Der unerwünschte Mieter von Pansy ================================================================================ Kapitel 25 ---------- Kapitel 25 „Frau Alissa Askei?“, fragt die junge Frau hinter der Hotelrezeption. Ich nicke irritiert und sehe sie erwartungsvoll an. „Ja?“ „Das hier wurde für Sie abgegeben.“ Sie hält mir einen blütenreinen weißen Umschlag hin, den ich perplex entgegennehme. „Danke“, erwidere ich und werfe Jessi einen fragenden Blick zu. Doch diese zuckt nur mit den Schultern und lotst mich zur kleinen Sitzgruppe, die mitten in der Hotellobby steht und von riesigen Pflanzen in überdimensional großen Tontöpfen umgeben ist. Eigentlich hatte ich mir nur den Zimmerschlüssel holen wollen und stattdessen diesen ominösen Umschlag in die Hand gedrückt bekommen. „Ich glaub', ich hab' den Schlüssel vergessen.“ Ich schaue zur Rezeption, auf die Jessi bereits zusteuert. Auch wenn ich mir nicht sicher sein kann, dass er von ihm ist, macht sich bereits ein unstetes Kribbeln in mir breit. „Hast du ihn immer noch nicht geöffnet?“, meint Jessi fast schon vorwurfsvoll, als sie mit der Magnetkarte – der Schlüssel – in der Hand zurückkommt und sich auf einem der ledernen Sessel neben mir niederlässst. „Also deine Ruhe möchte ich mal haben!“ Ruhe? Von wegen! In mir spielen tausend Schmetterlinge Fangen. Zumindest fühlt es sich so an. Ich betrachte den Umschlag auf meinem Schoß und kaue auf meiner Lippe. „Jetzt spann' mich nicht so auf die Folter.“ Hättte Jessi mir heute im Tretboot auf dem See gesagt, dass ich noch am selben Tag von Joshua höre, hätte ich sie ausgelacht, glaube ich. Insgeheim habe ich natürlich gehofft, dass er sich bis Sonntag in irgendeiner Form von sich hören lässt, aber damit wirklich gerechnet habe ich nicht. Die SMS an ihn habe ich vor nicht einmal ganz vierundzwanzig Stunden abgeschickt. „Du weißt, dass du mal hineinsehen solltest, ja?“ „Hm?“, schaue ich auf und kehre damit geistig in die Hotellobby zurück. „Ja, aufmachen, gute Idee.“ Boah, so zerstreut kann man wegen einem dummen Umschlag doch gar nicht sein! Mit bebenden Fingern drehe ich den Umschlag um und löse vorsichtig die Klebelasche. Als diese nicht recht möchte, reiße ich sie auf und zerstöre damit halb den Umschlag. „Den braucht eh keiner“, kommentiert Jessi belustigt. Ich halte eine rechteckige schwarze Karte in der Hand, auf deren Vorderseite ein Restaurant zu sehen ist. „Dinner im Dunkeln?“, lese ich verlüfft vor. „Zeig' mal.“ Da es Jessi anscheinend zu langsam geht, nimmt sie mir die Karte weg und stößt einen anerkennenden Seufzer aus. „Nicht schlecht, er lässt sich zumindest nicht lumpen. Er erwartet dich in einer Stunde im Saint de Mar.“ „Was? In einer Stunde?“ Reden wir gerade von heute? Nachher? Gleich? Also heute noch, ja? „Ja! Also husch husch nach oben, wir müssen dich schick machen.“ „Wir essen im Dunkeln.“ Oder habe ich da eben was falsch verstanden? „Na und? Danach seht ihr euch bestimmt noch im Laternenschein oder im Mondlicht oder …“ Sie hält inne und sieht mich entschuldigend an. „Ich mutiere gerade zur kitschigen Romantikerin, oder?“ „Könnte man so sagen.“ Aber verdenken kann ich ihr das nicht, denn in meinem Kopf manifestieren sich ähnliche Bilder. Vehement schüttele ich mein Haupt und versuche diese so bald wie möglich wieder loszuwerden. „Ach, Milly. Aber ich wusste es! Ich wusste, dass er kommen wird. Gut, so bald habe nicht mal ich vermutet, aber das heißt doch, dass ihm wirklich etwas an dir liegt. Und so ein Dinner im Dunkeln ist doch die perfekte Gelegenheit, euch mal auszusprechen.“ Sie zieht mich hinauf in unser Zimmer und ich folge ihr gehorsam. Gerade wirbeln die Gedanken in meinem Kopf und ich fühle mich unfähig, mich um mich selbst zu kümmern. Ich fühl' mich so in Watte gepackt, so als ob mir selbst spitze Gegenstände nichts anhaben könnten. „Jessi?“, kommt es jammervoll aus meinem Mund. „Hau' oder tret' mich mal, sonst komme ich nie auf den Boden der Tatsachen zurück.“ Obwohl sie grinst, boxt sie mir leicht gegen die Schulter. „Na, gelandet?“ „Fester?“, bettele ich. „Kommt gar nicht infrage. Wenn ich dich mit blauen Flecken dahin schicke, dann steigt mir Joshua wegen Körperverletzung am Ende noch aufs Dach.“ Gut, dann muss ich das wie immer selbst machen. Ich zwicke mir so fest in den Arm, wie ich nur kann. „Au!“, fluche ich und laufe ins Badezimmer, wo ich kaltes Wasser über die malträtierte Stelle laufen lasse. „Ich habe noch nie verstanden, warum du so masochistisch veranlagt bist.“ Jessi lehnt im Türrahmen und sieht mich über den Spiegel hinweg an. „Weil es mir hilft, dass ich in die nüchterne Realität wiederkehre.“ Ganz einfach. Warum auch sonst sollte ich mich zwicken? Zudem ist es ein Erfolgsrezept, denn es hilft jedes einzelne Mal. Okay, es grenzt ganz minimal an Masochismus, aber ich verletze mich ja nie ernsthaft. „So“, atme ich erleichtert auf. „Jetzt befinde ich mich wieder voll und ganz hier.“ „Schön, dann können wir ja mit deinem Styling beginnen.“ „Kann ich nicht einfach als ich gehen?“ Hey, der Kerl hat mich sogar schon in meinem Schlabberschlafanzug gesehen! Und leider in BH. Also warum sollte ich mich groß für ihn zurecht machen? „Wir waren den ganzen Tag unterwegs und ich habe dich vorhin mit Seewasser gebadet. Schon vergessen?“ Okay, da ist was dran. Geschlagen nicke ich. „Okay, solange ich dusche, kannst du mal meinen Koffer durchwühlen und was Passendes heraussuchen.“ „Geht doch“, strahlt Jessi und schließt hinter sich die Tür. Nach der zweiten Dusche des Tages – die dritte, wenn man die Seedusche mit einrechnet – laufe ich in Unterwäsche ins Zimmer zurück und schaue mir an, was Jessi auf meinem Bett ausgebreitet hat. Nur gut, dass ich nur mehr oder minder normale Klamotten eingepackt habe. „Schwarze Hose und figurbetontes rotschwarzes Oberteil. Damit kann ich leben.“ „Ich bin enttäuscht“, seufzt Jessi jedoch. „Du hast überhaupt nichts richtig Aufreizendes dabei. Dabei hättest du ihm ruhig zeigen können, was ihm entgeht, wenn er sich nicht anstrengt.“ „Danke für die Blumen“, entgegne ich süßlich. „Morgen gehen wir shoppen und kaufen dir mal was Ordentliches!“ „Wie oft hast du das schon versucht?“, frage ich sie mit hochgezogenen Brauen, während ich Knopf und Reißverschluss der Hose schließe. „Viel zu oft, wenn man die magere Ausbeute bedenkt. Aber sag' jetzt nichts. Ich weiß ja, dass du es eher sportlich und leger magst. So hat er dich auch kennengelernt, aber dennoch. Ein bisschen reizvoller und eleganter könnte es schon sein.“ „Man muss sich in seiner Kleidung aber auch wohl fühlen. Zudem“, bringe ich zu meiner Verteidigung noch an, „ist das hier wohl eng genug!“ Mit beiden Zeigefingern deute ich auf das Oberteil. „Noch enger und man sieht meine Speckringe noch mehr!“ „So schlimm sind sie doch gar nicht. Außerdem kommt es bei einem Menschen nicht nur auf die Figur an, sondern auf die Ausstrahlung und den Charakter. Und davon hast du genug, um über die eine oder andere Problemzone hinwegzusehen.“ Auf so was erwidere ich schon lange nichts mehr, obwohl es mich schon immer ein bisschen hoffen lässt, dass dies auch ein Mann so sehen könnte. Ja, so ein paar Komplexe von früher sind geblieben. Aber ich arbeite hart an mir, diese so gut es geht loszuwerden. „Mhh... meine eine Kette, die ich letztens auf dem Mittelaltermarkt erworben habe, könnte dazu passen“, murmele ich vor mich hin und überlege, ob ich die überhaupt eingepackt habe. Sie ist Silber mit lauter feuerroten Ornamenten und Steinen. Passt zu ganz wenigen Sachen von mir, aber wenn ich mal was richtig Rotes anhabe, dann trage ich sie meist dazu. „Ha!“ Gut, dass ich manche Dinge schon ganz unterbewusst in meinen Kulturbeutel schmeiße. „Die ist hübsch.“ Stimmt, Jessi kennt sie ja noch gar nicht. „Danke. An der kam ich einfach nicht vorbei.“ „Mit der Kette sieht das Outfit ja doch ganz adrett aus.“ Sie läuft einmal um mich und nickt. „So kann ich dich gehen lassen.“ „Phu, jetzt fällt mir aber ein Stern vom Herzen. Ich dachte schon, ich müsse ohne deinen Segen losziehen.“ „Spinnerin.“ „Das sagt die richtige“, grinse ich. Doch obwohl ich zehn Minuten später fertig gestylt bin – leicht geschminkt und eine lockere Hochsteckfrisur –, lasse ich mich auf mein Bett fallen. „Soll ich wirklich hingehen?“ Die sich langsam ausbreitende Nervosität lässt mich auf einmal zweifeln. „Jetzt wird nicht gekniffen. Du hast ihm das Ultimatum selbst gesetzt, also schwing deinen Allerwertesten wieder hoch und zeige ihm, wo der Hammer hängt. Lass ihn ein bisschen zappeln und sei einfach du selbst. Und betrachte es mal so: Er ist nur wegen dir hierher gekommen. Das hätte er nicht getan, wenn er dich nicht mögen würde.“ Okay, jetzt bin ich noch nervöser. „Wo muss ich eigentlich hin?“, schrecke ich auf. Ich springe auf, verzerre mein Gesicht kurz vor Schmerz, weil sich mein Bein negativ bemerkbar macht, und laufe unkontrolliert hin und her. „Saint de Mar, richtig?“ „Entspann' dich, ich habe, solange du im Bad warst, unten angerufen und gefragt, wo das ist. Zehn Minuten zu Fuß von hier. Die Straße, die wir vorhin hierhergelaufen sind, dann ganz am Ende rechts und du bist schon fast da. Das würde selbst ich finden und das bei meiner schwachen Orientierung.“ Ich muss unvermittelt grinsen, weil Jessi sich in der Tat noch viel leichter verfährt als ich. Und das muss was heißen! „Du denkst aber auch an alles, oder?“ „Dafür bin ich doch da. Nur schade, dass unser gemeinsamer Kurzurlaub damit schon beendet ist.“ Auweia, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich bin vielleicht eine tolle Freundin. Da opfert sich Jessi förmlich für mich auf und ich denke nur an Joshua. „Also doch ein Grund, nicht zu gehen.“ „Vergiss es! Du wirst das jetzt durchziehen! Ich bin ja froh, wenn ich dich mal an den Mann bringe!“ Ich strecke die Zunge raus, werfe mir eine leichte, etwas längere schwarze Strickjacke über und hänge meine Handtasche um. „Mich an den Mann bringen ...“, wiederhole ich leise. „Aber ich kann dich hier doch nicht einfach allein lassen“, fahre ich lauter fort. „Und ob du das kannst. Ich habe das Hotel wohlweislich herausgesucht, denn ...“ Sie macht eine kurze Künstlerpause. „Hier gibt es einen riesigen Wellnessbereich.“ „Okay, dann weiß ich, wo ich dich später finden werde.“ „Ich hoffe doch mal, dass du nicht so schnell zurückkommst. Im Internet war von Masseuren und einem Pool die Rede. Mir wird es hier an nichts mangeln und du sollst die traute Zweisamkeit – sofern man von solch einer in einem Restaurant, in dem man sich nicht mal sehen kann, reden kann – genießen. Aber vergiss nicht, ihm das Leben ein bisschen schwer zu machen, er hat es nämlich nicht anders verdient.“ Mein Mund geht auf, aber ich habe keine Ahnung, was ich erwidern soll, also schließe ich ihn wieder. Sie drückt mich. „Pass auf dich auf.“ Und ehe ich wirklich einen Rückzieher mache, schlüpfe ich durch die Tür. Draußen atme ich die kühle Nachtluft ein und blicke hinauf zu den Sternen, die man trotz der vielen Straßenlaternen sehen kann. Ein Dinner im Dunkeln mit Joshua. Darauf wäre ich ja im Leben nie gekommen. Öfter schon habe ich von diesen Dinnern gehört, eine Bekannte erzählte mir mal, wie toll das ist, aber selbst habe ich bisher noch nie an einem teilgenommen. Ist sicherlich aufregend etwas zu essen, das man nicht sieht. Plötzlich fröstelt es mich. Wer weiß, was ich da vorgesetzt bekomme!? Ein freudiges Bellen reißt mich aus meinen Gedanken. Ein kleiner Yorkshire kommt auf mich zugelaufen und wedelt eifrig mit dem Schwanz. Ich muss meine Meinung eindeutig revidieren. Bisher dachte ich, dass ich Hunde nur in Fenden anziehe, aber anscheinend tue ich das überall. Aber ich muss zugeben, der Kleine vor mir ist echt niedlich. Deshalb gehe ich kurz in die Knie und tätschele ihm den Kopf, was er mit heftigerem Schwanzwedeln zur Kenntnis nimmt. „Sorry, ich muss weiter“, flüstere ich ihm zu und im selben Moment kommt auch schon sein Herrchen um die Ecke. Gutes Timing. Allerdings überrascht es mich, dass Hunde hier in der Innenstadt nicht an die Leine müssen. Doch das sollte mich nicht kümmern. Ich habe eine Mission und die heißt Joshua. Irgendwie bin ich froh, dass ich ihm nicht von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten muss, also dass ich ihm nicht in die tiefgrünen Augen sehen muss. Vielleicht schaffe ich es dann mal, ihn nicht wie benebelt anzuhimmeln. Wie von Jessi beschrieben, biege ich rechts ab und sehe schon das schwarze Schild mit der silbernen Aufschrift Saint de Mar. Das Restaurant bleibt sich also seiner Linie treu. Die Karten sind das perfekte Ebenbild dieses Schilds und es ist damit nicht zu verfehlen. Direkt vor der Tür atme ich noch einmal tief ein und aus. Dann öffne ich sie und werde gleich von einem jungen Mann in Empfang genommen. „Schönen guten Abend“, strahlt er. „Willkommen im Saint de Mar. Auf welchen Namen ist für Sie reserviert?“ „Lentile?“, kommt es wenig überzeugt aus meinem Mund und füge daher ein freundliches „Guten Abend.“ an. „Ich verstehe“, grinst er nun wie ein Honigkuchenpferd und lässt damit mein Herz noch schneller schlagen. Er tut ja so, als ob er nur auf mich gewartet hätte. „Frederic wird Sie zu Ihrem Platz geleiten. Er ist blind und führt Sie daher mit Sicherheit unfallfrei zu Ihrem Platz.“ Er lacht kurz und schiebt mich dann durch die nächste Tür, hinter der es bereits ziemlich dunkel ist. „Danke“, wispere ich und kann nicht umhin, noch einmal zurückzusehen. Der Kerl grinst immer noch von einem Ohr zum anderen. Aber wahrscheinlich bilde ich mir nur ein, dass das was mit mir zu tun hat. Ganz sicher sogar. „Es ist mir eine Ehre“, ertönt plötzlich eine Stimme neben mir, die mich zusammenzucken lässt. Ich kann gerade so erkennen, dass mir ein Arm gereicht wird. Das muss wohl Frederic sein. Ich hake mich unter, da mir keine andere Wahl bleibt, wenn ich sicher an meinem Platz ankommen möchte. „Entspannen Sie sich, Herr Lentile erwartet Sie bereits.“ Ha ha und das soll mir helfen, mich zu entspannen? Der ist gut. Je weiter er mich durch den Gang führt, desto weniger sehe ich. Als er mich dann durch eine weitere Tür führt, bin ich nur noch von Schwärze umgeben. Und der Umstand, dass Joshua schon da ist, lässt mich ganz feuchte Hände bekommen. Jetzt ist es wohl zu spät zu kneifen. Jessi würde es mir auch verübeln, wenn ich jetzt kehrtmache und zurückrenne. Mit einem dicken Kloß im Hals bleiben wir stehen. „Darf ich bitten?“, fragt Frederic mit seiner dunklen und angenehmen Stimme. „Der Stuhl befindet sich direkt hinter Ihnen.“ Vorsichtig nehme ich Platz und Frederic rückt den Stuhl gleichzeitig ein Stück nach. „Herr Lentile, Ihre Begleitung. Soll ich sie in alles einweisen oder möchten Sie das übernehmen?“ „Danke Frederic, das mache ich.“ Als Joshuas Stimme an mein Ohr dringt, hüpft mir mein Herz bis zum Hals und ein plötzliches Rauschen durchflutet mich. „Danke Frederic“, sage ich und befürchte, dass er schon weg ist. „Sehr gerne“, antwortet er aber in seiner netten Art. „Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit.“ „Hi Milly. Ich freue mich, dass du gekommen bist.“ Ich lege meine Hände auf den Tisch und stoße dabei irgendetwas an. Vielleicht wäre es doch besser, was zu sehen? Nur Joshuas Stimme zu hören, zu wissen, dass er mir direkt gegenübersitzt, ist leider ebenso aufregend und benebelnd wie in seine tiefgrünen Augen zu sehen. Okay, jetzt nur nicht die Nerven verlieren. „Du hast es satt, mich ansehen zu müssen, hm?“, erwidere ich ziemlich sarkastisch, obwohl ich ihn damit eigentlich nur ein bisschen aufziehen möchte. „Ja, ich bin es wahrleich leid“, kommt es leicht spöttisch zurück. „Gewöhn' dich also dran, dass ich dich auch zukünftig nur im Finstern ausführe.“ „Gut zu wissen, dann muss ich mir wenigstens über die Kleiderwahl keine Gedanken machen.“ „Spart viel Zeit. Dann bist du das nächste Mal immerhin pünktlich.“ „Hey, das waren nur fünf Minuten!“, denke ich. Der soll sich mal nicht so haben! Er kann von Glück reden, dass Jessi und ich überhaupt so früh im Hotel waren. „Da war ein kleiner Yorkshire, der um meine Aufmerksamkeit bettelte. Hätte ich ihn einfach mit seinem Hundeblick missachten sollen?“ „Du ziehst einen Hund mir vor? Jetzt kenne ich meinen Stellenwert wenigstens.“ Er lacht leise und dieser Laut zieht sich wie eine Gänsehaut über meinen Körper. „Dann haben wir das also geklärt“, grinse ich. „Darf ich dir nun erklären, wie du dich hier am besten zurechtfindest, ehe du weiterhin randalierst?“ Ich taste vorsichtig mit meinen Fingern auf dem Tisch herum und Besteck beginnt zu glimpern. „Okay“, brumme ich ergeben. „Die Uhr kennst du, ja?“ „Bestimmt schon länger als du“, entgegne ich frech. „Ha, ich wusste es. Du hast deinen Perso gefälscht und dir deine drei Wünsche auf unfaire Art und Weise erspielt. Frauen machen sich ja immer jünger als sie sind.“ „Schon mal daran gedacht, dass ich vielleicht einfach schneller lerne als du?“ Warum hätte er seine Rolle sonst an einer lebendigen Person austesten müssen? „Wie dem auch sei, auf 3 Uhr findest du die Gabel.“ Schade, ich hätte dieses Gespräch gerne auf die Spitze getrieben, denn es hat mich daran erinnert, wie es zwischen uns war, als ich noch nicht wusste, dass alles von ihm nur inszeniert war. „In etwa auf 9 Uhr findest du ein Glas. Und Vorsicht, ich habe dir bereits Wasser einschenken lassen.“ „Damit ich was habe, wenn du zu aufdringlich wirst? Wie umsichtig von dir.“ Hach ja, so allmählich finde ich doch Gefallen an der Dunkelheit. „Ich habe übrigens für uns schon bestellt. Normalerweise hättest du das vorne im Hellen machen müssen“, fährt Joshua unbeeindruckt in seiner Einführung fort. Ich runzle die Stirn. Wer weiß, was er bestellt hat. „Solange es keine Schnecken, Muscheln oder Garnelen sind?“ „Oh, wenn ich das gewusst hätte … tja, da musst du jetzt durch.“ Ganz sicher bin ich nicht, dass er nur scherzt. Aber das tut er doch, oder? „Das Essen wird in einer Form serviert, dass du es auch notfalls mit den Fingern essen kannst. Habe ich recht, Frederic?“ „Bisher immer, Herr Lentile.“ Was? Frederic war die ganze Zeit über hier? Das hätte man mir ruhig mal sagen können! Und ich dachte, wir sind ungestört. Frederic hält mich jetzt bestimmt für ein ungezogenes Gör. Na toll. „Das ist Joshua und ich bin Milly“, meine ich an Frederic gewandt. Ich weiß, dass die Angestellten hier zur Höflichkeit gezwungen sind, doch wenn wir ihn schon beim Vornamen ansprechen, darf er das ruhig auch tun. Zudem werde ich so ungern mit Frau Askei angesprochen, das klingt immer so distanziert. Und wenn uns Frederic anscheinend den ganzen Abend über zur Seite steht, dann kann er von mir aus sehr gerne auf dieses ständige Herr und Frau sowieso verzichten. Ob Joshua damit einverstanden ist, ist mir ziemlich egal. „Haben Sie einen bestimmten Getränkewunsch, Milly?“, entgegnet er in seiner gewohnt freundlichen Art. „Haben Sie ganz zufällig eine Maracujasaftschorle?“ Ja, ich und meine Sonderwünsche. Aber die ist so lecker. Und wenn er schon fragt!? „Kommt sofort.“ Und jetzt höre ich ihn sich entfernen. Stimmt, dieses Geräusch habe ich vorhin gar nicht vernommen gehabt. Kurz darauf werden weitere Gäste in den Raum geführt und Stimmengemurmel kommt auf. „Du hättest mir ruhig sagen können, dass wir die ganze Zeit über belauscht werden“, beschwere ich mich. „Dann hättest du aber nicht dein Herz auf der Zunge getragen.“ Die Antwort kommt recht schnell und mit einem Hauch von Überschwang. „Kann nicht jeder so gut schauspielern wie du.“ Erst als die Worte gesagt sind, realisiere ich, was ich da von mir gegeben habe. Zwar habe ich damit den Nagel auf den Kopf getroffen, aber vielleicht war das doch ein bisschen hart. Er seufzt. „Werde ich das jemals wieder gutmachen können?“ „Keine Ahnung?“ Ich weiß es wirklich nicht. „Darf ich die Schorle gegen das Wasserglas tauschen?“, fragt Frederic. „Gerne. Danke.“ „Auf 9 Uhr“, erinnert er mich. Ich greife nach dem Glas und nippe erst mal vorsichtig. Als sich der gute Maracujasaftgeschmack in meinem Mund ausbreitet, schütte ich das halbe Glas hinterher. „Darf ich die Vorspeise servieren?“ „Ja“, antworten Joshua und ich gleichzeitig, wohl beide froh darüber, dass sich Frederic auf diese Weise wieder entfernt. „Ich habe aus gutem Grund dieses Restaurant ausgewählt“, meint Joshua abwägend. „Damit wollte ich dir die Chance geben, dich voll und ganz auf meine Worte zu konzentrieren. Und gleichzeitig wollte ich sichergehen, dass ich nicht wieder einfach über dich herfalle.“ „Dir ist schon klar, dass durch ein Essen nicht alles vergeben und vergessen ist?“ „Aber es ist ein Anfang, oder?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)