Der unerwünschte Mieter von Pansy ================================================================================ Kapitel 1 --------- Kapitel 1 Noch immer sehe ich den Splittern nach, wie sie sich über den Boden verteilen. War klar, dass ich heute zu allem Überfluss auch noch ein Glas fallen lasse. Als ob eine schlechte berufliche Kritik und ein andauernder Schmerz im Bein nicht schon genug wären. Aber was soll’s. Ich öffne den Schrank, hole Schaufel und Besen heraus und kehre das Übel zusammen, das ich eben angerichtet habe. Dabei höre ich ein tiefes Seufzen, das meiner Kehle entrinnt. Während ich die Scherben in den Abfalleimer schmeiße und mich dem restlichen nassen - zum Glück noch heilen! - Geschirr widme, muss ich an meine beste Freundin denken, die jetzt sagen würde: 'Kopf hoch, Milly, das wird schon wieder. Mach was Schönes, dann geht es dir gleich besser.' Ich brauche nur ihre Stimme in meinem Kopf zu hören und ihr Gesicht vor meinem inneren Auge zu sehen, und schon ergreift mich ein angenehm warmes Gefühl, das den Kummer und den Ärger ein wenig beiseite schiebt. Seit über zehn Jahren sind Jessi und ich nun schon beste Freundinnen, daran konnten auch die Entfernung während des Studiums und die nun noch größere Distanz seit dem Berufseinstieg nichts ändern. Immer wieder bin ich erstaunt darüber, wie vertraut sich Menschen sein können, obwohl sie sich kaum sehen. Manchmal weiß ich gar nicht, was ich machen würde, wenn ich nicht eine Person hätte, mit der man über alles reden kann. Und manchmal frage ich mich, wie Jessi meine Jammertiraden via E-Mail überhaupt aushält. Doch egal, was ich ihr schreibe, wie sehr ich mich über dies oder das auslasse, sie schafft es immer, mich wieder aufzumuntern und mir zu zeigen, dass es mehr gibt als Frust und Demoralisation. Sie war es auch, die mich dazu gebracht hat, Geschichten zu schreiben und so in eine Welt zu fliehen, die mich alles vergessen lässt. Vielleicht sollte ich einfach öfter ihrem Rat folgen. Aber das ist gar nicht so leicht. Da sitzt man auf Arbeit schon den ganzen Tag vor dem PC und verspürt abends einfach nicht mehr die Lust dazu. Aber heute, glaube ich, ist der perfekte Zeitpunkt gekommen, sich auch zuhause auf den Hosenboden zu setzen und die Finger über die Tasten fliegen zu lassen. Obwohl ich wirklich Lust hätte, mal wieder eine neue Geschichte zu schreiben und mir tausend Ideen und Szenerien im Kopf herumspuken, schaffe ich den Absprung einfach nicht. Stattdessen surfe ich ziellos im Internet herum und bin drauf und dran, mich in meinen E-Mail-Account einzuloggen und Jessi von dem heutigen Desaster zu berichten. Da ich es ohnehin nicht lassen kann, gebe ich mein Passwort ein. ## Hallo meine liebe Jessi, heute ist mal wieder so ein Tag, den ich gerne aus dem Kalender streichen würde. Da scheint die Sonne, es wird Frühling und alles scheint perfekt. Doch wie du weißt, es läuft immer anders als einem lieb ist. Mein Chef hat mich heute zu sich gebeten, um über mein neuestes Projekt zu sprechen. Sonst war er ja immer ganz zufrieden mit meiner Arbeit, aber heute hat er den Eindruck erweckt, dass ihm meine Leistung nun nicht mehr ausreicht. Alles, was er gesagt hat, war: “Das Buch ist zu schwer.” Als ich mich verteidigen wollte, dass alle Aufgaben exakt an den Lehrplan angepasst sind und selbst die Lehrer diesen Anspruch an ihre Schüler stellen, winkte er nur ab und meinte, dass unsere Kunden leichtere Aufgaben fordern. Argh! Da arbeite ich MONATE an diesem Buch, unterstütze meinen Autor, wo ich nur kann, suche nette Bilder, kümmere mich darum, dass rechtlich alles in Ordnung geht, organisiere alles von hinten bis vorne und alles, was ich am Ende zu hören bekomme, ist, dass die Aufgaben in ihrer Gesamtheit zu schwer seien. So viel dazu... Und dann kann ich meinen Ärger nicht mal mit Bewegung abbauen. Mein blödes Bein schmerzt immer noch, weshalb ich meine Sportkurse weiterhin sausen lassen muss. Da bezahlt man einen Haufen Geld im Voraus, nur um es sich durch die Lappen gehen zu lassen. Ich Depp musste mich beim Sport ja verletzen… Aber die Geschichte kennst du ja schon zu genüge. Mag dich an dieser Stelle auch nicht weiter voll nölen. Ich hoffe, du hast einen erfolgreicheren Tag auf Arbeit. Ich wünsch dir was! *drück* Milly ## Immer wenn ich den “Senden-Button” gedrückt habe, schüttele ich über mich selbst den Kopf und denke mir, dass Jessi meine Lappalien sicher schon auf die Nerven gehen. Das Wundersame ist, dass das nicht mal stimmt. Sie mag zwar das eine oder andere Mal meinen, dass ich in meinen Ausführungen übertreibe, doch sie zeigt fast immer Verständnis und muntert mich mit wenigen Worten auf. Jessi ist Anwältin und kommt nicht oft dazu, mir zu schreiben. Dennoch freut mich jede Mail, selbst wenn sie darin vor lauter Stress und eigenen Gedanken nur bedingt auf meine Probleme eingeht. Aber mir geht es auch selten darum, dass sie auf mein dummes Geschwätz reagiert. Es reicht mir schon, ihr alles schreiben zu dürfen, egal, wie kindisch, egoistisch, egozentrisch und bescheuert ich mich dabei aufführe. Hauptsache, ich werde meine Gedanken irgendwie los. Und laut ihr habe ich einen Freifahrtschein. Okay, warten wir einfach mal ab, wie lange ich den noch habe. Nun öffne ich doch mein Textprogramm und starre den Monitor an. Unruhig wippt mein Fuß auf dem Boden. Gewillt, aber ratlos kaue ich auf meiner Unterlippe. “Das wird heute einfach nichts!”, stöhne ich irgendwann und fahre den Laptop wieder herunter. Ich hätte wirklich, wirklich gerne mal wieder eine Geschichte geschrieben, aber die Blockade, die bereits Monate anhält, lässt sich einfach nicht überwinden. Die nächsten Tage verlaufen wie im Flug. Immer wenn es auf Arbeit viel zu tun gibt – den Frust versuche ich so gut wie möglich zu verdrängen –, fühle ich mich am wohlsten und bin besonders produktiv. Ich stämme mich sogar richtiggehend in meine aktuellen Projekte, um meinem Chef zeigen zu können, dass ich es besser kann. Aufgeben war noch nie meine Art. An den Abenden kümmere ich mich um meine Wohnung, gehe spazieren, lese, fahre Rad oder ruhe mich einfach ein bisschen aus. Eigentlich ist alles wie immer. Dachte ich bis zu diesem Donnerstag Abend zumindest. Wie gewohnt schließe ich gegen halb fünf meine Wohnungstür auf, doch schon beim Drehen des Schlüssels fällt mir auf, dass etwas nicht stimmt. Ich weiß tausendprozentig, dass ich am Morgen einmal abgeschlossen habe, das mache ich immer und ich weiß, dass ich es auch dieses Mal getan habe. Ich weiß es einfach. Doch warum klickt die Tür bei einer halben Umdrehung bereits und springt auf? Irritiert betrachte ich das Schloss und beginne an mir selbst zu zweifeln. Die Augen über mich selbst verdrehend betrete ich meinen kleinen Flur und stelle meine Tasche ab. Gerade als ich meine Schuhe abstreifen möchte, stockt mir der Atem und mein Herz beginnt wie wild in meiner Brust zu schlagen. Vor der Garderobe stehen Schuhe, die eindeutig nicht mir gehören. Mein Kopf schwenkt um 90° nach links und starrt in Richtung Wohnzimmer. “Hallo?”, rufe ich und schelte mich im nächsten Augenblick dafür. Dass ich auch immer so dumm sein und nach einem möglichen Einbrecher rufen muss. Das ist mir schon einmal passiert. Vor einigen Jahren habe ich übers Wochenende auf das Haus meiner Eltern aufgepasst. Es war Sommer, die Räume am Abend daher sehr heiß und stickig. Wie immer ließ ich nachts Fenster und Türen geöffnet. Mein Zimmer liegt im 2. Stock in einer sehr ländlichen Idylle und ich habe mir da noch nie was dabei gedacht. Plötzlich mitten in der Nacht schleicht jemand die Treppe rauf und im Halbschlaf merke ich, wie diese Person meine Zimmertür schließen möchte. So verschlafen wie ich war, kam ein “Wer ist da?” über meine Lippen. Welcher gesund denkende Mensch fragt denn bitte seinen nächtlichen Besucher, der da eindeutig nicht hingehört, wenn man ALLEIN ein Haus sittet, wer er ist? Einen halben Herzinfarkt später, fragte meine Mama, ob ich in solchen Situationen immer solche dummen Fragen stelle. Ja, und was habe ich daraus gelernt? Gar nichts. Auch jetzt wieder spreche ich meinen unerwarteten Gast einfach an anstatt meine Beine unter die Arme zu klemmen und zu verschwinden. Typisch Milly eben. Naja, nachdem es jetzt ohnehin keinen Sinn mehr macht, sich leise hinauszuschleichen, laufe ich die wenigen Meter durch den Gang und erstarre. Braunes, ganz leicht zerstrubbeltes Haar, dunkelblaue Jeans, weißes kurzärmeliges Hemd,... und eine gefühlte Ewigkeit später wird mir erst bewusst, dass dieser junge Mann gewiss nicht auf mein Sofa gehört! Seiner lässigen Haltung nach zu urteilen, scheint er es sich dort schon länger bequem gemacht zu haben. Ich merke, wie langsam Wut in mir aufsteigt. “Jetzt starr hier mal keine Löcher in mich hinein.” Erst als seine Stimme in mir widerhallt, finde ich meine eigene wieder. “Wer hat dich denn rein gelassen?”, platzt es dann förmlich aus mir heraus. Im nächsten Augenblick fange ich an zu lachen und mir mit einer Hand gegen die Stirn zu klopfen. Die richtige Konversation in Krisenzeiten ist echt noch nie meine Stärke gewesen. 'Raus hier, schwirr ab, verlass sofort meine Wohnung' wäre eindeutig angebrachter gewesen. Nachdem mir bewusst wird, wie ich auf ihn wirken musste, halte ich sofort in allem inne und gehe wieder dazu über, ihn anzusehen. Wenn ich nicht so verdammt durcheinander wäre, würde ich ihn packen und hochkarätig aus meiner Wohnung werfen. Doch ich kann einfach noch immer nicht begreifen, was hier gerade vor sich geht. “Herr Hilkers, wer sonst!?”, entgegnet er gelangweilt. “Er hat mich ja schon vorgewarnt, dass ich es mit dir nicht leicht haben werde, als er mir den Schlüssel überreicht hat. Aber dass das auf purer Dummheit deinerseits beruht, hätte er mir ruhig verraten können. Dann hätte ich mir das noch mal überlegt.” Was überlegt?, schießt es mir durch den Kopf. Irgendwie fühle ich mich wie im falschen Film. Ich habe keinen blassen Schimmer, wovon er redet. Herr Hilkers ist mein Vermieter. Ein sehr netter, älterer Herr, der immer für ein kleines Schwätzchen zu haben ist, wenn man sich zufällig vor dem Haus trifft. Wenn mir unter normalen Umständen jemand mit so einer selbstgefälligen Art etwas entgegnet, würde ich die Augenbrauen heben und ihm sagen, dass er mich sonstwo gerne haben kann und seinen Allerwertesten gefälligst aus meiner Wohnung hieven soll. Aber alles, was ich gerade herausbringe ist ein schwächliches “Herr Hilkers?”. “Kurze graue Haare, Brille, geschätzte 20 cm größer als du, fährt einen schwarzen Van? Deinen Vermieter solltest du nach zwei Jahren eigentlich kennen.” Abfällig winkt er ab und streicht sich dann durchs dunkle Haar. “Aber was erwarte ich.” Er legt den Kopf schief und lächelt. “Ich wohne nun hier, ob es dir passt oder nicht.” Undefinierbare Geräusche kommen aus meinem Mund und ich weiß selbst nicht, ob es ein Lachen oder ein Husten ist. “Hier... wohnen?” Obwohl ich nur wiederhole, was in meinem Kopf gegen meine Stirn hämmert, fühlt er sich angesprochen und seufzt. “Wenn du willst, buchstabiere ich es für dich: I-c-h-w-o-h-n-e-a-b j-e-t-z-t-h-i...” Weiter kommt er nicht, denn da habe ich ihn bereits am Arm gepackt und auf die Füße gezerrt. “Du wohnst hier mit Sicherheit nicht. Schnapp dir jetzt deine sieben Sachen und verschwinde von hier!” Wow, ich kann es ja doch. Und meine Stimme ist laut. Sehr laut. Ich koche vor Wut und ärgere mich, dass ich zu dieser Uhrzeit nicht faul in meinem Erker liege und in einem Buch schwelge. Aber immerhin bin ich ein wenig stolz darauf, wieder einen vernünftigen deutschen Satz herausgebracht zu haben. Ich stelle mich hinter ihn und beginne, ihn durchs Wohnzimmer zu schieben. Leider wehrt er sich nach ein paar Metern und schafft es fast schon spielerisch, sich aus meinem Griff zu befreien. Nachdem ich keine Hoffnung hege, ihn hier raus zu schaffen, gehe ich in den Flur, schnappe mir beim Vorbeigehen seine Schuhe, öffne die Tür und schmeiße sie hinaus. Dasselbe wiederhole ich mit seiner Jacke und einer schwarzen mittelgroßen Reisetasche, die ich eben erst entdeckt habe. “Du weißt schon, dass du das alles wieder einsammeln darfst?” Unbeeindruckt und mit verschränkten Armen lehnt er im Türrahmen zum Wohnzimmer. Ich knalle die Tür zum Treppenhaus zu, laufe auf ihn zu und fixiere seine tiefgrünen Augen. “Vielleicht vermag ich es nicht, dich hier eigenhändig rauszuschmeißen, aber früher oder später wirst du gehen. Glaub mir.” Beschwörerisch senke ich halb meine Lider und presse meine Lippen fest aufeinander. “Du vermagst es nicht”, spottet er. “Sprichst du immer so geschwollen, wenn du wütend bist?” Ahhhh! Ich fasse es nicht. Da muss ich schon tagtäglich ein paar ziemlich anstrengende Frauen auf Arbeit ertragen, und nun hat man nicht mal mehr zuhause vor Arroganz und Selbstherrlichkeit seine Ruhe. Wenn ich eines nicht leiden kann, dann sind es Menschen, die sich sonst was auf sich einbilden und eine Überheblichkeit an den Tag legen, dass einem davon einfach nur schlecht wird. Das ist genau der Typ Mensch, der erst mal seinen Charme spielen lässt, vor allem, wenn er sich davon etwas erhofft oder er etwas braucht, und nur sein wahres Gesicht zeigt, wenn ihm sein Gegenüber zu lästig wird. Gut, das mit dem Charme spielen lassen, hat er bei mir übersprungen, aber da will ich mal nicht so kleinlich sein. Ich bin mir meiner Sache dennoch absolut sicher, was ihn anbelangt. Und genau aus diesem Grund will ich ihn so schnell wie möglich aus meiner Wohnung haben. Ich quetsche mich an ihm vorbei und gehe zurück ins Wohnzimmer. Hatte ich mein Telefon nicht vorne auf dem Esszimmertisch liegen lassen? “Suchst du das hier?” Ich wirbele herum und er lässt das Telefon vor meiner Nase baumeln. Mit der letzten Selbstbeherrschung, die ich aufbringe, schnappe ich mir das silberfarbene Gerät und wähle Herrn Hilkers Nummer. Solange es tutet, ringe ich nach Atem, um gleich mit ruhiger Stimme reden zu können. Doch leider ist nach einer Minute immer noch nichts außer das rhythmische Tuten in der Leitung zu hören. Herr Hilkers besitzt keinen Anrufbeantworter und verzweifelt lasse ich es noch eine ganze Weile weiter tuten. „Gib's endlich auf, er ist nicht zuhause. Dieses Getute kann ja kein Mensch auf Dauer ertragen.“ Ich beiße mir auf die Lippe, um mich nicht herumzudrehen und ihm damit noch mehr Kanonenfutter für ironische Bemerkungen zu liefern. Mit erstaunlich ruhiger Hand streiche ich mir eine etwas längere Haarsträhne zurück. Fieberhaft versuche ich meine Gehirnwindungen in Gang zu bringen. Ich brauche einen Schlachtplan und zwar schnell. Doch wie bekomme ich diesen Typen nur aus meiner Wohnung? „Also du wohnst jetzt hier“, beginne ich, wende mich aber nicht zu ihm um. „Wow, du hast es begriffen.“ Geflissentlich ignoriere ich seinen Kommentar. „Herr Hilkers hat also mir nichts, dir nichts beschlossen, meine Mietrechte zu übergehen und dich zusätzlich hier einzuquartieren. Zum einen frage ich mich, warum er das tun sollte, zum anderen sehe ich keinen Vorteil für dich darin. Also was machst du hier?“ Mit hochgezogenen Brauen drehe ich mich nun doch zu ihm um und sehe ihn fragend an. Er kommt einen Schritt näher und lehnt sich nur eine Hand breit von mir entfernt an den Tisch. Die Glasplatte dankt es ihm mit einem leisen Knacken. Schlimm genug, dass er hier meine Privatsphäre durchbricht, auf fremdes Mobiliar nimmt er also auch keine Rücksicht. Gut zu wissen. „Ich habe eine Bleibe gebraucht und voilà: Hier bin ich. Ende der Geschichte.“ Er fügt einen kurzes Schulternzucken an, um zu bekräftigen, dass das gar nicht so schwer zu verstehen sei. „Ich kenne meinen Vermieter, er würde dich deshalb noch lange nicht hier einfach einquartieren. Nicht nur, dass ich immer pünktlich meine Miete bezahle, ich war ihm auch noch nie ein Dorn im Auge. Also komm schon, rück mit der Wahrheit raus. Wie hast du es hier rein geschafft?“ Zugegeben, etwas neugierig bin ich ja schon. Schließlich habe ich noch nie davon gehört, dass jemand plötzlich mitsamt Gepäck in deiner Wohnung steht und behauptet, dass der Vermieter das arrangiert hätte. Was steckt wirklich hinter dieser ganzen verqueren Angelegenheit hier? An der Tatsache, dass ich ihn so schnell wie möglich hier raus haben wollte, ändert das natürlich nichts. Ich sehe zu, wie er sich mit einer geschmeidigen Bewegung mit dem Zeigefinger einmal über die Lippen streicht und mit ihm dann ein paar Mal gegen eben diese tippt. „Lass mich dir das also haarklein erklären.“ Er drückt sich vom Tisch ab, schiebt einen Stuhl zurück und klopft auf dessen Rückenlehne. „Setz dich.“ Obwohl es mir widerstrebt, ihm zu gehorchen, tue ich es doch. Als er mir gegenüber Platz genommen hat, legt er beide Unterarme auf den Tisch, – die im Übrigen durch den vor Kurzem begonnenen Frühling bereits leicht gebräunt sind –, und schaut mich an. Das tiefe grün seiner Regenbogenhaut war von einem leicht bräunlichen Ton umrandet. Ich weiß nicht, wie lange wir so dasitzen, aber es scheinen Minuten zu vergehen, bis sich ein herablassendes Lächeln in seine Mundwinkel stiehlt. Die Mimik eines Menschen kann ein ansonsten ganz ansehnliches Gesicht eindeutig zerstören. „Was murmelst du?“ „Mh?“ Ich habe das wohl laut vor mich hingebrummt. Macht nichts. Er soll mir lieber mal erzählen, warum wir nun gerade in meiner Wohnung gegenübersitzen, obwohl einer von uns beiden hier eindeutig nichts zu suchen hat. Glücklicherweise tut er mir sogar den Gefallen, ohne dass ich ihn noch einmal darauf aufmerksam machen muss. „Also...“ Er räuspert sich. „Ich bin aus meiner Wohnung geflogen, Herr Hilkers hat davon Wind bekommen und schwups landete ich hier. Er meinte, dass du ein Gästebett hast, das sowieso viel zu selten genutzt wird. Damit ist es jetzt vorbei. Ich hätte ja lieber dein Schlafzimmer, aber für den Anfang mache ich es mir da oben bequem.“ Sein Zeigefinger deutete nach oben zur Galerie, die sich offen über den halben Wohnraum erstreckte. Ich lächle und schüttle ungläubig mit dem Kopf. „Bleibst du bei deiner Version?“ Er kann doch wohl nicht glauben, was er da sagt! Eine schlechtere Lügengeschichte hätte er mir kaum auftischen können. „Es ist nicht wichtig, ob ich dabei bleibe oder nicht. Finde dich damit ab. Ich habe einen Schlüssel und werde von nun an hier aus- und eingehen wie es mir beliebt.“ Mit diesen Worten erhebt er sich und läuft in die Küche, aus der ich meine Kühlschranktür knarzen höre. „Bedien dich nur!“, rufe ich ihm voller Sarkasmus hinterher, bleibe aber sitzen. „Also wenn du mich schon darum bittest“, kommt er voll beladen zurück und breitet Brot, Wurst und Käse und was er noch so alles in meinem Kühlschrank gefunden hat, auf dem Tisch aus. „Könntest du mir vielleicht auch noch sagen, wo ich Geschirr und Besteck finde?“ Liebreizend zwinkert er mir zu und verschwindet sogleich wieder. „Mach dir nicht die Mühe“, höre ich ihn sagen und gleichzeitig Schranktüren knallen. „Hab's schon.“ Schön für ihn. Nur was mache ich jetzt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)