Wie immer von PlanTeaWolf (OS-Sammlung) ================================================================================ Kapitel 1: Gilbert ------------------ Alleine. Das war er immer gewesen. Zumindest war es – egal zu welcher Zeit – immer darauf hinausgelaufen. Als er klein war: Alleine. Ebenso jetzt. Doch was sollte es? Zusammenrotten war für Feiglinge. Für solche, die alleine nicht zurechtkamen. Er war alleine besser dran. So war er unabhängig. Musste keine Rücksicht auf jemanden nehmen. Tat er ohnehin nur bedingt. Auf ihn hatte man ja auch nie Rücksicht genommen. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, dass das Gegenteil der Fall gewesen war. Schon als Kind hatte er Kriege geführt. Musste für sein Wohl kämpfen. Selbst unter „Freunden“ war es nicht anders gewesen. Paradebeispiel dafür waren Roderich und Elizabeta. Turtelten rum, wenn er daneben saß. Blendeten ihn regelrecht aus. Und er durfte dann dasitzen, ihnen zuschauen und –hören. Sich dennoch verlassen und einsam fühlen. Genauso war es im Endeffekt auch mit seinem Bruder verlaufen. Er hatte auf einiges verzichtet, um Ludwig großzuziehen. Hatte vieles – selbst sein eigenes Land, das er so geliebt hatte – geopfert, um für ihn da zu sein. War regelrecht durch die Hölle gegangen – um Ludwig zu schützen. Und für was? Als er wieder zurück aus dieser elendigen Kälte Russlands war schien Ludwig nur bedingt bewegt zu sein. Zwar hatte er geweint wie ein kleines Kind, ihn umarmt und an sich gedrückt, als wolle er ihn nie wieder gehen geschweige denn loslassen; aber schon am nächsten Tag benahm er sich, als wäre er nie fortgewesen. Als wäre nichts geschehen. Ludwig hatte in Feliciano „Ersatz“ gefunden. Er war jetzt das Wichtigste in seinem Leben, nicht mehr sein großer Bruder. Und dann wunderte man sich, wieso er jetzt nicht zusammen mit den anderen feiern wollte. Warum er sich weigerte, mit ihnen zu trinken, zu lachen und das neue Jahr willkommen zu heißen. Es würde sich ja aber doch nichts dadurch ändern. Jetzt würden sie ihm vielleicht etwas Beachtung schenken, aber sobald diese alberne Silvesterfeier geendet hatte würden sie ihn wieder unbeachtet lassen. Wie immer. Also blieb er in seinem Zimmer. Wie immer. Lediglich einige Flaschen Bier – einige bereits geleerte, einige volle – zur Gesellschaft. Wie immer. Einsam. Wie immer. Kapitel 2: Ivan --------------- Schnee. Wohin er auch blickte. Alles weiß. Kalt. Er war es gewohnt, aber es gab Momente, in denen er dieses frostige Wetter hasste. Sich nach Wärme sehnte. Sonne. Sommer. Und Sonnenblumen! Aber seine Sommer waren nicht das, was er sich wünschte. Ja; warm – heiß – waren sie. Aber kurz. Viel zu kurz im Kontrast zu den langen und meist harten Wintern. Doch die Kälte war bei Weitem nicht das Schlimmste. Gegen sie ließ sich leicht etwas unternehmen. Warme Kleidung. Eine voll aufgedrehte Heizung. Aber gegen die Einsamkeit hatte er kein Mittel. Mit ihr würde er leben, sie ertragen müssen. Ob er nun wollte oder nicht. War es aber nicht sein eigenes Verschulden? Hatte er sich diese Verlassenheit nicht selbst zuzuschreiben? Hatten sie ihm nicht den Rücken gekehrt, weil er war, wie er war? Weil er nicht ‚ganz sauber tickte‘? Weil er von rotem Schnee und von vor Schmerz verzerrten Gesichtern schwärmte? Natürlich. Doch dafür konnte er nichts. Seine Vorgesetzten trugen die Schuld daran. Seine Politiker. Seine Geschichte. Und sie trugen auch ein jeder seinen Teil dazu bei. Eduard. Toris. Raivis. Yekaterina. Natalia. Gilbert. Sie alle hatten ihn verlassen. Obwohl sie wussten, wie kaputt er war. Wie kaputt er ist. Seine Stirn gegen die kalte Fensterscheibe lehnend schaute er hinaus. Schaute auf das kalte Weiß, das alles bedeckte. In der Sonne funkelte und glitzerte. Wie er es hasste. War weiß nicht die Farbe der Unschuld? Der Reinheit? Warum war dann hier alles weiß? Wo dieses Land doch nicht unschuldig war. Nicht rein. Es war grausam. Brutal. Deswegen war der Schnee in Russland seiner Meinung nach rot. Tiefrot. Wie von frischem Blut verfärbt und jeglicher Unschuld und Reinheit beraubt. Ein Lächeln schlich auf seine Lippen, während er seinen Kopf so senkte, dass sich ein dunkler Schatten über sein Gesicht legte. Seine Schultern bebten. Leises Kichern erfüllte den Raum. Sich von der Glasscheibe wegdrückend wandte er sich um. Verließ sein Zimmer. Sein Haus. Stapfte raus in den unberührten Schnee. Wie immer, wenn der Wahnsinn sich in sein Bewusstsein schlich. Wie immer, wenn er allmählich nicht mehr Herr seiner Sinne war. Wie immer, wenn er weder aus noch ein wusste. Kapitel 3: Antonio ------------------ Hart. Das war sein Leben schon lange gewesen. Seit die einstige Glorie ihr Ende gefunden hatte. Daran gestört hatte er sich jedoch nie. Nein, nie stimmte nicht. Selten. Das traf es besser. Manchmal trauerte er den alten Zeiten hinterher. Manchmal. Ganz, ganz selten. Noch seltener, nachdem dieser Italiener in sein Leben getreten war. Lovino war zwar alles andere als ein artiges Kind gewesen – benahm sich immer noch völlig daneben – aber dennoch wollte er ihn nicht missen. Er mochte Kinder. Und ganz besonders diesen Rotzbengel. Doch war es auch dieses Gör, das sein Leben noch eine Spur härter machte. Lovino wollte nicht gehorchen. Lovino wollte nicht im Haushalt helfen. Lovino wollte prinzipiell nicht das, was er wollte. Trotzdem liebte er Lovino. Vielleicht auch gerade deswegen? Denn in seinem Herzen war er doch eigentlich ein gutes Kind. Und weil er ihn so liebte konnte er ihm einfach nicht böse sein. Nicht für das gänzlich unangebrachte Verhalten in diversen Situationen. Nicht für die grobe Art, wie er von Kindesbeinen an mit ihm umgesprungen war. Nicht für die bösen Worte – die Beleidigungen – die er ihm Tag für Tag für Tag an den Kopf warf. Zuckend zogen seine Mundwinkel sich nach oben. Hellten die verfinsterte Miene dennoch nicht auf; verzogen sie eher zu einer leidenden Grimasse. Er war ein Idiot. Klammerte, obwohl er abgewiesen wurde. Vernachlässigte sein eigenes Wohlergehen, um für Lovinos zu sorgen. Übernahm auch dessen Aufgaben zuzüglich zu seinen eigenen. Aber er konnte nicht anders. So war es kaum verwunderlich, dass er abermals derjenige war, der nachgab. Nach der beinahe antiken Schale greifend, in der sich gut ein halbes Dutzend Tomaten befand, erhob er sich vom Sofa. Schaute die roten Früchte an. Lächelte nun doch ein richtiges Lächeln. Dann trottete er gemächlich in eines der Zimmer seines Hauses. Lovinos Zimmer. Kissen flogen ihm entgegen, als er die Tür öffnete. Gefolgt von Meckern und Zetern. Wie immer. Doch es kümmerte ihn nicht; er setzte seinen Weg zum Bett fort; setzte sich auf dessen Kannte. Wie immer. Bot Lovino lächelnd und mit freundlichen Worten die Tomaten an. Wie immer. Der nahm, aß, hatte aber weiterhin kein freundliches Wort für den übrig, der sich von Anfang an um ihn gekümmert – ihn großgezogen – hatte. Wie immer. Kapitel 4: Lovino ----------------- Bastard. Immer wieder ging ihm dieses Wort durch den Kopf. Bastard, Bastard, Bastard, Bastard; elendiger! Warum musste er so sein, wie er war? Warum kümmerte sich Antonio so liebevoll und fürsorglich um ihn? Dazu noch mit einem scheinbar eingemeißelten Lächeln in dem gebräunten Gesicht. Obwohl er… s o zu ihm war. Egal wie sehr er ihn beleidigt hatte, wie heftig er getreten, geschlagen, sogar gebissen hatte; nie war der Spanier auch nur ansatzweise böse mit ihm geworden. Hatte das Gesicht zwar vor Schmerz verzerrt, aber nicht geschimpft. Ihn nicht bestraft. Nur sanft angelächelt und verziehen. So war es gewesen als er klein war und so war es noch heute. Obwohl er alt genug war um nicht mehr so bemuttert zu werden. Aber Antonio schien das nicht zu interessieren. Es nicht einmal zu bemerken. Er kümmerte sich weiterhin so aufopfernd um ihn. So aufopfernd, dass es weh tat. Das tat es. Es tat ihm weh. Tief, tief in seinem Inneren tat es weh, wenn Antonio so für ihn sorgte. Sich um ihn sorgte. Und doch war es… schön. Er konnte es sich selbst nicht erklären. Wusste nicht, was diese Gemütsbewegungen zu bedeuten hatten. Konnte damit nichts anfangen. Aber er duldete sie. Genoss sie sogar ein wenig. Genoss die zärtliche Wärme, die aus einem Innersten heraus durch seinen ganzen Körper zu strahlen schien. Genoss den stechenden Schmerz, der sich synchron zu dieser Wärme durch seine Brust zog. Genoss beides gleichermaßen. Nur die Bedeutung, die hatte er all die Jahre nicht ergründen können. Damals nicht. Heute nicht. In Zukunft vielleicht auch nicht. Und doch genoss er. Trotz dessen, das er sich grummelnd unter die Decken und Kissen zurückgezogen hatte. Wie immer. Genoss die schützende Hand, die er durch die Stoffschichten hinweg auf seinem Kopf spürte. Wie immer. Genoss die sanfte Stimme Antonios, die leise an seine Ohren drang. Wie immer. Und doch meckerte er. Wie immer. Kapitel 5: Feliciano -------------------- Naiv. So sahen ihn die anderen. Ganz sicher. Naiv und nervig. Überflüssig? Selbst sein Bruder hatte kaum ein gutes Wort für ihn übrig. Zumindest mäkelte Lovino oftmals an dem rum, was er machte. Mochte. Wollte. Das wirkte sich einschüchternd auf ihn aus. Zumal er doch ohnehin so gut wie kein Selbstbewusstsein besaß. Nie besessen hatte. Nur bei seinem Großvater hatte er damals er selbst sein können. Doch der war tot; unwiederbringlich von ihm gegangen. Nein. Er sollte nicht so pessimistisch sein. Schließlich gab es doch noch so viel Schönes in dieser großen weiten Welt. Und sein Großvater war doch bei ihm. Immer. Er brauchte nur an ihn denken; dann war er da. Ganz, ganz, ganz bestimmt. Die Träne auf seiner Wange hastig mit dem Ärmel seines Hemdes wegwischend griff er nach zwei gehäkelten Topflappen. Umfasste – sein Hände mit ihnen schützend – die Henkel des großen Kochtopfes auf dem rustikalen Gasherd. Bugsierte ihn zum Waschbecken. Goss die darin befindliche selbstgemachte Pasta in ein in der Spüle stehendes Sieb ab. Zwar war er während des Kochens erst so ins Grübeln geraten, aber es hatte ihn irgendwie auch wieder getröstet. Wie immer. Mit einem großzügig gefüllten Teller ließ er sich am Küchentisch nieder. Wie immer. Genoss das gute Essen; dazu eine Flasche Rotwein. Wie immer. Verdrängte damit die finsteren Gedanken und tat so, als würden sie gar nicht existieren. Wie immer. Belog sich schlussendlich selbst. Wie immer. Kapitel 6: Ludwig ----------------- Unsensibel. War es nicht das, was sie ihm vorhielten? Dass er zu hart war? Keinen Spaß verstand? Gar gruselig erschien, weil seine Miene immer so finster wirkte? Verdrehten sie nicht hinter seinem Rücken die Augen, wenn er wie besessen zu Putzen anfing? Nur wegen eines ach so kleinen Flecks? Waren sie nicht insgeheim genervt, wenn er das Kommando an sich riss damit alles in geregelten Bahnen ablief und Konferenzen nicht in ein heilloses Durcheinander gerieten? Obwohl sie sich doch alle an den regelmäßigen Streitereien erfreuten, weil es eine willkommene Abwechslung zu dem sonst so tristen und organisierten Alltag war? Zu den Bergen von Arbeit, die man als Nation tagtäglich abzuarbeiten hatte? Natürlich gab es Ausnahmen. Allen voran Feliciano und Kiku. Sie störten sich nicht an seinen Eigenarten. Aber es war auch nicht das, woran er litt. Nicht wegen dem, was die anderen Länder taten. Sagten. Dachten. Damit konnte er leben. Damit hatte er sich abgefunden. Büßte, was er seinerzeit getan hatte. Leistete Wiedergutmachung. Und doch bestand darin sein Problem. Nicht, was er jetzt tat. Viel eher litt er unter jenen Konsequenzen von einst, die er selbst zu spüren bekommen hatte. Noch immer spürte. Er hatte rücksichtslos gehandelt. Er hatte blind auf das gehört, was sein damaliger Vorgesetzter ihm befohlen hatte. Er hatte regelrecht unterstützt, dass Unschuldige als Kanonenfutter dienen mussten. Er hatte die, die zu ihm standen, seine Verbündeten – Freunde – in unsagbare Gefahr gebracht. Aber was viel schwerer auf seinen Schultern lastete war etwas anders: Er hatte zugelassen, dass sein Bruder sich für ihn aufgegeben und geopfert hatte. Dass dessen Nation von den Landkarten gefegt wurde und er selbst elendig zu Grunde gegangen war. Das war es, was er sich am wenigsten verzeihen konnte. Was ihn nicht mehr wirklich glücklich hat werden lassen – trotz der Freunde, die noch immer zu ihm hielten und für ihn da waren. Er konnte sich das einfach nicht verzeihen. Dennoch saß er an seinem Schreibtisch. Wie immer. Wollte sich ablenken; trotz der späten Stunde und den dunklen Schatten unter seinen Augen. Wie immer. Eine große Thermosflasche mit Kaffe gefüllt neben sich. Wie immer. Doch trotz den Bergen an zu erledigenden Papierkram konnte er seine Gedankengänge nicht unterbinden. Wie immer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)