Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit von -DesertRose- (Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt) ================================================================================ Kapitel 11: Vater und Sohn -------------------------- Disclaimer: => Ich verdiene kein Geld mit meiner Fanfiction. => Alle Charaktere die schon in den Twilight-Bänden ihren Auftritt hatten, gehören Stephenie Meyer. Alle Anderen, wie etwa Schüler, Lehrer und vor allem Renesmees und Jakes Kinder, habe ich selbst erfunden. Weitere Infos zur FF, Trailer, Cover & mehr http://www.chaela.info --------- Kapitel 11 Vater und Sohn Dieser Morgen war verblüffend schön, dafür dass wir noch immer Winter hatten. Der Schnee war fort. Stattdessen waren die Wiesen rund um unser Anwesen wieder grün und die Sonne schien kräftig und warm vom Himmel. Keine Wolke war zu sehen. Das Geräusch des klappernden Geschirrs war nicht zu überhören, waren doch abgesehen von meiner Schwester und mir offensichtlich heute alle anderen ausgeflogen. Es war selten, dass es so still hier war. Eigentlich war immer jemand da, aber heute nicht. Die Ruhe war angenehm, auch wenn ich die letzten Tage reichlich wenig von meinem Leben mitbekommen hatte. Ich war so kurz davor gewesen es zu verlieren. Meine Schwester räumte den Geschirrspüler aus und stellte die frisch gewaschenen Teller zurück an ihre Plätze im Küchenschrank. Ihre leicht rostrote Haut, die sie von Vater geerbt hatte, glitzerte ein wenig im einfallenden Sonnenlicht. Sie sah glücklich aus. Auf ihren Lippen lag ein ganz zartes Lächeln und während sie mit einem trockenen Tuch noch einmal über das Geschirr strich, bevor sie es zurückstellte, summte sie leise eine Melodie, die ich entweder nicht kannte oder nicht deuten konnte. Doch dann wurde sie vom Klingeln der Haustür unterbrochen. Noch immer summend, ging Mariella langsam zur Tür. Es kam zwar nicht häufig vor, dass wir Post bekamen, oder dass uns jemand besuchte, trotzdem öffnete sie arglos die Tür, ohne sich zu wundern. Doch als sie sie geöffnet hatte, erstarrte sie plötzlich: vor der Tür stand ein junges Vampirmädchen mit braunem, hochgesteckten Haaren und feurig roten Augen. Jane. Obwohl sie sie nicht kannte, spürte meine Schwester die Gefahr, die von dem Mädchen ausging. Mariella wollte die Tür sofort wieder zuschlagen, obwohl eine geschlossene Tür ganz sicher kein Hindernis für die Volturi war, doch blockierte der Arm von Janes Begleitung das Holz. Erschrocken wich Mariella zurück. Plötzlich stand ich am oberen Ende der Treppe zum ersten Obergeschoss, wo sich auch Carlisles Arbeitszimmer befand und in dem ich die heutige Nacht, wie auch die Nächte davor, verbracht hatte. „Mariella?“, fragte ich besorgt. Ich konnte sie von hier oben nicht sehen, aber ich spürte die Gefahr. „Verschwinde!“, rief sie. Ihre Aufforderung galt mir. Sie wollte, dass ich mich in Sicherheit brachte, wusste sie doch, dass die Volturi meinetwegen hier waren. Aus dem Nichts erschien etwas hinter mir. Als ich mich umdrehte, blickte ich in die roten Augen von Janes Zwillingsbruder Alec. Obwohl er kleiner war als ich, wich ich reflexartig einen Schritt zurück. Ein Schritt zu viel, der mich rücklings die komplette Treppe runter fallen ließ. Nachdem ich für einen kurzen Augenblick das Gefühl hatte, das man hatte, wenn man einfach nur eine Stufe übersah, schlug ich unten hart auf den gefliesten Boden auf, spürte dabei jedoch keinerlei Schmerzen. Unten stützte ich mich mit den Händen ab, so dass ich aufblicken konnte. Hinter Mariella standen Jane und Demetri. Und dann war da noch ein dritter Vampir. Ich kannte sie. Das Mädchen mit dem hüftlangen, schwarzen Haaren, dem ich nicht in die Augen blicken sollte. Obwohl Sangreal mir erzählt hatte, sie sei Marcus Leibwache und meistens unter Verschluss, wunderte ich mich nicht über ihre Anwesenheit. „Ani!“, rief meine Schwester und wollte zu mir, ging dann jedoch plötzlich laut schreiend auf die Knie und hielt sich den hübschen Kopf. Sofort fixierte ich Jane. „Lass sie in Ruhe!“, schrie ich. Ich hätte nie geglaubt, dass es irgendetwas bewirken würde, wenn ich das sagte, aber Jane stoppte ihren psychischen Angriff auf meine Schwester und Mariella sank kraftlos zusammen. „Es war sehr töricht von dir, zu glauben, dass du einfach so Caius' Gefährtin attackieren und heil aus der Sache herauskommen könntest. Mein Meister ist zutiefst verärgert und da seine Vergeltung an dir offensichtlich fehlschlug, schickte er uns aus, um das richtig zu stellen.“ Ein tiefes Knurren kam aus meiner Kehle. „Und was ist mit meinem Bruder? Dass er ihn grundlos tötete, wird einfach mal übergangen?!“ Jane kicherte gehässig. „Auch das ist im Grunde nicht unsere Schuld, sondern die deine. Und wenn du tief in dich hinein hörst, wirst du auch erkennen, dass ich Recht habe, Anthony.“ Ihre Worte brannten und fraßen sich ebenso in mich hinein, wie Caius' Gift es zuvor getan hatte. „Hör nicht auf sie!“, flehte meine Schwester, die wieder zu sich gekommen war. „Das ist nicht wahr, dich trifft keine Schuld!“ Ich wollte ihr glauben. Aber es war so schwierig... „Lästig“, sagte Jane verächtlich. Ganz so, als sei dies ein unausgesprochener Befehl gewesen, packte Gabriella meine Schwester und zog sie hoch. Ein schrecklich ungutes Gefühl stieg in mir auf. „Nein...“, flüsterte ich, ehe ich das Wort hinaus schrie. „NEIN!“ Ich versuchte zu ihr zu kommen, doch spürte ich meine Beine plötzlich nicht mehr. Erschrocken starrte ich hinter mich und stellte fest, dass ich gar keine mehr hatte. „Ani“, flüsterte Mariella. Ich ignorierte meine verschwundenen Beine und sah wieder nach vorn zu meiner Schwester. Inzwischen hatte Gabriella sie zurück auf die Knie gezwungen und ihre bleichen Hände, links und rechts, an die Seiten ihres Kopfes gelegt. „Ani“, flüsterte sie erneut. „Nein, nein, Mariella nicht! Bitte! Mariella!“, rief ich verzweifelt und versuchte zu ihr hinüber zu robben, doch schien der Abstand zwischen uns sich nicht im geringsten zu verändern. „Nein!“ Noch immer schrie ich aus voller Kehle, stets versuchend zu meiner Schwester zu kommen, sie zu retten, das Unausweichliche zu verhindern. Nicht noch ein Opfer. Nicht sie. Nicht Mariella. Die einzige Person, abgesehen von meiner Mutter, die mir stets so nahe gestanden hatte. Die ich aufrichtig und aus vollem Herzen liebte. Für die ich ohne zu zögern mein Leben geben würde. „Ani“, hauchte sie zum dritten Mal, ehe Gabriella plötzlich ihren Kopf drehte. Es gab ein schreckliches Knacken. Ich sah nicht hin. Ich hörte nur den dumpfen Aufschlag von Mariellas leblosem Körper. Mit zusammengekniffenen Augen schrie ich aus voller Kehle. „MARIELLAAA!!“ Und dann, verschwamm alles um mich herum... „Ani?! Ani?! Ani, bitte. Ani, es ist alles gut! Bitte wach auf!“, hörte ich sie wieder. Die Stimme meiner Schwester. Sie wurde mit jedem Wort, das sie sagte, klarer und schien näher zu kommen. Und dann schlug ich meine Augen auf. Ich befand mich noch immer in Carlisles Arbeitszimmer und ich trug auch noch immer das selbe schwarze Shirt, mit dem ich heute Nacht ins Bett gegangen war. Ich versuchte mich zu erinnern, was ich eben noch getragen hatte, doch die Erinnerung an dieses Detail verblasste bereits. Das Einzige, was sich dagegen in mein Hirn gebrannt hatte, war das schreckliche Knacken von Mariellas Genick und der anschließende dumpfe Ton. Während ich immer wieder diese beiden Geräusche in meinem Kopf hörte, musste ich meine Schwester wohl ganz entgeistert angestarrt haben, denn sie sah besorgt zurück und legte mir ihre warme Hand an die Stirn. „Alles okay? Tut dir etwas weh? Hast du Schmerzen?“, fragte sie. Ich antwortete zunächst nicht auf ihre Fragen. Stattdessen stellte ich fest, dass meine Kleider an mir klebten und mein Herz ziemlich raste. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte mich zu beruhigen. Ich war froh, dass Carlisle wenigstens den Herzmonitor ab gekappt hatte, sonst stünde jetzt wahrscheinlich schon ein Rettungstrupp bestehend aus Carlisle und Edward im Zimmer. Aber wenn Mariella weiter so in Sorge war, würde Letzterer mit Sicherheit bald ihre Gedanken hören und trotzdem hoch kommen. „Nein, alles in Ordnung“, sagte ich zu ihr. „Es war nur ein Traum. Nur ein Traum. Nichts weiter.“ Meine Worte zeigten sogleich Wirkung. Mariella setzte sich wieder ordentlich auf die Bettkante und hörte auf sich zu mir zu beugen. „Was hast du denn geträumt?“, wollte sie wissen. „Ich weiß es nicht mehr“, log ich, denn obwohl mir die Details entfallen waren, wusste ich im Groben noch immer, was ich gesehen hatte. Aber auch wenn Mariella nicht in der Lage war, meine Gedanken zu lesen, es war schier unmöglich, meine kleine, große Schwester zu belügen. „Du hast regelrecht geschrien, Ani“, informierte sie mich. „Ich hab wie eine Wahnsinnige probiert, dich wach zu kriegen, aber du hast einfach weiter gebrüllt.“ „Was hab ich denn gesagt?“ Mariella überlegte kurz. „Nein“, sagte sie. „Und immer wieder meinen Namen und 'Bitte'. Was hast du gesehen, Ani?“ „Die Volturi“, sagte ich tonlos, ohne meiner Schwester in die Augen zu blicken. Erst als es um sie ging, hob ich meinen Blick und sah sie an. „Sie kamen hier her und töteten dich.“ Mariella öffnete kurz leicht den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder, ohne etwas zu sagen. „Ich muss sie töten, Mariella. Ich muss ihnen zuvorkommen, bevor sie dir etwas antun können.“ Mariella sah traurig aus. Sie legte ihre Hand an meine Wange. „Ani, das war nur ein Traum. Niemand wird mich töten.“ Ich schloss die Augen, nahm ihre Hand aus meinem Gesicht, gab ihr einen Kuss auf den Handrücken und öffnete sie wieder. Mariella lächelte mich an und zog ihre Hand langsam wieder zurück. Ich beließ es dabei. Natürlich war es nur ein Traum, aber der konnte schnell bittere Realität werden. Caius hatte keine Sekunde gezögert meinen Bruder umzubringen und ich war mir sicher, dass er nicht ruhen würde, bis wir alle tot waren. Wahrscheinlich ergötze er sich gerade seines scheinbaren Triumphs, mich getötet zu haben. Ich hatte den Überraschungsmoment auf meiner Seite. Das war gut. Ich würde diesmal nicht mehr so dumm sein und allein zurück nach Volterra gehen. Selbst wenn es mir gelingen würde, Caius zu töten, wären die Halbvampire noch lange nicht in Sicherheit. Ich hatte nicht viele von ihnen kennengelernt und die, die ich etwas besser kannte, unterschieden sich von ihrer Art her kaum, von meinen menschlichen Mitschülern hier in Irland. Doch gerade das war es, was mich darin bestärkte, ihnen zu helfen. Sie waren in diese Welt als Versuchsobjekte hineingeboren worden, obwohl sie, genau wie jedes andere Lebewesen auch, ein freies Leben haben sollten. Sie würden zwischen den Menschen wahrscheinlich kaum auffallen. Sie würden wahrscheinlich als Hochbegabte abgestempelt werden, aber da sie kein Blut tranken, würde man sie leicht integrieren können. Doch dazu müsste man sie erst aus Aros Gefangenschaft befreien. Und dann schweiften meine Gedanken zu dem einzigen Halbvampir ab, den ich wirklich zu kennen geglaubt hatte. Ich wusste noch immer nicht, ob sie berechnend gehandelt hatte oder ob sie genauso unwissend gewesen war, wie ich. Und genauso wenig wusste ich, ob diese Nacht nun tatsächlich 'Konsequenzen' haben würde, oder nicht. Ich nahm mir fest vor, sie zur Rede zu stellen, sobald ich konnte, aber erst, musste ein handfester Plan her. „Traum oder Realität. Ich brauche deine Hilfe“, nahm ich das Gespräch mit meiner Schwester wieder auf. „Bei was?“, fragte sie skeptisch. „Ich kenne jemanden, der uns vielleicht helfen kann, die Volturi zu stürzen. Aber dazu müsste ich erst mal diese Person aufsuchen und mit ihr reden.“ „Das kannst du ja auch noch in ein paar Wochen machen, weder werden die Volturi dir davon laufen, noch diese Person, oder etwa nicht?“ „Ich hab es schon Edward gesagt, ich kann nicht solange warten.“ „'Lang'?“, fragte sie empört. „Ani, du bist jetzt seit drei Tagen wieder bei Bewusstsein, davor lagst du über eine Woche lang lebensbedrohlich verletzt im Koma und wir waren so kurz davor, dich zu verlieren!“ Bei dem Wörtchen 'kurz' formte sie einen kleinen Spalt mit dem Daumen und dem Zeigefinger. „Urgroßvater hat dir strikte Bettruhe verordnet und ich werde einen Teufel tun, dich irgendetwas anderes tun zu lassen, mein Lieber!“ „Mariella, bitte! Es ist ja nicht weit und ich nehme auch das Auto. Gib mir nur ein oder zwei Stunden, dann bin ich wieder hier.“ „Nein!“, sagte sie strikt und verschränkte die Arme. „Bitte!“ Sie schüttelte den Kopf. Ich umschloss mit beiden Händen ihre Oberarme und sah ihr tief in die Augen. „Mariella, bitte! Wann hab ich dich denn zuletzt um etwas gebeten?“ „Keine Ahnung“, sagte sie. „Aber ich kann dich nicht gehen lassen. Dafür hab ich mir in den letzten Tagen einfach viel zu viele Sorgen gemacht. Du bist immer noch angeschlagen und musst dich ausruhen.“ „Es ist ja nur für zwei Stunden. Ich komme zurück so schnell ich kann. Versprochen.“ Mariellas harter Widerstand begann langsam zu bröckeln. „Also gut. Aber nur unter einer Bedingung.“ „Und die wäre?“ „Ich begleite dich.“ Ich schüttelte den Kopf. „Sie ist sehr scheu.“ Ich wusste nicht, wie ich es besser erklären sollte und 'scheu' war einfach der erste Ausdruck, der mir einigermaßen zahm und dennoch irgendwie passend vorkam. Temperamentvoll und zickig wäre wahrscheinlich treffender gewesen, aber da hatte ich die Befürchtung, dass meine Schwester darauf beharren würde, mitzukommen, damit sie dem Mädchen im Falle des Falles eins über braten konnte, sollte sie sich mir gegenüber, in den Augen meiner großen Schwester, nicht korrekt verhalten. Und da ich nicht wusste, zu was Cat in der Lage war, hielt ich es für besser, meine Schwester keiner eventuellen Gefahr auszusetzen. Mariella brummte leise verärgert vor sich hin und tippte mit dem Fingern der verschränkten Arme auf ihrem Oberarm herum. „Also gut. Eine Stunde. Mit dem Auto. Und ich schwöre dir, wenn du nach einundsechzig Minuten nicht wieder hier bist, such ich dich unter jedem verdammten Stein dieser Welt! Und wenn ich dich gefunden haben sollte und du dich einfach, wie fast immer, nur verspätet haben solltest, fessle ich dich an dieses Bett, bis du irgendwann graue Haare hast!“ Ich wollte gerade erwidern, dass ich mich seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr verändert hatte und die Wahrscheinlichkeit jemals ein graues Haar zu haben gen Nullpunkt ging, aber dem war sie sich wohl bewusst und wollte mir damit nur klar machen, dass sie mich auf ewig festhalten würde. Ich musste zugeben, ich fand ihre Fürsorge irgendwie... niedlich. Aber momentan freute ich mich nur, eine Verbündete bei meinem Fluchtversuch zu haben. Meine besorgte Schwester ging, unter dem Vorwand mir neue Klamotten holen zu wollen, hinunter in den Keller. Das war nicht mal komplett gelogen, schließlich konnte ich schlecht in meinen verschwitzten Klamotten und mit meinem Morgenmantel vor die Tür gehen. In erster Linie war es jedoch wichtig, dass Mariella die Türen für mich öffnete. Türen, die sich wie von Geisterhand selbstständig öffneten, würden mich sofort verraten. „Mach schnell“, mahnte sie, während sie ungeduldig an der Tür stand und immer wieder hinaus horchte. Ich war gerade damit beschäftigt meine Kontaktlinsen einzusetzen, als wir Besuch bekamen. Durch meine unfreiwillige Diät und das anschließende Tierblut waren meine Augen zwar schon fast mehr grün als rot, aber sicher war sicher. Dann hörte ich draußen Stimmen. Alice stand plötzlich im Keller und begann sich mit meiner Schwester zu unterhalten. Ich bekam von dem Gespräch nur Fetzen mit. Irgendwas über das Wetter, über meine Klamotten und den Luftzug hier unten. Eigentlich Nonsens. Eigentlich hätte mich das stutzig machen müssen. Aber ich war zu sehr damit beschäftigt, aus meinem eigenen Zuhause zu fliehen. Doch erst als Mariella mit Alice wieder nach oben gegangen war, konnte ich mein Zimmer schlussendlich verlassen. Allerdings nicht, ohne vorher den Schlüssel meines Autos, aus der Schublade meines Nachttisches, zu holen. Danach ging ich direkt den Weg vom Keller aus in die anliegende Garage. Von der Größe her hätten hier mit Leichtigkeit nochmal zwei Drei-Zimmer-Wohnungen reingepasst, bot sie doch genügend Platz für unseren gesamten Fuhrpark. Die Deckenleuchten sprangen eine nach der anderen an und hüllten den Raum in ein helles Licht. Als ich auf den Knopf auf meinem Schlüssel drückte, vernahm ich das Piepen und Blinken aus der hinteren Ecke. Mein schwarzer BMW Z4 mit den weinroten Details, die in Sonderausstattung darauf appliziert wurden, war seit meiner eiligen Fahrt zur Schule, um Catriona wegen der Sache mit den Volturi in der Gasse zur Rede zu stellen, nicht mehr benutzt worden. Und nun stieg ich erneut ihretwegen in mein Auto. Doch ich kam nicht mal dazu, den Schlüssel rumzudrehen. Nachdem ich ihn ins Schloss gesteckt hatte und meinen Blick wieder nach vorn richtete, erblickte ich plötzlich Bella vor meiner Motorhaube. Sie hatte die Arme verschränkt und sah mich missmutig an. Ich seufzte und verdrehte die Augen, ehe ich auf den Knopf drückte, der mein komplettes Hardtop runter fuhr. Alternativ hätte ich auch die Scheibe runter lassen können. Aber irgendwie war mir da gerade nicht danach. „Wohin des Weges, junger Mann?“, fragte sie neckisch. „Ich hab hier 340 PS, die alles niederwalzen, was vor ihnen steht“, sagte ich gelassen. Ihre Worte waren nicht weniger besonnen. „Und ich hab hier einen Vampir, der deinen kompletten Wagen, mitsamt dir, Huckepack nehmen und dich sofort wieder in den zweiten Stock befördern kann.“ „Oh bitte, Bella, ich hab nur eine Stunde...“ „Muss Aschenputtel dann wieder Zuhause sein?“, fragte sie, während sie um die Motorhaube herumlief und sich neben die Fahrertür stellte. Ich hob den Blick, sah ihr in die Augen und hob gelangweilt einen Mundwinkel. „Normalerweise mag ich es nicht, wenn man mich Oma nennt“, fuhr sie plötzlich mit einem ganz anderen Thema fort. „Aber bei dir würde ich mich glatt darüber freuen, wenn du mich mal Grandma nennen würdest, oder so.“ „Wenn ich dich so nenne, lässt du mich dann gehen?“ Sie lachte kurz, wurde dann jedoch wieder ernst. „Welchen Teil von „strikte Bettruhe“ hast du nicht verstanden?“ „Sieh mir in die Augen und sag mir, dass du noch nie das Haus verlassen hast, obwohl es dir jemand verboten hat.“ Ich sah in ihre bernsteinfarbenen Augen, als ich die Worte sagte, und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Wie ich erwartet hatte, stöhnte sie kurz und sah weg. „Also gut, eine Stunde.“ „Danke“, sagte ich. „Grandma“, fügte ich anschließend noch hinzu. Bella lächelte mich an und schüttelte den Kopf. „Mach wenigstens das Dach zu.“ Ich nickte und drückte erneut auf den Knopf, damit sich mein Hardtop wieder schloss. *** Die erste Hürde war also nun geschafft. Nun war ich unterwegs zu Catrionas Haus, das sich recht außerhalb der Stadt befand. Die Äcker waren noch immer so farblos wie an jenem Tag, als ich das Haus zum ersten Mal gesehen hatte. Es wirkte noch immer etwas seltsam. Durch die hölzerne Fassade hatte es irgendwie Ranch-Charakter und es sah auch etwas krumm aus, trotzdem wirkte es so, als könne es allen Unwettern hier trotzen und stünde schon seit Ewigkeiten hier. Und wenn ich daran dachte, was Cat mir bei unserer letzten Begegnung erzählt hatte, dann lag ich damit vielleicht nicht mal falsch. Etwas zögerlich drückte mein Finger auf die Türklingel. Danach begann ich innerlich zu hoffen, dass Cat an die Tür gehen würde und nicht ihr Vater. Ich hatte ihn noch nie gesehen, aber wenn ich Cats Geschichten glauben schenkte, dann war er wohl kein guter Umgang für mich. Vor meinem geistigen Auge stellte ich mir ihn immer vor wie einen bulligen Wikinger, mit dichtem Bart und rotem langen Haar. Und Muskeln. Und zwar nicht zu wenig. „Tony“, sagte Cat tonlos, als sie plötzlich vor mir stand und mich aus meinen Gedanken riss. „Hi“, sagte ich nur. Ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte, also beließ ich es erst mal dabei. „Was willst du nach so langer Zeit?“, flüsterte sie fast. Wahrscheinlich war ihr Vater hinten im Haus, aber irgendwie bezweifelte ich, dass da Flüstern half. „Hast du deine Welttournee abgebrochen?“ „Was?“, fragte ich ungläubig. „Du hast dich hier nicht mehr blicken lassen. Ich war sogar mal bei dir zu Hause, aber mir wurde gesagt, du seist nicht da und man wisse nicht mal, wann du wieder kommst. Hast du dich von deiner Familie losgerissen, um ungehindert Menschen zu töten?“ „Nein“, sagte ich entschlossen. „Ich habe in den letzten Monaten mehr als einen Fehler begangen und wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen, aber das kann ich nicht. Ich kann nur die Zukunft besser machen, und dafür brauche ich deine Hilfe!“ Cats blaue Augen wanderten von oben nach unten und musterten mich. „Du siehst irgendwie anders aus“, sagte sie dann, meine Antwort ignorierend. „Irgendwie müde. Ist das bei Vampiren, die kein Blut trinken, so?“ „Das hat nichts damit zu tun“, flüsterte ich nun ebenfalls. „Na ja, ist ja schön, dass du vom Blut losgekommen zu sein scheinst, aber bitte geh jetzt.“ Sie wollte die Tür wieder schließen, doch ich stemmte blitzschnell meinen Arm dagegen und hielt sie auf, so wie es Janes Begleiter in meinem Traum mit Mariella gemacht hatte. „Ich mag vielleicht schwach sein“, sagte ich mit einem Anflug von Wut. „Aber ich bin immer noch stark genug, um deine Tür aus den Angeln zu heben.“ „Das würde ich dir aber nicht raten“, sagte sie. Ihr Gesicht war jetzt ganz nah an meinem. „Ich brauche wirklich deine Hilfe, Cat.“ Ihre Augen huschten hin und her. Sie sagte nichts. „Du sagtest, deine Art sei das Gegenstück zu den Vampiren. Heißt das, ihr könnt sie töten?“ Catriona nickte. „Cat, ich will den größten und mächtigsten, bekannten Vampir-Zirkel der Welt auslöschen. Und dazu brauche ich deine Hilfe und die deines Vaters.“ Cat starrte mich einen Moment nur an. Was ich gerade gesagt hatte, schien ein wenig die Größenordnung, die sie erwartet hatte, zu übersteigen. „Ich kann dir nicht helfen“, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. „Und mein Vater wird dir nicht helfen.“ „Lass es mich wenigstens versuchen“, bat ich. „Dann kann ich dir nicht garantieren, dass du dieses Haus lebend wieder verlässt.“ Ihre Warnung war ernst gemeint. Doch meine Worte waren es ebenso. „Ich war dem Tod so nah. Ich habe keine Angst mehr vor ihm.“ Dies waren dann auch die Worte, die meine Mitschülerin dazu brachten, mich in ihr Haus zu lassen. Es war hier drin ebenso krumm, wie es von draußen den Anschein hatte. Fast alles war aus Holz und der Boden quietschte bei jedem Schritt. Das war ungewohnt für mich, denn normalerweise war ich beim Gehen so leise, dass mich niemand hörte. Im Geiste malte ich mir aus, dass Cats Vater mit Absicht in so einem quietschenden alten Haus lebte, damit er selbst Vampire direkt hören konnte, wenn sie sich durch seine Hütte bewegten. Doch dass er diese Methode nicht nötig hatte, sollte ich wenige Sekunden später erfahren. Als er plötzlich vor mir stand, ersetzte sein wirkliches Bild sogleich meine Vorstellungen, die gar nicht so weit entfernt waren. Er hatte langes rotblondes Haar, dass er auf dem Kopf zurück gebunden und im Hinterkopf mit einer silbernen Spange fixiert hatte. Sein Körperbau war groß und kräftig, jedoch nicht ganz so bullig wie in meinen Gedanken und er trug einen Drei-Tage-Bart. Seine auffallend saphirblauen Augen sahen mich nur kurz an, dann wandte er mir den Rücken zu und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Ich dachte zuerst, er würde mich nicht erkennen und für einen einfachen Schulkamerad halten, doch dann richtete er doch noch das Wort an mich. „Was willst du hier, gottlose Kreatur?“ Ich musste schlucken. So hatte mich nun tatsächlich noch nie jemand genannt. Catriona stand noch immer in etwa einem Meter Abstand hinter mir. Als ich noch etwas näher an ihren Vater heran trat, blieb sie jedoch stehen. Und ich hätte gut daran getan, es ebenso zu tun. „Ich bin kein Vampir“, sagte ich in normalem, ruhigem Ton. Etwa einen Meter betrug der Abstand zu ihm noch, da drehte er sich plötzlich um. „Ach nein?“, fragte er mit einem Anflug von Arroganz. Noch während er sich umdrehte, hob er seinen kräftigen Arm in meine Richtung, die Handfläche auf mich gerichtet. Ich dachte zuerst, er würde mir eine klatschen, doch das war gar nicht notwendig. Er hatte mich nicht einmal berührt, da sackte ich schon auf die Knie und anschließend zusammengekauert komplett auf den Boden. Der Schmerz war nicht so stark wie Caius Vampirgift. Er war eher vergleichbar mit Janes Illusion von Schmerz und ich würde mich nicht wundern, wenn es sich hier auch um Einbildung handelte. Dass mein Schutzschild bei ihm nicht wirkte, darüber machte ich mir nur kurz Gedanken, denn ich hatte es schon fast vermutet. Ich kannte das Gefühl von Schmerzen nun schon zu Genüge, genauso wie das nun herannahende Gefühl von Bewusstlosigkeit. „Daddy! Bitte hör auf!“ Aus heiterem Himmel verschwand der Schmerz und wich einem kurzen Augenblick der Stille, letztlich unterbrochen durch das Geräusch eines betätigten Feuerzeugs. Ich öffnete meine zuvor zusammengekniffenen Augen wieder und sah in deren Winkel, wie Cats Vater sich gelassen eine Zigarette anzündete. „Dafür, dass du kein Vampir bist, bist du jedoch überraschend anfällig, findest du nicht?“ Ich versuchte, mich wieder aufzurappeln. Schaffte es aber gerade mal meinen Oberkörper komplett aufzurichten. Wahrscheinlich war die Stunde schon längst vorbei und Mariella drehte zu Hause durch. Ich malte mir ihr Gesicht aus, wenn ich nach Haus gekrochen kommen würde, sollte ich es bis dorthin schaffen. Momentan fühlte ich mich nicht mal dazu in der Lage, den Zündschlüssel umzudrehen. Es fühlte sich fast so jämmerlich schwach und müde an wie vor drei Tagen, als ich wieder aufgewacht war. „Ich bin nur zu einem Viertel Vampir“, nuschelte ich, ehe ich los hustete. Er lachte spöttisch. „Die Menschen sind immer noch so naiv und töricht, wie sie es im Mittelalter waren. Dumm genug, sich auf Bestien einzulassen. Illusionen, Trugbilder, Lügen. Sie lassen sich blenden. Von eurer Schönheit, eurer Grazie, eurer Anmut. Könnten sie in euer Innerstes blicken, würden sie das ganze Ausmaß eurer Hässlichkeit sehen und sich von euch fernhalten.“ „Und was ist mit den Menschen?“, fragte ich atemlos. „Mörder, Vergewaltiger. Wie sieht es in denen aus?“ Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Ich leugne nicht, dass es auch unter den Menschen jene gibt, die ohne Seele zu sein scheinen, aber Vampire sind dazu geboren, zu töten.“ „Ist es dann nicht genauso möglich, dass es unter den Vampiren Ausnahmen gibt?“ Cats Vater machte erneut einen verächtlichen Ton. Ich stand mit zittrigen Beinen wieder mehr oder weniger auf, musste mich allerdings an der Küchentheke zu meiner Rechten abstützen. „Meinetwegen bleibt bei eurem sturen Glauben. Aber ich habe noch nie eine warmherzigere Familie gesehen als meine, und ich zweifle keine Sekunde daran, dass meine Mutter, meine Schwester und alle anderen im Besitz einer Seele sind. Und sollte es so etwas wie einen Himmel geben, dann ist mein Bruder jetzt ganz sicher dort und irrt nicht seelenlos durchs Fegefeuer!“ Ob meine Predigt Wirkung gezeigt hatte oder nicht, konnte ich nicht sagen. Sein Gesicht sah noch immer genauso leicht zornig aus wie zuvor. Er sagte auch nichts dazu, also fuhr ich einfach fort. „Und genau deswegen brauche ich eure Hilfe!“ „Warum sollten wir euch helfen?“, fragte er herablassend. „Ich biete euch die Möglichkeit, den mächtigsten Vampir-Zirkel der Welt zu zerstören.“ „So? Tust du?“, fragte er sarkastisch. „Du hast gespürt, wozu wir fähig sind. Meinst du wirklich, wir sind auf eine Zusammenarbeit mit Euresgleichen angewiesen, wenn es darum geht, unserer natürlichen Bestimmung nachzugehen?“ „Gibt es noch mehr von euch?“, wollte ich wissen. Alleine würde seine Gottes gleiche Gabe, Vampire ohne Berührung auf die Knie zu zwingen, sicherlich nützlich gegen die Volturi sein, jedoch niemals ausreichend, um sie zu bezwingen. „Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir uns dieser Sache selbst annehmen.“ Er ignorierte meine Frage, was in mir die Vermutung aufkeimen ließ, dass er sie gar nicht beantworten konnte. Ob seine kleine Familie vielleicht sogar die letzten seiner Spezies waren? „Wie viele Jahrhunderte gedenkt ihr denn zu warten?“ Meine Stimme wurde langsam lauter. „Wir haben Zeit.“ „Die haben die Volturi genauso! Und während ihr hier Däumchen dreht und euch eine Zigarette nach der anderen anzündet und noch ein Tässchen Kaffee dazu schlürft, bauen die sich in Italien ihre Armee auf! Eine Armee aus Wesen, die ihr nicht kennt, und auf die eure Fähigkeit vielleicht irgendwann gar nicht mehr wirkt!“ Plötzlich meldete sich Cat zu Wort: „Vielleicht hat er Recht, Daddy.“ Ihr Vater rümpfte nur die Nase. „Vielleicht ist das die Chance, auf die wir gewartet haben!“, schrie sie ihm förmlich entgegen. Er drehte sich um und schenkte sich noch einen Kaffee ein. Cat wand sich nun an mich. „Es gibt wohl noch andere, die so sind wie wir, aber in all unseren Reisen konnten wir sie bisher nicht finden. Die Vampire haben schon vor Jahrtausenden Jagd auf uns gemacht und unsere Art stark dezimiert.“ „Schweig!“, fuhr ihr Vater dazwischen. „Diese Informationen sind nicht für die Seelenlosen bestimmt!“ „Dad!“ „Du begleitest ihn jetzt zur Tür, Catriona“, befahl er und sah anschließend zu mir. „Und dich will ich hier nie wieder sehen. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich gehen lasse, sollte ich aber erfahren, dass du irgendjemandem von unserer Existenz erzählt hast, werde ich deinen ganzen Zirkel auslöschen.“ Diese Drohung nahm ich stillschweigend hin und ließ mich von Cat vor die Tür schleifen. „Es tut mir leid“, flüsterte sie durch den Türspalt, den sie noch offen ließ. „Wenn dein Vater nicht helfen will, kannst du uns doch wenigstens unterstützen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht. Ich bin noch zu jung“, sagte sie, dann stand ich vor einer geschlossenen Tür. Ich konnte nicht mal ein Geräusch von Innen wahrnehmen. Einen Augenblick horchte ich noch dem Wind, der um das Häuschen fegte, dann erst fiel mir ein, dass ich ja nur begrenzt Zeit hatte! So schnell mich meine müden Beine trugen, lief ich zurück zu meinem Wagen und sah dort auf das Display. Ich hatte meine Frist bereits um eine halbe Stunde überzogen. Mariellas Predigt war mir sicher... Schon als ich in die Auffahrt fuhr, überkam mich ein mulmiges Gefühl und ich lag selten falsch damit. Im Gegenteil. Als sich das automatische Garagentor langsam hob, sah ich, kaum dass es wenige Zentimeter vom Boden weg war, schon mehr als nur ein Paar Schuhe. Ich wusste ja, dass meine Schwester sich Sorgen machte und ich fand es auch rührend, wie sie an mich dachte, aber musste sie mich direkt der versammelten Familie vorführen? Wenn es wenigstens nur Bella und Edward oder Carlisle gewesen wären, die da standen, aber nein, ausgerechnet mein Vater stand dort. Direkt vor allen anderen. In Reih und Glied hatten sie sich aufgestellt und warteten darauf, meiner persönlichen Folter beizuwohnen, aber diesen Triumph wollte ich keinem geben. Ohne ihnen allen große Beachtung zu schenken, parkte ich mein Auto an seine gewohnte Stelle und stieg aus. Der Ausgang war unglücklicherweise direkt neben ihnen, aber da musste ich wohl durch – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hatte gerade noch drei Meter Abstand, da hob mein Vater die Hand mit dem Handrücken nach unten in meine Richtung. Natürlich. Wenn das Kind unartig war, nimmt man ihm eben was weg. War ja schon in der Schule nicht anders, wenn man im Unterricht heimlich gesimst hatte. Dann wurde eben mal das Handy konfisziert. Kein Wort verließ meine Lippen, als ich möglichst emotionslos ebenfalls die Hand hob und den Schlüssel in seine Handfläche legte. Ich warf nur noch einen kurzen Seitenblick zu meiner Schwester, dann ließ ich sie alle einfach stehen und ging durch die Tür neben ihnen. Der Weg durch die schmalen Gänge würde mich direkt wieder zu meinem eigenen Zimmer bringen. Der einzige Ort, an dem ich meine gepflegte Ruhe haben würde. „Glaubst du nicht, dass du uns wenigstens eine Erklärung schuldest?“ Was für eine vertraute Szene. Vater und Sohn. Im Streit. Wie eh und je. Wenn ich mich an die Gespräche mit meinem Vater erinnerte, dann hatte ich unmittelbar davor immer irgendetwas getan oder gesagt, was ihm nicht gepasst hatte. Und auch jetzt fiel ihm, nach allem was passiert war, nichts besseres ein, als mir erneut Vorwürfe zu machen. Dieser eine Satz von ihm, zerschlug meine letzte Hoffnung, dass sich zwischen uns jemals etwas ändern würde. Dass unser zerrüttetes Verhältnis sich erholen würde. Dass wir mal wie Vater und Sohn miteinander umgehen könnten. So wie er es bei Will getan hatte. Aber ich war nicht Will. „Wir haben uns schließlich Sorgen gemacht!“, fuhr er fort. „Sorgen?“, fragte ich spöttisch. „Du?“ Ich war mir sicher, dass mein Vater immer der Letzte gewesen wäre, der sich wirklich um mein Wohlbefinden gesorgt hätte. Auch wenn ich mich tagelang herumgetrieben hatte, nur um ihm aus dem Weg zu gehen, hatte er mich danach nur angebellt, wo ich denn gewesen war oder was mir einfiele, so lange weg zu bleiben, schließlich würde Mum ja fast umkommen vor Sorge. Nie hatte er auch nur mit einer Silbe erwähnt, dass es ihn selbst interessierte, was mit mir war. Ich war eben nicht das Kind, das er haben wollte. Ich war nicht der perfekte Sohn, der zum Wolf wurde, eine Frau gefunden, Kinder bekommen hatte. Der den Stamm als Oberhaupt leitete und die Tradition fortführte. Ich war immer nur der Vampir gewesen. Das bleiche Wesen mit den feuerroten Augen. „Ja, ich! Bleib doch bitte stehen“, bestätigte er meine Frage und ignorierte meinen Spott. Ich war derart in Gedanken, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass ich immer noch schnellen Schrittes durch den Keller lief und er knapp zwei Meter hinter mir herlief. Ruckartig blieb ich stehen und mein Vater und der Rest der Familie - in einigen Metern 'Sicherheitsabstand' – taten es mir gleich. Meine Zimmertür lag knapp hinter mir. „Sorgen also, ja?“, fragte ich leise, ohne mich umzudrehen. Stille. „Ja“, sagte mein Vater dann ebenso leise. Er sagte es, als fiele es ihm schwer, es auszusprechen. Als hätte er Angst vor meiner Reaktion. Eine Angst, die vielleicht berechtigt war. Langsam drehte ich mich um und sah ihn an. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, sah angespannt aus. „Und wo waren deine Sorgen in den letzten dreißig Jahren?“ Er antwortete nichts. Sein Mund ging ganz leicht auf und schloss sich wieder, ohne dass ein Wort seine Lippen verlassen hatte. „Wo warst du, als ich nicht verstand, warum Will in den Kindergarten durfte und ich immer zuhause bleiben musste? Wo warst du, um mir zu erklären, dass ich keine Schuld dafür trug? Wo warst du, als ich erwachsen wurde? Als ich so viele Fragen hatte? Warum musste Mutter mir da helfen, wo es doch deine Aufgabe gewesen wäre? Wo warst du, wenn ich mich mal beim Jagen verletzte? Wo warst du, als Scherben meine Hand blutig schnitten, weil ich auf mein eigenes Spiegelbild schlug? Natürlich“, sagte ich bitter. „Ich bin ein Vampir. Ich kenne ja keinen Schmerz. Hab ich vergessen.“ - „An-“ Er wollte etwas erwidern, jedoch unterbrach ich ihn. „Aber das ist alles lange her. Und niemand kann die Zeit zurückdrehen. Ich wäre der Erste, der es täte, wenn ich könnte. Allein für Will. Vergessen wir mal alles, was du mein ganzes Leben über nicht getan hast. Die letzten drei Monate hätten mir auch gereicht. Als ich dieses Mädchen tötete, oder die Menschen danach. Als ich dich um Verzeihung bat. Als ich das Gespräch mit dir suchte.“ Ich spürte, wie meine Augen langsam feucht wurden, während ich sprach, aber ich versuchte noch die Tränen zu unterdrücken. „Du hast mir nie auch nur eine Chance gegeben. Das wolltest du gar nicht, hattest du nie vor. Für dich war ich nie so, wie du es wolltest, und das hast du mich jeden verdammten Tag spüren lassen.“ „Und jeder einzelne davon tut mir unendlich leid“, nutzte er die Stille, um sich zu Wort zu melden. Ich sah kurz weg. Ich wusste, dass diese Konfrontation nötig war, aber sie überforderte mich. Ich war müde, meine Beine hatten eine puddingartige Konsistenz und der dumpfe Schmerz, der seit meinem Erwachen, in unregelmäßigen Abständen, überall in mir aufkam, wurde gerade wieder stärker. „Warum jetzt?“, fragte ich und sah ihm nun wieder in die dunklen Augen. „Warum ausgerechnet jetzt? Ist es, weil du plötzlich bemerkt hast, dass ich gar nicht das Überwesen bin, für das du mich gehalten hast? Dass ich genauso bluten kann wie du? Dass ich krank sein und sterben kann?“ Mein Vater senkte den Blick. „Es tut mir leid. Wenn ich jetzt nein sage, würde ich lügen.“ Ich schürzte die Lippen und sah wieder weg. Ich hatte mir eigentlich gewünscht, er wäre irgendwann von selbst darauf gekommen. Wenn ich gewusst hätte, dass ich erst fast sterben musste, damit er realisierte, dass ich kein Vampir war, sondern selbst menschlicher als meine Mutter, hätte ich mich auch vor einen Zug werfen können. „Ich war nie bei dir, weil ich immer dachte, dass du meine Hilfe nicht nötig hast. Dass du sie gar nicht willst und brauchst. Ich habe mich auf deinen Bruder fixiert, weil ich mich besser in ihn hineinversetzen konnte, weil ich bei ihm sofort wusste, dass er mir ähnlich war. Ich habe nie bemerkt, dass du mir genauso ähnlich bist. Ich weiß, ich hätte das wissen müssen. Du bist mein Kind, mein Blut. Du bist ein Teil von mir. Wie könntest du mir da nicht ähnlich sein? Aber ich war blind. Mein Instinkt hat mich geblendet. Ich war nicht stark genug, nachzugeben und in dich hinein zu sehen. Um ehrlich zu sein, habe ich lange Zeit nicht mal an der Oberfläche gekratzt. Und das tut mir unendlich leid.“ Und da war er. Der Moment, auf den ich immer gewartet hatte. Aber jetzt da er gekommen war, fehlten mir die Worte. Ich wusste nicht, was ich sagen, was ich tun sollte. Ich konnte nach dreißig Jahren unmöglich so einfach vergessen. Aber ignorieren konnte ich seine Worte auch nicht. Ich versuchte, mich zu sammeln, um wenigstens noch ein paar Sätze zu sagen. „Ich gebe dir nicht die Schuld an den Dingen, die ich in den letzten Monaten getan habe, Vater. Ich weiß nur, dass du nicht da warst, als ich dich brauchte“, sagte ich entschlossen. Müde drehte ich mich anschließend um und öffnete die Tür zu meinem Zimmer. Plötzlich stand meine Schwester neben mir und legte ihre Hand auf meinen Arm, während meine Hand auf der Türklinke lag. „Ani“, sagte sie. „Ich möchte gern allein sein, Mariella“, bat ich. „Aber-“, wollte sie sagen. „Allein“, wiederholte ich, betrat den Raum und schloss die Tür hinter mir zu. *** Als ich die Augen aufschlug, brummte mir noch immer ein wenig der Kopf. Die roten Ziffern der Digitaluhr auf meinem Nachttisch zeigte nun 1:38 und draußen war das bisschen Sonne längst dem Mond gewichen. Doch bis auf das Brummen war der Schmerz weitgehend verschwunden. Manchmal spürte ich regelrecht, wie der Heilungsprozess, ausgelöst durch das Wolfsgen, die von Caius zerstörten Teile in mir wieder regenerierte. Von einem leichten Ziehen bis hin zu starken Krämpfen war alles möglich, aber Letzteres hielt sich in Grenzen und war lange nicht so schlimm wie jener Schmerz, den ich in diesen zwei Wochen gespürt hatte. Ja, ich erinnerte mich noch immer an ihn. Wenn ich die Augen schloss, dann sah ich auch wieder die verzerrten Bilder vor mir, hörte die dumpfen Geräusche. Ich sah noch immer die goldenen Augen Edwards. Der schlimmste Moment, den ich mit ihm in Verbindung brachte, war der gewesen, als er mir das Gift abnehmen wollte. In diesem Augenblick hatte es sich so angefühlt, als wollte er mir den Kopf abreißen oder den Kiefer brechen. Ich hatte einfach nur noch blanke Panik in mir gespürt. Alles andere, was ich von dieser Zeit noch wusste, war weniger furchteinflößend gewesen. Ich hatte wohl die Anwesenheit meiner Familie gespürt, ich hatte gewusst, dass meine Schwester und meine Mutter immer da gewesen waren. Ich hatte ihre Worte teilweise vernommen, wenn sie mit mir geredet hatten, wenn sie mir versichern wollten, dass alles wieder gut werden würde. Ich erinnerte mich auch noch an Edwards Zureden an mich, als ich im Flur auf dem Boden zusammengebrochen war. Aber ich hatte all das nicht hören wollen. Ich hatte schlafen wollen. Nur schlafen. Fern von allem. Fern von den traurigen Gesichtern meiner Familie, fern vom leisen Wimmern meiner Mutter, fern vom Schmerz. Es war genauso, wie ich es Catriona gesagt hatte: den Tod fürchtete ich nun nicht mehr. Was ich gelernt hatte zu fürchten, war der Weg dahin. Ich stand auf, zog meine Vorhänge zurück, setzte mich auf meine Fensterbank und sah durch das kleine Kellerfenster den Wolken zu, wie sie am Mond vorbei schwebten und ihn in dunkle Schatten hüllten. Ebenso fühlte ich mich auch: in Schatten gehüllt. Wenn ich so zurückdachte, gab es nicht wirklich viele Momente in meinem Leben, in denen ich einfach nur glücklich gewesen war. Natürlich hatte ich mich wohl gefühlt, wenn ich mit meiner Schwester gespielt hatte, wenn ich in der Bibliothek mit ihr gescherzt oder mit meiner Mutter ein vertrautes Gespräch geführt hatte. Aber das Glücklichsein aus tiefster Seele, jenes Gefühl, von dem ich ausging, dass meine Eltern, meine Geschwister und der Rest der Familie es kannten, hatte ich noch nie verspürt. Ich hatte nie zu mir selbst sagen können: 'Das ist es, so soll es bleiben, so bin ich glücklich.' Mir hatte immer etwas gefehlt, um wirklich glücklich sein zu können. Während meine Geschwister mit ihren Partnern ein eigenes Leben geführt hatten, hatte ich immer in diesem Zimmer gelebt. Ich war genauso alt wie sie, aber während sie Erwachsene waren, war ich irgendwo als Teenager stehen geblieben. Ich ging zur Schule, machte Hausaufgaben und hatte diverse Liebschaften gehabt, aber ich war nie irgendwo angekommen. Ich war rastlos gewesen. Immer in Bewegung. Immer irgendwo. Aber nie zuhause. Ja, vielleicht, dachte ich, vielleicht fehlte mir jemand, mit dem ich mein Leben verbringen wollte oder eine Perspektive. Aber bevor ich eine Perspektive würde finden können, müsste ich erst die Dinge verarbeiten, die mich belasteten Und ganz vorn unter diesen Dingen stand mein Vater. Ich erinnerte mich an seine Worte, während ich hier saß. Im Prinzip hatte er mir nur bestätigt, was ich schon längst vermutet hatte. Und er hatte sich dafür entschuldigt. Ich hatte jetzt die Wahl. Ich konnte seine Entschuldigung zurückweisen und so weitermachen wie bisher. Oder aber, ich konnte ihm verzeihen und einen neuen Anfang machen. Der eine Weg war der, den ich immer gegangen war, der andere würde Überwindung kosten. Meistens hatte ich die einfacheren Dinge den Schwierigen vorgezogen. Und wohin hatte mich das gebracht? Nirgendwo. Ich war gefangen in einem ewigen, rastlosen, perspektivlosen Leben. Mit meinem Vater stritt ich seit drei Jahrzehnten, mein Bruder war tot und irgendwo im entfernten Italien waren drei Dutzend Halbvampire, die wie Tiere gehalten wurden. Meinen Bruder würde ich nie wieder sehen, die Halbvampire zu retten, das hatte ich mir fest vorgenommen, auch ohne Cats Hilfe. Jetzt gab es nur noch meinen Vater... *** Die Sonne erhob sich hinter den Baumwipfeln, als ich dann schließlich die Treppen ins Erdgeschoss nahm. In der Küche hörte ich die vertrauten Stimmen von Esme und Carlisle. Als ich durch den Türrahmen sah, konnte ich sehen, wie letzterer seinen Piepser in den Fingern drehte und seiner Frau einen Kuss gab, ehe er das Gerät in der Tasche verschwinden ließ. „Oh, guten Morgen, Anthony“, begrüßte er mich, nachdem sie mich bemerkt hatten. „Morgen“, sagte ich und lehnte mich wie üblich seitlich gegen den Türrahmen. „So früh schon auf den Beinen?“, fragte Esme. Ich nickte nur. „Froh wieder im eigenen Bett zu schlafen?“, fragte Carlisle lächelnd. „Natürlich“, antwortete ich. „Das ist schön“, sagte er. „Ich würde gerne weiter plaudern, aber die Pflicht ruft.“ Er gab Esme noch einen Kuss, dann ging er auf mich zu und legte seine helle Hand an meine Schulter. „Ich wünsche dir einen schönen Tag. Wenn irgendetwas ist, ich bin jederzeit zu erreichen.“ „Alles klar“, sagte ich abermals nickend. Carlisle ging weiter Richtung Haustür. „Möchtest du vielleicht ein Schlückchen Kaffee probieren?“ Ich schüttelte den Kopf. „Lieber nicht.“ „Ist in Ordnung“, antwortete sie lächelnd und faltete ein Geschirrtuch fein säuberlich zusammen. „Sind meine Eltern in ihrem Trakt?“ „Ja, ich weiß aber nicht, ob sie noch schlafen. Du musst wissen, dein Vater war gestern noch etwas aufgewühlt. Aber ich verstehe dich genauso.“ „Danke, Esme“, sagte ich und nickte ihr zum Abschied zu, dann ging ich weiter und verließ das Hauptgebäude. Wenige Minuten später stand ich genauso wie vor einigen Wochen wieder im Flur meiner Eltern. Nur eine Mauer trennte mich, wie schon zuvor, von ihrem Wohnzimmer und genauso wie damals saßen sie wieder auf ihrem Sofa und unterhielten sich. Nur die Tageszeit war anders. Während es damals stockfinster gewesen war und das Licht aus dem Wohnzimmer nur wenig Licht in den Flur geworfen hatte, war es heute hell und die Morgensonne tauchte alles in ein sanftes Licht. Ich hoffte, dass ich das als gutes Omen deuten konnte. Ich blieb noch einen Augenblick stehen. Zu meinem Verwundern hörte ich plötzlich Mariellas Stimme. „Jetzt siehs doch nicht so schwarz, Dad“, redete sie auf Vater ein. „Es hat dreißig Jahre bis zu diesem Gespräch gedauert, jetzt musst du ihm wenigstens einen Bruchteil dieser Zeit geben, um das zu verarbeiten.“ „Deine Tochter hat Recht“, stimmte Mum zu. „Nessie“, antwortete Dad müde. „Ich glaube, ich würde mir ja nicht mal selbst verzeihen, wenn ich an seiner Stelle wäre. Was hätte ich wohl gemacht, wenn mein Vater so abweisend gewesen wäre, als er erfahren hat, dass ich ein Werwolf bin?“ „Du hättest ihm verziehen, wenn er deine Unschuld erkannt und sich entschuldigt hätte“, meinte Mum dazu. „Und da er dir sehr ähnlich ist, wird er dasselbe tun“, fügte meine Schwester hinzu. „Mhm...“, murmelte Dad. „Weißt du, ob Ani sein Zimmer später noch mal verlassen hat?“, fragte meine Mutter und lenkte so auf ein anderes Thema. „Er wollte allein sein. Ich glaube nicht, dass er das Zimmer durch die Klappe verlassen hat. Er sah ziemlich müde aus und wird wohl dort geschlafen haben.“ „Mhm... würdest du?“ Meine Mutter hatte nicht mal ganze Sätze nötig, damit Mariella verstand. „Natürlich. Ich werd gleich mal nach ihm sehen.“ Dann hörte ich, wie sie aufstand und sich im normalem Tempo näherte. Selbst unsichtbar machen, hätte mir nichts genützt, schließlich konnte meine Schwester mich trotzdem sehen, wenn auch nicht ganz klar, also zog ich die Offensive vor. „Das musst du nicht“, sagte ich und ging um die Ecke. Mariella blieb schlagartig stehen. „Ani“, flüsterte sie und sah mich mit großen Augen an. Hinter ihr hob meine Mutter den Blick und mein Vater drehte sich zu mir um. „Es geht mir gut“, sagte ich, in der Hoffnung, dass sie ihre permanente Sorge ablegen würde. Meine Mutter begann wieder über beide Ohren zu strahlen. Sie stand auf, schwebte auf mich zu, ging auf die Zehenspitzen und gab mir einen Kuss auf die Wange. Anschließend legte sie ihre Hände, links und rechts, an mein Gesicht. „Deine Augen sind fast gänzlich grün“, stellte sie fest. Ein sanftes Lächeln war meine einzige Antwort. Sie ließ mich wieder langsam los, dann sah sie nach hinten zu Dad, der noch immer zu uns herüber blickte. Es war ein seltsames Gefühl, mit meiner Familie hier zu stehen – oder zumindest dem, was von meinem engsten Kreis noch übrig war, denn Will würde immer fehlen. Selten war es vorgekommen, dass wir alle mal in einem Raum waren, ohne dass noch mehr Vampire daneben standen. Es hatte irgendwie etwas vertrautes Idyllisches. Und doch machte sich wieder Unruhe in mir breit, denn ewig konnten wir hier nicht so stumm herumstehen und meine Chance, das zu tun, was ich vor hatte, würde bald verstreichen, also riss ich mich zusammen. „Dad...“, begann ich. Dieses Wort allein ließ alle aufhorchen, besonders meinen Vater. Nicht etwa aufgrund der banalen Tatsache, dass ich ihn angesprochen hatte. Nein, meine Wortwahl war der Grund. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr so genannt. Das letzte Mal war irgendwann in meiner kurzen Kindheit gewesen. Danach war mir der Begriff fremd geworden. Zu vertraut, um ihn für jemanden zu benutzen, der sich nicht wirklich um mich scherte. Doch nun empfand ich ihn angemessen, um das Eis zu brechen. „Wir sollten uns unterhalten.“ Ich pausierte einen Augenblick. Die Augenpaare in diesem Raum waren gebannt auf mich gerichtet. Was dann kam war für sie wohl etwas befremdlich. „ Draußen.“ Verwirrte Blicke. Ohne ihnen eine Chance zum Fragen zu geben, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging Richtung Terrassentür. Die Veranda des Gebäudes meiner Eltern war auf derselben Seite, wie die im Haupthaus. Es würde mich also nicht wundern, wenn der Rest der Familie alles mit ansah, aber es war mir gleich. Mitbekommen würden sie es trotzdem, nur am Gespräch teilhaben, würden sie nicht können. Ich hörte das Knarzen des Holzes, als Dad die Veranda betrat und ging die wenigen Stufen hinunter zur Wiese. Unbewusst hielt ich mir die Hand kurz an den Bauch. Was ich vor hatte, war vielleicht dumm und könnte mich in meiner Genesung zurückwerfen, aber für mich schien es der einzige Weg zu einer glaubhaften Versöhnung zu sein. Ich spürte tief in mir, dass es keinen anderen gab, dass es richtig war und so sein musste. Ich sah nur noch einen Augenblick zurück, als ich unten stand. Mein Vater stand auf der zweiten Stufe der Treppe. Hinter ihm auf der Veranda standen meine Schwester und meine Mutter. Wie ich vermutet hatte, hatte sich nebenan der Rest meiner Familie ebenfalls neugierig nach draußen begeben. Ob Menschen oder Vampire. Schaulustig waren sie doch alle. Normalerweise mochte ich es nicht, angestarrt zu werden, aber dieses eine Mal ging es wohl nicht anders. „Willkommen zur Premiere“, sagte ich in normalem Ton, ohne jemand bestimmtes dabei anzusehen, wohl wissend, dass sie mich alle hören würden. Und dann lief ich los. Nur wenige Meter rannte ich, ehe ich zum Sprung ansetzte. Es war dasselbe heiße Gefühl, das immer in mir aufstieg, dasselbe Zittern meines Körpers und dasselbe reißende Geräusch, und doch war es ganz anders als sonst. Denn es war nicht mehr länger der Adler, der Rabe oder der Panther. Ich hatte tatsächlich die Form angenommen, von der ich dachte, dass ich sie aus Protest nie annehmen würde. Auf der weiten, grünen Wiese vor unserem Haus stand nun, zum allerersten Mal, der schwarze Wolf mit den grünen Augen. So groß wie ein Pferd. So wie mein zweiter Vorname es mir vorbestimmt hatte und so wie meine Vorfahren seit Jahrhunderten in ihrer Tiergestalt ausgesehen hatten. Als ich mich auf vier Pfoten umdrehte und zurück zum Haus sah, stand ein Großteil meiner Familie einfach nur starr und perplex da. Mein Vater hatte den Mund offen und die Hände meiner Mutter hatten sich fest um das Geländer gelegt. Keiner sagte etwas und niemand rührte sich. Ich wartete noch eben, dann ging ich ein paar Schritte auf meinen Vater zu. Er schloss seinen Mund wieder und zog zügig sein Shirt aus. Des Überraschungseffekts wegen, hatte ich das versäumt. Die herumliegenden Kleiderfetzen, wusste ich aber gekonnt zu ignorieren. Mein Vater war der begabteste Gestaltwandler seines Rudels, hatte Seth mir mal erzählt. In der Tat war er in der Lage, sich sowohl im Stand als auch im Sprung zu verwandeln. Er stellte etwas Abstand zur Treppe her, dann verwandelte er sich in den großen rostroten Wolf. Er war nur etwa eine Wolfsohrlänge größer als ich, während wir uns gegenüber standen. Stimmt, kommentierte er meine Gedanken und zuckte kurz mit den Ohren, dann hielt er plötzlich wieder inne und sah mich erneut überrascht an. Moment...? Ich kann deine Gedanken hören? Ja, antwortete ich. Ich bin jetzt Teil deines Rudels. Ich nehme deine Entschuldigung an. - Danke, das bedeutet mir sehr viel. Ich weiß. Meine Kindheit bekomme ich nie wieder zurück. Diese Zeit werden wir nie wieder aufholen können, aber ich hoffe, dass wir in Zukunft neue gemeinsame Momente finden werden, an die wir uns dann erinnern können. Es ist also noch nicht zu spät?, fragte er unsicher. Nein, antwortete ich und schüttelte den Kopf. Die Ewigkeit gehört uns. Aber ich möchte dich trotzdem um etwas bitten. Alles, antwortete er, ohne dass ich meine Bitte aussprechen musste, aber ich fuhr fort. Hilf mir, die Volturi zu zerschlagen. - Ich freue mich darauf, mit dir an meiner Seite zu kämpfen, mein Sohn. Eigentlich wäre das jetzt der Moment gewesen, an dem wir uns hätten in die Arme fallen oder wenigstens zusammen durch Irland hätten rennen sollen, doch dazu kam es nicht. Plötzlich stieg mir ein bekannter Geruch in die Nase. Mein Vater knurrte leise und sah über meine Schulter in Richtung Wald. Ich drehte meinen Kopf und sah zum Waldrand. Aus dem Schatten der Bäume traten zwei Personen, die eine kleiner als die andere: Nahuel und Sangreal. Dies allein war schon Überraschung genug gewesen, doch dann fiel mein Blick auf das weiße Bündel, das Sangreal auf dem Arm trug und mein Herz rutschte mir schlagartig in die nicht vorhandene Hose... - Ende Kapitel 11 - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)