Blood Moon - Bis(s) in alle Ewigkeit von -DesertRose- (Fortsetzung von Rising Sun - Bis(s) das Licht der Sonne erstrahlt) ================================================================================ Kapitel 1: Happy Birthday ------------------------- Disclaimer: => Ich verdiene kein Geld mit meiner Fanfiction. => Alle Charaktere die schon in den Twilight-Bänden ihren Auftritt hatten, gehören Stephenie Meyer. Alle Anderen, wie etwa Schüler, Lehrer und vor allem Renesmees und Jakes Kinder, habe ich selbst erfunden. Weitere Infos zur FF, Trailer, Cover & mehr http://www.renesmee-und-jacob.de.vu http://www.chaela.info Noch ein paar Hinweise zum Kapitel Bitte die im Kapitel erklärten Chemie-Versuche nicht nachmachen. Das kann sehr gefährlich werden, auch wenn es sich einfach anhört! --------- Kapitel 1 Happy Birthday Der Boden war vom gestrigen Regen noch etwas aufgeweicht. Die Kieselsteine auf dem ungeteerten Pfad waren dunkel und klebten an meinen Schuhen, während ich den rund vierzig Kilometer weiten Weg von Loughrea nach Ballinasloe ging. Gewiss, ich hätte auch mit dem Auto fahren können. Aber mir machte das Laufen nichts aus. Man entdeckt unterwegs immer wieder die eine oder andere Kleinigkeit, die am Vortag noch nicht dort oder anders gewesen war. Es war wenigstens etwas Abwechslung in einem immer gleichen Rhythmus. Ich hatte es schon lange aufgegeben, einen Sinn in all dem zu suchen. Es gab sicher hunderte Wege, mit denen man die Ewigkeit besser verbringen konnte, als Tag für Tag in die Schule zu gehen. Die Welt war ja schließlich groß genug. Doch dies war die Art und Weise, wie meine Familie zu leben pflegte. Mein Name ist Anthony Ephraim Black-Cullen. Ich bin ein Wesen, für das es im normalen Sprachgebrauch keine Bezeichnung gibt, noch weniger Fisch oder Fleisch, als meine Mutter. Die konnte man wenigstens noch als Halbvampir bezeichnen. Ich dagegen ,wusste die meiste Zeit über nicht mal selbst, wo ich hingehörte – und hielt mich daher auch lieber von jeglichen Gruppenzugehörigkeiten fern. Auch meine Mitschüler hatten nach den inzwischen zwei Jahren, die ich nun mit ihnen auf die Highschool ging, gelernt, dass es zwecklos war, sich mit mir in irgendeiner Weise anzufreunden. Ich war nicht wie sie. Das spürte ich. Und das spürten sie. Um Gesprächen vor Schulbeginn von vorneherein aus dem Weg zu gehen, betrat ich den Schulhof meistens erst kurz vorm Unterrichtsbeginn, wenn alle schon in den Klassenräumen saßen und niemand sehen konnte, woher ich kam. Ob ich mit dem Bus, dem Auto oder zu Fuß kam, wusste keiner. Sie vermuteten wohl Dinge, aber das taten sie häufig. Dadurch, dass ich mich nicht im geringsten für sie interessierte, interessierten sie sich für mich umso mehr. Ich war froh nicht die Gabe meines Großvaters zu besitzen. Als ich das Klassenzimmer betrat, nachdem ich meine Schulsachen aus meinem Spind geholt hatte und durch die Tischreihen trat, wollte ich gar nicht wissen, was insbesondere die Mädchen aus meiner Klasse dachten. Wahrscheinlich sah sich selbst die mollige Sue schon mit mir zusammen auf dem Lehrerpult. Mein Platz war der ,ganz hinten rechts, in der Ecke, direkt neben einer Säule. Der Stuhl neben mir war frei, aber meine Schultasche beanspruchte ihn immer für sich, sodass niemand sonst darauf Platz nehmen konnte. Sitzen wollte dort schon lange keiner mehr, beantwortete ich die leisen Fragen doch immer mit einem freundlichen Lächeln und einem noch freundlicheren "Nein", wenn es hieß "Ist der Platz noch frei?" Sie mochten mich für arrogant halten, ich betrachtete es als Schutzmechanismus. Nicht, weil ich sie im nächsten Moment attackieren würde, sondern weil ich sowieso keine längeren Beziehungen zu irgendjemandem aufbauen konnte. Wir würden in spätestens drei Jahren wieder umziehen, da war ich mir sicher. Immerhin taten wir das seit dreißig Jahren. Entsprechend langweilig war dann auch der Unterricht. Genau wie der der anderen siebentausend Tage, die ich in der Schule verbracht hatte. Ob nun die französische Revolution, der zweite Weltkrieg, der Aufbau eines Pferdemagens oder Binomische Formeln, ich wusste alles schon. Und ich war es genau so leid, wie das Geflüster drei Tische weiter. Eigentlich wollte ich gar nicht wissen, ob Jessica sich jetzt von Steve getrennt hatte und wie sehr sie darunter litt, aber mein übernatürliches Gehör ließ mich selten etwas überhören und wenn die Mädchen sich von ihren Wochenendliebeleien erzählten, hörte ich, ohne es zu wollen, mit. Als der Unterricht dann endlich vorbei war, hielt ich mich ,wie immer, nicht sonderlich lang auf dem Schulgelände auf. Ich brachte alle meine Schulsachen zurück zu meinem Spind. Ich brauchte sie Zuhause nicht, weil ich nie etwas nachholen musste. Hausaufgaben konnte ich in wenigen Sekunden machen, bevor der Lehrer sie anschaute. Ich schloss den kleinen dünnen Schrank ab, steckte den Schlüssel in meine Tasche und verließ, ohne mich umzudrehen, das Gebäude. Mein nächster Weg führte mich dann aber nicht wieder direkt nach Hause. Ich ging in die Innenstadt, wo direkt an das Rathaus die örtliche Bibliothek angrenzte. Die Wände waren größtenteils aus dickem Glas, was dem ganzen Gebäude ein sehr modernes, frisches Aussehen verlieh. Ich wusste genau, wo ich hin laufen musste, nachdem ich es betreten hatte. Aber ich kannte jemanden, der einem Suchenden hier in wenigen Sekunden die Regalnummer des gewünschten Buches nennen konnte. Und genau nach diesem Jemand hielt ich Ausschau – und ich entdeckte sie auf einer Leiter, wo sie in drei Metern Höhe ein etwas mitgenommenes gräuliches Buch zwischen einige Andere stellte. Das lange braune Haar hatte sie gebändigt und zu einem seriösen Dutt gebunden. Ohne nach unten zu sehen, hatte sie mich bemerkt. Ihr Mund formte sich zu einem zarten Lächeln. Es war eine reine, fließende Abfolge von einzelnen Bewegungen, als sie von der Leiter stieg, fast so, als würde sie schweben. "Ani!", sagte sie begeistert und fiel mir direkt um den Hals. "Hey Schwesterchen", antwortete ich und strich ihr über den Rücken. "Alles Gute zum Geburtstag." Sie ließ mich los und sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Sehr witzig, Spaßvogel!", kam es kichernd zurück. "Mhm?", fragte ich. "Wir wurden am selben Tag geboren, schon vergessen?" Sie nahm zwei Bücher aus einem Regal zu ihrer Linken und ging damit durch den Gang – und ich hinterher. "Ein Grund mehr, nett zu mir zu sein und mich nicht zu beleidigen." Mariella stellte eines der Bücher einige Meter weiter wieder in das Regal. Für mich sah es vollkommen wahllos aus, aber ich nahm an, dass sie genau wusste, was sie da tat und nicht viel dabei nachdenken musste. "Wo hab ich dich beleidigt?", fragte sie, als sie sich zu mir umdrehte. "Du hast mich Spaßvogel genannt. Ich bin vieles, aber auf keinen Fall witzig." "Oh doch", sagte sie. "Du bist sogar ziemlich witzig, die verkennen alle nur deinen Humor." "Wer sind denn 'die'?", fragte ich verwundert. "Naja", antwortete sie schulterzuckend. "Alle? Abgesehen von mir natürlich." Ich lächelte. "Siehst du, das mein ich." Ich antwortete nichts, aber Mariella ließ keine Stille zu. Nachdem sie noch mal ein paar Bücher neu einsortiert hatte, stellte sie direkt die nächste Frage. "Und was machst du jetzt noch?" "Keine Ahnung", antwortete ich. "Nach Hause gehen?" "Gehen?", hakte sie nach. - "Mal schauen." "Okay", sagte sie verständnisvoll. Inzwischen standen wir vor einem Computer, auf dessen Bildschirm sie eilig herumtippte. "Wenn... wenn du mitkommen möchtest, dann kann ich auch wirklich 'gehen'." "Oh, Ani", sagte sie mit traurigem Blick. "Ich muss hier noch eine Weile arbeiten." "Du weißt, dass wir heute Abend feiern?" -"Ja." "Und das wir Besuch kriegen?" - "Ja, natürlich." "Mhm... okay, du wirst schon rechtzeitig wieder da sein", meinte ich dann zuversichtlich und wohl wissend, dass es so sein würde. - "Sieh lieber zu, dass DU rechtzeitig wieder da bist." "Du kennst mich." Sie sah von ihrem Bildschirm auf. "Deswegen sagte ich es." Einige Minuten später, nahm ich durch einige schmale Gassen, den kürzesten Weg, um aus der Stadt hinaus zu kommen. Eigentlich hatte ich keine große Lust jetzt schon nach Hause zu gehen. Ich spürte, wie so oft, den inneren Drang, auszubrechen. Aus dem Rhythmus, den Regeln, dem Müssen und dem Sollen. Das größtmögliche Gefühl von Freiheit bekam ich hier an einem ganz bestimmten Ort. Ich ging über einige Trampelpfade und Waldwege, hinter Kilconnell und Athenry, den rund siebzig Kilometer langen Weg zur Küste Irlands. Ein normaler Mensch hätte dafür wahrscheinlich einen halben Tag gebraucht, für mich waren es ,in einem einigermaßen gemächlichen Tempo, etwas mehr als drei Stunden. Auf den Wegen begegnete mir nur ganz selten jemand. Man fühlte sich, als sei man allein auf der großen weiten Welt, wenn man über die Wiesen und durch die Wälder ging. Irland wurde nicht umsonst "die grüne Insel" genannt. Das war sie. Das war sie wirklich. In meinem ganzen Leben, hatte ich schon so einige Orte gesehen, war zig mal umgezogen, doch abgesehen von Kanada und den Vereinigten Staaten, die ja groß genug gewesen waren, um unerkannt zu bleiben, hatte ich meinen Fuß auf noch keinen anderen Kontinent gesetzt. Die Entscheidung nach Irland zu gehen, hatte ich daher sehr begrüßt und ich würde es wahrscheinlich sogar ziemlich vermissen. Das Rauschen des Atlantischen Ozeans, das Peitschen der Wellen und das Kreischen der Möwen, hörte sich hier irgendwie anders an, als die Geräuschkulisse am First Beach vor La Push. Und während ich die rote Sonne ansah, die bald am Horizont verschwinden würde, um dem Mond zu weichen und an die Tage im Reservat, kam mir wieder in den Sinn, dass es längst Zeit für den Heimweg war. Aber so sehr ich es mochte durch die Gegend zu spazieren und nachzudenken. Den ganzen Weg im Eiltempo zurück zu sprinten und während dessen entweder darauf zu achten, nicht entdeckt zu werden oder permanent meinen Schutzschild aufrecht zu erhalten, darauf hatte ich nun wirklich keine Lust. Ich musste also doch auf das zurückgreifen, das meine Schwester am Nachmittag schon geahnt hatte – ich würde nicht 'gehen'. Ich würde fliegen. Obwohl ich rein theoretisch nur zu einem Viertel Vampir war, vereinigte ich mehr Vampirisches in mir, als alle meine Verwandten, die tatsächlich welche waren. Wenn ich wollte, könnte ich mich sofort in eine Fledermaus verwandeln und davon fliegen. Aber Fledermäuse waren nicht so mein Ding. Ich bevorzugte zum Fliegen dann doch eher Federn. Einen Moment noch sah ich mich um, vergewisserte mich, dass niemand in meiner Nähe war, dann verwandelte ich mich. Es war wie ein Sog, der mich aus meinem Körper riss. Zur selben Zeit spürte ich eine unglaubliche Hitze in mir aufsteigen und so schnell, wie sie gekommen war, war sie auch schon wieder verschwunden. Nun war ich ein Adler. Da mein Vater ein Gestaltwandler war, besaß ich diese Fähigkeit, genau wie mein Bruder. Anders als dieser, fühlte ich mich jedoch nicht sonderlich stark mit den Traditionen meines Vaters verbunden. Das Ergebnis war eine vollkommene Unabhängigkeit. Ich war weder in irgendjemandes Rudel und musste mir Gedanken darum machen, dass zwei Dutzend Menschen irgendwo auf der Welt in meinem Kopf steckten – das war sowieso etwas, was ich extrem hasste, daher blockierte ich immer IMMER meinen Geist – noch war ich an die Wolfsform gebunden. Ich konnte mich in jedes Tier auf dieser Welt verwandeln, ganz gleich wie groß oder klein es war. Lediglich meine Farbe konnte ich nicht beeinflussen. Was immer für ein Lebewesen ich auch war, mein Fell oder meine Federn waren stets schwarz. Knapp eine Viertelstunde später sah ich bereits unser Anwesen kontinuierlich näher kommen. Hier in Loughrea lag unsere Villa etwas abgelegen von den restlichen Häusern auf einer kleinen Anhöhe. Sie war umschlossen von einem hohen eleganten Zaun, der durch ein großes Tor passiert werden konnte. Bis auf das Pflaster vom Tor zur Auffahrt und rund um die Bauten herum lag das Gelände in typisch irländischem penibel geschnittenem Grün. Im Gegensatz zu meinem Geburtshaus in Acworth bestand unser Zuhause nun aus mehreren Gebäuden, wobei im Haupttrakt der Großteil meiner Familie in gewohnter Manier lebte, während im Nebengebäude meine Eltern zusammen mit meiner Schwester und Seth wohnten. Ein weiteres kleines Häuschen stand meinen Großeltern zur Verfügung. Ich hingegen zog mich lieber zurück und bevorzugte mein Quartier in den Kellerräumen unterhalb des Hauptgebäudes und dem Haus meiner Eltern. Und genau dort wollte ich nun auch als Erstes hin. Ich landete also geräuschlos an der Nordseite des Hauptgebäudes und huschte über eine versteckte Klappe in den Keller. Ich war es leid gewesen immer wieder frische Kleidung im Wald zu verscharren, weil ich mich spontan irgendwo verwandelte und sie deswegen zurücklassen musste. Daher hatte ich um diesen Mechanismus gebeten, der es mir erlaubte, in mein Zimmer zu kommen, ohne durch irgendein Fenster zu klettern oder nackt durchs Wohnzimmer zu laufen. Im Inneren des Gebäudes hörte ich bereits das Stimmgewirr im Wohnzimmer. In meinem Zimmer zog ich mir eine schwarze Jeans und ein schwarzes Shirt über. Wir hatten zwar November, aber meiner Familie brauchte ich keinen Frost vorspielen. Die Treppe, die vom Keller in den Flur führte, ging geräuschlos auf. Ebenso leise bewegte ich mich beim Laufen über die weißen Fliesen. Andere taten es allerdings nicht. Ich stand keine Minute da, da stürmten bereits zwei Kinder an mir vorbei und verschwanden in der Küche. Ich sah noch einen Moment auf den Türrahmen, in dem sie verschwunden waren, dann ging ich ins Wohnzimmer. Die meisten saßen auf dem Sofa und einigen Stühlen, die sie vom Essbereich herüber getragen hatten, mein Bruder jedoch, stand mit verschränkten Armen vor dem Wohnzimmertisch und lachte über irgendetwas, was ich nicht mitbekommen hatte. Leah saß in einem Sessel zu seiner Rechten. Ihr Bauch war kugelrund und sie strich zufrieden darüber. "Nein, nein auf eine Fußballmannschaft, wie Sam und Emily sie hatten, haben wir keine Lust, aber eines geht schon noch, oder zwei. Nicht wahr, mein Engel?", sagte er zu seiner Frau, beugte sich zu ihr herab und küsste sie. Leah strahlte. Und dann drehte sich mein Bruder schließlich auch zu mir um. "Ani!", rief er freudig, ging auf mich zu und umarmte mich. Will war sogar ein paar Zentimeter größer als ich. "Ich dachte schon du kommst gar nicht mehr." "Ich allerdings auch", kam es dann von hinten, wo meine Mutter stand. "Du wusstest, dass Will und Leah heute kommen, hättest du da nicht ein bisschen früher kommen können?" "Ich weiß. Es tut mir leid. Ich war ein bisschen abgelenkt", antwortete ich und strich mir durchs Haar. "Abgelenkt?", fragte mein Bruder in einem ganz speziellen Unterton, der schwer zu beschreiben, jedoch kaum zu missverstehen war. "Von der See", sagte ich und zerschlug damit seine Interpretationen. "So, wer will Kuchen?", fragte Esme dann quer durch den Raum und schon war der kurze Moment, in dem ich mal Thema war Geschichte. Um was für eine Torte es sich handelte, wusste ich nicht, ich hatte schon das Stückchen abgelehnt, bevor ich es richtig angesehen hatte, wie es da auf dem Teller lag, als es mir von Esme angeboten worden war. Ich hatte trotzdem keinen Zweifel daran, dass sie bald bis auf den letzten Krümel verschwunden sein würde. Wenn Williams Sprösslinge sie nicht vertilgten, dann gab es ja immer noch meinen Vater und Seth. Ich setzte mich einfach hin, beobachtete und hörte zu. Ich sah, wie Wills Kinder kaum still sitzen konnten, ich hörte, wie die Geburtstagslieder geträllert wurden, ich roch den stickigen Rauch der dreißig Kerzen, die ausgeblasen worden waren. Dreißig Jahre und sie alle waren gleich. Wills Tochter Madeleine war bereits zehn Jahre alt, der kleine Harry, der nach seinem Opa benannt worden war, war fünf. Beide hätten menschlicher kaum sein können. Und das Dritte war bereits im Anmarsch. Angesichts der Tatsache, dass Leahs Mutter vor neun Jahren gestorben war, würde es mich nicht wundern, wenn sie das Kleine Sue nannten, sofern es ein Mädchen war. Aber über die Sterbefälle in den letzten Jahren redete heute niemand. Heute wollten alle glücklich sein, verdrängen, dass die Menschen, mit denen sie aufgewachsen waren, wegstarben, während sie ewig leben würden. Alle, abgesehen von meinem Bruder. Ich kannte die Geschichte um Leah, Sam und Emily und Will kannte sie auch. Es war kein Geheimnis gewesen, genauso wenig wie die Sache mit der Prägung. Und genau deswegen war ihm alles Andere egal gewesen. Für Leah hatte es keinen größeren Wunsch gegeben, als Mutter zu werden. Und um ihr diesen Wunsch zu erfüllen, zog Will mit Achtzehn nach La Push. Dorthin wo es keine Vampire gab, die sie dazu zwangen immer wieder dem Wolfsinstinkt nachzugeben, jener Verwandlung, die ihren Körper einfror und ihr ein normales Leben unmöglich machte. Keine zwei Jahre später hatte sich der erste Nachwuchs angekündigt. Und den Posten des Stammesoberhauptes der Quileute hatte er auch noch angenommen, nachdem Großvater Billy in den Ruhestand gegangen war. Leah hingegen brachte den Kindern im Reservat Quileute bei. Für beide lief alles rund. Und mein Vater platzte fast vor Stolz, jedes Mal, wenn er Will sah. Will, der nun Häuptling war. Will, der geprägt worden war. Will, der Kinder bekommen hatte. Will, der es, trotz seiner Unnatürlichkeit, geschafft hatte, ein durch und durch normales Leben zu führen. Jenes Leben, das mein Vater sich gewünscht hatte, bevor er sich in meine Mutter verliebt hatte. Während sich alle über Wills Kinder und Williams Babyjahre unterhielten, stahl ich mich davon. Ich machte mich einfach unsichtbar und ging zurück in den Keller und von dort in mein Zimmer. Eine Weile saß ich nur auf dem Bett und starrte auf den Fußboden. Nein, ich hasste meinen Bruder nicht. Nein, ich war nicht auf ihn eifersüchtig. Es kostete mich manchmal ordentlich Kraft, dem aufkeimenden Gefühl von Neid nicht nachzugeben, es zu unterdrücken. William war mein großer Bruder, sagte ich mir immer wieder und wieder und ich liebte ihn. Wenn es da ein dunkles Gefühl in Bezug auf ihn in mir gab, dann war dies nicht Wills Schuld, sondern die meines Vaters. Gedankenverloren strich ich mir die Haare von der Stirn aus dem Gesicht, aber wie immer, fielen sie sofort wieder zurück in ihre alte Position. Ich seufzte. Ich spürte, dass ich frische Luft nötig hatte. Dass ich hier raus musste. Ich stand auf, ging zu dem Kläppchen in meinem Zimmer, das Rosalie gern als "Katzenklappe" bezeichnete, was irgendwie auch nicht falsch war und öffnete es. Ich legte die Hände auf den Sims davor und wollte mich gerade mit ihnen abdrücken, um nach oben zu kommen, doch ich hatte gerade angesetzt, als hinter mir die Tür aufging. "Hey, Kleiner", hörte ich die sanfte Stimme meines Bruders. So hatte er mich schon immer genannt, auch wenn ich zeitweise größer gewesen war, als er. Ich drehte mich langsam zu ihm um. Will deutete mit einem Nicken auf den dunkelgrünen Sessel im Eck. Ich schloss also die Klappe wieder und ließ mich dann auf dem Sessel nieder. Mein Bruder blieb an seiner Stelle stehen. "Ich finde es schade, dass du erst zu spät kommst und dann gleich wieder abhaust", sagte er in einem sehr enttäuschten Ton. "Welchen Unterschied macht es, ob ich nun da oben rum sitze oder hier?", erwiderte ich nach einer kurzen Stille. "Einen Großen", meinte Will. "Du musst ja nicht viel reden, wenn du nicht möchtest-" "Es geht nicht darum, was ich WILL", fiel ich ihm ins Wort. "Es interessiert niemanden, was ich will." Er winkte ab. "Ach, Ani, das ist doch kindisch. Du bist dreißig Jahre alt, wann entschließt du dich dazu, dich auch so zu verhalten?" Ich antwortete nichts. Stattdessen ließ ich Taten sprechen. Ich ließ mich einfach tiefer in den Sessel sinken. "Wie wäre es, wenn du dir endlich mal eine Partnerin suchst?" "Oh, verzeih, dass ich noch nicht geprägt worden bin", antwortete ich säuerlich. "Davon rede ich gar nicht. Schau dir doch zum Beispiel mal Rosalie und Emmett an oder unsere Großeltern, die haben sich alle ohne Prägung gefunden. Ist dir denn noch nie ein Mädchen begegnet, für das du was empfunden hast?" "Oh ich hab schon viel für sie empfunden", antwortete ich und lächelte dabei leicht. "Ich rede nicht von deinen Liebeleien, Anthony", sagte Will nun selbst etwas sauer. "Willst du dein Leben lang so weiter machen?" "Was nützt es mir, wenn ich es ändere? Ich kann mit keiner eine längere Beziehung führen, weil sie irgendwann sterben wird." "Du kannst sie verwandeln", sagte Will. "Und wenn sie nicht die Richtige ist? Die Scheidungsrate bei Vampiren ist nicht sonderlich hoch, ich will sie nicht unnötig in die Höhe treiben und die Ewigkeit ist mir ein klein wenig zu lang, um sie mit der Falschen zu verbringen." "Du lässt es ja Nichtmal zu, dass sie in dein Leben treten kann", antwortete mein Bruder kopfschüttelnd. "Will, es geht nicht immer nur darum, zu heiraten, Kinder zu kriegen und einen Baum zu pflanzen", konterte ich nun, stand auf und ging zurück zur Klappe. "Mein Leben ist nicht so perfekt, wie deines und wird es vielleicht nie sein. Aber das ist es auch nicht, was ich mir wünsche." "Was ist es dann?", fragte mein großer Bruder. Ich schüttelte nur den Kopf und öffnete dann die Katzenklappe. "ANTHONY!", rief mein Bruder, aber ich ging einfach raus. Er versuchte mir zu folgen, aber als er draußen stand, hatte ich mich bereits verwandelt und war davon geflogen. Diesmal war es ein Rabe. *** Ich flog solange durch die finstere Nacht, bis die Sonne wieder aufging. Ich hatte keine Lust, meinem Bruder noch mal zu begegnen. Obwohl ich wusste, dass ich ihn wahrscheinlich für einige Monate, wenn nicht sogar Jahre nicht mehr sehen würde, blieb ich fern. Der Zorn, über den gestrigen Tag, war einfach noch zu groß. Ich landete in einem kleinen Waldgebiet nahe Ballinasloe, wo ich in einer Kiste, die ich in einem hohlen Baumstumpf platziert hatte, sicherheitshalber ein paar Klamotten gelagert hatte. Vom Wald aus ,lief ich dann zur Schule und betrat gewohnt spät das Klassenzimmer. Dass ich die Nacht durchgemacht hatte, sah man mir natürlich nicht an. Ich hatte mich bereits mental darauf eingestellt, während des Unterrichts ein wenig abschalten zu können. Meine Noten waren so exzellent, dass es meine Lehrer nicht kümmerte, ob ich ernsthaft am Unterricht teilnahm oder nicht. Und hier hinten in der letzten Reihe hatte ich ja meine Ruhe. Eigentlich. Denn ausgerechnet heute sollte dem nicht so sein. Schon als der Lehrer direkt nach der Begrüßung ein seltsames Lächeln auf den Lippen bekommen hatte, wurde ich stutzig. "Liebe Schüler", begann er. "Heute bekommen Sie alle eine neue Mitschülerin." Er zeigte auf die geöffnete Tür, durch die ein junges schlankes Mädchen trat. Sie hatte schulterlange blonde Haare mit einem sehr leicht rötlichen Einschlag, was ihnen eine seltsame Farbe verlieh. Ein kräftigeres, dunkleres Gelb, jedoch nicht das übliche Straßenköterblond. Sie hatte ein rundliches Gesicht, das mit einigen Sommersprossen bestückt war. Ihre Augen waren tiefblau. "Möchtest du dich kurz vorstellen?", fragte der Lehrer, woraufhin das Mädchen freundlich nickte und sich dann der Klasse zuwandt. "Mein Name ist Catriona O'Grath. Ihr könnt mich aber gerne Cat oder Cathie nennen. Ich wurde ursprünglich in Irland geboren und bin dort aufgewachsen, aber mein Vater und ich reisen seit einiger Zeit durch die Gegend, weswegen ich immer jede Menge Orte sehe, aber auch leider sehr oft die Schule wechseln muss. Naja, und momentan haben wir uns eben hier niedergelassen." Sie wartete einen Moment, und nachdem keine Fragen kamen, drehte sie ihren Kopf wieder in Richtung der Lehrkraft. "Vielen Dank", antwortete er. "Du kannst dich jetzt setzen." Catriona sah sich zum ersten Mal im Klassenzimmer richtig um. Ihre Augen huschten flink durch die Reihen. Insgesamt gab es zwei freie Stühle in diesem Raum und ich wusste von vorneherein, dass sie sofort den neben mir ansteuern würde. Ich machte mich bereit meine üblichen Antworten zu geben, wenn die Fragen kommen würden. Ich wusste nicht, ob sie es geahnt hatte oder ob sie einfach nur frech war, aber anders als alle Anderen vor ihr, fragte sie Nichtmal. Während ich sie beobachtete, wie sie mit ein paar gezielten Griffen meine Tasche auf den Boden stellte und sich einfach neben mich setzte, bemerkte ich, wie meine Mitschüler teilweise mit offenem Mund nach hinten starrten. Manch einem der Mädchen war die Eifersucht förmlich ins Gesicht geschrieben. Der Lehrer fuhr sogleich mit dem Unterricht fort und meine ungewollte Nebensitzerin machte sich in aller Ruhe daran, ihre Stifte auszupacken. "Du brauchst dich hier gar nicht erst häuslich einzurichten", sagte ich leise. "Morgen schon sitzt du nämlich in der dritten Reihe auf dem fünften Stuhl von links." "Sagt wer?", antwortete sie hochnäsig, ohne mich anzusehen. "Ich", kam es ebenso von mir zurück. "Und wer ist 'Ich'?" Jetzt erst sah sie mich an. Ich bot ihr die Hand zum Handschlag an. "Anthony Ephraim Black-Cullen. Freut mich nicht, deine Bekanntschaft zu machen." Ich lächelte sie an, als ich das sagte und ihr Mund formte sich ebenso zu einem zarten Lächeln. Ihre Augen wanderten kurz zu meiner Hand, dann sah sie wieder den Lehrer an und ignorierte mich. Ich nahm meine Hand wieder runter und folgte nun auch wieder augenscheinlich dem, was der ältere Herr vorn am Pult so von sich gab. Im Augenwinkel beobachtete ich jedoch stets das Mädchen neben mir. Als der Gong zur Pause ertönte, stand ich wie gewohnt auf und ging nach draußen in den Hof, wo ich mich einfach nur auf eine der Bänke setzte, während alle Anderen sich in der Schulkantine brav anstellten und auf ihr Essen warteten. Sofort schweiften meine Gedanken wieder ab. Zurück zum gestrigen Abend. Will und seine Familie waren jetzt wahrscheinlich schon auf dem Rückflug nach La Push, aber das war ja genau meine Absicht gewesen. Während ich nachdachte, sah ich im Augenwinkel, wie sich jemand meinem Sitzplatz näherte. Es war die freche neue Mitschülerin, die ihrem bisherigen Verhalten treu blieb und sich schon wieder einfach neben mich setzte. Sie sagte nichts, ließ sich einfach nur nieder und packte ein Brot aus, das sorgfältig in Butterpapier eingewickelt worden war. Im nächsten Moment machte sich dann der für mich unangenehm starke Geruch von Käse breit. Sie schien das nicht zu stören. Im Gegenteil, wahrscheinlich fand sie das auch noch lecker, denn sie biss genüsslich in ihre Mahlzeit. "Fragst du eigentlich nie, bevor du irgendetwas tust?", wollte ich nach einer Weile spontan wissen. Sie kaute an ihren Bissen weiter und schluckte, ehe sie antwortete. "Es ist ja nicht so, dass ich neben dir rauche." - "Es riecht mindestens genauso unangenehm." "Dann setz dich weg." - "Ich saß zuerst hier, falls du das vergessen hast. Du hast dich zu mir gesetzt. Ist dein Vater so viel durch die Gegend gereist, dass er es versäumt hat, dir Manieren beizubringen?" Catriona lachte. "Das sagt gerade der Richtige. Einer Dame bietet man einen Platz an, wenn sie vor einem steht." - "Es hat vor dir nie jemanden gestört, dass ich gern allein sitze." "Es gibt immer ein erstes Mal", antwortete sie, zwinkerte mir zu und stand dann auf. Ich sah ihr nach, wie sie ihr Butterpapier sorgfältig in den Müll warf und dann zurück ins Schulgebäude ging. Als ich kurz nach Pausenende das Klassenzimmer betrat, saß sie wieder auf dem Platz neben mir. Während ich um den Tisch herum lief um an meinen Platz zu kommen, warf ich einen Blick auf das Papier, das sie gerade las. Es handelte sich um eine Schulbuchliste. Ich setzte mich hin und sie seufzte. Zuerst dachte ich, dass sie das wegen mir tat. "Es dauert eine Weile, bis ich die Bücher beisammen habe, kann ich so lange bei dir mit rein schauen?" Ihr Ton war regelrecht sanft und freundlich. "Tu dir keinen Zwang an", antwortete ich und gestikulierte mit einer Hand. In der vorletzten Stunde hatten wir dann Irisch. Cat sah mich nochmal kurz an, um sich zu vergewissern, das ich damit einverstanden war, dann schob sie das Buch von meiner Tischhälfte zu ihrer und schlug es auf. Als sie die Seite gefunden hatte, schob sie es zurück in die Mitte zwischen uns beide. Kaum hatte der Lehrer die Aufgabe genannt, schrieb sie eilig drauf los. Sie musste nur immer mal wieder ins Buch schauen, dann huschte ihr Stift flink übers Papier. Man merkte, dass sie Irin war und die Sprache perfekt beherrschte. Kaum hatte sie ihre Aufgabe fertig, musterte sie mich und mein leeres Blatt Papier. Sie sah mich verwundert an. Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, ich hätte keine Ahnung was die Aufgabenstellung war oder das ich die Sprache nicht könnte, also las ich im Augenwinkel, was in dem Buch stand und schrieb dann alles fein säuberlich auf mein Blatt. Für einen normalen Menschen musste es so aussehen, als hätte ich die Aufgabe gemacht, ohne ins Buch zu schauen. Cat sah mich sichtlich verwundert an, sie rückte etwas näher und las mein Geschriebenes. "Wie lange bist du schon in Irland?", wollte sie wissen. "Zwei Jahre", antwortete ich. Ich hatte es nicht so sehr mit Lügen. Welche Vermutungen sollte sie aus dieser Information schon ziehen? Wenn jeder mit etwas mehr Geschick im Lernen und anderen Talenten ein Vampir war, dann war die private Mädchenschule fünf Blöcke weiter definitiv voll davon. Die Verwunderung blieb ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie fragte nicht weiter nach. Die letzte Stunde war ebenfalls Irisch und ging sehr zügig vorbei. Mein nächster Gang war wieder der zu meinem Spind, wo ich meine Bücher ablegte. Als ich die Tür schloss, lief Catriona gerade an mir vorbei. Sie hob kurz die Hand zum Abschied und verließ anschließend das Gebäude. Ich für meinen Teil ging heute nicht zur Stadtbibliothek. Ich nahm an, dass Mariella nicht dort war - und sollte recht behalten. Als ich die Kellertreppe hoch ging und gerade die Tür öffnete hörte ich noch ihre Glockenstimme. "... es ist nicht einfach", sagte sie zu meiner Großmutter. Weiter redete sie nicht, denn sie hatte mich schon bemerkt und drehte sich um. "Ani", sagte sie dann und sah mich an, wie ich im Türrahmen der Küche stand. Ohne Umschweife ging sie wieder auf mich zu und umarmte mich. Bella sah mich mit ihren goldenen Augen durchdringend an. Obwohl sie die selbe Farbe hatten, wie die der Anderen, war ihr Blick für mich ganz speziell, denn es waren die einzigen Augen, die mich wirklich sehen konnten. "Ah sieh an", hörte ich nun Seths freundliche Stimme. Er lief an mir vorbei in die Küche und rupfte sich im Gehen eine Traube aus der Schale, die auf dem Tisch stand. "Da ist ja unser Ausreißer." Ich verschränkte die Arme und lehnte mich gegen den Rahmen hinter mir. Seth setzte sich auf einen Stuhl und meine Schwester ging zu ihm, woraufhin er sie zu sich auf den Schoß zog. Und dann spürte ich ein unangenehmes Gefühl in mir aufsteigen, dessen Ursache gerade in schnellem Tempo auf mich zu kam: mein Vater. Ich hörte seine Schritte, als er die Verandatreppen hochkam, spürte förmlich die Wut die ihn umgab und wäre am liebsten direkt abgehauen. Und tatsächlich kam mein Vater mit grimmigem Gesicht und geballten Fäusten auf mich zu marschiert. "Wo bist du gewesen?", fragte er augenscheinlich noch ruhig. Hinter ihm sah ich, wie meine Mutter nun ebenfalls durch die Veranda kam. "In der Schule, wo sonst?", antwortete ich tonlos. "Hör auf mich zu verarschen, Anthony", fauchte er unter zusammengebissenen Zähnen. "Wenn du mir nicht glaubst, ist das nicht mein Problem." "Geht dir eigentlich die ganze Welt am Arsch vorbei?", fragte er dann zornig. Oh, wie originell seine Ausdrucksweise doch gelegentlich war. "Dein Bruder hätte sich gern von dir verabschiedet, schließlich wird er jetzt eine Weile nicht mehr kommen können." "Hätte, könnte, wollte, würde", antwortete ich in gelangweiltem Ton. "Ich will auch viel, wenn der Tag lang ist, Vater." Und dann machte ich mich unsichtbar. "Anthony!", rief mein Vater jetzt noch wütender. "Hör auf mit diesem Scheiß!" Ich musste fast lachen. Will und mein Vater waren sich in manchen Situationen wirklich erschreckend ähnlich und ich fragte mich, ob mein Bruder durch die Gene so geworden war oder ob sich das einfach so ergeben hatte, nachdem er so viel mehr Zeit mit meinem Vater verbracht hatte, als ich. "Bella!", kam es als Nächstes aus seinem Mund. Aber glücklicherweise hatte meine Großmutter nicht sonderlich Lust seinem Wunsch nachzukommen und ließ ihr Schutzschild unten. "Jacob!", mahnte meine Mutter. "Lass ihn doch in Ruhe, bitte." Und das brachte schließlich auch meinen Vater zur Ruhe. Als Nächstes sahen die Anwesenden nur noch, wie sich die Kellertür wie von Geisterhand öffnete und schloss. Unten ging ich ins Bad und schloss auch hier fein säuberlich die Tür hinter mir. Es kam zwar häufig vor, dass ich mit meinem Vater stritt - sogar sehr häufig - aber ich war zumindest nicht dafür bekannt auszurasten oder Türen zuzuschlagen. Das war dann eher die Verhaltensweise meines Vaters. Und genau diese ruhige Art hatte dafür gesorgt, dass ich erst sehr sehr spät die Fähigkeit zur Gestaltwandlung entdeckt hatte. Wann immer ich in Bedrängnis gekommen war, war ich früher eher vor Angst unsichtbar geworden, aber verwandelt hatte ich mich erst, als ich schon fast ausgewachsen war und das Unsichtbar werden unter Kontrolle hatte. Doch auch wenn ich es nicht so offen zeigte, die ständigen Streitereien belasteten mich. Ich wünschte, es wäre anders. Jedoch, wann immer ich meinen Vater sah, verspürte ich dieses unangenehme Gefühl. Und ich kannte nicht einmal den Grund. War es vielleicht, weil ich mir immer wie ein Dorn in seinem Auge vorgekommen war? Der zweite Sohn, der Unwichtigere. Der der nicht so sehr Wolf war. Der der mehr Vampir war. Der der alles in sich hineinfraß. Der nicht in der Lage war offen über irgendetwas zu reden. Ich schloss die Augen und ließ mir das Wasser direkt über den Kopf und das Gesicht laufen. Ich hörte nur noch das Plätschern des Wassers, das Rauschen in meinen Ohren und versuchte mich zu beruhigen. Erst als das Wasser langsam kalt wurde, stellte ich es aus und verließ die Dusche. Ich zog mir meinen schwarzen Bademantel an und ging zurück zu meinem Zimmer. Schon als ich den Türknauf berührte, spürte ich, dass jemand in meinem Zimmer war. Langsam öffnete ich sie und trat ein. Im Halbdunkeln meiner Nachttischlampe saß meine Mutter auf meiner Bettkante. Als ich reinkam, drehte sie ihren schönen Kopf mit dem seidigen langen bronzefarbenen Haar zu mir. "Mutter..?", brachte ich leise hervor. Es war mehr eine Feststellung, aber auch eine Frage und eigentlich bedeutete es eher 'Was machst du hier?', aber meine Mutter gehörte zu den wenigen Leuten in meinem Leben, die mich auch so verstanden. Sie legte ihre Hand auf eine Stelle des Bettes neben sich und deutete mir an, ich solle mich dorthin setzen. Langsam ging ich zu ihr und setzte mich neben ihr aufs Bett, allerdings nicht nur an der Bettkante, so wie sie, sondern ganz darauf. Sie drehte ihren Oberkörper in meine Richtung und sah mich an. Ihre schokoladenbraunen Augen sahen traurig aus. Ich konnte in dem fahlen Licht nicht ganz erkennen, ob sie geweint hatte oder nicht, aber ich meinte, etwas Salz in der Luft zu riechen. "Hast du geweint?", fragte ich leise nach. Sie senkte den Blick. Ich wusste nicht, ob sie auf meine Bettdecke starrte oder auf meine Hand. "Mutter?", hakte ich erneut nach. Sie schüttelte kurz den Kopf, schürzte die Lippen und sah mich dann wieder an. "Ani, warum tust du das?", fragte sie mich nun im Gegenzug, ohne auf meine Frage einzugehen. Jetzt war ich der, der nach unten sah. "Ich weiß es nicht." "Du weißt es nicht? Oder willst du es mir nur nicht sagen? Ani, bitte rede mit mir", flehte sie fast. Dann spürte ich ihre sanfte Haut. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände, sodass ich sie anschauen musste, aber sie musste hochschauen, weil ich größer war, als sie. "Du weißt, dass du mit mir reden kannst, ganz gleich, was es ist." Ich lächelte und nickte dann. "Du musst wissen, es ist nicht leicht für deinen Vater, und für mich", fuhr sie fort, nachdem sie ihre Hände wieder runter genommen hatte. "Will ist jetzt schon dreißig und wir werden ewig weiterleben, aber Will nicht. Und deswegen müssen wir die Zeit, die uns bleibt ,gut nutzen. Sie vergeht viel zu schnell. Viel viel zu schnell. Das ist Jacob vor einem Jahr, auf Billys Beerdigung, wieder so richtig klar geworden. Er versteht nicht, wie du sie so verschwenden kannst." "Mom, es geht nicht um Will. Natürlich will ich die Zeit mit ihm verbringen, aber gestern da... da...", ich brauchte einen Moment, suchte nach den Worten. "Mein Gespräch mit ihm, es ging um Vater." "Ani", sagte sie dann sanft. "Ich weiß, dass dein Bruder eine andere Bindung zu Jacob hat, als du." Ich sah sie an, nachdem sie den Satz beendet hatte. Sie strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte mich an. "Aber das bedeutet nicht, dass er dich weniger liebt. Dein Vater liebt dich, sogar sehr. Und es wird die Zeit kommen, da wird er es dir auch zeigen." Sie sah mich noch einen kurzen Moment an und schien den Satz wirken zu lassen. Dann stand sie langsam auf, doch bevor sie ganz raus ging, drehte sie sich noch mal um. "Oh... deine letzte Jagd ist eine ganze Weile her, willst du noch was essen? Seth und Jake essen oben gerade zu Abend. Ich könnte dir was runter bringen." Ich schüttelte nun ebenfalls mit einem leichten Lächeln den Kopf. "Nein, danke. Ich geh morgen Abend jagen." "Okay", antwortete meine Mutter. "Dann Schlaf gut, mein Schatz." "Gute Nacht, Mom." *** Am darauffolgenden Morgen ging ich wieder zu Fuß zur Schule. Die Luft war diesmal angenehm kühl und rein. Über den Feldern lag noch ein Nebelschleier und ich konnte den Morgentau riechen. Die Sonne blitzte vom Himmel herab und ließ das gefrorene Gras glitzern. In der Ferne sah ich ein Kaninchen vorbei hüpfen. Es wäre ein netter Snack gewesen, aber ich freute mich innerlich einfach auf mein abendliches Mahl im Wald und ließ das Kaninchen leben. Wenn Catriona heute wieder so ein übel riechendes Käsebrot auspackte, dann würde mir sowieso alles vergehen. Irgendwie verwunderte es mich fast selbst, dass ich einen Menschen, den ich erst einen Tag kannte, schon in meine Gedankengänge einbezog, ebenso als müsste ich mich schon viel länger mit ihr rum ärgern. Wahrscheinlich hatte ich auch nur unterwegs geahnt, dass das blonde Mädchen wieder auf dem Stuhl saß, auf dem sonst meine Tasche Platz nahm. "Guten Morgen, Tony", sagte sie frech und sah mich im Augenwinkel an, als ich mich neben sie setzte. Ich verdrehte die Augen. "Es heißt Anthony. Nenn. Mich. Niemals. Wieder. 'Tony'!", fauchte ich. "Okay, Tony", antwortete sie dann. "Vielen Dank auch", sagte ich sarkastisch. Sie lächelte und sah dann wieder nach vorn. Die ersten Stunden verliefen gewohnt ruhig. Der Großteil der Klasse war nur noch körperlich anwesend, holte jedoch geistig den fehlenden Schlaf nach. Der Lehrer schien daran wenig Interesse zu haben oder er bemerkte es ganz einfach nicht. In Irisch versuchte Cat diesmal ihr Blatt flinker vollzuschreiben als ich, scheiterte aber daran. Ihrem Blick konnte ich entnehmen, dass sie es wieder versuchen würde. Richtig lustig wurde der Tag erst in Chemie. Unsere Chemielehrerin war eine regelrechte Powerfrau und strahlte beim Anblick von Kohleklumpen, die mit irgendwas reagiert hatten, als handle es sich um einen 15-karätigen Diamanten. Auch heute stand sie voller Tatendrang vor uns, dann packte sie plötzlich ihren Geldbeutel aus und lief einmal durch alle Sitzreihen, wobei sie immer zwei Schülern je einen Fünfeuroschein auf den Tisch legte. Alle starrten verblüfft auf das Papier, doch erst als sie wieder vorn stand, klärte sie uns auf. "Heute verbrennt ihr den Geldschein - und danach will ich ihn wieder zurück!" Die Klasse brach in Gelächter aus und fragte sich wahrscheinlich, was sie mit den Geldaschenhaufen noch wollte. Ich lächelte nur. Ich wusste ja, auf was sie hinaus wollte. "Alles, was ihr dazu braucht, ist in der Kiste vorn, den Rest holt ihr euch wie immer aus den Schränken." Ich ging erst ganz zum Schluss zu den Schränken, um die Utensilien zu holen. Ich hatte keine Lust auf das Gedränge. Da Catriona nicht wusste, wo sich was befand, blieb sie einfach am Platz. Als ich schließlich zum dritten Mal wieder an den Tisch kam und die Chemikalien abstellte, sah sie etwas ratlos drein. "Und was machen wir jetzt damit?" Ringsum roch ich den Geruch von verbrennendem Papier und der eine oder andere Schüler sah ziemlich geschockt aus, als das kostbare Scheinchen nur noch ein verkohltes schrumpliges Papier war. Da war wohl nichts mehr mit zurückgeben. Und dabei war es doch gar nicht so schwer. Ich nahm eine Schüssel und kippte den Spiritus und Wasser hinein. Dann legte ich den Geldschein in das Gemisch und wartete, bis er sich damit vollsog. Zu guter Letzt gab ich noch ein wenig Salz hinzu, dann nahm ich den Schein mit einer Zange heraus und zündete ihn an. Er ging zwar sofort in Flammen auf, aber als sie erlischten, war der Schein unbeschadet. "Wow", sagte Cathy. Ich lächelte. "Moment." Ich legte den Schein und den Rest beiseite und fing wieder von vorn an. Da ich keinen Schein mehr hatte, nahm ich einfach einen Fünfziger aus meiner Tasche. Diesmal ließ ich das Kochsalz weg und kippte stattdessen Barium hinein. Der Schein brannte wieder lichterloh - diesmal war die Flamme allerdings grün. "Filmreif", sagte Cathy. "Sehr schön", sagte die Lehrerin, als sie unseren gelungenen Versuch gesehen hatte. Sie war von mir allerdings nichts anderes gewohnt, deswegen hielten sich die Lobeshymnen in Grenzen, wenngleich sie jedes Mal aufs Neue strahlte. Beim Aufräumen vor der Pause half Cat mir dann. "Du kannst also nicht nur perfekt irisch, du bist auch noch begabt darin, Geldscheine zu verbrennen." Ich antwortete nichts, sondern ging einfach zurück zu meinem Platz. In wenigen Minuten startete nämlich der zweite Versuch. "Gewöhn dich schon mal dran. Sie macht nämlich fast nur praktische Versuche", flüsterte ich zu der Blonden und deutete damit auf die Lehrerin. "Immer noch besser als trockene Theorie", antwortete Catriona. "Außerdem hab ich ja dich." Allerdings war ich dieses Mal keine große Hilfe. Jetzt sah ich etwas baff drein, als wir knapp zehn Minuten später Erdbeeren und Sahne auf unserem Tisch stehen hatten. "Wir sollen Erdbeereis machen?", fragte ich verdutzt. "Bin ich im falschen Fach?" Catriona kicherte und begann dann eilig die Erdbeeren klein zu schneiden. "Lass mich raten", sagte sie während sie die Früchte vom Grün befreite. "Kochen ist bei euch Frauensache?" "Mehr oder weniger", antwortete ich. Was hätte ich auch sagen sollen? Das man bei uns selten kochte, weil wir lieber in den Wald gingen und Tieren das Blut aussaugten? "Typisch Männer", sagte sie dann. "Mein Dad ist genauso." Als sie fertig war begann sie die Sahne mit den Erdbeeren und jede Menge Zucker zu verrühren. Ich saß einfach nur stumm daneben, hatte ich doch keine Ahnung von der Zubereitung. "So und was jetzt?", fragte Cat irgendwann. "Wo ist der Kühlschrank?" Erst als sie das fragte, verstand ich den chemischen Aspekt der Eisrührerei. "Der ist nicht nötig", erkannte ich. - "Wie?!" Vorn am Pult stand in der Kiste mit den Chemikalien die man für die aktuellen Versuche brauchte auch flüssiger Stickstoff. Ich nahm also einen der Behälter und kippte das Zeug in Catrionas rosanen Erdbeereismischung. Und damit waren dann alle zufrieden. Ich, weil ich bei diesem Versuch nicht ganz nutzlos war, Catriona weil sie ihr Erdbeereis gekühlt hatte und die Lehrerin, weil wir zu den Schülern gehörten, die ihren komischen Versuch verstanden hatten. Der Unterrichtstag war fast vorbei, als wir noch im fast ganz leeren Chemiesaal saßen und Cat das selbst gemachte Eis aß. "Und du möchtest wirklich nichts?", fragte sie. Ich winkte ab und schüttelte den Kopf. Dann sah ich aus dem Fenster. Der Himmel war bewölkt aber ich konnte sehen, dass es im Begriff war Dunkel zu werden. "Hey", sagte Catriona dann, damit ich sie ansah. "Tut mir Leid, dass ich dich heute morgen Tony genannt hab. Ich wollte dich nicht ärgern.. okay doch eigentlich schon." Wieder musste ich lächeln. Irgendwie war das verrückt. Ich empfand ihre Gesellschaft bereits als angenehm. Lieber saß ich hier bei ihr, als Zuhause bei meiner Familie. Es gab nur eine Person, bei der ich jetzt mehr sein wollte. Und dorthin würde ich jetzt gehen. Wie eigentlich jeden Nachmittag. "Ich muss jetzt gehen", sagte ich zu Catriona und stand auf. "Bis morgen." Dann verließ ich das Schulgebäude um, über die gewohnten Pfade ,zur Stadtbibliothek zu gelangen. Ich war relativ spät dran. Wenn ich mich nicht beeilte, würde ich sie verpassen. Auf den Straßen war nicht viel los, wegen des relativ ungemütlichen Wetters. Wahrscheinlich würde bald der erste Schnee kommen. Ich entschloss mich gerade etwas schneller zu gehen, da hörte ich von hinten eine bekannte Stimme. "Hey!", rief Cat und rannte auf mich zu. Ich sah sie verwundert an. "Hast du was vergessen?" "Nein, ich will dich nur ein bisschen stalken", antwortete sie keck. Ich hob eine Augenbraue, dann drehte ich mich um und ging einfach weiter. Cat folgte mir auf dem Fuß. "Wohin willst du denn? Vielleicht haben wir den selben Weg." Entnervt verdrehte ich die Augen, was sie allerdings nicht sah, weil sie hinter mir lief. Wir liefen gerade an einer engen schattigen Sackgasse vorbei. Plötzlich blieb ich stehen. Catriona lief fast gegen mich, aber so weit kam es gar nicht, denn im nächsten Augenblick hatte ich sie schon an den Schultern, schob sie, mit bedacht menschlicher Schwäche, in die dunkle Seitengasse und drückte sie hinter einem großen grauen Container gegen die Backsteinwand. "Was muss ich tun, damit du mich abseits der Schule nicht verfolgst?", fragte ich. Der Wortlaut an sich mochte sich böse anhören, aber mein Tonfall und mein Blick verrieten ihr, dass ich es eigentlich eher gespielt meinte, als ernst. "Küss mich", antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. Und ebenso schnell reagierte ich. Ich ließ ihre Schultern los und legte meine Hände links und rechts von ihr gegen die Wand, so dass sie nicht ausweichen konnte, dann küsste ich sie. Im ersten Moment schien sie noch überrascht, doch dann fiel ihre Schultasche zu Boden, sie grub ihre Hände in meine Haare und erwiderte meinen Kuss. Unser Kuss wurde schnell leidenschaftlicher. Ihre Hände wanderten von meinen Haaren über mein Gesicht, dann vergruben sie sich in meiner Jacke. - Und dann brach ich plötzlich ab, als ich spürte, dass wir Gesellschaft bekommen hatten. Ruckartig drehte ich mich um. In wenigen Metern Abstand, standen zwei Gestalten in schwarzen Umhängen. Sie hatten Kapuzen auf und kamen nun langsam näher. "Och wie niedlich, junge Liebe", sagte eine sehr kindliche Stimme. Als die Person näher kam, sah ich, dass es sich um ein junges Mädchen handelte. Sie mochte vielleicht wie Fünfzehn aussehen, aber dass sie das nicht war, erkannte ich an ihrem süßlichen Geruch - und vor allem an ihren roten Augen. Solche Augen kannte ich nur von einigen Freunden der Familie aus anderen Zirkeln. Jene Vampire, die nicht auf Menschenblut verzichteten. Die bullige Gestalt neben dem Mädchen war ein Kerl, dessen Augen ebenfalls rot waren. Ich hatte nur Geschichten von ihnen gehört, ich hatte sie nie gesehen. Aber ich wusste sofort, wem ich hier gegenüberstand. Die roten Augen und die schwarzen Umhänge, verrieten sie. Die Volturi. Meine Familie hatte meinen Geschwistern und mir von ihnen erzählt. Der größten und ältesten bekannten Vampirgemeinschaft, die in Italien lebte und für die Einhaltung der Gesetze im Vampirreich zuständig war. Oder besser: sich selbst dafür auserkoren hatte. Sie hatten irgendwann mal einen der Ihren bei uns vorbeigeschickt. Allerdings war dieser Jemand mehr ein Freund der Familie gewesen, ähnlich wie der irische Zirkel. Ich selbst hatte auch ziemlich über sein Auftauchen gestaunt, als ich noch kleiner war, denn er war der erste Halbvampir gewesen, mit dem ich nicht verwandt war. Aber er hatte eine ganz andere Ausstrahlung gehabt, als diese Beiden da, denn Nahuel, wie er hieß, hatte keine roten Augen gehabt und hatte zumindest in unserer Gegenwart keinen schwarzen Umhang getragen. Sie hatten ihn damals, soweit ich mich erinnern konnte, zweimal zu uns geschickt, um über das Wachstum von meinen Geschwistern und mir zu berichten. Sie mussten sich versichern, dass wir nicht gefährlich waren. In diesem Moment fragte ich mich, was die Prozedur für einen Sinn gehabt hatte. Diese Volturi kamen mir gefährlicher vor, als es drei kleine Kinder je hätten sein können. "Was wollt ihr?", fragte ich, doch sie ignorierten meine Frage und stellten stattdessen selbst eine. "Wie lautet dein Name?", sagte das Mädchen im Befehlston. "Anthony Ephraim Black-Cullen", antwortete ich. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, zu schweigen. Auf dem Gesicht des Mädchens zeichnete sich ein leichtes fieses Lächeln ab. "Sehr schön", stellte sie fest. "Ich denke wir müssen uns nicht namentlich vorstellen. Aro hält ziemlich große Stücke auf dich. Wir sind hier um zu überprüfen, ob das berechtigt ist." "Was?", fragte ich unter zusammengebissenen Zähnen. Der große Vampir neben ihr fixierte nun das Mädchen hinter mir. Ich schirmte sie weiter ab, während ich einige Schritte zurückwich. "Die Kleine?", fragte der Bullige. Cat sagte die ganze Zeit über nichts, ich nahm an, dass sie zu geschockt war. "Mhm...", machte das junge Mädchen. "Nein, die könnte uns noch von Nutzen sein, geh und hol eine Andere." Ich ahnte Schreckliches, als der Große die Gasse verließ. "Wenn du schlau bist, schickst du deine Freundin jetzt fort von hier", riet mir die Volturi. Ich hoffte, dass dies wirklich ein Angebot war und sie Cathy nicht doch noch schnappten, wenn ich nicht in ihrer Nähe war. Ich drehte mich zu Cat um. Sie hatte ihre blauen Augen weit geöffnet und starrte mich erschrocken an. "Hör zu", sagte ich und nahm ihr Gesicht in meine Hände. "Du gehst jetzt auf direktem Weg an einen Ort, wo viele Menschen sind und bleibst dort solange du kannst." "Aber... ich...", fing sie zitternd an. Ich schüttelte den Kopf. "Du gehst. Und du holst keine Hilfe. Ich komme schon klar. Keine. Hilfe", betonte ich die letzten zwei Worte. Sie starrte mich noch immer an, nickte aber eilig. "Gut", sagte ich leise, ließ ihr Gesicht los und versuchte zu lächeln. "Auf Wiedersehen." Sie antwortete nichts, sah mich einfach nur an, anschließend lief sie langsam an mir vorbei und auf die Kleine zu. Zu meiner Verwunderung ging sie tatsächlich ein wenig zur Seite und deutete Catriona an, dass sie vorbei gehen konnte. Dann verschwand meine Schulkameradin, die ich vor wenigen Augenblicken noch geküsst hatte, hinter der Ecke und ich wusste nicht, ob ich sie je wiedersehen würde. Die Volturi stellte sich wieder an ihren ursprünglichen Platz, jetzt da Cat weg war. Kaum eine halbe Minute darauf, kam ihr Kollege wieder ums Eck. Doch er war nicht allein. Er hielt ein Mädchen fest im Griff, das wahrscheinlich keine Fünfzehn war und Todesangst hatte. Ich kannte sie nicht, hatte sie nie gesehen, aber das machte die Situation nicht unbedingt angenehmer. "Was soll das?", fragte ich zornig. Der Große schubste das Mädchen in meine Richtung, so dass sie vor mir auf die Knie fiel. Dort fing sie bitterlich zu weinen an. "Nur ein kleiner Imbiss. Greif ruhig zu. Du wirst feststellen, dass Menschenblut nicht nur viel köstlicher ist, als die rote Brühe von Ratten und Mardern, sondern dir auch ein neues, wundervolles Lebensgefühl gibt", schwärmte sie. Ich schüttelte den Kopf. "Niemals." Von Geburt an, hatte man mir stets beigebracht, dass es nicht richtig war, Menschen aus Hunger zu töten oder gar aus Lust. Es ging ja auch anders. "Nein?", sagte die Kleine gespielt mitleidig. Plötzlich schnappte ihr Begleiter sich das Mädchen. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, wie ein Vampir einen Menschen biss. Seine Zähne durchdrangen ihre zarte Haut und gruben sich in das Fleisch. Sie war wie erstarrt, schrie nicht mal, doch ihre Augen waren noch geöffnet. Sie bekam wahrscheinlich alles mit. Wenige Momente später, stieß er das blutige Mädchen erneut in meine Richtung. Doch diesmal taumelte sie so weit, dass ich sie reflexartig auffing. Ich hörte ihr schnell pochendes Herz, roch den köstlichen Duft menschlichen Blutes, das aus ihrem Hals hervorquoll. Ob ich der Verlockung hätte widerstehen können, wenn ich zuvor etwas gegessen hätte? Da war ich mir nicht allzu sicher. Nie zuvor, hatte ich etwas derartiges Gerochen. Es war nichts im Vergleich zu den Blutkonserven, die ich in meiner Kindheit getrunken hatte. Denn dieses Blut wurde direkt aus einem verzweifelt schlagenden Herzen gepumpt. Selbst für mich hatte die Wärme dieses Blutes etwas Besonderes, als es über meine bleichen Finger lief. "Es tut mir Leid", flüsterte ich ihr noch zu, dann verschwamm die Welt um mich herum. Es war für die beiden Vampire, vor mir, nicht mehr länger nötig, mich zu überzeugen. Die Natur hatte ihren Job übernommen. Der Vampir in mir, hatte die Überhand gewonnen. Vergessen waren die Lehren meiner Familie. Mir war alles egal. Ich wollte nur noch meine Zähne in den Hals meines Opfers bohren. Als ich dies letztlich tat und den roten Lebenssaft meine Kehle hinunter rinnen spürte, als ich ihn endlich auf meiner Zunge schmeckte, war diese Befriedigung meines Hungers nach dem Blut besser, als jede Liebesnacht die ich zuvor mit einem Mädchen verbracht hatte. Ich wusste nicht mal, ob mein Opfer nun bereits tot oder bewusstlos war oder ob sie gar schrie. Ich hatte die Lider geschlossen und sog einfach an ihrem Hals, eine Hand an ihrer Hüfte, die Andere in ihrem Haar. Erst als jeder Tropfen ihren Körper verlassen hatte, ließ ich von ihr ab. Ihre schlaffen Überreste glitten mir aus der Hand und prallten auf den Asphalt. Es brauchte eine Weile, bis ich die Welt um mich herum wieder einigermaßen wahrnahm. Ich hatte Blut an den Händen und es war mir wohl auch am Mund entlang gelaufen und hatte meinen Hals und meine Kleider benetzt. Ich atmete heftig, so sehr war ich dem Blutrausch verfallen. Ich starrte zunächst meine Hände an, dann fiel mein Blick auf den leblosen Körper vor mir. Der Leichnam war blutüberströmt. "Sehr schön", sagte die Vampirin erneut. Ich hob meinen Blick und knurrte sie an. "Du Monster!", fuhr ich sie an. "Wer ist hier das Monster?", fragte sie gehässig. "Sieh dich doch mal an und sieh, was vor deinen Füßen liegt. Du hast ihr das Leben genommen." Ich spürte wie der Zorn, jetzt da die Blutlust gestillt war, in mir aufstieg. Unbekannte neue Kräfte, durchfluteten jetzt meinen Körper. Es stimmte wohl wirklich, das Menschenblut Vampire stärker machte. Mein Körper bebte. Ich war derart in Rage, dass mir Tränen in die Augen schossen. Ich wollte gern antworten 'Nein, ich habe sie nicht getötet!' und mir sicher sein, dass dies der Wahrheit entsprach, aber dem war nicht so. Ich ging einige Schritte zurück. Ich wollte sie attackieren, sie für das, was sie mir angetan hatten, das wozu sie mich gebracht hatten, lynchen. Doch so weit kam es gar nicht. Offenbar waren meine Absichten ziemlich deutlich. Egal wie stark ich jetzt auch wahr, gegen diese Attacke war ich nicht gefeilt gewesen. Ich wäre es wohl gewesen, wenn ich in meinem Blutrausch und meiner Wut, mein Schutzschild nicht vergessen hätte. Mit einem Mal verspürte ich einen derart starken Schmerz, wie ich ihn noch nie gespürt hatte. Ich wollte Schreien, doch der große Volturi stand plötzlich hinter mir, packte mich und hielt mir den Mund zu. Kaum ein Ton verließ meinen Mund, als ich mich unter Schmerzen in seinem Griff wand. Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot umgefallen, nur damit es endlich vorbei war. Mein Flehen schien erhört zu werden. Ich versank in der Dunkelheit. - Ende Kapitel 1 - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)