Das Ende vom Ende von easy ================================================================================ Kapitel 1: Regen ---------------- Regen Leise Tropfen schlugen in der Ferne auf Asphalt. Es war mir, als ob sie flüsterten. Ich ahnte, es war bloß Wasser. Meine Sinne spürten den Regen, der Geruch zog in meine Nase, tränkte meine Kleidung. Und doch, in einem Winkel meines Herzens ergriff mich die Angst: Vielleicht sind die Tropfen ja rot? Angestrengt suchte ich nach dem süßlichen Geruch von frisch vergossenem Blut. Du irrst dich, sang eine Stimme in meinem Inneren. Es regnet bloß. Der Gedanke scheuchte die Müdigkeit mit einem Schlag fort. Verschwommen nahm ich, am Ende des hellen Zimmers, zwei bekannte meeresblaue Augen wahr. Zwei menschliche meeresblaue Augen. Das Fenster war offen, der Regen prasselte. Kein Blut. Bloß Regen. In meinen Erinnerungen suchte ich vergebens nach dieser Szene. Der schöne Junge mit den menschlichen Augen sah mich an. Ich fragte mich, ob er sich an diesen Moment erinnern konnte. Langsam merkte ich, wie sich ein dicker Kloß in meiner Kehle bildete. Mein Herz raste, in meiner Brust wuchs ein seltsames Gefühl von Erleichterung. „Ich habe geträumt…“, hörte ich mich sagen. Meine Stimme klang seltsam schräg und brüchig. Sezru tat einen Schritt auf mich zu. „Ein Alptraum?“ Ich musste lachen. „Nein…“, schluchzte ich. Für Sekunden schloss ich meine Augen und lauschte nur dem Geräusch des Regens. In meinem Körper floss neue Kraft, meine Stimme wurde wieder fester. Ich öffnete die Augen. „Ein Alptraum ist es nie gewesen.“ Jetzt lachte auch Sezru. Zitternd setzte er sich auf meine Bettkante und legte sein Gesicht in seine warmen blassen Hände. Ich streifte mit meiner Hand über seinen Rücken. Tränen flossen seinen Arm herunter. Wir beide lauschten den fallenden Tropfen. Es regnete bloß. Bloß für einen Augenblick. Kapitel 2: Vollkommen --------------------- Vollkommen Seine Arme hielten mich fest. Die ganze Zeit über. Sein frischer süßer Duft durchtränkte mich, während ich wie blind durch die Traumwelt stolperte, ohne Ziel, ohne Gefühl. Es regnete nicht mehr, als ich den Schlaf erneut aus meinen Augen wischte. Der Regen hatte aufgehört, aber dennoch Spuren hinterlassen. Ich schmiegte mich mehr in seine Umarmung und richtete meinen Blick zur Decke. Weiß, schneeweiß. Perfekt. Vollkommen. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Vorsichtig löste ich mich von ihm und tapste geräuschlos aus dem Zimmer. Stille hatte sich in jeder Ecke des Hauses breit gemacht. Ich konnte mich nicht entsinnen, dass ich jemals in diesem Haus mit ihr Bekanntschaft gemacht hatte. Doch jetzt war sie hier. Für wie lange wohl? Ich suchte meine Antwort auf der Uhr mit den bunten Zeigern. Der Morgen war längst hereingebrochen. Ich ließ mich davon nicht beirren, hüpfte in meine gelben Gummistiefel und ging nach draußen, der Sonne entgegen, den Morgen zu begrüßen. Auf dem Hügel, auf dem man unser gesamtes kleines Dorf überblicken konnte, hielt ich lange inne. Ich spürte so stark das Verlangen, mich in das weiche Gras zu setzen, dass ich die Nässe ganz vergaß. Die Sonne kitzelte meine Haut, die Tropfen schillerten golden um mich herum. „An was denkst du, June?“ Ich erschrak nicht, ich hatte sie kommen hören. Ich drehte mich nicht um. Ich antwortete nicht. Ich wollte ihre Stimme noch einmal hören. Noch viele tausende Male. Leicht, singend, voller Gefühl. Voller Liebe. „Ich bin oft hier, wenn ihr nicht da seid. Ich lese hier eure Briefe aber und abertausende Male. Hier ist es voller Leben, beruhigend zugleich, himmlisch schön.“ Sie verstummte, sie schwieg. Ich drehte mich nicht um. Ich sah sie nicht an. „An was denkst du, Amme?“ Für einen Moment befürchtete ich, sie sei gegangen, doch dann war sie wieder da, die Melodie, die mich mein ganzes bisheriges Leben begleitet hatte. „Wie perfekt dieser Ort doch ist. Wie weiß, wie schneeweiß die Birkenhügel, wie golden die Regentropfen auf dem grünen Gras, wie blau der unendliche Himmel, wie hölzern die Häuser, wie vertraut mir die Menschen. Alles, alles ist so…vollkommen.“ Ich sog ihre Worte in mich ein, spürte, wie sehr sie mich mit Mut versorgten, mit Hoffnung, mit Liebe. Spürte, wie sehr ich sie vermisst hatte. Ihre Worte. Ihre Stimme. Sie. „Nichts ist vollkommen“, flüsterte ich, während sie sich Millimeter hinter mir ins feuchte Gras setzte. Ich drehte mich nicht um. Aber ich sah sie trotzdem. Sie überwältigte mich trotzdem. Amme, weißt du denn nicht? Es stimmt nicht, was ich sage. Denn du bist vollkommen. Für mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)