Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit von -DesertRose- (Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt) ================================================================================ Kapitel 9: [Jacob] Vergebung ---------------------------- Disclaimer: => Ich verdiene kein Geld mit meiner Fanfiction. => Alle Charaktere die schon in den Twilight-Bänden ihren Auftritt hatten, gehören Stephenie Meyer. Alle Anderen, wie etwa Schüler, Lehrer und vor allem Renesmees und Jakes Kinder, habe ich selbst erfunden. Weitere Infos zur FF, Trailer, Cover & mehr http://www.chaela.info --------- Kapitel 9 Vergebung [Jacob] Während ich mit Renesmee durch den Wald lief, kamen mir die kürzlichen Ereignisse so vor, als seien sie bereits Jahre zuvor geschehen. Es war alles so idyllisch und ruhig, so harmonisch, dass ich fast vergaß, was wenige Stunden zuvor passiert war. Erst als ich gedankenverloren ihre Hand hielt und mit den Fingern über ihren Ring strich, sickerten die Erinnerungen zurück in mein Gehirn: „Ich hab ihm so oft im Vertrauen gesagt, dass du ihn sehr liebst und dass du es ihm irgendwann zeigen wirst. Aber dieses Irgendwann kam nie.“ Nessies Appell an mich, kam mir wieder in den Sinn. Ich hatte nicht gewusst, was ich darauf antworten sollte. Dieses Thema löste eine Blockade in mir aus. Eine die ziemlich tief saß. Aber Renesmee wäre nicht Renesmee, wenn sie nicht genau wüsste, was genau mein Problem war. Sie kannte mich einfach zu gut, manchmal sogar besser, als ich mich selbst. Ich wusste nicht wann, aber irgendwann war sie wohl dahinter gestiegen. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt, als sie langsam auf mich zu gegangen war. „Es war damals nicht schön für mich die Wahrheit über die Prägung von Emily und Sam zu erfahren. Aber ich habe es akzeptiert, wie es ist. Ich habe angefangen Liebe auf den ersten Blick und die Prägung auf eine Stufe zu stellen. Dass es ein kraftvolles Naturgesetz war, das dich an mich band und nicht etwa mein Charakter dich dazu gebracht hatte, dich in mich zu verlieben. Ich hab es hingenommen. Irgendwann hab ich sie sogar als schön empfunden. So was wie Schicksal... eine Seelenverwandtschaft... aber...“ Ich sah hinunter zu ihrer Hand. Meine Augen weiteten sich, als ich sah, wie sie bei ihren letzten Worten den Ring vom Finger zog. „Wenn die Prägung auf dem selben Naturgesetz basiert, das dich gleichzeitig davon abhält, dein Kind zu lieben, dann will ich sie nicht mehr!“ Renesmee schrie die Worte heraus und knallte den Ring auf den Boden. Ich vernahm den dumpfen Ton seines Aufkommens auf dem Teppich, sah jedoch nicht hinunter. Ich war nicht mehr in der Lage mich zu rühren. „Ich wusste es schon, als du dich das erste Mal von ihm abgewandt hattest, als du seine roten Augen gesehen hast. Als er noch ein unschuldiges kleines Baby war. Du hast in ihm deinen Feind erkannt und bist weggerannt. Weil du nicht damit umgehen konntest. Bis heute, kannst du damit nicht umgehen. So sehr du William mochtest, weil er dir so ähnlich war, so groß war deine Scheu vor Anthony. Du warst nie stark genug, dagegen anzukämpfen. Nicht stark genug, den Vampir in ihm bei Seite zu schieben und einfach nur dein Kind in ihm zu sehen. Dein Blut, deine Gene.“ Einen Augenblick hatte sie mich noch angesehen. Ihr Blick war hart und kalt wie Eis gewesen. Und dann war sie an mir vorbei geschritten. Ihre Worte waren den ganzen Flug über in meinem Kopf wieder und wieder erklungen. Wie ein Mantra, hatte ich sie stetig abgespielt. Sie hatte ja so recht. Ich war schwach. Zu schwach. Und als wir in Volterra gelandet waren, hatte ich mir fest vorgenommen, von nun an stark zu sein. Nach der Rückkehr, nach Irland, hatten wir uns ohne viel Worte wieder versöhnt und Nessie hatte ihren Ring wieder angesteckt. Und nun standen wir hier im Wald und Nessie, meine wunderschöne Nessie, strich mit ihrer zarten, bleichen Hand über die Rinde eines Baumes und lief mit sanften, leisen Schritten um ihn herum. Als sie einmal komplett um ihn gelaufen war, lehnte sie ihr Gesicht gegen den breiten Stamm und lächelte mich warm an. „Ich liebe dich.“ Meine Worte waren kaum mehr als ein Hauch. Renesmee nickte. „Und ich liebe dich.“ Mein Mund formte sich zu einem Lächeln – und dann vibrierte mein Handy. Als ich Seths Namen auf dem Display sah, hoffte ich insgeheim, er würde uns bitten irgendwelche Einkäufe zu erledigen, aber mein Gefühl sagte mir, dass das nicht der Grund für seinen Anruf war. Mit diesem unguten Gefühl in der Magengegend, ging ich ans Telefon. „Ja?“, meldete ich mich. Seth kam sofort zum Punkt: „Jake, Ani ist im Flur zusammengebrochen.“ „Warum? Was hat er?“, wollte ich wissen. „Das weiß ich nicht“, antwortete er. Die fehlenden Hintergrundgeräusche, beunruhigten mich nur noch mehr. „Wir kommen“, fuhr ich fort. „Alles klar“, hörte ich Seth noch sagen, dann legte ich auf. „Was ist los?“, fragte Nessie und ihre schokoladenbraunen Augen blickten voller Sorge zu mir auf. „Das war Seth“, antwortete ich schweren Herzens. „Mit Ani stimmt was nicht.“ „Wie? Was?“, wollte sie wissen, aber ich konnte nur den Kopf schütteln. „Das konnte Seth mir auch nicht sagen. Komm, steig auf.“ Zügig zog ich mein Shirt und meine Hose aus. Nessie nahm alles zitternd entgegen. Ich verwandelte mich und kauerte mich auf den Boden, damit sie auf meinen Rücken klettern konnte. Gemeinsam rasten wir anschließend durch den Wald. Den Weg, den wir zuvor gemütlich in einer halben Stunde zurückgelegt hatten, ließ ich nun binnen weniger Minuten hinter mir. Am Waldrand zog ich mich hinter ein paar Bäumen wieder an und lief mit Nessie zum Haus, wo Jasper und Alice schon auf der Veranda standen. „Oben im Flur“, sagte Jasper kurz und Alice schob uns die Tür auf. Nessie und ich traten ein und rannten ohne zu zögern weiter durchs Haus. Als wir die Treppe empor liefen, überholte Nessie mich und hätte ich dann nicht nach ihrem Arm gegriffen, wäre sie wahrscheinlich direkt auf Edward zu gestürmt. „Ani!“, brüllte sie herzzerreißend und weinte dabei, aber ich zog sie zurück und hielt sie fest. „Lass mich!“, schrie sie und wehrte sich gegen meinen Griff, aber ich konnte sie nicht loslassen, so sehr mir ihre Tränen und ihr Flehen auch im Herzen weh taten. „Ani!“ Ich hatte geglaubt, ich würde in meinem ganzen Leben, kein schlimmeres Bild vor Augen haben, als Wills toten Körper gesehen zu haben. Aber ich wusste nicht, was nun schrecklicher war: sein totes Kind zu sehen oder dabei zuzusehen, wie es gerade stirbt. Fassungslos stand ich da und sah, wie Edward etwa drei Meter von uns entfernt im Flur über Ani kniete, der leblos auf dem Boden lag. Mit seinen kalten Händen hielt er sein Gesicht fest und schien leise auf ihn einzureden. Ich zwang mich meinen Blick abzuwenden und drückte Nessie an mich. Ich drehte ihren Kopf leicht herum, so dass ihr Gesicht in Richtung meiner Brust zeigte. Ich konnte ihre Tränen auf meiner Haut spüren. „Oh, mein Gott, nein...“, wimmerte sie und schluchzte. Plötzlich trat Bella an meine Seite und nahm ihre Tochter zu sich. „Komm, mein Schatz“, flüsterte sie sanft. Auch ihr konnte ich ansehen, wie sehr die Situation sie mitnahm, Porzellangesicht hin oder her. Sie legte einen Arm um Renesmee und ging mit ihr fort. Jetzt waren nur noch Edward und ich hier. Die Situation erinnerte mich, auf grausame Art und Weise, an Renesmees Geburt. Mit zitternden Füßen ging ich auf die beiden zu und kniete mich auf Edwards gegenüberliegende Seite, so dass Ani nun zwischen uns lag. Edward ließ sich nicht davon ablenken, dass ich nun hier war. „Nein“, flüsterte er sanft. „Nein, du bleibst hier... bei uns. Du musst dagegen ankämpfen.“ Anis Augen waren nur ganz leicht geöffnet und wirkten leer. Es war als könnte ich dabei zusehen, wie er Edward... nein... wie er uns entglitt. „Ja, ich weiß dass es schmerzt. Ich kenne diesen Schmerz. Aber du musst kämpfen.“ Jetzt erst verstand ich. Edward las seine Gedanken. Es war als unterhielten sie sich, aber ich bekam natürlich nur den ausgesprochenen Teil mit. „Nein... nein!“ Edwards Worte wurden immer energischer und ich spürte, wie mein Herz wilder klopfte. Ich wusste nicht was los war. Ich wollte helfen, wusste aber nicht wie. Ich konnte nur hilflos mit ansehen, wie Edward meinen Sohn anschrie, er solle bei uns bleiben und stärker an ihm rüttelte. Doch nichts davon half. Edward hielt noch immer Anthonys Gesicht, als seine Augen sich schlossen. „Ani!“, rief er. Doch er reagierte nicht mehr. Edward sah regelrecht müde und ausgezehrt aus, als er Anthonys Kopf schließlich vorsichtig wieder zu Boden ließ. Mein Herz pochte in meiner Brust. „Was ist los, Edward?“, wollte ich wissen. Edward seufzte müde und schloss die Augen, dann öffnete er sie wieder. „Es tut mir Leid“, flüsterte er und ich fühlte ein schmerzhaftes Stechen in der Brust. Zu sehr erinnerte mich diese Szene an jene wenige Tage zuvor. Da war es statt Anthony William gewesen und die Worte waren aus Carlisles Mund gekommen. „Was?!“, schrie ich fast und spürte warme Tränen meine Augen emporsteigen. „Gottverdammte Scheiße was tut dir Leid?!“ Ich hatte das Bedürfnis ihn sofort am Kragen zu packen. Seine Worte waren wie Messerstiche, aber er stach nicht richtig zu, sondern ließ eine lange Pause entstehen. Edward hob beschwichtigend die Hände. „Jacob, beruhige dich. Er ist nicht tot.“ Das Messer wurde wieder herausgezogen und ich spürte, wie wieder Sauerstoff in meine Lunge strömte. Ich sackte ein klein wenig in mich zusammen und sah hinunter zu meinem Jüngsten. „Ich habe versucht ihn bei Bewusstsein zu halten.“ - „Warum? Was passiert, wenn er nicht wach ist?“ „Das ist in den meisten Fällen nicht gut. Bewusstlosigkeit bedeutet die Kontrolle zu verlieren.“ „Kontrolle über was?“, hakte ich nach. „Über sich selbst“, antwortete Edward. Eine kleine Pause entstand. „Jacob, ich bin mir ziemlich sicher, dass er brennt.“ „Was?“ Ich erinnerte mich vage, dass es eine Vampirsache war, von der er da sprach. „Caius' Vampirgift“, klärte er mich dann auf. „Was?“, fragte ich erneut. „Aber... aber... er hat das doch alles so gut weggesteckt.“ „Ja, das dachten wir alle“, sagte Edward. „Ich kann dir leider auch nicht sagen, warum es jetzt erst Wirkung zeigt. Ich habe zwar mehr als ein Medizinstudium hinter mir, aber darauf weiß ich keine Antwort. Ich denke nur Carlisle ist in der Lage das herauszufinden.“ Er sah hinunter zu Anthony, dann wand er seinen Blick zur Seite und mit einem Mal stand Emmett neben uns. „Bitte bring Anthony in Carlisles Zimmer“, bat er und der stämmige Vampir hob Anthony mit einer Leichtigkeit hoch, die einem glauben machen könnte, er hebe nur ein Taschentuch auf. *** Knapp eine halbe Stunde später, stand ich in Carlisles Zimmer und bemühte mich, nicht nervös durch den Raum zu laufen. Nur meine Augen folgten dem blonden Vampir, der verschiedene Utensilien aus den Schubladen und den Schränken holte. Er tat dies mit einer unglaublichen Ruhe und Gelassenheit. Wahrscheinlich bewusst, um mir das Gefühl zu geben, es sei alles in Ordnung, und dass Hektik und Unruhe nicht nötig seien. Aber das funktionierte bei mir nicht. Im Gegenteil, seine Ruhe trieb mich an den Rand der Verzweiflung. Ich spürte ein Kribbeln in mir aufsteigen, spürte den Drang auf ihn loszustürmen und ihn darum zu bitten endlich mal etwas Sinnvolles zu tun. Mein Sohn lag, noch immer ohne Bewusstsein, auf dem Krankenbett. Abgesehen von Edward waren gerade nur Emmett und ich hier. Und der Doc tat nichts weiter als kleine Spritzen und Fläschchen fein säuberlich nebeneinander aufzureihen. „Schon gut, Jacob“, sagte Edward, der neben Anthonys Bett stand und seinen Kopf in meine Richtung gedreht hatte. „Carlisle weiß genau, was er tut.“ „Verschwinde aus meinem Kopf“, knurrte ich. Edward schnaubte und lächelte aufgesetzt. Emmett lehnte sich regungslos, mit verschränkten Armen, gegen den Schreibtisch. Carlisle fing nun an einige seiner Medikamente miteinander zu vermischen. Für mich sahen sie alle gleich aus und die lateinischen Namen, die mit filigraner Handschrift auf den kleinen weißen Aufklebern der Flaschen notiert waren, sagten mir gar nichts. Meine einzige Fremdsprache, wenn man es so nennen konnte, war schon immer Quileute gewesen. Plötzlich vernahm ich ein leises Stöhnen. Ich drehte mich in Anis Richtung und sah, dass er seinen Kopf leicht bewegte und die Augen zusammenkniff. „Carlisle, er wacht auf“, kommentierte Edward, der noch immer neben dem Bett stand. Carlisle ging mit seiner soeben gefüllten Spritze zu Anthony, der flackernd seine Augen öffnete. „Wo... bin ich“, stöhnte er leise und sah als erstes hinauf zur Decke, ehe er die Gesichter der beiden Vampire links und rechts von ihm bemerkte. „Du bist in meinem Arbeitszimmer, Anthony“, antwortete Carlisle. Wieder kniff mein Sohn die Augen zusammen, diesmal noch mehr als beim ersten Mal. Und als sich dann die Muskeln in seinem Gesicht entspannten, brach es plötzlich aus ihm heraus. Ein Schmerzensschrei, derart laut, dass sogar Emmett am Schreibtisch zusammenzuckte. „Fixieren“, sagte Carlisle. Sofort machte Edward sich daran Anthony festzuhalten, der sich vor Schmerzen krümmte, stöhnte und schrie. Carlisle strich zuerst mit einem getränkten Tuch über die Einstichstelle, danach drückte er einmal auf die Spritze, so dass etwas von der klaren Flüssigkeit in die Luft spritzte. Dann stach er sie fachmännisch in Anis Arm, während mein Sohn sich noch immer quälte.Ich nahm zwar an, dass er ihm gerade ein Schmerzmittel gespritzt hatte, aber dass es keine Wirkung zeigte, machte mich nur noch nervöser. „Kannst du ihm die Schmerzen nicht nehmen?!“, fragte ich besorgt. „Das Medikament muss erst wirken, Jacob“, sagte Edward, immer noch Ani festhaltend. „Ich glaube es ist besser, wenn du mal nach Renesmee und Mariella siehst“, meinte Carlisle dann und lächelte mich an. Dann sah er hinüber zu Emmett und nickte. „Lass uns gehen“, sagte Emmett und ging auf mich zu. „Nein“, konterte ich. Emmett nahm mich am Oberarm. „Du hilfst ihm am meisten, wenn du Carlisle und Edward ihre Ruhe lässt.“ Mehr oder weniger widerwillig, ließ ich mich von dem bulligen Vampir aus dem Krankenzimmer zerren. Im Grunde hatte er recht. Ich konnte sowieso nicht helfen. Ich hatte meine Chance, ihm zu helfen bereits vertan... Müde ging ich die Treppen hinunter und betrat das Wohnzimmer, wo die Anderen stumm saßen. Die Schreie hatten sie bestimmt gehört, doch jetzt war alles still. „Nessie, kann ich dich kurz sprechen?“, fragte ich, ohne mich hinzusetzen. Nessie hob ihren Blick und sah mit tränennassem Gesicht zu mir hinauf. „Warum? Was ist mit Ani?“ „Carlisle kümmert sich um ihn. Edward vermutet, dass das Vampirgift von Caius ihm zu schaffen macht, aber er hat ihm Schmerzmittel gegeben. Wir können im Moment nichts weiter tun.“ Ich machte eine kurze Pause und sah, wie Nessie traurig auf den Boden sah. „Also...?“, fragte ich dann. Renesmee nickte. Ich nahm ihre Hand und ging mit ihr in unseren Teil des Anwesens, wo ich mich mit ihr aufs Sofa setzte. Sie nahm stumm Platz und starrte den Teppichboden an, bis ich das Wort ergriff. „Ich habe eine Bitte an dich“, sagte ich leise. Sie sah mich an und wartete darauf, dass ich fortfuhr. „Erinnerst du dich noch daran, wie Ani nach diesem ersten Vorfall mit dem Mädchen zu uns ins Wohnzimmer gekommen war?“ Wieder ein stummes Nicken. „Kannst du dir die Szene noch einmal ganz genau in Erinnerung rufen... und... sie mir zeigen?“ Es war eine seltsame Bitte. Etwas, worum ich noch nie zuvor gebeten hatte. Aber es war mir in diesem Moment unglaublich wichtig. Nessie schloss die Augen und ich blieb angespannt neben ihr sitzen und wartete. Nur einige Sekunden später, legte sie ihre Hand schließlich an meine Wange und dann strömten die Bilder direkt in meinen Kopf. So deutlich, als handelte es sich um einen Film, sah ich ihre Erinnerungen... Wir saßen gemeinsam auf dem Sofa und schauten einen Film. Ich stopfte mir gerade die letzte Portion Popcorn in den Mund. Es war seltsam, sich selbst aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Nessies Blick fiel auf die leere Schüssel. Sie nahm sie und erhob sich um Nachschub zu holen. Sie war nur wenige Schritte gegangen, als ihr im Flur unser Sohn begegnete. Nessie erschrak und wich ein wenig zurück, dann sagte sie „Ani“. „Tut mir Leid, Mum. Ich wollte dich nicht erschrecken“, antwortete er. Nessie wollte gerade ebenfalls etwas sagen, wurde aber durch mich unterbrochen. Ich spürte wie nervös Nessie wurde, kaum das ich vor Ani stand. Niemand von uns bewegte sich, bis ich schließlich etwas sagte und mich dann wieder umdrehte. Vor meinem inneren Auge, blickte ich mir selbst nach und dann sah ich aus Nessies Perspektive, wie sie Anthony davon abhalten wollte, mir zu folgen. Doch er ließ sich nicht beirren und Nessie rannte ihm panisch hinterher. Nun sah ich mich selbst, vor dem laufenden Fernseher auf dem Sofa sitzen und unseren Sohn, wie er sich neben mich stellte und zu mir herunter sah. „Warum gehst du mir seit Tagen aus dem Weg?“, fragte er mürrisch. Ich drehte mich um und zuckte mit den Achseln. „Tu ich? Ich weiß nicht, was du meinst.“ „Das weißt du ganz genau“, zischte er zurück. Zur Antwort drehte ich mich ganz zu ihm. „Hör mal, was ist daran so ungewöhnlich, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen? Ich meine, du hast dein Leben. Ich hab meins. Du bist erwachsen. Das ist normal.“ „Vor wenigen Tagen erst, hab ich ein unschuldiges Mädchen umgebracht. Das ist nicht normal“, meinte er dann. Darauf folgte ein kurzer Moment der Stille. „Doch. Ist es“, sagte ich dann. „Du bist ein Vampir. Ich hab mir sagen lassen, so was machen die öfter.“ Aus Nessies Sicht war mein Ton wirklich schrecklich. Ich spürte regelrecht die Wut in ihr aufkeimen, die durch die Bilder in meinem Kopf sogar auf mich selbst hinüberschwappten. Und auch Ani schien ich damit zur Weißglut getrieben zu haben. Dass er gezittert hatte, hatte ich damals überhaupt nicht wahrgenommen. Aber Nessie hatte es, als seine Mutter, selbstverständlich bemerkt. „Es ist besser, wenn du jetzt gehst, Ani“, sagte sie leise und wollte ihn wegschieben. Doch er ließ es nicht zu und blieb stehen, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Ich hingegen, war dazu übergangen ihn zu ignorieren. „Ani“, wiederholte Nessie. „Ah!“, hörte ich mich plötzlich selbst sagen. Meine Frau und mein Sohn drehten sich beide zu mir um. „Noch was.“ Ich stand auf und trat näher an Ani heran. „Du kannst froh sein, dass wir deinem Bruder nichts erzählt haben, der hätte dir nämlich garantiert mehr dazu zu sagen gehabt, als wir“, flüsterte ich eindringlich. Und wieder sah ich aus Nessies Sicht der Dinge etwas, dass mir selbst entgangen war. Selbst im Halbdunkeln, dass in diesem Moment im Wohnzimmer geherrscht hatte, konnte ich deutlich sehen, wie sehr meine Worte Ani verletzt hatten. In Nessies Erinnerungen rutschten unwillkürlich weiter zurückliegende Ereignisse... William und ich, wie wir als Wölfe durch die Wälder fegten, wie ich mit ihm als kleinem Wölfchen im Arm eingeschlafen war, wie ich mit ihm spielte und tobte – und wie Anthony teilnahmslos daneben saß. Ich sah, wie wir beim Picknick saßen, als unsere Drillinge noch klein gewesen waren und wie ich auch dort mit Will spielte. Ich sah eines unserer Weihnachtsfeste, in denen Ani auf Rosalies Schoß gesessen hatte. Es war mir nie aufgefallen, aber er hatte sehr selten auf meinem gesessen... Plötzlich brach Nessie ab und senkte den Blick. „Es tut mir Leid“, wimmerte sie. Ich streichelte ihr bronzefarbenes Haar. „Es ist okay...“ „Ich... tut mir Leid...“, wiederholte sie. Ich zog sie zu mir auf den Schoß und umarmte sie. „Scht... scht...“, versuchte ich sie zu beruhigen. Meine Renesmee wimmerte und schluchzte in mein Shirt und ich strich ihr behutsam über den Rücken. „Ich wollte nicht, dass du das siehst... ich...“, sagte sie. Ihr Ton war durch das Weinen ziemlich hoch. „Du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen. Du hast es dir ja nicht ausgedacht. Alles was du mir gezeigt hast, ist wirklich so passiert. Und in all den Jahren, habe ich es nie bemerkt... oder nie bemerken wollen... ich war ein schlechter Vater.“ „Jake...“, flüsterte sie und setzte sich wieder hin, damit sie mich ansehen konnte. Eine Strähne ihres langen Haares klebte in ihrem Gesicht. „Du hattest Recht“, sagte ich, als ich ihr die Strähne aus dem Gesicht nahm. „So sehr ich mich um William gekümmert habe, so sehr vernachlässigte ich Anthony.“ Wieder spürte ich, wie meine Augen langsam glasig wurden. Auch Nessies Augen glänzten, als sie mich ansahen. Diese schönen, schokobraunen Augen. „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung“, sagte sie leise. „Schon möglich“, antwortete ich tonlos. „Aber vielleicht habe ich keine Möglichkeit mehr, weitere Schritte mit meinem Sohn zu gehen...“ „Jake...“, wimmerte sie. Ich schürzte die Lippen, nahm ihren Kopf in beide Hände und küsste ihre Stirn, ehe ich mich erhob und ihr die Hand reichte. „Komm“, sagte ich. Nessie sah kurz zu mir hinauf, dann nahm sie meine Hand und ließ sich von mir aufhelfen. Zusammen lief ich mit ihr zügig durch das Anwesen. Wir waren nur wenige Meter von meinem Ziel entfernt, da hörte ich, wie eine Tür aufging und beschleunigte meine Schritte. Doch als wir um die Ecke bogen, sahen wir gerade noch wie Carlisle sein Arbeitszimmer abschloss. Nun etwas langsamer, gingen wir auf ihn zu. Er verstaute seine Schlüssel in der Hosentasche und lächelte uns mit seinem Arztlächeln an. Wie ich dieses Lächeln hasste. „Was ist los?!“, wollte ich sofort wissen und hatte einen dementsprechend bissigen Ton. „Bitte begleitet mich ins Wohnzimmer. Ich habe etwas zu sagen und würde mir wünschen, wenn die ganze Familie mich anhören würde.“ Sein Blick wanderte kurz von mir zu Renesmee, dann drehte er sich um und ging. Ich sah kurz hinunter zu Renesmee, die ihrem Großvater stumm hinterherschaute. Wenige Minuten später saß die ganze Familie, mit Ausnahme von Anthony, im Wohnzimmer. Während ich mit Renesmee, Mariella, Seth, Esme und Alice auf dem Sofa Platz genommen hatte, saß Bella im Sessel und Edward auf dessen Kante. Emmett hatte sich von hinten mit den Armen am Sofa abgestützt und Rosalie tat es ihm gleich. Jasper hingegen stand neben dem Sofa, ganz in der Nähe von Alice. Nur Carlisle stand frei im Raum. Alle Blicke waren gespannt auf ihn gerichtet und er ließ sich eine Weile Zeit, ehe er zu sprechen begann. „Ich hatte in den letzten paar Stunden die Möglichkeit Anthony eingehend zu untersuchen und kann bestätigen, was Edward schon vermutet hatte.“ „Das Gift“, kommentierte Edward. Carlisle nickte. „Aber warum wirkt es erst jetzt?“, fragte Bella. Als jüngster Vampir, in den Reihen der Cullens, war die Verwandlung für sie natürlich noch eine relativ frische Erfahrung und bei ihr hatte das Gift damals glücklicherweise rasch gewirkt. „Anthony ist kein Mensch, daher kann ich nur Vermutungen anstellen. Die Meisten von uns haben eine Verwandlung selbst erlebt und wissen daher wie es sich anfühlt, aber bei vielen liegt es schon einige Jahrzehnte zurück und fundiertes Wissen über den genauen Vorgang haben sie nicht unbedingt, daher will ich ihn nochmal kurz erläutern.“ Eigentlich hatte ich eine instinktive Abneigung gegen Verwandlungen. Als ich noch in La Push gelebt hatte, gingen sie mit einem Vertragsbruch einher und bedeuteten den Tod für die beteiligten Vampire. Nun aber, da mein eigenes Kind davon betroffen war, wartete ich genauso gespannt auf Carlisles Erläuterung, wie die um mich herum sitzende Vampirschar. „Also...“, begann er. „Wenn das Gift in den Körper gelangt, bahnt es sich seinen Weg durch sämtliche Blutbahnen. Auf diesem Weg legt es nach und nach die inneren Organe lahm. Diejenigen die für den vampirischen Organismus von Nöten sind, wandelt es anschließend um. Alle Anderen verbleiben funktionslos im Körper, werden allerdings für die Ewigkeit konserviert. Das Blut, dass wir trinken, beispielsweise, wandert direkt in unseren Blutkreislauf. Unseren Magen-Darm-Trakt brauchen wir daher nicht mehr. Wenn wir also nun menschliche Nahrung zu uns nehmen, müssen wir diese hervorwürgen, wenn wir sie wieder los haben wollen. Andernfalls würde sie einfach dort bleiben und irgendwann anfangen zu zerfallen. Da wir aber nicht krank werden können, wäre auch dies kein Problem. Das Herz ist das letzte Organ, das umgewandelt wird. Sobald es aufgehört hat zu schlagen, ist der Vorgang abgeschlossen und der Vampir erwacht in Kürze.“ Bella nickte zustimmend, sie wusste ja noch, wie es bei ihr war. „Man kann es auch mit einem Computer vergleichen. Das System wird komplett heruntergefahren und anschließend als Vampir neu gestartet“, sagte Alice. „Also verwandelt er sich gerade und wacht in einigen Tagen als vollwertiger Vampir wieder auf?“, fragte meine Tochter. Carlisle schüttelte sachte den Kopf. „Nein“, sagte er. „Anthony ist zu wenig Mensch um umgewandelt zu werden und trägt gleichzeitig zuviel Werwolf um Immun dagegen zu sein.“ „Und das bedeutet für Ani?“, wollte Nessie dann wissen. Wahrscheinlich dachten alle Personen hier im Raum das Gleiche. Alle wussten wir, was jetzt kam und warteten nur noch darauf, das der Arzt es aussprach. „Wenn sein Herz aufhört zu schlagen, wird er im Gegensatz zu uns, nicht aufwachen. Es tut mir Leid, Renesmee, Jacob“, sein Blick wanderte von ihr zu mir, „ich kann ihn nicht retten.“ Stille. „Wie lange noch...?“, fragte ich, ohne ihn anzusehen. „Es ist möglich, dass das Werwolfgen den Vorgang beschleunigt. Es kann aber auch sein, dass die Tatsache, dass einige Organe bereits vampirisch sind, ihn verlangsamen. Wenn es bei der jetzigen Geschwindigkeit bleibt... vielleicht vier Tage. Höchstens.“ In meinem Kopf hallten die Schreie wieder. Vier Tage Höllenqualen? Für Nichts? „Carlisle, hattest du nicht mal mit einem Antitoxin experimentiert?“, fragte Edward. „Ein Gegengift?“ Seth schien sein Fremdwortwissen bestätigt haben zu wollen. „Habe ich“, sagte Carlisle. „Aber ich konnte es nur an Tieren testen.“ „Hat das funktioniert?“, fragte Mariella. „Vampirgift tötet Tiere. Das ist auch der Grund weshalb die Gestaltwandler so anfällig dafür sind. Tiere denen ich das Antidot spritzte haben lediglich etwas länger gelebt, aber gestorben sind sie trotzdem. Es ist mir nie gelungen eines am Leben zu halten.“ „Aber es würde uns immerhin Zeit verschaffen“, meinte Edward. In mir begann wieder etwas zu brodeln. Das konnte doch nicht sein Ernst sein. Er hatte Anthony gesehen, er hatte ihn festgehalten, wie konnte er auch nur im geringsten daran denken, diese Qual noch zu verzögern? Ich stand schlagartig auf und sah ihn zornig an. „Du willst, dass er noch länger leidet?“ „Nein, Jacob“, antwortete er ruhig. „Ich versuche ihm zu helfen. Vielleicht gibt es eine Lösung, aber dafür brauchen wir Zeit. Und vier Tage, die sich möglicherweise auch noch verkürzen, sind zu wenig.“ „Wie lang hat denn das letzte Tier überlebt?“, fragte Jasper. „Sechs Tage, sofern man diesen Zustand Überleben nennen konnte“, antwortete der Doc. „Na toll“, sagte ich sarkastisch. „Dann haben wir eben zehn Tage. Wie viel Zeit hattest du noch gleich um das Gegengift zu entwickeln? Eintausend? Zweitausend?“ Carlisle lächelte leicht. „Vierhundert.“ „Vierhundert Jahre gegen zehn Tage. Zehn Tage in denen wir vielleicht keinen Deut weiter kommen, in denen Anthony im Gegenzug aber qualvoll krepiert!“, schrie ich in die komplette Runde. Renesmee tat nichts, um mich zurückzuhalten. Sie saß stumm auf dem Sofa, starrte vor sich hin und wirkte wie in einer Art Trance. „Carlisle hat Möglichkeiten die Schmerzen zu lindern“, erklärte Edward. Das war mir nicht unbekannt, schließlich hatte ich die Spritze vorhin selbst gesehen. Trotzdem war ich etwas verwundert, denn ich meinte mich zu erinnern, dass das bei Bella damals nicht funktioniert hatte und sie erinnerte sich wohl ebenso daran. „Ich dachte damit lähmt man nur den Körper?“, warf sie zielsicher ein. „Das ist korrekt“, antwortete Carlisle. „Das Morphium war nicht in der Lage dich vor den Schmerzen der Umwandlung zu schützen. Ich werde in seinem Fall jedoch auf ein anderes Schmerzmittel zurückgreifen. Ich bin guter Dinge, dass es in seinem besonderen Fall hilft.“ „Das tut es bereits“, sagte Edward. Ich knirschte leicht mit den Zähnen, senkte den Kopf und ließ meine Augen zu Edward wandern. Er schien um jeden Preis diese sechs Tage haben zu wollen. „Nun“, meldete sich Carlisle, nach einer kurzen Pause, wieder zu Wort. „Dein Enthusiasmus in allen Ehren Edward, aber die Entscheidung liegt letztlich nicht bei dir.“ Seine goldenen Augen fixierten mich. „Sondern bei seinen Eltern.“ Ich drehte mich zu Nessie um. Sie starrte noch immer teilnahmslos ins Leere. Mit einer Antwort von ihr war wohl nicht zu rechnen. Ich allein musste also nun entscheiden, ob ich in Kauf nahm, dass mein Sohn statt vier Tagen, zehn Tage durch die Hölle ging. Im Gegenzug würden wir sechs Tage mehr Zeit für ein aussichtsloses Unterfangen erhalten: ein Gegengift zu finden. Etwas das Carlisle über Hunderte von Jahren nicht gelungen war und das wahrscheinlich vergleichbar war mit einem Sechser im Lotto. Allerdings... sollten sie Erfolg haben, wäre der Gewinn für mich noch wertvoller, als jeder Jackpot der Welt. Hatte ich überhaupt eine Wahl? Wenn noch eine Chance bestand, konnte ich diese dann einfach so verwirken? Ich hatte bereits so viele Chancen verstreichen lassen. Vielleicht war dies, diese eine letzte Chance, die ich mir wünschte. „Also gut“, sagte ich entschlossen und sah dabei den Doc an. „Unter der Bedingung, dass alles Erdenkliche getan wird, um ihm diese Zeit so angenehm wie möglich zu machen.“ Carlisle lächelte. „Du hast mein Wort, Jacob. Er wird sehr wahrscheinlich sehr müde sein, aber ich werde mein Bestes geben, damit er keine Schmerzen hat.“ Carlisle und Edward machten sich sofort wieder auf ins Arbeitszimmer. Wir Anderen blieben zurück. Ich setzte mich wieder zu Nessie aufs Sofa und legte meinen Arm um sie. Erst nachdem sie ihr Gesicht an meiner Brust vergraben hatte, begann sie zu weinen. Ich hätte ihr gerne tröstende Worte zugeflüstert. Dass alles wieder gut wird. Dass Ani es schafft. Aber ich glaubte selbst so wenig daran, dass ich nicht mal in der Lage war, diese Sätze auch nur auszusprechen. Aber dass mein Glaube an Erfolg so schwach war, hieß nicht, dass ich nicht das Gegenteil hoffte. Ich hoffte, betete jeden Tag, der auf Diesen folgte, dass sie ein Mittel gegen das Vampirgift fanden. Eines das nicht nur ein paar Tage verschaffte, sondern komplette Heilung versprach. Nachdem Alice die Möglichkeit in den Raum gestellt hatte, dass noch andere Vampire eventuell um ein Heilmittel wussten, hatte sie sich mit Jasper, sowie Rosalie und Emmett in zwei Gruppen aufgemacht, um ihre Artgenossen ausfindig zu machen. Bei Renesmee hatte das damals sehr gut funktioniert, schließlich hatten sie Nahuel gefunden, den lebenden Beweis dafür, dass Nessie keine Gefahr darstellte. Dass Anthony nach fünf Tagen noch nicht gestorben war, war ein möglicher Beweis dafür, dass Carlisles vorhandenes Gegengift, die vermutete Wirkung zeigte. Uns blieben jetzt also noch fünf weitere Tage. Carlisle hatte angedeutet, dass es aufgrund des Unterschieds zwischen meinem Sohn und einem Tier möglich war, dass er auch länger lebte. Aber er wollte uns keine falschen Hoffnungen machen und stellte gleichermaßen klar, dass es uns nicht unbedingt helfen würde, wenn er noch einen Monat in diesem Zustand blieb. Gegengift oder nicht. Es verhinderte nicht, dass sich Caius scheußlicher Speichel durch Anthonys Körper fraß wie ätzende Säure. Es verringerte lediglich die Geschwindigkeit in der seine Organe in Mitleidenschaft gezogen wurden und es war ungewiss, ob das Werwolfgen, sollten sie ein Mittel gegen das Gift gefunden haben, stark genug war, um alles was es zerstört hatte, wieder aufzubauen. Der einzige Trost in diesen Tagen war es für mich, dass mein Sohn von alle dem kaum was mitbekam. Der Doc hatte ihm Sufentanil verabreicht. Ein Schmerzmittel. Siebenhundert bis Tausendfach so stark wie Morphium. Es brachte Anthony an einen Zustand nahe des Komas. Nur wenn Carlisle die Dosis verringerte, war er ansprechbar. Und genau darum bat ich ihn dann auch. Ich wollte mit ihm sprechen. Meine über alles geliebte Frau begleitete mich noch nach oben. Es kostete mich jede Menge Überwindung, Renesmees traurigem, flehenden Blick zu widerstehen. Ich nahm sie in den Arm, drückte sie an mich. Ihr Schmerz war schon immer auch der Meine gewesen, doch dieses Mal, kam mein Eigener noch hinzu. Und dann öffnete sich die Tür zu Carlisles Zimmer. Der blonde Vampir mit den topasfarbenen Augen sah mich verständnisvoll an und nickte – das Zeichen für mich, dass ich Eintreten durfte. Als ich gehen wollte, hielten mich Renesmees zarte Hände noch einen Moment zurück, denn sie ließ mich nicht los, hatte ihre hellen Finger noch immer in mein Hemd gekrallt. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Ich fand keine Worte, also sah ich sie einfach nur an und strich ihr mit der Hand über die Wange, über die bereits so unendlich viele Tränen gelaufen waren. Dann ließ sie mich schließlich gehen und ich betrat das Zimmer. Es war sehr dunkel hier. Durch das fahle Licht einer kleinen Lampe, sah ich, bis sich meine Augen angepasst hatten, nur die schwächlich beschienenen Buchrücken, die sich in den Regalen aneinander reihten. Ich weiß nicht, warum ich sie erst jetzt so richtig sah. Ich hatte schließlich mehr als dreißig Jahre Zeit gehabt, sie anzusehen, sie vielleicht sogar mal aufzuschlagen. Jetzt wünschte ich mir, ich stünde hier, um ein Buch aufzuschlagen. Aber das war ich nicht. Langsam setzte ich mich auf den Stuhl neben dem Bett. Erst jetzt wagte ich es, ihn anzusehen. Ich verfluchte meine übernatürlichen Sinne für den klaren Blick, den sie mir nun selbst im Dämmerlicht ermöglichten. Dann hätte ich vielleicht nicht gesehen, wie sein Brustkorb sich schwer hob und senkte, während sein Herz raste. Oder wie seine Haut durch die Anstrengungen und den Schweiß glänzte und wie sein schwarzes Haar an seiner Stirn klebte. Ich hatte in den dreißig Jahren zu viel Vampir in ihm gesehen, so sehr, dass es mir in all den Jahren als Unmöglich erschien, dass er jemals dazu in der Lage gewesen wäre zu weinen oder zu schwitzen, aber jetzt sah ich, wie menschlich er war. Wie sehr er mein Sohn war. Den allerletzten Beweis, bekam ich dann, als ich seine Hand nahm und die Nadel sah, die über einen durchsichtigen Schlauch mit dem Infusionsbeutel über dem Bett verbunden war. Was das für eine farblose Flüssigkeit war, wusste ich nicht. Ich hatte ja keine fünfzig Mal Medizin studiert, so wie das eine oder andere Familienmitglied. Das Einzige, was ich wusste war, dass die Heilungsfähigkeit der Werwölfe einen Venenkatheter eigentlich unmöglich machte. Doch das Gift blockierte diese Fähigkeit wohl... Als ich meinen Blick wieder davon abwandte, erschrak ich fast, als ich sah, dass er seinen Kopf in meine Richtung gedreht hatte. Seine Augen waren kaum geöffnet, aber ich meinte ein wenig von ihrem dunklen Rot wahrzunehmen. „Anthony...“, sagte ich leise. Er schloss die Augen und ich dachte schon, er sei wieder in die Bewusstlosigkeit abgeglitten, doch dann öffnete er sie wieder langsam. „Vater...“, brachte er dann heraus. „Es tut mir Leid.“ Es hörte sich so an, als viele ihm das Sprechen unglaublich schwer, als sei jedes Wort ein Marathonlauf. „Ich war dumm“, fuhr er fort. „Unsagbar dumm.“ Ich schüttelte leise den Kopf. Er schien es durchaus wahrzunehmen, ignorierte meine Geste jedoch. „Ich habe...“, hauchte er, dann versagte seine Stimme und er schloss wieder die Augen. Ich sah wie eine Träne seine Wange hinunter lief, dann öffnete sich das Lid erneut. „Ich habe in den letzten Wochen so viele Fehler begangen.“ „Nein“, antwortete ich sanft. Ich rückte etwas näher an das Bett und beugte mich vorsichtig etwas über den Rand, damit ich näher bei ihm war. „Ich habe Fehler begangen. In den letzten dreißig Jahren. Immer wieder und wieder.“ Ich schloss die Augen für einen Moment. Vor meinem geistigen Auge, sah ich das Bild eines Neugeborenen in meinen Armen. Ein Baby mit heller Haut und dunklem Haar. Wie sehr hatte ich für dieses Kind gekämpft? Was hatten wir alles auf uns genommen, um es zu schützen? „Den ersten Fehler“, sagte ich. „Habe ich gemacht, als ich dich zum ersten Mal in meinen Armen hielt. Ich hätte dich festhalten müssen, aber das habe ich nicht getan. Ich bin fort gelaufen.“ Jetzt spürte ich auch, wie bei mir die Tränen kamen. „Und von diesem Tage an, bin ich immer wieder davon gelaufen. Vielleicht nicht im eigentlichen Sinne, sondern immer auf eine andere Art und Weise, aber ich bin davon gelaufen.“ Und dann tat ich etwas, was ich nicht mehr getan hatte, seit er ein Baby gewesen war, ich beugte mich vor, strich ihm den Pony zur Seite und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Es tut mir Leid, Ani“, flüsterte ich dann. „Daddy...“, war das Letzte was er herausbrachte. Dann waren seine Augen wieder geschlossen. Und ich hoffte, betete, dass sie es nicht für immer waren... - Ende Kapitel 9 - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)