Im Schein des An Zhulid von Pansy ================================================================================ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Kapitel 2 Moder, Verrottung, Zerfall. Sofort steigt mir unangenehmer Duft in die Nase, als ich die Hütte von Uria betrete, wie sie mein Vater immer liebevoll genannt hat. Von dem einstigen Flair ist nicht viel übriggeblieben. Die Betten an der linken Wand sind halb zerfallen, die Matratzen verdreckt und zum Großteil zerfressen. Die rechte Tür des Kleiderschranks hängt mehr schlecht als recht in einer ihrer Angeln und ich möchte gar nicht so genau wissen, was sich im Inneren des Schranks so alles befindet, denn die Anzahl der Spinnen, die ich bereits entdeckt habe, bewegt mich nicht unbedingt dazu, hier lange verweilen zu wollen. Kaum vorstellbar, dass ich hier als Kind mit meinen Eltern gewesen bin. Trotz des Verfalls, der sich mir hier darbietet, fühle ich aber noch immer ein klein wenig von der Vertrautheit, die mich vorhin übermannt hat. Mein Vater hat diesen Ort innig geliebt und soweit ich mich zurückerinnern kann, tat ich dasselbe. Die Hütte von Uria war wie ein kleines Märchenschloss für mich gewesen. Der Bach ein paar Meter weiter war der Burggraben, der uns vor unliebsamen Widersachern schützte. Auf einmal fühle ich wieder den Schmerz tief in mir, der mir die Kehle zuschnürt, sich unsanft um mein Herz legt und mir droht, den Atem zu nehmen. Warum hat mich Kell hierher geführt? WARUM? Kell tritt an mir vorbei und versucht vergeblich die Schranktür zu schließen. „Sieht nicht gut aus“, kommentiert er und ich bin mir sicher, dass er damit die gesamte Hütte meint und nicht nur das Stück Holz zwischen seinen Händen. „Was machen wir dann hier?“, entgegne ich abweisend. Ich fühle eine unsichtbare Wand, die mich immer weiter zurückdrängen möchte, raus hier, weg von dem Ort, der mich so lebhaft an meine Eltern erinnert. Und doch stehe ich wie zur Salzsäule erstarrt da und sehe fragend in Kells schwach beleuchtetes Gesicht. Das Tageslicht dringt nur spärlich durch die schmutzigen Fenster, von denen es wie jeher nur zwei gibt, eines nach Osten, eines nach Süden hin. Mein Vater sagte immer, dass ich genau auf das Fenster auf der Ostseite achten solle, wenn die Sonne aufgeht. Wenn ich ganz konzentriert hinschauen würde, würde ich ein magisches Lichtspiel sehen. Doch so sehr ich mich damals angestrengt habe, habe ich es nie gesehen. Das kleine Mädchen, das ich damals war, war deshalb sogar einmal so sauer deswegen, dass es eine ganze Stunde lang nicht mehr mit seinem Papa redete … Kells braune Augen liegen forschend auf mir und ich bin redlich bemüht, den Blickkontakt nicht zu unterbrechen. „Wir bleiben nicht lange“, meint er und tritt auf mich zu. Sein Blick ist so intensiv, dass ich meine Augen nun doch abwende. Als sie über seine Kleidung hinwegstreichen, sehe ich kleine Risse in seinem dünnen Mantel. Schon heute Nacht, als wir uns bei der Ruine meines Elternhauses getroffen haben, habe ich mich gefragt, weshalb er sich nicht ein paar ältere Sachen für die Suchaktion herausgesucht hat, doch wie ich nun sehe, war er sich nicht zu schade gewesen, dennoch kräftig mit anzupacken. „Warum hast du mir geholfen?“ Nun sehe ich doch wieder auf und ihn direkt an. Warum sollte eine fremde Person diesen weiten Weg auf sich nehmen, um einer verwaisten jungen Frau beim Erbe ihrer Eltern zu helfen? Es werden Menschen auf mich zukommen, von deren Existenz ich nichts wusste … Was haben mir meine Eltern verschwiegen? „Das hatten wir schon, Elea“, sagt Kell ruhig und schenkt mir ein kleines Lächeln. Sein Blick ist aber noch genauso prüfend wie zuvor. „Aber ich habe dir Antworten versprochen.“ Er deutet auf etwas zu seiner Rechten. Ich folge seinem Finger und ein Schauer jagt meinen Rücken hinab. Kell deutet geradewegs auf das Fenster, das ich früher immer stundenlang vergeblich angestarrt habe. „Was hat das Fenster damit zu tun?“, frage ich absichtlich vollkommen ahnungslos. Magisches Lichtspiel … Das hat es doch nur in der Fantasie meines Vaters gegeben! Oder es war etwas gewesen, das er sich ausgedacht hat, um mich ein bisschen zu beschäftigen, damit ich etwas hatte, worüber ich grübeln konnte. „Wenn Licht auf Glas trifft und Zweige beginnen, sich im Wind zu wiegen, tanzen sie im Schein der Sonne“, haucht Kell, als er an das Fenster tritt. Ehrfurchtsvoll legt er eine Hand an die Scheibe, wobei ich ihn wie gebannt beobachte. Seine dunkle Gestalt verschwimmt immer mehr vor meinen Augen und ich konzentriere mich nur noch auf das Glas, das er berührt. Das Licht der Sonne umspielt seine Finger und angetrieben durch meine Neugier, nähere ich mich. Es ist wie damals. Ich schaue hin und schaue hin, aber nichts passiert. Wie durch jedes andere Fenster auch dringt das Sonnenlicht hindurch und verleiht allem, was es berührt, einen leichten Schimmer. Nicht mehr und nicht weniger. „Sieh genau hin“, fordert mich Kell auf und die Worte brechen wie eine Brandung über mich herein. Es tut so weh, so verdammt weh. Für einen Moment sehe ich meinen Vater vor mir, wie er mir bekräftigend zunickt, mir Mut macht, dass ich es weiter versuchen solle. Für einen Augenblick sehe ich lange braune Haare und grüne Augen im Fenster, die erwartungsvoll auf das Glas starren. Ich sehe ein kleines Mädchen, das voller Hoffnung ist. Ja, ich war voller Hoffnung gewesen. Auch nachdem ich eine Stunde nicht mehr mit meinem Vater geredet hatte, habe ich weiterhin jeden Morgen dieses Fenster anvisiert und auf das magische Lichtspiel gehofft. „Elea, sieh genau hin“, hatte er immer gesagt. „Da ist nichts“, stoße ich würgend hervor und kämpfe gegen den Schmerz an, der von allen Seiten her auf mich einprügelt. „Schau auf meine Hand.“ Alles, was ich sehe, sind lange schlanke Finger, die aufgrund unserer nächtlichen Aktivitäten ziemlich geschunden sind. Und da sehe ich ihn, einen tiefen Schnitt in seinem Ringfinger, auf dem verkrustetes Blut klebt. „Du bist verletzt“, raune ich und strecke eine Hand nach seiner aus. Haut trifft auf Haut. Wärme trifft auf Wärme. Und mit einem Mal wird das Leuchten um seine Finger grell und vibrierend. Ich stolpere zwei Schritte zurück und fasse mir mit beiden Händen an die Brust. Dann kneife ich die Augen zusammen und schaue abermals auf seine Hand. „Was war das?“, möchte ich wissen und suche das Leuchten von eben vergeblich. Es ist nicht mehr da. Verunsichert schüttele ich mein Haupt. So lange habe ich auf irgendein Lichtspiel gewartet und nun, als es für einen Moment vorhanden war, schüchtert es mich ein. Kell dreht sich nach mir um. „Die erste Anwort.“ „Auf was?“ „Du hast es vorher noch nie gesehen, oder?“, hakt er verblüfft nach. Ich schüttele nur den Kopf. „Interessant.“ Kell findet anscheinend alles interessant. „Antwort auf was?“, wiederhole ich nun ein bisschen energischer. Er lächelt bekümmert. „Das ändert alles. Wir gehen.“ Kaum dass er das gesagt hat, tritt er mit großen Schritten an mir vorbei. Irritiert sehe ich ihm nach, folge ihm aber nicht ins Freie. Stattdessen laufe ich zurück zum Fenster, hebe meine Hand und lasse sie zögerlich vor der Scheibe verweilen. Wie lange habe ich bereits hier gestanden und darauf gewartet, dass irgendetwas passiert? Doch Papa war nie enttäuscht gewesen, dass ich es nicht gesehen habe, sondern hatte mich vielmehr nur immer wieder von Neuem ermutigt, es zu probieren. Vorsichtig überbrücke ich die letzten Zentimeter und presse meine Hand an das schmutzige Glas. Meine Finger werden ganz gewöhnlich von der Sonne umringt. Kein widernatürliches Leuchten, kein seltsames Vibrieren. „Ich sehe es nicht, Papa“, streift mein warmer Atem das Glas und beschlägt es leicht. „Jetzt nicht mehr.“ Als ich aus der Hütte trete, sehe ich Kell zwischen ein paar Bäumen stehen, den Blick starr auf mich gerichtet. Eine seichte Brise spielt mit seinem Haar und weht es ihm leicht aus der Stirn. Sein Mantel bauscht sich leicht nach hinten auf und gibt die Sicht auf einen dunkelblauen Pullover und eine schwarze Stoffhose frei. „Wie hast du das gemacht?“, rufe ich ihm zu und verharre auf der letzten Stufe, die zur Hütte führt. Er setzt sich in Bewegung und als ich denke, dass er auf mich zuläuft, wendet er sich nach links und geht den Weg zurück, den wir gekommen sind. Einen letzten Blick auf die Hütte von Uria werfend eile ich ihm verärgert hinterher. „Von wegen, du gibst mir Antworten, du machst alles nur noch schlimmer!“, fahre ich ihn an, als ich ihn eingeholt habe. Abrupt bleibt er stehen und zwingt mich ebenfalls dazu, indem er meinen Arm packt. „Hör zu, ich dachte, dass ich sie dir geben könne, aber es hat mir keiner gesagt, dass du es nie gesehen hast! Auch wenn du es nicht verstehst, diese Tatsache ändert nun mal alles. Ich weiß selbst nicht weiter, zumindest noch nicht. Lass es bitte vorerst darauf beruhen, okay?“ Wild klopft mein Herz in der Brust und ich starre ihn mit offenem Mund an. Verwirrung beherrscht meinen Verstand. „Meine Eltern kommen auf mysteriöse Weise ums Leben, das Haus, in dem ich groß geworden bin, wird mutwillig in Brand gesteckt, dann tauchst du auf und forderst von mir, in der Nacht die Trümmer zu durchsuchen, anschließend führst du mich hierher und plötzlich sehe ich das Licht, auf das ich früher vergeblich gewartet habe. Zumindest glaube ich, es gesehen zu haben. Wie kommst du auf den Gedanken, dass das okay sei?“ Ich presse meine zittrigen Finger gegen den Stoff meiner Hose und sehe plötzlich Sterne vor meinen Augen tanzen. Ein großer Schatten legt sich über Kells Gestalt und verdrängt das Tageslicht, das schwach durch die Baumkronen fällt. „Elea?“ Seine Stimme klingt besorgt, doch ich höre sie kaum. Mit einem Mal verfärbt sich alles schwarz. Schwarz wie die tiefste Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)