Grey von Swanlady (Lily/Nina) ================================================================================ Kapitel 1: Grey --------------- Grey Sanftes Licht fiel durch das offene Fenster. Das erste, das Lily bemerkte, als sie über die Türschwelle trat, war das stechende Weiß im ganzen Raum. Die Vorhänge, die Wände, die Bettwäsche. Alles war sauber und verlieh dem Zimmer einen sterilen Eindruck. Es hätte beinahe künstlich und leblos gewirkt, wenn der leichte Wind nicht mit dem Vorhangsaum gespielt hätte. Außerdem war sie hier. Sie lag auf ihrem Bett, mit dem Rücken zur Tür und beugte sich über ein Buch. Helle Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht und verrieten, dass sie das Buch gar nicht wirklich las, sondern einfach nur die bedruckten Seiten anstarrte, gedankenverloren und apathisch. Lilys Mundwinkel zuckten, doch sie versuchte die Bitterkeit aus ihren Gedanken zu vertreiben, um nicht noch mehr Traurigkeit in diese tristen vier Wände zu bringen. Sich leise räuspernd, schloss sie die Tür hinter sich, doch Nina rührte sich immer noch nicht. Sie lag auf der Seite, die Beine leicht angewinkelt, als hätte sie immer noch Schmerzen. „Hey“, begrüßte Lily sie leise, doch noch immer fehlte jegliche Reaktion. Langsam ging sie auf das Bett zu und blieb erwartungsvoll davor stehen. Ein paar Sekunden lang beobachtete Lily die liegende Frau schweigend und stirnrunzelnd. Dann machte sie seufzend auf dem Absatz kehrt und schritt hinüber zum Fenster. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Nina ihr mit dem Blick folgte. Ein Fortschritt, der Lily unheimlich erleichterte. Als hätte sie nichts gemerkt, zog sie ihre Zigarettenpackung aus der Manteltasche und zündete sich eine Zigarette an. „Das Rauchen ist in den Räumen verboten“, sagte Nina plötzlich mit völlig neutraler Stimme, die noch ein wenig schwach klang. So, als hätte sie eine lange Zeit mit Grippe im Bette gelegen. Lily konnte sich das Lächeln nicht verkneifen. Unwillkürlich fühlte sie sich an den Abend erinnert, an dem sie nach dem Training im Saal geraucht und Nina sich ihr anvertraut hatte. Diese Situation schien so lange her zu sein, dass sie Lily beinahe irreal vorkam. Sie drehte sich langsam um und musterte Nina, die ihr jetzt direkt in die Augen sah. Genüsslich zog Lily an ihrer Zigarette und stieß den Rauch wieder aus den Lungen, ehe sie mit einem Schulterzucken antwortete. „Du weißt, dass ich mir nichts aus Verboten mache.“ Sie hatte das Gefühl, dass Nina nur einen Vorwand gesucht hatte, um etwas zu sagen. Weshalb sie nicht auf ihren Gruß hatte antworten wollen, wusste Lily nicht, aber das war ohnehin egal. Das Eis war gebrochen und nur das zählte. „Wie geht es deiner Verletzung?“, fragte Lily und nickte in Richtung Nina, den Blick auf ihren Bauch gerichtet. Die Angesprochene zog die Beine noch ein wenig enger an den Körper und zuckte nun ihrerseits mit den Schultern. Wie ein verschüchtertes Mädchen senkte sie den Blick, klappte jedoch das Buch zu und schob es unter ihr Kissen. „Wenn du Schmerzen hast, dann kann ich dir was besorgen…“, setzte Lily an, doch Ninas empörtes Schnauben ließ sie verstummen. Ein kurzes Grinsen huschte über das Gesicht der Brünetten. „Ich mein ja nur“, schmunzelte sie verteidigend und drückte ihren Zigarettenstummel am Fensterbrett aus. „Vielen Dank, aber ich weiß noch sehr genau, was letztes Mal passiert ist, als du…“ Nina brach ab, augenscheinlich erst jetzt realisierend, welches Ereignis sie gerade ansprach. Sofort presste sie die Lippen aufeinander, um sich davon abzuhalten ein weiteres Wort zu sagen. Auch Lily erinnerte sich sehr gut an den Abend, den sie beide tanzend und trinkend verbracht hatten. Sie selbst hatte sich später mit Tom vergnügt, während in Ninas Vorstellung ganz andere Dinge passiert waren… Ein amüsiertes „Hmm?“ entwich Lily, ehe sie sich Nina feixend näherte und schließlich neben ihr auf dem Bett Platz nahm. Nina setzte sich sofort auf, schlang die Arme um ihren verspannten Körper und sagte nichts. Das entlockte Lily ein Kichern und sie streckte die Hand aus, und Nina liebevoll ein paar Haarsträhnen hinters Ohr zu streichen. „Behandeln sie dich hier gut?“, wollte Lily wissen. Sie klang ernst und besorgt. Diese Tonlage ließ Nina erschrocken zusammenzucken, doch sie rutschte nicht noch mehr von Lily fort, wie diese vermutet hatte. „Es geht“, war Ninas einzige Antwort. Als Lily klar wurde, dass sie keine weitere Auskunft erhalten würde, legte sie den Kopf schief und musterte das Profil der hübschen Balletttänzerin. Sie hakte nicht nach. Es war offensichtlich, dass es Nina schlecht ging, dass sie einsam und verwirrt war. Wer wäre das an ihrer Stelle nicht? Jemandem, der einen solchen Unfall überlebt hatte, der dem Tod nur um Haaresbreite entkommen war, nur um am Ende hier, an diesem Ort zu landen, dem konnte es nicht gut gehen. In Gedanken verloren, merkte Lily nicht, dass Nina sie eingehend beobachtete. Erst, als die zierliche Hand auf ihrem linken Knie zu liegen kam, erwachte Lily aus ihrer Starre. Ninas Umrisse wurden wieder schärfer und das wässrige Funkeln in ihren Augen holte Lily auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie war hier, um die Kleine ein wenig aufzumuntern und nicht, um sie schon wieder daran zu erinnern, was vorgefallen war. „Es tut mir leid, Lily“, wisperte Nina beinahe atemlos und man sah ihr an, dass sie mit den Tränen kämpfte. Lily spürte, wie alles in ihr zu Eis gefror. Mit großen Augen, in denen Unverständnis lag, suchte sie stumm eine Antwort auf das Wieso?. Nina hatte nichts getan, wofür sie sich entschuldigen müsste. Sie konnte doch überhaupt nichts dafür – sie war hier das Opfer. „Ich dachte, du willst meine Rolle stehlen.“ Kaum hatte die letzte Silbe Ninas Mund verlassen, lag auch schon Lilys Zeigefinger darauf. „Sssh, hör auf damit“, wies sie Nina an und schüttelte den Kopf. „Du musst dich nicht entschuldigen. Wirklich nicht. Ich weiß, dass du…“ Abrupt brach Lily ab, als Nina sich urplötzlich vom Bett erhob und energisch herumwirbelte. „Dass ich was?“, fuhr sie Lily an und funkelte sie böse an. Lily blinzelte erschrocken und hob abwehrend die Hände. „Dass ich krank bin?“ Die Hysterie in Ninas Stimme war kaum zu überhören. Augenblicklich realisierte Lily, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Sofort war sie auf den Beinen und legte beruhigend die Hände auf Ninas Schultern, ließ sich diesmal nicht so leicht abwimmeln. „Hey, beruhige dich!“, redete sie auf Nina ein. „Du hast mich gar nicht ausreden lassen!“ Dieser Satz zeigte endlich die gewünschte Wirkung und Nina hörte auf sich zu winden. Perplex starrte sie Lily an und japste nach Luft, ihre Wut offenbar mit einem Schlag verpufft. „Na also, geht doch“, meinte Lily zufrieden und grinste wieder. Sie ließ Nina nicht los, sondern beugte sich ein wenig vor, um ihr tief in die Augen zu sehen. Es war Lily wichtig, dass sie die Ehrlichkeit hinter diesen Worten mitbekam. Und das konnte Nina nur, wenn sie sich traute in ihre Seele zu blicken. „Also, noch einmal. Ich weiß, dass du…“, begann Lily erneut und wagte es nicht zu blinzeln, „… perfekt warst. Ich wäre niemals so gut gewesen wie du. Du hast dich bedroht gefühlt und das kann ich verstehen. Aber glaub mir, egal was dabei herausgekommen ist, du warst grandios. Das kann und wird dir niemand nehmen. Ich bewunderte dich, Nina. Du bist stark, viel stärker, als du glaubst.“ Langsam ließ Lily die schmalen Schultern wieder los und richtete sich auf. „Und jetzt sorgst du zunächst einmal dafür, dass es dir wieder besser geht, einverstanden?“ Lily schenkte ihrem Gegenüber ein aufmunterndes Lächeln und deutete mit dem Daumen hinüber zur Tür. „Ich werde dann mal gehen“, informierte sie Nina über ihr Vorhaben, da die Andere immer noch wie erstarrt dastand. Hatte sie schon wieder etwas Falsches gesagt? Lilys Lächeln flackerte, doch plötzlich, vollkommen unerwartet, schlossen sich Ninas Arme um ihren Körper. Der dünne Leib presste sich fest gegen Lilys, die überrumpelt den Mund aufmachte. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet! Vorsichtig legten sich nun auch ihre Arme um Ninas Taille. Sanft und umsichtig, als hätte sie Angst, sie könnte ihr einen Knochen brechen. Unter Ninas T-Shirt konnte sie den Verband spüren. „Es ist so schrecklich weiß hier. Alles erinnert mich an den Schwan.“ Ninas ohnehin schon leise Stimme wurde durch Lilys Mantel gedämpft, doch diese verstand die Worte trotzdem. Tröstend fuhr ihre rechte Hand über das hellbraune Haar. Zögernd löste sich Nina von ihrer ehemaligen Konkurrentin und sah ihr beklommen in die Augen. „Kommst du wieder?“, fragte sie und eine unterschwellige Bitte lag in ihren Worten. „Selbstverständlich. Wenn du es möchtest“, antwortete Lily sofort. Mit einem Lächeln umfasste sie Ninas Gesicht und zog es behutsam zu sich heran, um ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn zu geben. „Du warst gut“, rutschte es plötzlich Nina heraus. Es dauerte eine Weile, bis Lily verstand, was diese Aussage zu bedeuten hatte. Erst als ihr der leichte Rotschimmer auf Ninas Wangen auffiel, fiel der Groschen und sie lachte herzhaft auf. „Wirklich? Das freut mich“, lachte sie zufrieden, zog aber im nächsten Moment enttäuscht die Mundwinkel nach unten. „Nur gut? Nun, dann muss ich wohl an mir arbeiten.“ Augenzwinkernd wandte sich Lily von Nina ab, die ihre Sorgen anscheinend wirklich für ein paar Momente vergessen hatte. Und genau darum ging es ihr. Sie war nicht perfekt. Sie war weder weiß noch schwarz. Aber sie war genau das, was Nina jetzt brauchte. Als Lily die Zimmertür hinter sich zuzog, wusste sie, was ihre Aufgabe war. Sie würde Nina die Grautöne in ihr Leben holen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)