Todfreunde von -Echo ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war einer jener seltenen Stunden, die Succubius Eißpin auf dem Dach seines Schlosses verbrachte, ein Ort, der ihn für gewöhnlich schon lange nicht mehr zu reizen vermochte. Doch an diesem taufeuchten Sommermorgen – die Sonne hatte sich gerade erst über den Horizont erhoben und die Luft war noch frisch und kühl – hatte ihn irgendetwas hier hierauf getrieben. Vielleicht war es die Stille, diese Abgeschiedenheit, doch die hätte er in seinen Gemächern ebenso gut haben können. Vielleicht war es die um diese Uhrzeit noch süß duftende Luft, die ihm vom lauen Wind um die Nase geweht wurde, oder es war dieser beruhigende Blick in die Ferne, bis hin zu den blauen Bergen und in die Wolken darüber. Es hätte dem Schrecksenmeister nicht egaler sein können. Er saß auf einem kleinen Vorsprung, einem Sims, direkt neben einem furchterregend drein blickenden Gargoyle, wohl wissend, dass er ebenfalls als ein solcher hätte durchgehen können, und blickte über die noch schlafende Stadt. Wieder einmal fiel ihm auf, wie distanziert er doch von dem Geschehen dort unten war, wie weit davon entfernt, obwohl es sich praktisch direkt vor seiner Haustür abspielte. Doch er lebte hier allein, in seiner eigenen Stadt, in seiner eigenen Welt, ja, vielleicht sogar in seinem eigenen Universum, in welchem er Regent und Untertan zugleich war, herrschend über sich selbst, beherrscht von sich selbst. Allein... Eißpin fuhr sich mit der Hand durch das schütte Haar und seufzte kaum hörbar. Nein, er war eben nicht mehr allein, nicht mehr der einzige Bewohner seiner dunklen Dimension. Jemand war hinein gestolpert, sorglos hinein getapert, war durch die endlosen Korridore seines Reiches gewandert und hatte schließlich mit großen, unschuldigen Augen auf etwas geblickt, was für immer hätte verborgen bleiben sollen. Sein Selbst. Der Schrecksenmeister hatte keine Ahnung, wie das hatte passieren können. Seit mehr als vierzig Jahren lebte er nun schon in selbst gewählter Einsamkeit und hatte in all dieser Zeit niemals das Bedürfnis nach Gesellschaft verspürt, nie den Drang nach Dingen wie Freundschaft, Kameradschaft, Liebe. Schon gar nicht nach Liebe. In einem kurzen Anfall von kalter Wut trat Eißpin gegen eine lose Ziegel, die scheppernd vom Dach rutschte und nach einer Sekunde der absoluten Stille auf dem Erdboden zerschellte. Dann beruhigte er sich wieder. Seine Gedanken wanderten vom Schattenriss eines verlorenen Traumes zurück in die Gegenwart und damit zurück zu ihm. Echo. Was war das für ein wunderliches Wesen, das er sich da ins Haus geholt hatte? Wie kam es, dass er so anders war, als all seine vorherigen Forschungsobjekte, all die anderen Gegenstände seiner Studien, und nicht zuletzt als all seine anderen Opfer? Lag es daran, dass er eine Kratze war? Sicherlich. Und dann doch wieder nicht. Es war sein Charakter, seine unverblümt offene, weil naive Art, diese kindliche Neugierde und zugleich erstaunliche Ignoranz, die den Schrecksenmeister über alle Maßen faszinierte. Wobei, 'faszinierte'... nein, das war das falsche Wort. 'Berührte' traf es eher. Traf ihn eher. Er hatte sich erwischt, hatte sich bei etwas ertappt, dass ihn überrascht, ja geradezu geschockt hatte, in jener Nacht, in der Echo ihm in dem Raum mit den verhüllten Möbeln begegnete, den er nur zu diesen gewissen Zeiten betrat. In jener Nacht, als sie noch lange zusammen saßen, er in seinem obligatorischen Sessel, die kleine Kratze friedlich schnurrend auf seinem Schoß. Er hatte gelächelt. Und es war ein ehrliches, freundliches, beinahe liebevolles Lächeln gewesen, das ihn selbst mit einem Gefühl der Wärme füllte, wie er es schon ewig nicht mehr empfunden hatte und eigentlich auch nicht hatte empfinden wollen. Es machte einen schwach, machte einen verletzlich. Und doch... Sie hätte für ihn ewig dauern können, diese Nacht. Zum ersten Mal gab es etwas, das ihn von seiner immerwährenden Rastlosigkeit erlöste und ihm Frieden schenkte, ihn beruhigte und von Grund auf entspannte, sodass er sich in diesem kalten, trostlosen Schloss wirklich und wahrhaftig zu Hause fühlten konnte, wie er es noch nie zuvor getan hatte. Echo zu betrachten, ihm einfach nur zu zu sehen, wie er schlief, wie er gespannt seinen Geschichten lauschte oder wie seine Ohren so lustig zuckten, wann immer er auf der Pirsch nach Wollmäusen, kleinen Spinnen oder umher wehenden Staubflusen war, stimmte ihn in letzter Zeit froher als jedes noch so grausame Buch über Schrecksenverbrennung. Was war das für ein Gefühl, dass sich in seiner Brust erhob, wenn der Kleine mit leuchtenden Augen auf all die kleinen Wunder schaute, die für ihn längst Alltäglichkeiten geworden waren, wenn er wieder einmal verwundert feststellen musste, dass er, Echo, sich nicht mehr im Geringsten vor ihm zu fürchten schien, so abstoßend und widerwärtig er sich selbst auch empfinden mochte? Hatte sich so etwa Freundschaft angefühlt? Er vermochte sich nicht zu erinnern.... Dann sprang Eißpin plötzlich auf und begannt zornig auf der schmalen Ebene des Daches auf und ab zu laufen. Nein! Das durfte, das konnte er nicht zulassen! Er war so kurz davor zu erreichen, wovon er sein Leben lang geträumt hatte, so kurz davor etwas zu vollenden, das auf ewig in die zamonischen Geschichtsbücher eingehen würde. Da wäre es doch gelacht, wenn ihm so etwas unsinniges wie Gefühle in die Quere kommen würden! Wind kam auf und fuhr dem Schrecksenmeister durch das nachtschwarze Gewand. Nein, sein Entschluss stand fest. Der Vollmond würde kommen und wenn es an der Zeit war, würde die Kratze durch seine Hand, sein Skalpell sterben. Kurz und schmerzlos zwar, doch sie würde sterben, daran führte kein Weg vorbei. Wie hatte er überhaupt auf den Gedanken kommen können, mit dieser Kreatur Freund zu sein? Welch ein ausgemachter Schwachsinn! Er hatte keine Freunde, wollte keine Freunde, brauchte keine Freunde, so war es von je her und so war es auch jetzt. Und überhaupt: Diese Kratze war nur Mittel zum Zweck, war ein Objekt, Fett auf vier Beinen sozusagen. Und wer freundete sich schon mit einem Objekt an, mit einer Sache, mit einem Gebrauchsgegenstand? Niemand! Er nicht! Aufgebracht und wütend über diesen Moment der Schwäche raffte Eißpin seinen Umhang zusammen und machte sich auf den Rückweg in sein Labor. Es gab viel für ihn zu tun bis der Erdtrabant seine volle Form erreicht hatte: Experimente wollten durchgeführt, Theorien überprüft und Formeln erprobt werden. Und nicht zuletzt musste eine Kratze gemästet und ihr Hirn mit Wissen gefüttert werden, denn nur so war für das Gelingen seiner Vision garantiert. Und gelingen würde sie, oh ja, koste es, was es wolle! Nichts in Zamonien, nichts auf diesem ganzen Planeten würde ihn abhalten, jetzt nicht mehr, wo er seinem Ziel so nah war, so unfassbar nah! Die klappernden Schritte des Schrecksenmeisters hallten forsch und unerbittlich im noch leeren Ledermausoleum wieder und schickten die Botschaft seiner Ankunft in die am anderen Ende der schmalen Treppe gelegenen Räume, wo Echo bereits saß und auf ihn wartete, auf eine neue Geschichte, eine neue, spannende Lektion hoffte und nicht ahnte, dass seine Anwesenheit in seinem Meister etwas ausgelöst hatte, was diesen zum Wanken brachte, was ihn in seiner tiefsten Überzeugung erschütterte. Denn Eißpin war zu weit gegangen, das wusste er, auch wenn er es nicht wahr haben wollte. Er hatte seinem kleinen Gast in einem Moment der Unachtsamkeit, in einem Moment der Vertrautheit sein wahres Ich offenbart und das war etwas, was er nicht würde zurück nehmen konnte, so sehr er es auch versuchte. Er kannte ihn nun, kannte ihn auf eine Weise, wie ihn niemand sonst in ganz Zamonien kannte und das aus einem einzigen, geradezu idiotischen Grund: Eißpin wusste, dass Echo ihn hatte weinen sehen. Und vielleicht – da war er sich nicht sicher und wollte es auch gar nicht sein – hatte er es gewollt. Vielleicht hatte er tief in seinem Inneren den irrsinnigen Wunsch gehegt, jemandem zu zeigen, dass auch er verletzlich war, dass auch er Schmerz empfand. Dass es einen Grund gab, warum er war, wer er war. Was für ein Irrsinn! Als der Schrecksenmeister schließlich seinem Schüler gegenüber trat, war sein Gesicht die übliche autoritäre Maske und der Wille dahinter eisern und bestimmt. Nur noch wenige Tage, nur noch wenige Nächte und er würde sich zur Krone der Schöpfung aufschwingen, zum ultimativen Herrscher über Leben und Tod. Und dann war all das nichts weiter als eine Lappalie, eine niedere Belanglosigkeit und ein unsinniges Zögern auf seinem Weg nach ganz oben, etwas, das er milde belächeln würde, wenn er sich auf seinem Thron niederließ, ein Glas Wein einschenkte und der Unsterblichkeit entgegen sah. Ja, Succubius Eißpin lebte in seiner eigenen Welt, wo er unnachgiebig herrschte, über sich und über das, was er tief in seinem Inneren verbarg. Und in dieser Welt war definitiv kein Platz für zwei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)