Die britische Regierung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Vergessen -------------------- Vergessen Sie saß auf einem Stuhl. Die Augen geschlossen und die Hände auf den Schoss zusammen gefaltet. Wenn man sie so ansah, konnte man glauben, dass sie schlief. Doch sie lauschte. Hörte den Worten einer vollkommen ruhigen und sanften Stimme zu. Die Stimme las ihr ein wunderschönes Gedicht vor. Sie kannte es noch aus ihrer Jugend, oder zu mindest glaubte sie das. Genau erinnern konnte sie sich nicht. Trotzdem mochte sie es. Der letzte Vers erklang und die Stimme verstummte. Ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Langsam öffnete sie die Augen und sah den jungen Mann vor sich sitzen, dessen Stimme sie so bezaubert hatte. Wer er war, wusste sie nicht, auch wenn er ihr irgendwie bekannt vorkam. Aber das konnte sie sich auch nur einbilden. „Das war wirklich schön vorgetragen.“ lobte sie ihn strahlend. Immer wieder erfreute es sie, wenn Leute ihr etwas vorlasen. Sie selbst konnte nicht mehr sonderlich gut lesen. Ihre Sehkraft war dazu zu schwach und die Lesebrille bereitete ihr Kopfschmerzen. Aber so war das nun einmal im Alter. „Es freut mich, dass es ihnen gefallen hat.“ Bedankte er sich und lächelte sie an. Es war kein wirkliches Lächeln, dass sah sie sofort. Er zwang sich dazu, ganz so als habe er einen Fehler gemacht, denn sie nicht sah. Oder vielleicht wollte er auch einfach nicht hier sein. Sie würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er so denken würde. Immerhin war er jung und hatte sicherlich besseres zu tun, als einer alten Frau wie ihr, Gedichte vorzulesen. „Wenn Sie wollen, können Sie ruhig gehen. Ich möchte Sie nur ungern dazu zwingen Ihre kostbare Zeit mit mir zu verbringen Mr… wie war noch gleich ihr Name?“ Das aufgesetzt Lächeln verschwand aus seinem Gesicht und dafür wurde sein Blick traurig, schon fast deprimiert. Hatte sie ihn mit dieser Frage etwa verletzt? Gewollt hatte sie das nicht. „Mein Name ist Mycroft Holmes.“ Erwiderte er, nachdem er kurz Luft geholt und alle Emotionen aus seinem Gesicht verbannt hatte. Doch trotzdem hörte sie Schmerz in seiner Stimme. „Entschuldigen Sie Mr. Holmes, ich wollte sie nicht mit meiner Vergesslichkeit verletzen.“ Entschuldigte sie sich bei ihm. Für einen Moment schloss Mycroft die Augen und schüttelte dabei den Kopf. „Das haben Sie nicht, seien Sie unbesorgt.“ Er zog eine Taschenuhr aus seiner Jackettasche hervor und studierte sie kurz. Dann stand er auf. Er jetzt fiel ihr auf, wie unheimlich groß er war. Aber vielleicht war sie auch einfach nur zu klein. „Es wird Zeit für mich zu gehen. Ich besuche sie bald wieder und lese Ihnen etwas vor.“ Versprach er ihr und brachte sie so zum Lächeln. Darauf freute sie sich jetzt schon. Sie hatte so gerne Besuch. Mit diesem Versprechen verlies Mycroft Holmes den Raum und schloss die Tür hinter sich. Für Sekunden verhaarte er vor der Tür. Sein ganzer Körper zitterte, was für ihn vollkommen untypisch war. Doch so erging es ihm immer wieder, wenn er seine Mutter besuchte. Sie hatte alles vergessen. Sherlock, ihn und sogar ihren einst so geliebten Ehemann. An nichts konnte sie sich mehr erinnern. Jede Woche, wenn er sie besuchte, hielt sie ihn immer wieder aufs Neue für einen Fremden. Fragte nach seinem Namen und vergas ihn dann wieder. Sie vergas ihren eigenen Sohn! Diese Erfahrung schmerzte immer wieder aufs Neue. Verletzte ihn, wie nichts zuvor. Und trotzdem hörte er nicht auf sie zu besuchen. Kam jede Woche wieder und lies sich von ihrem Vergessen verletzen. Und das nur, weil er sie liebte, wie keinen anderen Menschen auf der Welt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)