Das Vermächtnis des Kain von astala7 (Vergessene Magie) ================================================================================ Kapitel 10: Hetzjagd -------------------- 10. Hetzjagd Unter den Vampiren brach die Hölle los. Drei der Blutsauger stürzten sich gleichzeitig auf Luca, der gezwungen war, Sariel loszulassen, um beide Hände frei zu haben. Die Vampirin stolperte zur Seite und zog sich das Messer aus der Kehle. Calis wollte sie aufhalten, doch ein Vampir hatte ihn bereits von hinten angesprungen und riss an seinem Kopf. André sah sich plötzlich sechs Vampiren gleichzeitig gegenüber. Er sprang in die Höhe und krallte sich an das Loch in der Kellerdecke fest. Doch anstatt zu fliehen, ließ er sich wieder hinunter in die Mitte des Raumes fallen. Dort wurde Melair gerade von zwei wütenden Vampiren zerfleischt. Als Veela konnte ihr das Vampirgift nichts ausmachen, aber sterblich war sie trotzdem. André zückte ein Feuerzeug und setzte die Blutsauger in Brand, sodass sie aufkreischten und zurückwichen. Einen Moment später wurde ihnen einer ihrer Kameraden entgegengeschleudert. Der Körper traf sie hart, warf sie zurück und fing ebenfalls Feuer. Luca packte auch den zweiten Vampir, der sich auf ihn gestürzt hatte, an der Kehle und warf ihn zu dem Haufen. Dann riss er Calis einen seiner Gegner vom Rücken, ohne darauf zu achten, dass ein Weiterer bereits mit dem Messer auf seinen Nacken einstach. Luca zog seinen Zauberstab. „Avada Kedavra!“, rief er zornentbrannt. Ein grüner Lichtblitz schoss quer durch den Raum und erledigte einen Messerwerfer, der auf André gezielt hatte. Gleich darauf duckte er sich selbst unter einem Fluch hindurch. Sariel besaß anscheinend ebenfalls einen illegalen Zauberstab. Sie bleckte die Zähne. Ihre Wunde begann bereits zu verheilen. Der ganze Raum war erfüllt von blitzenden Messerklingen, umherfliegenden Flüchen und aufspritzendem Blut. Luca, Calis und André zogen sich immer mehr in die Mitte des Raumes zu Melair zurück. Der Fluchtweg nach oben war ihnen jedoch versperrt. Auch von dort oben warfen ihnen Sariels Verbündete Messer entgegen. Die Lage schien aussichtslos. „Ergebe dich, Luca!“, rief Sariel ihm zu, den Zauberstab erhoben, „unterwirf dich mir und schließe dich meinem Plan an, dann lasse ich dich am Leben.“ „Törichtes Weib“, knurrte Luca. „Glaubst du im Ernst, ich wäre ohne Verstärkung hier aufgekreuzt?“ Seine beiden Verbündeten warfen ihm aus dem Augenwinkel überraschte Blicke zu. Die kurzen Zweifel, die über Sariels Miene gehuscht waren, verschwanden sofort wieder, als sie das sah. „Du bluffst“, meinte sie überzeugt. „Wer würde dir schon helfen?“ In genau diesem Moment ertönten Schreie von oben. Die Vampire, die den Ausgang bewacht hatten, riefen ihrer Anführerin undeutliche Warnrufe zu, die in lautem Poltern, hohem Kreischen und dem Geräusch von splitterndem Holz untergingen. Sariel sah von Luca zu dem Loch in der Decke und wieder zu Luca zurück. Irgendjemand, oder irgendetwas, hatte ihre Vampire durch die Öffnung gezerrt und richtete sie übel zu. Ein erneutes Splittern – dann plötzlich brach ein weiterer Teil der Decke mit lautem Getöse ein und in einem Wirbel aus schwarzen Haaren sprang ein riesenhaftes Ungetüm in den Raum hinunter. Es war allein auf allen Vieren schon fast zwei Meter groß, mit zottigem, blutverkrustetem Fell, riesigen Tatzen und einem geifernden Maul, das jeden weißen Hai vor Neid noch blasser hätte werden lassen. Seine stahlgrauen Augen glühten wild, als er den Kopf herumwarf und zum Sprung ansetzte. Doch die Vampire waren schneller. Fünf von ihnen stürzten sich gleichzeitig auf die Bestie, krallten sich mit ihren zu Klauen verformten Fingern in seinen Rücken und verbissen sich in seiner Kehle. Sariel hob den Zauberstab, zögerte jedoch, den tödlichen Fluch loszulassen, weil die Gefahr bestand, die eigenen Leute zu treffen. Doch der riesige schwarze Hund, Wolf, Bär, was es auch sein mochte, schüttelte sich nur einmal und die Vampire wurden von ihm fortgeschleudert. Mit wildem Knurren stürzte er sich auf den Blutsauger, der ihm am Nächsten stand und biss ihm glatt den Kopf ab. Luca nutzte die Ablenkung und gab seinen Leuten Handzeichen. Die Vampire packten Melair an Armen und Beinen und trugen sie zu einer Ecke hinüber, von der aus sie sich besser verteidigen konnten. Jetzt ließen sich noch mehr Gestalten durch das Loch hinunterfallen. Ihre Menschlichkeit war erst auf den zweiten Blick zu erkennen: Ihr wilder, blutrünstiger Blick erinnerte eher an Tiere, sie liefen auf allen Vieren und stießen knurrende Laute aus. Ihre Fingernägel glichen scharfen Krallen, die, wie sie bald bewiesen, auch Vampirfleisch zerfetzen konnten. Die Werwölfe, denn nichts anderes konnten sie sein, stürzten sich auf die Vampire, rissen sie auseinander oder trieben sie in die Flucht. Doch besonders die riesige Bestie bot den Vampiren eine breite Angriffsfläche. Auf ihn stürzten sich die meisten Feinde und das Untier biss und schlug um sich. Da jedoch zielte Sariel nochmals mit dem Zauberstab auf den Werwolf und diesmal schien sie keine Rücksicht auf ihre eigenen Leute nehmen zu wollen. „Avadra Kedavra!“, rief sie aus und ein grüner Blitz schoss auf das Biest zu. Licht explodierte, als es auf den Körper traf. Die Werwölfe jaulten auf und stürzten sich wütend auf Sariel. Der große Schwarze jedoch warf den Kopf herum und fletschte wütend die Zähne. Zwischen seinen Tatzen lag der zusammengekrümmte Körper eines offensichtlich toten Werwolfs. Luca wusste, dass draußen kein Vollmond war. Er wusste aber auch, dass es spezielle Drogen gab, mit denen Werwölfe auch außerhalb dieser besonderen Nächte übermenschliche Kräfte entwickelten. In diesem Zustand waren sie unberechenbar und nicht wirklich in der Lage, Freund und Feind zu unterscheiden. Deswegen bedeutete er seinen Kameraden, ganz leise zu sein und bloß keine hektischen Bewegungen zu machen. „Wir waren die ganze Zeit mit dir zusammen“, flüsterte Calis dem Meistervampir zu. „Du hast nach keiner Unterstützung geschickt. Woher wusstest du, dass sie kommen?“ Luca beobachtete mit einer Mischung aus Enttäuschung und Genugtuung, wie Sariel den Rückzug befahl und alle Vampire, die noch stehen konnten, nach und nach aus dem Keller flüchteten. „Ich habe es nicht gewusst“, antwortete er Calis dann leise. „Das war ein Bluff.“ Der Letzte von Sariels Vampiren war soeben aus dem Keller geflüchtet. André wollte ihnen bereits nach, doch Luca streckte die Hand aus und hielt ihn zurück. „Wir müssen los!“, sagte der jüngere Vampir eindringlich, „Melairs Wunden sind wirklich tief, und, ohne dir zu nahe treten zu wollen, du siehst auch nicht gerade gut aus.“ Das wusste Luca selber. Seine rechte Schulter war vollkommen zerfetzt und er hatte zahlreiche Bisswunden an Armen und Rücken. Doch er war ein jahrtausend alter Vampir und spürte Schmerz nicht mehr in dem Ausmaß, wie seine Gefährten. Es waren die Werwölfe, um die er sich Sorgen machte. Jetzt, wo sie nicht mehr angegriffen wurden, postierten sich die Wolfsmenschen nah um das große Ungetüm herum. Dieser Alphawolf konnte kein normaler Werwolf sein. Egal welche Drogen sie genommen hatten, außerhalb des Vollmondes konnten sie sich nicht derart verwandeln. Es gab nur einen, der dazu vielleicht in der Lage wäre... Knurrend und zähnefletschend bedrohten die Menschen die Vampire und kamen immer näher. Aber etwas hielt sie noch zurück, etwas ließ sie zögern, ihre Blutfeinde anzuspringen. In dem wilden Kampf hätten sie keine Skrupel gehabt, einfach jeden Vampir abzuschlachten. Doch jetzt war ihr Blutdurst gesättigt und obwohl auch Luca und seine Gefährten angespannt waren, griffen sie nicht an. Ihr Wolfsanführer aber bewegte sich nicht und starrte die Vampire nur an, als versuchte er krampfhaft, sich an etwas zu erinnern. Das Zeichen zum Angriff blieb aus, doch solange er auch Keines setzte, dass ihnen diesen verbot, war es nur eine Frage der Zeit, bis einer der Wolfsmenschen zuschnappen würde. Dann würde auch die Anderen nichts mehr aufhalten. Luca hob langsam die Hand. Sofort zischten und knurrten die halb verwandelten Menschen, aber der Vampir achtete darauf, die Bewegung ganz sacht und fließend zu vollführen. „Sirius“, sagte er leise. „Sirius Black.“ Entgegen der Mythen der Muggel hatten Namen keine wirkliche magische Kraft. Sie waren nicht in der Lage, den Wahnsinn eines Werwolfs zu durchdringen. Aber vielleicht würde Sirius den Seinen trotzdem erkennen. Ganz langsam, vorsichtig und höchst misstrauisch kam das große Ungetüm heran. Es tapste zaghaft über den mit Blut besudelten Boden. Luca hörte, wie seine Gefährten den Atem anhielten, aber er bemühte sich, den Seinen ganz regelmäßig zu halten. Die Wolfsmenschen zogen sich im selben Maße und mit derselben Langsamkeit zurück, mit der Sirius näher kam. Er streckte den schuppigen Kopf nach vorne und wie ein Hund, der seinen Herrn erkennt, schnüffelte er ganz leicht an der ihm dargebotenen Hand. „Harry“, flüsterte Luca, „du suchst Harry Potter.“ Erkenntnis flammte in den stahlgrauen Augen auf. Der monströse Hund zog sich zurück und Luca konnte wie in Zeitraffer beobachten, wie das riesige Ungetüm schrumpfte, bis es nur noch die Größe eines jungen Braunbären hatte. Endlich ließ sich wieder ein Hauch von Menschlichkeit in seinen wilden Augen erkennen. „Wo ist er?“, schien sein stummer Blick ihn zu fragen. Doch Luca hatte keine Antwort für ihn. * Die Sonne kroch langsam über den Horizont. Es wurde Tag, aber Harry kümmerte sich nicht darum. In seiner Animagus-Gestalt konnte das Sonnenlicht ihm nichts anhaben. Ein äußerst angenehmer Nebeneffekt, wie er fand. Auf leisen Pfoten schlich er zum Schloss Hogwarts hinüber. Pünktlich um sechs Uhr wurden die Tore geöffnet und der schwarze Kater verschwand hinter ihnen. Trotz des morgendlichen Trubels, als alle zum Frühstück in die Große Halle strömten – oder vielleicht auch gerade deswegen – achtete niemand auf den Kater. Katzen waren hier vollkommen gewöhnlich, wenn sie auch meist in den Schlafsälen gehalten wurden. Hogwarts! Alles hier erinnerte Harry an seine Schulzeit. Die Düfte, die aus der großen Halle herausströmten waren köstlich, auch wenn er jetzt andere Kost gewohnt war. Aber die vielen Rüstungen, der glatte Stein der Wände, die bewegten Bilder, all das ließ eine große Sehnsucht in ihm aufkommen. Und dann wurde er angegriffen. Irgendetwas stieß heftig gegen seinen Rücken und Harry fauchte auf. Er sprang zur Seite, die Krallen ausgefahren und bereit, auf die Größe eines Löwen anzuschwellen. Dann bemerkte er, dass der Angreifer Neville war. Der plumpe Junge war über den Kater gestolpert. Nicht aber etwa, weil er nicht aufgepasst hatte. Nein, hier kam noch ein zweiter Grund hinzu: Neville befand sich auf einer panischen Flucht vor Crabbe und Goyle. Malfoys gorillaartige Leibwächter kamen grinsend und mit knackenden Knöcheln auf den am Boden liegenden Gryffindor zu. Es sah überhaupt nicht gut aus. Crabbe lachte dumm und hob den Fuß, um Neville zu treten. Aber da war Harry schon zur Stelle. Ohne lange zu überlegen, sprang er vor. Mit allen vier Pfoten und dem Maul gleichzeitig krallte und verbiss er sich in Crabbes Fuß. In seiner momentanen Animagus-Form waren seine Zähne ungefährlich, aber Harry konnte auch einzelne Teile seiner Gestalt auf Löwengröße verändern und so ließ er seine Zähne und Krallen absichtlich etwas wachsen, damit sie sich dem Slytherin extra schmerzhaft ins Fleisch bohrten. Crabbe heulte auf und begann, auf einem Bein umherzuhüpfen. Er schwenkte seinen Fuß hin und her, um Harry loszuwerden. Dadurch misslangen Goyles Versuche, den Kater vom Fuß seines Freundes zu reißen und die Beiden stolperten und stürzten übereinander. Neville guckte erst einmal ziemlich blöd aus der Wäsche. Schließlich aber ergriff er die Gelegenheit beim Schopf und machte sich aus dem Staub. Harry ließ Crabbes Fuß los und sprang stattdessen Goyle ins Gesicht. Keiner der beiden Gorillas kam auf die Idee, seinen Zauberstab zu benutzen. Inzwischen waren einige Schüler stehen geblieben, um dem Schauspiel beizuwohnen. Niemand machte Anstalten, den Slytherins zu helfen. Im Gegenteil, Einige feuerten den Kater sogar an. Als Harry sicher war, dass Neville außer Reichweite war, ließ er von den Beiden ab. Es hatte ihm großes Vergnügen bereitet, den beiden Dummköpfen einmal zu zeigen, was er von ihnen hielt. Die Schülermenge machte ihm bereitwillig Platz, als er von seinen Opfern abgelassen hatte. Zehn Minuten stand Harry vor dem nächsten Problem. Er wusste das Passwort nicht. Da war auch niemand, der ihn einlassen konnte. Schließlich war Unterricht und der Gemeinschaftsraum leer. „Was guckst du so?“, fragte die Fette Dame unhöflich. Ihr ging der eindringliche Blick aus den grünen Katzenaugen wohl auf die Nerven. Harry trollte sich missmutig. Es wäre perfekt gewesen, den Gemeinschaftsraum zu durchsuchen, während alle weg waren. Jetzt musste er doch warten. Dazu verkroch sich der Kater in einer Nische hinter einer Rüstung, von der aus er das Porträt der Fetten Dame gut im Blick hatte. Er musste nicht lange warten. Schon bald kam Neville den Gang entlang gestolpert. „Äh, ich... Ich muss rein!“, keuchte er atemlos, als er bei der Fetten Dame angekommen war. „Passwort?“, fragte die nur hochnäsig. Neville begann noch stärker zu schwitzen. „Äh... Kürbissaft?“ „Falsch.“ „Löwenherz?“ „Wieder falsch.“ „Knallrümpfiger Kröter?“ „Das war letzte Woche.“ „Aber ich muss wirklich dringend rein! Ich hab mein Zaubertränkebuch vergessen und wenn ich heute bei Snape durchfalle, macht er Krötensuppe aus Trevor!“ Die Fette Dame rümpfte hochmütig die Nase und schwang dann zur Seite auf. „Danke!“, sagte Neville erleichtert. „Idiot“, meinte die Fette Dame. „Krötensuppe war das Passwort, nur deshalb lass ich dich ein!“ Harry packte die Gelegenheit beim Schopf und trat laut mauzend aus seinem Versteck. „Oh, da bist du ja wieder“, begrüßte ihn Neville, als hätte er einen alten Freund wieder getroffen, was ja gar nicht mal so falsch war. Der pummelige Junge bückte sich und streichelte Harry ein paar Mal, der sich das notgedrungen gefallen lassen musste. „Na, wo ist denn dein Herrchen?“ „Soll ich hier etwa den ganzen Tag so offen rumhängen?“, schnauzte die Fette Dame. Neville beeilte sich, durch das Porträtloch zu kommen und Harry sprang ihm eilig hinterher. Im Gemeinschaftsraum angekommen, suchte Neville verzweifelt nach seinem Zaubertrankbuch und Harry legte sich vor den Kamin, um möglichst katzenhaft auszusehen. Seine Anspannung stieg immer weiter, bis sein Schulkamerad endlich das Gesuchte fand und wieder durch das Porträt verschwand. Sofort sprang Harry auf und wollte zu den Schlafsälen hochstürmen, da hörte er ein lautes Fauchen. Da kam die hässlichste Katze, die er jemals gesehen hatte auf ihn zu. Sie war rostbraun und hatte ein Gesicht, als wäre sie damit geradewegs gegen eine Mauer gelaufen. Außerdem stimmte etwas mit ihren Beinen nicht, die waren total schief und krumm. Die Katze fauchte noch einmal und fuhr die Krallen aus. Harry stellte wachsam die Ohren auf. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Fauchend kam das Vieh auf ihn zu. Harry wuchs um gut zehn Zentimeter und stieß ebenfalls ein Fauchen aus, dass einem Miniaturbrüllen gleich kam. Sofort stoppte die Katze und starrte ihn aus großen, gelben Augen an. Harry hatte das Gefühl, eine Geste des Friedens wäre angebracht. Also setzte er sich auf seine vier Buchstaben und sah der Katze ganz ruhig entgegen. Tatsächlich kam sie nun langsam herangeschlichen. Ihr Schwanz zuckte auf und ab und sie begann ihn langsam zu umkreisen. Schließlich stieß sie ein lautes Schnurren aus und drückte sich an ihn. Das war Harry dann doch zu viel. Er stand auf, schüttelte sich und hob stolz den Kopf. Die Katze schnurrte wieder. Nun, wenigstens würde sie ihn nicht angreifen, also wandte Harry sich ab und rannte rasch die Treppen zum Jungenschlafsaal hinauf. Für eine liebestolle Katze hatte er jetzt wirklich nicht die Zeit. Harry streckte schnuppernd seine Nase in die Luft. Ja! Langsam schlich er zu einem der Betten hinüber. Die Katze war ihm neugierig gefolgt. Harry konnte sein Glück kaum fassen. Da lag Krätze, tief schlafend in einem kleinen Käfig. Krätze – Peter. Der seine Eltern verraten hatte. Wut stieg in Harry auf, doch er konnte sie zügeln. Er durfte Peter nichts antun. Er brauchte ihn als Beweis, um Sirius zu entlasten. Wie aber sollte er ihn mitnehmen? Peter könnte sich verwandeln und den Käfig sprengen, um zu flüchten. Er brauchte etwas, das... genau! In Windeseile flitzte Harry die Treppe wieder hinunter und wollte zum Mädchenschlafsaal hinauf. Doch kaum hatte er eine Pfote auf die Treppe gesetzt, da klappten die Stufen einfach um und wurden zu einer steilen Rutsche, die ein Hinaufkommen unmöglich machten. Frustriert blieb Harry sitzen. Die Katze war wieder an seiner Seite und schnurrte fragend. Da kam Harry eine Idee. Warum eigentlich nicht? Er lief zu den Fenstern hinüber, packte einen Vorhang mit dem Maul und zog ihn zu, bis das Sonnenlicht nur noch gedämpft und damit ungefährlich hindurch drang. Dann verwandelte er sich zurück. Die Katze fauchte und machte einen Satz zurück. „Ruhig, ganz ruhig“, sagte Harry beschwichtigend. Mit erhobenen Händen hockte er sich nieder. „Ich bin's, ja? Der Kater. Ich brauche deine Hilfe.“ Die Katze sah ihn groß an. „Du musst für mich dort hoch“, sagte er und deutete auf den Mädchenschlafsaal der Drittklässler. Ein wenig kam er sich albern vor, zu einer Katze zu sprechen, aber es war die leichteste Lösung. „Da schläft meine Freundin, Hermine. In ihrem Koffer ist ein leeres Marmeladenglas – das brauche ich.“ In dem Marmeladenglas bewahrte Hermine ihre tragbaren Feuer auf. Das Glas, so hatte sie ihm in seinem ersten Jahr einmal erzählt, war unzerstörbar. Peter würde es darin zwar recht eng haben, aber er wäre auf jeden Fall gefangen. Die Katze schien ihn zu verstehen. Harry war trotzdem überrascht, als sie sich unverzüglich umwandte und zum Mädchenschlafsaal hinaufrannte. Noch verwirrter war er allerdings, als sie ihm tatsächlich das Gewünschte brachte. Seltsames Tier. Seltsam, aber intelligent. „Danke“, flüsterte er und streichelte die Katze einmal. Dann wandte er sich um und ging wieder hoch zum Jungenschlafsaal. Vorsichtig und darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, öffnete er den Käfig der Ratte, die, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, um einiges gealtert zu sein schien. Dann packte er blitzschnell und ohne Vorwarnung zu. Krätze erwachte und quiekte herzzerreißend, als Harry ihn an seinem langen, kahlen Schwanz hochhob und rücksichtslos in das viel zu enge Marmeladenglas stopfte. Schnell den Deckel drauf – geschafft. Harry hob das Glas vor sein Gesicht. „Hallo Peter“, flüsterte er dann und glaubte zu sehen, wie sich die Augen der Ratte panisch weiteten. „Du hast Glück, dass ich komme, um dich zu holen, und nicht Sirius. Er hat mir alles erzählt, weißt du? Und jetzt wird es Zeit, dass auch der Rest der Welt die Wahrheit erfährt.“ * Sirius stolperte zurück, als der Portschüssel ihn ausspuckte. Beinahe hätte er dabei die Trage losgelassen, fing sich aber noch rechtzeitig. Irritiert sah er sich um. Sie waren im Wald gelandet, nicht allzu fern vom Hauptquartier entfernt. „Warum hast du uns nicht direkt hineingebracht?“, fragte er Luca aufgebracht. Die Veela musste dringend verarztet werden. Ebenso Simon, den der Vampirangriff schwer erwischt hatte. Zwar war keiner seiner Werwölfe ohne Verletzungen davongekommen, aber ihre Wunden würden heilen. Seine Werwölfe... Sirius schluckte und sah auf den Körper herab, der auf der Trage lag. Luca bedeutete ihm zu schweigen. Angespannt spitzte Sirius die Ohren und tatsächlich, da drangen ungewöhnlich viele laute Stimmen an sein Ohr. „Calis und ich sehen nach, was dort so früh los ist“, ordnete der Meistervampir an. „Ich werde mitkommen!“, verlangte Sirius sofort. „Nein“, bestimmte der Schwarzhaarige. „Du und deine Wölfe, ihr habt alle noch Grindstone im Blut. Die Wirkung mag abgeklungen sein, aber das bedeutet nicht, dass ihr nicht doch noch den Kopf verliert.“ „Vor ein paar Minuten warst du es noch, der kurz davor war, den Kopf zu verlieren!“, knurrte Sirius wütend. „Ich bin der Anführer der Werwölfe. Du kannst mir nichts befehlen.“ Luca sah ihn kurz überrascht an, bevor auch sein Blick für einen Moment zu der Trage wanderte, die neben Sirius am Boden lag. „Vorläufig“, meinte er dann kalt. Calis, Luca und Sirius schlichen durch den Wald. Schon von weitem nahm der Werwolf den intensiven Blutgeruch wahr und wusste, dass es den Vampiren ebenso ging, als sich ihre Mienen verdüsterten. Als sie den Waldrand erreichten, wollte Sirius gerade nach vorne treten, da packte ihn Luca an der Schulter und zog ihn zu sich hinter einen Baum. Dennoch hatte er einen Blick auf den Vorplatz des Hauptquartiers erhaschen können. Blut. Blut und Leichen. „Was...Was ist da los?“, keuchte Sirius erschrocken. Luca bedeutete ihm zu schweigen und deutete nach rechts. Als sich Sirius darauf konzentrierte, nahm er einen Geruch wahr, der sich schnell nährte und den er kannte. Einige Minuten später hörten sie leises Weinen. Die Vampire nickten einander zu und gingen auf die Geräuschquelle zu, die jetzt innegehalten hatte. Da, auf einem Baumstumpf ganz in der Nähe des Waldrandes, saß Gomora. Ihre Augen waren ganz rot vom Weinen, ihr silbernes Haar hing ihr wirr ins Gesicht und ihre ohnehin schon knappe Kleidung war ganz verrutscht. Als sie jedoch die kleine Truppe sah, schluchzte sie noch lauter. „Gomorrha... Was ist passiert“, fragte Luca leise und ließ sich neben ihr nieder. Das Mädchen achtete diesmal nicht auf die falsche Aussprache ihres Namens. Im Gegenteil, sie schluchzte noch lauter und warf sich dem überraschten Vampir in die Arme. „Wir...Wir wurden angegriffen“, erfuhren sie nach ungefähr drei Minuten, als das Mädchen sich beruhigt hatte. „Todesser?“, fragte Luca sofort. Sariel und ihre Leute konnten den Dunklen Lord erst vor nicht allzu langer Zeit zurückgeholt haben, sonst hätte er etwas bemerkt. Das wäre eine schnelle Reaktion gewesen. Doch Gomora schüttelte den Kopf. „Es waren Auroren. Sie haben aus dem Hinterhalt angegriffen, ganz überraschend und kurz nach der Dämmerung. Die Vampire waren fast hilflos. Viele sind appariert. Aber die Werwölfe mussten sich so durchschlagen. Von ihnen und den Veela wurden die meisten gefangen genommen. Aber dann... Solom ist von dem Lärm aufgewacht, ich hab erst gar nicht bemerkt, was los war. Er sagte mir, ich solle wegrennen. Hat sich ein paar Werwölfe geschnappt, die einen Zauberstab hatten und ist losgezogen, um die Gefangenen zu befreien. Er hat auch eine ganze Menge geschafft, aber dann gingen sie alle auf ihn los und... Oh Gott, es waren so viele! Er ist ausgerastet. Hat wieder einen seiner Anfälle gekriegt. Ich weiß nicht, wie viele Zauberer er getötet hat. Aber alle sind auf ihn los und dann wurde er von einem Fluch getroffen und... Oh Luca, du weißt doch, dass er immun gegen viele Flüche ist! Aber er ist einfach nicht wieder aufgestanden. Was, wenn er...?“ „Ganz ruhig“, sagte Luca leise und strich dem aufgelösten Mädchen beruhigend über den Rücken. „Das Ministerium vermeidet unnötiges Töten.“ „Ja, aber doch nur bei Menschen! Auroren dürfen keine Menschen töten, selbst wenn es grausame Todesser sind, aber bei uns, bei uns ist das doch egal! Veela, Vampire, Werwölfe, da gelten doch nicht dieselben Regeln!“ Sie schluchzte noch lauter und brauchte wieder einige Momente, um sich zu fangen. „Sie haben ihn mitgenommen. Ihn und noch elf weitere Gefangene. Vermutlich sind sie jetzt schon in Askaban. Askaban! Bei den Dementoren! Luca, du weißt nicht, was das für Solom bedeutet! Niemand hat mehr schlimme Erinnerungen als er! Ihr wart verschwunden und ich wusste nicht wo und ich wusste auch nicht, wohin ich gehen sollte. Jemand musste auf euch warten, euch erzählen, was passiert ist, da bin ich freiwillig geblieben, ich wollte in Soloms Nähe bleiben, aber dann haben sie ihn weggebracht!“ „Aber wie...haben sie von dem Versteck erfahren?“ Sirius schluckte. Er wagte es nicht, den Meistervampir anzusehen. „Remus...“ * Harry streichelte ein letztes Mal die krummbeinige Katze, die ihm geholfen hatte. Dann warf er sich den Tarnumhang über, den er zusammen mit seinem Besen in seinen magisch vergrößerten Taschen versteckt hatte. Ungesehen schlüpfte er durch das Porträtloch und machte sich auf den Weg zu Dumbledores Büro, das Glas mit der Ratte fest in der Hand. Zum Glück war das Schloss dunkel und den wenigen Fenstern, durch die Licht hereinfiel, konnte er ausweichen. Beim steinernen Wasserspeier angekommen, drückte er sich unauffällig an die Wand und wartete wieder. Diesmal dauerte es länger. Ganze Stunden vergingen und Harry, der seine vier Stunden Schlaf noch nicht bekommen hatte, wäre fast eingedöst. Dann jedoch nahten Schritte und Professor McGonagall bog um die Ecke. „Pfefferminzbonbon“, sagte sie laut und deutlich und der Wasserspeier gab den Eingang zu Dumbledores Büro frei. Harry wartete noch etwa fünfzehn Minuten, bis seine Hauslehrerin wieder auftauchte. Dann musste er noch einen Schwall Viertklässler vorbeilassen, die unterwegs zur nächsten Stunde waren. Dann aber war der Gang endlich frei und Harry nahm den Tarnumhang ab. „Pfefferminzbonbon“, nannte auch er das Passwort und trat ein. „Herein“, hörte er Dumbledores Stimme, als er an der Zwischentür klopfte. Harry lächelte still in sich hinein und folgte dem Befehl. Professor Dumbledore schrieb gerade an einem Brief und brauchte ein paar Sekunden, um aufzusehen. Dann noch einmal ein paar Sekunden, um zu begreifen, wer vor ihm stand. „Harry!?“ Harry lächelte nicht. Er war sich nicht mehr sicher, was er von Dumbledore halten sollte. Dumbledore, der das Ministerium einfach gewähren ließ, wenn es die magischen Rassen verurteilte. Dumbledore, der den Posten des Ministers zurückwies, obwohl er so viel Gutes tun könnte. Dumbledore, ein Symbol des Lichts, wie Harry es selbst einmal gewesen war. Vor, wie es ihm schien, ewigen Zeiten. Dumbledore sprang auf und kam auf Harry zu. Seine Hand umklammerte einen Zauberstab. „Bist du das, Harry?“, fragte er misstrauisch, mit einem kaum wahrnehmbaren Funken an Hoffnung in seinen Augen. Harry wusste, dass er sich verändert hatte. Nicht nur sein Aussehen, dadurch dass er ein Vampir war, sondern auch seine ganze Ausstrahlung. „Ich bin es“, erwiderte er nur. Dumbledore hielt den Zauberstab immer noch fest. „Es tut mir Leid, aber ich muss das überprüfen, Harry. Sag mir, was siehst du im Spiegel Nerhegeb?“ Harry erinnerte sich noch sehr gut an sein erstes Jahr, als er Nacht für Nacht in das leere Klassenzimmer geschlichen war, um Stunden vor dem magischen Spiegel zu verbringen. „Ich sehe meine Familie an meiner Seite“, antwortete er. In einem Anflug von Humor fügte er hinzu, „und Sie sehen sich selbst mit einem Paar neuer Socken.“ Dumbledore lächelte erleichtert und schob den Zauberstab in seinen Umhang zurück. Sanft legte er dem Jungvampir die Hände auf die Schultern. „Ich bin froh, dass du wieder da bist, Harry.“ Für einen Moment glaubte er, Dumbledore würde ihn umarmen. So weit ging er zum Glück nicht, aber Harry machte sich trotzdem sicherheitshalber los. „Wie geht es dir, Harry? Wo bist du gewesen?“ „Unwichtig“, blockte Harry kalt ab. „Ich habe nicht viel Zeit, also hören Sie mir zu. Ich brauche Ihre Hilfe.“ „Natürlich, mein Junge. Wer auch immer dich bedroht, dich gefangen gehalten hat, jetzt bist du wieder hier und in Sicherheit. Es ist vorbei, Harry.“ „Es hat gerade erst angefangen“, erwiderte er düster. „Und ich brauche Ihre Hilfe nicht für mich. Sie haben doch gute Verbindungen zum Ministerium und zum Gericht, nicht wahr? Können Sie dafür sorgen, dass ein einmal abgeschlossener Fall noch einmal aufgenommen wird?“ „Ja, aber Harry, was ist denn...“ „Sirius Black ist unschuldig“, fiel ihm Harry ins Wort. „Ich will, dass sein Fall neu aufgerollt wird. Ich will, dass sein Name gereinigt wird. Er hat damals keinen vernünftigen Prozess bekommen. Aber jetzt habe ich neue Beweise. Sie müssen die Jagd nach ihm abbrechen!“ Ein müder Ausdruck legte sich über Dumbledores Gesicht. „Harry, du weißt nicht, was damals passiert ist. Black ist ein Anhänger Voldemorts, natürlich hat er dir Lügen erzählt...“ „Sirius hat mir das Leben gerettet. Er hat sich um mich gekümmert. Er war mir in diesen drei Monaten mehr Familie als die Dursleys in zwölf Jahren zusammen und ich liebe ihn wie meinen Vater. Also sagen Sie mir nicht, er hätte mich angelogen. Sie sind es, der die Wahrheit nicht kennt.“ Harry zog das Marmeladenglas mit der Ratte hervor. „Lassen Sie es mich beweisen. Holen Sie Ron und Hermine her und noch ein paar Zeugen. Am besten auch Remus Lupin, der ist doch jetzt hier Lehrer, nicht wahr?“ Erschöpft ließ sich Dumbledore auf seinen Stuhl zurück sinken. „Harry, deine Eltern...“ „Wurden nicht von Sirius verraten. Kommen Sie schon, Sie kannten ihn doch auch. Geben Sie mir eine halbe Stunde.“ „Wirst du dann hier in Hogwarts bleiben?“ Harry zögerte. Er wollte nicht lügen. „Ich kann bleiben, bis der Prozess gewonnen ist.“ Dumbledore nickte. „Twinky“, sagte er dann. Mit einem kleinen Knall erschien eine kleine Hauselfe vor Dumbledores Tisch. „Sir wünschen?“, fragte das Wesen, das nichts weiter als ein Geschirrtuch mit dem Hogwarts-Wappen trug, mit piepsiger Stimme. „Hol doch bitte die Professoren McGonagall, Lupin, Snape und Hagrid und die Schüler Ron Weasley und Hermine Granger.“ „Hagrid ist Professor?“, fragte Harry überrascht. Dumbledore lächelte gequält. „Es freut mich, dass du doch noch Emotionen zeigen kannst.“ Sofort versteinerte Harrys Miene wieder. „Es ist recht prägend, wenn man erfährt, dass die Welt aus Illusionen besteht.“ Dumbledore sah ihn daraufhin nur traurig an. Die Elfe verschwand mit einer Verbeugung. Während sie warteten, schritt Harry im Büro auf und ab und vergewisserte sich, dass es für eine Ratte keine Möglichkeit zu entkommen gab. Ungefragt schloss er das Fenster, von dem er sich schon wegen der Sonnenstrahlen ferngehalten hatte und zog die Vorhänge zu. Außerdem nahm er das kleine Schälchen mit Flohpulver vom Kamin, stellte sich auf Zehenspitzen und postierte es auf dem obersten Brett eines hohen Regals, wo Peter, der laut Sirius recht kleinwüchsig war, es nicht erreichen konnte. Dumbledore beobachtete ihn stirnrunzelnd, sagte jedoch nichts. Snape tauchte als Erster auf. „Potter!“, stieß er hasserfüllt aus, als er Harry erblickte. Er wurde noch ein wenig bleicher, als er seine blasse Haut und die glühenden Augen sah. „Was zum...?“ „Ganz ruhig, Severus. Harry möchte uns etwas zeigen. Warten wir noch einen Moment“, befahl Dumbledore. Als Nächstes tauchten Ron und Hermine in Begleitung von Professor McGonagall auf. Die beiden Jugendlichen bekamen bei Harry Anblick ganz große Augen. „Oh, Harry!“, kreischte Hermine und warf sich dem Jungvampir in die Arme. Ron stand mit offenem Mund daneben. „Oh Harry, wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht! Warum hast du dich nicht mehr gemeldet? Wir wussten nicht, wie es dir ging, geschweige denn was passiert ist und – oh mein Gott, du bist ein Vampir!“ „Aus Fleisch und Blut“, entgegnete Harry mit einem Anflug von Galgenhumor. „Naja, aus Blut weniger, ich hab noch nicht gefrühstückt.“ Erschrocken trat Hermine einen Schritt zurück, doch Harry lachte nur leise. „Harry, Alter, du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, meinte Ron etwas bedröppelt. Harry lächelte und schlug Ron freundschaftlich auf die Schulter, was diesen zusammenzucken ließ. „Tut mir Leid, Leute, das ging leider nicht anders. Ich erzähl euch später alles.“ „Albus, was hat das nur zu bedeuten?“, fragte Professor McGonagall leicht hysterisch. „Potter – hier-“ In diesem Moment öffnete sich die Tür und Hagrid trat ein. Er füllte die ganze breite Tür aus und musste sich trotzdem bücken, um einzutreten. Als er Harry sah, klappte ihm die Kinnlade herunter. „'Arry!“, rief er aus und stürmte mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu. Instinktiv wich Harry, der sich an einen Werwolfangriff erinnert fühlte, einen Schritt zurück, doch schon packten ihn die riesigen Arme und drückten ihn fest an den massigen Körper des Wildhüters. „'Arry is wieder da!“, jubelte Hagrid und wirbelte Harry einmal herum. Der ächzte leise, weil er das Gefühl hatte, dass ihm gerade ein paar Knochen gebrochen wurden. Na ja, das würde ja schnell wieder heilen. „Hagrid – könntest du bitte...?“ „'Arry, wo haste denn nur gesteckt? Halb England ham'se nach dir abgesucht!“ Gerade als Hagrid Harry wieder herunterließ, öffnete sich die Tür erneut und Remus Lupin trat ein. Als er Harry sah, erstarrte er für einen Moment überrascht. „Professor?“, fragte er an den Schulleiter gewandt. „Ist das...Was hat das zu bedeuten?“ „Das wird uns unser junger Harry gleich erklären, nehme ich an.“ Harry nickte ernst. Während er zu Dumbledores Tisch hinüber ging, musterte er Remus unauffällig. Das war definitiv derselbe Mann, den er während der Vollmondfinsternis gesehen hatte. „Krätze!“ Ron hatte die Ratte entdeckt und wollte vorstürmen, um das Glas zu ergreifen. Doch Harry bekam es vor ihm zu fassen. „Hey, was soll das? Warum hast du Krätze in dieses Ding gesteckt? Er kriegt ja keine Luft, lass ihn raus!“ Hermine sog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein. „Das ist mein Glas! Harry, wo hast du das her?“ „Äh, geborgt“, wich Harry aus und hielt das Glas hoch über seinen Kopf, damit Ron es nicht erreichen konnte. Mit ernster Miene wandte er sich dann an seinen rothaarigen Freund, der verwirrt innegehalten hatte. „Ron, wie lange ist diese Ratte schon im Besitz deiner Familie?“ „Äh, ich weiß nicht... Vor mir gehörte sie Percy, schon bevor der nach Hogwarts kam... Also mindestens zehn Jahre werden es schon sein.“ „Und hat sie je irgendwelche magischen Anzeichen gezeigt?“ „Nein, das weißt du doch!“ „Was soll diese alberne Farce, Potter?“, fragte Snape schnarrend. Doch Harry wandte sich ungerührt an Hermine. „Wie lange lebt so eine gewöhnliche Hausratte normalerweise?“ „So vier bis sechs Jahre...“ Harry nickte zufrieden und öffnete das Marmeladenglas. Sofort begann Krätze zu quietschen und zu strampeln, aber Harry hielt ihn an seinem kahlen Schwanz fest. „Hör auf, du tust ihm weh!“, rief Ron entsetzt. Harry beachtete ihn nicht. Er beobachtete Remus, als er fragte: „Krätze fehlt ein Zeh, nicht wahr? Wann hat er den verloren?“ „Der war schon so, als ich ihn von Percy gekriegt hab!“ Remus' Augen weiteten sich leicht. Er sah von Harry zu der Ratte und wieder zu Harry. In seinem Blick schien eine stumme Frage zu liegen, doch so leicht machte Harry es ihm nicht. Der Jungvampir lächelte bitter und hielt die Ratte vor Dumbledores Nase. „Professor, sie kennen doch bestimmt einen Zauberspruch, der einen Animagus zwingt, seine menschliche Gestalt anzunehmen, oder?“ Der ganze Raum starrte ihn verdutzt an. Remus jedoch trat vor mit einer Miene, auf der sich langsam Erkenntnis spiegelte. „Peter?“, flüsterte er entgeistert. „Peter Pettigrew?“ „Unsinn“, meinte Professor McGonagall, „Pettigrew ist tot. Black hat ihn ermordet. Was soll dieses Theater, Mr. Potter?“ „Fragen Sie das ihn“, antwortete Harry und deutete auf die Ratte. „Professor Dumbledore, darf ich bitten?“ „Keine Sorge, Mr. Weasley, das wird ihm nicht wehtun“, versprach er, bevor er seinen Zauberstab zog. Dumbledore murmelte ein paar Worte und ließ dann die Ratte los. Krätze sauste davon, flitzte zwischen etlichen Paar Füßen hindurch und fand doch keinen Ausweg. Dann begann er zu wachsen. Harry beobachtete die geschockten Gesichter der Erwachsenen mit Genugtuung, bis schließlich an der Stelle von Krätze ein kleiner, schmutziger Mann stand, mit faulen Zähnen und verfilztem Haar. Die kleinen, wässrigen Augen huschten hin und her. Harry zog den Zauberstab. „Peter!“; keuchte Remus und trat einen Schritt vor. „Du lebst... Wie ist das möglich?“ „Remus!“, heulte die Ratte und fiel vor dem Werwolf auf die Knie. „Mein alter Freund!“ „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er langsam und deutlich. „Sirius hat dich nicht getötet?“ „Krätze ist...“, stotterte Ron. „Ein Animagus...?“, vervollständigte Hermine den Satz. „Er war hinter mir her, Remus, du musst das verstehen. Sirius wollte mich töten, ich musste mich verstecken“, stammelte Peter. „Warum sollte er hinter dir her sein?“, fragte Harry ohne jedes Mitgefühl. „Wenn er ein Todesser ist und den Aufenthaltsort meiner Eltern an Voldemort“, der halbe Raum zuckte zusammen, „verraten hat, wie es ihm vorgeworfen wird, dann hätte er seine Aufgabe doch wunderbar erledigt. Was für ein Interesse hätte er dann noch an dir haben können? Du sagst, du hattest Angst – also ist es gelogen, dass du ihn gejagt hast?“ „Halt, stopp!“, rief Ron dazwischen. „Könnte mich hier mal irgendjemand aufklären?“ Harry warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. „Mein Vater, diese Ratte, Sirius Black und Professor Lupin waren in ihrer Schulzeit sehr gute Freunde. Als Voldemort“, wieder zuckten alle zusammen, „meine Eltern suchte, versteckten sie sich mithilfe eines besonderen Zaubers. Sie brauchten einen Geheimniswahrer, jemanden, der sie versteckte.“ „Und James wählte natürlich Sirius, seinen besten Freund als Geheimniswahrer“, meinte Remus langsam. „Black verriet die Potters. Peter stellte ihn deswegen zur Rede und Black jagte eine ganze Straße in die Luft, um ihn zu töten, wobei auch Dutzende Muggel starben“, sagte McGonagall. „Dafür kam er nach Askaban.“ „Das glauben alle“, bestätigte Harry, „aber das ist falsch. Guckt euch diesen Feigling an. Niemals käme er auf die Idee, einen Mörder zu jagen. Sirius hat dich gestellt, nicht wahr?“ Peter wimmerte. „Nicht wahr?“ „Ja, ja, er hat mich gejagt, ich weiß nicht warum, aber es war schrecklich...“ „Du warst der Geheimniswahrer“, flüsterte Harry. „Du hast meine Eltern verraten. Es sollte ein Bluff sein, Voldemort würde doch sicher glauben, dass es Sirius wäre. Aber dann hätte Sirius sich vor den Todessern verstecken müssen, nicht wahr? Er hätte nicht weiterkämpfen können. Deswegen hat er meinen Vater gebeten, dich an seiner Stelle zu nehmen. Nur deswegen hat er sich schuldig an ihrem Tod gefühlt, nur deswegen gestand er und ließ sich ohne Widerstand abführen. Weil er sie in deine verräterischen Arme getrieben hatte.“ „Peter!“, keuchte Remus erschrocken. „Nein, nein, nein!“, schrie der Animagus und hielt sich die Ohren zu. Harry Stimme wurde immer lauter: „Du hast meine Eltern verraten und als Sirius dich stellte, hast du ihn beschuldigt, sodass es jeder hören konnte. Dann hast du deinen eigenen Tod vorgetäuscht, indem du dir deinen Finger abgeschnitten hast und mit einer Explosion etliche unschuldige Leute umgebracht.“ Harry umfasste seinen Zauberstab fester. „Wegen dir saß Sirius zwölf Jahre lang unschuldig im Gefängnis.“ Schweigen legte sich über die kleine Gruppe, als das kreischende Weinen des schmutzigen Mannes in ein leisen Schluchzen überging. „Peter Pettigrew“, sagte Dumbledore dann ernst, „ist das wahr?“ Doch die Ratte schniefte nur und schüttelte verzweifelt den Kopf. Das Schweigen wurde drückend. „Schlau von dir, dich in Hogwarts einzuschleichen“, flüsterte Harry und nickte zu Ron hinüber. „Wolltest warten, bis Voldemort zurückkommt, nicht wahr? Hättest du mich dann getötet, wärst du bei den Todessern in Ehren wieder aufgenommen worden. Aber bis dahin wolltest du lieber nichts riskieren.“ Hinter ihm hörte er Hermine entsetzt aufkeuchen. Ron wich angeekelt vor seinem Haustier zurück. Harry aber trat einen Schritt vor. Dumbledore warf ihm einen warnenden Blick zu, als er den Zauberstab hob, doch der Jungvampir beachtete ihn nicht. „Ich habe mich angestrengt, um dich vor Sirius in die Finger zu kriegen. Eigentlich hätte ich noch vier Tage da bleiben müssen, aber ich bin vor der Frist gegangen. Nur so konnte ich garantieren, dass ich dich vor Sirius kriege, der garantiert sofort losgelaufen und sich der Gefahr der Dementoren ausgesetzt hätte. Nicht, dass ich ihm seine Rache nicht gönne, aber ich will nicht, dass er wegen dir doch noch zum Mörder wird. Ich habe ihn manchmal im Schlaf reden hören. Ich weiß, was er mit dir vorhat. Du wirst allen hier sagen, dass du es warst, dass Sirius unschuldig ist – oder, ich schwöre dir, du wirst einen dermaßen grausamen Tod sterben, dass dir Voldemort wie ein Unschuldsengel vorkommt.“ Das mit dem im Schlaf reden war glatt gelogen, aber Harry trug es mit einer so kalten, grausamen Ernsthaftigkeit vor, dass Peter unter seinem Blick zitterte wie Espenlaub. „Ja, ich war's“, gestand er schließlich heulend, „Sirius ist unschuldig. Bitte tötet mich nicht!“ „Bist du bereit, das vor einem Gericht zu beschwören?“ „Ja, ja doch, ich tu alles... bitte...“ Langsam ließ Harry den Zauberstab sinken. Sein Hass auf diese jämmerliche Kreatur wurde nicht weniger, aber während seines Vampir-Trainings hatte er gelernt, extreme Gefühle zu kontrollieren. Dumbledore war ganz blass geworden. Er räusperte sich kurz und schickte stumm einen Stupor auf Peter, der ihn geschockt zur Seite fallen ließ. Fast im selben Moment gaben die Beine unter Remus nach und er sank zu Boden, Peter mit einer Mischung aus Ekel und Entsetzen anstarrend. „Sirius... ist unschuldig? All die Jahre...“ „Aber...“, meldete sich Hagrid da zu Wort, „wenn das wahr is... Warum is Black dann erst jetzt aus Askaban ausgebrochen?“ „Bei einer seiner jährlichen Visiten vor ein paar Monaten“, erzählte Harry nun wieder mit ruhiger Stimme, „gab Fudge ihm seine Zeitung. Es war die, in der das Foto von Rons Familie zu sehen war.“ „Der Ministeriums-Preis“, erinnerte sich Ron, „die Reise nach Ägypten.“ „Genau. Darauf war auch Krätze. Sirius hat ihn erkannt. Sie haben sich ja so oft zusammen verwandelt...“ „Moment. Sirius Black ist ein Animagus?“, fragte McGonagall. „Er, Peter und mein Vater wurden es in ihrem fünften Jahr in Hogwarts. So konnten sie Remus – äh, Professor Lupin auf seinen nächtlichen Streifzügen begleiten.“ Snape schnaubte verächtlich. „Nächtliche Streifzüge?“, wiederholte Ron verwirrt. „Ich bin ein Werwolf“, erklärte Remus hilfsbereit. Ron klappte der Mund auf. „Sie sind ein was?!“ Harry rollte mit den Augen. „Ein Werwolf, Ron. Komm schon, dein bester Freund ist ein Vampir und den ganzen Tag über ein Monster. Da wirst du ja wohl mit jemandem klar kommen, der sich nur einmal im Monat verwandelt.“ Ron sah beleidigt aus. „Du bist kein Monster!“ „Genauso wenig wie Remus.“ Er schüttelte den Kopf. „Entschuldigung, Professor, Sirius und ich haben Sie eben nur immer beim Vornamen genannt.“ Der Werwolf zuckte mit den Schultern. „Schon okay. Ich vermute, Sirius hat mir nichts von dem Tausch gesagt, weil er mich verdächtigte?“ Harry sah ihn entschuldigend an. „Das war, weil du die Zwielichtigen infiltriert und dich dort so wohl gefühlt hast. Am Ende waren es ironischerweise genau die, denen er misstraut hat, die ihm letztendlich am meisten geholfen haben.“ „Und wer sind jetzt schon wieder die Zwielichtigen?“, fragte Ron gereizt. „Ein Zusammenschluss verschiedener magischer Rassen, zum Beispiel Werwölfe und Vampire. Bei ihnen haben Sirius und ich die letzten paar Monate verbracht.“ „Dann...warst du also nie in Gefahr!?“, fragte Hermine, „und wir haben uns solche Sorgen gemacht!“ „Naja“, verteidigte sich Harry, „einmal ging während der Jagd die Sonne auf, das war schon ziemlich brenzlig. Ganz zu schweigen von dieser einen Vollmondnacht, bei der... Wie auch immer, ich bin ohne Erlaubnis vier Tage vor der Frist abgehauen und das wird sie wütend machen, aber ich musste diese Sache hier klären.“ Harry wandte sich wieder an Dumbledore. „Können Sie dafür sorgen, das Sirius' Fall wieder aufgenommen wird?“ „Natürlich, mein Junge“, erwiderte der Schulleiter, „ich werde sofort eine Eule losschicken. Du solltest dich von der ganzen Aufregung etwas ausruhen. Severus, Remus, wärt ihr so gut, auf unseren Gefangenen aufzupassen?“ Die Professoren nickten, auch wenn Remus etwas bleich war. Harry konnte sich schon denken, warum ausgerechnet die Beiden auf Peter aufpassen sollten. Snape, damit Remus Peter nicht tötete und Remus, damit Snape Peter nicht entkommen ließ. Mit einem Flick seines Zauberstabes fesselte Remus den geschockten Verräter und ließ ihn aufrecht schweben. Er lächelte Harry flüchtig zu, bevor er das Büro verließ. Snape folgte ihm mit sauertöpfischer Miene. Sein Umhang bauschte sich auf, als er sich noch einmal umdrehte und Harry ansah: „Ihnen ist schon klar, Potter, dass Sie eine ganze Menge Stoff nachzuholen haben?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)