden war.

Gegen 17 Uhr beschloss ich dann langsam mal wieder zu gehen. Immerhin war ich gleich noch mit Kaito und Gakupo in der Bar verabredet. Das Gespräch mit Luka hatte mir zwar gut getan und mir auch wesentlich weitergeholfen, doch jetzt war ich ganz froh den Weg bis zur Bar allein zu sein, da ich in Ruhe über alles nachdenken wollte.

Draußen war nach wie vor Glatteis, was mich schon wieder zum Schleichen verdonnerte.

Ich seufzte leise. Oh man! So einfach und normal wie die Rosahaarige tat, war die ganze Sache in meinen Augen nicht. Ich hatte mich doch tatsächlich in eine andere Frau verliebt! Diese Erkenntnis brachte mein ganzes Weltbild durcheinander, war ich doch bis heute morgen noch davon ausgegangen, das ich hetero war.

Ich dachte über die vergangenen Tage und Wochen nach. Jetzt, wo ich mich an die vergangene Zeit erinnerte, fiel mir in der Tat auf, wie sehr Lily sich mir gegenüber verändert hatte. Ich hatte anfangs nicht weiter darüber nachgedacht, das sie plötzlich so ein anhängliches Verhalten an den Tag legte, hatte ich es doch auf ihr eisiges Elternhaus geschoben. Auch hatte ich mir über ihre ständig wechselnde Gesichtsfarbe nie den Kopf zerbrochen, was merkwürdigerweise nur passierte, wenn sie in meiner Nähe war.

Und ich selbst war nicht besser. Auch ich hatte unbewusst die Nähe der kleineren Blonden gesucht.

Arg! Was sollte ich nur tun? Bis heute morgen war ich wirklich noch davon ausgegangen ganz normal zu sein! Aber was war normal? Wie genau definierte man diesen Begriff? Ich war mir nicht sicher. Vom Geisteszustand her war ich normal, das glaubte ich beurteilen zu können. Zwar legte ich ein recht jungenhaftes Verhalten an den Tag, doch im großen und ganzen benahm ich mich ganz normal. Geisteszustand normal, check. Vom Aussehen her, unterschied ich mich wohl auch nicht von der Menge. Ich war nicht die einzige Frau mit relativ kurzen Haaren, war vom Körper her sehr weiblich gebaut und hatte genau so zwei Augen und an jeder Hand fünf Finger wie jeder andere Mensch auch. Aussehen also auch ganz normal, check.

Dennoch kam ich mir unnormal vor. Dieses Gefühl war ganz plötzlich aufgekommen.

Ein Großteil der Öffentlichkeit würde auf mich herabsehen, speziell die ältere Generation. Rein biologisch war es ganz normal irgendwann einen Partner zu finden und eine Familie zu gründen.

Aber ich war verdammt noch mal kein exaktes Beispiel der Gattung Mensch, wie es im Biobuch stand!

Wenn ich nun an mein näheres Umfeld dachte, graute es mir erneut. Wie sollte ich die Sache meiner Mutter beibringen? Was würden meine Freunde von mir denken? Was würde Lily erst dazu sagen? Nur in einem Punkt war ich mir jetzt schon absolut sicher : die Eltern der schönen Blondine würden erst mich, dann ihre eigene Tochter auf grauenvolle Art und Weise in der Luft zerreißen.

Ich schluckte, weil meine Phantasie mir diese Szene gerade bildlich präsentierte.

Und auch wenn meine Mutter, Freunde und alle anderen es gelassen nehmen würden, irgendetwas in mir schrie nach wie vor, das meine Liebe widernatürlich und falsch war. Etwas, was ich besser nicht zulassen sollte. Etwas, was ich unter den Teppich kehren und abbrechen sollte, solange es noch nicht mal wirklich begonnen hatte.

Einerseits erschienen mir diese Gedanken wie ein Rettungsanker, an den ich mich am liebsten klammern wollte, ein Anker der mir ein Stück Normalität wieder gab. Andererseits war allein der Gedanke daran meine Gefühle nicht zuzulassen unerträglich für mich.

Am liebsten hätte ich laut geschrieen. ...Aber dann hätten die anderen Passanten mich wohl für verrückt erklärt. Also ließ ich die Sache mit dem Schreien besser.
 

Als ich die Bar schließlich erreichte, war ich halb erfroren und meine Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht. Ich war unentschlossen, verwirrt und verzweifelt. Keine gute Mischung.

Vor den Jungs versuchte ich mir meine Gefühle allerdings nicht anmerken zu lassen. Ich setzte mich zu ihnen an die Bar, begrüßte sie und verkündete, das wir heute wieder ein Wetttrinken machen würden. Kaito und Gakupo blickten mich zwar etwas verwirrt an, weil ich mitten in der Woche ein Wetttrinken veranstalten wollte, hatten aber nichts dagegen.

Der Barkeeper hatte noch nie wirklich nachgefragt wie alt ich eigentlich war, wusste er doch, das die anderen beiden 18 waren. Zumindest amüsierten ihn unsere Besuche immer und er schenkte uns gerne und viel ein. Manche Runden gingen sogar aufs Haus.

Diesen Abend war alles allerdings ein bisschen anders. Ich trank nicht aus Spaß, sondern weil ich abschalten wollte. Ich wollte meine Probleme für einen Moment einfach vergessen können, doch Sorgen erwiesen sich als echt gute Schwimmer.

Es dauerte lange, bis ich den erlösenden Effekt des Alkohols endlich spürte, doch es reichte noch nicht. Nach wie vor kreisten meine Gedanken um ein Thema, welches ich doch eigentlich vergessen wollte.

„Also für mich ist Schluss für heute.“, stellte Kaito irgendwann fest und schob das Glas von sich weg. „Aber du gibsch no nisch auf, oder?“, lallte ich mehr als das ich deutlich sprach.

„Warts ab, heute gewinn isch~“, nahm der Lilahaarige meine Herausforderung an. Sofort bestellten wir die nächsten Getränke. Das ging noch eine ganze Weile so weiter.

Ich kippte den Sake einfach runter, machte mir keine Gedanken über mögliche Folgen.

Nach einer ganzen Weile schob auch Gakupo sein Glas von sich. „Mir reicht's glaub ich.“, meinte er dann.

„Das nächste bitte!“, wies ich den Barkeeper an und hielt ihm mein Glas entgegen. Dieser schenkte mir zögernd neu ein. Das ging noch eine ganze Weile so.

„Lass es langsam mal gut sein, Meiko. Du hast gewonnen.“, stellte der Lilahaarige fest.

„Was ist eigentlich los mit dir? Du trinkst als wärst du vom Teufel besessen.“, wollte Kaito wissen.

„Ach, lasst mich doch!“, murrte ich und kippte das nächste Glas hinunter. Das Brennen des Alkohols in meiner Kehle spürte ich schon gar nicht mehr. Langsam aber sicher entfaltete der Sake die Wirkung, auf die ich gehofft hatte. Es wurde zunehmend schwerer mich verständlich auszudrücken und die Jungs schimpften irgendetwas, dessen Sinn mir nicht mehr in den Kopf wollte, doch den Grund meiner schlechten Laune hatte ich vergessen.

„Das reicht jetzt wirklich Meiko!“, hörte ich Kaito schimpfen. Eh? Über was regte der sich auf? Und mit wem genau redete er da? Es war mir egal. Genau genommen war ich viel zu müde als noch über solche Fragen zu grübeln. Irgendwie war mir schwindelig, die Bar sah so verschwommen aus, genau so wie die anderen Personen.

Müde ließ ich den Kopf auf die Tischplatte sinken. „Ach, lasst mich doch einfach in Ruhe.“, nuschelte ich unverständlich, auch wenn ich keine Idee hatte, zu wem ich das eben eigentlich gesagt hatte. Kaum hatte mein Kopf die Tischplatte berührt, da verstärkte die Müdigkeit sich noch um ein Vielfaches.

„Verdammt, die ist weg.“, hörte ich die Stimme von eben sagen.

„Sollen wir den Krankenwagen rufen?“, wollte eine andere, nicht so bekannte Stimme wissen.

„Ach quatsch, die schläft nur.“, mischte Gakupo sich ein.

„Und was machen wir jetzt? Ihre Mutter bringt sie um.“ Das war Kaito.

„Mein Vater ist wieder mit dem Truck unterwegs. Meinetwegen kann sie bei mir schlafen.“

Das Gespräch entfernte sich scheinbar immer weiter. Das Letzte, was ich spürte war, das mich jemand hochhob.

„Ach Mei-chan, was machst du bloß?“,hörte ich Kaito von ganz weit weg sagen.

„Hoffentlich wird dir heute Nacht nicht plötzlich schlecht. Ich will das nicht aufwischen müssen.“, meinte die zweite Stimme. Was die beiden dann noch sagten konnte ich nicht mehr mit Sicherheit sagen, denn ich hatte es geschafft wirklich einzuschlafen.

Zweifel

Am nächsten Morgen erwachte ich, da ein Handy in ohrenbetäubender Lautstärker losschellte. Ich hatte das Gefühl in meinem Kopf explodierte eine Bombe. Mit einem leisen Murren zog ich die Bettdecke über meinen Kopf und blieb liegen wo ich war. Verdammt hatte ich einen Schädel! Die leisesten Geräusche waren für mich schon unerträglich. Da das Handy wieder verstummte, wollte ich weiterschlafen. Aber Moment, hier im Raum bewegte sich jemand. Ich hörte wie jemand gähnte und dann über den Teppich genau auf meinen Schlafplatz zusteuerte.

Jetzt erst begann ich zu überlegen wo genau ich eigentlich war. Wieso ging hier jemand durch mein Zimmer? Befand ich mich überhaupt in meinem Zimmer? Wie spät war es? Und wo war ich gestern Abend gewesen? Um ehrlich zu sein wusste ich es nicht. Da wo eigentlich meine Erinnerung hätte sein sollen, befand sich nur gähnende Leere. Und Kopfschmerzen natürlich.

Mir ging es so schlecht, das ich mir nicht mal die Mühe machte zu prüfen wer da durch den Raum lief. Da mein Schädel sich anfühlte, als wolle er jeden Moment explodieren, hielt ich die Augen geschlossen und blieb bewegungslos unter der Bettdecke liegen.

Vor meinem Bett stoppten die Schritte. Jemand rüttelte leicht an meiner Schulter. „Hey, aufwachen Meiko. Wir müssen zur Schule.“ Das war Gakupos Stimme. Ich war verwirrt. Was machte mein Kumpel so früh morgens in meinem Zimmer? Langsam war ich mir nicht mehr sicher, ob ich mich überhaupt bei mir Zuhause befand.

Ich öffnete die Augen einen Spalt weit, was mein Schädel direkt mit schlimmeren Kopfschmerzen quittierte. Und nein, das war nicht mein Zimmer, sondern das des Lilahaarigen. Um genau zu sein lag ich auf seinem Sofa. Nun stand mein Kumpel zumindest im Schlafanzug vor mir und versuchte mich zu wecken.

„Arg, ich geh nirgendwo hin. Ich hab solche Kopfschmerzen.“ Selbst der Klang meiner eigenen Stimme, welche irgendwie rau und fremd klang, tat weh. Der Lilahaarige seufzte als wenn er mit so einer Antwort schon gerechnet hätte. „Du hast gestern einfach viel zu viel getrunken.“, meinte er dann. „Hab ich das? Ich kann mich an nichts mehr erinnern.“ Ich sprach leise, da mein Kopf dies irgendwie besser vertrug. „Ja, hast du. Und dann bist du in der Bar eingeschlafen und wir haben dich hier her getragen, weil ich sturmfrei habe und dir das einigen Ärger erspart.“

Kurzzeitig musste ich an meine Mutter denken. Die Gute hätte mir in der Tat den Kopf abgerissen, hätte man mich stockbesoffen nachhause gebracht. „Hast du meiner Mutter denn wenigstens bescheid gesagt, das ich hier bin?“ Auch konnte ich mir lebhaft vorstellen wie sie vor Sorge fast an die Decke ging, wenn ich nachts nicht nachhause kam.

„Ich hab sie gestern noch angerufen und ihr erzählt du hättest spontan entschieden hier zu übernachten.“ Ich warf ihm ein dankbares Lächeln zu. Ja, das hatte mir wirklich einiges an Ärger erspart.

Doch trotz allem war ich heute nicht in der Lage zur Schule zu gehen. Da Gakupo eh sturmfrei hatte, würde es niemand merken, wenn ich den Tag über einfach auf dem Sofa liegen blieb und meinen Kater auskurierte. Und genau das tat ich auch. Kaum hatte der Lilahaarige das Haus verlassen, war ich auch schon wieder eingeschlafen.

Erst am frühen Nachmittag wachte ich wieder auf und fühlte mich schon deutlich besser. Ich warf einen Blick zur Uhr und beschloss langsam mal aufzustehen. Peinlich genug, das ich den Tag schlafend in einer fremden Wohnung verbracht hatte, doch ich wollte wenigstens aufgestanden sein, wenn der Wohnungsbesitzer nachher nachhause kam.

Ich tappte ins Badezimmer und riskierte einen Blick in den Spiegel. Oh Gott, ich sah ja schrecklich aus! Meine Haare standen in alle Richtungen ab, mein Gesicht sah genau so fertig aus wie ich mich fühlte und leichte Kopfschmerzen hatte ich nach wie vor.

Gern hätte ich mich umgezogen, aber ich konnte schlecht den Kleiderschrank des Lilahaarigen plündern. Genau so wie ich unmöglich seinen Kühlschrank durchwühlen konnte.

Grummelnd wusch ich mich wenigstens und brachte meine Haare in Ordnung. Dann kramte ich ein Glas aus dem Schrank um etwas Wasser zu trinken.

Mit dem Glas in der Hand setzte ich mich auf die Wohnzimmercouch. Irgendwie kam ich mir blöd vor. Ich saß doch tatsächlich in der Wohnung eines Kumpels, der nicht Zuhause war. Das ich gestern so viel getrunken hatte, hatte ich gar nicht wirklich mitbekommen. Oder aber ich konnte mich einfach nicht mehr daran erinnern.

Ein Glück das Kaito und Gakupo mich gestern Abend hier her geschleppt hatten. Bei den beiden wusste ich wenigstens, das sie mir nie etwas tun würden.

Gegen 14 Uhr ging die Wohnungstür auf und der Lilahaarige betrat den Raum. Ich begrüßte ihn und erkundigte mich auch gleich, was heute in der Schule so alles passiert war. Dabei war klar das ich nicht den Unterrichtsstoff meinte, sondern eher ob es Neuigkeiten im Freundeskreis gab.

Außerdem ließ ich mir nun haarfein erzählen was genau gestern Abend in der Bar eigentlich losgewesen war. Doch als ich an den vergangenen Tag dachte und seinen Erzählungen lauschte, da musste ich heute zum ersten Mal auch wieder an mein Problem denken : Lily.

Ich seufzte hörbar. Der Lilahaarige blickte mich nicht einmal verwundert an, dachte er doch der Seufzer seie darauf bezogen gewesen, das ich mich unter den Tisch gesoffen hatte.

Damit meine Mutter nicht merkte, das ich diesen Tag nicht in der Schule gewesen war, verabschiedete ich mich dann lieber und eilte nachhause. Wenn ich erzählte, das ich auf dem Schulweg etwas getrödelt hatte, dann würde die ganze Geschichte zeitlich passen.
 

Auch am nächsten Tag hatte mich noch kein Geistesblitz ereilt. Ich wusste nach wie vor nicht, wie ich mich bezüglich der Blondine verhalten sollte. Luka hatte mir vorgestern zwar die Augen öffnen können, doch ich zerbrach mir dennoch den Kopf darüber.

Noch immer verwirrte es mich, das die blonde Cheerleaderin mir so den Kopf verdreht hatte. Wenn ich so darüber nachdachte, dann war mir irgendwie klar, das es sich andersrum vermutlich ganz genau so verhielt, dennoch hielt mich etwas davon ab Klartext mit Lily zu sprechen.

Einige Wenige würden uns wohl akzeptieren, doch im Großen und Ganzen gäbe es nur Probleme mit so einer Beziehung. Außerdem..Beziehung, war ich überhaupt bereit für sowas? Ich liebte meine Freiheit und Unabhängigkeit und verbrachte meine Freizeit am liebsten in Bars oder bei meinen Freunden. Würde es mich da nicht ziemlich einschränken plötzlich in einer Beziehung zu stecken?

Und wer sagte mir überhaupt, das ich mich am Ende nicht doch täuschte und sie nur Freundschaft für mich empfand? Ich wusste, wie verletzend solche spontanen Geständnisse sein konnten. Ich hatte Angst Lily als gute Freundin zu verlieren. Und wer garantierte mir, das dieses Gefühl nicht genau so schnell wieder verschwand wie es gekommen war? Arg! Wieso musste das alles nur so furchtbar kompliziert sein?!

Das wohl größte Problem war allerdings, das ich anderen gegenüber zwar tolerant war, mir selbst aber noch lange nicht eingestehen wollte, das ich lesbisch war. Irgendetwas in mir weigerte sich einfach standhaft diese Tatsache zu akzeptieren und schrie mich an, ich solle verdammt noch mal keine Dummheiten begehen.

Genau so unentschlossen und verwirrt wie die letzten beiden Tage schon, erreichte ich schließlich die Schule. Es kam nur selten vor, das ich den Schulweg allein zurücklegte, doch heute hatte ich einfach in ruhe nachdenken wollen. Bis zum Klingeln waren es noch knapp fünf Minuten. Ich lag also noch gut in der Zeit.

Auf dem Schulhof fand ich auf Anhieb den Rest der Gruppe. Ich lief zu ihnen rüber und begrüßte sie erstmal. „Na, wieder unter den Lebenden?“, begrüßte Gumi mich mit einem Grinsen.

„Sieht wohl so aus, was?“ „Ich hab echt nicht gedacht das Alkohol dir irgendwann mal was anhaben könnte.“, neckte Len mich. Ich verdrehte die Augen. „Hey, ich bin auch nur ein Mensch!“

So standen wir da und unterhielten uns. Ich war froh meine Freunde wiedersehen zu können und schaffte es für einen Moment erfolgreich mein Umfeld auszublenden. Und so sah ich SIE auch nicht kommen. „Morgen Meiko!“, begrüßte Lily mich. „Na, hast du dich wieder erholt?“

Und noch bevor ich etwas antworten konnte, hatte die Blondine mich in eine Umarmung gezogen. Im Prinzip war das in den letzten zwei Monaten ganz normal geworden, doch just in dem Moment musste ich wieder an das Gespräch mit Luka denken. Schneller als ich wusste was eigentlich los war, stiegen diese Zweifel wieder in mir auf. Zwar umarmte ich die blonde Cheerleaderin ebenfalls, doch nur sehr zaghaft und ging schnell wieder auf Abstand.

„Ja, mir geht’s wieder ganz gut.“ Ich warf ihr ein Lächeln zu. Tausend Gedanken spukten auf einmal wieder gleichzeitig in meinem Kopf herum. Von jetzt auf gleich fühlte ich mich unwohl in meiner Haut, hätte am liebsten mit jemandem den Platz getauscht.

Die Klingel erlöste mich und wir begaben uns zu unseren Klassen. „Ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht.“, stellte die Blonde auf dem Weg zur Klasse fest. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ach, was Alkohol angeht bin ich unkaputtbar. Vielleicht war ich den Abend weg, aber es war nichts schlimmes.“ Sie schüttelte den Kopf. „Was redest du da? Wenn man Kaitos Erzählungen Glauben schenkt, dann kannst du froh sein keine Alkoholvergiftung bekommen zu haben!“

„Und wenn ich es dir doch sage, so schnell passiert mir nichts.“

Trotzdem ließ Lily es sich nicht nehmen mir erstmal eine Standpauke zu halten, was Alkoholkonsum betraf. Während sie also meckerte, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen.

Einerseits freute es mich ja das sie sich um mich sorgte, andererseits zerbrach ich mir schon wieder den Kopf darüber, wie und ob ich ihr sagen sollte, was ich für sie empfand. Ich konnte mich beim besten Willen noch nicht dazu durchringen. Zu groß waren meine Zweifel an der ganzen Sache.

Wir hatten den Klassenraum erreicht und setzten uns auf unsere Plätze.

In den beiden Englischstunden konnte ich mich nicht konzentrieren. Dauernd drifteten meine Gedanken ab. Als Frau Tachikawa mir sagte, ich solle Seite 177 im Buch vorlesen, blinzelte ich sie einen Moment lang verstört an, bis meine Sitznachbarin mit dem Finger auf den richtigen Absatz deutete.

Als es erneut klingelte, wusste ich nicht ob ich froh darüber sein sollte oder nicht. In der Pause würde ich ihr näher sein als im Unterricht, was wiederrum bedeutete, das die Lage nur noch verzwickter wurde.

Vor meinem Klassenraum warteten schon Rin, Len und Gumi auf mich. Die beiden älteren Jungs schrieben derzeit eine Matheklausur und würden die Pause über durcharbeiten.

„Wieder zu unserer Bank?“ Das war mehr eine Feststellung Lens als eine Frage. Irgendwie gingen wir jede Pause ganz automatisch zu unserem Stammplatz.

„Diese gestörte Alte! Nur weil ich im Unterricht SMS geschrieben habe, darf ich jetzt nachsitzen!“, regte Rin sich auf. Ich zuckte nur leicht mit dem Schultern. „Tja, wenn man erwischt wird hat man eben Pech.“ Es war ja nicht so, als seie mir das noch nie passiert.

„Bedeutet Schwesternfreie Zone heute Nachmittag.“, grinste ihr Bruder sie an und kassierte zur Strafe eine Kopfnuss. Während Len sich noch seinen Hinterkopf rieb, sah Gumi plötzlich fasziniert zum Himmel. „Leute, ich glaube es schneit.“, stellte sie nicht sehr geistreich fest.

Automatisch streckte ich eine Hand aus und fing eine der Schneeflocken auf. „Hey, das erste mal Schnee dieses Jahr!“, rief ich gut gelaunt aus und wusste selbst nicht so genau, warum ich mich eigentlich darüber freute.

„Ich hätte nen Schirm mitnehmen sollen.“, murrte Lily neben mir. Ihr war deutlich anzusehen, das sie sich Sorgen um ihre Frisur machte.

Während wir uns nun über das geistreiche Thema 'Schnee' unterhielten, blendeten wir unsere Umgebung komplett aus. Irgendwie war der erste Schnee im Jahr immer etwas ganz besonderes.

Ich spürte, wie sich eine Hand auf meinen Oberarm legte. Augenblicklich war es wieder da, dieses Kribbeln in der Magengegend. Ihre Berührung fühlte sich wieder mal so gut an, doch dieses Gefühl wurde sogleich von der Schattenseite, meinen Zweifeln, getrübt. Mein Lächeln schwand. Am liebsten wollte ich einen Arm um sie legen, doch mindestens genau so gern wollte ich die Flucht ergreifen.

„Lust heute Nachmittag shoppen zu gehen?“, erkundigte die Blonde sich und lächelte mich gut gelaunt an. Meine Gedanken rasten. Obwohl ich shoppen nicht sonderlich mochte, würde ich nichts lieber tun als den Nachmittag mit ihr zu verbringen.

„Sorry, geht nicht. Ich bin heute schon mit Gumi verabredet.“, hörte ich meine eigene Stimme sagen. Für einen Moment war ich selbst irritiert darüber, was ich da ganz spontan gesagt hatte.

Die Grünhaarige, welche ja neben uns stand, war einen Moment irritiert, sagte allerdings nichts sondern nickte nur leicht. Vermutlich würde ich ihr nachher eine gute Erklärung liefern müssen. Arg! Wieso mussten manche Dinge nur so kompliziert sein? Was stellte ich mich eigentlich so an?

„Oh, ach so.“ Die Cheerleaderin sah etwas enttäuscht aus. Allein dafür hätte ich mich gerade am liebsten selbst geohrfeigt. Ich verstand ja selbst nicht, warum ich plötzlich so auf der Flucht vor ihr war.
 

Die nächsten Tage machten es auch nicht besser. Immer wieder erfand ich spontan neue Ausreden, was ich Nachmittags nicht alles vor hätte. Mittlerweile wurde ich aus mir selbst nicht mehr schlau.

Wieso flüchtete ich vor der Person, die ich liebte? Wieso erfand ich dauernd neue Ausreden? Das war doch nicht mehr ich! Eigentlich sagte ich immer direkt geradeaus, was ich gerade dachte oder wenn mir etwas nicht passte. Wieso also gerade jetzt nicht?

Ich wusste nicht wann oder wie es passiert war, aber ich war mir selbst schon fast fremd. Meine Freunde merkten das etwas nicht stimmte, doch ich brachte kein Wort über die Lippen.

Mit jeder Ausrede, die ich von Tag zu Tag ganz automatisch erfand, fühlte ich mich mieser. Und nicht nur ich fühlte mich mies. Seit zwei Tagen hatte die Blonde aufgehört mich zu fragen, ob ich Nachmittags schon etwas vor hätte.

Es war kaum zu übersehen das sie unter der Situation litt. Lily war meist gut gelaunt, doch jetzt wirkte sie einfach nur noch niedergeschlagen und war teilweise sogar im Unterricht unkonzentriert und abwesend.

Aber wieso log ich dann? Ich meine, ich wollte eigentlich das es ihr gut ging. Mit meinem Verhalten bewirkte ich jedoch das genaue Gegenteil.

Die Wahrheit war, das selbst eine nach außen hin so taffe Person wie ich Angst hatte. Ich hatte Angst verletzt zu werden, sie zu verletzen oder mit einem Geständnis unsere Freundschaft zu ruinieren. Das Dumme war nur, auf diesem Weg bewirkte ich genau das Gleiche.

Um ehrlich zu sein hoffte ich, das meine Gefühle einfach wieder verschwinden würden, wenn ich nur genug Abstand zu ihr hielt. Doch so einfach wie ich mir das vorgestellt hatte, war es nicht. Im Gegenteil : es zeriss mich fast, mich so von der schönen Blondine fern zu halten und sie so niedergeschlagen zu sehen. Ich hasste mich selbst dafür.

Arg! Ich war so ein Feigling! Es wäre so einfach Klartext zu reden, aber ich traute mich einfach nicht.

Es klingelte zur Pause und ich schlüpfte in meine Jacke. In den letzten Tagen hatte es immer wieder geschneit und nun lag eine dicke Schneeschicht auf dem Schulhof. Meine Klassenkameraden hatten es eilig den Raum zu verlassen. Ich eigentlich auch, doch ich konnte meine Lunchbox nicht finden.

Erst nachdem ich meine Tasche zwei Mal akribischst durchwühlt hatte, hielt ich mein Frühstück endlich in den Händen.

Ich blickte mich in der Klasse um und stellte fest, das ich die Letzte war, die den Raum verließ. Mit einem leisen Seufzen zog ich die Tür hinter mir zu und lief in Richtung Treppenflur. Sicherlich waren die anderen schon wieder draußen.

Fast hatte ich den Flur passiert, da überschlugen sich plötzlich die Ereignisse. Ich hatte nicht gesehen, das die letzte Tür auf dem Flur einen Spalt weit offen gestanden hatte. Ein fester Griff schloss sich um meinen Oberarm und jemand zog mich in den Klassenraum, der hinter der Tür lag. Ich war so überrumpelt, das ich einfach hinterher stolperte.

Die Person ließ meinen Arm wieder los und schloss stattdessen die Tür. Ich hatte mich über diese plötzliche Aktion fast zu Tode erschrocken, wirbelte herum und starrte die Person an, die mich in den Klassenraum gerissen hatte. Meine Mimik wechselte von Erschrocken zu Irritiert.

„Haku?“ Fragend blickte ich meine silberhaarige Klassenkameradin an. Sie hatte sich vor die Tür gestellt, die Arme verschränkt und funkelte mich böse an. Was für eine Laus war der denn über die Leber gelaufen? Ich konnte mich nicht erinnern irgendwas angestellt zu haben.

„Sag mal was erlaubst du dir eigentlich Meiko?!“, fuhr sie mich an. Ich blinzelte verstört. Dann begann Ärger in mir aufzusteigen. Was erlaubte SIE sich eigentlich, mich grundlos so anzufahren.

„Wovon redest du bitte?!“, schnappte ich zurück.

„Macht es dir Spaß so mit den Gefühlen anderer Leute zu spielen? Hast du nicht gemerkt, was du Lily mit deinem komischen Verhalten antust?“

Jetzt begann ich erstmal zu verstehen, was genau Haku meinte. Mein Ärger war wie weggeblasen.

„Ich denke nicht, das du das verstehst.“ Nach wie vor klang meine Stimme jedoch nicht besonderes freundlich, wollte ich mir doch nicht anmerken lassen, das sie einen wunden Punkt getroffen hatte.

„Doch, das tue ich.“ Die Silberhaarige klang nun schon wieder deutlich ruhiger. So kannte ich sie eigentlich auch.

„Und wie kommst du auf diese Idee?“ Woher wollte meine Klassenkameradin wissen was in mir vorging? Wie sollte sie ahnen, warum ich die Nähe der Blonden mied?

„Du vergisst das ich mit ihr befreundet bin.“, erinnerte sie mich. „Und das schon deutlich länger als du. Weißt du wie mies es ihr wegen dir geht? Sie hat es mir gestern erzählt.“

Ich hatte mich auf einen der Tische gesetzt und blickte meine Gesprächspartnerin gebannt an.

„Was hat sie dir erzählt?“, hakte ich nach.

Auf Hakus Lippen hatte sich ein ironisches Lächeln gelegt. „Das wüsstest du wohl gern, was?“

Die Silberhaarige wandte sich zum Gehen. Sofort war ich wieder auf den Beinen und hielt diesmal sie am Arm fest. „Raus mit der Sprache!“, forderte ich.

Haku drehte sich noch einmal zu mir um. Sie war kaum kleiner als ich. „Gut, ich werde es dir erzählen. Aber nicht heute sondern Samstag.“ Mein Blick wurde eine Spur verwirrter.

„Samstag?“, wiederholte ich irritiert. „Samstag steigt bei mir eine Karaoke-Party. Schau vorbei, wenn du wissen willst was los ist.“

„Ich glaube ich versteh nicht ganz.“, streute ich ein.

Der Blick der Silberhaarigen gefiel mir ganz und gar nicht. Ihre Mimik war irgendwie gruselig. Sie beugte sich rüber zu meinem Ohr, was mich sehr irritierte, und flüsterte dann ein leises :“Du tust besser daran zu erscheinen.“

So schnell wie sie sich zu mir gebeugt hatte, wandte sie sich nun auch wieder ab und verließ die Klasse. Einen Moment lang blieb ich stehen wo ich war. Dann kam wieder Leben in meinen Körper und ich lief zur Tür des Klassenraums.

„HAKU!“, rief ich ihr nach, doch meine Klassenkameradin war schon im Treppenflur verschwunden.

Erneut blieb ich stehen. Oh man, das war gruselig. Was für Drogen hatte die denn genommen?

War es wirklich eine gute Idee bei dieser Karaoke-Party vorbei zu schauen? Doch ich kannte die Antwort darauf schon. Ich wollte wissen, was genau Lily ihr gesagt hatte. Ich würde Samstag zu dieser Party gehen.

Karaoke

Ich blickte rüber zu meinem Wecker, welcher auf dem Schreibtisch stand. Es war 17 Uhr. Inzwischen war es Samstag und somit an der Zeit sich langsam mal für die Karaoke-Party umzuziehen. Nicht so, das ich mich besonders schick zurecht machen wollte, doch ich wollte auch nicht aussehen wie der letzte Penner, wenn ich das Haus meiner Klassenkameradin erreichte.

Die ganze restliche Woche über hatte ich versucht noch irgendwelche Informationen von ihr zu bekommen, doch Haku hatte sich ganz einfach stur gestellt. Ich würde aus dem Mädchen wohl nie schlau werden.

Während ich mich umzog, grübelte ich weiterhin darüber, was genau sie mir gleich wohl sagen würde. Und wieso rückte sie vor dieser Party nicht mit der Sprache raus? Ich verstand die Silberhaarige nicht. In meinen Augen war diese Aktion einfach nur sinnlos. Doch sie wusste etwas, was ich nicht wusste, was allerdings wichtig für mich war.

Als ich gerade abreisebreit war, klingelte es an der Tür. Vor meiner Haustür stand Gumi, welche versprochen hatte mich abzuholen. Auch sie war zu dem Karaoke-Abend eingeladen worden. Genau so wie die halbe Klasse, viele Leute der Nachbarklasse und einige aus der Unterstufe.

Ich hatte die Silberhaarige noch nie besucht, doch bei der Menge an Gästen, musste sie ein ziemlich großes Haus haben.

„Hey, du bist ja mal pünktlich.“, begrüßte ich die Grünhaarige. Sie verzog das Gesicht. „Und du wieder mal freundlich wie sonst was.“

Schnell schlüpfte ich noch in Mantel und Stiefel, dann konnte es auch schon losgehen. Kaum hatten wir das Haus verlassen, da begann es schon wieder zu schneien. Wir gerieten in einen richtigen Schneesturm. „Also ich freu mich schon!“, rief die Grünhaarige gegen den Wind an.

„Ich bin mal gespannt wie's wird.“, antwortete ich. Und das war ich wirklich. Nicht auf die Party an sich, sondern was die Gastgeberin mir sagen würde, wenn ich sie mal für einen Moment an die Seite schliff. Ich wollte endlich diese Informationen die sie mir schon die ganze Woche über vorenthielt!

Es dauerte etwa 25 Minuten bis wir das Haus meiner Klassenkameradin erreicht hatten. Und wie schon geahnt, es war riesig. Zeitgleich mit uns erreichten auch noch andere Gäste das Haus. Selbst von draußen waren viele Stimmen und laute Musik zu hören. Scheinbar waren wir nicht die Ersten hier.

Die Haustür war nur angelehnt, sodass wir das Haus ohne Probleme betreten konnten. Überall standen Leute, die meisten davon hatte ich in der Schule schon mal gesehen. Alles war nett dekoriert, das Licht war dämmrig und die Stimmung scheinbar sehr gut.

„Hey ihr beiden!“, begrüßte Neru uns. Die Blonde war eine gute Freundin von Haku und somit wunderte es mich nicht sie hier zu sehen. Gerade verteilte sie Getränke. Und ehe wir noch blinzeln konnten, hielten Gumi und ich je ein Glas in der Hand. Und schon zog Neru weiter um die nächsten Gäste zu begrüßen und mit Getränken zu versorgen.

„Wow ist das voll hier.“, staunte meine jüngere Freundin. Da konnte ich ihr nur zustimmen.

Während ich an meinem Getränk nippte – hey, das Zeug war irgendwas alkoholisches und schmeckte genial – sah ich mich im Raum nach bekannten Gesichtern um.

„Du auch hier?“, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und entdeckte Kaito, der gerade zur Tür reingekommen war. „Klar, was denkst du denn?“, begrüßte ich ihn grinsend. Nun...nur das wir aus zwei unterschiedlichen Gründen hier waren. Er, wegen der Einladung und ich, weil ich etwas wissen wollte.

Zu dritt begaben wir uns ins Wohnzimmer, aus dem laute Musik und Gesang kam. Vor der Karaokemaschine standen zwei Schüler meiner Nachbarklasse und sagen so schief, das alle froh waren, als das Lied vorbei war.

Beim nächsten Song schafften Len und Rin es die Mikrophone an sich zu reißen. Ich hatte die beiden bis eben noch gar nicht entdeckt. Naja, wenigstens konnten die beiden Singen, was die meisten positiv überraschte.

Während wir uns immer weiter in die Mitte des Wohnzimmers kämpften, sah ich mich unauffällig nach Haku um. Silberne Haare konnten doch gar nicht so schwer zu übersehen sein, oder?

Schließlich entdeckte ich sie in der Ecke des Wohnzimmers, zusammen mit Lily und Neru. Sie schienen irgendwas auf die Cheerleaderin einzureden. Diese zog zumindest ein irritiertes und unsicheres Gesicht.

Ich wollte mich in ihre Richtung kämpfen, was bei den vielen Leuten gar nicht so einfach war.

Glücklicherweise schien Haku mich nun auch gesichtet zu haben, denn sie kam auf mich zu und schliff die beiden Blonden gleich mit.

Als wir schließlich voreinander standen, stoppte der Song im Hintergrund.

Haku und Neru nickten sich zu, ließen sich die beiden Mikrophone aushändigen und drückten sie Lily und mir in die Hand.

Beide starrten wir leicht irritiert darauf. Ein weiterer Schubs und wir fanden uns auf dem Teppich wieder, der von allen wie eine Art kleine 'Bühne' vor der Karaokemaschine angesehen wurde.

„Was genau wird das?“, stellte ich die Gastgeberin zur Rede. Diese zwinkerte mir zu.

„Ganz das, wonach es aussieht. Wer reden will, muss erstmal etwas Produktives leisten.“

„Ich weiß ja nicht...“, gab nun auch Lily ihre Zweifel kund und warf Haku einen Blick zu. Von der war allerdings keine Gnade zu erwarten. Nun drehte die Blonde sich zu mir um und mein Herz machte einen Sprung, als unsere Blicke sich trafen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ach komm, dann singen wir halt.“, versuchte ich sie aufzumuntern.

Angesprochene warf mir ein leichtes Lächeln zu. Ich spürte, wie meine Wangen warm wurden.

Da kein Protest mehr von uns kam, begann Neru damit uns einfach einen Song auszusuchen.

Als die Melodie dann erklang entgleisten uns beiden die Gesichtszüge.

Neru und Haku grinsten sich nur an. Hatten die DAS geplant? Dann war es an der Zeit zu singen und ich begann zögerlich.
 

All the things she said (all the things she said)

Running through my head, running through my head (running through my head) ~
 

Während ich den Song also anstimmte, musste ich daran denken, das der Songtext wie die Faust aufs Auge passte. Lily stimmte mit ein. Wir kannten das Lied und mussten somit nicht wirklich auf den Bildschirm sehen.

Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich heimlich zu ihr rüber sah. Ich hatte nicht gedacht, das sie so gut singen konnte. Unser Duett klang richtig gut, auch wenn uns der Songtext verstörte.

Ganz nebenbei bekam ich mit, das es im Wohnzimmer totenstill geworden war. Alle lauschten gespannt unserem Lied. Scheinbar kamen unsere Stimmen bei allen sehr gut an.

Und es war wie verhext. Der Text drückte wirklich fast all das aus, was ich dachte und worüber ich mir nun schon seit geraumer Zeit den Kopf zerbrach. Es tat gut es endlich auszusprechen, auch wenn es nur indirekt war.

Als ich erneut zu ihr rüber sah, trafen sich unsere Blicke. Das sonst eher blasse Gesicht der zierlichen Blondine glich einer überreifen Tomate und vermutlich sah ich nicht gerade anders aus.
 

When they stop and stare - don't worry me

'Cause I'm feeling for her what she's feeling for me

I can try to pretend,

I can try to forget

But it's driving me mad,

Going out of my h---e---a---d
 

Wir schafften es irgendwie perfekt synchron zu singen und ehe wir es noch recht bemerkten, hatte sich ein glückliches Lächeln auf unsere Lippen gelegt. Ich musste an die letzte Zeit denken. Was ich mich ums Verrecken nicht traute zu sagen, ging mir nun, auf diesem indirekten Weg, so leicht über die Lippen. Das war doch verrückt!

Für den Moment absolut glücklich sangen wir unser Lied. Als die Musik irgendwann stoppte, war es noch eine Sekunde lang muchsmäuschen still im Raum, dann begannen die anderen Gäste zu applaudieren. Wow... ich war wirklich ein wenig überrumpelt.

Wir gaben die Mikrophone an zwei andere weiter und gingen wieder einen Schritt zurück.

„Hey, das war echt cool! Habt ihr schon mal zusammen gesungen?“, wollte ein Klassenkamerad von uns wissen, der plötzlich wie ein Pilz aus dem Boden gesprossen war.

Wir blickten uns an. „Nein, eigentlich nicht.“, antworteten Lily und ich gleichzeitig.

Als der Klassenkamerad wieder verschwunden war, kehrte unangenehme Stille ein. Wie bestellt und nicht abgeholt standen wir jetzt inmitten der Menschenmasse, starrten erst die jeweils andere unschlüssig an und zogen es dann vor, lieber den Fußboden genauestes zu mustern.

Eben war es noch so einfach gewesen darüber zu singen was mich bedrückte, doch kaum ließ man uns allein irgendwo stehen, ging alles schon wieder von vorn los. Ich wusste, das es keine bessere Chance gab endlich mit ihr zu reden, doch gelang es mir irgendwie nicht sie darauf anzusprechen.

Doch während ich mir noch den Kopf darüber zerbrach, ergriff plötzlich die Blonde das Wort.

„Können wir reden? Ich bitte dich, Meiko.“ Es wunderte mich, das sie es war, die mich das fragte, so ausweichend wie ich mich ihr gegenüber die letzten Tage in der Schule verhalten hatte.

Dennoch sprach sie mir aus der Seele. Ich nickte nur leicht. „Aber bitte nicht hier, hier versteht man kein Wort.“

Da ich mich in diesem Haus nicht auskannte, folgte ich der Blonden einfach mal. Zwar war sie hier selbst nur zu Gast, doch Lily durfte sich in Hakus Haus bestimmt freier bewegen als ich.

Sie führte mich zu einer Treppe und wir gingen hoch auf die erste Etage. Zwar waren hier keine anderen Leute mehr, doch unbedingt ruhiger war es deshalb trotzdem nicht. Musik und Stimmen drangen vom Wohnzimmer aus hoch.

„Vielleicht ist es auf dem Balkon etwas leiser.“, rätselte Lily und öffnete eine weitere Tür. Dahinter lag ein Zimmer, welches sehr gemütlich eingerichtet war. Ich vermutete spontan, das es Hakus Zimmer war, schien die Silberhaarige ja nicht im Erdgeschoss zu wohnen.

Direkt an das Zimmer grenzte ein Balkon, den wir nun betraten. Ich schloss hinter uns die Tür um zu verhindern das der Raum dahinter auskühlte.

Auch auf dem Balkon lag eine Schneeschicht, in der wir bis zu den Knöcheln einsanken. Sie Luft war eiskalt. Jeder Atemzug verursachte ein weißes Wölkchen. Zum Glück hatte es inzwischen aufgehört zu schneien und zu stürmen. Die Umgebung war totenstill, wenn man von den gedämpften Bässen absah, die von hier aus nur noch schwach aus dem Wohnzimmer vernehmbar waren.

Schweigend standen wir voreinander und starrten uns an. Schon wieder war die plötzliche Stille unangenehm. Dann veränderte sich etwas im Blick der Cheerleaderin. In ihren Augen stand die pure Verzweiflung geschrieben.

„Was hab ich dir getan, das du plötzlich alles versuchst um mir aus dem Weg zu gehen?“, wollte sie dann wissen. Ihre Stimme klang leise aber deutlich und plötzlich mischte sich auch noch leichte Angst in ihren Blick. Für eine Sekunde war ich sprachlos. Natürlich hatte sie es gemerkt. Natürlich litt sie unter meinem abweisenden Verhalten. Trotzdem hatte ich nicht mit einer so direkten Frage gerechnet. Ich merkte, wie mein Gefühl mir schon wieder dazu riet auszuweichen, aber nein, diesmal nicht! Das konnte nicht ewig so weitergehen. Ich war schuld an der ganzen Sache und ich wollte sie nicht noch mehr verletzten. Ich musste mich endlich am Riemen reißen und wenigstens versuchen endlich Klartext zu sprechen.

Ich fühlte mich alles andere als wohl in meiner Haut, hatte Angst wie das Gespräch wohl verlaufen würde, aber plötzlich war es mir klar : Egal wie sehr ich sie mied, meine Gefühle würden sich deshalb trotzdem nicht einfach wieder ändern. Im Gegenteil, es würde uns nur noch weiter zerreißen. Damit musste jetzt endlich Schluss sein! Ich rannte doch sonst auch nicht weg!

„Das verstehst du falsch. Lass es mich versuchen zu erklären...“, begann ich. Doch Lily ließ es mich nicht erklären. Sie sah mich noch einen Augenblick verzweifelt an, dann nahm ihre Gesichtsfarbe wieder einen interessanten Rotton an und sie sah zu Boden.

„Nein, sag nichts. Eigentlich weiß ich es schon.“, murmelte sie. Die Blonde wirkte am Boden zerstört. „Du hast es gemerkt, oder? Ich meine...ich habe es anfangs selbst nicht glauben wollen, doch irgendwann hat es Klick gemacht.“ Anstatt irgendetwas zu sagen, schwieg ich einfach und starrte sie an. Mein Blick sah vermutlich alles andere als geistreich aus.

„Ich weiß wir sind Frauen und ich weiß, das es vielleicht falsch ist. Aber ich habe es mir doch selbst nicht ausgesucht!“

„Hey, das-“, doch weiter kam ich nicht, denn sie schnitt mir erneut das Wort ab. Ihre Stimme klang verzweifelter als eben, mir war klar, das sie mir nicht zuhören würde.

„Du ekelst dich, oder?“

„Nein, ich-“

„Du hast es gemerkt und meidest mich deswegen...?“

„Lily, bitte..“, versuchte ich es erneut.

„Ist schon okay, ich verstehe wenn es dich geschockt hat.“

„Hör mir doch endlich zu!“

„Es tut mir so leid, aber ich kann selbst nichts dafür!“

Arg! Wo war da der Ausschalter? Wenn das so weiterging, würde ich nie zu Wort kommen. Ich war glücklich darüber das sie meine Gefühle erwiderte, doch dachte sie fälschlicherweise, ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ich musste mir irgendwie Gehör verschaffen um dieses dumme Missverständnis zu klären. Aber wie sollte ich sie für einen Moment zum Schweigen bringen?

Ich wusste es nicht. Langsam stieg die Verzweiflung auch in mir auf, weil das Gespräch dummerweise in die falsche Richtung ging.

Mein Körper nahm die Sache überraschenderweise selbst in die Hand. Ehe ich mir noch ganz im Klaren darüber war was ich tat, hatte ich mich zu der Blonden gebeugt und meine Lippen auf ihre gelegt. Jetzt war sie still.

Ich hielt sie nicht fest, sodass sie jederzeit zurückweichen konnte. Für einen Moment hatte mein Denken ausgesetzt. Ihre Lippen waren so weich. Mein ganzer Körper kribbelte. Einen Augenblick starrte sie mich mit weit aufgerissenen Augen an, dann erwiderte sie den Kuss zart und legte die Arme um meinen Nacken. Etwa zeitgleich schlossen wir die Augen. Ich schlang die Arme um sie und zog sie näher zu mir.

In diesem Moment gab es nur sie und mich. Den Schnee, die eiskalte Luft und unsere Umgebung blendete ich aus. So lange hatte ich mich danach geseht genau das zu tun, doch die Angst vor ihrer Reaktion hatte mich zweifeln lassen.

Doch nun wusste ich plötzlich, das nichts Falsches daran war. Vielleicht waren wir Frauen, doch ihre Nähe war das einzigst Richtige für mich.

Als wir uns schließlich wieder voneinander lösten, sah sie zwar restlos verwirrt aber glücklich aus. Lilys Wangen waren rot und ich vermutete, das ich nicht besser aussah. Mein Herz raste nach wie vor.

„Meiko..., ich glaub ich versteh nicht ganz.“, sagte sie dann leise. Nach wie vor war unsere Umgebung totenstill.

Ich schüttelte nur leicht den Kopf. „Ich glaube da gibt es nicht all zu viel zu verstehen.“

Und endlich hörte sie mir zu. „Weißt du, ich hatte genau die gleiche Angst wie du. Ich dachte die ganze Zeit über das ich am Ende noch unsere Freundschaft zerstören würde, wenn ich meine Gefühle zuließe. Ich bin dir aus dem Weg gegangen, weil ich vor Unsicherheit kein Wort rausgebracht habe.“, gestand ich dann.

Die Verwirrung wich aus ihrem Blick. Mit einem glücklichen Lächeln lehnte Lily sich an mich, ich zog sie in eine Umarmung.

„Es tut mir leid. Ich wollte dich nie verletzten. Wir hätten uns den ganzen Ärger ersparen können, wenn ich von Anfang an Klartext gesprochen hätte.“

Sie schüttelte nur leicht den Kopf. „Angst ist menschlich.“

Alle Angst und Zweifel der vergangenen Tage waren von meinen Schultern gefallen. In diesem Moment machte ich mir keine Gedanken darüber, was andere über uns denken könnten. Ich war nur glücklich und froh sie in den Armen halten zu dürfen.

Sie blickte zu mir hoch und stellte sich auf die Zehenspitzen. Ich legte eine Hand unter ihr Kinn und wir küssten uns erneut. Die Zeit schien in diesem Moment still zu stehen. Der Balkon auf dem wir standen war zu einem kleinen Paralleluniversum geworden.

Eine heftige Windböe fegte über das Haus hinweg. Der Schnee, welcher auf dem Dach lag, wurde vom Wind erfasst und rauschte plötzlich in einer kleinen Lawine vom Dach.

Die Kälte, welche auf unseren Köpfen und Schultern landete, riss uns unsanft in die Realität zurück.

Lily quietschte entsetzt auf und begann im nächsten Moment hektisch damit Schnee aus ihrem Shirt zu schütteln. Bei dem Anblick musste ich unweigerlich lachen.

Ich schüttelte mich um den Schnee vom Kopf loszuwerden. Doch trotz der Aktion war meine Frisur wie üblich unkaputtbar.

Jetzt erst merkten wir, wie kalt es eigentlich war. Immerhin standen wir die ganze Zeit über ohne Jacke auf dem Balkon.

„Lass uns wieder reingehen.“, schlug ich vor. Die Blonde nickte zustimmend.

Da wir den Schnee immer noch nicht restlos wieder los waren, zogen wir eine Spur durch Hakus Zimmer. Die Gute würde vermutlich ausrasten, wenn sie das Chaos erstmal entdeckte.

Als wir die Treppe erreicht hatten, sahen wir eine Person durch den Flur gehen.

Neru hatte die Schritte auf der Treppe gehört und blickte nun nach oben. „Ach, da seid ihr!“, rief sie.“Wir haben euch schon überall gesucht.“

Ich legte einen Arm um meine Freundin und warf der anderen dann ein Grinsen zu. „Wir haben geredet, sorry.“ Lily ließ sich zu mir ziehen und warf mir ein glückliches Lächeln zu.

Die andere Blondine schien verstanden zu haben, denn nun legte sich auch auf ihre Lippen ein wissendes Lächeln. „Ah, ich wusste doch mein Plan würde aufgehen.“, machte Haku dann auf sich aufmerksam. Sie Silberhaarige kam gerade aus der Küche und hielt ein Tablett mit Getränken in der Hand.

„Du hast das geplant?!“, riefen Lily und ich gleichzeitig aus. Angesprochene lachte.

„Irgend jemand musste ja was tun, sonst hättet ihr nie den Mund aufbekommen.“

Auch wieder wahr. Irgendwie wusste ich gerade nicht ob ich sie anmeckern sollte, weil sie sich eingemischt hatte, oder ob ich ihr lieber danken sollte, weil wir ohne ihre Hilfe immer noch auf der Stelle treten würden.

Unsere Aufmerksamkeit wurde von etwas Anderem beansprucht. Die Gäste waren wieder verstummt und aus dem Wohnzimmer erklang ein wunderschönes Duett. Ich kannte den Song, Magnet hieß er. Und die Stimmen klangen so, als würden sie das was sie sangen auch ganz genau so meinen. Ich musste nicht extra nachsehen um zu wissen, wem man gerade das Mikro in die Hand gedrückt hatte.

„Lass uns zurück ins Wohnzimmer. Das will ich mir unbedingt anhören!“, rief Lily begeistert, packte mich an der Hand und zog mich einfach mit.

Durch die Aktion hätte ich fast die Treppen geküsst, doch ich fing mich gerade noch und folgte ihr ins Wohnzimmer.

Diesen Abend würde ich so schnell wohl nicht vergessen.
 


 

~~~~~~~
 

*Sorry für dieses kitschige Kapitel, aber es ließ sich nicht anders schreiben. ^^“

Wie ihr vielleicht merkt, neigt sich meine FF langsam dem Ende zu, aber alles Pulver habe ich noch nicht verschossen.

Winterferien

Seit dem Karaokeabend waren inzwischen zwei Monate vergangen. Mittlerweile war es Anfang Januar und wir genossen die Winterferien. Wärmer war es nicht gerade geworden. Im Gegenteil – einer weißen Weihnacht war ein noch viel weißeres Neujahr gefolgt. Und gestern hatte es schon wieder geschneit. Langsam aber sicher machte die Schneedecke es einem wirklich schwer Wege zu gehen, die der Winterdienst noch nicht freigeräumt hatte.

Es war neun Uhr morgens und ich hatte mich endlich dazu überwinden können aus meinem warmen Bett zu kriechen. Ich hatte gestern Abend die Heizung ausgestellt und diese Entscheidung dankte der Raum mir nun mit einer unschönen Kälte. Da fiel es gleich doppelt schwer die warme Decke zurückzuschlagen und aufzustehen.

Noch reichlich verpennt schlurfte ich in die Küche, wo meine Mutter gerade dabei war das Frühstück vorzubereiten. „Morgen...!“, begrüßte ich sie. Mom stellte die Kaffeekanne auf den Tisch und warf mir ein Lächeln zu. „Ah, guten Morgen Schätzchen.“ Ich verdrehte die Augen. „Mom!“ Aus dem Alter für solch alberne Spitznamen war ich nun wirklich raus.

„Du bist schon wach? Das wundert mich jetzt aber.“, meinte sie dann. Ich zuckte nur mit den Schultern und setzte mich an den Tisch. „Ich treffe mich gleich mit meinen Freunden.“, erklärte ich dann. Sie schien zu verstehen. „Ach deswegen bist du schon auf. Aber zieh dich bloß warm an. Es ist noch kälter als gestern.“

Das ich mich mit Freunden traf stimmte wirklich, nur das ich nicht erwähnt hatte, das ich mich auch mit meiner Freundin treffen würde. Besser gesagt : unsere Eltern wussten noch gar nichts davon.

Ich war mir nicht ganz sicher, wie meine Mutter darauf reagieren würde und die Reaktion von Lilys Eltern konnte ich mir schon lebhaft vorstellen.

Ein Erlebnis, auf das man auch gut verzichten konnte. Von daher hatten wir beschlossen es vorerst nur unseren Freunden zu sagen. Diese hatten es eigentlich alle ganz locker genommen.

Da es für zwei Frauen noch relativ einfach war eine Beziehung zu verbergen, wunderten die lieben Eltern sich auch nicht wirklich darüber, wenn wir bei der jeweils anderen übernachteten. Sie hielten uns einfach nur für gute Freundinnen. Und da war es ja ganz normal, das wir uns fast jeden Tag sahen.

Nach dem Essen ging ich ins Bad, duschte noch eben, putzte meine Zähne und zog mich um.

Als ich soweit fertig war, föhnte ich noch eben meine Haare. Dann war es auch schon an der Zeit in Jacke, Schal und Stiefel zu schlüpfen um das Haus zu verlassen.

Kurz verabschiedete ich mich noch von meiner Mutter, dann verließ ich die warme Wohnung und begab mich in die Kälte.

Für heute waren wir mal wieder im Park verabredet. Zwar war es verdammt kalt, doch unser Lieblingstreffpunkt würde auch weiterhin unser Lieblingstreffpunkt bleiben.

Doch bevor ich den Weg zum Park einschlug, nahm ich noch einen kleinen Umweg in Kauf um an der Bushaltestelle vorbei zu sehen. In ein paar Minuten müsste der Bus, mit dem meine Freundin meistens zu mir fuhr, hier halten. Da wollte ich sie doch gleich mal abholen.

Und richtig. Ich hatte noch keine vier Minuten an der Halte gestanden und gewartet, da fuhr auch schon der Bus vor. Ich war ganz froh darüber, denn vom Rumstehen wurde es einem noch kälter als eh es schon war.

Wie erwartet verließ die Blonde durch die mittlere Tür den Bus, sah sich kurz um, entdeckte mich schließlich und kam mit einem herzlichen Lächeln auf mich zu.

„Morgen!“, begrüßte sie mich. „Irgendwie hatte ich es im Gefühl das du hier sein würdest.“

Auch ich lächelte. „Morgen Süße. Und klar warte ich auf dich.“ Wir umarmten uns erst einmal. Zwar hatten wir uns gestern das letzte Mal gesehen, doch war mir die Zwischenzeit wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen. Es war jedes Mal ein schönes Gefühl sie wieder in die Arme schließen zu können.

Da es mich nicht wirklich kümmerte was fremde Leute über uns dachten, beugte ich mich zu ihr runter und gab ihr einen kurzen Kuss. Inzwischen wusste ich, das die Blonde es nicht darauf belassen würde. Wie immer schlang sie die Arme um meinen Nacken und stellte sich auf die Zehenspitzen, nur um mir noch einen Kuss zu stehlen.

Hand in Hand gingen wir schließlich los in Richtung Park. Eine alte Oma guckte uns schief an, doch wir ignorierten sie.

„Mir ist der gestrige Abend vorgekommen wie eine Ewigkeit. Ich hab dich vermisst.“, jammerte Lily und warf mir einen Blick zu. „Mh, dann bleib doch heute einfach bei mir. Was hälst du davon?“

Sie nickte. „Klar, wieso auch nicht.“ Meine Mutter wunderte sich inzwischen nicht mehr darüber das entweder wir dauernd Besuch hatten, oder ich drüben bei meiner Freundin war.

Endlich hatten wir den Weg zum Park erreicht. Die Blondine seufzte.

„Der Winterdienst hat vergessen den Weg freizuschaufeln!“, meckerte sie. Ich konnte nur schwer ein Kichern unterdrücken. „Ach komm, das schaffen wir jetzt auch noch. Oder soll ich dich etwa tragen?“ Ich zwinkerte ihr zu und sie knuffte mich leicht gegen den Oberarm, was wegen meiner dicken Winterjacke nicht wirklich weh tat. „Hey, so kurze Beine hab ich nun auch wieder nicht, als das der Schnee da ein unüberwindbares Hindernis dastellen würde!“

Wir grinsten uns gut gelaunt an und liefen los. Warum genau wir von jetzt auf gleich losrannten, konnte ich selbst nicht so genau sagen. Bis auf einige wenige Spuren war die Schneedecke auf dem Weg noch umbeschädigt.

Da ich von Natur aus schneller war und längere Beine hatte, kam ich natürlich schneller vorran als meine kleinere Freundin. Doch nach ein paar Metern war ich so nett auf sie zu warten.

Lily hielt deswegen allerdings nicht an. Im Gegenteil, sie lief genau auf mich zu und jumpte mich an. Zwar taumelte ich nach hinten, doch den Gefallen im Schnee zu landen, tat ich ihr nicht.

„Hey, hey, stürmisches Mädchen.“, lachte ich und bekam einen Kuss aufgedrückt.

„Lässt du mich wieder runter, Meiko?“, wollte die Blonde dann im übertrieben süßen Tonfall wissen. Als sie sich mir eben wortwörtlich an den Hals geworfen hatte, hatte ich sie reflexartig aufgefangen.

„Ich weiß nicht. Was bekomm ich denn dafür?“ Grinsend sah ich sie an.

„Lass mich mal überlegen...vielleicht das hier?“ Mit diesen Worten überwand meine Freundin die Distanz zwischen und erneut und legte ihre Lippen auf meine. Als ich den Kuss erwiderte, strich sie mit der Zunge leicht über meine Unterlippe. Ein Spiel, auf das ich mich nur zu gern einließ.

„Hey, nehmt euch n Zimmer Leute!“, riss eine Stimme uns in die Realität zurück.

Hinter uns stand Gumi, die uns leicht tadelnd ansah, dann jedoch lächelte. „Die anderen warten bestimmt schon am See. Was meint ihr?“

Erstmal ließ ich Lily wieder los und drehte mich zu der Grünhaarigen um diese kurz zu begrüßen.

„Damit könntest du Recht haben. Die sind bestimmt schon da.“, meinte ich dann.

„Dann lasst uns mal weiter gehen.“, mischte die Blonde sich ein.

Zu dritt erreichten wir den See kurze Zeit später dann auch. Außer drei Personen war niemand hier. Und diese drei Leute waren keine anderen als unsere Freunde Kaito, Gakupo und Len. Wo Rin war wusste ich nicht, doch vermutlich würde Len es gleich eh erzählen.

Wir begrüßten die Drei zumindest erstmal. „Na, schon lange hier?“, wollte Gumi wissen. Gakupo schüttelte den Kopf. „Vielleicht seit zehn Minuten.“

„Wo habt ihr Rin gelassen?“, fragte ich dann. „Die liegt mit ner Erkältung im Bett.“, erklärte Len. „Sie wollte eigentlich mitgekommen sein, aber Mom hat sie nicht aus dem Haus gelassen.“

„Na immerhin machen eure Eltern sich Sorgen.“, streute Lily ein. Inzwischen wussten auch die anderen, wie ihre Eltern drauf waren. „Ach, manchmal kann's aber auch ganz schön nerven.“, meinte Len.

Gemeinsam liefen wir ein Stück um den See und erreichten kurze Zeit später eine überdachte Tischtennisplatte. Wenigstens lag hier kein Schnee. Der Blauhaarige hatte zum Glück eine Decke mitgenommen, die er auf der Tischtennisplatte ausbreitete und auf die sich alle irgendwie quetschten. So zu sitzen war zwar eng, aber wenigstens war es angenehm warm.

Wir quatschten den ganzen Vormittag über und beschlossen gegen Mittag rüber in die Stadt zu fahren. Zum einen weil wir etwas essen wollten, zum anderen weil es langsam doch frisch wurde.

Bis zu den Arkaden war es nicht unbedingt weit. Mit dem Bus hatten wir unser Ziel in etwa 20 Minuten erreicht.

Es war eine Wohltat die Tür der Arkaden zu öffnen, denn hier war alles gut beheizt.

Kurze Zeit später saßen wir auch schon bei MCDoof und genehmigten uns ein warmes Mittagessen.

Nach dem Essen ging es noch einmal quer durch die Arkaden. Wir sahen in einigen Läden vorbei und schliffen die Jungs einfach mit, ob sie nun wollten oder nicht.

Erst Nachmittags beschlossen wir dann langsam mal wieder die Heimreise anzutreten. Zwar waren es noch Ferien, doch wurde es im Winter ja immer früh dunkel und irgendwie hatte jeder noch etwas zu tun.

In vier Tagen würde ich mich abends noch mal mit Kaito und Gakupo in der Bar treffen, um das letzte Wochenende der Winterferien auszunutzen. Lily nahm ich besser nicht mit, denn seit wir zusammen waren, versuchte sie dauernd mich von meinem heißgeliebten Alkohol zu trennen. Nun...der Erfolg war eher mäßig, doch waren solche Aktionen in einer Bar eher schlecht.
 

Als wir uns von den anderen verabschiedet hatten und nachhause gefahren waren und schließlich meine Wohnung erreichten, war es 18 Uhr.

Extra zu sich Nachhause fahren und Sachen holen musste die Blonde nicht mehr, denn sie hatte nach und nach alles Wichtige schon bei mir gebunkert. So konnte sie auch spontan bei mir übernachten ohne vorher noch mal durch die halbe Stadt reisen zu müssen. Im umgekehrten Fall verhielt es sich genau gleich. Auch ich hatte Ersatzklamotten und anderen Kram in ihrem Zimmer gelassen.

Als wir uns aus den Wintersachen gepellt hatten und kurz einen Blick ins Wohnzimmer warfen, begrüßte meine Mutter uns schon gut gelaunt.

„Ah, haben wir heute wieder einen Gast?“, wollte sie mit einem freundlichen Lächeln wissen.

„Jepp, sieht ganz so aus, was?“, grinste ich sie an.

„Ich hoffe es stört Sie nicht, das ich mich so oft hier einquartiere?“, wollte Lily höflich wissen.

Meine Mutter lachte nur und schüttelte leicht den Kopf. „Ach Quatsch, wie kommst du denn auf die Idee, Liebes? Ihr seid doch so ein süßes Paar.“

Uns entgleisten gleichzeitig die Gesichtszüge. Woher...? Wir hatten meiner Mutter nichts davon erzählt. „Wie...meinst du das Mom?“, hakte ich nach, als ich die Sprache wieder gefunden hatte.

Sie warf mir ein warmes Lächeln zu. „Also wirklich Meiko! Mütter kennen ihre Kinder. Ich hab doch gemerkt das du irgendwie anders bist. Und wenn ihr euch anseht, dann knistert die Luft förmlich.“ Ihr Grinsen war nun eine Spur breiter geworden und sie strich sich eine lange, braune Strähne aus dem Gesicht.

Unsere Gesichter hatten deutlich an Farbe gewonnen. Lily und ich blickten uns ein wenig ratlos an.

„Und es macht Ihnen nichts aus?“, wollte die Blonde dann vorsichtig wissen. „Ich meine, immerhin sind wir-“

Meine Mutter unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. „Nein, warum sollte es das? Es ist doch eure Sache. Und solange meine Tochter glücklich ist, bin ich es auch.“

Zwar hatte Mom uns ziemlich überrumpelt, doch war es irgendwie auch schon wieder gut daheim kein Versteckspiel mehr spielen zu müssen. Irgendwie war mir ein Stein vom Herzen gefallen. Und ich war verdammt froh darüber, das sie so locker damit umging. Wenn doch nur alle Eltern...

Nachdem meine Mutter uns 'entlarvt' hatte, setzten wir uns noch etwas zu ihr ins Wohnzimmer. Zwar war sie sehr tolerant, doch leider auch mindestens genauso neugierig. Jetzt wo es offiziell war, wollte sie auch alles wissen. Anfangs hatten wir uns noch gehasst und jetzt dieser Gefühlsumschwung innerhalb kürzester Zeit.

So erzählten wir also was es zu erzählen gab und hofften, das diese Fragerunde irgendwann auch mal ein Ende haben würde. Erst nach einer guten halben Stunde waren wir erlöst.

So fluchtartig hatte ich wohl schon lange nicht mehr das Wohnzimmer verlassen. Lily folgte mir mindestens genau so schnell.

In meinem Zimmer angekommen setzten wir uns aufs Bett und schalteten den Fernseher ein.

Zur Abwechslung war es in meinem Zimmer mal halbwegs ordentlich. Zwar war ich nach wie vor kein Putzteufel, doch die Blonde achtete zu meinem Leidwesen darauf, das es hier nicht zu chaotisch aussah. Sie liebte nun mal die Ordnung. Und um Streit und Rumgezicke zu vermeiden räumte ich seit Neuestem wenigstens halbherzig auf.

„Wow, deine Mom ist echt cool drauf.“, stellte sie fest und lehnte sich an meine Schulter. Fast ganz automatisch legte ich einen Arm um sie.

„Ich hab echt nicht einschätzen können wie sie's auffassen würde, aber das sie's auch noch von ganz allein gemerkt hat, hat mich echt überrumpelt.“, gab ich zu.

„Also ich bin froh das es sie so gar nicht stört.“, freute meine Freundin sich. „Na und ich erst.“

Im Fernsehn lief der letzte Mist. Ich angelte nach der Fernbedienung um das Programm umzuschalten. Hoffentlich kam noch irgendwo was gescheites.

Da ich auch nach mehrfachem Umschalten kein vernünftiges Programm gefunden hatte, stand Lily schließlich auf um die Fernsehzeitung vom Schreibtisch zu holen.

Diese blätterte sie aufmerksam durch. „Hey, lass mich auch mal sehen.“, verlangte ich.

Die Blonde warf mir ein Grinsen zu und drehte die Zeitschrift so, das nur sie hineinsehen konnte.

„Hey!“, beschwerte ich mich und versuchte das Heft zu angeln. Sie war schneller und zog es weg.

Keine zwei Sekunden später war ein Kampf um die Fernsehzeitung entbrannt. Doch ich war eindeutig im Vorteil da ich größer war und somit auch längere Arme hatte.

„Du kriegst sie nicht!“, rief die Blondine gut gelaunt aus und streckte sich noch ein Stückchen weiter weg um die Zeitung aus meiner Reichweite zu bringen.

„Das glaubst aber auch nur du.“ Mit einem Grinsen reckte ich mich noch ein Stück, berührte das Titelblatt der Zeitschrift schon mit den Fingerspitzen...und dann ging es abwärts.

Bei dem Kampf um die Fernsehzeitung waren wir zu nah an die Bettkante gerückt. Ich sank mit den Knien in der weichen Matratze ein, verlor das Gleichgewicht und riss meine Freundin gleich mit.

Eine Sekunde später fanden wir uns vor dem Bett liegend wieder.

Hätte jemand wegen dem Rumpeln die Tür geöffnet, demjenigen hätte sich sicherlich ein recht belustigendes Bild geboten. Unser Absturz erinnerte an einen schlechten Comic. Während unsere Beine noch oben auf dem Bett lagen, waren wir zum Rest die Bettkante runter gerauscht. Zu allem Übel war ich auch noch auf meiner Freundin gelandet, welche mit der rechten Hand zuckte.

„Hast du dir weh getan?“, wollte ich wissen. Angesprochene erlitt gerade einen Lachflash und brachte nur ein Kopfschütteln zustande. Immer noch grinsend drückte ich ihr einen Kuss auf.

Langsam aber sicher hatte ich das Gefühl das meine Wirbelsäule zerbrechen würde, wenn ich noch länger in dieser misslichen Lage bleiben würde. Ich zog die Beine vom Bett, was meine Position doch gleich schon wieder viel bequemer machte. Dann rollte ich mich von der Blonden, sodass auch sie aufstehen konnte.

„Komm schon Mei-chan, hilf ner Lady mal vom Fußboden hoch.“ Immer noch gut gelaunt grinsend blickte Lily mich an. „Ganz schön von sich eingenommen die Dame.“

Dennoch reichte ich ihr eine Hand und zog sie wieder auf die Füße. Ihrer Mimik war anzusehen, das sie irgendwas vorhatte. Einen Moment später hatte die Blonde auch schon eine Hand in meinen Nacken gelegt und zog mich ein Stück weit zu sich runter, um nun wiederrum mir einen Kuss zu geben.

Da im Fernsehn im Hintergrund immer noch Mist lief, würdigten wir das Teil keines Blickes. Sollte die Nachrichtentante uns ruhig die Tagesthemen erzählen, sowas konnte man gut ausblenden.

Ich konnte nicht so genau sagen was es war, doch in der letzten Woche hatte sich schon wieder etwas zwischen uns verändert. Wo vorher die Angst vor der Antwort der anderen gewesen war, wuchs nun langsam ein stärker werdendes Verlangen. Zu Beginn unserer Beziehung war es noch nicht da gewesen, waren wir doch erstmal einfach nur froh darüber gewesen, das wir uns ausgesprochen hatten und alles sich zum Guten gewendet hatte.

Doch nun, da wir uns aneinander gewöhnt hatten und der jeweils anderen fast blind vertrauten, keimte dieses neue Gefühl langsam aber sicher auf.

Jeder Kuss, jede Berührung und jeder lange Blick hatten an neuer Intensität gewonnen.

„Hat hier jemand n Taxi bestellt?“, riss uns eine Stimme aus unserer eigenen kleinen Welt. Erst blickten wir einander verwirrt an, dann gleichzeitig rüber zum TV.

Ohne das wir es gemerkt hatten, hatte im Hintergrund der Film Traumschiff Surprise begonnen.

„Der kam ja schon ewig nicht mehr.“, stellte Lily fest und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Auch ich hatte nichts dagegen mir den Film noch mal anzusehen und setzte mich zu ihr.

So verging die Zeit wie im Flug. Obwohl wir den Film beide schon kannten, brachte er uns doch wieder zum lachen. Manche Szenen waren und blieben eben lustig, egal wie oft man sie sah.

Als der Film schließlich endete, folgte direkt im Anschluss ein Horrorfilm.

Ich kannte schon so ziemlich jeden aktuellen Horrorfilm, doch dieser hier war mir neu. Diese Bildungslücke musste natürlich geschlossen werden.

Während wir nun also schon den zweiten Film sahen, unterhielten wir uns nebenbei über Gott und die Welt. Da meine Heizung ab einer bestimmten Uhrzeit abgestellt wurde und es im Raum langsam kühl wurde, hatten wir uns unter die Bettdecke gekuschelt. So war es zum einen gemütlich, zum anderen auch schön warm.

Im Rest der Wohnung war es schon still. Ein Blick zur Uhr verriet mir auch warum. Es war inzwischen 0 Uhr und meine Mutter war schon schlafen gegangen, da sie morgen Frühschicht hatte. Im Gegensatz zu uns hatte die Gute eben keinen Urlaub mehr. Naja, unsere Ferien würden auch bald vorbei sein. Vermutlich mal wieder schneller, als uns lieb war.
 

Als auch der Horrorfilm zuende war und wir langsam das Gefühl hatten viereckige Augen zu kriegen, griff die Blonde zur Fernbedienung und schaltete das Gerät aus.

„Was für ein sinnloses Gemetzel“, tat sie ihre Meinung über den Film kund.

„Es gibt wirklich bessere Filme.“, stimmte ich zu und streckte mich.

„Und jetzt?“

Ich zuckte nur leicht mit den Schultern. Was konnte man um diese Uhrzeit noch großartig tun? Die Musik laut aufdrehen schon mal nicht, sonst würde Mom mich umbringen, fern gesehen hatten wir eben und ne Flasche Sake töten, das wollte meine Freundin bestimmt nicht.

„Keine Ahnung. Vielleicht schon mal umziehen? Schlabberlook ist doch viel bequemer.“

Ich war eben sehr praktisch veranlagt. Und da ich heute bestimmt nicht mehr das Haus verlassen würde, war es mir auch egal ob ich nun meine Alltagsklamotten oder einen Schlafanzug trug.

„Stimmt eigentlich.“, stimmte die Blonde mir zu. „Du hast meine Sachen auch im Kleiderschrank gebunkert, ne?“

„Jepp, ich war so frei.“

So suchten wir uns Schlafklamotten aus dem Schrank und begannen uns umzuziehen. Da wir dafür nicht extra rüber ins Bad rennen wollten, blieben wir zwar im Zimmer, hatten uns aber höflichkeitshalber den Rücken zugedreht.

Ich schälte mich also aus Pullover und Hose und warf die Sachen gekonnt über meinen Schreibtischstuhl. Irgendwie landete alles so auf der Lehne, das es nicht herunter fiel.

Von meinem Standpunkt aus hatte ich einen guten Blick nach draußen. Zwar war es schon stockfinster, doch da in meinem Zimmer kein Licht brannte, spiegelte die Fensterscheibe auch nicht. Es schneite schon wieder, wie ich feststellte. Konnte man das Wetter da draußen überhaupt noch einfach nur 'schneien' nennen? Die Eishölle da erinnerte mich eher an einen mittelmäßigen Schneesturm. Da mir allein schon beim Blick aus dem Fenster kalt wurde, wollte ich möglichst eilig nach meinem Schlafanzugobereil greifen, welches auf dem Bett lag.

Doch bevor ich noch danach greifen konnte, schlangen sich zwei Arme von hinten um mich. Sie schmiegte sich an meinen nackten Rücken. Ich spürte ihren Atem auf meiner Haut.

„Und was, wenn ich mich doch noch nicht umziehen will?“ Obwohl ich meiner Freundin nicht ins Gesicht sehen konnte, wusste ich, das sie vermutlich ein Grinsen aufgesetzt hatte. Ihre Hände strichen über meine Haut, wanderten langsam weiter nach oben. Mir wurde heiß.

„Wenn du dich nicht umziehen willst, dann lass mich dich wenigstens ausziehen.“ Ebenfalls leicht grinsend drehte ich mich in der Umarmung, sodass ich sie ansehen konnte.

Auf meinen Einfall hin, hatten ihre Wangen zwar schlagartig einen Rotton angenommen, doch sie schien nichts dagegen zu haben. Im Gegenteil. Lily stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich. Ich erwiderte und bald schon wurde der Kuss verlangender und leidenschaftlicher.

Ich ließ meine Hände über ihre Haut wandern, strich langsam hoch zu ihrem Oberkörper.

Die Blonde öffnete ganz nebenbei den Verschluss meines BHs und strich den linken Träger von meiner Schulter.

Noch vor ein paar Tagen hatte ich mir den Kopf über genau dieses Thema zerbrochen, doch die Nervosität mit der ich gerechnet hatte, blieb aus. Ich vertraute ihr eben blind.

Wohl wissend das die Blonde die Bettkante in den Kniekehlen hatte, ging ich trotzdem noch ein kleines Stückchen auf sie zu, sodass wir uns im nächsten Moment auf der Matratze wiederfanden...
 

Irgendetwas kitzelte mich im Gesicht. Ich versuchte diese Tatsache erst zu ignorieren, doch es hörte einfach nicht auf. Mit einem leisen Murren öffnete ich die Augen und blinzelte verschlafen.

Im Zimmer war es für diese Jahreszeit schon wieder richtig hell. Erneut blinzelte ich. Wie spät war es?

„Morgen Mei-chan.“ Ich sah zur Seite und somit praktisch direkt in das Gesicht meiner Freundin.

Lily hatte ein harmloses Lächeln aufgesetzt, doch die Feder in ihrer Hand, die sie vermutlich aus dem Kopfkissen gerupft hatte, verriet sie. Scheinbar hatte die Blonde mir eben mit der Feder durchs Gesicht gestrichen bis ich aufgewacht war.

„Morgen Süße.“, begrüßte ich sie und drehte mich zu ihr. Viel mehr als gestern Nacht hatte sie nicht an. Ich schnappte mir eine der blonden Strähnen, spielte damit und beugte mich dann zu ihr rüber um sie zu küssen. Sie erwiderte und streichelte sanft über meine Wange.

„Sorry das ich dich aufgeweckt habe Meiko.“ Lily warf mir einen entschuldigenden Blick zu.

„Wie spät ist es eigentlich?“, wollte ich dann wissen.

„Kurz nach 8 glaube ich.“, war die Antwort. „Ich muss doch um 11 beim Cheerleadertraining sein.“

Ich zog ein extra gequältes Gesicht. „Musst du da denn unbedingt hin?“

Es war meiner Meinung nach viel gemütlicher noch ein Weilchen im Bett zu chillen und das kalte Wetter nur von dem warmen Zimmer aus zu studieren. Außerdem wollte ich sie noch nicht gehen lassen.

„Das weißt du doch.“ Mit einem Lächeln küsste sie mich erneut, schlug dann jedoch die Bettdecke zurück und stand auf. Wie gemein! Wobei... zwar kühlte gerade das Bett aus, doch blieb mein Blick an ihrem Körper hängen. Sie war zwar sehr zierlich, in meinen Augen aber perfekt.

Nun schien auch Lily gemerkt zu haben, das ich sie anstarrte. „Meiko! Du bist echt schlimmer als n Kerl, weißt du das?!“, rief sie gespielt empört aus und warf ein Kissen nach mir.

Ich wehrte das Geschoss ab, zuckte nur leicht mit den Schultern und setzte ein Grinsen auf. „Und wenn schon.“

Die Blonde krallte sich meinen Bademantel, streckte sich noch einmal und begab sich dann ins Bad.

Auch ich beschloss langsam mal aufzustanden. Ich schnappte mir den zweiten Bademantel, schlüpfte hinein und klaubte dann die Klamotten vom Fußboden.

Als dies erledigt war, tappte ich rüber zum Fenster und öffnete dieses. Draußen lag schon wieder neuer Schnee. Oh man, hörte das denn nie auf??

Da wir die Wohnung heute morgen für uns allein hatten, begab ich mich rüber in die Küche um schon mal Kaffee zu kochen. Irgendwie musste ich die Zeit, bis das Bad frei wurde, ja sinnvoll nutzen.

Rabenvater

Die Winterferien endeten schneller als mir lieb war. Wie versprochen war ich Samstags noch einmal mit meinen Freunden in der Bar gewesen. Es war eben unsere Art die Ferien mit etwas Alkohol ausklingen zu lassen. Die Laune war gut und die Stimmung stieg mit jedem neuen Glas. Dennoch übertrieb ich es nicht so maßlos wie damals. Als wir die Bar schließlich wieder verlassen hatten, konnte ich noch sehr gut auf eigenen Beinen stehen und fand auch den Weg nachhause ohne Probleme.

Nun war es zumindest Montag Morgen. Vermutlich hatte ich nicht als einzige das Gefühl, das es nichts mieseres gibt als nach den Ferien wieder so verdammt früh aufstehen zu müssen.

Irgendwie schaffte ich es jedoch mich aus den Federn zu quälen und pünktlich zur ersten Stunde zu erscheinen. Der Schnee taute mittlerweile, was das Vorankommen auf der Straße deshalb aber nicht gerade einfacher machte.

Die erste Unterrichtsstunde heute war Englisch. Meiner Meinung nach war das Fach langweilig wie immer. Es ging um Geschäftsbriefe, was mich nicht wirklich interessierte. Da ich gestern noch bis spät in die Nacht telefoniert hatte, war ich dementsprechen müde. So gestattete ich mir also kurzzeitig den Kopf auf die Tischplatte zu legen. Wer schaffte es auch bei diesem Unterricht aufmerksam zuzuhören? Die Stimme von Frau Tachikawa war monoton und wirkte einschläfernd. Außerdem fehlten mir einige Vokabeln, sodass ich den Sinn ihres Geplappers nicht wirklich erfasste.

Ganz in Gedanken blickte ich zum Fenster hinaus. Seit langem schien mal wieder die Sonne. Zwar war es nach wie vor kalt draußen, doch das der Schnee endlich taute war ja schon mal ein Anfang.

Meine Sitznachbarin stupste mich leicht an, worauf ich allerdings nicht sofort reagierte. Sie piekte mich etwas fester in die Seite. „Meiko...“ Lukas Stimme klang seltsam warnend. Ich verstand nicht ganz was sie wollte und blickte zu ihr rüber. „Mh?“

Im nächsten Moment war ich klüger. Ich hatte nicht gemerkt, das Frau Tachikawa durch den Klassenraum genau auf meinen Tisch zugesteuert war. Die Lehrerin schlug vor mir mit dem Buch auf den Tisch, was mich blinzeln ließ. Okay, jetzt war ich wach.

„Schlafen kannst du Zuhause! Bist du heute noch einmal in meinem Unterricht unaufmerksam, ist nachsitzen angesagt!“, keifte die Alte mich an.

So setzte ich mich wieder vernünftig hin und grummelte ein :“Ja ja, ist ja schon gut.“

Nach der Schule war ich mit Lily verabredet. Da wollte ich nicht unbedingt zum Nachsitzen verdonnert werden.

Als die Lehrerin wieder die Tafel erreicht hatte, warf die Rosahaarige mir einen entschuldigenden Blick zu. „Ich hab versucht dich zu warnen.“

Irgendwie schaffte ich es die restlichen 1 ½ Stunden konzentriert zu bleiben und die Aufgaben wenigstens von dem Englisch-Ass neben mir abzuschreiben. So mogelte ich mich meistens durchs Leben.

In der Pause verließen die Schüler fluchtartig den Klassenraum. Vor der Klasse angekommen wartete ich noch auf die anderen.

„Das war wieder mal so typisch für dich.“, grinste meine Freundin mich an und umarmte mich. Ich zog sie zu mir und strich ihr über die blonde Mähne. „Ach, ist doch noch mal gutgegangen.“

Da wir nicht wollten, das jemand in der Schule von unserer Beziehung wusste, verweilten wir nicht lange in dieser Pose. Auch Miku und Luka hatten den Klassenraum verlassen. Gerade wollten wir runter zum Schulhof gehen, als die Tür der Nachbarklasse aufging und Kaito und Gakupo sich zu uns gesellten. „Informatik! So langweilig!“, fluchte der Lilahaarige. Kaito nickte zustimmend und zuckte mit den Schultern.

Gemeinsam verließen wir das Gebäude. Allerdings heute nur um rüber zur Pausenhalle zu wandern. Alles war nass uns kalt. Bei so einem Wetter wollten wir beim besten Willen nicht draußen bleiben.

„Leeeute!“, rief eine Stimme hinter uns. Ich sah mich um und entdeckte Len, Rin und Gumi, welche auf uns zugelaufen kamen. Letzt genannte hatte auch nach uns gerufen. Die Grünhaarige wedelte mit einem Blatt Papier rum.

Nachdem wir uns begrüßt hatten erzählte sie strahlend :“Stellt euch vor, ich hab ne 2 in Mathe geschrieben!“

Ungläubig zog ich eine Augenbraue hoch. „Wie hast du das denn geschafft?“

„Etwa den Lehrer bestochen?“, grinste Lily sie frech an.

„Pah! Als ob ich sowas nötig hätte!“, rief Gumi gespielt eingeschnappt aus.

„Hey! Lass die Finger von ihr!“ Irritiert drehten die Jüngeren und ich uns um, nur um zu sehen wie Miku Gakupo böse anfunkelte und Luka zu sich rüber zog.

„Sie sah so erfroren aus.“, versuchte Angesprochener sich rauszureden. Die beiden funkelten sich gereizt an.

„Geez Leute, jetzt schlagt euch bitte nicht die Köpfe ein.“, versuchte die Rosahaarige die Situation zu schlichten. Sie hielt die Türkishaarige sicherheitshalber am Arm fest, da diese immer noch grimmig den Lilahaarigen anfunkelte.

„Lasst uns doch erstmal in die Cafeteria gehen.“, schlug Kaito vor.

„Gute Idee. Vielleicht hört der Zoff dann ja endlich auf.“, murrte Len, welcher sichtlich genervt war.

„Wer zuerst da ist!“, rief seine Schwester aus und lief los. Doch niemand wollte so wirklich hinterher rennen. Es war einfach viel zu rutschig. Ein paar Meter weiter merkte die ungestüme Blondine dies auch selbst, da sie der Länge nach im Schneematsch gelandet war.

„Alles okay, Nee-chan?“ Ihr Bruder reichte ihr eine Hand.

„Hey, grins nicht so blöd!“, beschwerte Rin sich anstelle eines Dankes und verzichtete auf die Hilfe.

Wir mussten lachen.

Als die Pausenhalle endlich erreicht war, schafften wir es sogar noch einen Platz an der Heizung zu ergattern. Bei dem Wetter ein wahres Wunder.

„Na, wie sieht's aus Leute? Fliegen schon die Fetzen oder alles bestens?“, wollte Haku wissen, welche sich gemeinsam mit Neru zu uns gesellte.

„Ach, alles bestens.“, versicherte ich grinsend und legte einen Arm um meine Freundin.

„Habt ihr denn was anderes erwartet?“, wollte nun Lily wissen und lehnte sich an mich.

„Quatsch!“, rief Haku aus. Neru setzte sich etwas abwesend zu uns an den Tisch. Sie war wie immer damit beschäftigt, SMS zu schreiben.

Wir quasselten noch eine Weile und frühstückten, bis uns das Klingeln zurück zu den Klassenräumen orderte. Nun, zumindest für die Jüngeren hieß es zurück in die Klassen, für die Älteren war erstmal Sport angesagt.

In der Mädchenumkleide angelangt, erwartete mich dann auch schon das nächste Problem. Meine Freundin hatte ganze Arbeit geleistet und meinen Hals und Oberkörper mit unschönen Flecken verziert. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, das sie selbst nicht besser aussah...

Es war untypisch für mich zum Umzieheh im Duschraum zu verschwinden, doch noch viel weniger wollte ich von irgendwelchen Mitschülerinnen auf die Knutschflecke angesprochen werden.

„Sollen wir etwas trödeln?“, flüsterte Lily mir zu und warf mir einen leicht unsicheren Blick zu. Sie wollte sich genau so wenig vor den anderen umziehen wie ich.

„Ist wohl besser.“ So quatschten wir einfach noch ein wenig, bis einige Klassenkameradinnen die Umkleide verließen und schlüpften dann selbst in unser Sportzeug.

Auch die Doppelstunde Sport ging schnell vorbei. Zur Abwechslung hatte der Lehrer die Schüler mal in gleichstarke Gruppen eingeteilt, sodass der Unterricht viel mehr Spaß machte.

Anschließend folgten noch Politik und Geschichte, dann war der Schultag überstanden.

Da ich heute mit zu meiner Freundin ging, verabschiedeten wir uns am Schultor von unseren Freunden. Diese mussten nämlich genau in die entgegengesetzte Richtung. Einzigst Neru und Haku begleiteten uns noch ein Stück weit, da sie im gleichen Viertel wie Lily wohnten.

„Ich will Samstag noch mal einen kleinen Karaoke-Abend veranstalten. Diesmal aber im etwas kleineren Kreis.“, erzählte die Silberhaarige uns.

„Das Haus war letztes Mal in so einem chaotischen Zustand, das ihre Eltern sie fast gekillt hätten.“, lachte Neru. „Hey, das ist nicht lustig“, beschwerte Haku sich.

Auch Lily und ich mussten lachen. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie das Haus gegen Ende der Feier wohl ausgesehen haben musste. Wie gut, das die Gäste nicht beim Aufräumen hatten helfen müssen.

„Ich nehme mal an wir sind eingeladen?“, hakte Lily forsch nach. Haku tat so als würde sie ernsthaft überlegen bevor sie antwortete. „Ihr könnt gern vorbeikommen. Aber wehe ihr flutet mein Zimmer noch mal.“, warnte sie.

„Was war das eigentlich? Wasser oder ursprünglich Schnee?“, wollte Neru wissen.

Ich kratzte mich verlegen am Kopf. „Schneematsch fürchte ich. Wir waren auf dem Balkon und sind von ner Schneelavine vom Dach erwischt worden.“

Die Silberhaarige holte aus und verpasste mir und der Blonden zum Dank eine Kopfnuss. Wir fluchten und rieben uns die Köpfe. „Nur ne kleine Rache für die Putzaktion.“

Schließlich kamen wir an einer Weggablung an, wo sich unsere Wege trennten. Wir verabschieden uns von unseren beiden Klassenkameradinnen und setzten den Weg fort.

„Sind deine Eltern eigentlich da?“, wollte ich wissen. Lily schüttelte den Kopf. „Ne, die sind noch arbeiten.“ Und nicht nur ich war froh darüber. Diese kalte und spießige Art war einfach furchtbar.

„Ich bin mal auf Samstagabend gespannt.“, streute ich ein.

„Diesmal sind zwar nicht so viele Leute da, aber es wird bestimmt lustig.“, stimmte meine blonde Freundin mir zu.

Vor dem Anwesen blieben wir stehen und Lily kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel um das Tor vor dem Haus zu öffnen. Ein Unterfangen, welches sich mit dicken Winterhandschuhen als gar nicht mals so leicht entpuppte. Schließlich hatte sie den passenden Schlüssel gefunden und wir betraten das Grundstück.

Noch schnell die Haustür aufgeschlossen, dann waren wir der Kälte auch schon entkommen.

Der alberne Malteser kam uns freudig kläffend entgegen gelaufen.

„Hildegard!“, rief ich aus und bückte mich. Das plüschige Tier sprang mir auf den Arm. Von der anfänglichen Feindseligkeit mir gegenüber war nicht mehr all zu viel vorhanden.

„Du bist der Kleinen ja mittlerweile richtig ans Herz gewachsen.“, grinste die Blondine mich an.

„Ach, wer kann meinem Charme auf Dauer schon wiederstehen?“, antwortete ich mit einem fetten Grinsen und zwinkerte ihr zu.

„Du bist unmöglich, weißt du das?“ „Ja ja, ist mir nichts Neues.“

Sie machte zwei Schritte auf mich zu und drückte mir einen Kuss auf. Ich konnte sie gerade nicht zu mir rüber ziehen, da ich den Hund noch auf dem Arm hielt.

Kaum hatte ich Hildegard wieder auf den Boden gesetzt, da machte sich mein Magen mit einem Knurren bemerkbar. „Hunger?“, stichelte meine Freundin. Ich kratzte mich leicht verlegen am Kopf. „Sieht wohl so aus.“

Dann wurde mein Blick etwas bettelnder. „Machst du uns was Zuessen, Schatz?“

Angesprochene nickte und kicherte leise. „Oh Meiko, was machst du nur, wenn du mal ne Woche auf dich allein gestellt bist?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Pizzataxi? Brot? Instant-Ramen?“

„So gesund!“, amüsierte Lily sich. Trotzdem ging sie rüber zur Küche. „Aber tu mir nen Gefallen und geh mal kurz mit Hildegard zur Straße, die muss bestimmt mal raus.“

Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, pflückte das quietschpinke Halsband und die farblich passende Leine vom Dielenschränkchen und krallte mir den Hund. Auch den Schlüsselbund steckte ich vorsichtshalber ein, um mich bei dem riesen Anwesen nicht am Ende noch auszusperren.

Den Malteser dazu zu bewegen vernünftig an der Leine zu gehen, vor allem in die Richtung in die ich wollte, war gar nicht so leicht. Das Viech hatte einfach keine Erziehung und war nach wenigen Schritten zu faul zum Laufen.

Irgendwie schafften wir es aber doch noch zur Straße, wo sich auch eine kleine Grünfläche befand.

Da es ziemlich kalt war, beeilte ich mich so schnell zurück ins Haus zu gelangen, wie es möglich war. Zur Abwechslung hatte der unerzogene Hund mal nichts dagegen einzuwenden und lief mir, wie ein Plüschball auf vier Beinen, nach.

Drinnen angekommen befreite ich Hildegard von der Leine und legte den Schlüsselbund zurück.

Als ich zurück in die Küche kam, war Lily schon fleißig damit beschäftigt das Mittagessen vorzubereiten.

„Du kannst schon mal Teller und so rausstellen.“, forderte sie mich auf. Ich verdrehte die Augen. „Sklaventreiberin.“ Die Blonde drehte sich um und warf mich mit einem Küchenhandtuch ab. „Faulpelz.“, grinste sie mich frech an.

Ich pflückte mir das Handtuch vom Kopf und legte es zurück auf die Küchenzeile. „Ein ganz schön großes Mundwerk.“, ging ich auf die Sticheleien ein.

Ich durchquerte die Küche, stellte mich hinter meine Freundin und schlag die Arme um sie. Die Kleinere hörte für einen Moment auf das Gemüse klein zu schneiden und schmiegte sich an mich.

Ich spielte mit einer der blonden Haarsträhnen, welche mich nach wie vor faszinierten. Wie schaffte sie es nur, das ihr Haar diesen goldenen Glanz hatte?

„Nicht das ich die Situation nicht genießen würde, aber ich fürchte so wird das Essen nie fertig. Na komm, hol schon mal das Geschirr aus den Schränken.“, forderte sie mich erneut auf.

„Mh, na meinetwegen.“ Mit einem Schmunzeln drückte ich ihr noch einen Kuss auf und begann dann damit die Teller aus einem der Küchenschränke zu suchen.
 

Nachdem wir gegessen, abgewaschen und die Küche wieder aufgeräumt hatten, gingen wir hoch in ihr Zimmer. Wir hatten leider noch einige Hausaufgaben, die erledigt werden wollten.

Zwar war die Politiklehrerin noch gnädig mit uns gewesen, die Englischlehrerin und der Geschichtslehrer dafür umso gemeiner.

„Wie wäre es damit? Jeder macht erstmal ein Fach und dann tauschen wir die Hefte?“, schlug ich vor. Lily zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „So lernen wir aber nicht wirklich was.“, gab sie zu bedenken. „Und so sitzen wir da stundenlang dran.“, konterte ich.

„Dann mach ich aber Englisch. Ich fürchte in diesem Fach deine Hausaufgaben abzuschreiben wäre eine dumme Idee.“, entschied sie dann. Genau die Antwort auf die ich gehofft hatte. Ich wollte mich irgendwie vor meinem Hassfach drücken.

„Hey, was soll das denn jetzt heißen?!“, beschwerte ich mich dennoch gespielt beleidigt.

„Na komm, das die Sprache nicht gerade zu deinen Stärken zählt ist kein Geheimnis Meiko.“ Lily verdrehte leicht die Augen.

„Dann übernehm ich Geschichte. Und keine Angst, in dem Fach fabriziere ich schon keinen Mist.“

„Och komm, jetzt schmoll nicht!“, schmunzelte meine Freundin, rückte zu mir rüber und gab mir einen Kuss, welchen ich nur zu gern erwiderte.

Dann rissen wir uns allerdings am Riemen und begannen mit den Hausaufgaben. Für Geschichte musste ich einige Daten aus dem Buch suchen und einen Text schreiben. Eine zeitraubende Aufgabe, die aber gut zu lösen war. Etwa zeitgleich beendeten wir unsere Aufgaben, tauschten die Hefte aus und begannen damit das jeweils andere Fach abzuschreiben.

Das Abschreiben dauerte nicht gerade lange und so schafften wir es unsere Hausaufgaben relativ schnell für beendet zu erklären.

„Das wäre geschafft!“, freute ich mich. „Kannst du laut sagen!“, pflichtete Lily mir bei.

Die Blonde stand auf und schaltete das Radio an. Auch ich erhob mich vom Boden, auf dem wir zum Hausaufgaben machen gesessen hatten.

„Ich schalt mal deinen Computer an. Habe gestern ne echt geniale Seite gefunden, die ich dir zeigen wollte.“, meinte ich dann. Kaito hatte mir die Seite per Mail geschickt und ich fand sie einfach zum totlachen.

Während ich also darauf wartete, das der PC hochfuhr, drehte ich mich mit dem Bürostuhl in Richtung des restlichen Zimmers.

„Wie gemein, klaut mir den einzigsten Sitzplatz im Zimmer.“, beschwerte meine Freundin sich gespielt beleidigt. Ich warf ihr ein Grinsen zu und klopfte leicht auf meine Oberschenkel. „Dann setz dich doch einfach zu mir.“

Angesprochene zog kurzzeitig eine Augenbraue hoch, grinste dann jedoch auch und setzte sich. Allerdings so, das sie mich ansehen konnte. Auf einem Bürostuhl ein recht wagemutiges Unterfangen. Um zu verhindern das sie gleich auf dem Boden lag, schlag ich schon ganz automatisch die Arme um sie und zog sie näher zu mir.

„Fall mir nur nicht.“, gab ich zu bedenken.

„Ganz überbesorgt, wie süß.“, lächelte meine Freundin mich an. „Na sei doch froh.“, ging ich auf das kleine Spielchen ein. Ich überwand die letzte Distanz zwischen uns und küsste sie. Die Blonde ging direkt darauf ein. Für einen Moment war der Computer im Hintergrund ganz vergessen.

Sie leckte leicht über meine Unterlippe, bat um Einlass. Der Kuss wurde intensiver. Ich fuhr ihr mit einer Hand unters Shirt und entlockte ihr ein wohliges Seufzen. Wir hatten die Umgebung ganz ausgeblendet.

Ein schwerer Fehler, wie sich im nächsten Moment herausstellen sollte. Ohne es auch nur zu ahnen, waren wir von einer Sekunde auf die andere schon beim nächsten Wendepunkt unseres Lebens angelangt.

Da wir beschäftigt waren und die Musik zudem auch noch laut lief, hatten wir die Schritte auf der Treppe nicht gehört. Auch hatten wir nicht gemerkt wie die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet wurde.

„Was zur Hölle?!“, riss uns eine polternde, fassungslose Stimme aus unserer eigenen kleinen Welt.

Wir fuhren zusammen und blickten sofort zur Tür. Der Schock stand uns ins Gesicht geschrieben.

Lilys Vater war heute scheinbar früher von der Arbeit zurückgekommen. Zumindest stand er jetzt im Raum und starrte uns fassungslos an.

Die Blonde stand schnell auf. Ich tat es ihr gleich. „Dad...!“, stammelte sie überrumpelt.

„Erklär mir das!“, forderte ihr Vater sie im eisigen Tonfall auf. Langsam schien er sich vom ersten Schockmoment erholt zu haben.

„Nun ja, ich fürchte da gibt es nicht viel zu erklären. Wir haben uns ineinander verliebt. Wir sind zusammen.“ Man sah der zierlichen Blonden an, das sie sich gerade sichtlich unwohl fühlte. Kein Wunder, bei dem Blick ihres Vaters.

„Seit wann geht das schon?“, wollte er dann wissen.

„Seit etwa zweieinhalb Monaten.“, ergriff nun ich das Wort. Die Art und Weise wie Lilys Vater mit seiner Tochter redete ließ mich schon wieder köcheln, doch ich versuchte mein Temperament so gut es ging unter Kontrolle zu halten und mir nichts anmerken zu lassen.

„Damit ist jetzt Schluss! Es hat ja schon gereicht das du uns damals diesen kriminellen Tsuyoshi ins Haus geschleppt hast, aber jetzt auch noch eine Frau?! Das geht zu weit. Das ist einfach nur widerlich!“, wetterte er los.

Die Blonde wurde blass, während meine Wut eher noch wuchs. Dennoch war sie es, die das Wort ergriff. Mit erstaunlich festem Blick schüttelte sie den Kopf und sah ihren Vater geradewegs an.

„Niemals. Ich lasse mir von dir doch nicht vorschreiben mich von der Person zu trennen, die ich über alles liebe!“

„Doch, das wirst du Fräulein.“ Seine Stimme war eiskalt, sein Blick schien uns beide zu erdolchen.

„Wie können Sie nur?!“, rief ich fassungslos aus.

„Vergiss es Dad! Das werde ich sicher nicht tun!“, schrie Lily ihn an.

Ihr Vater schritt durch den Raum und hielt kurz vor uns an. Für meinen Geschmack ein wenig zu nah. Ich war alarmiert, bereit im Bruchteil einer Sekunde zu reagieren. Ich konnte ihn absolut nicht einschätzen.

„Oh doch, das wirst du. Widersprich mir nicht.“, er baute sich drohend vor ihr auf. Für mich wurde es immer schwerer diesem Typen nicht direkt an die Kehle zu gehen.

„Das ist meine Sache, also misch dich nicht ein.“, verlangte Lily, der man ansah, das ihr die Situation langsam unheimlich wurde.

„Dir werde ich die Flausen austreiben!“ Ihr Vater schäumte vor Wut und hob die Hand. In dem Moment war es mit meiner Beherrschung vorbei.

Da ich genau neben meiner Freundin stand, schubste ich sie zur Seite, packte dieses Ekel von Vater am Kragen und riss ihn zu mir rüber. Ich schäumte vor Wut.

„Krümmen Sie ihr auch nur ein Haar und Sie können im nächsten Krankenhaus einchecken!“, knurrte ich ihn an. Mein Blick sprühte förmlich Zornesfunken.

„MEIKO! Hör sofort auf!“, schrie Lily entsetzt auf. „Lass ihn los!“

Ich funkelte den Mann noch einmal böse an und ließ seinen Hemdkragen dann wieder los. Erschrocken taumelte er einen Schritt zurück. Vielleicht war ihr Vater ein Stück größer als ich, doch war der Bürokrat sicherlich nicht halb so kampferfahren und wendig wie ich.

„Du bist ja total übergeschnappt!“, rief er aus.

Ich schüttelte nur leicht den Kopf, ging rüber zu meiner Freundin und legte demonstrativ einen Arm um sie.

„Ich beschütze sie nur, so wie es sich gehört.“, stellte ich kühl fest. „Eigentlich sollte Ihnen als Vater auch etwas mehr am Wohl ihrer Tochter gelegen sein.“

Er ging noch einen Schritt zurück um außerhalb meiner Reichweite zu sein. Nun wandte er sich wieder an die Blonde.

„Du setzt den guten Ruf unserer Familie aufs Spiel. So etwas dulde ich in meinem Haus nicht.“

Angesprochene rückte noch etwas näher an mich heran, um ihren Standpunkt klar zu stellen.

„Als ob mich das jucken würde.“, zischte sie.

Mit eisiger Mimik zeigte ihr Vater zur Tür. „Dann pack deine Sachen und geh.“

Uns entgleisten die Gesichtszüge. „Das kannst du nicht machen!“, rief die Blondine entsetzt.

„Oh doch, kann ich. In einer halben Stunde bist du verschwunden.“, stellte er fest.

„Du kannst nicht einfach deine eigene Tochter vor die Tür setzen!“

„Was sind Sie nur für ein Mensch?!“, entrüstete ich mich.

„Wenn du sie so liebst wie du sagst, dann wird sie sicher einen Platz für dich haben. Und ich bin jetzt schon gespannt, wann du mit deinen Koffern im Schlepptau wieder zurückgekrochen kommst, weil du endlich einen Geistesblitz hattest.“

Lily starrte ihn nur fassungslos an. Diese Ansage hatte ihr die Sprache verschlagen. Sie zitterte.

Es brauchte einen Moment bis ich die Sprache wieder gefunden hatte. Ich knuffte sie leicht, um sie zurück in die Realität zu holen.

„Meine Mutter wird schon nichts dagegen haben. Dieses Ekel da musst du dir nun wirklich nicht antun.“

Immer noch geschockt nickte sie leicht und ging auf ihren Kleiderschrank zu.

„Du bist für mich gestorben Dad.“, murrte sie ihrem Vater nur entgegen, welcher gerade dabei war das Zimmer zu verlassen.

Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, da bröckelte ihre Fassade auch schon. Tränen bahnten sich einen Weg über ihre Wangen.

Ich konnte sie nur zu gut verstehen. Dieses Haus entsetzte mich von Tag zu Tag mehr. Wie konnte man zu einem Familienmitglied nur so kalt sein? Es ging mir nicht in den Kopf.

Ich zog sie zu mir, umarmte sie und streichelte ihr tröstend über den Rücken. „Sssssh“

Die zierliche Blondine vergrub das Gesicht in meinem Pulli und drückte sich eng an mich. „Ich versteh das nicht.“, schluchzte sie. „Womit hab ich nur so gestörte Eltern verdient?“

Mir tat meine Freundin einfach nur leid. Da meine Mutter ganz anders war, konnte ich nur versuchen mir vorzustellen, wie schlimm eine solch eisige Familie wohl sein musste. Eine grauenvolle Vorstellung.

„Hey, das wird schon wieder.“, versuchte ich sie zu trösten. „Du kannst erstmal bei uns wohnen. Das renkt sich schon alles wieder ein.“

Zwar hatten meine Mutter und ich nur eine sehr kleine Wohnung, doch es würde schon irgendwie reichen. Auch wenn wir uns mein Zimmer teilen mussten, würden wir das sicher gut verkraften.

Das Lilys Mutter dem Vater der Blonden noch mal ordentlich den Kopf wusch, daran glaubte ich nicht wirklich. Die war doch selbst nicht besser und würde ihrem Mann sicher nicht widersprechen.

Als meine Freundin sich wieder halbwegs beruhigt hatte, packte sie die wichtigsten Sachen in Koffer und Taschen. Ich half ihr beim Tragen und so verließen wir kurze Zeit später das Haus. Ein mehr als merkwürdiges Gefühl. Wie musste das wohl erst für Lily sein?

„Was meinst du was deine Mutter dazu sagen wird Meiko?“, wollte sie wissen. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Sie wird nichts dagegen haben. Sie mag dich.“

Doch obwohl wir jetzt noch nicht damit rechneten, ein kleines Wunder sollte doch noch geschehen...

Ein neues Zuhause

Wie ich es mir schon gedacht hatte, war auch meine Mutter ziemlich geschockt darüber, das die Eltern meiner Freundin sie einfach vor die Tür gesetzt hatten. Natürlich hatte sie nichts dagegen, das die Blonde erstmal bei uns einziehen konnte. Nur mussten wir einen Weg finden, die finanzielle Lage zu lösen. Wir konnten uns nur eine sehr kleine Wohnung leisten und meine Mutter verdiente gerade so viel, das wir davon leben konnten. An Lebensmitteln fehlte es uns natürlich nie, wir besaßen wie alle Fernseher und Computer und ich bekam ein Taschengeld mit dem ich gut hin kam, doch einen Urlaub konnten wir uns zum Beispiel nicht mehr leisten. Wie gesagt – da Gehalt meiner Mutter reichte gut zum Leben für zwei Personen, doch wirklich viel Luxus war nicht drin.

Nun mussten wir das Monatseinkommen allerdings durch drei teilen, was knapp werden konnte.

Einen Nebenjob konnten wir nicht annehmen, da es für uns das letzte Jahr Schule war und wir um einen guten Abschluss bemüht waren. Das Lernen fraß in letzter Zeit ziemlich viel Zeit.

Unsere finanzielle Lage kannten allerdings nur meine Mutter und ich. Wir hatten gestern Abend noch einmal darüber geredet, doch hatten wir beschlossen der Blonden erstmal nichts zu sagen, um ihr nicht zu allem Überfluss auch noch ein schlechtes Gewissen zu machen.

Der heutige Schultag verging wie im Fluge. Als wir unseren Freunden von der Katastrophe gestern erzählten, waren diese ebenfalls geschockt. Niemand von uns hatte sonst solche furchtbaren Eltern und somit konnten alle nur die Köpfe schütteln.

Nach der Schule beschloss ich noch einmal mit meiner Sitznachbarin zu reden. Die Rosahaarige hatte schließlich ein eigenes Apartment und ich stellte mir die ganze Zeit über schon die Frage, wie sie es schaffte die Wohnung ohne einen Nebenjob zu finanzieren.

Neru und Haku quasselten gerade auf Lily ein, was recht praktisch war. So würde sie nicht mitbekommen, welches Thema ich anschnitt.

„Kann ich dich mal was fragen?“, begann ich, während ich meine Schulsachen zusammenpackte.

Luka zog eine Augenbraue hoch. „Sicher doch.“

„Wie schaffst du es, deine Wohnung zu bezahlen, ohne das du neben der Schule noch arbeiten gehst?“, wollte ich dann wissen. Angesprochene blickte mich einen Moment lang an, bevor sie antwortete. Ich konnte sehen, das sie kurz über meine Frage nachdachte, dann allerdings verstanden hatte worauf ich eigentlich hinaus wollte.

„Ich habe einfach nur Glück.“, sagte sie dann. „Meine Eltern finanzieren mir das Apartment und einen Großteil der anfallenden Kosten. Und da Miku fast dauerhaft bei mir wohnt, zahlen ihre Eltern ebenfalls noch etwas dazu.“ Wir redeten gerade so laut, das wir uns verstanden aber die restlichen Klassenkameraden nichts mitbekamen. Die meisten waren eh gerade dabei ihre Sachen zu packen, laut zu quatschen und die Klasse zu verlassen.

„Du hast es echt gut.“, stimmte ich ihr zu. Bevor ich noch etwas sagen konnte, blickten mich zwei intelligente, eisblaue Augen an. „Informiert euch mal genau über eure Rechte. So viel ich weiß, dürfen ihre Eltern sie gar nicht ohne weiteres rauswerfen. Und Anspruch auf das Kindergeld solltet ihr auch haben.“

Ich zog die Stirn kraus. „Bist du dir sicher?“ Luka zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Ganz sicher nicht, aber ich meine sowas in der Art mal gehört zu haben.“

Sie packte das letzte Buch in ihre Schultasche und zog deren Reißverschluss zu, bevor sie sie schulterte. „Informier dich am besten noch mal im Internet oder so. Ich will dir nicht am Ende noch was Falsches erzählt haben.“

Auch ich hatte meine Tasche gepackt. Just in diesem Moment hatten Haku, Neru und Lily ihr Gespräch beendet, denn sie steuerten zu meinem Sitzplatz rüber.

„Können wir dann?“, wollte die Blonde wissen. Ich nickte. „Klar doch.“ Kurz riskierte ich einen Blick auf die Uhr, dann stahl sich ein Grinsen auf meine Lippen. „Wenn wir uns beeilen, kriegen wir den Bus noch.“ Misstrauisch zog Lily eine Augenbraue hoch. „Was genau verstehst du unter beeilen?“ Sie wusste, das ich teilweise andere Vorstellungen von diesem Wort hatte als andere.

„Also 3 Minuten haben wir noch.“, entgegnete ich. Wenn wir nun also fluchtartig das Schulgebäude verließen, über die Straße sprinteten und die Ampel gerade grün war, hatten wir durchaus noch eine reelle Chance den Bus zu kriegen.

„Vergiss es!“, entrüstete die Blonde sich und verschränkte die Arme. „Wetten bei der Aktion landen wir am Ende noch im Krankenhaus?“

Ich verdrehte die Augen. „Du willst nur nicht rennen, oder?“ Sie deutete runter auf ihre Füße.

„Würdest du mit den Absätzen auch nicht.“

Ich zuckte nur leicht mit den Schultern. „Dann lass uns halt zu Fuß gehen.“ Lange dauerte der Weg bis nach Hause auch zu Fuß nicht. Vielleicht eine Viertelstunde und wir hätten meine Wohnung erreicht.

Die Nachbarklasse hatte heute noch eine Stunde länger Unterricht, sodass wir allein Richtung Schultor gingen. Wo die Jüngeren waren, konnte ich nicht so genau sagen. Vielleicht hatten sie ihre Klasse schon etwas früher verlassen können?

Gemeinsam machten wir uns also auf den Heimweg, redeten über Gott und die Welt, doch die Stimmung war gedrückt. Es war nur all zu verständlich, das die Sache gestern die Blonde ziemlich mitnahm.

Ich gab mein bestes sie ein wenig aufzumuntern, doch wirklich Erfolg hatte ich damit nicht. Schließlich gab ich es auf und legte nur einen Arm um sie, während wir nachhause gingen.
 

„Ah, da seid ihr ja wieder!“, rief meine Mutter aus, als wir die Wohnung betraten. Sie hatte heute Nachtschicht und war folglich den ganzen Tag über Zuhause.

„Hi Mom!“, rief ich von der Diele aus und schälte mich aus Mantel und Stiefeln. Lily tat es mir gleich. Die Blonde stellte sich vor den Spiegel, welcher in der Diele hing und begann damit ihre Haare auszukämmen. Heute war es ziemlich windig draußen und ihre Frisur dementsprechend in Mitleidenschaft gezogen worden.

„Wie war's in der Schule?“ wollte meine Mutter von der Küche aus wissen.

„Ach, eigentlich ganz okay.“, antwortete ich ihr. „Wir haben nur mal wieder ziemlich viele Hausaufgaben aufbekommen.“, fügte Lily hinzu.

Wir gingen in die Küche, da ich dort irgendetwas brutzeln hörte. Meine Mutter war so freundlich gewesen schon mal etwas Zuessen zu kochen. Wir waren genau rechtzeitig nachhause gekommen.

Beim Essen quatschten wir noch etwas und informierten meine Mutter über die neusten Neuigkeiten aus der Schule. Wirklich viel zu berichten gab es allerdings nicht.

Nach dem Essen halfen wir noch dabei die Küche wieder in Ordnung zu bringen, dann verzogen wir uns in mein Zimmer um Hausaufgaben zu machen.

„Hast du irgendetwas in Mathe verstanden?“, wollte die Blonde wissen und sah mich groß an.

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Mathe? Also eine Aufgabe konnte ich eben noch abschreiben, aber ansonsten versteh ich nur Bahnhof.“

Sie kratzte sich verlegen am Kopf. „Na dann willkommen im Club.“

„Ach komm, wir versuchen es einfach. Mehr als falsch kann das Ergebnis nicht sein.“, streute ich ein. „Also wenn du das in der Matheklausur auch so siehst, dann gute Nacht.“ Meine Freundin zog ein skeptisches Gesicht, während sie ihre Schulsachen aus der Tasche kramte. Wir breiteten unsere Hefte auf dem Boden aus, da hier einfach viel mehr Platz war.

„Erinner mich bloß nicht daran!“ Vor der Klausur graute es mir jetzt schon. Normalerweise konnte ich bei Problemen in Mathe immer Kaito um Hilfe bitten, doch zur Abwechslung verstand er das Thema auch mal nicht.

„Wie wäre es, wenn wir uns vorher noch mal mit Neru zusammensetzen?“, schlug Lily vor. Kurz überlegte ich. „Wäre vielleicht ganz ratsam.“ Sie setzte ein leichtes Lächeln auf. „Ich verstehe nicht, wie sie sowas wie Mathe nur logisch finden kann.“ „Also DAS ist mir auch ein Rätsel.“, pflichtete ich ihr bei.

Lily zückte ihr Handy und schickte Neru gleich mal eine SMS. Wie wir schon geahnt hatten, dauerte es keine Minute und sie hatte eine Antwort. Die Blonde schien ihr Handy immer und überall hin mit zu schleppen. So schnell wie sie, hatte ich bisher noch niemanden SMS tippen sehen.

„Sie schreibt das wir uns diesen Donnerstag mal zusammensetzen können.“, berichtete sie und zeigte mir kurz die SMS. „Vielleicht sind wir doch noch nicht ganz verloren.“ Ich hatte ein schiefes Grinsen aufgesetzt.

„Ach, sie wird uns das schon irgendwie erklären...hoffe ich.“ Wirklich überzeugend klang das in meinen Ohren allerdings nicht.

„Jetzt guck nicht so skeptisch!“, kicherte die Blonde, rückte näher zu mir und drückte mir einen Kuss auf. Das riss mich aus den Gedanken.

„Du setzt ja ziemliches Vertrauen in sie.“, stellte ich fest, schnappte mir eine der blonden Strähnen und spielte damit. „Naja, also bisher hat sie mich vor jeder wirklich schlechten Note in Mathe bewahrt.“, entgegnete meine Freundin.

„Na das lässt doch hoffen.“ Auch ich setzte ein leichtes Lächeln auf, zog sie etwas näher zu mir und gab ihr nun ebenfalls einen Kuss. Dann rissen wir uns allerdings zusammen und versuchten irgendwie die Matheaufgaben zu lösen.

Unsere Ergebnisse hätten unterschiedlicher nicht sein können, doch keine der Aufgaben sah auch nur im entferntesten richtig aus.

„Ich hab keine Lust mehr!“, jammerte Lily. Sie packte ihre Mathesachen zusammen und schlug stattdessen das BWL-Buch auf.

„BWL ist zwar viel zu schreiben aber eigentlich ganz einfach.“, versuchte ich uns beide irgendwie zu motivieren.

Es klingelte an der Tür. Wer das wohl war? Vielleicht der Briefträger oder der Paketbote?

Da meine Mutter allerdings auch zuhause war, ignorierten wir die Klingel einfach und widmeten uns den BWL-Hausaufgaben.
 

„Meiko! Lily! Kommt mal her, ihr habt Besuch!“, hörte ich meine Mom kurze Zeit später rufen. Ich warf meiner Freundin einen fragenden Blick zu. Hätte einer unserer Freunde vor der Tür gestanden, meine Mutter hätte ihn einfach durch die Wohnung zu meinem Zimmer wandern lassen.

So standen wir also auf, bahnten uns einen Weg an den Hausaufgaben, Heften und Büchern auf dem Fußboden vorbei und verließen mein Zimmer.

Von der Küche aus konnte ich zwei bekannte Stimmen reden hören. Einmal meine Mom und die andere gehörte... Lily warf mir einen genauso irritierten Blick zu. Wir konnten es beide nicht glauben. Als wir die Küche schließlich betraten, trauten wir unseren Augen nicht.

„Mom?“, wollte die Blonde ungläubig wissen. „Was machst du denn hier?“ Und tatsächlich : unsere Mütter hatten sich an den Küchentisch gesetzt und schienen etwas zu besprechen. Im Hintergrund blubberte der Wasserkocher vor sich hin. Teetassen standen schon bereit.

Die Mutter meiner Freundin deutete kurz auf die anderen beiden Stühle, welche am Küchentisch standen.

„Setzt euch doch zu uns.“

In unseren Gesichtern stand die Skepsis förmlich geschrieben, als wir der Aufforderung Folge leisteten und uns mit an den Tisch setzten.

Ihre Mutter warf uns ein leichtes Lächeln zu, das irgendwie gezwungen wirkte. Es war deutlich zu sehen, das sie sich alles andere als wohl in ihrer Haut fühlte.

Wir wussten nicht genau was wir sagen sollten und warteten darauf, das sie das Wort ergriff.

Hätten Lily und ihre Mutter sich nicht so ähnlich gesehen, ich hätte gedacht das sich zwei Fremde am Tisch gegenüber sitzen würden.

„Na das war ja eine ganz schöne Überraschung, was mein Mann mir da heute erzählt hat.“, begann sie dann. Allem Anschein nach war sie wohl erst heute nachhause gekommen und hatte die Neuigkeiten erst heute erfahren. Eine Geschäftsreise oder so, vermutete ich spontan.

„Sag einfach nichts dazu. Dad hat mir gestern wirklich schon gereicht.“, bat Lily sie.

Angesprochene schüttelte nur leicht den Kopf. „Nun, ich muss sagen das ich ziemlich überrascht war. Aber es ist mir lieber, als wenn du noch immer mit diesem Schlägertypen zusammen wärst.“

Wir warfen uns einen überraschten Blick zu.

„Echt jetzt?“, äußerte ich alles andere als geistreich. Die Mutter meiner Freundin warf mir einen Blick zu. „Seit ihr euer Kriegsbeil begraben habt, habe ich nur noch positives über dich gehört, Meiko.“, entgegnete sie mir. „Lily hat mir erzählt, das du sie hier hast übernachten lassen als Tsuyoshi ihr damals das Leben schwer gemacht hat. Und auch das du einiges eingesteckt hast, als du dich auf dem Schulhof zwischen die beiden gestellt hast.“

Ich wusste nicht genau was ich sagen sollte, doch das übernahm meine Mutter für mich. Sie sog scharf die Luft ein und blickte mich an. „Davon hast du mir ja gar nichts erzählt. Was hast du nun schon wieder angestellt? Sag nicht du hast dich schon wieder mit irgendwem geprügelt?“

„Sie hat sich nur verteidigt, als Tsuyoshi sie angegriffen hat.“, mischte die Blonde sich ein.

„Naja, Gakupo hat die Sache dann aber zum Glück geregelt.“, wich ich aus.

Meine Mutter warf mir noch einen skeptischen Blick zu, sagte aber nichts weiter. Ich wusste, das sie sich diesmal vermutlich nur Sorgen machte.

„Jetzt aber zurück zum Thema.“, lenkte ich ein. Dennoch warf die Mutter meiner Freundin mir noch einen Blick zu.

„Du passt auf sie auf, oder?“

Erst blickte ich sie irritiert an, da die Antwort doch so offensichtlich war, dann legte ich meine Hand auf Lilys, gut sichtbar für alle. „Natürlich tue ich das.“, verkündete ich. Auf den Wangen der Blonden hatte sich ein Rosaschimmer breit gemacht, als sie mir ein verlegenes Lächeln zuwarf.

„Aber sag mal, warum bist du eigentlich hier?“, wollte meine Freundin dann von ihrer Mutter wissen. Diese schwieg einen Moment und seufzte dann. Nach wie vor schien sie sich bei dem Gespräch unwohl zu fühlen.

„Nun, dein Vater hat es nicht mit mir abgesprochen, das er dich einfach vor die Tür gesetzt hat.“

Lily zog abwartend eine Augenbraue hoch.

„Ich muss zwar zugeben, das du teilweise ein absolut hoffnungsloser Fall bist und auch dein Benehmen oft zu wünschen übrig lässt.“, sie zog ein strenges Gesicht, „Doch trotzdem wollte ich sehen wo du jetzt lebst.“

„Ah, das ist es also.“

„Und Sie nehmen es einfach so hin, das Ihr Mann Ihre Tochter vor die Tür gesetzt hat?“, mischte meine Mutter sich ein. „Ich muss sagen, das ich gestern Abend ziemlich schockiert war.“, fügte sie hinzu.

„Mein Mann toleriert eine solche Beziehung nun mal nicht. Ich denke, es ist besser für den Hausfrieden, wenn sie erstmal nicht mehr zurückkommt.“

Meine Mutter und ich blickten erst Lily an, dann wanderten unsere Blicke rüber zu deren Mutter.

„Wie kann man sein eigenes Kind einfach rauswerfen? Sie ist nicht mals erwachsen.“, konterte Mom.

„Das lassen Sie bitte unsere Sache sein.“, blockte Angesprochene ab. „Aber ich kann verstehen, das Sie nicht gerade begeistert sind, eine kleine Wohnung mit 3 Leuten bewohnen zu müssen.“

Mom und ich funkelten unsere Besucherin gereizt an.

„Darum geht es doch gar nicht!“, regte ich mich auf.

„Mich stört es nicht das Lily hier miteinzieht und Meiko hat auch nichts dagegen, aber es geht ums Prinzip. Man kann sein Kind doch nicht wegen so einer Nichtigkeit ausquartieren.“

„Wie gesagt, das lassen Sie bitte meine Sache sein. Aber mein Mann und ich werden natürlich für die anfallenden Kosten aufkommen.“

Die Mutter meiner Freundin blickte nun rüber zu ihrer Tochter, die die ganze Zeit über bedrückt geschwiegen hatte. „Das Geld für dein Hobby und Taschengeld zahlen wir natürlich auch weiterhin.“

„Na mit Scheinen schmeißen kannst du scheinbar nach wie vor noch.“, stellte die Blonde kühl fest.

„LILY!“, wetterte ihre Mutter los. Angesprochene stand von ihrem Platz auf.

„Ich geh in unser Zimmer.“, murrte sie nur und ließ ihre Mutter einfach stehen.

„Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Sie sie immer behandeln wie eine Fremde.“, wandte ich mich kopfschüttelnd an ihre Mutter, stand dann jedoch auf und folgte meiner Freundin.

Kaum hatten wir den Raum verlassen, da brach in der Küche ein Streit los, der sich kurze Zeit später jedoch wieder legte.

Etwa 10 Minuten hörten wir die beiden Erwachsenen noch miteinander reden, dann verabschiedete der Besuch sich auch schon wieder. Wir machten uns nicht die Mühe extra noch mal zur Tür zu gehen. Vermutlich würde Mom uns eh noch erzählen, was genau sie jetzt abgesprochen hatten.

„Und dir macht es auch wirklich nichts aus, das wir jetzt so zusammenrücken müssen?“, erkundigte meine Freundin sich. Wir hatten uns bequem auf mein Bett gelegt, kuschelten etwas und hatten bis eben unsere Mütter belauscht.

„Quatsch, wo denkst du hin?“ Ich zog sie näher zu mir und sortierte ihr einige verirrte Strähnen aus dem Gesicht. „Ich bin eher froh, dich näher bei mir zu haben.“

Ich warf ihr ein Lächeln zu und auch auf die Lippen meiner Freundin hatte sich ein Lächeln gelegt.

Sie zog mich zu sich runter und küsste mich. Ich schloss die Augen und erwiderte.

Als wir uns wieder voneinander lösten, blickte sie mich glücklich an.

„Weißt du, wenn es euch wirklich nicht stört, dann bin ich eigentlich ganz froh endlich ein netteres Zuhause zu haben.“, meinte sie dann.

„Ach, ich glaube das wird cool.“, freute ich mich. Dann fiel mir allerdings noch etwas ein.

„Ah ja, nur eine Sache.“, begann ich. Lily blickte leicht fragend zu mir rüber. „Und die wäre?“

„Erschlag mich nicht, wenn ich mit Kaito und Gakupo abends mal was trinken gehe.“ Ich grinste schief.

„Du bist unverbesserlich, weißt du das, Meiko?“ Die Blonde schüttelte leicht den Kopf, drehte sich auf den Bauch und beugte sich dann über mich, um mir erneut einen Kuss aufzudrücken.

Ich genoss die Situation, auch wenn mir gerade tausende blonde Strähnen ins Gesicht gefallen waren, was furchtbar kitzelte.

Plötzlich klopfte Mom von außen gegen die Zimmertür. Lily sah aus, als hätte sie beinah eine Herzattacke erlitten. Bei dem Gesichtsausdruck konnte ich ein Kichern nicht mehr unterdrücken.

„Ihr macht doch Hausaufgaben, oder Mädels?“, rief Mom nur lachend, ließ die Tür geschlossen und lief wieder Richtung Wohnzimmer.

Mich wunderte das nicht weiter, da es ihre Art war, manchmal spontan vor die Tür zu hauen um einen zu erschrecken.

„Ja, klar doch!“, rief ich nur.

Dann blickten wir uns an. „Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn wir die Hausaufgaben noch zuende machen würden.“, schlug ich vor.

„Besser als am Ende noch nachsitzen zu müssen.“, stimmte Lily mir zu.

Und so setzten wir uns wieder mit den ganzen Heften auf den Boden, krallten uns unsere Stifte und stürzten uns wieder auf die Arbeit.

Epilog

Inzwischen waren gute 1 ½ Jahre vergangen. Wir hatten die Schule verlassen und steckten mitten in unserer Ausbildung. Mir machte die Arbeit als Zollbeamtin großen Spaß. Anfangs hatte ich noch darüber nachgedacht nicht vielleicht eine Weile lang zur Bundeswehr zu gehen, doch meine Freundin hatte es mir schlichtweg verboten. Sie hatte einfach zu große Angst, das man mich erschießen könnte, was eigentlich ziemlicher Schwachsinn war.

Ihr zu Liebe hatte ich allerdings auf diese Karriere verzichtet und beim Zoll angefangen. Zwar hatte sie nach wie vor Angst, das ich mal an einen Idioten geraten könnte, doch ein Job im Büro wäre einfach nichts für mich gewesen.

Sie selbst hatte es an die Rezeption eines Hotels verschlagen. Als ich sie einmal von der Arbeit abgeholt hatte, hatte ich mir ein Bild von ihrem Arbeitsplatz machen können. Das Hotel sah schon von außen so teuer aus, das wohl nur sehr reiche Leute sich einen Aufenthalt darin leisten konnten.

Wenn die Blonde von ihrer Ausbildung erzählte, dann meistens das viele ausländische Gäste tagtäglich eincheckten und sie sehr viel Englisch sprechen musste. Aber auch Lily bereitete ihre Ausbildung viel Freude.

Nach dem ersten Jahr unserer Ausbildung verdienten wir endlich genug Geld um uns eine eigene Wohnung leisten zu können. Meine Mutter hatte es zwar nicht gestört, das wir die ganze Zeit über bei ihr gewohnt hatten, doch vermutlich war sie froh nun endlich ein wenig mehr Platz in ihrer Wohnung zu haben, auch wenn sie Schwierigkeiten damit gehabt hatte mich ziehen zu lassen.
 

„Holst zu eben den neuen Farbeimer, Rin?“ Da ich derzeit auf einer Leiter stand und auf der Plane, welche auf dem Boden lag überall Farbkleckse waren, wollte ich nur ungern ins andere Zimmer laufen.

„Klar doch!“ Die Jüngere warf mir ein fettes Grinsen zu, lief los und kam kurze Zeit später mit einem Eimer weißer Wandfarbe zurück ins Zimmer geschleppt. Das zierliche Mädchen hatte sich einen Hut aus einem Blatt Zeitung gefaltet und war selbst schon über und über mit weißer Farbe verunstaltet. Wie gut das sie alte Sachen trug. Nun...vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, das ich selbst nicht besser aussah.

„Ich glaube Kaito und Gumi reißen gerade den Wohnzimmerschrank ab.“, stellte sie fest.

Kurz kletterte ich von meiner Leiter um die Farbrolle, welche ich in der Hand hielt, in den neuen Eimer einzutauchen. Ich nickte ihr dankbar zu, da sie mir den Weg bis ins Wohnzimmer erspart hatte.

„Wirklich? Aber die Beschreibung von dem Teil sah doch gar nicht so schwer aus.“, stellte ich irritiert fest. Rin zuckte nur mit den Schultern. „Tja, die sind trotzdem zu blöd dafür.“

„Verdammt, kommt doch mal bitte einer in die Küche! Der Tisch bricht gleich zusammen!“, hörte ich Len rufen. Ich zog eine Braue hoch. War es denn so schwer simple Möbel aufzubauen?

Seine Schwester verdrehte nur die Augen und lief in besagten Raum um ihm zu helfen.

Ich konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe und strich die Wand der Diele weiter. Das neue Weiß ließ den Raum gleich viel frischer aussehen.

Hinter mir wurde die Haustür aufgeschlossen. „Vorsicht mit der Kiste!“, hörte ich eine Stimme im Treppenflur.

Nur zwei Sekunden später ging die Tür dann auf und Gakupo und Haku betraten die Wohnung. Sie trugen eine lange Pappkiste, die für eine Person wohl viel zu unhandlich gewesen wäre.

„Euer Badezimmerschrank ist soeben angekommen.“, stellte die Silberhaarige grinsend fest.

„Wow, ihr seid echt super Leute.“, bedankte ich mich von der Leiter aus und warf ihnen ein breites Lächeln zu. „Ach, ist doch selbstverständlich.“, meinte der Lilahaarige sofort.

„Neru ist mit dem Leihwagen vorhin noch mal zurück zum Möbelhaus gefahren. Ich glaube mit der nächsten Fuhre haben wir dann soweit alles rüber gebracht.“, erklärte Haku. Dann schleppten die beiden das Paket ins Bad, da der Schrank dort auch aufgebaut werden sollte.

Vom Wohnzimmer aus war ein lautes Poltern zu hören. „Du Idiot! Ich hab doch gesagt du sollst das Brett festhalten!“, hörte ich Gumi fluchen.

Nach dem Krach kamen die Zwillinge aus der Küche gelaufen um nachzusehen, was genau passiert war.

Als Rin den Kopf wieder in die Diele streckte, hatte sich ein wissendes Grinsen auf ihren Lippen breit gemacht. „Hab ich's doch gesagt. Die sind nicht in der Lage den Wohnzimmerschrank aufzubauen.“ Nun kletterte ich doch mal von der Leiter. Die Wand war eh so gut wie gestrichen.

„Geht's dir gut Kaito?“, hörte ich Len zweifelnd fragen.

„Trotzdem, ich glaube ohne euch wären wir verloren.“, stellte ich noch einmal fest.

Vorsichtig schritt ich über die Farbflecken auf dem Boden hinweg um nun auch einen Blick ins Wohnzimmer zu riskieren. Ich konnte gerade noch sehen, wie Kaito und Gumi sich unter den zusammengefallenen Brettern des Wohnzimmerschranks herauswühlten.

„Leute, alles in Ordnung mit euch?“, wollte ich wissen. Die beiden nickten nur.

Erneut wurde die Haustür aufgeschlossen. „Leute! Mittagspause!“, hörte ich die Stimme meiner Freundin rufen. Als sie das Wohnzimmer betrat, war sie mit zwei großen Plastiktüten bewaffnet.

„Oh endlich. Ich glaube ich sterbe gleich vor Hunger.“, stellte der Lilahaarige fest. „Mir geht’s nicht anders.“, stimmte Kaito zu, der es endlich geschafft hatte sich vom Wohnzimmerschrank zu befreien.

„Lass mich raten, der Besitzer der Pommesbude kennt uns jetzt schon mit Vornamen?“, wollte ich grinsend wissen. „So in etwa.“, stellte Lily lachend fest.

„Also ich glaube wir können sogar schon in der Küche essen. Der Tisch und die Stühle stehen.“, berichtete Len. „Als wenn du das ohne mich geschafft hättest.“ Rin piekte ihren Bruder grinsend in die Seite.

Ich wollte meine Freundin zur Begrüßung in die Arme ziehen und ihr einen Kuss aufdrücken, doch überraschenderweise wich die Blonde ein Stück zurück.

„Du hast Farbe an den Händen und im Gesicht, Schatz.“, stellte sie fest. „Echt? Also zumindest die Farbe im Gesicht ist mir noch nicht aufgefallen.“, gab ich nicht gerade geistreich zurück.

„Sie ist aber da, Meiko.“ Lily grinste mich amüsiert an, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen Kuss.

Gemeinsam begaben sich alle in die Küche. Und tatsächlich – der Raum sah schon richtig wohnlich aus. Bis auf die Plane, welche auf dem Boden ausgebreitet war, war schon fast alles aufgebaut.

Esstisch, Stühle, die Küchenzeile und ein Großteil der Küchenschränke standen schon.

Wir suchten uns alle einen Platz rund um den Tisch, packten das Überlebenspaket der Pommesbude aus und gönnten uns erstmal eine kleine Pause. Wenn das so weiter ging, dann sollten wir alle Schränke bis heute Abend aufgebaut haben. Es war wirklich Wahnsinn wie viel unsere Freunde und wir in nur zwei Tagen geschafft hatten.

„Sag mal, bis wann hast du eigentlich noch Urlaub?“, wollte Kaito von mir wissen. „Nur noch morgen, dann muss ich wieder arbeiten:“, gab ich Auskunft.

„Ich hab noch nen Tag länger frei.“, streute Lily ein. „Aber irgendwer muss ja schließlich die Wohnung putzen.“

Erneut wurde die Haustür geöffnet. „Der Umzugskarton ist so verdammt schwer.“, hörte ich Miku in der Diele fluchen. „Was soll ich denn sagen? Ich kann den Schuhschrank in Spe kaum hochheben.“, konterte Luka.

„Leute hört auf zu quatschen sondern helft mir lieber! Die Kiste ist so schwer, ich rausch hier gleich die Treppen runter!“, konnte ich Neru vom Hausflur aus keifen hören.

Kaito, Gakupo und ich waren sofort auf den Beinen und liefen in die Diele um den anderen zu helfen. Als der Umzugskarton und der Schuhschrank sicher in der Diele standen und Neru gerettet war, begaben wir uns alle zurück in die Küche. Auch die drei anderen hatten Hunger und waren froh über die Mittagspause.
 

Gegen Abend hatten wir es mit der Hilfe unserer Freunde wirklich geschafft alles wichtige aufzubauen. Wie viel unsere kleine Gruppe in der Zeit doch geschafft hatte. Wenn ich mir die Wohnung nun so ansah, dann war ich wirklich sprachlos.

„Ohne euch würden wir jetzt immer noch vor lauter Kisten und Chaos stehen. Ihr seid echt super Leute!“, bedankte die zierliche Blondine sich bei unseren Freunden.

„Da kann ich nur zustimmen. Ohne euch hätten wir das sicher niemals geschafft.“

Die gesamte Gruppe warf uns ein gut gelauntes Lächeln zu. „Ach nicht der Rede wert. Dafür sind Freunde doch da.“, stellte Gumi fest.

„Ich muss immer noch grinsen, wenn ich daran denke wie sehr ihr euch mal gehasst habt.“, begann Kaito. „Und jetzt zieht ihr sogar in eine gemeinsame Wohnung.“

„Diese Wandlung ist echt unglaublich. Aber mittlerweile kann man sich die beiden gar nicht mehr getrennt vorstellen, was?“, streute Rin ein.

Nachdem wir noch etwas geredet hatten, verabschiedeten sich Rin, Len, Kaito, Gakupo, Luka, Miku, Haku, Neru und Gumi schließlich wieder.

Als ich die Wohnungstür hinter ihnen schloss und mich zu meiner Freundin umdrehte, seufzte diese.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen wie erledigt ich nach dieser Umzugsaktion bin.“, stellte sie fest.

„Glaubst du mir geht’s anders?“

Da das Sofa erst morgen Vormittag geliefert werden würde, ließen wir uns auf zwei Stühle in der Küche fallen.

„Das Gröbste ist geschafft, oder?“, wollte ich dann wissen. Angesprochene nickte. „Ja, ich glaub schon.“

Dann fiel ihr noch etwas ein. „Wir müssen morgen früh nur noch die ganzen Umzugskartons auspacken.“ Ich nickte. „Ist schon klar.“

Wir erhoben uns von unseren Sitzplätzen und begaben uns auf unseren kleinen Balkon. Die Sonne war inzwischen dabei unterzugehen. Da es Sommer war, war die Luft aber noch angenehm warm.

Irgendwo im Gras unter dem Balkon konnte man die Grillen zirpen hören.

„Unsere erste eigene Wohnung. Ich kann's noch gar nicht wirklich glauben.“, stellte ich fest.

„Nach dem was wir alles durchgemacht haben, haben wir uns diese Wohnung aber auch bitter verdient.“ Lily lehnte sich mit den Armen leicht auf die Balkonbrüstung und blickte runter in den Innenhof. Auch sie konnte es noch kaum glauben. Ein neues Zuhause, das ganz allein uns gehörte.

Ich schlang die Arme um sie und blickte über ihre Schulter hinweg in die Ferne.

„Ich bin so froh, das wir im letzten Schuljahr endlich zur Vernunft gekommen sind.“, streute ich ein. „Na und ich erst. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wo wir jetzt wären, wenn wir das Kriegsbeil damals nicht begraben hätten.“

Ich schüttelte nur leicht den Kopf. Die blonde Schönheit drehte sich in meiner Umarmung um, sodass sie mich ansehen konnte.

„Aber wir haben es begraben. Und jetzt sind wir hier.“, antwortete ich mit einem glücklichen Lächeln.

Sie beugte sich rüber zu meinem rechten Ohr. „Ich liebe dich.“, flüsterte sie mir zu.

Ich zog sie näher zu mir und küsste sie. So standen wir nun auf dem Balkon unseres neuen Zuhauses und genossen die Ruhe nach diesem mehr als anstrengenden Tag.

Die längste Zeit unserer Schulzeit hatten wir uns gehasst, doch ein einfaches Englischprojekt hatte uns endlich hinter die Masken der jeweils anderen blicken lassen. Wir hatten erkannt, das sich hinter der Fassade eines im ersten Moment unsympathischen Menschen so viel Gutes verbergen konnte. Gemeinsam hatten wir so viele Probleme überstanden. Tsuyoshi, den Rauswurf damals aus dem Haus ihrer Eltern und die allgemeine Akzeptanz eines doch eher ungewöhnlichen Paares.

Und nun waren wir hier, standen mit beiden Beinen im Leben und waren glücklich.

Für uns hatte sich der Spruch 'Gegensätze ziehen sich an' wirklich bewahrheitet, denn unterschiedlicher konnten wir nach wie vor nicht sein.

„Ach Meiko?“, hörte ich Lily leise sagen.

„Mh?“

„Du hast immer noch Wandfarbe im Gesicht.“ Ich konnte ein leichtes Lachen nicht unterdrücken. „Halb so wild.“
 

~~~~~~~~~~~~~FIN~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
 


 

* Wow, ich habe es endlich geschafft - die FF ist beendet. Im Gegensatz zu einigen anderen meiner FFs hatte ich bis zum Ende großen Spaß am schreiben.

Anfangs fand ich das Pairing meiner Story selbst sehr ungewöhnlich, doch mittlerweile ist es mir richtig ans Herz gewachsen.

Vielleicht interessiert es ja wen wenn ich euch erzähle, das ich mir zu keiner Zeit einen genauen Plan über die Story gemacht habe. Ich habe in jedem Kappi einfach etwas weitergesponnen und war selbst gespannt, wie lang die Geschichte denn werden würde.

Ich bin mir noch nicht ganz sicher ob meine nächste FF nun noch mal Vocaloid (diesmal aber dann Luka x Miku) beinhalten wird, oder ob ich etwas zu MaiHime schreibe. Naja, mal sehen.

Auf jeden Fall vielen Dank für die ganzen Favos und eure Kommentare Leute!



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Kommentare zu dieser Fanfic (35)
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Von:  Miosempai
2012-04-06T23:50:00+00:00 07.04.2012 01:50
also mir hat die fanfic gefallen=)
ich weiß, die ist schon länger beendet, aber wollte nur sagen, dass ich das Pairing mag und das ende natürlich :D
Von:  YuriNeko
2012-01-08T16:28:27+00:00 08.01.2012 17:28
es ist traurig, dass die story jetzt schon ein ende hat, doch es ist so gut geworden, dass man es akzeptieren kann :3 der plötzliche zeitsprung war einbisschen überraschend, aber ich finde, besser hätte man die geschichte gar nicht abschließen können :D es ist toll, dass alles doch noch gut ausging :3
das ist wohl wirklich eine der schönsten FFs die ich bis her gelesen habe *-*

mgggggvlG *Q*
Von:  BlackSherry22
2012-01-06T22:48:37+00:00 06.01.2012 23:48
Die Fanfiction war echt sehr schön geschrieben!*.*Hätte auch gern noch weitere Kapitel gelesen ._. ...Aber auch so und mit diesem tollen Ende hat es mir viel Freude bereitet,diese FF zu lesen!

Schöne Grüße ;)
BlackSherry15
Von:  dragon493
2012-01-06T18:18:57+00:00 06.01.2012 19:18
tolle fanfiction
hat mir sehr gut gefallen wie sich die beziehung zwischen den beiden verändert habe
auch das end war super
lg dragon493
Von:  YuriNeko
2012-01-02T18:34:29+00:00 02.01.2012 19:34
wie der vater, so die mutter -.- anscheinend bedeutet ihr ihre tochter nicht viel, sonst hätte sie sich vielleicht von diesem arschloch scheiden lassen ~_~"
naja, wenigstens hat sich das mit dem geld jetzt geregelt (ist doch so oder?)
woah >.< Sowas kann man doch nicht eltern nennen! einfach unfassbar *seufz*
nya, bin gespannt wie es weitergeht ._.

gggvlG ^^
Von:  YuriNeko
2011-12-24T13:36:06+00:00 24.12.2011 14:36
hehe^^ die beiden sind ja schon wie ein verheiratetes ehepaar xD
*räusper* aber dass Lilys vater so eine mieses schwein ist >_< hallo? der hat sie doch nicht mehr alle! XO das ist ja schon sexistisch! das jugendamt wartet schon auf ihn ~_~ so...
wunder, wunder... wo bleibt der weihnachsmann? T_T arme Lily

ggggglG :3
Von:  YuriNeko
2011-12-17T20:08:17+00:00 17.12.2011 21:08
Huhu *-*
geniales kapi! echt jetzt! x333
Meikos mutter hat's drauf :D ja, wenn alle mütter bloß so wären ^_^ aber da ihr mutter es schon weiß, frag ich mich doch ob Lilys mom das auch erfährt >:3 so könnte die story dramatischer werden *sadistisch grins*
hach ja, Traumschiff Surprise :'D hat irgendwie voll zu der situation gepasst xD
und ob die beiden miteinander geschlafen haben oder NUR geschlafen haben, überlassen wir also der fantasie, ne? xD

gggggglG :3
Von:  HarukalovesMichi
2011-12-17T17:32:22+00:00 17.12.2011 18:32
Woahhh cool ich will mehr :D bzw. beantwort mir eins, die haben doch nicht etwa...also ham die nur soooo nackt geschlafen xD
Von:  YuriNeko
2011-12-11T14:58:04+00:00 11.12.2011 15:58
GE-NI-AL!!!!!!!!!!!! *_____________________*
es war klar, dass es in diesem kapi richtig zur sache gehen würde, aber WIE das eben passiert.....einfach TOLL! *Q* vorallem das lied! *-* (anfangs dachte ich, da kommt jettz sowas wie bei High School Musical x'D) All the Things She said ist wirklich perfekt für dir beiden geeignet x3 (t.A.T.u ftw! X3)
und jetzt steht es eindeutig fest: Das hier ist das ALLER beste kapi!!!! (>*.*)>
schade, dass die Ff bald zu ende geht ._. aber wenn es soweit ist, wird sie zum 2 mal durchgelesen! x'D *das ernst meint*
freu mich schon auf das nächste kapi :33

gggggggglG! x3
Von:  Jamie-
2011-12-11T11:56:11+00:00 11.12.2011 12:56
Es wurde tatsächlich kitischig^^
*rosa Fähnchen schwenk*
Ich habe dir doch schon geschrieben was ich lesen will *evil smile*
Bin mal gespannt wie die Story aus geht^^
Etwas Spielraum bleibt ja noch ^^


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