mein, dein, sein. von -cC- (Ausschnitte aus dem Leben eines BDSM-Pärchens) ================================================================================ Das erste Mal, Teil 1: Ersehnen und Erkennen -------------------------------------------- Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Zufällen, denkt er, während er die Lederfesseln wegräumt, die gerade erst noch die Handgelenke seines jungen Freundes geziert haben. Aber manchmal sind die glücklichen Zufälle eindeutig in der Überzahl. Auch wenn sie einen oft unvorbereitet erwischen, und man im ersten Moment vielleicht nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll. So wie damals. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er an ihr erstes Mal denkt, das zufälliger nicht hätte geschehen können.. Seit fast einer Woche wohnte der junge Student zu diesem Zeitpunkt bei ihm. Völlig ungeplant waren sie nach einem halben Jahr flüchtiger Bekanntschaft zu kurzfristigen Mitbewohnern geworden. Und bisher gestaltete sich dieses Zusammenwohnen durchaus harmonisch. Aber wie würde es weitergehen? Sie lagen müßig in seinem großen Bett, dicht nebeneinander. Sasha auf dem Bauch neben ihm, einen Arm über den Oberkörper seines Gastgebers und neuen Mitbewohners gelegt, den Kopf an dessen Schulter gebettet. Nachdenklich betrachtete er den blonden Schopf an seiner Schulter, den seine Hand seit einigen Minuten wie automatisch streichelte. Körperkontakt war nie ein Problem gewesen zwischen ihnen. Zumindest nicht, seit sie über ein gewisses Stadium beiderseitiger Unsicherheit hinausgekommen waren. Seitdem waren Fragen wie 'sitzt du wirklich bequem?' und 'bin ich wirklich nicht zu schwer?' einem zwanglosen gegenseitigen Vertrauen gewichen. Aber würde dieses Vertrauen reichen? Würde es wachsen können und stark werden? Und wenn ja, wo würde es hinwachsen? Er selbst hatte da durchaus gewisse Präferenzen.. Beiläufig verschob er seine streichelnde Hand, kraulte kurz den weichen Nacken und strich dann mit leichtem Druck der Wirbelsäule entlang. Sasha seufzte wohlig unter seiner Berührung, räkelte sich genießerisch und rückte noch etwas enger an ihn heran. Ja, er hatte eindeutig bestimmte Präferenzen, was den weiteren Verlauf ihrer Beziehung anging. Und die Karten standen dafür eigentlich nicht einmal schlecht. Schliesslich hatten sie sich erst gestern aus einer zufälligen Begebenheit heraus geküsst. Mit Zunge. Zwei Mal. Und das Ganze einstimmig für wiederholenswert befunden. Er musste lächeln, als er daran zurückdachte. Die ganze Situation war so typisch gewesen für ihre Beziehung. Ungeplant und aus einer Alltagssituation heraus. Und so unschuldig – was für ihn persönlich eigentlich ganz und gar nicht typisch war. Aber genau da lag das Problem. Sasha war ganz offensichtlich einer gewissen Körperlichkeit mit ihm nicht abgeneigt. Und bisher hatte er ihn als offenen und toleranten Menschen erlebt – aber würde es reichen? Durfte er darauf hoffen, dass der Jüngere offen genug war, sich auf ihn einzulassen? Dass er nicht schreiend davonlief, wenn er mehr von sich zeigte? Wenn er ihm zeigte, wie weit er tatsächlich zu gehen bereit war? Irgendwann würde er es wohl wagen müssen. Aber vorerst gab es da noch andere Prioritäten. Vorsichtig richtete er sich auf und begegnete dem fragenden Blick mit einem Lächeln. „Wenn wir heute noch Essen gehen wollen, dann sollte ich langsam mal duschen.“ „Macht Sinn.“ schmunzelte Sasha und rollte sich träge von seinem Gastgeber herunter. Der war aber auch verflucht bequem! Und das nicht nur im Liegen. Auch auf seinem Schoß saß es sich, als hätte man ihre Körper passgenau aufeinander zugeschnitten. Und das ihm, dem sonst körperliche Nähe eher lästig war! Sehr mysteriös. Aber als der andere aufstand und sich anschickte zur Tür zu gehen, fiel ihm noch etwas anderes ein. „Kann ich derweil deinen Laptop haben? Ich bräucht' mal kurz Internet..“ Schließlich war er jetzt bald eine Woche nicht online gewesen, und manche Browsergame-Clans verziehen einem solches Verhalten nicht gern. „Klar, steht auf dem Tisch. Nimm einfach den Gast-Account, der hat eh kein Passwort drin.“ kam die Antwort im Vorbeigehen, und schon war er draußen. Na, wenn das so einfach war.. Eine Viertelstunde später war Sasha up-to-date was seine Browsergames anging, hatte die wichtigsten Emails bearbeitet, sich an relevanten Stellen auf unbestimmte Zeit abgemeldet.. und die Dusche im Raum gegenüber lief noch immer hörbar. Das versprach genug Zeit, sich nun auch den weniger wichtigen Neuerungen zu widmen. Zum Beispiel dieser einen, verdammt gut geschriebenen, aber leider noch nicht abgeschlossenen BDSM-Geschichte, die er vor einigen Wochen entgegen seiner Prinzipien zu lesen angefangen hatte. Er hasste es, nicht sofort zu wissen wie eine Geschichte weiterging. Und es bestand ja auch immer das Risiko, dass der Autor sein Projekt irgendwann einfach abbrach. Aber manche Geschichten waren dieses Risiko wert. Diese spezielle drehte sich um die ein schwules BDSM-Pärchen, dessen submissiver Part die Anfänge ihrer Beziehung schriftlich Revue passieren ließ. Und offenbar hatte die Autorin kürzlich einen Kreativitätsschub gehabt, denn es waren sogar ganze zwei neue Kapitel dazugekommen! Als die Dusche endlich ausging war Sasha tief eingetaucht in die Handlung der Geschichte. Schmunzelnd las er von beiläufigen BDSM-Momenten im Alltag, sehnsüchtig erkannte er die Routine, die eine feste Beziehung mit sich brachte, und mit angehaltenem Atem verfolgte er die harten Konsequenzen, die der Sub nach einem Ausrutscher zu ertragen hatte. Dass in der Zwischenzeit jemand ins Zimmer getreten war, merkte er kaum, und die völlig nebensächliche Frage danach, was er denn da so spannendes mache, beantwortete er kurz und bündig mit „Lesen“. Der so knapp Abgespeiste konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dass eine spannende Geschichte einen so sehr fesseln konnte, dass alles andere unwichtig wurde, das wusste er aus eigener Erfahrung nur zu gut. Da würde jetzt auch ein Kanonenschlag wenig ändern können, und er selbst schon gar nicht. In aller Ruhe zog er sich also an und setzte sich dann vorsichtig aufs Bett. Nicht, dass er den fleißigen Leser stören wollte. Aber neugierig war er doch, was dieser da gefunden hatte. Zwar wurde er kurz mit einem unsicheren Blick bedacht, als er anfing mitzulesen – ob es Sasha unangenehm war, dass er ihm über die Schulter schaute? – aber offenbar überwog der Drang, der Handlung zu folgen, und bald lasen sie einträchtig nebeneinander. Und was sie da lasen! Das Wort 'Andreaskreuz' leuchtete wie eine Wegmarkierung am Ende des gerade beendeten Kapitels. Und das nächste Kapitel begann mit Lederfesseln, führte zu Peitschen, zu Schmerz, Lust und Dominanz. Lieber Himmel! Kein Wunder, dass Sasha gezögert hatte, ihn mitlesen zu lassen. Und hatte er sich nicht gerade noch gefragt, ob er ihm wohl seine ungewöhnlichen Neigungen wirklich zumuten konnte? Na, die Frage war dann wohl geklärt! Aber dafür war später Zeit. Mit wenigen Sätzen hatte ihn die Geschichte in ihren Bann gezogen und mit trockenem Mund verfolgte er jetzt weiter, wie die offenbar verdiente Bestrafung durchgeführt und mit anschließendem Versöhnungssex gekrönt wurde. Hin und wieder brachte ihn die zuweilen unregelmäßige Atmung seines Mitlesers aus der Konzentration. Wahrscheinlich hätte er daheim mit der Hand in der Hose gelesen, dachte er spöttisch. Nicht, dass es ihm selbst anders gegangen wäre. Etwas Ruhe brachte dann das anschließende Gespräch der beiden Protagonisten über Sinn und Unsinn bestimmter Praktiken. Als sie schließlich an eine nach Schlusssatz klingende Stelle gelangten, schien sich Sasha plötzlich daran zu erinnern, dass er nicht alleine war, und sah mit fast schon entsetztem Blick zu ihm hoch. „Ähm..“ Die Antwort war ein verschwörerisches Grinsen. „Kann's sein, dass du auf BDSM stehst?“ Die Erleichterung, die das vertraute Akronym auslöste, war fast körperlich spürbar. Sasha setzte sich auf, lehnte sich gegen die Rückwand des Bettes und versuchte damit ganz offensichtlich, Zeit zu schinden, um sich die Antwort gut zu überlegen. „Naja, auf den SM-Teil nicht so besonders. Aber den Rest durchaus..“ Die Erklärung klang entschlossen und ehrlich, wenn auch ein wenig peinlich berührt. Kein Wunder.. „Schmerzen sind also nicht so dein Ding?“ fragte er vorsichtig nach und setzte sich ebenfalls hin, Sasha gegenüber. „Nicht alleine. Wenn sie dazugehören ist es okay. Als Strafe oder so. Aber an sich finde ich sie einfach nicht..“ Sasha suchte nach Worten. „..erregend?“ wurde ihm schmunzelnd angeboten. Ein Nicken folgte. „Und der Rest? Das Machtverhältnis zwischen den beiden?“ Er deutete mit dem Kopf auf den Laptop mit der noch offenen Geschichte. „Mh.. Der Master da ist mir etwas hart.. Also, für richtig.“ fügte er schnell hinzu, den Blick konsequent von seinem Gesprächspartner abgewandt. „Aber so virtuell absolut geil.“ Der letzte Teil war schon fast unhörbar leise genuschelt. Es fiel schwer, konzentriert zu bleiben. "Du bist also eher auf der Bottom-Seite, mh?" Nicken. Kam es ihm nur so vor, oder ging das hier gerade in Richtung Kreuzverhör? Ob er besser aufhörte mit fragen? Aber bevor er sich entscheiden konnte, schielte Sasha kurz zu ihm rüber – ganz eindeutig interessiert am Thema, aber nicht mutig genug, es selbst weiterzuführen. Er unterdrückte ein Schmunzeln. Gut, dem konnte geholfen werden; also weiter. „Was reizt dich denn mehr am Rest von BDSM, der Bondage-, oder der Dom/Sub-Teil?“ „DS!“ kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen, gefolgt von vorsichtiger formuliertem: „Fesseln sind auch okay. Aber irgendwie nur als Mittel zum Zweck..“ „Und zu welchem Zweck? Macht demonstrieren, oder Bewegung einschränken?“ „Beides.“ Nachdenkliche Pause. „Aber das Erste nur indirekt. Also, nicht 'wer diesmal die Fesseln ankriegt ist sub', sondern einfach als zusätzliches Zeichen von Unter- und Überlegenheit.“ Jetzt sah er doch wieder auf, suchte mit unsicherem Blick eine Bestätigung seiner Gedanken. Was er fand war ein interessierter Zuhörer, der ihn mit einem Nicken dazu aufforderte, weiterzureden. „Naja, und ganz direkt sind Fesseln sowohl Halt als auch Restriktion.“ nahm er den Faden wieder auf, jetzt deutlich mutiger. „Also einmal rein mechanisch zum Einschränken von Bewegung, und einmal mental, dass man sich gar nicht erst überlegen muss, ob und wie man sich überhaupt bewegen soll.“ „Mh-hm. Hilft eindeutig beim sich fallen lassen, ja.“ Die direkte Bestätigung zauberte ein Lächeln auf das Gesicht des Jungen. „Du kennst dich wohl auch nicht schlecht damit aus, huh?“ fragte er seinen Gastgeber zurück. Ein Grinsen antwortete ihm. „Warst du mal im 'Dark Cavern'?“ Kopfschütteln. „Ein SM-Club in der Innenstadt." erklärte er. "Ich war da ein paar Jahre angestellt.“ Ungläubiges Staunen. „Cool! Und.. worauf genau..?“ Sasha wusste nicht ganz, wie er seine Frage formulieren sollte, aber er wurde verstanden. „Mir ist auch der D/S-Part am liebsten, aber eher auf der dominanten Seite. Der Sub liegt mir nicht so, dann noch eher maso.“ Sasha schmunzelte. „Nicht nachvollziehbar, aber absolut passend. Mir liegt Sadismus auch besser als Dominanz.“ Passend? War das ein dezenter Hinweis darauf, dass ihre Beziehung auch auf dieser Ebene Potenzial hatte? ..was dachte er da? Ganz offensichtlich hatte sie jede Menge Potenzial! „Was davon findest du denn nicht nachvollziehbar?“ nahm er den Faden wieder auf. „Naja, beides. Also, eben, Schmerzen sind nunmal nicht meins. Und Dominanz..“ Seufzen. „Als ich mich das letzte Mal als dominanter Part versucht habe, hatte ich den armen Kerl schliesslich voller Erwartung gefesselt vor mir liegen, und wusste dann einfach nicht, was ich mit ihm anstellen sollte.“ Auf den ungläubigen Blick schnaubte er nur verdrossen und zuckte mit den Schultern. „Mir fiel einfach nichts ein. Ich find's grässlich, wenn man so unter Druck ist, sich ständig etwas auszudenken, was man als nächstes tun könnte..“ „Aber das ist doch genau der Witz daran! Du kannst einfach genau das tun, was dir in den Moment einfällt. Es passiert genau das, was du willst. Du hast die Macht, die Kontrolle..“ „Ja, und die Verantwortung! Ich find's einfacher, jemand anderen machen zu lassen.“ „Aber dann bist du völlig angewiesen auf das, was der andere will, kannst nur reagieren, nicht selbst entscheiden..“ „Eben! Ich muss eben nicht selbst entscheiden! Sondern ich kann mich darauf beschränken, mit dem umzugehen was passiert. Ich muss mir nicht ausdenken, was ich im nächsten Moment am besten täte, muss nicht aufmerksam oder kreativ sein, sondern kann mich einfach fallen lassen.“ „Aber dann ist deine Freiheit ja völlig eingeschränkt..“ „Es ist dann eben keine Einschränkung, sondern Halt. Ich fänd's unangenehmer, immer die Verantwortung für andere mittragen zu müssen..“ „Naja, das liegt mir irgendwie einfach. Ich bin gern der, der entscheidet. Und dann trage ich natürlich auch die Verantwortung für diese Entscheidungen.“ Sasha lachte. „Na, siehst du, sag ich doch: Nicht nachvollziehbar, aber passt perfekt!“ Er erwiderte das Lächeln. „Stimmt. Passt perfekt.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)